Standort_VII 2013.pdf
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E-Mobilität<br />
20<br />
„Unsere Ressourcen sind endlich“<br />
Professor Stephan Rammler über teure Energie und die Zukunft der Mobilität<br />
Moderne Elektroautos haben eine Reichweite<br />
von rund 100 Kilometern. Ist das<br />
eigentlich noch mobil?<br />
Natürlich ist das auch mobil, weil Mobilität<br />
nicht mit möglichst vielen Streckenkilometern<br />
gleichzusetzen ist. Jemand,<br />
der viel fahren muss, um ein identisches<br />
Maß an Aktivitäten zu erledigen, ist im<br />
Vergleich zu jemandem, der für dieselben<br />
Zwecke mit dem Fahrrad eine Viertelstunde<br />
unterwegs ist, doch viel weniger<br />
mobil.<br />
Aber bedeutet die Abkehr vom Benzin<br />
nicht trotzdem den Verlust von Freiheit?<br />
Das mag im besonderen Segment der<br />
Freizeit-Mobilität stimmen. Ein Auto<br />
wird aber im Alltag vor allem für die<br />
Wege zur Arbeit, zum Einkaufen oder<br />
andere kurze Fahrten verwendet. Und<br />
das liegt bei den meisten Menschen in<br />
Deutschland alles im Bereich des Radius<br />
eines Elektrofahrzeuges. Wir haben ein<br />
Luxusphänomen, das wir uns über die<br />
Jahrhunderte der billigen Verfügbarkeit<br />
von fossilen Ressourcen angewöhnt<br />
haben. Dass ich in der alltäglichen Mobilität<br />
für jeden kleinen Weg bis zu 1,5<br />
Tonnen Masse mit Benzin bewege, um<br />
am Ende einmal im Jahr mit dem Auto<br />
ans Meer zu fahren, ist betriebs- wie<br />
volkswirtschaftlich ein großer Unsinn.<br />
Wann werden wir Roadmovies mit einem<br />
Elektroauto im Kino sehen?<br />
Gar nicht, weil der Roadmovie von<br />
Spontanität und Distanz lebt. Große<br />
Strecken auf nichtbefahrenen Highways<br />
in den USA, Cruisen, Drogenkonsum,<br />
Weite, Wüste, Sonnenuntergang.<br />
Es ist ja dieser stilisierte Wunschtraum<br />
von Mobilität, den wir auf unsere Alltagsmobilität<br />
projizieren, obwohl er für<br />
uns eigentlich keine Relevanz hat. Das<br />
ist vor allem Ideologie, für die die USA<br />
immerhin Kriege führen, um genug Öl<br />
heranzuschaffen.<br />
Wie wichtig ist die Akzeptanz bei der Einführung<br />
einer neuen Technologie?<br />
Das ist das zentrale Thema, gerade weil<br />
Elektroautos in der Anschaffung noch<br />
deutlich teurer sind als Fahrzeuge mit<br />
Denker und Lenker: Professor Stephan Rammler<br />
Verbrennungsmotor und gleichzeitig<br />
der Reichweitennachteil in den Köpfen<br />
der Menschen herumschwirrt. Bei den<br />
bisherigen Erstnutzern von Elektroautos<br />
sind die Akzeptanzraten allerdings<br />
rasant gestiegen, weil sie sehr schnell<br />
gemerkt haben, dass sie ihre Nutzungsroutine<br />
im Alltag relativ problemlos<br />
anpassen können. Menschen sind ja extrem<br />
flexibel.<br />
Es geht also nicht nur darum, Benzin<br />
gegen Strom als Energielieferant zu tauschen,<br />
Sie wollen gleich unseren geliebten<br />
Individualverkehr zur Diskussion stellen?<br />
Genau! Es ist großer Unsinn zu glauben,<br />
Elektromobilisierung wäre der alte Wein<br />
in neuen technologischen Schläuchen.<br />
Das Elektro- kann das Verbrennungsauto<br />
nicht ersetzen. Es geht darum, ein<br />
neues kulturelles oder gesellschaftliches<br />
Modell für Mobilität zu entwickeln.<br />
Unser Ziel kann es nur sein, insgesamt<br />
das Niveau an individueller Mobilität auf<br />
Privatbasis zu reduzieren und kollektive<br />
Formen auf Grundlage von regenerativen<br />
Energien zu entwickeln. Da spielen<br />
Elektroautos auch als Teil eines intelligenten,<br />
atmenden und dezentralen Speicherkraftwerks<br />
für Spitzen und Flauten<br />
bei der Erzeugung von Wind- und Sonnenergie<br />
eine Rolle.<br />
Das werden Automobilhersteller wie die<br />
Volkswagen AG nicht gerne hören.<br />
Warum eigentlich? Ich denke, in<br />
Zukunft lässt sich auch mit dem Elektrofahrzeug<br />
in Kombination mit intelligenten<br />
Verkehrsdienstleistungen noch<br />
eine Menge Geld verdienen.<br />
Immerhin hat VW gerade den e-up! als<br />
Serienfahrzeug vorgestellt. Bremsen die<br />
Automobilhersteller die mobile Revolution<br />
oder treiben sie diese voran?<br />
Es geht voran. Wenn auch zu langsam.<br />
Wir müssen in diesem Zusammenhang<br />
natürlich genauso von den Kunden sprechen<br />
und deren Bereitschaft, sich auf die<br />
Elektromobilität einzulassen. Dass die<br />
E-Fahrzeuge zur Markteinführung sehr<br />
viel teurer sind als die etablierten Produkte<br />
für den Massenmarkt, ist ein Problem,<br />
das sich durchaus politisch lösen<br />
oder zumindest mildern ließe.<br />
Warum sollten wir nicht den guten alten<br />
Verbrennungsmotor weiterentwickeln?<br />
Dessen Verbrauch wurde massiv gesenkt …<br />
Letztlich erzeuge ich dabei ein running<br />
target, indem ich das Konkurrenzmodell<br />
zum Elektroauto immer attraktiver<br />
mache. Einerseits ist es sehr sinnvoll, die<br />
bestehenden Technologien zu modernisieren,<br />
weil das kurzfristig eine Menge<br />
Ressourcen sparen kann. Gleichzeitig<br />
binde ich auch wieder finanzielle Mittel,<br />
die ich nur einmal ausgeben kann.<br />
Müssen Besitzer von durstigen alten Autos<br />
also ein schlechtes Gewissen haben?<br />
So einfach ist es nicht. Ein Elektroauto<br />
oder Hybridfahrzeug hat aufgrund des<br />
verbauten Hightechs einen gigantischen<br />
ökologischen Rucksack. Es kann also<br />
sein, dass Sie mit einem dicken Pick-up,<br />
wenn Sie wenig fahren, möglicherweise<br />
in der Gesamtlebensdauer des Fahrzeugs<br />
ökologischer unterwegs sind.<br />
Die CO2-Bilanz von Elektroautos kann<br />
nur so gut sein wie die Bilanz des aktuellen<br />
Strommixes. Ist das richtig?<br />
Ja. Trotzdem ist ein Elektroauto lokal<br />
emissionsfrei, was gerade in den Städten<br />
ein großer Vorteil ist. Wir werden<br />
aufgrund der Emissionslage vor allem in<br />
Asien bald Generationen von Menschen<br />
mit massiven Lungen- und Atemwegserkrankungen<br />
haben. Holger Isermann<br />
Foto: Andreas Greiner-Napp