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34. Jahrgang 105. Ausgabe Ostern 2005 - auf der überarbeiteten ...

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Erinnerungen an den 21./22. Januar 1945<br />

Hartmut Krause, stellvertreten<strong>der</strong> Kreisvertreter, geboren am 21.8.1939,<br />

früher wohnhaft in Mohrungen, Veitstraße 3, ging als Fünfjähriger mit seiner<br />

Mutter <strong>auf</strong> die Flucht. Aus seinen Erinnerungen bringen wir hier einen<br />

Auszug:<br />

Es war Sonntag, <strong>der</strong> 21. Januar 1945, gegen 7 Uhr abends, als im ganzen Haus<br />

gleichzeitig Sturm geklingelt wurde. Kurz dar<strong>auf</strong> rief eine Männerstimme dröhnend<br />

durch das ganze Treppenhaus: „Räumungsbefehl !!“<br />

Die Frontlinien hatten Ende 1944 noch am Narew in Polen und im Osten bei<br />

Goldap gelegen. Am 14. Januar 1945 setzte Frostwetter ein, und es gelang den<br />

Russen ab dem 19. Januar in einer Großoffensive über die zahlreichen zugefrorenen<br />

Flüsse und Sümpfe ein ungeahnt schneller Vormarsch. Am 20. Januar war<br />

bereits Neidenburg erreicht, und am 21.1. standen die Russen vor Osterode/<br />

Ostpreußen, nur 25 Kilometer von Mohrungen entfernt.<br />

Meine Mutter hatte den ganzen Sonntag über an einem Rucksack aus Leinenstoff<br />

genäht und war gerade zu Frau Kahrer in den 2. Stock gegangen, um einen<br />

Knopflochbohrer zu holen. „Lassen Sie sein, Frau Kahrer“, sagte sie, „ich mache<br />

den Rucksack mit Sicherheitsnadeln zu.“ Eilig wurde er nun noch vollgepackt.<br />

Zwei Koffer, eingenäht in Luftschutzvorhänge, standen schon seit Tagen gepackt<br />

bereit. Auch für mich war ein kleiner Rucksack gepackt, sowie zwei Eink<strong>auf</strong>staschen,<br />

die ich zu tragen hatte.<br />

„Ich lege noch schnell eine frische Tischdecke <strong>auf</strong>“, sagte meine Mutter völlig unsinnig.<br />

„Wir sollten noch einen Kalen<strong>der</strong> und eine Uhr mitnehmen“, sagte ich in<br />

<strong>der</strong> allgemeinen Aufregung.<br />

Meine Mutter zog zwei Mäntel übereinan<strong>der</strong> und ich selbst mußte lange Strümpfe<br />

und zwei Skihosen, Pullover und einen langen Mantel nebst dicker Wollmütze<br />

anziehen. Um den Hals bekam ich einen an einem dicken Bindfaden hängenden<br />

Paketanhänger, <strong>der</strong> mit meinem Namen, Geburtsdatum, den Namen <strong>der</strong> Eltern<br />

und <strong>der</strong> Adresse, Mohrungen, Veitstraße 3, versehen war. Dies war so propagiert<br />

worden und eine sinnreiche Idee, denn die Gefahr, von den Eltern getrennt<br />

zu werden und durch Schock alles zu vergessen, war bei Kin<strong>der</strong>n beson<strong>der</strong>s<br />

groß.<br />

So traten wir mit unserem schweren Gepäck, gefolgt und unterstützt von unserem<br />

Nachbarrn Herrn Rosewicz und den drei Krankenschwester, die in unserer<br />

Wohnung einquartiert waren, <strong>auf</strong> die tief verschneite Straße. Es war eisig kalt,<br />

mindestens minus 18 Grad.<br />

Auch aus den Nachbarhäusern strömten nun die Menschen und standen hilflos<br />

und unschlüssig herum.<br />

In <strong>der</strong> Veitstraße waren zwischenzeitlich Militär-Lastwagen <strong>auf</strong>gefahren. Aufgeregte<br />

Männer mit Armbinden gaben das Kommando und verwehrten jedem, <strong>der</strong><br />

nicht überprüft war, das Aufsteigen.<br />

„Nur für Frauen mit drei und mehr Kin<strong>der</strong>n“, lautete die Parole, „wir bringen sie<br />

zur Küste zu einem Schiff!“<br />

Hier kamen wir nicht mit, das war klar! „Und <strong>auf</strong> ein Schiff gehe ich unter keinen<br />

Umständen“, sagte meine Mutter mutig. Also was tun?<br />

Ob wohl noch ein Zug fährt? Kurz entschlossen ließ mich meine Mutter bei Herrn<br />

Rosewicz, dem ich sehr vertraute, stehen und lief zum Bahnhof. Hier war kein<br />

Schalter mehr besetzt, kein Bahnhofsvorsteher mehr zu sehen. Doch <strong>auf</strong> einem<br />

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