Wohlfühl-Klang
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Report Lautstärke-Normalisierung<br />
7 Fragen an den Profi –<br />
Interview mit Christoph Stickel<br />
stereoplay: Apple und Spotifiy führen<br />
die Lautstärke-Normalisierung ein.<br />
Welche Konsequenzen hat das für die<br />
Musikindustrie?<br />
Christoph Stickel: Ich erlebe gerade,<br />
dass durch die dadurch ausgelöste<br />
Diskussion die ersten Labels wieder<br />
um mehr Dynamik bitten. Es ist jetzt<br />
nicht mehr nur eine Angelegenheit<br />
elitärer Cliquen wie Tonmeister oder<br />
High-Ender, sondern hat sich durch<br />
das Voranschreiten der Großen wie<br />
Apple in den Medien etabliert. Die<br />
ersten „Reformler“ nutzen diesen<br />
positiven Effekt bereits aus.<br />
stereoplay: Wird sich die Lautstärke-<br />
Normalisierung langfristig positiv auf<br />
die Tonqualität von Musikproduktionen<br />
auswirken?<br />
C. Stickel: Grundsätzlich ja. Natürlich<br />
lässt die Lautstärke-Normalisierung<br />
an sich noch keine besseren Aufnahmen<br />
entstehen – aber sie wird sehr<br />
wohl einen positiven „Erziehungseffekt“<br />
bewirken, weil die Notwendigkeit,<br />
alles brachial laut zu machen,<br />
dadurch nicht mehr wie bisher gegeben<br />
ist. Es ist allerdings nicht auszuschließen,<br />
dass sich dennoch eine<br />
„Ballung“ im Bereich der normierten<br />
LUFS-Vorgaben einstellen könnte, die<br />
auf andere Art und Weise akustische<br />
Aufmerksamkeit erlangen will.<br />
stereoplay: Eignet sich der angepeilte<br />
Nominalpegel von rund -16 LUFS<br />
auch für andere digitale Tonträger,<br />
beispielsweise die CD?<br />
C. Stickel: Funktional sehe ich da bei<br />
16-Bit-Tonträgern schon Schwierigkeiten,<br />
weil die Gefahr, bei sehr<br />
Christoph Stickel,<br />
Senior Mastering Engineer,<br />
msm-Studios München<br />
dynamischen Produktionen bereits<br />
ins digitale Rauschen zu kommen,<br />
durchaus gegeben ist. 24-Bit-Tonträger<br />
sind jedoch unproblematisch.<br />
stereoplay: Wäre es sinnvoll, wenn sich<br />
Musikproduktionen beim Mastern<br />
zum Beispiel am EBU-R-128-Standard<br />
orientieren?<br />
C. Stickel: Ich merke, dass nicht nur<br />
beim Mastering, sondern auch auf der<br />
Aufnahmeseite ein Umdenken stattfindet,<br />
die durch R 128 geschaffenen<br />
Freiräume bereits während der Einspielung<br />
künstlerisch zu nutzen.<br />
stereoplay: Gekonntes „Lautmachen“<br />
ohne hörbare Kompromisse ist eine<br />
besondere Herausforderung an das<br />
Mastering, die viel Know-how erfordert.<br />
Wird das durch Lautstärke-Normalisierung<br />
„Schnee von gestern“?<br />
C. Stickel: Ganz sicher nicht. Es bleibt<br />
auch weiterhin wichtig, dass man aus<br />
funktionalen Gründen bestimmte<br />
Elemente – zum Beispiel Nachrichten-<br />
Jingles – akustisch besonders auffällig<br />
gestalten muss, obwohl sie den<br />
0-LU-Bereich zuverlässig einhalten.<br />
Das gelingt nur über gehörphysiologische<br />
Effekte, die man allerdings<br />
sehr genau kennen und feinfühlig<br />
dosieren muss.<br />
stereoplay: Arbeiten Sie beim Mastering<br />
von EBU-konformen Produktionen<br />
schon auf den vorgeschlagenen<br />
Referenzpegeln, oder nutzen Sie<br />
anschließend ein Normalizer-Plug-In?<br />
C. Stickel: Ich arbeite bei entsprechenden<br />
Produktionen bereits von<br />
Anfang an in den vorgegebenen<br />
Bereichen und nutze ganz zum<br />
Schluss vielleicht nochmal einen<br />
Normalizer, um das letzte Dezibel<br />
normgerecht anzupassen. Genauso<br />
wie ich auch beim herkömmlichen<br />
Mastering den geforderten Lautstärke-Eindruck<br />
nicht ausschließlich über<br />
einen finalen Limiter erziele.<br />
stereoplay: Gibt es auch Gründe, die<br />
gegen die Lautstärke-Normalisierung<br />
sprechen?<br />
C. Stickel: Obwohl es sicherlich einige<br />
Nachteile gibt, die man „herbeiarbeiten“<br />
könnte, halte ich Lautstärke-<br />
Normalisierung grundsätzlich für den<br />
richtigen Weg. Das alleinige Ausrichten<br />
auf musikalische Funktionalität<br />
und der damit verbundene „Tod des<br />
<strong>Klang</strong>es“ werden dadurch hoffentlich<br />
etwas nachlassen: Man kann wieder<br />
mehr <strong>Klang</strong>haftigkeit gestalten – und<br />
nicht nur Plakativität durch Lautheit<br />
erzeugen.<br />
Sprüche anhören wie „Überkomprimiert<br />
soll‘s natürlich<br />
nicht sein – aber auf gar keinen<br />
Fall leiser als der Song XY.“<br />
Dieses Denken führte dann allmählich<br />
über Jahrzehnte hinweg<br />
zu Extrembeispielen wie<br />
dem Titel „Boulevard Of Broken<br />
Dreams“ von Green Day,<br />
die in Sachen Lautstärke zwar<br />
schwerlich zu überbieten sind,<br />
aber dafür auch kaum mehr Dynamik<br />
besitzen.<br />
Solche „Ausrutscher“ dürften<br />
jedoch alsbald Geschichte<br />
sein – dafür haben Profis und<br />
bekannte Mastering-Ingenieure<br />
wie Bob Katz und Friedemann<br />
Tischmeyer auch lange<br />
gekämpft. Die sich allmählich<br />
eta blierende Lautstärke-Normalisierung,<br />
wie sie neben den<br />
Fernsehanstalten nun auch die<br />
Strea ming-Dienste anstreben,<br />
wird unweigerlich einen Paradigmenwechsel<br />
herbeiführen:<br />
Zum einen, weil hier bei der<br />
Pegelkontrolle erstmals eine<br />
geniale Lautstärke-Bewertung<br />
des Tonmaterials zum Einsatz<br />
kommt, die an das Gehör noch<br />
weitaus besser angepasst ist als<br />
112 11/14 stereoplay.de