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Historische Bildung in der Bundeswehr 50 Jahre ... - Ghbehn.de

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»Friedrich am Lilienste<strong>in</strong> mit<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> sächsischen Armee«.<br />

Stich von R<strong>in</strong>gck.<br />

(Aus: Gustav B.Volz, Friedrich <strong><strong>de</strong>r</strong> Große im<br />

Spiegel se<strong>in</strong>er Zeit, Bd. 2: Siebenjähriger<br />

Krieg und Folgezeit bis 1778, Berl<strong>in</strong> 1901)<br />

Generalfeldmarschall Friedrich<br />

August Graf von Rutowski,<br />

Gemäl<strong>de</strong> von Louis <strong>de</strong> Silvestre.<br />

(Sächsische Lan<strong>de</strong>s- und<br />

Universitätsbibliothek,<br />

Dres<strong>de</strong>n)<br />

richtete, dass er nach etwa vier Wochen<br />

im Lager »Tag und Nacht [...]<br />

nicht aus <strong>de</strong>m Dienst« kam, »Patronentasche<br />

und Seitengewehr kamen<br />

nicht vom Leibe und hatte <strong><strong>de</strong>r</strong> Mann<br />

[...] gar wenig Brot«. En<strong>de</strong> September<br />

habe er dann »die ersten Krautstücke«<br />

gegessen, zunächst noch gekocht,<br />

»nach diesem aßen wir sie so re<strong>in</strong>,<br />

ungekocht.« Mit nur vier Pfund Brot<br />

musste <strong><strong>de</strong>r</strong> Soldat mittlerweile sechs<br />

Tage auskommen. Im Lager vorgenommene<br />

Tagebuchaufzeichnungen zeugen<br />

jedoch von <strong><strong>de</strong>r</strong> ungebrochenen<br />

Hoffnung <strong><strong>de</strong>r</strong> sächsischen Soldaten<br />

auf <strong>de</strong>n baldigen Abmarsch <strong><strong>de</strong>r</strong> Preußen<br />

nach Böhmen und von ihrem großes<br />

Vertrauen <strong>in</strong> die militärische Führung.<br />

Dieser Optimismus spiegelte sich<br />

auch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Desertionsrate <strong><strong>de</strong>r</strong> sächsischen<br />

Armee wi<strong><strong>de</strong>r</strong>. Die Fahnenflucht,<br />

e<strong>in</strong> grundlegen<strong>de</strong>s Problem <strong><strong>de</strong>r</strong> Armeen<br />

im 18. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>t, fand auf sächsischer<br />

Seite trotz <strong><strong>de</strong>r</strong> angespannten<br />

und ungewissen Situation nur <strong>in</strong> sehr<br />

ger<strong>in</strong>gem Maße statt. Für die gesamte<br />

Zeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Belagerung wird von <strong>de</strong>utlich<br />

weniger als 100 Vorfällen berichtet.<br />

Zu<strong>de</strong>m s<strong>in</strong>d kaum Verstöße gegen die<br />

Diszipl<strong>in</strong> bekannt. Ansche<strong>in</strong>end besaßen<br />

die Sachsen, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Armee zu etwa<br />

90 % aus »Lan<strong>de</strong>sk<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>n« bestand,<br />

neben ihrer Liebe zum »Vaterland«<br />

vor allem e<strong>in</strong> hohes Maß an Loyalität<br />

gegenüber ihrem Lan<strong>de</strong>sherrn, <strong>de</strong>m<br />

Kurfürsten Friedrich August II. (als<br />

August III. König von Polen).<br />

Zu diesem frühneuzeitlichen »dynastischen<br />

Patriotismus« trat als e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>schaftsprägen<strong><strong>de</strong>r</strong> Faktor das<br />

große religiöse Selbstverständnis als<br />

Angehörige <strong>de</strong>s Mutterlan<strong>de</strong>s <strong><strong>de</strong>r</strong> Reformation,<br />

das mit Preußen nicht nur<br />

wirtschaftlich und politisch, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

eben auch h<strong>in</strong>sichtlich <strong><strong>de</strong>r</strong> Führerschaft<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong> protestantischen<br />

Stän<strong>de</strong> im Reich konkurrierte. Es sollte<br />

sich zeigen, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> aus diesen<br />

Faktoren resultieren<strong>de</strong> ungewöhnlich<br />

starke Zusammenhalt <strong><strong>de</strong>r</strong> sächsischen<br />

Armee im Herbst 1756 vom König von<br />

Preußen, <strong><strong>de</strong>r</strong> eigentlich e<strong>in</strong> Zusammengehen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> protestantischen Mächte<br />

gegen die katholischen Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> Österreich<br />

und Frankreich propagierte,<br />

unterschätzt wur<strong>de</strong>.<br />

In<strong>de</strong>m die sächsische Armee auf<br />

die »unnützen Mäuler« <strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung<br />

schließlich ke<strong>in</strong>e Rücksicht mehr<br />

nahm, gelang es ihr, <strong><strong>de</strong>r</strong> Belagerung<br />

bis <strong>in</strong> die erste Oktoberhälfte h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

standzuhalten. Als die Pfer<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kavallerie<br />

und Artillerie, die auch das<br />

letzte Moos von <strong>de</strong>n Ste<strong>in</strong>en sowie<br />

die Blätter <strong><strong>de</strong>r</strong> Bäume abgewei<strong>de</strong>t hatten,<br />

vor Hunger die Er<strong>de</strong> fraßen und<br />

Tumulte <strong><strong>de</strong>r</strong> arg gebeutelten Zivilbevölkerung<br />

drohten, entschloss sich die<br />

sächsische Führung am 10. Oktober<br />

zum Ausbruch. Da sie nach wochenlanger<br />

Passivität endlich wie<strong><strong>de</strong>r</strong> agieren<br />

und ihr Schicksal aktiv gestalten<br />

konnten, zeigten sich die halb verhungerten<br />

Sachsen <strong>in</strong> dieser Situation<br />

ke<strong>in</strong>eswegs pessimistisch, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

waren »alle getrost« und »gar nicht<br />

verzagt«. In e<strong>in</strong>er »Betstun<strong>de</strong>« schöpften<br />

sie nochmals Mut – bezeichnend<br />

für <strong>de</strong>n Stellenwert <strong><strong>de</strong>r</strong> Religion zur<br />

Mobilisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> Kampfkraft auch <strong>in</strong><br />

schier ausweglosen Lagen.<br />

Ausbruch und Kapitulation<br />

Der Elbübergang <strong><strong>de</strong>r</strong> Armee am 12. Oktober<br />

geriet allerd<strong>in</strong>gs zum Desaster,<br />

da die Vorbereitungen von <strong>de</strong>n Preußen<br />

bemerkt wor<strong>de</strong>n waren. So fan<strong>de</strong>n<br />

die sächsischen Grenadiere, die als<br />

Elitetruppen an <strong><strong>de</strong>r</strong> Spitze <strong>de</strong>s Heeres<br />

marschierten, am gegenüberliegen<strong>de</strong>n<br />

Elbufer nicht die erhofften Österreicher,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n starke Verschanzungen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Preußen vor. Ohne Zelte, entkräftet<br />

und durchnässt stan<strong>de</strong>n die Soldaten<br />

die folgen<strong>de</strong>n Tage <strong>in</strong> notdürftiger<br />

Schlachtordnung. Man ernährte sich<br />

<strong>in</strong>zwischen von gekochtem Pu<strong><strong>de</strong>r</strong> und<br />

Pulver. Um die Armee vor <strong>de</strong>m sicheren<br />

Hungertod o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Vernichtung durch<br />

die Preußen zu bewahren, entschloss<br />

sich die sächsische Generalität daraufh<strong>in</strong><br />

am 16. Oktober zur Streckung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Waffen, wobei sich <strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>fache Soldat<br />

im für ihn schwer überschaubaren Gefüge<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Kriegsmasch<strong>in</strong>erie gera<strong>de</strong>zu<br />

»erbärmlich« fühlte.<br />

Die Kapitulationszeremonien ab <strong>de</strong>m<br />

folgen<strong>de</strong>n Tag entwickelten sich für<br />

die sächsische Armee jedoch zur Überraschung:<br />

Während Friedrich II. die<br />

Generalität und Offiziere auf ihr Ehrenwort<br />

frei ließ, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Mannschaften<br />

und Unteroffizieren nicht<br />

etwa <strong><strong>de</strong>r</strong> erwartete Status von Kriegsgefangenen<br />

zuerkannt. Zu ihrer Demütigung<br />

und zu e<strong>in</strong>em sichtbaren Symbol<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Unterwerfung unter <strong>de</strong>n Sieger<br />

mussten sie regimentsweise durch e<strong>in</strong><br />

Spalier aus preußischen Soldaten marschieren.<br />

Dass dies nicht ohne Spott<br />

und Häme seitens <strong><strong>de</strong>r</strong> Preußen ablief,<br />

liegt nahe. Auf e<strong>in</strong>em Platz wur<strong>de</strong>n sie<br />

anschließend von <strong>de</strong>n Soldaten Friedrichs<br />

II. bedrohlich umr<strong>in</strong>gt – und zur<br />

Ableistung <strong>de</strong>s preußischen Kriegsei<strong>de</strong>s<br />

gezwungen. Dies war e<strong>in</strong> für diese<br />

Epoche beispielloses Ereignis.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs hatte sich die h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihrer Menschenführung berüchtigte<br />

preußische Armee <strong>de</strong>m sächsischen<br />

»geme<strong>in</strong>en Mann« bereits unmittelbar<br />

nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Kapitulation von ihrer spendablen<br />

Seite gezeigt: Die halbverhungerten<br />

Soldaten erhielten sofort volle<br />

preußische Verpflegung.<br />

Die Hoffnung, durch mil<strong>de</strong> Behandlung<br />

Sympathien bei <strong>de</strong>n Sachsen geweckt<br />

zu haben, schien sich während<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Übernahmezeremonie zu bestätigen.<br />

Aufgrund ihrer totalen körperlichen<br />

und psychischen Erschöpfung<br />

sprachen die meisten kursächsischen<br />

Soldaten <strong>de</strong>n preußischen Kriegseid<br />

ohne langes Zögern nach. Sich weigern<strong>de</strong><br />

E<strong>in</strong>zelne g<strong>in</strong>gen eher <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Masse unter o<strong><strong>de</strong>r</strong> wur<strong>de</strong>n vom »Auditeur«,<br />

<strong>de</strong>m preußischen Offizier, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

die Kriegsartikel laut verlas, mit Flüchen<br />

und Drohungen bedacht, so dass<br />

sie rasch nachgaben.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische <strong>Bildung</strong> · Ausgabe 2/2007<br />

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