Einwanderer, die neuen Deutschen - Peter Ustinov Stiftung
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THEMA DES MONATS:<br />
<strong>Einwanderer</strong>: Die <strong>neuen</strong> <strong>Deutschen</strong><br />
Ihre Eltern waren Ausländer, sie sind es nicht. Sie fühlen sich dennoch entwurzelt<br />
und fremd – in beiden Kulturen. Migranten plä<strong>die</strong>ren daher für eine zeitgemäße<br />
und globalisierte Vorstellung von Patriotismus und Deutschsein.<br />
ARBEITSBLÄTTER IM MONAT OKTOBER 2012<br />
2 Einleitung: Thema und Lernziele<br />
3 Arbeitsblatt 1: »Heimat ist ein sehnsuchtsvolles Ding«<br />
6 Arbeitsblatt 2: Staatsangehörigkeit – lieber zwei Pässe als einer<br />
9 Arbeitsblatt 3: Die neue <strong>Einwanderer</strong>-Elite<br />
11 Ausgewählte Internetquellen zum Thema<br />
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Inhalt<br />
10/2012 <strong>Einwanderer</strong><br />
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© DIE ZEIT für <strong>die</strong> Schule + <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong> <strong>Stiftung</strong><br />
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Einleitung: Thema und Lernziele<br />
Ihr Leben ist geprägt von Entwurzelung: <strong>Einwanderer</strong> fühlen sich zwar in Deutschland zu Hause, aber das<br />
Wort »Heimat« kommt ihnen nur schwer über <strong>die</strong> Lippen. Sie leben in zwei verschiedenen Kulturen – und<br />
doch sind sie überall »<strong>die</strong> anderen«. Auf der Suche nach einer Identität finden Deutsche mit Migrationshintergrund<br />
aber auch neue Formen von Heimatliebe und schlagen einen modifizierten Patriotismusbegriff<br />
vor, der den Gegebenheiten einer globalisierten Welt Rechnung trägt und genug Raum für unterschiedliche<br />
Kulturen lässt.<br />
Die Einheimischen machen es den <strong>Einwanderer</strong>n dabei bisweilen schwer: nach wie vor denken viele, dass<br />
Türkischstämmige nicht »richtig deutsch« sein können, immer noch spukt der ungebildete anatolische<br />
Gastarbeiter in den Köpfen der Herkunftsdeutschen. Dabei kommen zunehmend akademisch gebildete<br />
Immigranten ins Land und tragen letztlich dazu bei, den Mangel an hoch qualifizierten Fachkräften<br />
zu beheben. Nicht zuletzt zwingt das kontrovers diskutierte deutsche Staatsbürgerschaftsrecht, das für<br />
Nicht-EU-Mitglieder keine doppelte Staatsbürgerschaft zulässt, vollkommen integrierte <strong>Einwanderer</strong>, eine<br />
endgültige Wahl zu treffen – und sich somit von einer Heimat zu verabschieden.<br />
Die Unterrichtseinheit beleuchtet <strong>die</strong> Thematik aus der Perspektive von <strong>Einwanderer</strong>n, <strong>die</strong> den schwierigen<br />
Prozess schildern, zwischen zwei Kulturen leben zu müssen. Die Schüler entwickeln hieraus neue<br />
Lösungen für <strong>die</strong> deutsche Integrationspolitik und werden dafür sensibilisiert, traditionelle Vorstellungen<br />
vom Deutschsein neu zu denken.<br />
In Arbeitsblatt 1 erzählen drei Autorinnen mit polnischen, vietnamesischen beziehungsweise türkischen<br />
Wurzeln, wie sie immer wieder mit dem Gefühl konfrontiert werden, fremd zu sein, und wie sie daraus ein<br />
neues Lebensgefühl entwickelt haben. Die Schüler erörtern traditionelle Vorstellungen von Heimat und<br />
entwerfen alternative Konzepte.<br />
Arbeitsblatt 2 enthält einen Kommentar einer türkischstämmigen Journalistin zur Kontroverse um <strong>die</strong><br />
doppelte Staatsbürgerschaft. Die Schüler recherchieren <strong>die</strong> Haltung der Parteien zum Thema, setzen sich<br />
mit polarisierenden Politiker-Zitaten auseinander und führen Befragungen durch. Sie erkennen dabei, wie<br />
emotional <strong>die</strong> Debatte bisweilen geführt wird. Anhand von Thesenkarten sammeln <strong>die</strong> Schüler möglichst<br />
viele Pro- und Kontra-Argumente zur doppelten Staatsbürgerschaft und werten <strong>die</strong>se aus, um einen eigenen,<br />
sachlich begründeten Standpunkt zu entwickeln.<br />
Arbeitsblatt 3 informiert über <strong>die</strong> neue <strong>Einwanderer</strong>-Elite, <strong>die</strong> seit zwei Jahren zunehmend nach Deutschland<br />
zieht. Die Schüler stellen sich <strong>die</strong> Frage, inwiefern <strong>die</strong>se hoch qualifizierten und gut ausgebildeten Migranten<br />
unser Bild von <strong>Einwanderer</strong>n beeinflussen und welche Folgen <strong>die</strong> Ab– beziehungsweise Zuwanderung<br />
von Akademikern einerseits für Deutschland, andererseits für <strong>die</strong> Herkunftsländer hat. Ausgehend<br />
von der ZEIT-Serie zu den <strong>neuen</strong> <strong>Einwanderer</strong>n, werden <strong>die</strong> Schüler ermutigt, ein entsprechendes Porträt<br />
zu verfassen und als Leserbeitrag auf ZEIT ONLINE zu veröffentlichen.<br />
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Einleitung<br />
10/2012 <strong>Einwanderer</strong><br />
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© DIE ZEIT für <strong>die</strong> Schule + <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong> <strong>Stiftung</strong><br />
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Arbeitsblatt 1: »Heimat ist ein sehnsuchtsvolles Ding«<br />
Unsere Eltern sind Ausländer, wir nicht. Wir sind <strong>die</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Deutschen</strong>. Aber was heißt das?<br />
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Kann etwas schlimm sein an der Frage, woher man kommt? Wer sie stellt, kann sie für sich selbst meistens beantworten.<br />
Die Eltern sind in <strong>die</strong>sem Land groß geworden und <strong>die</strong> Großeltern auch, der Name klingt vertraut, und<br />
im Telefonbuch stehen manchmal Dutzende andere, <strong>die</strong> genauso heißen. Wer so fragt, gibt sich mit einer einfachen<br />
Antwort meistens nicht zufrieden, sondern fragt weiter: »Bist du lieber in der Türkei oder hier?« – »Bist du mehr<br />
vietnamesisch oder deutsch?« – »Ist an dir noch überhaupt etwas polnisch?« Wir antworten vorsichtig. Es soll nicht<br />
so klingen, als würden wir ein Land dem anderen vorziehen. Wir wollen nicht undankbar wirken. Manchmal sagen<br />
wir deshalb: Ich bin beides. Oder: Ich bin keines. Das Eigentliche hängt unbeantwortet in der Luft: <strong>die</strong> Frage nach<br />
der Heimat. Denn Heimat ist für uns ein schmerzhaftes und sehnsuchtsvolles Ding. Heimat ist <strong>die</strong> Leere, <strong>die</strong> entstand,<br />
als unsere Eltern Polen, Vietnam und <strong>die</strong> Türkei verließen und nach Deutschland gingen. Ihre Entscheidung<br />
zerriss unsere Familiengeschichte. Wir sind in einem anderen Land aufgewachsen als unsere Eltern, in einer anderen<br />
Sprache. Deutsche Traditionen konnten wir von ihnen nicht lernen. Das Bewusstsein, zu <strong>die</strong>sem Land zu gehören,<br />
noch weniger. Wir kennen es nur vom Hörensagen: das Heimatgefühl, das unsere deutschen Freunde spüren, weil sie<br />
ihren Platz in <strong>die</strong>sem Land geerbt haben. Diese Sicherheit.<br />
Unser Lebensgefühl ist <strong>die</strong> Entfremdung<br />
Die Kultur eines Landes prägt das Wesen der Menschen, <strong>die</strong> dort aufwachsen. Sie macht <strong>die</strong> <strong>Deutschen</strong> diszipliniert,<br />
<strong>die</strong> Franzosen charmant und <strong>die</strong> Japaner höflich. Aber was bedeutet das für <strong>die</strong>, <strong>die</strong> in zwei Ländern aufgewachsen<br />
sind: Haben <strong>die</strong> überhaupt eine Heimat? Oder haben sie zwei? Wieso fällt uns kein Plural zu <strong>die</strong>sem Wort ein? Die<br />
gebrochenen Geschichten unserer Familien machen es schwer, eindeutig zu sagen, woher wir kommen. Wir sehen aus<br />
wie unsere Eltern, sind aber anders als sie. Wir sind allerdings auch anders als <strong>die</strong>, mit denen wir zur Schule gingen,<br />
stu<strong>die</strong>rten oder arbeiten. Oft haben wir uns gefragt, ob unser Humor, unser Familiensinn, unser Stolz aus dem einen<br />
Land kommen oder dem anderen. Haben wir <strong>die</strong>se Eigenschaften von unseren Eltern geerbt? Oder in der deutschen<br />
Schule gelernt? Von Freunden abgeschaut?<br />
Uns fehlt etwas, das unsere deutschen Freunde haben: ein Ort, wo sie nicht nur herkommen, sondern auch ankommen.<br />
Wo sie andere treffen, <strong>die</strong> ihnen ähnlich sind – so stellen wir es uns zumindest vor. Wenn wir mit unseren deutschen<br />
Bekannten und Kollegen zusammensitzen, fragen wir uns oft: Gehöre ich wirklich dazu? Und wenn wir mit<br />
unseren polnischen, türkischen und vietnamesischen Verwandten zusammensitzen, fragen wir uns dasselbe. Unser<br />
Lebensgefühl ist <strong>die</strong> Entfremdung. Sie wird begleitet von der Angst, als Fremdkörper wahrgenommen zu werden.<br />
Selten reden wir über <strong>die</strong>ses Gefühl. Wir wollen normal sein, und wenn das nicht geht, wollen wir wenigstens so<br />
tun, als ob.<br />
Auch <strong>die</strong> <strong>Deutschen</strong> kennen <strong>die</strong>ses Gefühl der Entfremdung. Wir spüren ihre Scham über <strong>die</strong> Vergangenheit und<br />
gelegentlich sogar <strong>die</strong> Angst vor sich selbst. Die Angst ist alt, und sie verändert sich; je mehr sich das Land verändert,<br />
desto schwächer wird sie. Aber deutsch sein heißt immer noch: im Ausland Naziwitze ertragen, den Kopf gesenkt halten,<br />
<strong>die</strong> Fahne nur zur WM rausholen. Auch <strong>die</strong>ses Gefühl kennen wir nur vom Hörensagen: Wenn wir im Ausland<br />
sind, bekommen wir keine Naziwitze zu hören. Auch wenn wir noch so oft sagen, dass wir aus Deutschland kommen:<br />
Die anderen glauben nicht, dass <strong>die</strong> deutsche Geschichte auch unsere Geschichte ist. Deutsch sein hieß bis ins Jahr<br />
2000, deutsche Eltern zu haben. Das Staatsbürgerschaftsrecht zäunte <strong>die</strong> Gemeinschaft genau und genetisch ein,<br />
es hieß Jus Sanguinis, Blutrecht. Obwohl es inzwischen verändert wurde, können viele immer noch nicht glauben,<br />
dass Deutsche auch von nicht deutschen Eltern abstammen können. Nie würden sie das Wort Rasse benutzen, aber<br />
letztlich klingt der Gedanke an: Du bist doch nicht richtig deutsch. Was sind denn deine Wurzeln?<br />
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Arbeitsblatt 1<br />
10/2012 <strong>Einwanderer</strong><br />
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Die ständigen Fragen nach der Herkunft, das Lob: »Sie sprechen aber gut Deutsch!«, <strong>die</strong> Klischees in den Me<strong>die</strong>n<br />
über Gangstertürken und <strong>die</strong> Klischees im Alltag über polnische Putzfrauen – sie erzählen vom verkrampften Umgang,<br />
den <strong>die</strong> <strong>Deutschen</strong> mit dem Fremden haben, immer noch. Von den Tabus rund um Begriffe wie Herkunft,<br />
Identität und Patriotismus. Wer würde schon zugeben, dass sich <strong>die</strong> meisten <strong>Deutschen</strong> ihre Landsleute hellhäutig<br />
vorstellen? Wer würde schon <strong>die</strong>se Worte benutzen: Rasse, Gene, Vaterland? Diese Begriffe sind belastet. Und doch<br />
brauchte es sie, um <strong>die</strong> deutsche Angst vor sich selbst und <strong>die</strong> deutsche Angst vor dem Fremden besser zu verstehen.<br />
In der Heimat unserer Eltern gehen wir endlich in der Masse unter<br />
Manchmal besuchen wir <strong>die</strong> Heimat unserer Eltern, im Gepäck <strong>die</strong> heimliche Hoffnung: Vielleicht komme ich dort<br />
an. Und wenn wir dort sind, spüren wir tatsächlich Glück. Unsere Verwandten nehmen uns bedingungslos in <strong>die</strong><br />
Familie auf, auf den Straßen gehen wir endlich in der Masse unter. Alle sehen so aus wie wir, haben Namen wie wir.<br />
Einen Urlaub, eine Recherchereise lang tun wir so, als gehörten wir dazu. In <strong>die</strong>sen Momenten erkennen wir uns<br />
selbst nicht wieder. Wir reden vor der vietnamesischen Großmutter nur nach Aufforderung. Wir bringen dem türkischen<br />
Onkel den Tee und gehen mit der polnischen Cousine in <strong>die</strong> Messe. Wir sprechen <strong>die</strong> Sprache der anderen<br />
mit unserem deutschen Akzent, wir wollen uns an ihre Regeln halten. Wir erzählen von »den <strong>Deutschen</strong>« und »dem<br />
Westen«, und wenn wir einen Touristen aus Deutschland sehen, dann ist er auch für uns ein Fremder.<br />
Wir leihen uns <strong>die</strong> Heimat unserer Eltern, weil wir wissen, dass wir dort Besucher sind. Keine Eindringlinge, sondern<br />
Ehrengäste. Wir wissen, dass wir nicht leben können wie <strong>die</strong> Menschen dort. Wir sind froh, sie zu besuchen,<br />
aber wir sind auch froh, wieder nach Deutschland zu fahren. Wir werden dort nie zu Hause sein. Wir werden nie<br />
unseren Akzent verlieren, nie das Land so lieben, nie wirklich dazugehören. Wir wissen das und unsere Verwandten<br />
auch. Wir schämen uns, mehr zu besitzen als unsere Verwandten: das iPhone, den Schmuck, <strong>die</strong> Markenklamotten.<br />
Wir haben Angst, dekadent und hedonistisch zu wirken. Denn wir wissen, unsere Verwandten arbeiten viel härter<br />
für viel weniger Geld. Wir fühlen uns wie Verräter. Wenn wir im Ausland sind, spüren wir, wie deutsch wir sind und<br />
dass wir auf der Gewinnerseite sind, ohne etwas dafür getan zu haben – das können wir uns nur schwer verzeihen.<br />
Ohne es zu wollen, schauen wir mit deutschen Augen auf <strong>die</strong> Verwandten. Warum sind <strong>die</strong> Polen so scharf auf dicke<br />
Autos? Warum müssen <strong>die</strong> türkischen Schüler jeden Morgen ihre Liebe zum Vaterland besingen? Warum haben<br />
Frauen in Vietnam nichts zu sagen? Warum ist das Land so korrupt, <strong>die</strong> Regierung so schwach, <strong>die</strong> Bevölkerung so<br />
arm? Warum ist es nicht so sicher, demokratisch und zuverlässig wie in Deutschland? Wenn wir in der Heimat unserer<br />
Eltern sind, werden wir »Auslandsvietnamesen«, »Deutschländer« oder »<strong>die</strong> aus dem Reich« genannt. Wir kehren<br />
zurück nach Deutschland und merken, dass hier unsere Leben sind. Dass wir uns hier wohler fühlen. Zu Hause.<br />
Aber das Wort Heimat kommt uns immer noch nicht über <strong>die</strong> Lippen. Wir finden uns damit ab. Irgendwann begriffen<br />
wir: Wir haben kein Manko, wir haben mehr. Wir sind nicht, wir werden. Das ist auch befreiend. Wir werden<br />
nicht in Haft genommen für deutsche Verbrechen oder vietnamesischen Kommunismus. Wir entscheiden uns, stolz<br />
auf das polnische Wachstum oder <strong>die</strong> türkische Modernisierung zu sein. Und wir finden es inzwischen gut, dass<br />
wir verschiedene Kulturen verkörpern: Manchmal sind wir diszipliniert wie Deutsche, manchmal stolz wie Türken,<br />
melancholisch wie Polen oder loyal wie Vietnamesen. Wir sind vieles auf einmal.<br />
Vielleicht ist <strong>die</strong> Vorstellung von Heimat keine so gute Idee mehr. Sie passt nicht in eine Gesellschaft, in der viele<br />
Menschen zerrissene Lebensläufe haben. Sie passt nicht in <strong>die</strong>se Zeit, in der <strong>die</strong> Kinder gleich nach der Schule ausziehen<br />
und für mehrere Jahre ins Ausland gehen; in der sich Liebende nicht in der Nachbarschaft, sondern über das<br />
Internet finden und sich an einem dritten Ort etwas Gemeinsames aufbauen. Deutschland ist grenzüberschreitender<br />
und rastloser geworden. Ein neues Bewusstsein entsteht, ein neues Deutschlandgefühl. Eine neue Art von Heimat.<br />
Quelle: Alice Bota, Özlem Topçu, Khuê Pham, DIE ZEIT Nr. 36, 30.8.2012,<br />
http://www.zeit.de/2012/36/Deutsche-Migranten-Heimat-Identitaet (leicht gekürzt)<br />
Der Text ist ein Auszug aus dem Buch »Wir <strong>neuen</strong> <strong>Deutschen</strong>. Wer wir sind, was wir wollen«.<br />
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Arbeitsblatt 1<br />
10/2012 <strong>Einwanderer</strong><br />
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Aufgaben:<br />
1. In welchen Situationen machen <strong>die</strong> Herkunftsdeutschen es den Autorinnen schwer, sich angenommen<br />
zu fühlen? Fassen Sie <strong>die</strong> geschilderten Beispiele zusammen,und entwickeln Sie weitere typische<br />
Szenarien. Spielen Sie <strong>die</strong>se in einem kurzen Sketch vor, und entwickeln Sie hierfür Dialoge.<br />
Analysieren Sie anschließend <strong>die</strong> Szenen, und beurteilen Sie <strong>die</strong> Wirkung einzelner Sprüche, Fragen<br />
oder Wendungen auf Ihr Gegenüber.<br />
2. Vergleichen Sie <strong>die</strong> Erfahrungen der Autorinnen zum Thema »fremd sein« beziehungsweise »auf<br />
der Suche nach einer Heimat/Identität sein« mit Ihrem eigenen Erfahrungshintergrund.<br />
• Falls Sie einen Migrationshintergrund haben oder einige Zeit in einem anderen Land gelebt haben:<br />
Welche gemeinsamen Erlebnisse teilen Sie mit den Autorinnen, wo gibt es Unterschiede?<br />
• Falls Sie oder Ihre Familie nicht von Ein- oder Auswanderung betroffen sind: Wo entdecken Sie<br />
Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen Ihrem Lebensgefühl und dem von Migranten?<br />
3. Interpretieren Sie das Eingangszitat der Autorinnen: »Wir sind <strong>die</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Deutschen</strong>«.<br />
Diskutieren Sie anschließend, was <strong>die</strong>se <strong>neuen</strong> <strong>Deutschen</strong> auszeichnet und wie sich <strong>die</strong>se Einstellung<br />
im Alltag bemerkbar machen könnte.<br />
4. »Vielleicht ist <strong>die</strong> Vorstellung von Heimat keine so gute Idee mehr«, heißt es im Fazit des Artikels.<br />
Analysieren und bewerten Sie <strong>die</strong>se These in folgenden Schritten:<br />
a) Halten Sie Ihre Einstellung zum Thema »Heimat« fest, indem Sie folgende Sätze spontan<br />
weiterführen:<br />
Heimat heißt für mich …<br />
Wenn von Heimat <strong>die</strong> Rede ist, fühle ich mich …<br />
Die Vorstellung von Heimat in unserer Gesellschaft ist …<br />
Ich fühle mich fremd, wenn …<br />
b) Entwickeln Sie in Partnerarbeit Assoziationsketten zum Begriff Heimat, indem Sie, von <strong>die</strong>sem<br />
zentralen Wort ausgehend, weitere Begriffe notieren, <strong>die</strong> wieder zu Folgebegriffen führen. Analysieren<br />
Sie anschließend Ihre Ergebnisse. Trennen Sie insbesondere nach negativen und positiven<br />
Assoziationen des Heimatbegriffs.<br />
c) Erörtern Sie folgende Fragestellung: Wird der traditionelle Heimatbegriff einer modernen, globalisierten<br />
Gesellschaft noch gerecht, oder müssen wir nach alternativen Konzepten suchen?<br />
5. Die Autorinnen des Artikels sind etablierte und integrierte Mitglieder der deutschen Gesellschaft.<br />
Dennoch fühlen sie sich nicht immer akzeptiert. Arbeiten Sie heraus, welche Faktoren dazu führen,<br />
dass Migranten in Deutschland bisweilen schwer Fuß fassen. Differenzieren Sie hierbei nach politischen<br />
und nach gesellschaftlich-kulturellen Aspekten.<br />
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Arbeitsblatt 2: Staatsangehörigkeit – lieber zwei Pässe als einer<br />
Migrantenkinder müssen sich für eine Staatsangehörigkeit entscheiden – ein Fehler.<br />
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Optionspflicht. Schon mal gehört? Sie spielt in Ihrem Leben wahrscheinlich keine Rolle. Als geborener Deutscher<br />
mussten Sie das Wort vielleicht bis jetzt nicht nachschlagen oder googeln, weil es Sie nicht betrifft, sondern andere:<br />
Kinder von Ausländern, <strong>die</strong> in Deutschland geboren werden und zwei Staatsbürgerschaften haben, <strong>die</strong> ihrer Eltern<br />
und <strong>die</strong> deutsche. Aber nur bis zur Volljährigkeit, denn dann kommt der Behördenbrief. Und damit <strong>die</strong> Pflicht zur<br />
Entscheidung: Entweder legst du <strong>die</strong> andere Staatsbürgerschaft ab, oder du verlierst <strong>die</strong> deutsche. In den kommenden<br />
Jahren werden sich Zehntausende <strong>die</strong>ser Optionspflichtigen entscheiden müssen: ob sie deutsch sein wollen oder<br />
nicht. Das zuständige Bundesinnenministerium hat schon mal in einer Stu<strong>die</strong> vorgefühlt. Dabei kam heraus, dass<br />
sich <strong>die</strong> meisten Jugendlichen für <strong>die</strong> deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. Dieses Ergebnis wertet Bundesinnenminister<br />
Hans-<strong>Peter</strong> Friedrich als Erfolg. Er lobte, dass »junge Menschen pragmatisch mit ihrer Wahlpflicht zwischen<br />
den Staatsangehörigkeiten umgehen«. Das heißt: Die Hauptgründe, sich für <strong>die</strong> deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden,<br />
sind etwa, <strong>die</strong> Rechte und Vorteile als EU-Bürger weiterhin zu behalten.<br />
Sicher ist es erfreulich, dass sich <strong>die</strong> meisten Jugendlichen, wenn sie vor <strong>die</strong> Wahl gestellt werden, für <strong>die</strong> Staatsbürgerschaft<br />
des Landes entscheiden, in dem sie leben. Aber ist »Pragmatismus« bei <strong>die</strong>ser Entscheidung tatsächlich<br />
etwas, worüber sich Vertreter des Staates freuen sollten? Ausgerechnet <strong>die</strong> Partei, <strong>die</strong> traditionell das Deutschsein als<br />
einen Wert ansieht, ja den Stolz auf Land, Nation und Kultur hochhält wie keine andere, bejubelt nun, dass junge<br />
Leute es einfach nur bequem finden, deutsch zu sein. Das ist nicht nur bescheiden – es ist eine politische Niederlage,<br />
<strong>die</strong> als Erfolg verkauft wird. Doch es ist alles andere als erfolgreich, wenn, auch das belegt <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>, Jugendliche es<br />
nicht richtig finden, dass sie sich überhaupt entscheiden müssen (40 Prozent, 23 Prozent sind unsicher), oder jeder<br />
dritte froh wäre, nicht vor <strong>die</strong> Wahl gestellt zu werden. Viele zögern <strong>die</strong> Antwort hinaus, weil sie hoffen, dass das<br />
Gesetz doch noch geändert wird und sie beide Staatsbürgerschaften behalten können – sie fühlen sich eben auch dem<br />
Land ihrer Eltern verbunden.<br />
Vor allem aber kann es nicht froh stimmen, wenn jeder zweite von ihnen es als ungerecht empfindet, dass ihnen als<br />
Türken oder Arabern etwas abverlangt wird, was Franzosen, Italienern und anderen EU-Bürgern erspart bleibt: Die<br />
nämlich dürfen ihre frühere Staatsangehörigkeit behalten, wenn sie wollen. Da klingen <strong>die</strong> alten Reden über Identitäten<br />
und Loyalitäten nicht gerade glaubwürdig. Glaubwürdig wäre es, ein deutsches Selbstbewusstsein zu leben, das<br />
Doppelpässe gelassen hinnimmt; <strong>die</strong> Menschen als Teil der Gesellschaft anerkennt, <strong>die</strong> zwei oder mehr, eben andere,<br />
neue Identitäten ausbilden. Vieles sind und sein wollen. Das Optionsmodell aber leistet <strong>die</strong>se Anerkennung nicht.<br />
Deshalb gehört es abgeschafft. Es ist eine Kapitulation vor der modernen Einwanderungsgesellschaft, besonders deshalb,<br />
weil sie unter den Kindern von <strong>Einwanderer</strong>n, den <strong>neuen</strong> <strong>Deutschen</strong>, eine Hierarchie schafft.<br />
Mit der Lebensrealität von <strong>Einwanderer</strong>n jedenfalls hat <strong>die</strong> Optionspflicht wenig zu tun. Viele der Migrantenkinder<br />
verstehen sich als bikulturelle Deutsche. Sie sind deutscher als ihre türkischen Eltern, manchmal arabischer als<br />
gedacht, manchmal aber auch deutscher als <strong>die</strong> <strong>Deutschen</strong>. Diese Unübersichtlichkeit gehört zu Deutschland. Wäre<br />
also Patriotismus nicht der schönere Grund für <strong>die</strong> deutsche Staatsbürgerschaft als Pragmatismus? Wer weiß, was das<br />
für ein neuer deutscher Patriotismus ist, der sich da ausbildet. Er macht zumindest neugierig. Da fangen plötzlich<br />
Türken an, <strong>die</strong> deutsche Nationalhymne auf Kanakisch zu covern und bei YouTube zu präsentieren; Musliminnen<br />
binden sich <strong>die</strong> deutsche Fahne um den Kopf und gehen zum Fanfest. Patriot sein, das ist kein leichtes Thema in<br />
Deutschland. Aber als neue Deutsche (Einbürgerungsurkunde erhalten am 15.3.2001) kann man zumindest leichter<br />
darüber sprechen.<br />
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Arbeitsblatt 2<br />
10/2012 <strong>Einwanderer</strong><br />
Quelle: Özlem Topçu, DIE ZEIT Nr. 27, 28.6.2012, http://www.zeit.de/2012/27/Doppelte-Staatsangehoerigkeit<br />
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© DIE ZEIT für <strong>die</strong> Schule + <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong> <strong>Stiftung</strong><br />
www.zeit.de/schulangebote + www.ustinov-stiftung.org 6<br />
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Aufgaben:<br />
1. Staatsbürgerschaft zwischen Patriotismus und Pragmatismus<br />
a) Fassen Sie zusammen, aus welchen Gründen sich volljährige Kinder von Ausländern für oder<br />
gegen <strong>die</strong> deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. Ergänzen Sie hierbei <strong>die</strong> Motive, <strong>die</strong> im<br />
Artikel genannt werden, durch eigene Überlegungen, und differenzieren Sie zwischen pragmatischen<br />
und ideellen Aspekten.<br />
b) Benennen Sie anschließend <strong>die</strong> Kritik der Autorin Özlem Topçu an der Erklärung des Innenministers<br />
Hans-<strong>Peter</strong> Friedrich zum Umgang mit dem Staatsbürgerrecht, und nehmen Sie hierzu<br />
kritisch Stellung.<br />
c) Arbeiten Sie heraus, warum Özlem Topçu einen <strong>neuen</strong> deutschen Patriotismus fordert, und<br />
begründen Sie, inwiefern <strong>die</strong>ses Konzept geeignet oder nicht geeignet sein könnte, das Zusammenleben<br />
von Einheimischen und <strong>Einwanderer</strong>n zu verbessern.<br />
2. Die politische Kontroverse um <strong>die</strong> doppelte Staatsbürgerschaft<br />
Die äußerst polarisierende und heftig geführte Kontroverse um <strong>die</strong> doppelte Staatsbürgerschaft<br />
fand 2011 ihren vorläufigen Höhepunkt in dem umstrittenen Ausspruch des CSU-Generalsekretärs<br />
Alexander Dobrindt im Interview mit der »Bild am Sonntag«:<br />
»Die deutsche Staatsbürgerschaft ist kein Ramschartikel, den man hinterherschmeißt! Migranten<br />
sollen sich zu Deutschland bekennen. Wer den permanenten Doppelpass fordert, muss aufpassen,<br />
dass er nicht den Eindruck erweckt, er wolle Migranten rechtlich besserstellen als Deutsche.(Bild Online,<br />
7.8.2011, http://www.bild.de/politik/inland/csu/dobrindt-geht-steil-teil-2-19265336.bild.html)<br />
a) Nehmen Sie kritisch Stellung zum Dobrindt-Zitat, und ermitteln Sie Botschaft und Zielgruppe<br />
der Aussage.<br />
b) Recherchieren Sie im Internet, welchen Standpunkt <strong>die</strong> politischen Parteien zur doppelten<br />
Staatsbürgerschaft einnehmen. Halten Sie anschließend <strong>die</strong> einzelnen Argumente, <strong>die</strong> Sie hierzu<br />
finden, in Form von knapp formulierten Thesen auf Karteikarten fest.<br />
c) Recherchieren Sie Meinungen aus der Bevölkerung zur doppelten Staatsbürgerschaft. Entwerfen<br />
Sie hierzu zunächst gemeinsam einen Fragebogen. Führen Sie anschließend in Gruppen<br />
eine Befragung durch. Sie können ein Straßeninterview mit beliebigen Passanten halten oder<br />
über Soziale Netzwerke Standpunkte einholen. Werten Sie Ihre Ergebnisse anschließend statistisch<br />
aus, und ermitteln Sie folgende Parameter:<br />
Wie viel Prozent der Befragten sprechen sich für bzw. gegen <strong>die</strong> doppelte Staatsbürgerschaft<br />
aus? Welche Argumente werden am häufigsten vorgebracht? Differenzieren Sie hierbei nach<br />
technischen Argumenten (Wehr- und Steuerpflicht, Rechtsgrundlage, diplomatischer Schutz<br />
und Völkerrecht etc.) und ideellen Argumenten (Bekenntnis zur Nation, ethnisch-kulturelle<br />
Überlegungen etc.).<br />
Halten Sie auch für <strong>die</strong>se Aufgabe <strong>die</strong> vorgebrachten Argumente in Form von knapp formulierten<br />
Thesen auf Karteikarten fest.<br />
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3. Die Vereinigten Staaten von Amerika verfolgen – zumindest theoretisch – das Konzept eines<br />
Schmelztiegels der Kulturen (»melting pot of nations«). Der Begriff beschreibt den Prozess einer<br />
Assimilation von <strong>Einwanderer</strong>n an <strong>die</strong> Kultur eines Landes. Die verschiedenen Kulturen sollen<br />
in <strong>die</strong>sem Prozess vollständig verschmelzen und eine neue, gemeinsame Kultur hervorbringen.<br />
Neben der Vorstellung des »melting pot« steht das kanadische Konzept der »salad bowl» (Salatschüssel),<br />
in der <strong>Einwanderer</strong>gruppen ihre Ursprungskultur beibehalten, abgegrenzte gesellschaftliche<br />
Gruppen bilden und zusammen ein multikulturelles Mosaik darstellen, das <strong>die</strong> gesamte,<br />
vielschichtige Gesellschaft repräsentiert.<br />
Erörtern Sie Vor- und Nachteile der beiden Konzepte und setzen Sie <strong>die</strong> angloamerikanischen Integrationsmodelle<br />
mit deutschen Integrationskonzepten in Verbindung.<br />
4. Erörtern Sie, welche Rolle das Staatsbürgerschaftsrecht für <strong>die</strong> Integration von <strong>Einwanderer</strong>n<br />
spielt, und begründen Sie, welche Regelungen in Ihren Augen am besten dazu beitragen, <strong>die</strong> Integration<br />
von <strong>Einwanderer</strong>n in Deutschland zu fördern.<br />
Halten Sie auch für <strong>die</strong>se Aufgabe <strong>die</strong> vorgebrachten Argumente in Form von knapp formulierten<br />
Thesen auf Karteikarten fest.<br />
5. Gruppenarbeit: Thesen-Bild gestalten<br />
Sammeln Sie alle Karteikarten aus den einzelnen Aufgaben. Verteilen Sie <strong>die</strong> einzelnen Thesen<br />
so, dass jeder drei bis vier per Zufall erhält. Entwickeln Sie aus den erhaltenen Karten eine fiktive,<br />
aber glaubwürdige Reportage oder einen Bericht. Die Story soll ein Fallbeispiel darstellen, das <strong>die</strong><br />
Thesen auf den Karteikarten verkörpert.<br />
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10/2012 <strong>Einwanderer</strong><br />
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Arbeitsblatt 3: Die neue <strong>Einwanderer</strong>-Elite<br />
Fast unbemerkt hat sich Deutschland zu einem Sehnsuchtsort für Hochqualifizierte<br />
aus aller Welt entwickelt.<br />
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Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren neue <strong>Einwanderer</strong> so gut ausgebildet wie den vergangenen<br />
zwei Jahren, zeigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes für ZEIT ONLINE. Wenn in Deutschland von<br />
<strong>Einwanderer</strong>n <strong>die</strong> Rede ist, denken viele noch immer an den Arbeiter aus Anatolien – nicht an den Ingenieur aus<br />
Spanien oder den Architekten aus Polen. Dabei ist <strong>die</strong> letzte Gruppe mittlerweile fast in der Mehrheit. Rund 44 Prozent<br />
der Menschen, <strong>die</strong> im Krisenjahr 2010 ins Land kamen, hatten einen Hochschulabschluss – der Anteil lag damit<br />
fast doppelt so hoch wie noch im Jahr 2000. Fast <strong>die</strong> Hälfte der <strong>Einwanderer</strong> hat mittlerweile Abitur. Zum Anfang<br />
des Jahrhunderts lag <strong>die</strong> Quote noch unterhalb der 30-Prozent-Marke.<br />
Deutschland entwickle sich zu einem »Magnet für Hochqualifizierte«, erklärt Holger Kolb, wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
beim Sachverständigenrat deutscher <strong>Stiftung</strong>en für Integration und Migration. Wie ist der Trend zu erklären?<br />
Ein Grund lautet: Die Menschen kommen heute aus anderen Ländern nach Deutschland als früher. »Die <strong>Einwanderer</strong><br />
kommen zunehmend aus Osteuropa, etwa aus Polen, Bulgarien oder Rumänien – weniger aus den bisherigen<br />
Zuwanderungsländern wie der Türkei«, sagt der Migrationsforscher Herbert Brückner. In vielen osteuropäischen<br />
Staaten ist das Bildungsniveau höher als in den alten Zuwanderungsländern. Und es sind vor allem <strong>die</strong> Akademiker,<br />
<strong>die</strong> in der Hoffnung auf höhere Löhne nach Deutschland ziehen. Hinzu kommt: Die Schuldenkrise in Staaten<br />
wie Spanien oder Griechenland treibt zunehmend Hochqualifizierte nach Deutschland. Mittlerweile kommen im<br />
Schnitt mehr als <strong>die</strong> Hälfte der Zuwanderer aus dem EU-Ausland.<br />
»Eine gute Nachricht«, findet der Migrationsforscher Brücker. In den ersten sechs Monaten kamen 135.000 Menschen<br />
mehr nach Deutschland, als wegzogen, damit ist das Wanderungssaldo schon jetzt höher als im gesamten<br />
Vorjahr. Arbeitsmarktforschern macht das Hoffnung. Rund 200.000 Zuwanderer pro Jahr braucht es, um <strong>die</strong> Zahl<br />
der Erwerbspersonen in Deutschland in Zukunft konstant zu halten, schätzt <strong>die</strong> Bundesagentur für Arbeit. Doch<br />
wird <strong>die</strong> positive Entwicklung so weitergehen? Oder ist sie schlicht eine Folge der stabilen deutschen Konjunktur?<br />
»Zu einem gewissen Teil mag das sein«, sagt Kolb. »Aber der gestiegene Anteil der Hochqualifizierten lässt sich<br />
alleine damit nicht erklären.« Der Migrationsforscher vermutet etwas anderes: Zwar habe <strong>die</strong> Politik nur zögerlich<br />
für bessere Bedingungen für <strong>die</strong> Einwanderung gesorgt. Nun aber zeigten <strong>die</strong> Reformen Wirkung. Ein Beispiel ist<br />
<strong>die</strong> Freizügigkeit nach Osteuropa, <strong>die</strong> seit dem Mai des vergangenen Jahres gilt. Seither können rund 73 Millionen<br />
Osteuropäer hierzulande jede Stelle annehmen. Vor wenigen Wochen hat <strong>die</strong> Bundesregierung zudem <strong>die</strong> Blue-Card-<br />
Regelung der Europäischen Union umgesetzt. Seither gelten unter anderem niedrigere Einkommensgrenzen: Wer als<br />
Hochqualifizierter nach Deutschland einwandert, muss künftig nur noch mindestens 48.000 Euro ver<strong>die</strong>nen, um<br />
bleiben zu dürfen – bislang waren es 68.000 Euro. Zudem sollen Akademiker bei der Einwanderung künftig bevorzugt<br />
behandelt werden. Die deutsche Zuwanderungspolitik, urteilt Kolb, sei mittlerweile weniger restriktiv als in den<br />
meisten Industriestaaten. Allerdings habe der Staat zugleich dafür gesorgt, dass der »Zuzug von Niedrigqualifizierten<br />
gerade im Bereich des Familiennachzugs erschwert wurde«. Das Ergebnis lässt sich ebenfalls in der Statistik nachlesen:<br />
Nur noch jeder fünfte <strong>Einwanderer</strong> in Deutschland hat mittlerweile keine Schulausbildung.<br />
Das alles bedeutet nicht, dass sich <strong>die</strong> Integrationsprobleme des Landes über Nacht auflösen. Die Bundesregierung<br />
weist hierauf in ihrem jüngsten Integrationsbericht hin: Noch immer sind Menschen mit Migrationshintergrund in<br />
Deutschland schlechter ausgebildet als der Rest der Bevölkerung, auch sind sie häufiger ohne Berufsabschluss. An<br />
deutschen Hochschulen hat nur jeder elfte Stu<strong>die</strong>rende einen ausländischen Pass. Steigt aber das Qualifikationsniveau<br />
der <strong>neuen</strong> <strong>Einwanderer</strong> weiter, könnte sich das Blatt wenden.<br />
Quelle: Philip Faigle, Serie »Die <strong>neuen</strong> <strong>Einwanderer</strong>«, ZEIT ONLINE,<br />
http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-01/einwanderer-deutschland-einleitung<br />
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Arbeitsblatt 3<br />
10/2012 <strong>Einwanderer</strong><br />
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Aufgaben:<br />
1. Stellen Sie dar, aus welchen Gründen immer mehr hoch qualifizierte <strong>Einwanderer</strong> nach Deutschland<br />
kommen. Ergänzen Sie <strong>die</strong> im Text genannten Faktoren ggf. mit eigenem Hintergrundwissen.<br />
2. Erörtern Sie, inwiefern der Zustrom von hochgebildeten <strong>Einwanderer</strong>n das Bild, das sich Deutsche<br />
von <strong>Einwanderer</strong>n machen, langfristig verändern kann.<br />
3. Bewerten Sie den im Artikel dargestellten Trend zu gut ausgebildeten <strong>Einwanderer</strong>n einerseits für<br />
<strong>die</strong> deutsche Gesellschaft und Wirtschaft und andererseits für <strong>die</strong> wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />
Situation der Herkunftsländer.<br />
4. Durch <strong>die</strong> Blue-Card-Regelung und einen erschwerten Zuzug von Niedrigqualifizierten steuert <strong>die</strong><br />
Bundesregierung bewusst <strong>die</strong> soziale Zusammensetzung der <strong>Einwanderer</strong>.<br />
a) Informieren Sie sich über <strong>die</strong> entsprechenden Gesetze, und halten Sie <strong>die</strong> zentralen Punkte<br />
schriftlich fest.<br />
b) Nehmen Sie Stellung zu der momentan praktizierten Politik.<br />
5. Deutsche tun sich nach wie vor schwer, eine Bezeichnung für <strong>Einwanderer</strong> zu finden. Mal ist von<br />
»Ausländern« <strong>die</strong> Rede, mal von »ausländischen Mitbürgern«, »Migranten«, »Menschen mit Migrationshintergrund«,<br />
»Eingebürgerten«, »Neudeutschen« oder, je nach Herkunft, von »türkischstämmigen<br />
Mitbürgern«, »Deutschtürken«, »Russlanddeutschen« etc.<br />
Erweitern Sie <strong>die</strong> Liste um weitere Formulierungen, und halten Sie fest, welche Assoziationen Sie<br />
mit den einzelnen Begriffen verbinden. Diskutieren Sie, welche Bezeichnung in Ihren Augen angemessen<br />
ist, und begründen Sie Ihren Standpunkt.<br />
6. DIE ZEIT hat in einer Serie Fallbeispiele von hoch qualifizierten <strong>Einwanderer</strong>n zusammengetragen.<br />
a) Bearbeiten Sie eines der Porträts, und stellen Sie es im Plenum vor. Halten Sie dabei folgende<br />
Punkte fest: beruflicher Hintergrund/Ausbildung der Person, Motiv für <strong>die</strong> Auswanderung, Erfahrungen<br />
in Deutschland als neuem Heimatland (positive wie negative Aspekte).<br />
b) Verfassen Sie selbst einen Beitrag, der <strong>die</strong> Serie ergänzt. Interviewen Sie hierfür eine Person, <strong>die</strong><br />
zu der Zielgruppe passt.<br />
ZEIT ONLINE: Die <strong>neuen</strong> <strong>Einwanderer</strong><br />
http://www.zeit.de/serie/<strong>die</strong>-<strong>neuen</strong>-einwanderer<br />
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Ausgewählte Internetquellen zum Thema<br />
ZEIT ONLINE: »Warum ist es so schwer?«<br />
http://www.zeit.de/2012/30/C-Arbeitsmarkt-Zuwanderer<br />
ZEIT ONLINE: Heinz Buschkowsky – »Da helfe ich gerne beim Kofferpacken«<br />
http://www.zeit.de/2012/39/Heinz-Buschkowsky-Neukoelln-Integration-Rassismus<br />
ZEIT ONLINE: Integrationsstu<strong>die</strong> – Gebildet, aber abgehängt<br />
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-06/integrationsbericht-stu<strong>die</strong>-analyse<br />
ZEIT ONLINE: Sprachverwirrung: Deutscher, Türke, Deutschtürke? – oder was?<br />
http://www.zeit.de/gesellschaft/2012-08/integration-tuerken-stu<strong>die</strong><br />
ZEIT ONLINE: Der stille Transfer aus dem Süden<br />
http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-09/migration-eurokrise-bruecker<br />
Bundeszentrale für politische Bildung: Migrations- und Integrationspolitik<br />
http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138018/migrations-und-integrationspolitik<br />
Bundeszentrale für politische Bildung: Zahlen und Fakten / Schaubilder: Die soziale Situation in<br />
Deutschland: Migration<br />
http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61621/migration<br />
Unterrichtsvorhaben Migration-Integration<br />
Ein Materialblog für <strong>die</strong> Themen Migration und Integration<br />
http://projektmigrationintegration.wordpress.com<br />
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Internetquellen<br />
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Impressum:<br />
Projektleitung: Annika Theuerkauff, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG<br />
Projektassistenz: Karolin Beilner, Nele Tonn, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG<br />
Didaktisches Konzept und Arbeitsaufträge: Susanne Patzelt, Wissen beflügelt<br />
© DIE ZEIT für <strong>die</strong> Schule + <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong> <strong>Stiftung</strong><br />
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