328 Döhring, Helge - Anarcho-Syndikalismus in Ostpreußen
328 Döhring, Helge - Anarcho-Syndikalismus in Ostpreußen
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I. <strong>Ostpreußen</strong>: Arbeiterbewegung im Überblick<br />
1. Wirtschaft, demographische Struktur und Organisationen im<br />
Wechselverhältnis<br />
Infolge me<strong>in</strong>er bisherigen Studien zur <strong>Syndikalismus</strong>forschung kam ich zu folgender<br />
Feststellung:<br />
Der <strong>Syndikalismus</strong> gedieh <strong>in</strong> Deutschland zu Beg<strong>in</strong>n des 20 Jahrhunderts an Orten mit<br />
hohem Industrialisierungsgrad bei gleichzeitig niedrigem Organisationsgrad der<br />
Arbeiterschaft <strong>in</strong> zentralistischen Arbeiterorganisationen, wie beispielsweise dem<br />
sozialdemokratischen „Allgeme<strong>in</strong>en deutschen Gewerkschaftsbund“ (ADGB). Aufgrund<br />
e<strong>in</strong>iger Forschungen zu <strong>in</strong>dustriellen Ballungszentren (Rhe<strong>in</strong>/Ruhr/Sachsen u.a.) konnte<br />
festgestellt werden, wo die Syndikalisten verstärkt Fuß fassen konnten.(3) Bisher jedoch<br />
machte niemand die Gegenprobe. Indem ich systematisch Ortsvere<strong>in</strong>e der Freien Arbeiter-<br />
Union Deutschlands (FAUD) erschlossen habe, konnte ich feststellen, wo auf der Landkarte<br />
sich „weiße Flecken“ bef<strong>in</strong>den, und das waren zu me<strong>in</strong>em Erstaunen nicht so viele!(4) Die<br />
Dichte der FAUD-Ortsvere<strong>in</strong>e richtete sich tatsächlich streng nach den <strong>in</strong>dustriellen Vorgaben<br />
der e<strong>in</strong>zelnen Regionen. Die e<strong>in</strong>zige größere Region ohne FAUD war Mecklenburg zwischen<br />
Stett<strong>in</strong>, Oranienburg und Lübeck. Danach folgen kle<strong>in</strong>ere Regionen ohne größere<br />
Industrieansiedlungen, darunter der größte Teil <strong>Ostpreußen</strong>s.<br />
Wie waren die Bed<strong>in</strong>gungen für Syndikalisten <strong>in</strong> jenen Gebieten, wo die objektiven<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (Industrialisierungsgrad/zentralistische Arbeiterorganisationen) sehr<br />
ungünstig waren? Mit welchen Aufgaben mussten sie fertig werden? Führten sie<br />
zwangsläufig e<strong>in</strong> Schattendase<strong>in</strong>?<br />
Ich habe <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Regionalstudien zur FAUD <strong>in</strong> Württemberg und Südbayern bereits die<br />
unterschiedlichen Bed<strong>in</strong>gungen von syndikalistischer Organisation zwischen Stadt und Land<br />
hervorgehoben.(5)<br />
Für <strong>Ostpreußen</strong> ist dies sehr e<strong>in</strong>fach, weil es außerhalb Königsbergs nur vere<strong>in</strong>zelte<br />
H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>zelne aktive FAUD-, SAJD-Ortsvere<strong>in</strong>e und Sympathisanten gibt (Preußisch<br />
Eylau, Königstann bei Schönwalde im Kreis Bartenste<strong>in</strong> (1924), Johannisburg und Elb<strong>in</strong>g).(6)<br />
Nur die Genossen der Seeschifffahrt („Deutscher Seemannsbund“) waren <strong>in</strong> mehreren<br />
Küstenstädten <strong>Ostpreußen</strong>s organisiert (Königsberg, Pillau und Memel).(7) Vom Rest des<br />
Reichsgebietes war <strong>Ostpreußen</strong> geographisch abgeschnitten.<br />
Je südlicher die Städte <strong>in</strong> diesem Teil lagen, desto weniger Spuren f<strong>in</strong>den sich allgeme<strong>in</strong> auf<br />
Arbeiterkämpfe (z.B. Johannisburg oder Lyck).<br />
Nur Mecklenburg hatte im Reichsvergleich weniger syndikalistische Aktivität zu verzeichnen<br />
gehabt als <strong>Ostpreußen</strong>: Mecklenburg (Neustrelitz) hatte e<strong>in</strong>e Siedlungsdichte von 35<br />
Menschen auf e<strong>in</strong>en Quadratkilometer (ke<strong>in</strong>e Syndikalisten!), <strong>Ostpreußen</strong> 55 (wenig<br />
Syndikalisten), Pommern 57, im Vergleich zu 125 im Reichsdurchschnitt.(8) Berichte über<br />
Arbeitskämpfe im „Syndikalist“ kamen aus Allenste<strong>in</strong>, Königsberg, Tilsit (Eisenbahner, 1919),<br />
Elb<strong>in</strong>g („Schichau-Werke“, 1921), Königsberg (Bauarbeiter, 1924) oder auch Marienwerder<br />
(Landarbeiterstreik, 1924).<br />
Ja, auch außerhalb Königsbergs kam es zu Arbeiterdemonstrationen, Waffengewalt der<br />
Polizei und Belagerungszustand, wie <strong>in</strong> Tilsit, 1921. Von den besonderen Wirtschaftszweigen<br />
<strong>Ostpreußen</strong>s, der Pferdezucht, der Fischerei, der Bernste<strong>in</strong>förderung und der Schifffahrt s<strong>in</strong>d<br />
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