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SCM: Sieben Thesen zur<br />
zukünftigen Entwicklung<br />
logistischer Netzwerke<br />
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bretzke, Barkawi & Partner<br />
Zusammenfassung<br />
Unter der Überschrift „Supply Chain Management“<br />
werden immer wieder Konzepte propagiert, die auf<br />
einer rigiden Kopplung der Austauschprozesse zwischen<br />
vertikal verbundenen Unternehmen basieren.<br />
Nicht selten gipfeln solche Konzepte in der Prophezeiung, als<br />
Folge einer solchen starken Integration würde sich der Wettbewerb<br />
zunehmend von der Ebene einzelner Wertschöpfungsstufen<br />
auf eine Konkurrenz zwischen ganzen Supply Chains verlagern.<br />
Der Autor zeigt die Nachteile einer solchen Bildung von Systemen<br />
höherer Ordnung auf, begründet seine Zweifel an der Wettbewerbsverlagerungsthese<br />
und stellt dem Paradigma einer ganzheitlichen<br />
Optimierung von Supply Chains seine Gegenvision<br />
mehrseitig offener, lose gekoppelter, polyzentrischer Netze gegenüber,<br />
deren Mitglieder die Vorteile einer verbesserten wechselseitigen<br />
Information über Planungsprämissen<br />
ausschöpfen, ohne dabei ihre Flexibilität in der<br />
Partnerwahl aufzugeben und Teil eines größeren<br />
Ganzen zu werden. Seine im Detail begründeten<br />
Ausführungen münden in ein Plädoyer für eine<br />
Paradigmenwechsel in der Logistik.<br />
Schrifttum aufgegriffen worden: “Die Idee des SCM ist es,<br />
das logistische Netzwerk ganzheitlich zu planen, zu steuern<br />
und zu kontrollieren. Dadurch wird das Ziel verfolgt, ein<br />
Gesamtoptimum über alle Unternehmen hinweg... zu erreichen...“<br />
([3]).<br />
Die folgenden thesenhaft verdichteten Ausführungen<br />
beinhalten eine kritische Würdigung der Potenziale und<br />
Grenzen dieses Ansatzes. Sie basieren in wesentlichen Teilen<br />
auf drei jüngeren Publikationen des Verfassers ([4]). Dabei<br />
gehen sie von zwei unterschiedlichen Intensitätsgraden der<br />
unternehmensübergreifenden Prozessintegration aus, deren<br />
Machbarkeit höchst unterschiedlich zu bewerten ist.<br />
Als (relativ) schwächere Variante der Integration wird<br />
die Herstellung einer netzwerkweiten Transparenz von Bedarfen,<br />
Beständen, Kapazitäten und Prozesszuständen definiert.<br />
Innerhalb dieser Variante bleibt die Autonomie der<br />
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Problemstellung und Untersuchungsziele<br />
„Supply Chain Management (SCM)“ verkörpert den<br />
Zeitgeist moderner Logistik. Die Frage, ob dieses Konzept<br />
das Schicksal vorhergehender Managementmoden wie<br />
„Business Process Reengineering“ erleiden und eines Tages<br />
infolge enttäuschter Erwartungen in der Versenkung verschwinden<br />
wird, ist freilich noch nicht entschieden. Ihre<br />
Beantwortung hängt auch davon ab, wie hoch die Ansprüche<br />
und Erfolgsverheißungen sind, die man mit diesem<br />
Konzept verbindet.<br />
Nach weitgehender Übereinstimmung handelt es sich bei<br />
“Supply Chain Management” um eine integrative Philosophie<br />
„to manage the total flow of a distribution channel from<br />
the supplier to the ultimate user“ ([1]). Diese Philosophie<br />
basiert auf einem holistischen Ansatz und beruft sich dabei<br />
auf das Systemdenken: „Systems thinking involves movement<br />
away from functional department suboptimization ...<br />
to a holistic optimization of the entire supply chain.“ ([2]).<br />
Entsprechend ist das Konzept auch im deutschsprachigen<br />
Netzwerk-„Mitglieder“ erhalten, und die unternehmensübergreifende<br />
Koordination erfolgt insoweit hierarchiefrei.<br />
Eine stärkere Integration der Supply Chain ist dann gegeben,<br />
wenn sich Manager auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen<br />
bei ihren Entscheidungen nicht von eigentumsrechtlich<br />
bedingten „Partikularinteressen“ leiten lassen, sondern auf<br />
der Basis der neu gewonnenen Visibilität ein unternehmensübergreifendes<br />
„Gesamtoptimum“ für ganze Lieferketten<br />
suchen. Die Kritik beginnt mit der Frage nach dem<br />
Objekt für eine solche Optimierung.<br />
Thesen zur Diskussion<br />
Im Folgenden werden die in Abbildung 1 genannten<br />
Thesen zum SCM detailliert begründet.<br />
These 1: Supply Chains sind problematische<br />
Konstrukte<br />
Der Begriff „Supply Chain“ ist in zweifacher Hinsicht<br />
problematisch: Er verengt den Blick von verzweigten Netzen<br />
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These 1<br />
These 2<br />
These 3<br />
These 4<br />
These 5<br />
These 6<br />
These 7<br />
Supply Chains sind problematische<br />
Konstrukte<br />
Der Managementvision fehlt das<br />
Organisationskonzept<br />
Vertikale Integration kostet Flexibilität<br />
und Skaleneffekte<br />
Die (Teil-)Suspendierung des<br />
Marktmechanismus schwächt die<br />
Wettbewerbsposition vertikal<br />
integrierter Supply Chains<br />
Lokale Entscheidungen liefern bessere<br />
Ergebnisse als eine netzwerkweite<br />
Zentralplanung<br />
Eine Verlagerung des Wettbewerbs auf<br />
die Stufe ganzer Supply Chains findet<br />
nicht statt<br />
Die Zukunft gehört lose gekoppelten,<br />
intelligent vernetzten Regelkreisen<br />
Abb. 1: Thesen zur zukünftigen Entwicklung<br />
logistischer Netzwerke<br />
auf lineare Ketten, und er suggeriert dabei, Supply Chains<br />
böten sich als Objekte einer ganzheitlichen Gestaltung in<br />
ähnlicher Weise an wie einzelne Unternehmen – als vorgeformte<br />
Gebilde mit einer klar umrissenen Grenze zwischen<br />
sich und ihrer Umwelt. Tatsächlich aber sind viele<br />
Unternehmen Kreuzungen, durch die hindurch Lieferwege<br />
von ganz unterschiedlichen Vorlieferanten<br />
zu ganz unterschiedlichen Endproduktherstellern<br />
laufen. Im Urzustand sind sie damit<br />
Elemente einander überlappender, mehrseitig<br />
offener, polyzentrischer Netze. Das ist zunächst<br />
einmal nicht Ausdruck einer logistischen<br />
Schwachstelle, sondern eine Folge<br />
durchdachter unternehmerischer Strategien. Dysfunktionale<br />
Wirkungen zeigen diese (in der Regel nicht nur logistisch<br />
begründeten) Strategien erst dann, wenn man sie an den<br />
Anforderungen von „Supply Chain Management“ misst.<br />
Die mit dem Supply-Chain-Begriff verbundene „sequenzielle<br />
Wertadditionsperspektive“ ([5]) verliert ihren Anschein<br />
von Selbst-Evidenz, wenn man die Substituierbarkeit<br />
von „Partnern“ zulässt. Schon bei der Konzentration auf<br />
zwei Wertschöpfungsstufen führen Strategien einer Mehrquellenversorgung<br />
bzw. einer Bedienung mehrerer Kunden<br />
und multipler Absatzkanäle in eine Situation, in der man<br />
sich, modelltheoretisch gesprochen, die Formulierung einer<br />
für alle tangierten Unternehmen gültigen Zielfunktion nicht<br />
mehr vorstellen kann. Jede Beziehung zwischen zwei Unternehmen,<br />
die mit der anderen Marktseite nicht exklusiv<br />
kooperieren, ist doppelt kontingent, d. h. jedes dieser beiden<br />
Unternehmen hat eine eigene Agenda und einen anderen<br />
Entscheidungskontext, was die Konvergenz der gesuchten<br />
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Lösungen in ein gemeinsames „Optimum“ schon bilateral<br />
unmöglich macht. Versuche, weitere Wertschöpfungsstufen<br />
in einen ganzheitlichen Problemlösungsprozess einzubeziehen,<br />
erzwingen die Durchdringung zunächst fremder<br />
Stücklisten und Lieferantenbeziehungen, und sie landen<br />
damit vollends im Nebel der Komplexität.<br />
Aus diesen überkomplexen Beziehungsnetzen kann<br />
man zwar begrenzte Gebilde „herausschneiden“, die dann<br />
– etwa zentriert um ein marktmächtiges „fokales“ Unternehmen<br />
– als Objekte einer unternehmens-übergreifenden<br />
Optimierung zur Verfügung stehen könnten. Allerdings ist<br />
dieser Akt der Konstitution eines Referenzsystems nicht<br />
willkürfrei möglich, d. h. schon der Versuch der ganzheitlichen<br />
Betrachtung und Gestaltung muss mit einem Verrat<br />
an der eigenen Idee beginnen. Schließlich kann man nicht<br />
ausschließen, dass das theoretische Gesamt-Optimum<br />
schon bei diesem Akt der Komplexitätsreduktion verloren<br />
gegangen ist. Wie jede Form menschlichen Problemlösens<br />
basiert SCM in Teilen auf der Ignoranz von Interdependenzen.<br />
Hinzu kommt, dass sich Ausschnitte aus Netzen nicht<br />
machtfrei, sondern nur interessengeleitet bilden lassen<br />
und dass es dabei zu rivalisierenden Netzwerkkonfigurationen<br />
kommen kann. Der in der Konsumgüterwirtschaft<br />
ausgetragene Streit zwischen Industrie und Handel um die<br />
Kontrolle von Warenströmen und zugehörigen Bündelungspotenzialen<br />
liefert hierfür ein anschauliches Beispiel. Abbildung<br />
2 lässt erkennen, dass es sich hierbei nicht um eine<br />
„Win-Win-Situation“ handelt.<br />
Pragmatiker werden nun an dieser Stelle zu Recht einwenden,<br />
dass es immer noch besser ist, ein begrenztes<br />
Netzwerk zu „optimieren“, das zuvor aus einer unübersichtlichen<br />
Gesamtstruktur nicht ganz willkürfrei herausgeschnitten<br />
worden ist, als jeden Versuch in dieser Richtung<br />
ganz zu unterlassen. Dem wäre zu folgen, wenn dies der<br />
einzige konzeptionelle Mangel des SCM-Konzeptes wäre.<br />
These 2: Der Managementvision fehlt das<br />
Organisationskonzept<br />
Selbst bei einer pragmatischen Beschränkung des Optimierungsanspruchs<br />
auf einen ausgewählten Kreis strategisch<br />
wichtiger Partner fällt eine für die Implementierung<br />
kritische konzeptionelle Lücke ins Auge: Die Idee der<br />
durchgängigen Gestaltung und Optimierung ganzer Supply<br />
Chains ist offensichtlich in einem weitgehend organisationsfreien<br />
Raum gedacht. Mit einer irritierenden Leichtigkeit<br />
wird innerhalb des SCM-Kontextes immer wieder eine Ausdehnung<br />
der Verfügungsgewalt von Führungskräften über<br />
die Grenzen des Eigentums postuliert bzw. gefordert. Die<br />
gleichzeitig in vielen Publikationen feststellbare Überfixie-<br />
8<br />
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<br />
<br />
Abb. 2: Konkurrierende Netzwerkausschnitte<br />
rung auf Fragen der Ablauforganisation suggeriert, man<br />
könne durch eine intelligente Prozessintegration Fragen<br />
einer angepassten Aufbauorganisation individuell suspendieren<br />
und/oder kollektiv überspringen.<br />
Mindestens für die stärkere Integrationsvariante müsste<br />
aber vorab geklärt werden, wer z. B. über die Aufnahme und<br />
den Ausschluss von Netzwerk-Mitgliedern entscheidet, wer<br />
über einen Strategiewechsel befindet, ob und gegebenenfalls<br />
unter welchen Umständen (außerhalb der ganzheitlichen<br />
Optimierung?) auch Geschäfte mit Dritten zulässig sind,<br />
wie und durch wen Kosten und Nutzen der Kooperation<br />
festgestellt und verteilt werden sollen und wie Zielkonflikte<br />
zu lösen sind. Braucht man dafür nicht irgendeine Art von<br />
„Sekundärorganisation“, die bei Versorgungsengpässen<br />
beispielsweise legitimiert wäre, Produktionspläne von<br />
Henkel zusammen mit Proctor & Gamble-Aufträgen so umzuschreiben,<br />
dass das Ganze dann ein auf die Kapazitäten<br />
der Vorlieferanten abgestimmtes „Optimum“ ergibt?<br />
Soweit das Thema „Governance Structures“ in der SCM<br />
Literatur adressiert wird, werden in der Regel zwei alternative<br />
Lösungen des Führungsproblems angesprochen,<br />
die allerdings nur selten weiter ausgearbeitet werden: die<br />
Orientierung an einem mit ausreichender Marktmacht ausgestatteten<br />
„fokalen“ Unternehmen, und eine kooperative,<br />
dezidiert heterarchische Form der netzwerkweiten Selbstorganisation<br />
mit Namen „Collaboration“ ([6]). Ob diese beiden<br />
Ansätze einander ausschließen und jeweils unter anderen<br />
spezifischen Randbedingungen zum Tragen kommen sollen<br />
oder auch in einer Mischform vorstellbar sind, bleibt dabei<br />
in der Regel offen. Offen bleibt damit auch die Frage, wie<br />
sich „leadership“ mit dem „ideal of self-organizing, polycentric<br />
actors forming a supply chain“ verträgt ([7]).<br />
Aus Sicht der SCM-Konzeption<br />
vereinfacht Macht das zu<br />
<br />
lösende Problem. Wenn Macht<br />
ausreicht, um Koordinationsprozesse<br />
unternehmensübergreifend<br />
zu hierarchisieren, dann<br />
müsste man organisationsseitig<br />
<br />
nichts wirklich Neues schaffen.<br />
Der Vorwurf des konzeptionellen<br />
Defizits griffe insoweit ins<br />
Leere, und die SCM-typische,<br />
begrenzende Fokussierung auf<br />
das Design von Prozessen bliebe<br />
<br />
unschädlich. Allerdings ist das<br />
mit einigen Beschränkungen<br />
verbunden. Wenn ausgeprägte<br />
Marktmacht die notwendige<br />
und hinreichende Bedingung<br />
<br />
dafür ist, an die SCM-Potenziale<br />
heranzukommen, macht die<br />
<br />
Empfehlung dieser Konzepte als<br />
„best practice“ nur noch wenig<br />
Sinn: Macht kann man weder<br />
imitieren noch ad hoc schaffen.<br />
Entsprechende Empfehlungen<br />
gelten dann nur für jene, die schon Macht haben. Alle anderen<br />
haben sich anzupassen oder bleiben draußen.<br />
In solchen Konstellationen würde auch die Rede von<br />
„Partnerschaften“ und „Win-Win-Situationen“, die die SCM-<br />
Literatur wie ein roter Faden durchzieht, wenig Sinn machen.<br />
Wo Macht auftritt, gilt eher die Regel „The winner takes it<br />
all“. Auch von „ganzheitlicher Optimierung“ sollte dann<br />
nicht mehr gesprochen werden. Dem Machtinhaber werden<br />
abweichende Handlungs- oder Gestaltungsempfehlungen<br />
anderer Netzwerkteilnehmer nur als Ausdruck zu überwindender<br />
Bereichsegoismen erscheinen. Das liefert umgekehrt<br />
den Betroffenen ein starkes Motiv, angesichts der mangelnden<br />
Opferbereitschaft der Machtinhaber das Netzwerk zu verlassen<br />
oder eine ausreichende Gegenmacht zu entwickeln<br />
und damit in der Verfolgung eigener Ziele unabhängig zu<br />
werden. Marktmacht mag ausreichen, im Verhältnis zu<br />
„First-Tier-Suppliern“ Übereinstimmung mit den eigenen<br />
Anforderungen durchzusetzen. Für eine Konstitution geschlossener<br />
Netze, die über mehrere Wertschöpfungsstufen<br />
reichen und einer ganzheitlichen Planung unterworfen<br />
werden können, reicht sie in der Regel nicht aus. Macht erweist<br />
sich damit als ein unvollkommenes Substitut für eine<br />
eigenständige Supply Chain Organisation.<br />
Liegt die Lösung in der Kooperation? Auch da sind<br />
Zweifel angebracht. Die Hierarchiefreiheit, der das Alternativmodell<br />
„Collaboration“ den Charme des Neuen verdankt,<br />
ist gleichzeitig für eine zentrale Schwäche dieses Konzeptes<br />
verantwortlich. Da dieses Konzept nicht die Konturen<br />
eines neuen Organisationsmodells hat, sondern sich eher in<br />
Appellen erschöpft, die „kulturellen“ Rahmenbedingungen<br />
eines Leistungsaustausches zu ändern und dabei erforderlichenfalls<br />
Machteinsatz durch Partnerschaft zu ersetzen,<br />
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bleibt es als alleiniges Objekt praktischer Implementierungsprojekte<br />
nicht nur zu unscharf, sondern letztlich sinnlos.<br />
Collaboration ist kein Selbstzweck, sondern eine (nicht<br />
ganz problemfreie) Voraussetzung dafür, dass konkretere<br />
SCM-Projekte wie Vendor Managed Inventory (VMI), Available<br />
to Promise (ATP) oder Collaborative Planning Forecasting<br />
and Replenishment (CPFR), welche die versprochenen<br />
Wertsteigerungen über strukturierte Prozessänderungen im<br />
Rahmen der schwächeren Integrationsvariante nachliefern,<br />
angegangen und zum Erfolg geführt werden können ([8]).<br />
Letztlich liefern beide Ansätze keine befriedigenden<br />
Antworten auf die Frage, welche organisatorischen Vorkehrungen<br />
die Ermittlung und Realisierung netzwerkweiter<br />
Optima erschließen oder überhaupt nur ein Handeln auf<br />
einer „Netzwerkebene“ ermöglichen könnten. Top down<br />
(als „Oktroi“) lassen sich Netze weder konfliktfrei noch<br />
vollständig schließen, und bottom up kann<br />
man bestenfalls auf eine (ergebnisoffene)<br />
Emergenz von Systemen höherer Ordnung<br />
hoffen. Vor diesem Hintergrund verwundert<br />
es nicht, dass diese Ansätze bislang zwar<br />
über bilateral implementierte Prozessinnovationen<br />
so etwas wie „Vernetzung“ gefördert,<br />
aber keine Netzwerke als mit eigener Identität ausgestattete<br />
neue Organisationsformen hervorgebracht haben.<br />
Auch Systeme höherer Ordnung müssen zwei Mindestbedingungen<br />
der „Systemhaftigkeit“ erfüllen: sie müssen<br />
über klare Grenzen zwischen sich und ihrer Umwelt verfügen<br />
und einheitliche Ziele verfolgen. Für das Ausbleiben<br />
solcher institutioneller Innovationen gibt es aber auch noch<br />
andere Ursachen als das Fehlen einer unternehmensübergreifenden<br />
Führungsstruktur.<br />
These 3: Vertikale Integration kostet Flexibilität<br />
und Skaleneffekte<br />
Unter vielen Vertretern des SCM-Konzeptes gilt es als<br />
ausgemachte Sache, dass sich der Wettbewerb zukünftig<br />
von der Ebene einzelner Unternehmen auf die Ebene ganzer<br />
Supply Chains verlagern wird (vgl. hierzu auch These 6).<br />
Dabei wird nicht immer klar gesagt, ob eine derart rigide<br />
Integration, mit der vertikal verbundene Firmen zu unternehmerischen<br />
Schicksalsgemeinschaften verflochten werden,<br />
das Ende einer evolutionären Entwicklung markieren<br />
oder bereits als Voraussetzung für die volle Ausschöpfung<br />
der SCM-Potenziale gelten müssen. Es lässt sich mit verschiedenen<br />
Argumenten zeigen, dass im Hinblick auf den<br />
Anspruch einer Supply Chain-übergreifenden Optimierung<br />
letzteres angenommen werden muss.<br />
Zwei der meistdiskutierten Hauptargumente folgen aus<br />
der Notwendigkeit spezifischer Investitionen und der Notwendigkeit<br />
von Vertrauen. Beiden Argumenten gemeinsam<br />
ist, dass sie sich nicht mit opportunistischem Verhalten<br />
vertragen. Spezifische Investitionen in Schnittstellen, die in<br />
dem hier diskutierten Kontext angesichts der chronischen<br />
Standardisierungsdefizite bei „Collaboration-Workflows“<br />
und IT-Systemen unerlässlich sind, würden durch einen<br />
Partnerwechsel zu versunkenen Kosten entwertet. Und<br />
Partnern, die keine Treue zeigen, vertraut man nicht die für<br />
ein integriertes Bedarfs-/Kapazitätsmanagement unerlässlichen<br />
sensiblen Informationen an. Nimmt man die hierdurch<br />
ermöglichten Transaktionskostenvorteile (ersparte<br />
Such- und Verhandlungskosten) als eine Art „Treuerabatt“<br />
hinzu, so landet man sehr schnell in der Exklusivität. Betrachtet<br />
man die hier aufgeworfene Frage näher, so zeigt<br />
sich freilich, dass es neben diesen ökonomisch-psychologischen<br />
Argumenten auch rein konstruktionsbedingte,<br />
„prozess-technische“ Argumente für eine strikte vertikale<br />
Integration gibt.<br />
Beispielhaft lässt sich das an dem für SCM zentralen<br />
„Capable-to-Promise-Konzept“ herleiten. Die mit belastbaren<br />
Lieferzeitzusagen verbundene Planungssicherheit kann<br />
man durch dieses Konzept nur erlangen, wenn Lieferanten<br />
auf eine entsprechende Verfügbarkeitsanfrage nicht nur<br />
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mit Auskünften über die aktuelle oder eine „wahrscheinliche“<br />
zukünftige Kapazitätssituation reagieren, sondern<br />
mit Kapazitätsreservierungen. Wer mit seinen Kapazitäten<br />
mehrere Kunden oder Absatzkanäle versorgt, muss freilich<br />
immer damit rechnen, dass der prognostizierte Mehrbedarf<br />
zu einem Zeitpunkt entfällt, wo er bereits Aufträge<br />
anderer Kunden abgelehnt hat. Entschädigungslose Vorab-Reservierungen,<br />
die nur eine Seite binden, wären schlicht<br />
Risikoüberwälzungen, die sich nicht mit der Rede von „Partnerschaft“<br />
und „Win-Win-Situationen“ vertragen. Selbst<br />
„faire“ Entschädigungen für einen Kapazitätsverfall aber<br />
wären das Eingeständnis, dass es infolge nicht konsequent<br />
geschlossener Systemgrenzen keine stabilen internen Gesamt-Optima<br />
gibt.<br />
Analoge Probleme sind auf der Seite der Abnehmer<br />
vorstellbar. Zulieferer mit vorübergehenden Kapazitätsengpässen<br />
könnten im Sinne eines internen Supply Chain<br />
Optimums verlangen, dass die Abnehmer ihre eigenen<br />
Kunden (als Kunden „der“ Supply Chain) warten lassen,<br />
anstatt sich opportunistisch über Dritte zu versorgen. Wenn<br />
die Mitglieder eines Netzwerkes zum Wohle eines größeren<br />
Ganzen aber immer wieder die Chancen von Markt und<br />
Wettbewerb ungenutzt (und damit Kapazität verfallen<br />
und/oder Kunden warten lassen) müssen, wird niemand<br />
mehr mit dem Wort „Optimierung“ noch eine sinnvolle<br />
Vorstellung verbinden können. Das funktioniert nur auf<br />
der Basis einer rigiden Integration, wenn nach Schließen<br />
der Außengrenzen eines Netzwerkes die hier geschilderten<br />
Probleme mangels Alternativen zu internen Problemen<br />
werden, die schlicht hinzunehmen sind. Was dabei nicht<br />
entfällt, sondern nur aus dem beschränkten Entscheidungshorizont<br />
verschwindet, sind die Opportunitätskosten des<br />
Verzichtes auf eine Nutzung des Marktes. Sie sind der Preis<br />
der durchgehenden „Optimierung“.<br />
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Die Folgerungen liegen nunmehr auf der Hand: Offen<br />
gehaltene Beschaffungs- und Absatzkanäle fragmentieren<br />
Supply Chains und machen sie als Ganzheit unplanbar. Wer<br />
eine marktwirtschaftliche Koordination für ineffizient hält,<br />
muss (jedenfalls, wenn er an dem Leitbild der ganzheitlichen<br />
Optimierung festhält) verzweigte Netzwerke auf lineare<br />
Ketten reduzieren – ganz oder gar nicht. Es ist absehbar,<br />
dass er damit (frei nach Adam Smith) unwillentlich Ziele<br />
fördern wird, die nicht Teile seiner Absicht sind.<br />
Zu diesen Folgekosten zählen neben dem beispielhaft<br />
bereits herausgearbeiteten Flexibilitätsverlust vor allem<br />
auch durch Exklusivität zerstörte Skaleneffekte. Vertikal integrierte<br />
Lieferketten geben mit ihrer Architektur nicht nur<br />
einen Freiheitsgrad der Anpassung an veränderte Marktbedingungen<br />
auf, sondern verschließen sich darüber hinaus<br />
einer wichtigen Quelle der Produktionskostendegression.<br />
These 4: Die (Teil-)Suspendierung des Marktmechanismus<br />
schwächt die Wettbewerbsposition<br />
vertikal integrierter Supply Chains<br />
Durch eine rigide vertikale Integration wird der Wettbewerb<br />
gleich an zwei Stellen suspendiert. Lieferanten werden<br />
von dem Zwang entbunden, sich auf ihrer Wertschöpfungsstufe<br />
immer wieder neu im Wettbewerb zu behaupten. Und<br />
Preiskämpfe zwischen den Wertschöpfungsstufen werden<br />
suspendiert, weil sie dem Ziel der Transaktionskostensenkung<br />
und dem Geist der Partnerschaft widersprechen (im<br />
Übrigen wären sie auch sinnlos, weil es mangels Alternativen<br />
keine Druckpotenziale mehr gibt). Die daraus resultierenden<br />
Wirkungen auf die Anreizsysteme der beteiligten Unternehmen<br />
werden nur selten bedacht. Sie sind gravierend.<br />
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Der Ersatz von Marktpreisen durch Verrechnungspreise<br />
hat zwangsläufig verzögerte oder verzerrte Anpassungen<br />
zur Folge. So würde etwa ein Zulieferer, in dessen Markt<br />
es zu Überkapazitäten kommt, als festes Glied einer als<br />
Einheit geformten Supply Chain zunächst keinerlei Veranlassung<br />
sehen, die ihm unter anderen Bedingungen zugestandenen<br />
Verrechnungspreise freiwillig zur Disposition<br />
zu stellen. Da sich sein Partner und ehemaliger Kunde das<br />
Ausnutzen günstiger Gelegenheiten selbst versagt hat und<br />
deshalb seine Marktübersicht verliert (nur durch den Abbau<br />
von Einkaufsfunktionen lässt sich ja die erhoffte Senkung<br />
der Transaktionskosten ergebniswirksam realisieren),<br />
werden solche Preisbewegungen möglicherweise auch gar<br />
nicht mehr zeitnah und präzise wahrgenommen. Die äußere<br />
Wettbewerbsfähigkeit der Supply Chain nimmt damit ab,<br />
weil sie den Wettbewerb im Inneren als Energiequelle außer<br />
Kraft gesetzt hat.<br />
Das unterlegene Anreizsystem kann auch noch an einer<br />
anderen Stelle Schaden stiften. In dynamischen Märkten<br />
werden die Beteiligten schon nach kurzer Zeit nicht mehr<br />
wissen, ob die zwischen ihnen über Verrechnungspreise<br />
vereinbarten Verteilungsregeln irgendwelchen Ansprüchen<br />
von Fairness und Gerechtigkeit genügen. Das kann für ähnlich<br />
viel Sprengstoff sorgen wie der Eindruck, man könne<br />
Produkte außerhalb der eigenen Supply Chain zu besseren<br />
Konditionen verkaufen oder erstehen als innerhalb der eigenen<br />
Organisation. Die Verträglichkeit mit dem Shareholder-<br />
Value-Konzept bleibt offen und wird bezeichnenderweise<br />
nicht einmal im Ansatz diskutiert.<br />
Den größten Schaden dürfte die Abschaltung der Kraftquelle<br />
„Wettbewerb“ aber im Bereich der Innovationsdynamik<br />
haben. Lieferanten, deren Absatz schon durch die<br />
Zugehörigkeit zu einer Lieferkette gesichert erscheint, müssen<br />
ihre Existenzberechtigung nicht mehr dadurch erneuern,<br />
dass sie sich permanent an der Spitze des technischen Fortschritts<br />
behaupten. Letzteres dürfte ihnen auch schwer fallen,<br />
da ihnen die Inspiration fehlt, die andere Unternehmen<br />
dadurch erfahren, dass sie im Markt ständig mit den Erwartungen<br />
und Anforderungen unterschiedlicher Kunden<br />
konfrontiert werden. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass<br />
vertikal integrierte Supply Chains Lieferanten vom Schlage<br />
Intel oder Bosch hervorbringen können. Sie können sie auch<br />
nicht nachträglich integrieren. Solche Unternehmen beziehen<br />
ihre Kraft aus ihrer Autonomie.<br />
These 5: Lokale Entscheidungen liefern bessere<br />
Ergebnisse als eine netzwerkweite Zentralplanung<br />
Nun liefert das SCM-Konzept mit den bislang unterschlagenen<br />
Vorteilen der vertikalen Integration Kompensationsmöglichkeiten<br />
zum Ausgleich der bislang herausgestellten<br />
Nachteile. Schließlich sind die Potenziale,<br />
die durch eine wertschöpfungsstufenübergreifende<br />
Optimierung erschlossen werden<br />
können, noch gar nicht daraufhin untersucht<br />
worden, ob sie nicht trotz aller genannten<br />
Beschränkungen immer noch gravierend<br />
genug sind, um den beteiligten Unternehmen<br />
„unter dem Strich“ Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.<br />
Immerhin scheinen diese Potenziale auf der Hand zu liegen.<br />
Schließlich kann man auf einer logischen Ebene stringent<br />
beklagen, dass Zusammenhänge verloren gehen,<br />
Lösungsräume schrumpfen, Zielkonflikte nicht sorgfältig<br />
ausbalanciert werden und einige besonders vorteilhafte<br />
Handlungsoptionen ganz aus dem Blickfeld verschwinden,<br />
wenn verschiedene Organisationseinheiten, die im Verhältnis<br />
zueinander Prozessnachfolger sind, die Konsequenzen<br />
ihrer jeweiligen Entscheidungen wechselseitig als Datum<br />
(und damit als Restriktion) betrachten, anstatt alle irgendwie<br />
zusammenhängenden Probleme simultan zu lösen. Außerdem<br />
müssen separierte Entscheidungsprozesses durch<br />
Puffer in Form von Beständen und Reservekapazitäten<br />
entkoppelt werden, um die in Kauf genommenen Abstimmungsdefizite<br />
zu neutralisieren. Damit werden integrierte<br />
Supply Chains zumindest theoretisch „schlanker“.<br />
Bei näherer Betrachtung wird jedoch schnell deutlich,<br />
dass die zur Berücksichtigung von Interdependenzen erfor-<br />
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derliche Zentralisierung von Entscheidungen alles andere<br />
ist als ein Königsweg zum Erfolg. Die Schwierigkeiten beginnen<br />
schon mit der Modellierung der vormals „lokal”<br />
gehandhabten Probleme im Rahmen eines ganzheitlichen<br />
Supermodells.<br />
Optimierung basiert auf Komplexitätsreduktion. Ein als<br />
unternehmensübergreifende Optimierung verstandenes<br />
SCM ist deshalb nur auf der Grundlage abgekappter Interdependenzen,<br />
impliziter Annahmen und – bewusst oder<br />
unbewusst – ausgeklammerter Abhängigkeiten möglich,<br />
d. h. als Suboptimierung eines von allen mathematischen<br />
Unhandlichkeiten bereinigten und qua Prämissenbildung<br />
drastisch vereinfachten Ausgangsproblems. Modellbildung<br />
als Voraussetzung von „Optimierung“ ist immer mit einem<br />
Realitätsverlust verbunden und muss Opportunitäten<br />
negieren, weil sie Restriktionen braucht. Dabei bleibt sie<br />
auf die Verarbeitung quantifizierbarer Informationen beschränkt.<br />
Im Zweifel gehen Messbarkeit und Rechenbarkeit<br />
(„Modellierbarkeit“) vor Relevanz ([9]).<br />
Beides macht diesen Ansatz „arm“ im Vergleich zu der<br />
Fülle an schwächer strukturiertem Wissen, die in nicht<br />
modellbasierten, dezentralen Entscheidungsprozessen verarbeitet<br />
werden kann. Einen Betriebsrat angesichts einer unerwarteten<br />
Bedarfsspitze ad hoc zu einer Wochenendschicht<br />
zu überreden, kann Lösungsräume jenseits modellierter<br />
Restriktionen erschließen, auf die ein Optimierungskalkül<br />
schon konstruktionsbedingt nie kommen kann. Auch ohne<br />
Optimierungsmodell würde eine zentrale Planungsinstanz<br />
diese Möglichkeit vermutlich aber nicht sehen. Sie kann<br />
sich ein solches lokales Wissen nur sehr begrenzt verfügbar<br />
machen, weil es keinen Weg gibt, solche Informationen bedarfsgerecht<br />
„bottom up“ fließen zu lassen.<br />
Mit der schlechteren zentralen Informationsversorgung<br />
korreliert das Problem der erhöhten Irrtumsrisiken. Besonders<br />
nachteilig wirkt sich dabei aus, dass Fehlentscheidungen<br />
in integrierten Supply Chains gravierendere Auswirkungen<br />
haben, weil sie mehr Ressourcen in die falsche Richtung<br />
lenken. Ein erhöhtes Irrtumsrisiko paart sich also mit erhöhten<br />
Folgekosten. Das impliziert nicht nur einen höheren<br />
Erwartungswert für Fehlentscheidungskosten, sondern<br />
auch die Notwendigkeit umfangreicherer Korrekturmaßnahmen.<br />
Synchronisation wird damit teuer: Supply Chains<br />
irren sich gründlicher.<br />
Den Gedanken, dass Entscheidungen, die auf dem zusammenfassenden<br />
Wissen einer zentralen Planungsinstanz<br />
aufbauen, langsamer sein müssen und (nicht nur deshalb)<br />
schlechter sein können als Entscheidungen, die sich auf<br />
dem gesonderten Wissen Vieler gründen, können oder<br />
wollen manche Anhänger einer holistischen Planung offenbar<br />
nicht denken. Die zunehmende Marktdynamik, die<br />
eine Verschiebung der Gewichte von der antizipierenden<br />
Planung zur ereignisgetriebenen Adaption (und damit<br />
zur Selbstorganisation) erfordert, wird sie dazu zwingen<br />
– weil sie beobachten müssen, dass Pläne auch bei verkürzten<br />
Planungsfrequenzen und dementsprechend häufigerer<br />
Planadaption ihre eigenen Planungshorizonte nicht mehr<br />
erleben und dass Manager vor Ort deshalb chronisch etwas<br />
anderes tun (müssen) als das, was ihnen eine Zentrale<br />
vorgegeben hat ([10]). Die erhoffte Renaissance mathematischer<br />
Optimierungsmodelle wird nicht zu einer Substitution<br />
von „unternehmerischem Fingerspitzengefühl“ führen,<br />
sondern darauf angewiesen bleiben. Und die mit zunehmender<br />
Marktdynamik unausweichliche Renaissance der<br />
Bedeutung von Erfahrung und Intuition wird uns zeigen,<br />
dass wir die relative Bedeutung der Informationstechnologie<br />
gelegentlich überschätzt haben.<br />
These 6: Eine Verlagerung des Wettbewerbs auf<br />
die Stufe ganzer Supply Chains findet nicht statt<br />
Die Wettbewerbsverlagerungsthese ist als „much-ballyhooed<br />
proposition“ ([11]) so weit verbreitet, dass man sie<br />
eigentlich als Teil des SCM-Konzeptes verstehen muss. „Der<br />
Wettbewerb findet in wachsendem Maße ebenso zwischen<br />
Wertschöpfungsketten ... wie zwischen Unternehmen<br />
statt“, stellt beispielsweise Straube<br />
fest und kann sich dabei auf Christopher<br />
(1998) berufen, der mit dieser Behauptung<br />
unzählige Male gedanklich (wenngleich<br />
nur selten wörtlich) zitiert wird ([12]). Und<br />
Jahns assistiert: „Diese Erkenntnis ist nicht<br />
nur graue Theorie, sondern Realität” ([13]). Bezeichnenderweise<br />
sind die beiden hier bemühten Beispiele aber in keiner<br />
Weise als Bestätigungsinstanzen geeignet.<br />
Die Textilkette Zara lässt einen Großteil der eigenen Produktion<br />
„in kleinen Nähbuden in Galizien und Portugal“<br />
fertigen ([14]). Das macht dieses Beispiel hochgradig kontingent.<br />
Und im umgekehrt gelagerten Falle DELL sorgt<br />
schon die modulbasierte Standardisierung der montierten<br />
Komponenten für eine prinzipielle Austauschbarkeit der<br />
meisten Lieferanten, so dass man bestenfalls von einer Konkurrenz<br />
von Netzwerkmodellen (etwa einem Wettbewerb<br />
zwischen einstufigen und mehrstufigen Vertriebskanälen)<br />
sprechen kann, nicht aber von „erfolgreichen Supply Chain<br />
Partnerschaften“, die sich durch einen wechselseitigen Verzicht<br />
auf eine opportunistische Nutzung des Marktes zu<br />
einer neuen Art von Quasi-Organisation zusammenschließen.<br />
Wettbewerb gibt es hier nach wie vor auf allen Wertschöpfungsstufen.<br />
Er wird nicht suspendiert oder verlagert,<br />
sondern ausgeschöpft und bestenfalls durch längere Bindungsfristen<br />
etwas entschärft. Jede spezifische Investition<br />
in exklusive Lieferantenbeziehungen würde die Vielfalt der<br />
Optionen einschränken, die Modularität schafft. In einem<br />
hochdynamischen Markt mit einem schwer vorhersehbaren<br />
Innovationsgeschehen kann sich ein Kostenführer solche<br />
Selbstbeschränkungen nicht leisten.<br />
Was die Verfechter der Wettbewerbsverlagerungshypothese<br />
bislang versprochen, aber nicht geliefert haben, ist<br />
12<br />
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der Nachweis eines qualitativen Sprungs von einer stärkeren<br />
Kunden- bzw. Lieferantenintegration zu daraus resultierenden<br />
oder darauf aufbauenden Systemen höherer Ordnung,<br />
die ihre neue Identität darauf gründen, dass sie auf der<br />
Grundlage formal geregelter Mitgliedschaften im Innenverhältnis<br />
eine ursprünglich dezentral funktionierende marktliche<br />
durch eine ganzheitlich zugreifende hierarchische<br />
Koordination ersetzen und dabei auf „economies of substitution“<br />
grundsätzlich verzichten ([15]). Angesichts der<br />
hier herausgearbeiteten Opportunitätskosten einer rigiden<br />
vertikalen Integration erscheint das nicht verwunderlich.<br />
These 7: Die Zukunft gehört lose gekoppelten,<br />
intelligent vernetzten Regelkreisen<br />
Innerhalb des SCM-Konzeptes werden immer wieder<br />
Systementwürfe propagiert, die im Rahmen einer statischen<br />
Weltsicht einseitig auf Planung, Kontrolle, Integration und<br />
Zentralisierung setzen – als gäbe es für dieses Designprinzipien<br />
weder Alternativen noch einen Preis. Tatsächlich jedoch<br />
impliziert zumindest eine rigide vertikale Integration gegenüber<br />
einer marktlichen Leistungskoordination eine ganze<br />
Reihe von Nachteilen, deren gravierendster den Kern des<br />
SCM-Konzeptes betrifft: die Fähigkeit eines Systems, sich in<br />
einer wachsenden Umweltdynamik zu behaupten.<br />
Es lassen sich starke Argumente dafür ins Feld führen,<br />
dass lose gekoppelte, dezentral gesteuerte Regelkreise mit<br />
unvorhergesehenen Änderungen wesentlich besser fertig<br />
werden als jeder Versuch hochintegrierter Ketten, auf Parametervariationen<br />
mit immer neuen Entwürfen einer unternehmensübergreifenden<br />
Gesamtplanung zu reagieren. Rigide<br />
Kopplungen führen nicht nur zu Anpassungszeitverlusten,<br />
sondern zu Abweichungsverstärkungen („Dominoeffekten“),<br />
die sich als schädlicher herausstellen können als die eigentlich<br />
bekämpften Aufschaukelungseffekte. Supply Chains produzieren<br />
Probleme, die andere gar nicht haben. Und sie tun dies<br />
umso mehr, je mehr Wertschöpfungsstufen sie dem Zugriff<br />
einer integrierten Gesamtplanung unterwerfen wollen.<br />
Abb. 3: Abgestimmtes Bedarfs-/Kapazitätsmanagement<br />
Abbildung 3 zeigt prototypisch wie innerhalb der<br />
schwächeren Variante von Integration Vernetzung ohne<br />
Netzwerkbildung funktionieren kann. Bedarfsprognosen,<br />
Produktionspläne und Kapazitäten werden jeweils bilateral in<br />
einem revolvierenden Prozess so aufeinander abgestimmt,<br />
dass es infolge eines mehrstufigen „Constrained based<br />
Planning“ beiderseits zu stabileren Plänen kommt und dass<br />
infolgedessen weniger Redundanzen (Überkapazitäten<br />
und/oder Sicherheitsbestände) zur Unsicherheitsabsorption<br />
benötigt werden.<br />
Der entscheidende Unterschied zur Supply Chain Vision<br />
ist die unangetastete Autonomie von Unternehmen, die sich<br />
zwar „vernetzen“, aber nicht rigide verketten und nach außen<br />
verschließen. Obwohl sie aus Sicht eines ganzheitlichen<br />
Systemdenkens scheinbar „out of control“ sind, sind lose<br />
gekoppelte, dezentrale „Systeme“ in Summe von einer (allerdings<br />
an keiner einzigen Stelle klar verorteten) höheren<br />
Intelligenz. Sie sind qua Entkopplung frei von Selbstinfizierungseffekten,<br />
und sie können mehr Informationen aufnehmen<br />
und diese Informationen schneller verarbeiten, auch<br />
weil sie vergleichsweise hierarchiearm operieren. Und weil<br />
die Netzwerkangehörigen einander nicht restlos ausliefern,<br />
verfügen sie an entscheidender Stelle über höhere Freiheitsgrade<br />
der Anpassung an Umweltänderungen. In einer unbestimmten<br />
Umwelt überleben nur Systeme, die sich selbst<br />
ein Mindestmaß an innerer Unbestimmtheit leisten.<br />
Da sie als kontextreichere Systeme in Summe mehr über<br />
ihre (jeweilige) Umwelt wissen, sind sie lernfähiger. Sie können<br />
ein Wissen nutzen, das als Ganzes gar nicht vorhanden<br />
ist. Und da sie auf selbstorganisierende Regelkreise setzen,<br />
sind sie trotz einer erheblich höheren Zahl von Außenweltkontakten<br />
stabiler: sie lokalisieren ihre Anpassungsbedarfe<br />
und begrenzen ihre Anpassungsrisiken. Ihre auf Selbstbestimmung<br />
basierenden, überlegenen Anreizsysteme verhelfen<br />
ihnen dabei zugleich, statische Effizienz (die „Absorption“<br />
von Unsicherheit) mit dynamischer Effektivität (Innovation<br />
und „Evolution“) zu verbinden. Sie erfahren nicht nur mehr,<br />
sondern sie können auch mehr<br />
aus ihren Erfahrungen machen<br />
– weil sie hierarchiefreier operieren,<br />
schnellere Rückkopplungen<br />
erhalten und über mehr Opportunitäten<br />
(man könnte auch<br />
sagen: über mehr mögliche Zukünfte)<br />
verfügen.<br />
Lose gekoppelte Netze wandeln<br />
„Eigensinn“ und Opportunismus<br />
von einer Gefahren- in<br />
eine Energiequelle um. Als „underorganized<br />
systems“ brauchen<br />
sie weniger Zielabstimmung-,<br />
Verteilungs- und Kompetenzregeln<br />
und weniger Ressourcen<br />
für Kontrollen, können dabei<br />
Ressourcen durch Flexibilität<br />
und Rekombination vor Entwertung<br />
schützen und deren<br />
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Allokation sowohl vom Aufwand als auch vom Ergebnis<br />
her effizienter steuern. Eine wechselseitige Versorgung mit<br />
vormals nicht kommunizierten planungsrelevanten Informationen<br />
kann die Anpassungsfähigkeit aller beteiligten<br />
Unternehmen auch ohne ausschließende Gruppenbildungen<br />
deutlich erhöhen. Dabei kann Komplexitätsreduktion<br />
durch eine selektive, partnerspezifische Variation bilateraler<br />
Bindungsintensitäten durchaus zur Stabilisierung beitragen,<br />
solange partiell erhöhte „Festigkeiten“ in Netzen nicht zur<br />
Gefangenschaft in Kollektiven führt. Kollektive Wirkungen<br />
durch vernetzte Intelligenz gibt es auch ohne Kollektiv:<br />
„without anyone in charge“. ([16]). Wenn solche dezentral<br />
sich koordinierenden Netzwerke intelligent in Wettbewerbssituationen<br />
eingebunden sind und wenn sie Märkte auch im<br />
Innenverhältnis als Koordinationsmechanismen und Energiequellen<br />
nutzen, anstatt sich gegen sie abzuschotten, droht<br />
vertikal integrierten linearen Supply Chains das Schicksal<br />
von Dinosauriern.<br />
Fazit und Ausblick<br />
Zu Beginn dieses Beitrags wurde zwischen einer stärkeren<br />
und eine schwächeren Variante der unternehmensübergreifenden<br />
Prozessintegration unterschieden. Die darauf aufbauende<br />
Kritik sollte nicht als Pauschalkritik des gesamten<br />
SCM-Ansatzes verstanden werden. Der werthaltige Teil<br />
dieses Ansatzes steckt in seiner schwächeren Version: der<br />
Idee einer über Unternehmensgrenzen hinweg ausgedehnten<br />
Sicht auf Bedarfe, Kapazitäten und Prozesszustände.<br />
Um das in dieser schwächeren Integrationsvariante steckende<br />
Potenzial auszuschöpfen, sollten wir den in der<br />
stärkeren Integrationsvariante enthaltenen utopischen Teil<br />
der SCM-Konzeption als geistigen Ballast über Bord werfen<br />
und, zusammen mit dem ins Leere greifenden Ganzheitlichkeitsanspruch,<br />
auch die Wettbewerbsverlagerungsthese<br />
mit großen Fragezeichen versehen. Visionen, die praktisch<br />
nicht funktionieren können, weil sie schon theoretisch defekt<br />
sind, binden Ressourcen an der falschen Stelle (vor allem in<br />
der Wissenschaft) und helfen niemandem.<br />
Die von Ganzheitlichkeitsansprüchen befreite Idee,<br />
Lieferbeziehungen durch eine wechselseitig verbesserte<br />
Versorgung mit planungsrelevanten Informationen überraschungsärmer<br />
zu machen, ist anspruchsvoll genug, um<br />
einer ganzen Generation von Managern und Wissenschaftlern<br />
weiterhin Stoff für ihre Arbeit zu liefern. Diese Arbeit,<br />
mit der sich die aus der älteren Planungsliteratur bekannte<br />
Dichotomie zwischen synoptischer Planung und purem Inkrementalismus<br />
(„Muddling Through“) überwinden ließe<br />
([17]), wird sich intensiver mit Detailfragen der unternehmensübergreifenden<br />
Prozesskoordination (insbesondere<br />
den verschiedenen, praktisch noch wirksamen Integrationsund<br />
Innovationsbarrieren) auseinandersetzen müssen und<br />
nicht in einem großen Entwurf gipfeln. Das macht sie mühsamer<br />
und unspektakulärer, aber auch wertvoller. Um als<br />
Managementkonzept überleben zu können, muss „Supply<br />
Chain Management“ bescheidener werden. Das kann man<br />
auch einen Paradigmenwechsel nennen.<br />
Literatur<br />
[1] Cooper, M.C., Ellram, L.M., Characteristics of<br />
Supply Chain Management and the Implications for<br />
Purchasing and Logistics Strategy, in: International<br />
Journal of Logistics Management, Vol. 4 (1993), No. 2,<br />
S. 13 ff.<br />
[2] Bechtel, Ch., Jayaram, J., Supply Chain Management:<br />
A Strategic Perspective, in: The International Journal<br />
of Logistics Management, Vol. 8, Nr. 1 (1997), S. 15 ff.<br />
[3] Scheer, A.-W., Angeli, R., Herrmann, K., Informationsund<br />
Kommunikationstechnologie als Treiber der Logistik,<br />
in: Pfohl, H.-Chr. (Hrsg), Jahrhundert der Logistik,<br />
Berlin 2001, S. 29 ff.<br />
[4] Bretzke, W.-R., Supply Chain Management: Wege aus<br />
einer logistischen Utopie, in: Logistikmanagement,<br />
Heft 2 (2005), S. 22 ff., Supply Chains im Wettbewerb:<br />
Mehr Erfolg bei weniger Markt?, in: Quantitative Methoden<br />
der Logistik und des Supply Chain Management,<br />
hrsg. von Jacquemin, M., Pibernik, R. und Sucky,<br />
E., Hamburg 2006, S. 3-20, Supply Chain Organisation:<br />
Die vergessene Managementdimension, in: Festschrift<br />
für Wildemann, München 2007 (geplante Erscheinung<br />
1. Quartal 2007). Aus Vereinfachungsgründen wird<br />
hier auf die dort zitierte Literatur verwiesen.<br />
[5] Otto, A., Kotzab, H., Der Beitrag des Supply Chain<br />
Management zum Managment von Supply Chains<br />
– Überlegungen zu einer unpopulären Frage, in: ZfbF,<br />
43. Jg. (2001), S. 157 ff.<br />
[6] Eine dritte, hier nicht weiter diskutierte Organisationslösung<br />
sah ein ganzheitliches Outsourcing des SCM an<br />
Dienstleister vor. Baumgarten, H., Kasiske, F., Zadek,<br />
H., Logistikdienstleister – Quo vadis? – Stellenwert<br />
der Fourth Party Logistics Provider (4PL), in: Logistik<br />
Management, Heft 1 , 2002, S. 27 ff., hier S. 35: „Logistikdienstleister<br />
als sogenannte 4PL werden zunehmend<br />
gefordert sein, die gesamte Planung und Steuerung<br />
aller Aktivitäten entlang der Logistikkette vom Lieferanten<br />
zum Endkunden zu übernehmen“. Diese offenbar<br />
in ein Machtvakuum hineingedachte Idee hat<br />
nicht getragen, weil sie (a) zum Outsourcing eines<br />
Leistungsbündels auffordert, das noch kaum jemand<br />
in der Hand hat, und (b) als Auftragnehmer dafür einen<br />
Typus Dienstleister vorsieht, den der Markt noch gar<br />
nicht hervorgebracht hat. Auch elektronischen Marktplätzen<br />
ist man zeitweilig mit der Erwartung begegnet,<br />
sie könnten ganze Supply Chains aktiv koordinieren.<br />
Die hierzu erforderliche Autorität haben sie nie erhalten.<br />
SCM kann durch Services unterstützt werden, ist aber<br />
selbst nicht zum Service geworden.<br />
[7] Stadtler, H., Supply Chain Management – An Overview,<br />
in: Stadtler, H., Kilger, Ch. (Hrsg.), Supply Chain<br />
Management and Advanced Planning, 3. Aufl., Berlin<br />
u. a. 2005, S. 9 ff.<br />
[8] Eine prägnante Übersicht über “Vendor Managend Inventory”,<br />
„Available to Promise“ und „Collaborative<br />
Planning, Forecasting and Replenishment“ findet sich<br />
14<br />
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XXXXXXXXXXXXXXXXX<br />
beispielsweise bei Alicke K., Planung und Betrieb von<br />
Logistiknetzwerken, Berlin u. a. 2003.<br />
[9] Quantifizierbarkeit allein ist dabei eine notwendige,<br />
aber keineswegs hinreichende Bedingung für eine<br />
summarische, netzwerkweite Deckungsbeitragsmaximierung.<br />
Die Annahme, dass alle einbezogenen Supplier<br />
die benötigten variablen Produktions-, Lager- und<br />
Transportkosten genau kennen und fair kommunizieren,<br />
ist ziemlich mächtig. Für manche Zulieferer sind solche<br />
Daten selbst „hidden characteristics“.<br />
[10] Innerhalb einzelner Unternehmen kann man das Umkippen<br />
hochfrequenter Plananpassungen in Revisions-<br />
Hektik und eine nicht mehr beherrschbare operative<br />
Unruhe verhindern, indem man Pläne vor der Exekution<br />
einfriert („frozen zones“). Stabilität geht dann<br />
vor Optimierung. Zentral verplanten Supply Chains<br />
würde das weniger helfen, weil sie schlechtere Pläne<br />
einfrieren müssten. (Außerdem hätten sie mit der Verständigung<br />
auf abgestimmte Einfrierzeiten ein weiteres<br />
Koordinationsproblem zu lösen).<br />
[11] Rice, J.B., Hoppe, R.M., Supply Chain vs. Supply Chain<br />
– The Hype & the Reality, in: Supply Chain Management<br />
Review, Sept/Oct 2001, S. 47 ff.<br />
[12] Straube, F., e-Logistik. Ganzheitliches Logistikmanagement,<br />
Berlin u. a. 2004.<br />
[13] Jahns, Ch., Netzwerkmanagement: Königsweg oder<br />
Irrglaube?, Statement, in: Supply Chain Management,<br />
Heft II (2005), S. 55 f.<br />
[14] Vgl. Logpunkt, Heft 4/2005, S. 22.<br />
[15] Garud, R., Kumaraswamy, A., Technological and Organizational<br />
Designs for Realizing Economies of Substitution,<br />
in: Garud, R., Kumaraswamy, A., Langlois.<br />
R.N. (Hrsg.), Managing in the Modular Age, Malden<br />
u. a. 2003, S. 45 ff.<br />
Ei genanze i ge_ [16] IPM_neu_me Die in der lLiteratur 1 6. 10 . verbreitete 2003 11 : Neigung, 10 Uhr bei Se it längerfristigen<br />
Bindungen gleich die Emergenz von „Zwittern“<br />
e 1<br />
aus Markt und Hierarchie zu hypostasieren (Sydow,<br />
S., Strategische Netzwerke: Evolution und Organisation,<br />
Wiesbaden 1992, S.104), wird diesem Phänomen so<br />
lange nicht gerecht, wie der Tatbestand der Subordination<br />
nicht erfüllt ist. Um dem Collaboration-Konzept<br />
gerecht zu werden, muss man sich von der Vorstellung<br />
befreien, dass weniger Markt kompensatorisch immer<br />
ein Mehr an Hierarchie bedingt (und umgekehrt).<br />
[17] Schreyögg, G., Unternehmensstrategie. Grundfragen<br />
einer Theorie strategischer Unternehmensführung,<br />
Berlin, New York 1984.<br />
Summary<br />
In order to allow a design and optimization of supply chains<br />
as a whole, many concepts that are propagated under the headline<br />
“Supply Chain Management” argue in favour of a rigid vertical<br />
integration between companies across the borders of ownership.<br />
As a consequence, it has become common practice to argue that<br />
in todays business environment competition no longer takes place<br />
between individual companies but between entire supply chains.<br />
The author reveals the inherent shortcomings of this approach<br />
and substantiates his claim for open, loosely coupled polycentric<br />
networks which exploit the benefits of a better mutual information<br />
about demand and capacities without giving up the economies of<br />
scale and substitution provided by the market. He questions the<br />
often predicted shift of competition to the level of whole supply<br />
chains and argues in favour of a fundamental paradigm change in<br />
the field of logistics.<br />
Verfasser<br />
PROF. DR. WOLF-RÜDIGER BRETZKE, Jahrgang<br />
1944, ist Head of Supply Chain Strategy bei Barkawi &<br />
Partner, Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung<br />
Logistik e.V. (BVL) und lehrt außerplanmäßig Logistik<br />
an der Universität Duisburg-Essen.<br />
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Ihren Druck<br />
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