Homo Creator - Impulse
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Christen sollten Menschen sein, die kreativ leben, innovativ denken und nicht zuletzt<br />
die Kunst als intensive Ausdrucksform dieser Kreativität fördern.<br />
spezifisch menschliches „Bildvermögen“ Ausdruck,<br />
dessen Bedeutung der Philosoph Hans<br />
Jonas so zusammenfasst: „Das Bild sagt uns,<br />
dass hier ein Wesen den Inhalt seiner Anschauung<br />
sich selbst darstellt, variiert und um neue<br />
Formen vermehrt – und damit eine neue Objektwelt<br />
des Dargestellten … erzeugt“, die<br />
„jenseits der stofflichen Welt seiner Bedürfnisbefriedigung“<br />
liegt.<br />
Wenn nun die menschliche Kreativität vom<br />
biblischen Denken her als prinzipiell „gut“ zu<br />
begreifen ist, dann gilt dies auch für deren spezielle<br />
Ausprägung in der Kunst. Darum ist es<br />
schlichtweg fatal, wenn Kunst im christlichen<br />
Raum erst als Mittel zum Zweck der Verkündigung<br />
oder ausschließlich als eine mit spezifisch<br />
christlichen Themen befasste Kunst Wertschätzung<br />
und Anerkennung findet. Entsprechend<br />
plädiert z.B. der Sprach- und Kulturdenker Friso<br />
Melzer dafür, bei der Rede von ‚christlicher<br />
Kunst’ nicht so sehr den (gemalten) Gegenstand,<br />
sondern vielmehr den Künstler im Blick<br />
zu haben: „Wir dürfen nicht sagen: Alle Kunst,<br />
die Jesus abbildet, Engel gestaltet und gefaltete<br />
Hände zeigt, sei damit bereits als christlich<br />
ausgewiesen. Mit dem Wort ‚christlich’ zielen<br />
wir auf den Künstler und meinen den Christen<br />
als Künstler. Ob er nun einen Kruzifixus schnitzt<br />
oder malt oder ob er ein Stillleben von Blumen<br />
schafft: wenn er es als Christ tut, so dürfen wir<br />
von ‚christlicher Kunst’ sprechen, eben als abgekürzte<br />
Redeweise für: Kunst eines Christen.“<br />
Doch es wäre einseitig, den Blick nur auf den<br />
Künstler zu richten und nicht auch auf das, was<br />
in einem Kunstwerk zur Darstellung kommt und<br />
wie sich die Wirklichkeit darin spiegelt. Deshalb<br />
formuliert Melzer in Ergänzung zur ersten<br />
Aussage: „Eine Kunst, die aus dem Unglauben,<br />
aber aus großer Lebensnähe kommt, steht der<br />
Kirche näher als eine religiöse Kunst, die aus einer<br />
Scheinwelt erdichteter Frömmigkeit lebt.“<br />
Findet dieser hohe Stellenwert von Kunst und<br />
Imagination auch in der Geschichte Israels und<br />
der christlichen Gemeinde seinen Niederschlag?<br />
Leland Ryken nennt vier biblische Linien:<br />
1. Gott wird in biblischen Texten als der Schöpfer<br />
von „Bildern“ dargestellt: Die von ihm geschaffenen<br />
Objekte der natürlichen Welt vermitteln<br />
Wahrheit über Gott (Ps 19,1-4; Röm<br />
1,19f), ebenso wie der Mensch, der das Eben-<br />
Bild Gottes ist. Das neutestamentliche Gegenstück<br />
zur „Bildhaftigkeit“ der Schöpfung ist<br />
der fleischgewordene Christus, Gott in menschlicher<br />
Gestalt und Anschauung.<br />
2. Die Bibel selbst ist ein literarisches Produkt.<br />
Sie ist kein theologisches Werk mit Belegstellen<br />
und Verweisen, sondern besteht zum ganz<br />
großen Teil aus Erzählungen, Poesie, Visionen<br />
und Briefen – alles literarische Formen. Darüber<br />
hinaus hat Jesus selbst häufig in Gleichnissen<br />
und Bildern gesprochen.<br />
3. Abendmahl und Taufe, von Christus eingesetzt<br />
und nach evangelischem wie katholischem<br />
Verständnis Sakramente, bekräftigen<br />
den zeichen- und symbolschöpferischen Impuls<br />
der Kunst.<br />
4. Die Darstellung jüdisch-alttestamentlicher<br />
Gottesdienste unterstreicht die Wichtigkeit der<br />
Kunst und der ihr zugrunde liegenden Imagination.<br />
Die Anbetung Gottes ist dort umgeben von<br />
einem Reichtum an Musik und an visueller sowie<br />
verbaler Kunst. Ein Beispiel: Vor dem Jerusalemer<br />
Tempel befanden sich zwei riesige<br />
frei stehende Bronzesäulen, die keine architektonische<br />
Funktion hatten; sie sollten „nur“<br />
schön sein und durch ihre ästhetischen Eigenschaften<br />
etwas von der Erhabenheit, Beständigkeit<br />
und Macht Gottes veranschaulichen (1 Kön<br />
7,15-22). Diese Säulen sind ein Beispiel der<br />
abstrakten oder nichtgegenständlichen Kunst<br />
im damaligen jüdischen Tempel.<br />
Daneben gab es symbolische und gegenständliche<br />
Kunst, die verschiedene Darstellungen<br />
natürlicher und religiöser Objekte<br />
umfasste – beispielsweise Skulpturen von geflügelten<br />
Cherubim in der Stiftshütte und im<br />
Tempel (vgl. 2 Mo 25,18-20; 26,31; 1 Kön<br />
7,29). Besonders die Stiftshütte war mit reicher<br />
künstlerischer Schönheit ausgestattet (vgl.<br />
2 Mo 25-31; 35-39). Darüber hinaus bildete<br />
der Tanz eine künstlerische Form, die sich im<br />
Kontext der Anbetung Gottes findet: „Loben sollen<br />
sie seinen Namen beim Reigen, mit Tamburin<br />
und Zither sollen sie ihm spielen!“ (Ps 149,3;<br />
vgl. 2 Mo 15,20; 2 Sam 6,14-16). Besonders aufschlussreich<br />
ist es, dass die Kunstschaffenden als<br />
vom Geist Gottes erfüllt bezeichnet werden (vgl.<br />
2 Mo 28,3; 31,3-5), was die geistliche Dimension<br />
ihres Schaffens, wie letztendlich der gesamten<br />
Geschöpflichkeit des Menschen erkennbar<br />
macht: „Alles ist euer, ihr aber seid Christi“<br />
(1 Kor 3,22f).<br />
Lebenskunst<br />
Kreativität hat über die dargestellten Zusammenhänge<br />
hinaus auch einen elementaren<br />
Bezug zum persönlichen Leben des Einzelnen.<br />
Nicht zufällig sprechen wir von „Lebenskunst“<br />
– der Kunst, das eigene Leben sinnvoll<br />
und schön zu gestalten. Francis Schaeffer<br />
weist in seiner kleinen Schrift „Kunst und die<br />
Bibel“ darauf hin: „In einem sehr realen Sinne<br />
ist es das christliche Leben selbst, das unser<br />
größtes Kunstwerk darstellen sollte. Selbst für<br />
den großen Künstler ist das entscheidendste<br />
Kunstwerk sein Leben“. Auch und gerade diese<br />
Lebens-Kunst hat eminent viel mit Gott, dem<br />
Schöpfer, zu tun.<br />
Kreativität und schöpferisches Wirken können<br />
nicht nur das Faible einiger weniger sein,<br />
sondern sind Kennzeichen unseres geschöpflichen<br />
Menschseins und darum auch unseres<br />
Christseins. Allen voran sollten Christen Menschen<br />
sein, die aufgrund ihres Wissens um den<br />
liebenden Schöpfer kreativ leben und innovativ<br />
denken und nicht zuletzt die Kunst als intensive<br />
Ausdrucksform dieser Kreativität fördern.<br />
Grundlegend aber bleibt: Die persönliche Lebensgestaltung,<br />
die tagtägliche Arbeit und auch<br />
das gemeinschaftliche Leben als christliche Gemeinde<br />
wollen erfüllt sein von der Gegenwart<br />
dessen, der der <strong>Creator</strong> Spiritus, der Schöpfergeist<br />
ist. Er befähigt zu kreativem, grenzüberschreitendem<br />
und gottgemäßem Leben: „Mit<br />
meinem Gott kann ich über Mauern springen”<br />
(Ps 18,30).<br />
Dr. Jochen Walldorf ist Schulpfarrer und<br />
Schulseelsorger, er ist verheiratet und hat drei<br />
Kinder. Dieser Artikel ist ein überarbeiteter<br />
und leicht gekürzter Nachdruck aus: Porta 66<br />
(2/2000). Der Autor hat dem Nachdruck zugestimmt.<br />
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