13.07.2012 Aufrufe

Vortragsreihe „Quo vadis, Kinderbuch

Vortragsreihe „Quo vadis, Kinderbuch

Vortragsreihe „Quo vadis, Kinderbuch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Vortragsreihe</strong> <strong>„Quo</strong> <strong>vadis</strong>, <strong>Kinderbuch</strong>? – Gegenwart und Zukunft der Literatur<br />

für junge Leser“<br />

LMU München, Studiengang Buchwissenschaft<br />

WS 2008/09<br />

Datum: 2. Dezember 2008<br />

Zeit: 18 bis 20 Uhr<br />

Ort: Schellingstraße 3, Rgb., Raum 306<br />

Protokollant: David Bergedieck<br />

Vortragende: Ingrid Rösli (Mitbegründerin und Verlagsleiterin des Bajazzo<br />

Verlags, Zürich, dort verantwortlich für Vertrieb, Presse, Werbung, Herstellung)<br />

Thema: Sie machen den Buchmarkt bunter – Bedeutung und Problematik von<br />

Kleinverlagen am Beispiel „Bajazzo“<br />

Verlagsgeschichte<br />

Der Bajazzo Verlag, 1998 in Zürich von Ingrid Rösli und Thomas Minssen vorerst<br />

unter dem Namen Palazzo Verlag gegründet, besteht nun seit zehn Jahren als erfolgreicher<br />

unabhängiger Verlag. Der Verlagsname wurde aufgrund der Ähnlichkeit mit<br />

einem anderen Verlagsnamen („aus markenrechtlichen Gründen“) im Jahre 2000 in<br />

Bajazzo Verlag umgetauft. Im Schnitt erschienen jährlich zwischen zehn und zwölf<br />

Titeln aus dem Bereich Kinder- und Jugendbuch bzw. Bilderbuch. Bis dato wurden<br />

102 Titel produziert, von denen derzeit 65 lieferbar sind. Im letzten Jahr (2007)<br />

erhielt das bei Bajazzo erschienene <strong>Kinderbuch</strong> Schwester (Deutsch von Hinrich<br />

Schmidt-Henkel, 3. Auflage 2006) von Jon Fosse und Aljoscha Blau den Deutschen<br />

Jugendliteraturpreis.<br />

Programm<br />

Anfangs bildeten Bilder- und Kinderbücher den Schwerpunkt des Verlagsprogramms,<br />

mittlerweile ist das Programm gewachsen und beinhaltet auch Geschenk-<br />

Bücher, Papp-Bücher und sogenannte „All-Age-Bücher“ wie z.B. den bereits<br />

erwähnten Titel Schwester, der sich trotz seiner literarischen Qualität (Rösli: „Ein<br />

stiller, ruhiger Text, der unter die Haut geht.“) und der Auszeichnung mit dem<br />

Deutschen Jugendliteraturpreis als ein schwerverkäufliches Buch entpuppte, das oft<br />

remittiert wird.<br />

Verlagsphilosophie<br />

Der Vortragenden zufolge wird bei Bajazzo das verlegt, was gefällt und Freude<br />

macht. Es wird Wert darauf gelegt, eine anspruchsvolle Vielfalt zu bieten. Das Besondere<br />

bei Bajazzo ist, dass generell keine Standardformate gewählt werden und<br />

allgemein keine Serien produziert werden, letzteres auch dann nicht, wenn Autoren<br />

die Fortsetzung eines erfolgreichen Romans mit dem selben Protagonisten vorschlagen.<br />

Laut Rösli wird des Öfteren an den Verlag herangetragen, dass Bajazzo-Produkte<br />

in irgendeiner Weise äußerlich erkennbar seien. Bei der Entscheidung für oder gegen<br />

einen Titel müssen beide Mitarbeiter des Verlages zustimmen (neben Ingrid Rösli<br />

1


eben Thomas Minssen, ebenfalls Mitgründer und Verlagsleiter, zudem verantwortlich<br />

für Programm und Lektorat).<br />

Multiplikatoren<br />

Von den Buchhändlern/Buchhändlerinnen und Bibliothekaren/Bibliothekarinnen und<br />

anderen Multiplikatoren (Stichwort „Leseförderung“ > Lehrer/Erzieher) erreicht den<br />

Verlag immer wieder die Information, dass Kunden erst auf die Bajazzo-Produkte<br />

aufmerksam gemacht werden müssten. Die Vermittlungsarbeit der Multiplikatoren<br />

spielt dementsprechend eine wichtige Rolle bei der Erreichung der Endkunden. Die<br />

Frage aus dem Publikum, ob der Verlag Aufklärungsarbeit in Schulen und Kindergärten<br />

über seine Produkte betreibe, verneint Rösli und begründet dies mit eventuell<br />

fehlender Distanz ihrerseits zu den Projekten.<br />

Werbung<br />

Zweimal im Jahr (Frühjahr und Herbst) gibt es eine Katalogsvorschau, welche die<br />

Novitäten und eine Auswahl der Backlist enthält. Diese wird an ca. 5.000 Buchhändler<br />

und weitere Multiplikatoren (auch Schulen, Kindergärten) sowie ausgewählte<br />

Presse-Organe im deutschsprachigen Raum verschickt. Letztere können Rezensionsexemplare<br />

anfordern. Ab und zu produziert der Verlag Plakate (z.B. eines zum zehnjährigen<br />

Jubiläum), aufgrund zu hoher Kosten verzichtet Bajazzo auf die Verteilung<br />

von „Give-Aways“. Bajazzo ist jährlich auf der Frankfurter wie Leipziger Buchmesse<br />

vertreten, sowie auf der internationalen <strong>Kinderbuch</strong>messe in Bologna und auf weiteren<br />

kleineren Messen in Deutschland und der Schweiz. Als bestes Werbemittel identifiziert<br />

Rösli Rezensionen in Zeitschriften/Zeitungen wie der FAZ, der ZEIT etc.<br />

Zumeist, allerdings nicht immer, würden sich positive Besprechungen auf die Verkäufe<br />

auswirken.<br />

Vertriebswege<br />

Der Verlag beschäftigt freie Handelsvertreter im deutschsprachigen Raum (sechs für<br />

die verschiedenen Bundesländer in Deutschland, zwei für die Schweiz und einen für<br />

Österreich), die aber auch andere Verlage vertreten und zweimal im Jahr die Buchhandlungen<br />

besuchen. Die kleineren Sortimente sind die klassischen Abnehmer der<br />

Produkte von Kleinverlagen wie Bajazzo. Die Entwicklungen zur Konzentration in<br />

der Buchhandelsbranche, bei der große Buchhandelsketten wie Hugendubel die kleinen<br />

Buchhandlungen verdrängen und aufkaufen, stellt somit für Kleinverlage ein<br />

existenzielles Problem dar. Beim Bajazzo-Verlag bemerke man allerdings noch keine<br />

spürbaren konkreten Folgen dieser Entwicklung. Bajazzo nutzt auch den Vertriebsweg<br />

über die Barsortimente, auch wenn dieser Kanal für den Kleinverlag weniger<br />

rentabel ist als der Weg über die Direktbestellung eines Sortimenters. 40–50% der<br />

bestellten Produkte Bajazzos werden über die Zwischenbuchhändler geordert. Rösli<br />

merkt an, dass eigentlich mehr Besuche der Buchhandlungen und Barsortimente vonnöten<br />

wären, um persönlich einen Eindruck vom Markt zu gewinnen.<br />

Vertriebskooperation KuK<br />

Die KuK (Kooperation unabhängiger <strong>Kinderbuch</strong>verlage) ist eine Vertriebskooperation<br />

der fünf <strong>Kinderbuch</strong>-Verlage Bajazzo, Jungbrunnen, <strong>Kinderbuch</strong>verlag Wolff,<br />

Kindermann und Peter Hammer. Die Kooperation stellt den Versuch dar, durch z.B.<br />

2


gemeinsame Treffen, Informationen und Erfahrungen auszutauschen, „gemeinsame<br />

Aktionen und Veranstaltungen für den Buchhandel“ und gemeinsame Messeauftritte<br />

(z.B. geplant für die Leipziger Buchmesse 2009) durchzuführen und dem Buchhandel<br />

spezielle Angebote zu machen, die aufgrund der hohen Kosten nur in Kooperation zu<br />

realisieren sind. Beispielsweise gibt es seit dem Herbst ein gemeinsames Paket der<br />

Verlage für den Buchhandel, das verschiedene Spitzentitel der fünf Verlage sowie ein<br />

Mobile, Plakate und Prospekte enthält. Diese Paket-Aktion rief durchaus positive<br />

Reaktionen bei den Händlern und auch in der Fachpresse hervor, allerdings war sie<br />

auch mit einem hohen Kommunikations-Aufwand verbunden (ca. 400 Mails gingen<br />

zwischen den Verlagen bezüglich dieses Projektes hin und her, so die Vortragende),<br />

und statt der anvisierten 200 Stück verkauften die Verlage gerade einmal 78 Stück bis<br />

dato. Der Kosten-Nutzen-Faktor sei sehr schwer abwägbar bei solchen Aktionen,<br />

resümiert Rösli. Drei Mal erschien bis jetzt das gemeinsame Magazin Große Bücher<br />

für kleine Leute, das dem Endkunden die Verlage präsentiert und auch z.B. Autoren-<br />

Interviews und Gewinnspiele beinhaltet. Ein langfristiges Ziel der fünf Verlage<br />

könnte ein gemeinsamer Vertreterstab oder eine Art zentraler Vertriebsleiter<br />

darstellen, der die Verlag zusammen beim Buchhandel repräsentiert. Dies scheitert<br />

momentan jedoch daran, dass die einzelnen Verlage jeweils diverse regionale<br />

Vertreter haben, die ihnen als unentbehrlich erscheinen. Auch das Konzept einer<br />

gemeinsamen Verlagsvorschau der fünf Verlage erscheint als nicht umsetzbar, da ein<br />

solcher Katalog wahrscheinlich „telefonbuchdick“ wäre und so die Buchhändler nicht<br />

ansprechen würde.<br />

Hits und Flops<br />

Meistens kristallisieren sich jedes Jahr ein bis zwei Titel des Bajazzo-Jahresprogramms<br />

heraus, die sich zu Longsellern entwickeln (ca. 10.000 bis 30.000 abgesetzte<br />

Exemplare). Diese starken Titel dienen auch der Mitfinanzierung der „Flops“, jenen<br />

ein bis zwei Titeln pro Jahr, von denen teilweise nicht mehr als 500 Exemplare<br />

abgesetzt werden. Zu einem dieser Longseller zählt z.B. Martin Baltscheits Die<br />

Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte (10. Auflage 2002), das pädagogische<br />

Elemente enthält und auch viel in Schulen gelesen wird. Dieses Buch hat sich<br />

in Deutschland als eine Art „Türöffner“ für den Verlag entwickelt. Ein weiteres<br />

Beispiel eines Longsellers ist Claudine Desmarteaus Als Mama noch ein braves<br />

Mädchen war, das 2001 mit einer Auflage von 1500 Exemplaren startete und mittlerweile<br />

in der 14. Auflage erscheint. Der Erfolg des Buches kam für den Verlag völlig<br />

unerwartet und machte ihn bei engagierten Buchhändlern bekannt. Ab und an wagt<br />

Bajazzo auch mal „Experimente“ wie z.B. Heinz Janischs Buch Bärensache von<br />

2008, das drei verschieden illustrierte Versionen derselben Geschichte beinhaltet.<br />

Trotz der interessanten Idee, die die Verleger bei diesem Buch sahen, verkauft es sich<br />

eher schleppend und das Konzept findet weniger Anklang als erwartet bei den Lesern.<br />

Meist wird die Auflagenzahl bei Erstauflagen auf 2.000 Exemplare angesetzt, die<br />

meisten Titel verkaufen sich zwischen 1.500 und 2.500 Mal.<br />

Umsatz und wirtschaftliche Lage des Verlags<br />

Bajazzo schreibt nach wie vor rote Zahlen. Der Verlag wäre ohne Subventionen nicht<br />

lebensfähig, hat aber eine Mäzenin, die seine wirtschaftliche Existenz seit zehn<br />

Jahren sichert und mit deren Zuschüssen auch kalkuliert wird. Im letzten Jahr hatte<br />

der Verlag beispielsweise ein Defizit von 200.000 € (400.000 € Einnahmen,<br />

600.000 € Ausgaben). Der „Deckungsbeitrag“ wird derzeit demnach nur zu ca. 70%<br />

3


erreicht. Der Umsatz des Verlags verteilt sich geographisch folgendermaßen: 70%<br />

Deutschland, 20% Schweiz, 10% Österreich. Eine Beteiligung schweizerischer<br />

Autoren oder Illustratoren an einem Buchprojekt Bajazzos fördert oft die Verkäufe in<br />

der Schweiz, was die Vortragende ironisch mit einem schweizerischen „Chauvinismus“<br />

begründet. Ähnlich verhält es sich in Österreich, die Bücher von Heinz<br />

Janisch verkaufen sich dort z.B. verhältnismäßig oft im Gegensatz zur normalen<br />

Verkaufsquote der Bajazzo-Produkte in Österreich. Das Lizenzgeschäft wird<br />

zunehmend ein wichtiger Bestandteil des Umsatzes. Es sind kleine Beträge, die sich<br />

aber zusammenläppern. Lizenznehmer stammen z.B. aus Skandinavien, Belgien, den<br />

Niederlanden und sogar aus Amerika.<br />

Autoren- und Illustratoren-Akquise<br />

Der Verlag erwirbt des Öfteren Lizenzen z.B. aus Spanien oder Italien, entscheidend<br />

ist aber nicht die Nationalität, sondern das Projekt. Die Autoren-/Illustratoren-<br />

Akquise erfolgt vor allem auf Messen wie in Bologna. Oft arbeitet der Verlag mit<br />

Hamburger Illustratoren zusammen und gerne auch mit jenen Autoren und Illustratoren,<br />

die bereits ein Projekt mit dem Verlag realisiert haben. Momentan ist das<br />

Verlagsprogramm bis auf drei Jahre im Voraus geplant, weshalb Bajazzo eher<br />

zurückhaltend bei der Akquise neuer Autoren und Illustratoren ist.<br />

Problematik der Preispolitik<br />

Am Beispiel einer Kalkulation für ein Bilderbuch führt die Vortragende die<br />

Problematik der Preispolitik vor Augen. Gesetzt den Fall, das Buch würde in der<br />

Herstellung 4 € kosten, so würde man bei einer kalkulierten Auflage von 3.000<br />

Exemplaren einen Verkaufspreis um die 12 € ansetzen, um den Deckungsbeitrag zu<br />

erreichen. In dieser Rechnung wären die Rabatte für den Buchhandel bzw. Barsortimente<br />

und weitere Kosten enthalten. Man könnte auch versuchen, die Preise für<br />

Produkte wie oben erwähntes, die zwischen 12 und 14 € liegen, höher zu veranschlagen,<br />

aber dies würde von den Buchhändlern als zu teuer wahrgenommen. Denn viele,<br />

auch aufwendig gestaltete Konkurrenzprodukte sind zu einem Preis unter 10 € im<br />

Handel erwerbbar.<br />

Druckorte<br />

Die meisten Bajazzo-Produkte werden in Deutschland, Belgien und Italien gedruckt,<br />

Papp-Bücher neuerdings auch in Asien (Hongkong). Allerdings taucht hier das<br />

Problem auf, dass es oft sehr lange dauert, ein Produkt in Asien drucken zu lassen.<br />

Bei dringend benötigten Nachdrucken wie z.B. zum Weihnachtsgeschäft kann es<br />

knapp werden hinsichtlich der pünktlichen Lieferung.<br />

Preisbindung in der Schweiz<br />

In der Schweiz ist die Preisbindung derzeit aufgehoben, es gibt aber Diskussionen um<br />

ihre Wiedereinführung. Für die Existenz einer vielfältigen und bunten Buchbranche,<br />

die Platz für Kleinverlage und kleinere Buchhandlungen bietet, wäre die Preisbindung<br />

enorm wichtig, so Rösli. Konkrete Auswirkungen auf die Umsätze von Bajazzo durch<br />

die aufgehobene Preisbindung in der Schweiz kann sie allerdings nicht feststellen.<br />

4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!