Der Findling - Peter Ustinov Stiftung
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<strong>Der</strong> <strong>Findling</strong><br />
Erinnerungen an <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong>. Von Roger Willemsen<br />
Es gibt eine Episode im Leben des <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong>, die viel über ihn preisgibt. Er dreht in<br />
Indien für die dreiteilige BBC‐Dokumentarserie „<strong>Ustinov</strong>'s People” ein Porträt über Indira<br />
Gandhi. Auf das verabredete Gespräch wartend, spricht er frei in die Kamera, sinngemäß:<br />
„Hier stehe ich also im Garten von Indira Gandhi. Es sind Vögel in den Bäumen. Wächter<br />
stehen in den Winkeln. Es ist ruhig.” Plötzlich hört man Lärm, eine große Aufregung.<br />
<strong>Ustinov</strong>: „Oh, ich höre ein Geräusch. Es irren Leute durch die Gegend, die Wächter laufen.<br />
Aber ich glaube nicht, dass etwas Schlimmes passiert ist.” Das Bild wird dunkel, flammt<br />
wieder auf. <strong>Ustinov</strong> steht auf derselben Stelle: „Ich muss gestehen: Als ich eben sagte, es<br />
sei nichts Ernstes geschehen, habe ich mir selbst nicht geglaubt. Auf Indira Gandhi ist<br />
soeben geschossen worden. Die Wächter stehen nicht mehr in den Winkeln. Aber die Vögel<br />
sind noch in den Bäumen.”<br />
Tatsächlich ist Indira Gandhi auf dem Weg zum Gespräch mit <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong> erschossen<br />
worden. Jeder Dokumentarfilmer wäre mit der Handkamera zum Ort des Geschehens<br />
gestürmt, <strong>Ustinov</strong> bleibt dem Ort fern und ist dem Geschehen doch viel näher. „Die Vögel<br />
sind noch in den Bäumen” – mit diesem Satz, mit dieser Mischung aus Literarizität und<br />
Pathos wurde er mir unvergesslich.<br />
Ein Weltbürger zu sein – das dürfen nur wenige von sich behaupten. <strong>Ustinov</strong> erzählte gern,<br />
er sei in Leningrad gezeugt, in London geboren und in Schwäbisch Gmünd getauft worden.<br />
Gefühlt hat er sich wohl als Russe, und das Englische war ihm die nächste Sprache. Und<br />
doch glaubte er an die Fülle des Deutschen, die vom Kategorischen Imperativ bis hinab zum<br />
„Alles klar” des Sprach‐Yuppies reiche.<br />
Ein Humor, der aus Mitgefühl und Menschlichkeit erwuchs<br />
<strong>Ustinov</strong> war nicht nur Bürger aller Welt, sondern auch aller Epochen. Auf einschüchternde<br />
Weise dehnte er sich durch Zeiten und Räume aus, die Kulturgeschichte war seine<br />
Nährflüssigkeit. In der römischen Geschichte ebenso beheimatet wie in der Renaissance‐<br />
Malerei oder in der Comedy der Gegenwart, gab es kein Gebiet, für das er sich nicht<br />
interessiert hätte. Osmotisch hat er die Gegenwarts‐ und Vergangenheitswelt in sich<br />
eindringen lassen, wie ein Anthropologe an allem teilgenommen, um es in Humor zu<br />
verwandeln. Für mich war <strong>Ustinov</strong> immer ein Meteorit, der unversehens auf die Erde<br />
gedonnert ist und sich da erhebt wie ein <strong>Findling</strong>. Er hat aber nicht nur ein schwer fassbares<br />
Quantum an Intelligenz mitgebracht; sich von Kindheit an geradezu intravenös von<br />
Lektüren ernährt, die Welt schneller aufgenommen als alle anderen um ihn herum und<br />
daraus die Haltung des Entertainers gewonnen. So ist er der Mann geworden, der den Ernst<br />
der Kulturgeschichte plünderte und doch sein Publikum nie ohne ein Lachen nach Hause<br />
gehen ließ.
An erster Stelle ist <strong>Ustinov</strong> wohl Autor gewesen. Das Schreiben hat ihm am meisten<br />
abverlangt, mit ihm hat er ringen müssen, unter ihm hat er gelitten. Die Schauspielerei<br />
hingegen, so sagte er einmal, sei für ihn wie ein Bienenflug: Man saugt von überall Honig<br />
und geht am Abend trotzdem hungrig nach Hause.<br />
Als Vielfelderwirt der Unterhaltung blüht er auf im Wechsel der Formen, und immer hatte<br />
ich das Gefühl, das alles seien Akzentwechsel derselben künstlerischen Erregung. <strong>Ustinov</strong><br />
war die rare Vielfachbegabung, ohne Leiden an den konkurrierenden Kräften. Vielmehr<br />
machte er in der Produktion, im Zustand der Hervorbringung einen so seligen Eindruck,<br />
dass man oft das Gefühl hatte, die größte Strapaze durchleide er auf den Wegen zwischen<br />
den Auftritten. Kaum stand er auf der Bühne, konnte er sich endlich gehen lassen und in<br />
seinem Element sein, in <strong>Ustinov</strong>.<br />
Bis in die Nuance erinnert sein Humor immer wieder an Oscar Wilde. Dieser Humor meint<br />
etwa, das Schlimmste an der Reformation sei gewesen, dass Luther immer so geschmacklos<br />
gekleidet war. Es gab nichts, was er nicht der Lächerlichkeit hätte preisgeben können, doch<br />
nicht aus Überlegenheit oder Hochmut, sondern aus Empathie und fundamentaler<br />
Menschenliebe. Sein Humor war human, Herablassung war ihm fremd. Dabei war <strong>Ustinov</strong><br />
wunderbar selbstironisch und ging mit dem eigenen Leben und seiner Person gern pietätlos<br />
um. Einmal erzählte er von seinen geheimen Kinderwünschen: Zuerst wollte er ein Auto<br />
werden, später eine Echse. Anschließend spielte er seine Wünsche vor, wurde auf der<br />
Bühne Auto und Echse – und machte, ein alter Mann, erst röhrend und hupend, dann<br />
spähend und züngelnd, eine lächerliche, groteske Figur.<br />
Vielleicht war das Leben für <strong>Ustinov</strong> von Anfang an eine Folge verschiedener Rollen. Das<br />
dicke Kind musste sich vor seinen Feinden retten, indem es sie imitierte. Wenn er begehrt<br />
werden wollte, blieben ihm nur sein Witz, sein in Aperçus funkelnder Geist, seine maßlos<br />
akkumulierte Bildung. Und doch hat er seine komischsten Sachen immer mit großem Ernst<br />
vorgetragen, mit einer Feierlichkeit, die entweder ins Lapidare umschlug – oder in ein<br />
angenommenes Staunen darüber, dass gelacht wurde. <strong>Ustinov</strong> war nicht der Mann, der<br />
mitgelacht hätte, eher war er einer, der freundlich in das Schweigen vor dem großen<br />
Gelächter blickt und sich seiner Sache sicher ist. Eitel habe ich ihn nie erlebt, im Gegenteil,<br />
ich glaube, sein Ego ist im Laufe der Jahre immer kleiner geworden.<br />
Im Kino hat er sein Backpfeifengesicht lauter unsympathischen Typen geliehen, die alle<br />
nicht er selber waren: Kaiser Nero, dem Sklavenhändler in Spartacus, aber auch Hercule<br />
Poirot, der ja dauernd spioniert und an Schlüssellöchern lauscht. Als seine Lieblingsrolle hat<br />
er den Taxifahrer in Topkapi genannt, eine dubiose, feige, unterwürfige Gestalt. Solche<br />
Typen assimilierte er sich, wurde wirklich der Verwandler, dem man immer zutraute, dass<br />
in dieser multiplen Persönlichkeit auch der Lauscher an der Wand, der Konformist stecken<br />
könnte.<br />
Seine Witze hatten eine Schwindel erregende Fallhöhe. Als er von der Queen zum Ritter<br />
geschlagen wurde, sagte er: „I'm deeply touched.” Als ihn später ein Interviewer fragte:
„Wünschen Sie mit Sir <strong>Peter</strong> angeredet zu werden”, antwortete <strong>Ustinov</strong>: „So tief berührt<br />
bin ich nun auch wieder nicht.” Darin war er groß: in der Zurücknahme des Feierlichen,<br />
auch in der Feier der eigenen Person.<br />
Es gab wohl kaum eine Situation, die für ihn ohne Eros war. Vermutlich hätte er gesagt, er<br />
sei in jedem Lebensalter darstellungsfähig. Mit einem permanenten Appetit auf Außenwelt,<br />
als nimmermüder Beobachter aller Zeiterscheinungen konnte er selbst mit Verona<br />
Feldbusch Expo‐Werbung machen, doch an ihm selbst blieb da nichts hängen. Auch darin<br />
zeigt es sich, das Geheimnis seiner Persönlichkeit. <strong>Ustinov</strong> hat den sozialen und medialen<br />
Raum definiert, in dem er auftrat – und nicht umgekehrt. Er hätte sogar bei Nur die Liebe<br />
zählt sitzen können – es wäre plötzlich eine andere Sendung gewesen. Bei den meisten<br />
Schauspielern sind die Formate, in denen sie erscheinen, größer als sie selbst. Bei <strong>Ustinov</strong><br />
war es immer umgekehrt. Er war der Pater Patriae und ironisch bis zuletzt. Nur wenn er<br />
über das Humane sprach, von der Menschenwürde und den Menschenrechten, hatte der<br />
Spaß ein Ende, dort ging es ums Ganze.<br />
„Die einzige Heimat, die zählt, ist das zivilisierte Benehmen.”<br />
Wahrscheinlich war <strong>Ustinov</strong> ein Ironiker, damit er kein Tragiker sein musste, denn für die<br />
Tragik fehlte ihm das Pathos. Er konnte zwar pathetisch agieren, aber ich glaube nicht, dass<br />
das Leben insgesamt für ihn sehr viel Pathos hatte. Leben zu retten, und zwar in der<br />
doppelten Bedeutung des Wortes, geistig und kreatürlich, war ein Auftrag, den ihm die<br />
Kulturgeschichte vermacht hat. <strong>Ustinov</strong> konnte nicht Goethe lesen, ohne den<br />
humanistischen Imperativ mitzutragen. Im Kern war er Humanist, und die Aufgabe als<br />
UNICEF‐Botschafter nahm er sehr ernst, verstand sie aber nicht missionarisch. Sanft, durch<br />
Ansteckung konnte er die Menschen vom Schönen überzeugen. Den Zeigefinger brauchte<br />
er dazu nicht. Er rezensierte nicht, sondern wirkte durch das, was sich in ihm spiegelte.<br />
Am meisten geliebt wurde <strong>Ustinov</strong> wohl in Deutschland. Vielleicht, weil er die Deutschen<br />
immer verteidigt hat, war er doch wie Yehudi Menuhin überzeugt, dass Deutschland sich<br />
verändert habe, und so hat er den Deutschen ihren Zustand mit seinem wunderbaren<br />
britischen Spott gern aufgehellt. <strong>Ustinov</strong> kannte die „deutsche Seele”, ihr ständiges<br />
Gründeln, das schon Goethe auf den Begriff gebracht hat: „Die Deutschen werden schwer<br />
über allem, und alles wird schwer über ihnen.”<br />
Er war ein Renaissance‐Mensch und tönte aus einer anderen Zeit. Es ist fatal, so etwas zu<br />
sagen, weil man das Gefühl hat, man stirbt selber ein bisschen mit ihm. Aber eine<br />
Bildungsgeschichte wie die von <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong> kann man sich heute kaum mehr vorstellen.<br />
Menschen wie er werden heute wohl nicht mehr geboren. Jedenfalls kenne ich keinen<br />
Künstler, der zwischen dem Humanen und dem Ironischen solch eine glückliche Balance<br />
gefunden hätte. Keinen, der so dinosaurierartig Hochkultur und Unterhaltung<br />
zusammenbrachte. Ich kenne niemanden, der auf so vielen Feldern auf solchem Niveau zu<br />
Hause war. Nicht weil er sie annektiert hätte, sondern weil er auf ihnen lebte.
Und <strong>Ustinov</strong> war diskret, unendlich diskret. Immer hatte ich das Gefühl, Leiden sei für ihn<br />
etwas Intimes, das sich nur auflösen lässt, wenn man es in einem Running Gag stilisiert. Auf<br />
die Frage, wo er wohnen möchte, hat er einmal gesagt: „Dort, wo man im Herbst die Äpfel<br />
fallen hört.” Doch eine Heimat brauchte er nicht. „Die einzige Heimat, die für mich zählt, ist<br />
das zivilisierte Benehmen.” War er wohl fromm Wohl eher nicht. Als man ihn einmal<br />
fragte, was auf seinem Grabstein stehen soll, sagte er: „Bitte nicht aufs Gras treten.” Die<br />
einzige Transzendenz, die er kannte, war die Religion der Kunst. Schwärmerisch konnte er<br />
von Bildern reden, von Opernarien, von großen Konstellationen in großen Romanen.<br />
Spirituell aber in einer anderen Bedeutung als der künstlerischen ist sein Himmel wohl nicht<br />
gewesen, und darüber zu sprechen wäre ihm wiederum zu intim gewesen.<br />
Genauso, wie er auch über den Tod kaum ernsthaft redete. Einmal habe ich ihn hinter der<br />
Bühne in Baden‐Baden in einem Erschöpfungszustand gesehen, der ihn unverwandelbar<br />
zeigte, erloschen. Da saß er wie eine Skulptur von der Osterinsel und starrte vor sich hin,<br />
schlicht nicht mehr gegenwärtig. Er sah aus wie ein Stück Kulisse. Man hätte in dem<br />
Augenblick gedacht, das Leben ist ihm nicht mehr zuzumuten. Das Einzige, was ihm noch<br />
zuzumuten war, war die Bühne.<br />
© Roger Willemsen<br />
Quelle: „DIE ZEIT” vom 1. April 2004