04.11.2012 Aufrufe

Heinz Bude - Das Phänomen der Exklusion

Heinz Bude - Das Phänomen der Exklusion

Heinz Bude - Das Phänomen der Exklusion

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Mittelweg 36 4/2004<br />

Alltag wachsen, fallen all jene heraus, die mit <strong>der</strong> gesteigerten Mobilisierung<br />

(»employability« und »total quality management«) und Subjektivierung<br />

(»Teamfähigkeit« und »soziale Kompetenz«) nicht mithalten<br />

können. 3 Man kann sagen: Die Sozialstrukturanalyse tradiert das Bild<br />

alter sozialer Ungleichheiten, während sich das Gesellschaftsempfinden<br />

auf neue Spaltungen fixiert. 4 Da stellt sich natürlich die Frage, wer recht<br />

hat: die spezialisierte Beobachtung von o<strong>der</strong> die gefühlte Teilnahme an<br />

<strong>der</strong> Gegenwartsgesellschaft? O<strong>der</strong> noch zugespitzter: die Soziologie o<strong>der</strong><br />

die Gesellschaft?<br />

I<br />

Aus den 90er Jahren ist uns ein neuer soziologischer Begriff überliefert,<br />

<strong>der</strong> sich diesem Wi<strong>der</strong>spruch widmet: Es ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> sozialen<br />

<strong>Exklusion</strong>. 5 Der Ursprung dieses Begriffs liegt eigentlich im politischen<br />

Raum, wo er <strong>der</strong> Kennzeichnung neuartiger sozialer Probleme<br />

dient, die den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaften gefährden.<br />

In den französischen Vorstädten 6 genauso wie in den entvölkerten Gebieten<br />

Ostdeutschlands 7 wachsen »gefährliche soziale Klassen« heran, die<br />

aufgrund sozioökonomischer Marginalisierung, lebenskultureller Entfremdung<br />

und sozialräumlicher Isolierung den Anschluß an den Mainstream<br />

unserer Gesellschaft verloren haben. In ihrer trostlosen Existenz,<br />

bar aller Vorstellung von Größe, Rang und Bedeutung, werden sie öffentlich<br />

nur noch als periodisch sich zusammenrottende »Meute« bemerkbar.<br />

8 Solche plötzlich ausgelösten »riots« beschäftigen dann die Medien<br />

und lassen die Soziologen bei <strong>der</strong> Frage nach möglichen Ursachen dumm<br />

dastehen.<br />

Es ist das Erscheinungsbild von wahllosem Vandalismus, kriterienlosem<br />

Haß gegen Schwache, Fremde und An<strong>der</strong>sartige und sofortigem<br />

Ressentiment gegen den Staat, den Bürger o<strong>der</strong> das Allgemeine, aufgrund<br />

dessen diese Milieus für die »Mehrheitsklasse« 9, die von sich<br />

glaubt, hart zu arbeiten, sich nach den Regeln zu verhalten und für die<br />

Ihrigen zu sorgen, als das an<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Gesellschaft gelten. Man sucht<br />

3 Luc Boltanski und Eve Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003, sehen<br />

darin gar einen »dritten Geist« des Kapitalismus.<br />

4 Dazu den Sammelband von Peter A. Berger und Michael Vester (Hrsg.), Alte Ungleichheiten<br />

– Neue Spaltungen, Opladen 1988.<br />

5 Siehe Martin Kronauer, <strong>Exklusion</strong>. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten<br />

Kapitalismus, Frankfurt am Main/New York 2002.<br />

6 François Dubet und Didier Lapeyronnie, Im Aus <strong>der</strong> Vorstädte. Der Zerfall <strong>der</strong> demokratischen<br />

Gesellschaft, Stuttgart 1994.<br />

7 Andreas Willisch, »Drogen am Eichberg o<strong>der</strong> Feuer im Auslän<strong>der</strong>heim«, Mittelweg 36,<br />

Jg. 8, 2000, Heft 6, S. 73–87.<br />

8 <strong>Heinz</strong> <strong>Bude</strong>, »Empörung ohne Moral«, in: Ders., Die ironische Nation. Soziologie als Zeitdiagnose,<br />

Hamburg 1999, S. 71–85.<br />

9 Ralf Dahrendorf, Der mo<strong>der</strong>ne soziale Konflikt, Stuttgart 1992, S. 195.<br />

4<br />

Thema

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!