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Die sonderbarste Muschelgruppe<br />

der Erdgeschichte<br />

Stefan Götz<br />

Sie sind auf den ersten und selbst auf den zweiten Blick nicht leicht als Muscheln<br />

zu erkennen. Ihr Bauplan ist spektakulär, denn Rudisten, die zur Bivalven-Superfamilie<br />

Hippuritoidea gehören, entwickelten spezialisierte Formen<br />

mit innenliegendem oder zurückgebildetem Ligament, was eine Entrollung<br />

der Schale und sehr variable Wuchsformen ermöglichte.<br />

Große Klappen und variable Formen<br />

Zu den auffälligsten Merkmalen der Rudisten<br />

gehören jedoch die sehr ungleich großen<br />

Klappen. Manche Familien bauten komplizierte<br />

Hohlkammerschalen mit Bienenwaben-Struktur<br />

oder ein kompliziertes Kanalsystem.<br />

Auch die Entwicklung kegelförmiger<br />

oder aufragender, sehr schnell wachsender<br />

Gehäuse ist auffällig, sie stellt wohl eine<br />

Anpassung an hohe Sedimentationsraten<br />

dar. Die Größe ausgewachsener Rudisten<br />

schwankt zwischen zwei Metern und wenig<br />

mehr als einem Zentimeter. Sämtliche Rudisten<br />

waren sessil und lebten entweder an<br />

Hartsubstrat festzementiert, darauf liegend,<br />

oder im Weichsubstrat steckend. Rudisten<br />

wurden im Verlauf der Kreide zu den wichtigsten<br />

Riffbildnern und benthischen Karbonatproduzenten<br />

der tropischen und subtropischen<br />

Flachmeere. Über 1000 Arten<br />

besiedelten ab dem Oberjura bis zu ihrem<br />

Aussterben an der Kreide/Tertiär-Grenze<br />

die warmen Küstenbereiche der Tropen und<br />

Subtropen. Dabei bildeten sie sowohl komplexe<br />

Riffe, zusammen mit Korallen und inkrustierenden<br />

Algen, als auch ausgedehnte<br />

Riffe, die ausschließlich aus einer einzigen<br />

Rudistenart bestanden. Ihre rasche Evolution<br />

und große Formenvielfalt macht sie zu regional<br />

wertvollen Leitfossilien. Ihre Neigung<br />

Abb. 1: Einige Schalenformen von Rudisten im Vergleich zu „normalen” Muscheln. Rechte Klappen sind<br />

gelb, linke Klappen blau markiert. Obere Reihe von links: „normale” Muschel (Fam. Unionidae); Rudisten:<br />

Diceras (bei Diceratidae konnte entweder die rechte oder die linke Klappe als Deckelklappe fungieren),<br />

Radiolites, Durania, Lapeirousia (Radiolitidae). Untere Reihe von links: Plagioptychus (Plagioptychidae),<br />

Caprinula (Caprinidae), Titanosarcolites (Antillocaprinidae), Ichthyosarcolites (Ichthyosarcolitidae), Toucasia<br />

(Requieniidae), Torreites, Vaccinites (Hippuritidae). (Verändert nach Schumann & Steuber 1997.)<br />

Paläontologie aktuell – Berichte aus Forschung und Wissenschaft


zur Bildung endemischer (ortsgebundener)<br />

Formen und ihre hohe morphologische Variabilität<br />

in Abhängigkeit von Umwelteinflüssen<br />

erschweren jedoch oftmals ihre taxonomische<br />

Bearbeitung.<br />

Als direkte Karbonatproduzenten, aber vor<br />

allem auch als Schalenschutt-Lieferanten<br />

waren Rudisten an der Bildung kilometermächtiger<br />

Karbonatgesteins-Abfolgen beteiligt.<br />

Die von Rudisten gebildeten Riffgürtel<br />

der Oberen Unterkreide auf der Arabischen<br />

Halbinsel stellen heute aufgrund ihrer hohen<br />

Porosität und Permeabilität wichtige Erdöl-<br />

Speichergesteine dar.<br />

der Regel einzeln gesammelt, Informationen<br />

über Beziehungen zu benachbarten Tieren<br />

gehen damit verloren. Sehr kleine/junge Individuen<br />

sind zudem schlecht erhaltungsfähig<br />

und lassen sich nicht in ausreichender<br />

Anzahl sammeln, um paläobiologische<br />

Aussagen treffen zu können. Es fehlte also<br />

eine Methode, die eine so große Anzahl von<br />

Einzelbefunden liefert, dass man diese auch<br />

quantitativ auswerten kann, ohne den räumlichen<br />

und zeitlichen Bezug zwischen den<br />

<strong>Fossilien</strong> zu verlieren.<br />

Paläobiologie mit vielen Fragen<br />

Während zu Taxonomie, Stratigraphie und<br />

Sedimentologie von Rudisten und Rudistenriffen<br />

eine Vielzahl von Arbeiten existiert,<br />

ist über die Paläobiologie der Rudisten<br />

sehr wenig bekannt. Fragen nach Fortpflanzungs-<br />

und Besiedelungsstrategien, zur Juvenilsterblichkeit,<br />

aber auch zur morphologischen<br />

Veränderung von Schalen- und<br />

Schloßmerkmalen in der ontogenetischen<br />

Entwicklung, blieben bislang unbeantwortet.<br />

Auch über die Vorgänge zwischen den<br />

Einzelindividuen im engen Riffverband war<br />

bislang nichts bekannt.<br />

Dieser Mangel an paläobiologischen Daten<br />

hatte mehrere Gründe: Rudisten werden in<br />

Abb. 2: Rechts: Die Rudistengattung Coralliochama aus der Oberkreide der mexikanischen Westküste,<br />

das Taschenmesser ist 9 cm hoch. Oben rechts: Gefunden! Ein Kollege hält ein Vaccinites-Prachtexemplar<br />

in der Hand. Links unten: Große Rudisten der Gattung Vaccinites ragen aus dem Fels. Blick auf<br />

die Schichtunterseite (Spanische Pyrenäen).<br />

Paläontologie aktuell – Berichte aus Forschung und Wissenschaft


Scheibchenweise quantitative Daten<br />

Paläobiologische Informationen z.B. zu Reproduktion,<br />

Larvenbesatz, Sterblichkeit im<br />

Riffverband oder auch die frühontogenetische<br />

Entwicklung von Individuen resultieren<br />

aus Prozessen, die sich sowohl räumlich<br />

als auch in ihrer zeitlichen Entwicklung im<br />

Gestein dokumentieren. Daten lassen sich<br />

also nicht durch konventionelle, zweidimensionale<br />

Gesteinsdünnschliffe gewinnen,<br />

sondern nur auf der Basis von dreidimensional<br />

erhobenen Datensätzen. Dazu<br />

wende ich an den Universitäten Karlsruhe<br />

und Heidelberg eine schleiftomographische<br />

Methode an. Sie liefert beliebig viele<br />

Schlifflagen durch einen Gesteinsblock, in<br />

dem sich im Idealfall mehrere hundert Rudisten<br />

im orginalen Riffverband befinden.<br />

Wie ungestört dieser ist, stellt sich jedoch<br />

erst bei der Auswertung der Bilder heraus.<br />

Die Probennahme ist also auch ein wenig<br />

Glücksache.<br />

Während die Präzisions-Flachschleifmaschine<br />

schrittweise den Gesteinsblock µmgenau<br />

poliert, wird nach jedem Schleifdurchgang<br />

die Oberfläche auf einem<br />

hochauflösenden Flachbettscanner in einem<br />

speziell angefertigten Wasserbad gescannt.<br />

Ist der Riffblock komplett verschwunden,<br />

besitzen wir einen Stapel von<br />

Oberflächenbildern für die dreidimensionale<br />

Auswertung. Die methodische Genauigkeit<br />

erlaubt die Darstellung von Objekten<br />

die größer sind als 0,03 mm.<br />

Zählen und Messen ohne Ende<br />

Der mühsame Teil der Arbeit beginnt jedoch<br />

erst jetzt: Auf jeder (Bild)Ebene werden Anzahl,<br />

Position und Durchmesser der Rudisten<br />

bestimmt, dazu die Größe der Flächen zwischen<br />

den Tieren und einige Parameter mehr.<br />

Hat man dies alles auf den vielen hundert bis<br />

über tausend Ebenen dokumentiert, aus denen<br />

ein Riffblock besteht, erhält man ein Tabellenwerk,<br />

das vom Anheftungszeitpunkt der<br />

Larve bis zum Tod des erwachsenen Tieres<br />

über das Schicksal aller Tiere im Riffverband<br />

Aufschluss gibt. Erstmals in der Paläontologie<br />

Abb. 3: Ausschnitte aus Schleifebenen von vier unterschiedlichen Rudistenriffen. Von oben links nach<br />

unten rechts: Biradiolites, Radiolites, Monopleura, Hippuritella. Maßstab = 1 cm. Alle Fotos: S. Götz.<br />

zusammengestellt von Mitgliedern der Paläontologischen Gesellschaft<br />

217


Abb. 4: Entwicklung und Verwandtschaftsbeziehungen (Phylogenie) der wichtigsten Rudistenfamilien.<br />

Wichtige evolutionäre Innovationen sind durch Sterne gekennzeichnet. Pfeile weisen auf Aussterbeereignisse<br />

hin.<br />

kann man nun endlich die spannenden paläobiologischen<br />

Fragen beantworten, über die<br />

bislang nur spekuliert wurde:<br />

• „Wie und wann reproduzierten Rudisten,<br />

was steuerte die Zyklizität der Reproduktion?”<br />

– Über das Reproduktionsverhalten der Rudisten<br />

gab es bislang keinerlei Kenntnisse. Jetzt<br />

haben wir jedoch quantitative Daten zur räumlich-zeitlichen<br />

Verteilung von frisch angehefteten<br />

Rudistenlarven. Sie zeigen, dass manche<br />

Rudisten der Familie Hippuritidae (z. B. Hippuritella<br />

vasseuri) eine zyklische, wahrscheinlich<br />

saisonale Reproduktion besaßen. Radiolitiden<br />

zeigen dagegen keine Zyklizität. Ob<br />

diese Reproduktionszyklen jährlich oder halbjährlich<br />

erfolgten, inwieweit diese Zyklizität<br />

gattungsspezifisch ist oder von den<br />

damals herrschenden Umweltfaktoren gesteuert<br />

wurde, wird nun an weiteren Proben überprüft.<br />

• „Was sagt die Juvenilsterblichkeit über die<br />

‚Gesundheit‘ eines Riffes aus?” – Bislang ist<br />

die Evaluation des (Gesundheits-) Zustandes<br />

fossiler Riffe bestenfalls indirekt bzw. qualitativ<br />

möglich (Riffwachstum/kein Riffwachstum,<br />

oder ein Wechsel in der Zusammensetzung<br />

der Faunen). Nun wissen wir, dass sich<br />

das Absterben eines Rudistenriffes durch eine<br />

stark ansteigende Juvenil-Sterblichkeit oder<br />

aber durch das Ausbleiben von Nachwuchs<br />

frühzeitig ankündigt. Frühontogenetische<br />

Sterblichkeitsraten dokumentieren also Umweltveränderungen<br />

im Verlauf des Riffwachstums,<br />

die bislang nicht nachweisbar waren.<br />

Paläontologie aktuell – Berichte aus Forschung und Wissenschaft


Interessant ist auch, dass Altersstruktur, Besiedelungsdichte<br />

und die entsprechenden<br />

Sterblichkeitsraten, also die Populationsdynamik,<br />

denen ähneln, die wir aus der heutigen<br />

Austernzucht kennen.<br />

• „Wie sehen Larval- oder frühontogenetische<br />

Schalen aus? Sind ihre Schalenmerkmale phylogenetisch<br />

(stammesgeschichtlich) interpretierbar?”<br />

– Die Taxonomie von Rudisten beruht<br />

im wesentlichen auf Schalenmerkmalen,<br />

die anhand von Horizontalschnitten knapp<br />

unterhalb der Kontaktfläche beider Klappen,<br />

der Kommissurlinie, untersucht werden.<br />

Dabei sind Form und Anordnung von<br />

Schloss, Myophor- und Ligamentmerkmalen<br />

besonders wichtig. Serienscans lieferten<br />

nun erstmals solche Kommissur-Horizontalschnitte<br />

auch von nur millimetergroßen, sehr<br />

jungen Rudisten. Diese zeigten im Vergleich<br />

zum erwachsenen Tier überraschenderweise<br />

abweichende Schloss-, Myophor- und Ligamentmerkmale,<br />

die denen einer stammesgeschichtlich<br />

älteren Rudistenfamilie ähneln.<br />

Diese Ergebnisse legen nahe, dass zum Beispiel<br />

der Ursprung der Hippuritiden in der<br />

Familie der Polyconitidae liegt.<br />

Alles eine Frage des Aufwandes<br />

Das schrittweise Abschleifen und Digitalisieren<br />

von Rudisten im ursprünglichen Riffverband<br />

lieferte in den letzten Jahren überraschende<br />

und faszinierende Einblicke in die<br />

Biologie einer ausgestorbenen Organismengruppe.<br />

Einblicke, die mit klassischen paläontologischen<br />

Methoden nicht möglich wären.<br />

Dennoch zeigen sich auch Grenzen des<br />

Machbaren. Vom Eingießen über Schleifen<br />

und Digitalisieren bis zum Ende der Zählund<br />

Messarbeiten vergeht je nach Blockgröße<br />

bis zu ein Jahr. Pro Block müssen bis zu<br />

300.000 Rudisten-Querschnitte am Computer<br />

gesichtet werden. Eine ermüdende<br />

und kostenintensive Arbeit. Bildlich gesprochen<br />

erzwingen wir den Lotto-Hauptgewinn<br />

durch das massenhafte Ausfüllen von<br />

Lottoscheinen. Ein hoher Aufwand – ohne<br />

die Geldmittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

wäre er nicht zu leisten. Das<br />

Verständnis der sonderbarsten und wirtschaftlich<br />

bedeutendsten Muschelgruppe<br />

der Erdgeschichte ist der Lohn.<br />

Literatur<br />

Götz, S. (2007): Inside rudist ecosystems: growth, reproduction<br />

and population dynamics. SEPM Spec.<br />

Publ. 87 97-113.<br />

Götz, S. & W. Stinnesbeck (2003): Reproductive<br />

cycles, larval mortality and population dynamics of<br />

a Late Cretaceous hippuritid association: a new approach<br />

to the biology of rudists based on quantitative<br />

three-dimensional analysis. Terra Nova 15: 392- 397.<br />

Götz, S. (2003): Biotic interaction and synecology in a<br />

Late Cretaceous coral-rudist-biostrome of southeastern<br />

Spain. Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology<br />

193: 125-138.<br />

Götz, S. (2003): Larva settlement and ontogenetic development<br />

of Hippuritella resecta (Defrance) (Hippuritacea,<br />

Bivalvia). Geologia Croatica 56: 123-131.<br />

Schumann, D. & T. Steuber (1997): Rudisten – Erfolgreiche<br />

Siedler und Riffbauer der Kreidezeit. Kleine<br />

Senckenberg-Reihe Nr. 24: 117-122.<br />

Goetz, S.: The most extraordinary group of bivalves in the history of the earth<br />

Rudists are an extinct group of bizarre-shaped, heavily calcified heterodont bivalves. After modifying their hinge and<br />

ligament system, allowing uncoiled growth of their inequivalve shells, they became important shallow-water dwellers<br />

and settled in a wide range of lagoonal to shallow marine shelf environments. Rudists evolved in the late Jurassic<br />

and diversified into late Cretaceous times, yielding more than a thousand species. They were also the most important<br />

benthic carbonate producers and reef builders in the Cretaceous. Although the taxonomy and sedimentology of rudist<br />

associations is well documented, only few is known about their paleobiology. We elucidate rudist paleobiology<br />

by applying a serial grinding tomograpy method. Based on digital image data rudist reef blocks are mapped threedimensionally<br />

on a sub-mm scale. Time-consuming, high-resolution quantitative analysis of the rudist individuals<br />

inside the block allows a detailed evaluation of reproductive cycles, population dynamics, recruitment and mortality<br />

and their relationship to the environment. In addition, early ontogenetic myocardinal features provide additional<br />

phylogenetic evidence that the hippuritid rudist family derived from the polyconitids.<br />

Mitglieder der Paläontologischen Gesellschaft berichten<br />

aus Forschung und Wissenschaft.<br />

Der 1912 in Greifswald gegründeten Paläontologischen Gesellschaft gehören heute<br />

mehr als 1000 Paläontologen, Geologen, Biologen, Ur- und Frühgeschichtler, aber<br />

auch zahlreiche Hobbypaläontologen an. Seit 1984 wurde bereits 19mal die Karl-Alfred-von-Zittel-Medaille<br />

der Gesellschaft an verdiente Hobbypaläontologen verliehen.<br />

www.palaeontologische-gesellschaft.de • www.palges.de<br />

Spezielle Fragen zu <strong>Fossilien</strong>, regionaler Geologie und Paläontologie werden von kompetenten Ansprechpartnern<br />

aus der Paläontologischen Gesellschaft beantwortet unter:<br />

www.palaeontologische-gesellschaft.de/palges/kontakt/frag.html<br />

zusammengestellt von Mitgliedern der Paläontologischen Gesellschaft<br />

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