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Kleindenkmale als ikonographische Quelle historischer Werkzeuge

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AGAFE AGAFE - Mitteilungen<br />

<strong>Kleindenkmale</strong> <strong>als</strong> <strong>ikonographische</strong> <strong>Quelle</strong> <strong>historischer</strong> <strong>Werkzeuge</strong><br />

Berichtet wird über die weltliche Ikonographie<br />

mittelalterlicher und frühneuzeitlicher<br />

<strong>Kleindenkmale</strong> <strong>als</strong> <strong>Quelle</strong> zur Erforschung<br />

<strong>historischer</strong>, meist längst untergegangener<br />

<strong>Werkzeuge</strong> verschiedener Handwerke. Die<br />

Ergebnisse dieser langjährigen Arbeit wurden in<br />

ca. 200 wissenschaftlichen Publikationen<br />

veröffentlicht. Ihre Anerkennung fand die<br />

lebenslange Arbeit über historische <strong>Werkzeuge</strong> auf<br />

der Basis ihrer Ikonographie durch die Verleihung<br />

des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik<br />

Deutschland am Bande im Jahr 1996 und der<br />

goldenen Ehrennadel des Vereins für hessische<br />

Geschichte und Landeskunde im Jahr 1998.<br />

Vor der Alphabetisierung des 16. Jahrhunderts<br />

dienten Zeichen zur Übermittlung von Inhalten,<br />

insbesondere zur Kennzeichnung von Personen.<br />

Der Adel und das Patriziat führten vom 13. Jahrhundert<br />

an <strong>als</strong> Zeichen ihre Wappen, die Bauern<br />

Haus- und Hofmarken und die Handwerker<br />

vielfältige historische Handwerkszeichen. Diese<br />

historischen Handwerkszeichen setzten noch im<br />

ausgehenden Hochmittelalter, <strong>als</strong>o um 1200, ein.<br />

Als Elemente ihrer historischen Handwerkszeichen<br />

dienten den einzelnen Handwerken<br />

charakteristische <strong>Werkzeuge</strong>, selten Erzeugnisse.<br />

Zunächst genügte zur Kennzeichnung eines<br />

Handwerks in der Regel lediglich ein einziges<br />

Werkzeug, später waren es zwei, gelegentlich auch<br />

drei. Schließlich endete diese Entwicklung im<br />

Barock des 18. Jahrhunderts bei reich<br />

komponierten Zeichen bestehend aus einer Fülle<br />

von <strong>Werkzeuge</strong>n eines Handwerks.<br />

Mit den Denkmalen vergangener Jahrhunderte –<br />

Grabmale, Flurdenkmale und Hauszeichen –<br />

erschließt sich zugleich eine bisher ungenutzte<br />

<strong>Quelle</strong> zur Ikonographie <strong>historischer</strong> <strong>Werkzeuge</strong>,<br />

wobei uns diese in Stein gehauenen <strong>Werkzeuge</strong><br />

zumeist weit präziser überkommen sind <strong>als</strong> in den<br />

zeichnerischen Überlieferungen des Mittelalters<br />

und der frühen Neuzeit. Aus der Verbindung der in<br />

Stein gehauen überlieferten Zeugnisse mit<br />

einschlägigen Bodenfunden und den<br />

entsprechenden Objekten musealer Sammlungen,<br />

die bereits im 19. Jahrhundert zusammengetragen<br />

worden waren, lassen sich die Geschichten<br />

wichtiger <strong>Werkzeuge</strong> der verschiedenen<br />

Handwerke erschließen, wie sie bisher noch nicht<br />

erarbeitet wurden.<br />

In den vergangenen 40 Jahren habe ich versucht,<br />

Denkmale des Mittelalters und der frühen Neuzeit<br />

Friedrich Karl Azzola, Rüsselsheim * )<br />

19.Jahrgang (2000), Heft 1 - 11 -<br />

der Handwerker zusammenzutragen, ihre<br />

Werkzeug-Zeichen zu identifizieren, um sie den<br />

einzelnen Handwerken zuordnen zu können. Als<br />

wichtige Voraussetzung im Umgang mit den<br />

Werkzeug-Zeichen dienten mir meine Jahre <strong>als</strong><br />

Lehrling und Facharbeiter nach dem Kriege, wobei<br />

ich mich dam<strong>als</strong> gern der Werkzeug-Zurichtung<br />

widmete. Da ich Sägewerker gelernt hatte und<br />

noch heute eine Axt zu führen weiß, fiel mir der<br />

Einstieg bei den <strong>Werkzeuge</strong>n der verschiedenen<br />

holzverarbeitenden Handwerke am leichtesten.<br />

Von da aus erschloß ich mir Schritt für Schritt die<br />

Zeichen und <strong>Werkzeuge</strong> der verschiedenen<br />

Handwerke der Textiltechnik, insbesondere der<br />

Wollverarbeitung, der Müller und Bäcker, der<br />

Eisengewinnung und –verarbeitung (Bergleute,<br />

Eisenhüttenleute und Schmiede), der Metzger,<br />

Gerber und Schuhmacher, der Töpfer/Hafner und<br />

Ziegler, der Glasmacher und Glaser, der Maurer<br />

und Dachdecker, der Jäger, Fischer, Flößer und<br />

Schiffer und schließlich der Kaufleute.<br />

Weit verbreitet ist die Axt <strong>als</strong> Zeichen. Den<br />

Holzfäller kennzeichnet die mittelschwere Axt<br />

ausgezeichnet durch eine langen Stiel und einer<br />

kurzen Schneide. Langschneidige Äxte<br />

unterschiedlicher Ausführung sind Zeichen der<br />

Zimmerleute. Je langschneidiger eine Axt, desto<br />

besser gelingt das Ebnen einer zu behauenden<br />

Fläche von Kanthölzern und Balken sowie von<br />

Bohlen und Schiffsplanken.<br />

Die Verarbeitung der Wolle erfolgt dam<strong>als</strong> wie<br />

heute über mehrere Stufen. Zunächst muß man<br />

das gewaschene, klumpige Material zerfasern<br />

ohne die wertvolle Faserlänge zu kürzen. Hierzu<br />

diente der Fachbogen, ein über 2m langes<br />

Werkzeug, das an einen überdimensionierten<br />

Geigenbogen erinnert. Vor dem anschließenden<br />

Spinnen müssen die Fasern durch Streichen mit<br />

Kardätschen parallelisiert werden. Je dichter die<br />

vielen kleinen Häkchen der Kardätschen sitzen,<br />

desto besser gelingt das Parallelisieren der Fasern.<br />

Dank der kurzfasrigen Anteile erhält man einen<br />

mehr flauschig-rauhen Faden. Wollte man einen<br />

glatten Faden erzielen, so wäre der Kurzfaseranteil<br />

zu entfernen. Dies gelingt durch das Kämmen der<br />

Wolle mit zwei Wollkämmen. Danach wurde das zu<br />

spinnende Material auf einen Rocken gebunden<br />

und mit einer Handspindel gesponnen. Das<br />

Spinnrad kam erst im 16. Jahrhundert langsam<br />

auf. Sollte ein Wollgewebe wasserdicht sein, so<br />

mußte es zunächst in einer Tuchwalke/Walkmühle


AGAFE AGAFE - Mitteilungen<br />

Abb. 1 Das Distelkardenwappen<br />

eines spätmittelalterlichen<br />

Bildstockrestes im Hof<br />

des Schlosses Fürstenau in<br />

Steinbach bei Michelstadt<br />

(Odenwald).<br />

Abb. 4 Das verschollene<br />

Bruchstück des Steinkreuzes von<br />

Bad Soden-Salmünster mit<br />

einem Scherdegen und einer<br />

Sohle <strong>als</strong> Gerber- und<br />

Schuhmacherzeichen.<br />

verdichtet werden, anschließend wurde es mit<br />

Distelkarden naß gerauht und mit den um 1,30m<br />

langen, schweren Tuchscheren geschoren und<br />

anschließend in einer Tuchpresse gepreßt. –<br />

Leineweber bedienten sich eines Schiffchens <strong>als</strong><br />

Zeichen.<br />

Den Müllern diente die Haue <strong>als</strong> Zeichen, ein aus<br />

Stahl geschmiedetes Werkstück, das den<br />

Kraftschluß von der durch das Wasserrad<br />

angetriebenen Achse hin zum Läuferstein<br />

vermittelte. Die Zeichen der Bäcker waren<br />

zunächst der Schießer, gelegentlich eine<br />

kreisrunde Scheibe einen Laib Brot bedeutend und<br />

schließlich die bekannte Brezel.<br />

Abb. 2 Die Rückseite eines<br />

spätmittelalterlichen Scheibenkreuz-Grabsteins<br />

im Stadtmuseum<br />

von Butzbach mit einem<br />

Hammer und einer Kelle <strong>als</strong><br />

Maurerzeichen.<br />

Abb. 5 Ein Detail vom Schaft<br />

des Steinkreuzes bei<br />

Wachenheim/Weinstraße, 1512,<br />

mit einer Töpferschiene <strong>als</strong><br />

Zeichen.<br />

19.Jahrgang (2000), Heft 1 - 12 -<br />

Abb. 3 Das spätmittelalterliche<br />

Steinkreuz bei der Kirche von<br />

Dillstein an der Nagold nahe<br />

Pforzheim mit einem Fisch und<br />

einem Gaff <strong>als</strong> Fischerzeichen.<br />

Abb. 6 Die Spitzfläche <strong>als</strong><br />

Steinmetz-Handwerkszeichen<br />

vom verstümmelten Steinkreuz in<br />

Igersheim bei Bad Mergentheim.<br />

Noch heute sind Schlägel und Eisen <strong>als</strong> Zeichen<br />

der Bergleute bekannt, vergessen ist hingegen der<br />

Glätthaken der Eisenhüttenleute. Hammer und<br />

Zange sind Zeichen der Schmiede, bei den<br />

Hufschmieden kommt meist das Hufeisen hinzu.<br />

Das Zeichen der Metzger ist der Spalter, bei den<br />

Gerbern zunächst das Haareisen, ausnahmsweise<br />

der Scherdegen. Erst im 16. Jahrhundert kam es<br />

zur Trennung der Weißgerber von den Lohgerbern.<br />

Bei den Zeichen der Lohgerber sind zwei sich<br />

diagonal kreuzende Haar- bzw. Schabeisen mit<br />

einem Falzeisen, bei den Weißgerbern mit einem<br />

Stollmond kombiniert.


AGAFE AGAFE - Mitteilungen<br />

Abb. 7 Ein spätmittelalterliches<br />

Steinkreuz bei der Kirche von<br />

Zell nahe Ruhpolding mit einer<br />

Holzfälleraxt <strong>als</strong> Zeichen.<br />

Abb. 10 Das Steinkreuz bei<br />

Zavelstein im Kreis Calw von<br />

1447 mit einem Spinnrocken und<br />

eines Handspindel <strong>als</strong> Zeichen.<br />

Die lederverarbeitenden Berufe bedienten sich<br />

ihres historischen Halbmondes <strong>als</strong> Handwerkszeichen;<br />

er wird in abgewandelter Form noch<br />

heute von den Sattlern benutzt. Das Zeichen der<br />

Schuhmacher war zunächst meist eine Sohle. Sie<br />

wurde in der frühen Neuzeit durch einen Schuh<br />

Abb. 8 Eine spätmittelalterliche<br />

Kreuzplatte außen an der<br />

Stiftskirche von Backnang mit<br />

einer langschnei-digen<br />

Zimmermannsaxt <strong>als</strong> Zeichen.<br />

Abb. 11 Das Steinkreuz, um<br />

1500, vor dem Kirchhof von<br />

Großbirkach in Franken mit<br />

einem Weberschiffchen <strong>als</strong><br />

Leinweber-Zeichen.<br />

19.Jahrgang (2000), Heft 1 - 13 -<br />

Abb. 9 Ein Grab-Steinkreuz,<br />

um 1500, im Stadtmuseum von<br />

Andernach mit einem Hammer,<br />

einer Zange und einem Hufeisen<br />

<strong>als</strong> Hufschmiedezeichen.<br />

Abb. 12 Das Steinkreuz, um<br />

1550, bei Birkenfeld nahe<br />

Pforzheim mit einer Spaltklinge<br />

<strong>als</strong> Küferzeichen.<br />

ersetzt und mit einem Halbmond kombiniert<br />

Das mittelalterliche Zeichen der Töpfer/Hafner war<br />

eine Schiene, die sich bis ca. 1800 halten konnte<br />

und erst danach durch Schienen anderer Kontur<br />

ersetzt wurde. Die Ziegler bedienten sich zweier


AGAFE AGAFE - Mitteilungen<br />

Eisen <strong>als</strong> Zeichen, worin Bieberschwänze bzw.<br />

Hohlziegel ausgestrichen wurden. Das Zeichen der<br />

Glasmacher war die Pfeife, der Glaser ihr<br />

spezieller halbmondförmiger Hammer sowie ihr<br />

Lötkolben und ihr Kröseleisen.<br />

Den Jägern diente das Jagdhorn bzw. der<br />

Jagdspieß oder die Armbrust <strong>als</strong> Zeichen, den<br />

Fischern das Gaff, womit Fische aus dem Wasser<br />

herausgehoben wurden, den Flößern und Schiffern<br />

der Bootshaken.<br />

Eine erste knappe, zusammenfassende Übersicht<br />

unter dem Titel „Spätmittelalterliche Steinkreuze<br />

und Kreuzsteine der Handwerker“ erschien im 32.<br />

Band (1997/98) der Zeitschrift „Rheinisches<br />

Jahrbuch für Volkskunde“ auf den Seiten 171-187<br />

mit 79 Zitaten wichtiger, eigener Arbeiten bis 1996<br />

und 19 entsprechenden Abbildungen.<br />

19.Jahrgang (2000), Heft 1 - 14 -<br />

Da Vollständigkeit unerreichbar ist, wird sich die<br />

künftige Arbeit auf das Schließen noch<br />

vorhandener Lücken beschränken, um eine<br />

zusammenfassende Darstellung der vielen<br />

historischen <strong>Werkzeuge</strong> auf der Basis ihrer in Stein<br />

gehauenen <strong>ikonographische</strong>n <strong>Quelle</strong>n vorlegen zu<br />

können.<br />

* )<br />

Prof. Dr. rer. nat.<br />

Friedrich Karl Azzola,<br />

Fachbereich Mathematik,<br />

Naturwissenschaften,<br />

Datenverarbeitung,<br />

Umwelttechnik<br />

Fachhochschule Wiesbaden

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