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Gechinger Chronik - BookRix

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<strong>Gechinger</strong> <strong>Chronik</strong><br />

Fritz Roller<br />

Arbeitskreis Heimatgeschichte<br />

im Schwarzwaldverein Gechingen<br />

1996<br />

Ohne Kenntnis des Vaterlandes kann es unmöglich wahre Vaterlandsliebe geben.<br />

Johann Daniel Georg Memminger 1822


2<br />

Liebe <strong>Gechinger</strong>innen und <strong>Gechinger</strong>,<br />

oft haben wir den Eindruck, daß unsere Zeit<br />

schnelllebiger ist. Begriffe wie Gentechnik,<br />

Hochgeschwindigkeitszug,Multimedia,<br />

elektronische Post und Internet sprechen für<br />

sich.<br />

Paßt da eine Heimatchronik überhaupt in die<br />

Landschaft?<br />

Sie paßt nicht nur, sondern wir brauchen sie<br />

notwendig. Wir dürfen zwar an der<br />

Vergangenheit nicht hängen bleiben, können<br />

jedoch aus ihr für Gegenwart und Zukunft<br />

lernen und wichtige Schlüsse daraus ziehen.<br />

Die Entwicklung von früher hilft manches<br />

von der Gegenwart besser zu verstehen. In<br />

der Zeit des allgemeinen Wohlstandes soll<br />

dieses Buch der Heimatgemeinde in ihrer<br />

langen Geschichte zeigen, daß es nicht nur<br />

gute Zeiten gegeben hat, sondern schon<br />

manches Schwere über unseren Ort<br />

hereingebrochen ist. Vielleicht ist gerade der<br />

Hinweis auf die wechsel eitigen Zeit-<br />

geschehnisse ein wirksames Mittel zur<br />

Besonnenheit und Dankbarkeit in dem seit<br />

Jahren schon bestehenden, gut fundierten<br />

Wirtschaftsleben unseres Landes.<br />

Das Werk von Fritz Roller, die neue „Heimatchronik“, ist ein bleibender „Segen“ für unsere Gemeinde.<br />

In jahrelanger Arbeit hat er das bekannte Heimatbuch des früheren Lehrers und geschätzten<br />

Heimatforschers Karl Friedrich Eßig ergänzt und darüber hinaus alle bedeutenden Ereignisse von<br />

1936 bis heute dargestellt. Das vorliegende Buch, verfaßt von einem <strong>Gechinger</strong> Bürger, dem die<br />

Geschichte unserer Gemeinde außerordentlich Wstark am Herzen liegt, hat in meinen Augen einen<br />

viel höheren Stellenwert als eine <strong>Chronik</strong>, die von einem auswärtigen „Wissenschaftler“ formuliert<br />

wurde.<br />

Nach der Eröffnung unseres Heimatmuseums im Juli 1995 ist die Herausgabe der <strong>Gechinger</strong> <strong>Chronik</strong><br />

wieder ein bedeutendes Ereignis für unsere Gemeinde.<br />

Im Namen der gesamten Bevölkerung, den zukünftigen Generationen und auch ganz persönlich danke<br />

ich Fritz Roller sehr herzlich für dieses mit viel Sorgfalt, Fleiß und Liebe zu seinem Heimatort<br />

vorgelegte Werk. Mein Dank gilt auch der Lektorin Erika Albert-Essig, die das gesamte Werk kritisch<br />

durchgesehen hat, Altbürgermeister Rainer Dannemann, Altbürgermeister Otto Weiß und allen, die die<br />

Herausgabe dieses Buches in irgendeiner Art und Weise unterstützt haben.<br />

Ich denke, daß diese <strong>Gechinger</strong> <strong>Chronik</strong> bei der Bevölkerung gut ankommt und sowohl gegenwärtig<br />

als auch zukünftig dazu beiträgt, die Identität mit unserer attraktiven Gemeinde zu stärken.<br />

Jens Häußler<br />

Bürgermeister


Zum Buch<br />

Geboren wurde ich am 7.10.1922 in Stuttgart<br />

und besuchte dort die Schule. Die Stuttgar-<br />

ter Museen waren meine beliebten<br />

Aufenthaltsorte. Nach meiner Lehrzeit wurde<br />

ich zur Wehrmacht eingezogen und kam<br />

1945 in russische Gefangenschaft.<br />

Dort arbeitete ich im Wald, im Steinbruch<br />

und als Flösser auf der Wolga. Nach meiner<br />

Entlassung 1949 heiratete ich Hedwig Weiß<br />

von Gechingen. 1958 zogen wir dann in die<br />

Metzgergasse. Von da an war ich an der<br />

<strong>Gechinger</strong> Geschichte interessiert und<br />

begann, alte Gegenstände und Bilder zu<br />

sammeln. Seit meiner Pensionierung<br />

widmete ich mich ganz der Heimat-<br />

geschichte und zeigte das Ergebnis in<br />

verschiedenenAusstellungen. 1983<br />

begannen die Arbeiten an diesem Buch.<br />

Die vorliegende "Heimatchronik" soll keine Wiederholung des l963 erschienenen Heimatbuches von<br />

Karl Friedrich Essig sein. Diese fleißige und mühevolle Arbeit ist während vielen Jahren entstanden<br />

und eine einmalige Leistung. Sie bricht aber mit dem Wegzug von Herrn Essig l937 ab.<br />

Altbürgermeister Otto Weiß hat das alte Heimatbuch mit einem Nachtrag über die Zeit von l939 bis<br />

l962 ergänzt.<br />

Mit dieser "Heimatchronik" sollen neue Wissensgebiete der <strong>Gechinger</strong> Geschichte erschlossen und<br />

öffentlich gemacht werden. Sie enthält Streiflichter aus vergangenen Jahrhunderten, eine Darstellung<br />

der neuesten vor- und frühgeschichtlichen Forschungsergebnisse und Wissenswertes aus<br />

Vergangenheit und Gegenwart des kulturellen, kirchlichen und wirtschaftlichen Lebens.<br />

Die Jahre zwischen l930 und l990 werden besonders ausführlich dargestellt. Sie sollen der jüngeren<br />

Generation und den Neubürgern nahegebracht werden. Ich habe meine Ausführungen mit Auszügen<br />

aus Arbeiten von Karl Friedrich Essig und stimmungsvollen Berichten von Tillie Jäger aufgelockert.<br />

Tillie Jäger soll damit eine, wenn auch späte, Ehrung erfahren.<br />

Mein Dank gilt all denen, die direkt oder indirekt an diesem Buch mitgearbeitet haben, sei es durch<br />

Materialsammlung oder Artikel in Vereinsveröffentlichungen oder sonstigen Publikationen.<br />

Vielen Dank an Herrn Bürgermeister Häußler, die ehemaligen Bürgermeister Dannemann und Weiß,<br />

meine Frau Hedwig, meine Tochter Waltraud Lachenmaier und allen Mitgliedern des Arbeitskreises,<br />

die mich in vielfältiger Weise tatkräftig unterstützt haben. Ein besonderer Dank an Frau Erika Albert-<br />

Essig, die als Lektorin ihr Wissen eingebracht und das gesamte Werk überarbeitet hat! Herzlichen<br />

Dank vor allem der Spenderin, die die Herausgabe des Buches erst ermöglichte!<br />

Fritz Roller<br />

3


Inhalt<br />

Einführung Seite 7<br />

Das Wappen Seite 7<br />

Aus der ältesten Zeit Gechingens Seite 8<br />

Geologische Verhältnisse Seite 8<br />

Die Eiszeit und die Steinzeitmenschen Seite 9<br />

Die Jungsteinzeit 8000 bis 2000 v.Chr. Seite 9<br />

Die Bronzezeit Seite 10<br />

Die Kelten und die vorrömische Eisenzeit Seite 11<br />

Gechingen in geschichtlicher Zeit Seite 14<br />

Die Römer Seite 14<br />

Die Alamannen und die Franken Seite 15<br />

Vom frühen Mittelalter bis zum Bauernkrieg Seite 17<br />

Württemberg Seite 20<br />

Im Dreißigjährigen Krieg Seite 21<br />

Nach dem 30jährigen Krieg bis zu Herzog Karl Eugen Seite 23<br />

Napoleonische Zeit bis 1806 Seite 26<br />

Königreich Württemberg Seite 27<br />

Von der Revolution 1848/49 bis 1870 Seite 29<br />

Der Krieg von 1870/71 und die Folgezeit Seite 33<br />

Vom Großen Brand bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs Seite 35<br />

Der erste Weltkrieg 1914-18 Seite 38<br />

Zwischen den Kriegen bis 1933 Seite 39<br />

Das Dritte Reich bis zum zweiten Weltkrieg Seite 40<br />

Der zweite Weltkrieg 1939-45 Seite 43<br />

Nachkriegszeit bis heute Seite 49<br />

Wirtschaftliche Entwicklung Seite 57<br />

Viehzucht Seite 57<br />

Ackerbau Seite 59<br />

Sonderkulturen (Faserpflanzen und Hopfen) Seite 61<br />

Wiesen und Weiden Seite 63<br />

Wein- und Obstbau Seite 64<br />

Der Wald Seite 66<br />

Straßenverhältnisse bis zum Beginn der Motorisierung Seite 69<br />

Gechingen und seine Bewohner Seite 70<br />

Bevölkerungsbewegungen Seite 70<br />

Bauern, Bäuerinnen und Bauernhäuser Seite 72<br />

Auswanderer Seite 77<br />

Berufe Seite 80<br />

Die Handwerker Seite 80<br />

Dienstleistungen Seite 86<br />

Gelegenheitsarbeiter und Angelernte Seite 89<br />

4


Gemeindebedienstete Seite 91<br />

Neue Entwicklungen, neue Bedürfnisse Seite 93<br />

Der Ortsbauernverband Seite 93<br />

Die Milchverwertungsgenossenschaft Seite 94<br />

Der Konsumverein Seite 95<br />

Die Gefriergemeinschaft Seite 95<br />

Die Feuerwehr Seite 96<br />

Der Kindergarten Seite 100<br />

Der Krankenpflegeverein Seite 100<br />

Die Krankenkasse Seite 100<br />

Die VDK Ortsgruppe Seite 101<br />

Der Krieger- und Veteranenverein Seite 101<br />

Die Wasserversorgung Seite 102<br />

Die Stromversorgung Seite 105<br />

Die Post Seite 106<br />

Das Postauto Seite 107<br />

Das Telefon Seite 108<br />

Die Spar- und Darlehnskasse Seite 108<br />

Die Kreissparkasse Seite 109<br />

Die Württembergische Landessparkasse Seite 109<br />

Kirche und Pfarrer Seite 109<br />

Geschichte Seite 109<br />

Die Kirchturmuhr Seite 116<br />

Die Glocken Seite 116<br />

Die Orgel Seite 119<br />

Die Rolle der Kirche im dörflichen Leben Seite 119<br />

Kirchenchor und Posaunenchor Seite 122<br />

Evangelisches Gemeindeblatt Seite 122<br />

Der Friedhof Seite 122<br />

Evangelisches Gemeindehaus Seite 123<br />

Das Pfarrhaus Seite 124<br />

Die Pfarrer Seite 125<br />

Die Mesner Seite 135<br />

Katholische Gemeinde Seite 136<br />

Adventgemeinde Seite 136<br />

Schule und Schulwesen Seite 136<br />

Die Lehrer Seite 140<br />

Die Rektoren Seite 142<br />

Rathaus, Gemeindeverwaltung und Schultheißen Seite 142<br />

Das Rathaus Seite 142<br />

Das Amt Seite 143<br />

Die Schultheißen Seite 145<br />

Die Bürgermeister Seite 150<br />

Kulturelle Entwicklungen durch Vereine und Gruppen Seite 151<br />

Der Liederkranz Seite 151<br />

Der Musikverein Seite 154<br />

5


Der Handharmonikaclub Seite 157<br />

Der Homöopathische Verein Seite 157<br />

Der Schwarzwaldverein Seite 157<br />

Die Volkshochschule Seite 157<br />

Die Sportfreunde Gechingen e.V. Seite 158<br />

Der Reit- und Fahrverein Seite 161<br />

Die Modellsportgruppe Seite 162<br />

Die DLRG Ortsgruppe Seite 162<br />

Die Tracht Seite 162<br />

Der Dialekt Seite 164<br />

Bauernregeln Seite 181<br />

Sprichwörter und Redensarten Seite 182<br />

Kinderreime und - Spiele Seite 183<br />

Aus Gechingen Seite 187<br />

Einzelne Persönlichkeiten Seite 187<br />

Anekdoten Seite 191<br />

Backen und Kochen Seite 201<br />

Eine Inventurliste Seite 202<br />

Anhang Seite 203<br />

Familiensiegel Seite 203<br />

Zeugnisse der Vergangenheit Seite 207<br />

Erstnennung von Gechingen Seite 207<br />

Weitere Urkunden und Inschriften Seite 208<br />

Steine und Gebäude Seite 209<br />

Der Schlossberg Seite 212<br />

Quellen Literaturverzeichnis Seite 213<br />

6


Einführung<br />

Gemeindebeschreibung<br />

Gechingen liegt im Hecken- und Schlehengäu im Tal der Irm, welche die Markung von West<br />

nach 0st durchfließt und diese in zwei ungefähr gleich große Abschnitte teilt. Der südliche<br />

Teil reicht bis ins obere Aischbachtal beim Haselstaller Hof. Die Markungsgrenze führt,<br />

beginnend im Nordwesten beim Stammheimer Eichwäldle, nach Osten über die Straße<br />

Gechingen/Althengstett nördlich des Kirchhaldenweges zur vorderen Achtgrube und dann an<br />

der südlichen Waldgrenze des Lochwaldes entlang über die Damshalde bis zum Hardt an der<br />

Dätzinger Markungsgrenze. Hier biegt sie nach Süden ab, verläuft in südwestlicher Richtung<br />

weiterführend über den Storrenberg und das Schnepfental bis an den Rand des Weilerwaldes.<br />

Ungefähr 800 m folgt sie dem Sträßchen, das von Dachtel nach Stammheim führt, talaufwärts,<br />

erreicht den gemeindeeigenen Weg (Vicinalweg) Gechingen/Gültlingen am Ende der Senke<br />

Irmental und umschließt, einen Sack nach Süden bildend, den Waldteil Grundhau. Vom<br />

Grundhau führt sie nun in Nordrichtung über den Burch und die Senke zwischen Gechingen<br />

und der Hohen Nille (Stammheimer Tal) zum Ausgangspunkt. Das Dorf Gechingen liegt 484<br />

m über NN. Die höchsten Punkte der Gemarkung mit je 570 m liegen im Masenwald und an<br />

der westlichen Markungsgrenze am Burch, der tiefste im Irmtal an der Deufringer<br />

Markungsgrenze mit 455 m. Im Norden grenzt die Markung an Ostelsheim, im Osten an<br />

Dätzingen und Deufringen, im Süden an Dachtel und Gültlingen und im Westen an<br />

Stammheim und Althengstett. Die Markungsgrenze gegen Dätzingen, Deufringen und Dachtel<br />

ist zugleich Kreisgrenze zum Kreis Böblingen. Die Grenzsteine wurden 1989-1993 vom<br />

Arbeitskreis Heimatgeschichte erfaßt und aufgelistet.<br />

Die klimatischen Verhältnisse der Gegenwart:<br />

Jahresniederschläge: 720 - 740 mm<br />

Jahresdurchschnittstemperatur: 7,4 - 7,8° C<br />

Durchschnittstemperatur in der Vegetationszeit Mai - Juli: 14,4° C.<br />

Datum des ersten Frostes: 16.10.<br />

Datum des letzten Frostes: 2.05. Frostfreie Tage: ca. 166<br />

In gewisser Weise hat das Dorf ländlichen Charakter bewahren können, wenn man darunter<br />

vor allem das soziale Gefüge versteht. Freilich wurde die Landwirtschaft längst völlig<br />

zurückgedrängt, Gechingen entwickelt sich immer mehr zur Wohngemeinde, auch kleinere<br />

gewerbliche Betriebe konnten sich ansiedeln.<br />

Die Bewohner Gechingens waren bis zum Ende des zweiten Weltkriegs überwiegend Bauern.<br />

Danach kamen erst Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten dazu, dann städtische<br />

Zuwanderer. Auch Gastarbeiter wohnen in Gechingen; ihre Zahl ist rückläufig, ebenso die der<br />

Asylbewerber, die in Gechingen in den letzten Jahren untergebracht sind.<br />

Inzwischen haben sich Neu- und Altbürger aneinander gewöhnt, zumal sich auch für die Alt-<br />

<strong>Gechinger</strong> das Leben stark verändert hat. Heute kann man sagen, die Bewohner Gechingens<br />

"könnet´s mitanander" und sind sich vor allem über die Schönheit und Gemütlichkeit ihres<br />

Dorfes einig und über den Reiz der Landschaft, die es umgibt.<br />

Das Wappen<br />

Das <strong>Gechinger</strong> Wappen stellt in Gold auf blauem Dreiberg einen aufgerichteten Löwen dar,<br />

der in den Pranken einen blauen Abtsstab hält. Die Flagge der Gemeinde ist rot-gelb. Wappen<br />

und Flagge wurden der Gemeinde am 18.7.1955 verliehen. Löwe und Dreiberg sollen an die<br />

Herrschaft der Grafen von Calw erinnern, in deren Wappen sie enthalten sind, während der<br />

7


Abtsstab die Zugehörigkeit zum Kloster Herrenalb und zur späteren Klosterpflege Merklingen<br />

andeutet.<br />

Folgende drei Vorschläge standen 1955 zur Wahl:<br />

l. Das alte Fleckenzeichen von Gechingen war ein Pelikan, der seine Jungen mit dem eigenen<br />

Blut nährt. Dieses Motiv erscheint um 1780 als Siegel. Deshalb schlug 1927 die<br />

Archivdirektion in Stuttgart als Wappen vor: In blauem Schild in rotem Nest ein seine<br />

goldenen Jungen mit rotem Blute fütternder, goldener Pelikan; die Flagge gelb-blau.<br />

2. In dem oben genannten Wappen könnte noch ein liegender blauer Abtsstab enthalten sein.<br />

3. In Blau ein goldener Sparren, Ortsfarben gelb-blau.<br />

Alle drei Vorschläge wurden verworfen, obwohl das Pelikansiegel historisch beweisbar war.<br />

Aus der ältesten Zeit Gechingens<br />

Geologische Verhältnisse:<br />

In Gechingen liegen hauptsächlich zwei Schichten vor, der obere Muschelkalk und der<br />

mittlere Muschelkalk. Wie schon aus dem Namen zu schließen, war unser Gebiet - vor 180<br />

Millionen Jahren - einst Meeresgrund. Die landwirtschaftlich am besten nutzbaren Böden sind<br />

die des mittleren Muschelkalks, im wesentlichen auf einer Höhe zwischen 460 und 550 m,<br />

aber der obere Muschelkalk mit seinen wenig fruchtbaren, steinigen Böden gibt der<br />

Landschaft das Gepräge. Die Steinriegel entlang der Felder, aus mühevoll abgelesenen<br />

Steinen aufgeschichtet und mit den charakteristischen Sträuchern bewachsen, die "Wüsten" -<br />

Trockenwiesen mit reicher Flora und vereinzelten Kiefern und Wacholderbüschen, allenfalls<br />

als Schafweiden zu verwenden - sind typisch für das Hecken- und Schlehengäu.<br />

Auf unserer Markung nimmt der mittlere Muschelkalk einen ziemlich breiten Raum ein. Er<br />

kommt in den unteren Hanglagen des Irmentals, sowie in den Senken des Insentals, des<br />

Mönchgrunds, des Stammheimer Tals, des Irmentals und des Hülsentals vor. Die größte<br />

zusammenhängende Fläche liegt westlich des Dorfes, wo Stammheimer Tal und Irmental<br />

zusammenkommen. Ein Teil der Flächen des mittleren Muschelkalks am Hangfuß, wie<br />

südlich des Dorfes und nördlich der Straße Gechingen-Deufringen, sowie der Grund aller<br />

Senken, sind mit mehr oder weniger mächtigem Gehängeschutt, der teilweise dem oberen<br />

Muschelkalk entstammt, überlagert, zum Beispiel die Gewanne Erdreich und Weidenselden.<br />

Die Talsohle des Irmentals und der untere Teil des Irmentals, die Wolfswiesen, sind mit<br />

alluvialen (aus erdgeschichtlich jüngster Zeit stammenden) Aufschüttungen aufgefüllt. Aus<br />

der Kreidezeit stammende Schichten liegen schließlich den höchsten Erhebungen der<br />

Markung, wie im Masenwald, auf dem Dachteler Berg sowie der Höhe nordwestlich der<br />

Eisengrube auf.<br />

Staubwinde haben Lößlehm mitgeführt und im Windschatten der Berge abgelagert. Er kommt,<br />

auf kleiner Fläche, im oberen Irmental im Gewann Birklen und auf kleinen Stellen im<br />

Gewann Buchenäcker vor. Ein Teil der Böden in der vorderen Achtgrube, in den<br />

Schwertäckern und in den Buchenäckern zeigt Beimengungen von Lößlehm.<br />

Sehr eindrucksvoll ist das Mineralien- und Gesteinsvorkommen in der Sammlung von Viktor<br />

Gebauer dargestellt, auch Fossilien (Versteinerungen) sind darunter. Schon früher hatte man<br />

auf der Markung Fossilien von Muscheln gefunden; Mitglieder des Arbeitskreises konnten in<br />

jüngster Zeit aber noch weitere Versteinerungen auf <strong>Gechinger</strong> Markung entdecken. Es sind<br />

zum Beispiel Überreste von "Terebrateln", Meeresbewohnern, deren Gehäuse dem von<br />

Muscheln sehr ähnlich ist, doch sind die beiden Klappen verschieden groß. Ferner fand man<br />

rädchenartige Stielglieder des Trochiten "Encrinus", der zu den Seelilien gehört. Diese Tiere,<br />

den Seeigeln verwandt, sind mit einem Stiel aus vielen Plättchen (Trochiten) am Meeresgrund<br />

8


festgeheftet, der beim Tod des Tieres oft auseinanderfällt. In Gechingen deckt Trochitenkalk<br />

des oberen Muschelkalks die Markungsteile über 520 - 530 m NN. Auch Fossilien von<br />

Turmschnecken, die ebenfalls im Meer lebten, konnten geborgen werden sowie fossile<br />

Gehäuse von "Nautilus" und Ammoniten der Unterordnung "Ceratitina", frühe Verwandte der<br />

Tintenfische und Kraken. Dazu gehört auch der "Belemnit", dessen Gehäuse im Gegensatz zu<br />

dem von Nautilus- und Ammonitenarten nicht gewunden, sondern langgestreckt ist. Auch von<br />

ihm fand man Überreste, die aber aus längst abgetragenen Schichten der Kreidezeit stammen.<br />

Hinter der Dachtgrube stieß man auf versteinertes Holz.<br />

Die Eiszeit und die Steinzeitmenschen<br />

Durch Klimaverschlechterung war es vor etwa 1,5 Millionen Jahren in Europa zu großen<br />

Veränderungen gekommen (Eiszeit). Die Berge waren mit ewigem Schnee bedeckt und<br />

Gletscher erstreckten sich bis in die Täler und schoben Gesteinsschutt vor sich her. Zwischen<br />

den Kälteschüben gab es wärmere Abschnitte (Zwischeneiszeiten), in denen die Gletscher sich<br />

etwas zurückzogen. Aus dieser erdgeschichtlichen Periode stammen die ältesten Spuren<br />

menschlichen Lebens, die man in unserer Gegend gefunden hat. Die ersten Menschen, die als<br />

unsere unmittelbaren Vorfahren in Betracht kommen, sickerten vor ca. 35 000 Jahren in<br />

kleinen Grüppchen ein. Das handwerkliche und künstlerische Geschick dieser<br />

Steinzeitmenschen war schon gut entwickelt, es handelt sich bei ihnen keineswegs um<br />

Primitive. Von Geröllsteinen (Hornstein, Feuerstein) wurden in der Weise Stücke<br />

abgeschlagen, daß scharfkantige Splitter entstanden, die als Faustkeile, Pfeilspitzen, Messer,<br />

Schaber und Bohrer verwendet werden konnten. Weitere Bedarfsgüter stellten sie aus ihnen<br />

gut zugänglichen Materialien, wie Horn, Knochen und Holzstücken her. Man verstand sich<br />

auch darauf, scharfkantige Steinsplitter mit Birkenteer, der als Klebemasse diente, in Holz<br />

einzulassen, so wurden zum Beispiel gebrauchstüchtige Messer angefertigt. Auch Kunstwerke<br />

entstanden schon vor etwa 30 000 Jahren; in unserer näheren Umgebung fand man<br />

Elfenbeinfiguren in Höhlen der Schwäbischen Alb (Vogelherd, Geißenklösterle).<br />

Josef Strzempek aus Gechingen hat durch Funde von Steinwerkzeugen nachgewiesen, daß auf<br />

der <strong>Gechinger</strong> Markung schon sehr früh Menschen lebten. Das Wasser, das Klima und die<br />

geologischen Gegebenheiten unserer Landschaft bieten günstige Voraussetzungen für<br />

Sammler und Jäger, die wohl einst den <strong>Gechinger</strong> Raum in kleinen Horden durchstreiften. Die<br />

Spuren, die sie hinterlassen haben, erzählen uns einiges über diese frühzeitlichen Vorfahren.<br />

Sie folgten dem Wild, das ihnen Nahrung und Kleidung lieferte, lebten also als Nomaden.<br />

Josef Stzempek fand die meisten Werkzeuge im Insental, im Tal in Richtung Althengstett und<br />

im Tal westlich vom Eichwäldle. Alle drei Täler verlaufen etwa in Nord/Südrichtung. Sie<br />

bieten Schutz vor dem vorwiegend aus Westen kommenden Wind und waren ein günstiger<br />

Platz für einen Unterschlupf. Die zahlreichen Quellen um Gechingen wurden bestimmt von<br />

Großwildherden als Tränken aufgesucht, auch das Irmtal muß einst ein einziges Feuchtbiotop<br />

und daher ein ideales Jagdgebiet gewesen sein. Außerdem ist bekannt, daß ein etwa 100 km<br />

breiter Streifen im süddeutschen Raum während den Eiszeiten zwischen den nordischen und<br />

den alpinen Gletschern freiblieb. In unserer Landschaft kann man keinerlei Spuren von<br />

Gletschertätigkeit entdecken. So fanden hier die Menschen von damals einen geeigneten<br />

Lebensraum.<br />

Die Jungsteinzeit 8 000 bis 2 000 v. Chr.<br />

In der Jungsteinzeit war die Eiszeit langsam einem Klima gewichen, das wärmer war als<br />

heute. Gegen Ende der Jungsteinzeit herrschten gegenüber den Birken- und Kiefernwäldern<br />

9


am Ende der Eiszeit lichte Eichenmischwälder vor, die vorwiegend neben Eichen aus Linden<br />

und Haselsträuchern bestanden.<br />

Wenn man die Jungsteinzeit als Beginn der Grundstruktur der späteren Hochkulturen<br />

betrachtet, reichen ihre Anfänge bis ins 7. oder 8. Jahrtausend v. Chr. zurück. Im fruchtbaren<br />

Gebiet von Euphrat und Tigris vollzog sich um diese Zeit eine Entwicklung, die sich als die<br />

revolutionärste im Lauf der Menschheitsgeschichte erweisen sollte: Aus dem Wildgetreide<br />

wurden allmählich Kulturpflanzen herausgebildet, die Menschen lernten, planmäßig<br />

Nutzpflanzen anzubauen und durch Auswahl des Saatgutes den Ertrag zu verbessern. Aus<br />

wilden Schafen und Ziegen wurden nach und nach Haustiere. Die Bevölkerung konnte rasch<br />

zunehmen und die Siedlungsgebiete dehnten sich, dem vergrößerten Bedarf entsprechend,<br />

nach und nach aus.<br />

In unser Gebiet wanderten die ersten Bauern im 6. Jahrtausend vor Christus aus dem<br />

Donauraum ein. Sie brachten Kenntnisse vom Getreideanbau und anderer Kulturpflanzen mit,<br />

auch Haustiere kannten sie schon. Sie vermischten sich mit der Urbevölkerung, die ihre<br />

Lebensweise nach und nach übernahm. Der Ackerbau vor allem brachte grundlegende<br />

Veränderungen. Man konnte Vorräte anlegen und hatte Besitztümer, für die Jäger keine<br />

Verwendung gehabt hätten. Der Hausbau konnte sich entwickeln, denn nun war ein dauernder<br />

Wohnsitz von Vorteil. Im Lauf der Zeit bildeten sich größere Ansiedlungen und Dörfer. Die<br />

Menschen dieser Zeit verstanden sich auch bereits darauf, Tongefäße herzustellen, nach deren<br />

Verzierung man sie als Bandkeramiker bezeichnet. In neuester Zeit hat man durch Grabungen<br />

in Vaihingen - Ensingen und am Viesenhäuser Hof gute Einblicke in ihr Leben gewonnen, die<br />

sich auf die <strong>Gechinger</strong> Verhältnisse mit großer Sicherheit übertragen lassen, denn flache<br />

Südhänge in Frischwassernähe, wie sie bei uns vorkommen, wurden bevorzugt besiedelt. Dort<br />

wuchsen nur wenige Bäume, was Raum bot für Häuser und Äcker. Im oberen Gäu sind schon<br />

von 0skar Paret aus Dachtel Spuren jungsteinzeitlicher Ansiedlungen nachgewiesen worden.<br />

Man ernährte sich, wie durch Analysen des Inhalts von Vorrats- und Abfallgruben<br />

nachgewiesen, überwiegend von Kulturpflanzen, der Getreideanteil betrug zwischen 75 und<br />

100 %. Es handelt sich um die primitiven Spelzweizenarten Einkorn und Emmer, Gerste war<br />

von untergeordneter Bedeutung. Auch Unkrautsamen, wie die des Weißen Gänsefußes,<br />

wurden zum Verzehr gesammelt. Als weitere Kulturpflanzen gab es Lein, Erbsen, Linsen und<br />

Schlafmohn, bei letzterem wurden neben den fettreichen Samen auch schon die<br />

Arzneiwirkung geschätzt. Sammelpflanzen wie Nüsse, Beeren, Pilze und Holzäpfel, Wurzeln<br />

und Kräuter bereicherten den Speisezettel. Das Fleisch lieferten die Haustiere, Rinder,<br />

Schweine, Schafe und Ziegen, die das ganze Jahr über im Freien gehalten werden konnten, da<br />

das Klima im Vergleich zu heute milder war. Die Jagd auf Wildtiere spielte kaum mehr eine<br />

Rolle. Die bis 40 m langen, schmalen Häuser sind bei allen Bandkeramikern, von Ungarn bis<br />

in die Niederlande, einheitlich konstruiert. Dreierjoche mit tief in den Boden eingelassenen<br />

Pfosten trugen die Dächer. Die Wände waren aus jungen Bäumen und mit Flechtwerk und<br />

Lehm abgedichtet, der aus einer Grube an der Längsseite des Hauses stammte.<br />

Im Appeleshof ist ein Mahlstein aus dieser Zeit vorhanden.<br />

Die durchschnittliche Körpergröße der Frauen betrug, wie man aus Gräberfunden weiß, 1,55<br />

m, die der Männer 1,67 m. Die Lebenserwartung lag bei etwa 30 Jahren, aber sehr viele<br />

Frauen starben schon zwischen 20 und 25 Jahren, weil Schwangerschaft und Geburt ein hohes<br />

Risiko mit sich brachten.<br />

Die Bronzezeit<br />

Bereits zum Ende der Jungsteinzeit, als die Schnurkeramiker ihre schön verzierten Tongefäße<br />

schufen, wurde hin und wieder Kupfer zur Herstellung von Geräten verwendet. Aber erst im<br />

2. Jahrtausend v. Chr. konnte sich dieser neue Werkstoff, der bald mit Zinn zu Bronze legiert<br />

10


wurde, so weit durchsetzen, daß eine ganze Epoche nach dem neuen Metall genannt wurde:<br />

die Bronzezeit. Sie datiert von ca. 2000 - 750 v. Chr. Die Menschen lernten bald, was für<br />

Möglichkeiten dieser Werkstoff bot, sie entwickelten Gußtechniken zur Herstellung einer<br />

Fülle von Geräten und Schmuckstücken. Ab der Bronzezeit gliederte sich nachweislich die<br />

Gesellschaft in Handwerker und Bauern, die Metallverarbeitung erforderte spezielle<br />

Kenntnisse und Fertigkeiten. Die vorwiegende Wirtschaftsform blieb aber bäuerlich. Es gab<br />

schon eine gewisse soziale Hervorhebung einzelner, was sich durch einzelne, reich<br />

ausgestattete Gräber belegen läßt.<br />

Über Funde in Gechingen, die vermutlich aus der Bronzezeit stammen, berichtet Josef<br />

Strzempek: "Die in Gechingen gefundenen Kalksteinwerkzeuge, wie Grabhacke, Grabpickel,<br />

Reibschälchen und Steinhammer, stammen wahrscheinlich aus der Bronze- bzw. Eisenzeit.<br />

Als sich Metallgeräte durchsetzten, geriet die feine Bearbeitung von Hornstein, Knochen und<br />

Geweih in Vergessenheit. Da aber die Metalle selten und teuer waren, stellte man einfache<br />

Geräte, vor allem für die Bodenbearbeitung, in grob zugehauenen Formen aus Kalkstein her.<br />

Fundorte waren das vordere Insental und die Kirchhalde."<br />

Es erforderte große körperliche Kraft, mit diesen Geräten den Acker zu bestellen. Das war und<br />

blieb daher Männerarbeit. In der späten Bronzezeit verdrängte allmählich der Dinkel Einkorn<br />

und Emmer.<br />

Die Kelten und die vorrömische Eisenzeit<br />

Im 8. vorchristlichen Jahrhundert ging die späte Bronzezeit nach und nach in die frühe<br />

Eisenzeit über. Als etwa um 800 v. Chr. das Klima feuchter und kälter wurde, drangen<br />

allmählich die Kelten bei uns ein. Das Wort bedeutet die Tapferen oder die Erhabenen.<br />

Süddeutschland wurde zu einem Zentrum keltischer Besiedlung. Um die Zeit von Christi<br />

Geburt gerieten die meisten keltischen Gebiete unter römischen oder germanischen Einfluß.<br />

Die Kelten waren ein überwiegend bäuerliches, handwerklich sehr begabtes Volk. Durch sie<br />

kam zum Beispiel die Töpferscheibe zu uns. Sie siedelten in Einzelgehöften. Von den Kelten<br />

wurde die Viehzucht bevorzugt, der Ackerbau stand nicht so hoch im Ansehen. Sie ließen sich<br />

daher bevorzugt in Gegenden nieder, in denen ihr Vieh Weide fand, wie bei uns, aber auch auf<br />

der Alb. Die Kelten waren in der Bearbeitung des Eisens der früheren Bevölkerung gegenüber<br />

weit überlegen und setzten sich wohl auch deswegen durch. Eisenerz ist zwar leichter zu<br />

gewinnen und häufiger als Kupfer oder Zinn, jedoch mußte das Eisen geschmiedet werden,<br />

Gußeisen war nicht bekannt. Sehr früh, bereits im 9. Jh. vor Chr., begannen die Kelten<br />

Werkzeuge (Sensen, Sicheln, Pflüge usw.) und Waffen zu schmieden. Schmuck und kleinere<br />

Gegenstände fertigten sie aus Bronze. Auch Silber und Gold wurden verarbeitet. Ab dem<br />

ersten vorchristlichen Jahrhundert stellten die Kelten gewölbte Goldmünzen her, volkstümlich<br />

"Regenbogenschüsselchen" genannt. Spätere Geschlechter glaubten nämlich, die beiden<br />

Enden eines Regensbogens stünden jeweils in solchen goldenen Schüsselchen. Im Besitz der<br />

württembergischen Altertümersammlung in Stuttgart ist so eine 7,5 g schwere goldene<br />

Hohlmünze aus Stammheim - Calw. Auf einer Seite scheint eine Schlange dargestellt zu sein.<br />

Der bekannte Möttlinger Pfarrherr und Gründer des Calwer Verlagsvereins, Christian Gottlob<br />

Barth, besaß einige Keltenmünzen aus dem Oberamt Calw. Auf einer derselben sieht man<br />

einen Vogelkopf und zwei Kugeln.<br />

Auch auf hochentwickelte kunstgewerbliche Arbeiten mit künstlerischer Prägung verstanden<br />

sich die Kelten. Zum Teil sind sie erhalten geblieben, sie wurden in Keltengräbern gefunden.<br />

Die auffallenden Grabhügel der Kelten sind vor allem in Waldgebieten heute noch zu<br />

erkennen. Im Jahre 1978 stieß man in Hochdorf Kreis Ludwigsburg auf das Grab eines<br />

vornehmen Kelten ("Der Keltenfürst von Hochdorf"), das man etwa ins Jahr 500 v. Chr.<br />

datieren kann. Die Grabkammer war unversehrt. Außer reichlichem Goldschmuck, einem<br />

Prunkwagen mit Pferdegeschirr, Trinkgefäßen usw. fand man auch in der Umgebung der<br />

11


Grabanlage die Werkstätten, in denen Teile der Grabbeigaben hergestellt worden waren und<br />

konnte die handwerklichen Techniken der Kelten erschließen.<br />

Auch bei Gechingen müssen Kelten gelebt haben. Auf unserer Markung und in etlichen<br />

Nachbargemeinden haben sich in bewaldeten Gebieten viele kleinere keltische Grabhügel<br />

erhalten. Zwei Grabhügelgruppen sind in Gechingen bekannt: Eine Gruppe mit fünf Hügeln<br />

an der Ortsgrenze zu Dachtel/Deufringen (Dreimarkstein) und eine zweite Gruppe bei der<br />

Kirchhalde am Wasserturm. Ein Hügel dort ist noch gut erkennbar, weitere können nur noch<br />

erahnt werden. Von Grabungen wissen wir folgendes:<br />

Schon im Jahre 1844 wurden durch Pfarrer Klinger acht bronzene Hals-, Fuß-, und Armringe<br />

ausgegraben, die aus zwei Gräbern in der Nähe des heutigen Wasserturms stammen. Die<br />

Hohlringe wurden mittels Bronzedraht an den Enden verbunden oder ineinandergesteckt. Die<br />

meisten sind an den zusammenstoßenden Enden mit eingeritzten 0rnamenten verziert. Von<br />

den acht zum Teil stark beschädigten Ringen sind fünf noch im Württembergischen<br />

Landesmuseum erhalten. Dort wurden die in unserem Heimatmuseum ausgestellten Repliken<br />

hergestellt.<br />

Im Jahre 1948 wurde im Auftrag des Landesamts für Denkmalpflege eine Grabung in der<br />

Hügelgruppe am Dreimarkstein vorgenommen. Denkmalpfleger Stahl berichtet:<br />

"Am 11., 12. und 13. April 1948 habe ich eine Grabung an Hügel 4 der Hügelgruppe<br />

"Dreimarkstein" auf der Gemarkung Gechingen durchgeführt, zusammen mit den Herren<br />

Essig und Kübler. Der Hügel 4 ist der wesentlichste einer Gruppe aus 5 Hügeln, die von mir<br />

im November 1947 vermessen wurde und liegt auf einem sanft geneigten Hang am Fuß des<br />

Dachteler Berges. Die geologische Formation wird durch den oberen Muschelkalk gebildet.<br />

Es wurde ein Schnitt in 0st/Westrichtung von 1 m Breite gezogen. Nach Entfernung der<br />

Bewachsung wurde zuerst der Hügelmittelpunkt ermittelt. Der Hügel hat eine Längsachse von<br />

etwa 16 - 18 m, die Querachse mißt etwa 11 - 12 m. Das Ausheben des Suchgrabens erfolgte<br />

vom höchsten Punkt aus. Unter einer dünnen Schicht von Humus und Wurzelwerk stießen wir<br />

auf eine Steinpackung, die aus Kalksteinen verschiedener Größe bis zu einem Gewicht von 60<br />

kg bestand und eine Dicke von etwa einem halben Meter hatte. Nachdem die Steinpackung<br />

beseitigt war, kam eine Lehmschicht, die nahezu steinfrei war. Nachdem die hellere<br />

Lehmschicht abgetragen war, zeigte sich der gewachsene Boden mit seiner sattgelben<br />

Lehmfarbe. Auf dieser Schicht, am Rande des Hügels 5,15 m von der Hügelmitte, machte ich<br />

den ersten Fund. Es war ein eisernes Hufeisen, etwas kleiner und vorne breiter als die<br />

heutigen, aber größer als die römischen. Seine Form und Lage am Fundort, 35 cm unter der<br />

Hügelaufschüttung, lassen vermuten, daß es merowingisch ist. Um die Hügelmitte war die<br />

Lehmaufschüttung nicht einheitlich gefärbt, sondern durch Humusbeimengung gesprenkelt.<br />

Beim vorsichtigen Weitergraben kamen zuerst die 0berschenkelknochen zum Vorschein. In<br />

Kleinarbeit wurde dann das ganze Skelett freigelegt. Sämtliche Knochen waren sehr weich,<br />

die dünnen Knochen alle vergangen. Die Schädelkapsel war durch die Last der Grabfüllung<br />

geteilt und beide Teile waren gegen die Grabsohle gedrückt. Weitere Fundstücke sind vier<br />

bronzene Ringe, von denen je zwei um Vorderarme und Unterschenkel lagen. Die Armringe<br />

bestanden nur noch aus dünnen Drahtstückchen, die Beinringe aus dickerem Draht, zu<br />

Vollringen geschlossen. Nur der Beinring am linken Fuß konnte unbeschädigt gehoben<br />

werden. Auf der rechten Brustseite lagen die Reste einer Gewandnadel. Auf der Mitte des<br />

Hinterhauptes lag ein bronzenes Drahtstück in zwei Teilen von der Länge einer Stopfnadel.<br />

Innerhalb des linken Armringes lag ein Fundstück, dessen Bedeutung nicht geklärt werden<br />

konnte. Es war ein etwa 4 cm langer eiserner Stift, der an einem Ende zu einem Haken<br />

umgebogen war. Man könnte an einen Dolchgriff denken, aber es waren weder eiserne noch<br />

bronzene Spuren einer angesetzten Dolchklinge aufzufinden. Merkwürdigerweise war der<br />

Bestattung kein Tongefäß beigegeben, in denen den Toten sonst die Wegzehrung für die<br />

12


Ewigkeit bereitgehalten wird. Wohl fand sich über dem linken Beinring ein kleines Randstück<br />

eines Kruges, das war aber wahrscheinlich zufällig an diese Stelle geraten. In der Mitte des<br />

Skeletts, also über dem Leib, war eine dunkel gefärbte Schicht einwandfrei feststellbar. Diese<br />

Verfärbung ist zweifellos durch Verkohlen der Kleidung entstanden. Unter dem Skelett waren<br />

kleine Reste eines Brettes festzustellen, wie bei den vier Flachgräbern von Birkenfeld, die<br />

vermutlich einer späteren Zeit angehören. Dagegen lagen an beiden Längsseiten der Grube die<br />

verkohlten Reste zweier Bretter, jedoch etwa 25 cm über der Skelettebene. Das bedeutet, daß<br />

die Bretter auf dem ehemals gewachsenen Boden lagen und daß also die Grube etwa 25 cm in<br />

den gewachsenen Boden eingetieft war. Die Skelettachse weicht von der Nordsüdlinie um<br />

etwa 20 ° von Norden nach Westen ab, und das Skelett liegt nur wenige Dezimeter von dem<br />

von mir vor der Grabung festgestellten Hügelmittelpunkt entfernt. Der Kopf des Skeletts liegt<br />

im Süden mit Blick nach Norden. Die Körperlänge des hier Bestatteten wird nach den<br />

verschiedenen Knochenlängen auf 1,65 m geschätzt. Das Alter wird nach dem<br />

Abnützungszustand der Zähne mit etwa 40 Jahren angegeben. Nach alledem kann die Zeit der<br />

Bestattung auf etwa 600 v. Chr. geschätzt werden, so daß wir damit in die erste Zeit der<br />

keltischen Besiedlung kommen". (Emil Stahl, Birkenfeld. Bericht gekürzt.)<br />

Die Skelettfragmente sind heute im Museum Appeleshof ausgestellt. Man kann noch an Arm-<br />

und Beinknochen sehen, wo einst die Bronzeringe waren, dort haben sich Oxydationsflecken<br />

gebildet. Wo die Grabbeigaben aber verblieben sind, konnte nicht mehr ermittelt werden.<br />

Der Arbeitskreis Heimatgeschichte, vor allem das Ehepaar Schorpp, hat sich um eine<br />

anthropologische Untersuchung der Skelettfragmente bemüht. Sie ergab, daß es sich um eine<br />

zierliche weibliche Person handelte, etwa 1,55 m groß und etwa 25 Jahre alt, als sie starb.<br />

Eine C14-Analyse erwies, daß der Zeitpunkt ihres Todes um das Jahr 460 v. Chr. zu datieren<br />

ist.<br />

Die Altersbestimmung an drei Skeletten aus Gechingen mit der C14 (Radiocarbon-) Methode<br />

konnte durch großzügiges Sponsoring der Kreissparkasse Calw ermöglicht werden. Sie wurde<br />

an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich durchgeführt, die eine der<br />

modernsten Massenspektrometer-Anlagen Europas besitzt. Mit dieser Methode läßt sich bei<br />

organischem Material das Alter exakt ermitteln.<br />

Im Jahr 1968 führte eine private Gruppe eine Ausgrabung am größten Grabhügel an der<br />

Kirchhalde durch. Leider war der Grabhügel früher schon einmal geöffnet und ausgeraubt<br />

worden, es fanden sich nur noch spärliche Skelettreste, die heute ebenfalls im Museum<br />

Appeleshof ausgestellt sind. Auch hier war, wie die anthropologische Untersuchung ergab,<br />

eine junge Frau zwischen 20 und 30 Jahren bestattet worden, die zwischen 1,50 und 1,54 m<br />

groß war. Bei ihr erbrachte die C14-Altersanalyse ebenfalls, daß sie um das Jahr 460 v. Chr.<br />

gestorben ist.<br />

Damit ist bewiesen, daß in der Zeit um 500 v. Chr. eine keltische Bevölkerung auf <strong>Gechinger</strong><br />

Gemarkung lebte. Damals dürften also die keltischen Grabhügel um Gechingen entstanden<br />

sein. Da die Begräbnisbräuche der Kelten sich im Lauf ihrer Siedlungszeit mehrfach änderten<br />

- vor den Grabhügeln waren Brand- und ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. Körperbestattungen in<br />

Flachgräbern üblich, die nur durch Zufall aufzufinden sind - läßt sich nicht mit letzter<br />

Sicherheit sagen, ob es in Gechingen eine kontinuierliche keltische Besiedlung über<br />

Jahrhunderte hinweg gab, man kann aber davon ausgehen.<br />

Auch in unserer Nachbarschaft sind Relikte aus der Keltenzeit erhalten geblieben. Im Württ.<br />

Landesmuseum Stuttgart werden große Steinfiguren (Grabstelen) aus Calw-Stammheim,<br />

Kirchberg und Hirschlanden gezeigt, ebenso ein monumentales Götterbild aus Holzgerlingen.<br />

Aus keltischer Zeit dürften ebenfalls mit Wällen umgebene Befestigungsanlagen stammen, in<br />

die sich die Menschen samt ihrem Vieh bei Gefahr retten konnten, so zum Beispiel auf dem<br />

13


Rudersberg in einer Nagoldschleife zwischen Calw und Kentheim. Auch das <strong>Gechinger</strong><br />

Burggelände könnte in der Keltenzeit schon, entsprechend befestigt, als Zufluchtsstätte<br />

gedient haben. Der Burgenforscher A. Koch schreibt darüber: "Es ist anzunehmen, daß auf<br />

dem Schloßberg eine kleine Waldfliehburg für die Bewohner dieser <strong>Gechinger</strong> Siedlung war.<br />

Der Platz war gut gewählt. Das Tal der Irm war versumpft, daran erinnern die Flurnamen<br />

Riedhalde (Ried ist ein mooriges Gebiet) und Mistwiesen (das althochdeutsche Wort Mist<br />

hatte auch die Bedeutung von Schmutz). Somit hatte die Fliehburg, unter der man sich keine<br />

Burg im heutigen Sinne vorstellen darf, einen gewissen Schutz nach 0sten, der Taleinschnitt<br />

des Torwartsgrunds war sicher auch versumpft, wahrscheinlich war dort eine Quelle.<br />

Vielleicht kam sie vom Dachteler Bergwald und bildete einen Wasserfall an dem steilen Hang<br />

des Torwartsgrundes. Dadurch wäre ein Sumpfgürtel gegen Westen gegeben. Nach Norden<br />

bildete ebenfalls das Sumpftal der Irm den Abschluß. Aber auch nach Osten wäre stellenweise<br />

ein Sumpftal möglich gewesen, durch die Flur Mulde. Man weiß, daß in der Flur Faulhecke an<br />

der Steig noch eine Quelle floß, an welche alte Leute sich noch erinnern können. Der Zugang<br />

zur Fliehburg lag demnach in der Gegend des Festplatzes Bergwald in der Flur Besemer. Der<br />

ganze Wald könnte die Fliehburg gewesen sein und der östliche Zipfel war die letzte<br />

Rettung."<br />

Ähnliche Überlegungen könnten dann zu einer zweiten Besiedlung des Schloßbergs um 1200<br />

geführt haben, als die uns heute bekannte Burg entstand.<br />

Die Kelten haben auch in geographischen Bezeichnungen in unserer engeren Heimat ihre<br />

Spuren hinterlassen, die Namen von Neckar, Enz, Nagold z. B. sind keltischer Herkunft. Die<br />

Sprache hat sich bis zur Gegenwart nur noch in den Varianten erhalten, die in der Bretagne, in<br />

Wales und in Irland (Inselkeltisch) gesprochen werden.<br />

Gechingen in geschichtlicher Zeit<br />

Die Römer<br />

Um die Zeitenwende hatten die Römer ihr Reich bis an Rhein und Donau ausgedehnt, das<br />

gesamte linksrheinische Gebiet war von Cäsar schon 50 vor Chr. erobert worden. Auch<br />

südlich der oberen Donau hatten die Römer sich auf Dauer festgesetzt, die Donau war hier<br />

Reichsgrenze. Der Schwarzwald und das dünn besiedelte Neckarland schoben sich jetzt<br />

winkelartig in römisches Gebiet. Um die Grenze zu verkürzen und um das linksrheinische<br />

Gebiet besser mit dem römischen Besitz südlich der Donau zu verbinden, besetzten die Römer<br />

zunächst den südlichen Schwarzwald und erbauten ab dem Jahre 73-74 n. Chr. eine Straße<br />

von Straßburg über Offenburg durchs Kinzigtal nach Rottweil, die bei Tuttlingen zur oberen<br />

Donau führte. 90 n. Chr. wurde das Gebiet mit der Grenzbefestigung des Neckarlimes, der<br />

von Cannstatt nach Wimpfen führte, auch weiter nördlich vor Einfällen der Germanen<br />

geschützt.<br />

Die Römer blieben über hundert Jahre lang die Herren unserer Heimat. Zunächst waren sie<br />

ausschließlich Besatzungsmacht. Später, vor allem als sich die Grenze noch weiter nach<br />

Norden verschoben hatte und stark befestigt worden war, ließen sich Zuwanderer aus aller<br />

Herren Länder hier nieder. Römische Kaufleute kamen, die mit der einheimischen<br />

Bevölkerung Handel trieben und Ackerbauern siedelten sich unter dem Schutz der römischen<br />

Soldaten an, die sich mit der hier ansässigen, meist keltischen Bevölkerung vermischten.<br />

Unsere Gegend gehörte zum Verwaltungsbezirk "Sumelocenna" (Sülchen bei Rottenburg).<br />

Römische Gutshöfe (Villen) entstanden, Steinbauten, in denen römische Grundbesitzer so<br />

14


leben wollten, wie sie es gewohnt waren. So brauchte man römische Werkstätten,<br />

Ziegelbrennereien, Töpfereien und Steinbruchbetriebe. Zum Schluß der römischen Zeit war<br />

unsere Heimat relativ dicht besiedelt, es gab aber nur kleine Landstädte und ländliche<br />

Siedlungen.<br />

In Gechingen stieß man beim Roden eines Hopfenackers in der Flur "Stöckbrunnen" auf<br />

gebrannte Ziegelsteine, wie sie weder die Kelten noch die Alamannen herstellten oder<br />

benutzten. Vermutlich handelte es sich um den Boden eines Römerhauses. Bei Calw-<br />

Stammheim lag ein großer Gutshof aus der Römerzeit (Villa Rustica), der 1911 freigelegt<br />

wurde, aber auch in Althengstett, Ostelsheim, Simmozheim, Holzbronn, Gültlingen u. a. fand<br />

man die Überreste römischer Hofstellen. Beim Bau der Wasserleitung entdeckte man am<br />

Herdweg Teile einer alten Brücke, die aus der Römerzeit stammen könnte. Das noch<br />

vorhandene "Römersträßle" hat wohl nur den Namen, nicht aber die Herkunft den Römern zu<br />

verdanken. Bei Stichgrabungen fand man keinerlei Hinweise, die auf römischen Straßenbau<br />

hingedeutet hätten.<br />

Aus dem Lateinischen übernommene Wörter sind: Mauer, Kalk, Ziegel, Mörtel, Turm, Keller,<br />

Fundament, Fenster, Kammer, Kamin, Pflaster, Küche, Pfanne, Öl, Wein, Pflaume, Pfirsich,<br />

Pfeffer, Rettich, Teller, Vesper, Sack, Zentner, Pfund, Münze, Markt und Schule. (Für die<br />

meisten dieser Begriffe gilt, daß die jeweils zugehörige Sache unsern Vorfahren erst durch die<br />

Römer bekannt wurde.)<br />

Die Alamannen und die Franken<br />

Im 3.Jahrhundert n. Chr. gerieten die germanischen Völkerschaften in Bewegung. Die<br />

Alamannen ("alle Männer") waren Verbände der germanischen Sueben, die sich zu einem<br />

Vorstoß nach Südwesten zusammengeschlossen hatten. Um 259-260 gelang es ihnen, unser<br />

Gebiet, das zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon nahezu völlig von der Vorbevölkerung<br />

verlassen worden war, in Besitz zu nehmen. Versuche der Römer, das Land zurückzuerobern,<br />

scheiterten. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts waren rechts des Rheins die ersten<br />

alamannischen Ansiedlungen entstanden - Weiler und dorfartige Siedlungen. Die Steinhäuser<br />

der Römer verödeten, das gut bebaute Land aber bewirtschafteten die Alamannen weiter. Als<br />

gegen Ende des 5. Jahrhunderts die Franken das römische Gallien erobert hatten, kam es<br />

zwischen den beiden rivalisierenden germanischen Stämmen im Jahr 496 zu der<br />

entscheidenden Schlacht bei Zülpich. Die Franken wurden von ihrem König Chlodwig<br />

angeführt. Die Alamannen leisteten erbitterten Widerstand. Chlodwig glaubte die Schlacht<br />

zeitweise sogar verloren und gelobte in der Not, bei einem Sieg zum Christentum<br />

überzutreten. Die Alamannen wurden geschlagen. Chlodwig und 3 000 fränkische<br />

Gefolgsleute wurden Christen. Die Alamannen mußten ihre nördlichen Gebiete abtreten, die<br />

Grenze zum Land der Franken verschob sich nach Süden und verlief quer durch das heutige<br />

Nordwürttemberg. Sie zog sich südlich von Crailsheim, Murrhardt, Marbach zum<br />

Hohenasperg, ein Stück entlang der Glems in Richtung Weil der Stadt nach Calw. Gechingen<br />

kam als Grenzort noch unter fränkische Herrschaft. Auch der nördliche Schwarzwald fiel an<br />

die Franken. Im Jahr 537 übernahmen die Franken auch Restalamannien.<br />

Bei Gechingen läßt sich annehmen, daß es mit zu den ältesten alamannischen Dörfern gehört.<br />

Ortsnamen auf "-ingen" gehören zu den ersten Ansiedlungen, die im 4. bis 5. Jahrhundert<br />

gegründet wurden. Über die Entstehung des Ortsnamens gibt es zwei Vermutungen. Die eine<br />

leitet sich von dem Namen "Gacho" ab. "-ing" war eine Geschlechtsbezeichnung. "Gachoingen<br />

bezeichnet die Mehrzahl, also hieße Gechingen, früher Gachingen "bei den Leuten des<br />

Gacho" (vgl. Bildungen wie "Merowinger" oder "Karolinger"). Die andere Deutung bezieht<br />

sich auf den Wasserreichtum des Ortes. Die Vorsilbe "ge" bedeutet "viele" (Gebirge= viele<br />

15


Berge), Aach oder Gach ist der alte Name für Wasser, daraus könnte ebenfalls Gachingen<br />

"Dorf am Wasser" entstanden sein.<br />

Wie wohl die ersten <strong>Gechinger</strong> lebten? Unser Wissen über die ersten alamannischen Dörfer ist<br />

dürftig, da die Siedlungen heute noch bestehen und Grabungen daher nicht möglich sind.<br />

Schriftliche Zeugnisse gibt es erst aus christlicher Zeit.<br />

Zu Neuansiedlungen schlossen sich fast immer mehrere Familien zu größeren Verbänden<br />

zusammen. Der "Hausherr" war uneingeschränkt der Herr über alles lebende und tote<br />

Inventar, wozu Frau und Kinder, eventuell auch Verwandte mit Kindern, Leibeigene und<br />

Sklaven gehörten. Er gewährte dafür Rechtsschutz. Zwischen freien Bauern und Grundholden<br />

(vom Grundherren in irgendeiner Form Abhängigen) waren die Übergänge wohl nicht völlig<br />

eindeutig festgelegt. Es ist auch möglich, daß schon das noch unbesiedelte Land in<br />

Herrschaftskomplexe aufgeteilt war und so schon bei Neugründungen Abhängigkeit von<br />

Grundherren bestand.<br />

Wahrscheinlich errichteten die Alamannen damals schon ihre Fachwerkhäuser. Die Fächer<br />

füllten sie mit Flechtwerk aus Reisig aus, das sie mit Lehm überkleideten; eine Bauart, die<br />

seither bis vor ca. 150 Jahren in den Gäuorten angewendet worden ist.<br />

Die Alamannen trieben wenig Handel, die Dorfbewohner versorgten sich mehr oder weniger<br />

selbst. Daher gab es früh Werkstätten, in denen das für die örtlichen Bedürfnisse Notwendige<br />

angefertigt wurde. Als erstes kommt da der Grobschmied in Frage. Auch Töpfer gab es<br />

häufiger.<br />

Das meiste, das wir über die Alamannen wissen, verdanken wir den Reihengräberfriedhöfen,<br />

die außerhalb der Dörfer lagen und die vom 5. bis zum 7. Jahrhundert allgemein üblich waren,<br />

als die Körperbestattung sich durchgesetzt hatte. Man beerdigte alle Toten eines Ortes auf<br />

dem gleichen Friedhof in Reihen. Die Toten erhielten Beigaben, mit denen es ihnen<br />

ermöglicht werden sollte, im Jenseits zu bestehen. Dieser Brauch beruht auf religiösen<br />

Vorstellungen. Die Toten waren vollständig bekleidet, den Frauen gab man ihren besten<br />

Schmuck und den Männern Waffen mit, dazu Ton- Bronze- oder Holzgefäße. Die möglichst<br />

vollständige Ausgrabung eines Reihen-gräberfriedhofs läßt Vorstellungen von der Größe des<br />

zugehörigen Ortes und seiner sozialen Struktur zu. Auch die osteologische Untersuchung der<br />

Skelette hat wichtige Erkenntnisse gebracht. Wir wissen, daß die Männer durchschnittlich<br />

1,67 m und die Frauen 1,55 m groß wurden. Fast zwei Drittel der Bevölkerung wurde nicht<br />

älter als 25 Jahre.<br />

Auf einzelnen Gräberfeldern machte man auch kostbare Funde, so muß im 5. Jahrhundert im<br />

benachbarten Gültlingen ein Zentrum germanischer Macht gewesen sein. Man hat Gräber von<br />

Personen gefunden, die überaus reich ausgestattet waren. Zum Beispiel entdeckte man dort in<br />

zwei Männergräbern eine Goldgriffspatha (zweischneidiges germanisches Langschwert,<br />

dessen Griff mit Goldblech beschlagen war), eine außerordentlich seltene Beigabe, die auf den<br />

hohen Rang des Trägers schließen läßt. Der Schmuck bestand aus teilweise sehr schönen und<br />

wertvollen Stücken. Ab dem 6. Jahrhundert finden sich in Gültlingen keine Gräber von<br />

Angehörigen eines besonders vornehmen und reichen Personenkreises mehr, was vermutlich<br />

mit der Schlacht von Zülpich 496 zusammenhängt.<br />

Während der Periode des Landausbaus im 7. Jahrhundert sprechen die archäologischen Funde<br />

in den Friedhöfen für ein System rechtlicher Abhängigkeit des überwiegenden Teils der<br />

Bevölkerung. Eine kleine Oberschicht hatte die wirtschaftliche und politische Macht, diese<br />

Ab-hängigkeitsverhältnisse, die bis weit ins Mittelalter hinein erhalten blieben, zu schaffen<br />

und sie rechtlich abzusichern. Dies muß auf Kosten des sozialen Gleichgewichts geschehen<br />

sein, bedeutet aber nicht, daß alle unfreien Alamannen besitzlos waren. Etwa ein Drittel der<br />

Bevölkerung konnte es zu bescheidenem Wohlstand bringen und die im Lande gefertigten<br />

16


Tuche, Gürtel und Waffen erwerben. Der Rest war im 7. Jahrhundert aber mittellos. Auch das<br />

läßt sich bis zum Ende des Jahrhunderts aus Reihengräberfriedhöfen erschließen. Ein solcher<br />

wurde für Gechingen bisher nicht gefunden, doch auch hier wurden Gräber entdeckt, von<br />

denen man weiß oder annimmt, daß sie aus der Alamannenzeit stammen, so auf dem<br />

Käppelesberg und in der Kreuzstraße. In der Oberamtsbeschreibung von 1860 ist von<br />

Grabfunden die Rede. "Auf dem nordwestlich am Ort gelegenen sogen. Angel wurden im Jahr<br />

1841 zwei Furchengräber aufgefunden, welche Skelette enthielten, denen bronzene Arm-,<br />

Ohren- und Fußringe, eine schön gearbeitete Fibula und kurze, einschneidige Schwerte von<br />

Eisen beigegeben waren. Nur etwa 300 Schritte von dieser Stelle auf dem sogen.<br />

Käppelesberg wurden im Jahr 1845 beim Graben eines Kellers ähnliche Gräber aufgedeckt,<br />

die eiserne Waffen enthielten."<br />

Bei Kanalarbeiten am alten Schulhaus wurde 1953 ein Grab mit Grabbeigaben freigelegt. Die<br />

Funde wurden unter der Leitung Prof. Parets vom Landesamt für Denkmalpflege geborgen. Er<br />

identifizierte die Beigaben als alamannischen Frauenschmuck und datierte die Bestattung ins<br />

siebte bis achte Jahrhundert. In den "Stuttgarter Nachrichten" wurde seinerzeit ausführlich<br />

darüber berichtet und in den "Fundberichten aus Schwaben" u.a. eine Liste der<br />

Schmuckstücke veröffentlicht.<br />

Es gelang dem Arbeitskreis Heimatgeschichte, sowohl die Gebeine als auch die Grabbeigaben<br />

wieder aufzufinden und für das Museum Appeleshof zurückzuerlangen. Die Skelettreste<br />

befanden sich in der Osteologischen Sammlung der Universität Tübingen. Auch bei diesem<br />

Knochenfund konnte eine anthropologische und eine C14-Analyse durchgeführt werden. Der<br />

anthropologische Befund ergab, daß es sich um eine sehr grazile Frau von 20-25 Jahren<br />

handelte. Sie war zwischen 1,55 m und 1,60 m groß. Auch ein kräftiger<br />

Oberschenkelknochen, der nicht zu den übrigen Gebeinen gehören kann, war dabei,<br />

vermutlich ist er einem Manne zuzuordnen.<br />

Durch die Radiocarbon-Analyse ließ sich der Zeitpunkt der Bestattung um das Jahr 645 n.<br />

Chr. festlegen. Es hat sich also bestätigt, daß der Fund aus der Alamannenzeit stammt. Die<br />

Grabbeigaben hatte Prof. Paret dem Heimatmuseum Calw übergeben, von dem sie das<br />

Heimatmuseum Gechingen 1995 zurückerhielt. Es handelt sich um folgende Stücke :<br />

Eine Halskette aus 80, zum Teil mehrfarbigen Glas- und drei Bernsteinperlen<br />

Ein großer Ohrring aus dünnem Bronzedraht, mit durch Punktkreise verziertem kleinem<br />

Polyeder<br />

Eine Rundfibel aus gepreßtem Bronzeblech, durch acht Nieten auf der Unterlagplatte<br />

befestigt, mit Mittelbuckel, Perllinien- und Flechtbandverzierung<br />

Vier Riemenzungen, Bronze, verziert, mit Nieten zur Befestigung an Lederriemen<br />

Ein Armring, Bronze, offen mit Schlangenkopfenden<br />

Ein Bronzering, geschlossen<br />

Eine Spachtel, Bronze, Griff gedreht. In der Öse Rest eines eisernen Ringchens.<br />

Im Fundbericht wurden außerdem zwei kleine quadratische Bronzebeschläge sowie die Reste<br />

von zwei kleinen Eisenringen und Teile eines zweiseitigen Beinkamms aufgeführt. Diese<br />

Teile sind aber verloren gegangen.<br />

Die junge Frau war relativ wohlhabend. Die Scheibenfibel war etwas Besonderes, ebenso die<br />

Bernsteinperlen. Bei der Spachtel handelt es sich um ein Schabewerkzeug mit breiter Klinge,<br />

das wie der Bronzering wohl Teil des Gürtelgehänges war, an dem die alamannische Frau das<br />

trug, was "zur Hand" sein sollte, auch Amulette waren oft dabei. Die Lederriemen, zu denen<br />

die Riemenzungen gehörten, dienten zur Befestigung der Beinkleidung.<br />

Die Reihengräberfriedhöfe wurden gegen Ende des 7. Jahrhunderts aufgegeben. Damals war<br />

Alamannien weitgehend christianisiert. Unter kirchlichem Einfluß ging man dazu über, die<br />

Friedhöfe im Dorf rings um die Kirche anzulegen. Ab 600 sind die ersten Kirchen<br />

17


nachweisbar, zunächst meist als Teil eines Adelshofes. Weil die Franken immer nur eine<br />

dünne Oberschicht stellen konnten, stützte ihre Herrschaft sich von Anfang an auf die Kirche.<br />

Als öffentliches Gebäude einer Dorfgemeinschaft dürften Kirchen zu diesem Zeitpunkt noch<br />

eine Ausnahme gewesen sein. Das wandelte sich dann im Laufe des 8. Jahrhunderts. Da man<br />

ab diesem Zeitpunkt auf Grabbeigaben verzichtete und die Gräber mehrfach nacheinander<br />

belegte, sind sie für die Forschung wertlos. Die ersten Kapellen und Kirchen in unserer<br />

Gegend wurden St. Martin und St. Michael geweiht. Da auch unsere Kirche eine St. Martins-<br />

Kirche ist, nehmen wir an, daß sie aus jener Frankenzeit stammen könnte. Die erste christliche<br />

Kapelle in unserem Ort stand auf dem Käppelesberg, wo der Sage nach früher eine<br />

alamannische 0pferstätte war. Manche Einwohner Gechingens besuchten wahrscheinlich in<br />

den Anfängen des Christentums heimlich noch eine andere 0pferstätte, die sich auf dem<br />

Steinenberg (bei Deckenpfronn) befand.<br />

Für die einfachen Leute hatte die Frankenzeit zunächst wohl kaum Veränderungen gebracht,<br />

sie hinterließ nur oberflächliche Eindrücke. Zwar blieben die Franken in der Verbreitung des<br />

Christentums, das sich langsam durchsetzte, erfolgreich, politisch wurde aber durch unfähige<br />

Nachfolger des Merowingers Chlodwig das Frankenreich bald so geschwächt, daß in seinen<br />

Randgebieten, zu denen Schwaben gehörte, die königliche Gewalt nachließ. Im 6. und 7. Jhdt.<br />

stand Alamannien (Schwaben) ein Herzog aus heimischem Adel als Vertreter des<br />

Frankenkönigs vor.<br />

Vom frühen Mittelalter bis zum Bauernkrieg<br />

Nach dem Tod des letzten Schwabenherzogs Lantfrit wurde das Herzogtum Schwaben<br />

aufgehoben. Ein Aufstand der Alamannen folgte. Karlmann, der Bruder des Karolingers<br />

Pippin, der später die Merowinger absetzte und selbst die Herrschaft übernahm, führte einen<br />

Feldzug gegen die Alamannen. Von ihm wurde 746 der alamannische Adel zu einem<br />

Gerichtstag bei Cannstatt eingerufen und dort vom fränkischen Heer umstellt und<br />

niedergemacht. Das nun führungslose Alamannien wurde fest in das Frankenland<br />

eingegliedert, die Güter der Aufständischen fielen an das fränkische Königsgut. Das Land<br />

wurde in Gaue aufgeteilt und diese von fränkischen Hofbeamten (Grafen) verwaltet. Unter<br />

ihnen entstanden viele neue Orte mit den Endungen -heim und -hausen, -zell und -kirch.<br />

Stammheim und Gechingen lagen im Würmgau, Deufringen im Gau Glehuntare und Dachtel,<br />

Deckenpfronn und Holzbronn in der Bertholdsbar (Bar oder Baar = Verwaltungsbezirk, Bar<br />

bedeutet Gerichtsschranke). Die ersten Gaugrafen, denen unsere Gegend unterstellt war,<br />

waren die Grafen von Calw.<br />

Unter den Karolingern entwickelte sich im 8. Jahrhundert das Lehnswesen, das dann das<br />

ganze Mittelalter hindurch eine Grundlage der Gesellschaftsordnung war. Der ursprüngliche<br />

Gedanke war, daß der oberste Kriegsherr, der König oder Kaiser, verdiente Gefolgsleute mit<br />

Land "belehnte", das aber in seinem Besitz blieb. Die Lehensträger waren zu Kriegsdienst und<br />

Treue ihrem Lehnsherrn gegenüber verpflichtet und konnten ihrerseits Lehensmänner mit<br />

Land belehnen, die dann vom Ertrag ihres Gutes sich Pferd und Rüstung beschaffen mußten,<br />

um ihrem Lehensgeber im Kriegsfall Gefolgschaft zu leisten. Die Bauern waren vom<br />

Kriegsdienst freigestellt und hatten Anspruch auf Schutz, sie mußten aber durch Abgaben und<br />

Frondienste an den Grundherren dessen Aufwendungen für den Kriegsdienst finanzieren. Was<br />

ursprünglich eine vernünftige Übereinkunft auf Gegenseitigkeit gewesen war, entwickelte sich<br />

im Lauf der Zeit zu Rechtlosigkeit und Abhängigkeit auf seiten der Bauern, die an das Land,<br />

das sie bebauten, gebunden blieben. Diese rechtlichen Verhältnisse, die sich schon im 7.<br />

Jahrhundert aus Gräberfunden abzeichneten, sind uns wenig später, im 8. Jhdt., in den<br />

Schenkungen an die großen Klöster am Rande des Alamannengebiets auch schriftlich bezeugt,<br />

18


wie das Beispiel Gechingen zeigt, das samt lebendem und totem Inventar zur Schenkung<br />

wurde.<br />

Mit der Christianisierung und der Ausbreitung der Klöster treten immer mehr schriftliche<br />

Zeugnisse an die Stelle der archäologischen.<br />

Nach dem Tode Karls des Großen im Jahr 814 zerfiel das riesige Frankenreich, seine<br />

Nachfolger waren nicht fähig, es zu erhalten. Der westliche Teil, das spätere Frankreich,<br />

trennte sich vom eigentlichen Reich der Deutschen. Schwaben wurde Herzogtum. Es war der<br />

Schauplatz vieler Kriege und wurde oft verwüstet. Später gelangte Schwaben als das<br />

Stammland der Staufenkaiser zu großer Bedeutung und einer Art Vormachtstellung im Reich<br />

und viele Städte wurden dort zur Stauferzeit gegründet. Weil der Stadt zum Beispiel erhielt<br />

unter den Staufern Stadtrecht. Auch die erste urkundliche Erwähnung Gechingens fiel, so<br />

dachte man bisher, in diese Zeit. Man ging von der gesicherten Nennung im Jahr 1200 aus.<br />

Ein Marquart von Gechingen schenkte dem Kloster Hirsau 2 Huben (Hube oder Hufe ist ein<br />

altes Landmaß). Das Wappenbuch des Landkreises Calw verzeichnet als Erstnennung<br />

Gechingens im Codex Hirsaugiensis das Jahr 1150. Inzwischen liegen neue Erkenntnisse vor.<br />

In einer Reichenauer <strong>Chronik</strong> Anfangs 1500 wird von einer Schenkung um 830 berichtet. Die<br />

sechzehn Orte (teils aus nächster Umgebung), die damals an das Kloster Reichenau fielen,<br />

sind namentlich genannt. Darunter wird auch "Gaichingen", also Gechingen, erwähnt. Die<br />

Schenkung kam von einem Sohn des Calwer Grafen Erlafried (+ 850) mit Namen Noting. Er<br />

war Bischof in dem oberitalienischen Bistum Vercelli. Das ist die erste urkundliche Nennung<br />

des Ortes Gechingen (Heft 1 "Einst und Heute"). Ausführlicher Bericht im Anhang.<br />

Als der letzte Staufer Konradin 1268 enthauptet worden war, verfiel auch das Herzogtum<br />

Schwaben. In dem nun entstandenen Machtvakuum konnten kleine Herren ihre Macht und ihr<br />

Gebiet ausdehnen, das beste Beispiel dafür sind die vorher unbedeutenden Grafen von<br />

Württemberg. Das Geschlecht erlangte 1495 die Herzogswürde, als Ehrung Eberhards V.,<br />

eines begabten und allgemein hochgeschätzten Fürsten. Doch war das Herzogtum<br />

Württemberg viel kleiner als das einstige Herzogtum Schwaben. Auf unserem Boden gab es<br />

mehr als hundert selbständige Herrschaften von weltlichen und geistlichen Herren und<br />

Reichsrittern, denn auch Klöster, Ritter und freie Städte beanspruchten und erhielten<br />

Reichsunmittelbarkeit.<br />

Gechingen selbst ging durch viele Hände, war aber meist in geistlichem Besitz. Man kann sich<br />

die mittelalterlichen Besitzrechte nicht kompliziert genug vorstellen, auch in Gechingen<br />

hatten viele Herren Anspruch auf Abgaben, ob es sich nun um Frondienste oder Naturalien<br />

handelte, auch Steuern in Form von Geld nahmen im Lauf der Zeit einen immer wichtigeren<br />

Platz ein. Um die Verhältnisse ein bißchen anschaulicher zu machen, sei hier aufgeführt, was<br />

wir aus frühen Urkunden über einige Anwesen in Gechingen wissen:<br />

Über Hof und Haus Marquardt/Böttinger, Kirchstraße, ist folgendes bekannt: 1496 erscheint<br />

das Anwesen als Vögtleinshof, das dem Kloster Hirsau zinst. 1515 ist eine Teilung des Hofes<br />

eingetragen. 1547 Änderung des Namens in Sauergut und Linkenhof. (Breitling Hans des<br />

Linken Sohn). 1573 Bau einer Scheuer (Jahreszahl im Kellerhals). 1620 ist das heutige Haus<br />

erbaut. 1622/63 erscheinen Alt Martin Weiß und sein Schwiegersohn Endris Spöhr als<br />

Besitzer und für die Jahre 1632/61 Hyronimus Weiß und Martin Weiß. 1720 gehört Hans<br />

Bernhardt Fischer die eine und Michel Sembler die andere Hälfte.<br />

Folgende Höfe sind außerdem in Urkunden erwähnt: 1453 und 1530 ein Frühmeßhof (für<br />

Vikar oder Helfer des Pfarrers), 1453 ein Waldvogtshof (zinst der geistlichen Verwaltung<br />

Calw), 1496 und 1525 ein Amlungshof (zinst Kloster Hirsau), 1480 Heiligenhof oder<br />

Widdumgut (für den Pfarrer), 1401 und 1720 Spörenhof, Jörg Kielwein, Hans Schneider<br />

(zinsen an das Stift in Sindelfingen). 1388 und 1547 Lindenfels Gut, Langhans Peter. 1622<br />

Brackenheimer Hof. 1720 Scharheinzen Hof, Christian Dichtel. 1720 Hengstetter Pfarrhöfle<br />

(für Pfarrer von Hengstett). 1517 Kraussenhof, Aurelius Krauss und Sohn Jakob. 1746<br />

19


Luppenhof (zinst der geistlichen Verwaltung in Calw). Welcher von diesen Höfen mit denen<br />

im Zinsbuch von 1725 genannten identisch ist, bleibt einer weiteren Nachforschung<br />

vorbehalten.<br />

Verschiedene Güter waren dem Kloster Hirsau zinspflichtig. 1447 wurden 22 Malter Roggen,<br />

5 Malter Dinkel und 5 Malter Habern und 5 Schilling abgeliefert. Im Jahre 1533 waren es 20<br />

Malter Roggen, 13 Malter Dinkel und 60 Malter Habern.<br />

Die Naturalabgaben, soweit es sich um Getreide handelte, der Zehnte also, mußten, wie in<br />

anderen Ortschaften, in die Zehntscheuer, auch Fruchtkasten genannt, geliefert werden. Auch<br />

Gechingen besaß ein solches Gebäude. Es war 39 Fuß (1 Fuß= 0,28 m) lang, 36 Fuß breit, aus<br />

Stein gebaut und hatte zwei Fruchtböden, die 500 - 600 Scheffel faßten. Darunter befand sich<br />

ein großer Keller. An welcher Stelle im Ort der Fruchtkasten stand, ist bis heute unklar. In den<br />

Jahren 1831-1832 wurde er abgebrochen.<br />

1308 verkaufte der Pfalzgraf von Tübingen seinen Besitz in Gechingen um 800 Pfund Heller<br />

an das Kloster Herrenalb, das zu dieser Zeit bis zum Dreißigjährigen Krieg großen<br />

wirtschaftlichen Einfluß hatte. Ein Großteil des Ortes unterstand damit dem Klosteramt in<br />

Merklingen, das dem Kloster Herrenalb gehörte. Auch die Schultheißen wurden von<br />

Merklingen aus eingesetzt und bestätigt. Aus Schätzungslisten des Amtes aus den Jahren 1448<br />

und 1470 ist zu entnehmen, daß es damals in Gechingen 47 vermögende Hausbesitzer gab, 5<br />

Einwohner ohne Haus und 10 völlig Mittellose. Wenn man die durchschnittliche Größe der<br />

Familien dieser Zeit zugrundelegt, kommt man auf eine geschätzte Einwohnerzahl von 350 -<br />

450 Personen.<br />

Auch ein Bild von der Größe des Ortes in dieser Zeit kann man sich machen. Aus der<br />

Amtszeit des Schultheißen Konrad Schneider (ca.1475-1505) wissen wir, daß dieser "Hus und<br />

Hof, Scheuer und Garten mit aller Zugehörd an dem Hengstetter Tor" hatte. Das Anwesen<br />

stand am Ende der Kunzengasse, die etwa da verlief, wo heute der Fleckenparkplatz ist, an der<br />

Stelle, an der sich das Konsumgebäude mit dem "Uffamergamänndle" befand, gerade noch<br />

innerhalb des Dorfzauns (Dorfetter). Der Dorfetter umschloß einerseits den Raum zwischen<br />

Bach und Calwer Straße und andererseits den Bereich zwischen Kirchstraße mit Kirche und<br />

Gäßle, so daß der "Adler", dessen Platz heute das Rathaus einnimmt, schon außerhalb lag.<br />

Zunächst hatte der Dorfetter hauptsächlich eine Schutzfunktion, ähnlich der Stadtmauer bei<br />

den Städten, später aber lag seine Bedeutung vor allem in der Markierung einer Grenze<br />

zwischen Ortschaft und Flur. Es handelte sich im allgemeinen um einen starken Holzzaun.<br />

Die beiden Ausgänge wurden morgens und abends geöffnet bzw. verschlossen.<br />

Alle die vielen Herren, die es in unserem Lande gab, ob weltliche oder geistliche, mußten ihr<br />

Gebiet militärisch sichern, für die Rechtssprechung sorgen, ihre Einkünfte einziehen und<br />

verwalten. Sie gliederten ihren Besitz jeweils in Amtsbezirke, denen ein Vogt oder Amtmann<br />

vorstand. Diese Verwaltungseinteilung des Landes in Ämter war Mitte des 15. Jahrhunderts<br />

abgeschlossen.<br />

Die Dorfgemeinden waren einfacher, aber nach dem Vorbild des Amtssitzes organisiert. An<br />

der Spitze der Dorfgemeinde stand ein Schultheiß, der vom zuständigen Amt ernannt wurde;<br />

vielfach gewannen aber mit der Zeit die Dorfgemeinden ein Recht der Mitwirkung bei der<br />

Besetzung des Schultheißenamtes. Dem Schultheißen stand das Dorfgericht zur Seite,<br />

daneben meist ein Gemeindeausschuß, der sich in späterer Zeit auch "Rat" nannte. Das<br />

Dorfgericht oder Ruggericht rügte Fehler und verhängte kleinere Strafen. Die spätere<br />

Selbstverwaltung der Dörfer nahm hier ihren Anfang.<br />

Während das Bürgertum in den Städten aufstrebte, blieben die Bauern sozial deklassiert und<br />

ohne politischen Einfluß. Es kam immer wieder zu kleineren Bauernaufständen. Auf<br />

württembergischem Gebiet - zu dem Gechingen damals nicht gehörte - erhoben sich die<br />

Bauern im Remstal 1514 im Aufstand des Armen Konrad gegen die Mißwirtschaft Herzog<br />

Ulrichs von Württemberg. Er richtete sich vor allem gegen neue Steuern und griff rasch auf<br />

20


andere Landesteile und sogar auf die Amtsstädte über. Im Tübinger Vertrag, von dem die<br />

Bauern ausgeschlossen blieben, einigte sich Ulrich mit der Landschaft (entspricht ungefähr<br />

dem heutigen Landtag) und mit der Ehrbarkeit. Der Tübinger Vertrag gilt als Grundlage der<br />

altwürttembergischen Verfassung. Der Bauernaufstand wurden niedergeschlagen, einige der<br />

Anführer in Schorndorf enthauptet.<br />

Vom Armen Konrad, wie auch vom Beginn der Reformation (1517) blieb Gechingen zunächst<br />

wohl unberührt. Nicht nur die Oberen der geistlichen Herrschaften hielten am katholischen<br />

Glauben fest, auch das württembergische Gebiet war zur Zeit der Vertreibung Herzog Ulrichs<br />

unter der Zwischenregierung Ferdinands von Habsburg, strikt katholisch. Doch waren sowohl<br />

unter der habsburgischen als auch unter geistlicher Herrschaft die Lebensverhältnisse der<br />

Bauern unbefriedigend. Seit der Reformation, die sie auch als eine soziale Bewegung ansahen,<br />

strebten die Bauern neben einer Verbesserung ihrer Lage, auch "göttliche Gerechtigkeit" an.<br />

Die neue Lehre Luthers durften sie zwar nicht annehmen, aber sie waren doch mit ihr in<br />

Berührung gekommen. Weil der Stadt zum Beispiel neigte der Reformation zu, Johannes<br />

Brenz, der spätere Reformator Württembergs, stammt von dort. Gegen Ende des 16.<br />

Jahrhunderts wurde die Stadt im Zuge der Gegenreformation wieder katholisch.<br />

Zuerst erhoben sich die Bauern 1524 im Süden unseres Landes zum Bauernkrieg, im Frühjahr<br />

1525 flackerte der Aufstand überall in Deutschland auf, das heutige Baden-Württemberg war<br />

ein Zentrum des Aufruhrs. Tillie Jäger schreibt sehr anschaulich darüber, denn auch<br />

Gechingen war unmittelbar betroffen: "Das war eine Aufregung, auch in den Dörfern unserer<br />

Gäulandschaften! Überall diskutierten aufgeregte Bauern, in den Häusern, in den<br />

Dorfwirtschaften, auf der Straße. So durfte es nicht mehr weitergehen mit der Ausbeutung<br />

durch Fürsten, Klöster, Staats- und Kirchendiener! Die alten Lehensrechte, die von den<br />

Grundherren nach Belieben weiter verschachert werden konnten, hatten zu einer heillosen<br />

Verwirrung geführt. So zinsten und fronten in Gechingen die einen an das Kloster Hirsau, die<br />

anderen an die Klöster Herrenalb, Lichtental, Reuthin, an das Chorherrenstift in Sindelfingen<br />

oder gar an den Markgrafen von Baden. Als demütigend und untragbar wurde aber die<br />

Leibeigenschaft angesehen. Als um die gleiche Zeit Luthers Lehre wie im Siegeszug durch<br />

das Land brauste, da brachen überall die Dämme. Das war ein Kommen und Gehen, auch in<br />

Gechingen! Alle Höfe und Gärten waren belegt, mit rastenden Bauerngruppen, mit Pferden<br />

und Gespannen, mit Feldschlangen (Kanonen) und allerlei Belagerungsgeräten. Viele folgten<br />

dem Bauernhauptmann Bernhardt Schwarz von Dagersheim. Dem Abt Johann vom Kloster<br />

Hirsau und selbst der Stadt Calw zeigte man, was die Stunde geschlagen hatte. Mit vereinten<br />

Kräften gelang es, die befestigte Stadt Herrenberg zu erobern. Und alle wollten in Böblingen<br />

mit dabei sein, wenn es galt, der Ungerechtigkeit ein für allemal ein Ende zu bereiten.<br />

Sorgenvoll mögen an jenem 12. Mai des Jahres 1525 die <strong>Gechinger</strong> Frauen an ihre Männer<br />

und Söhne gedacht haben, die mit dem großen Bauernheere in der Nähe des heutigen<br />

Böblinger Bahnhofes Aufstellung nehmen mußten. Welcher Schrecken mag in ihre Glieder<br />

gefahren sein, als noch am selben Tage die Nachricht von der furchtbaren Niederlage der<br />

Bauern bekannt wurde, als die siegestrunkenen Söldner ihre Wut an den Flüchtigen austobten,<br />

als die Nachbardörfer in Rauch aufgingen und in allen Orten erbarmunglose Strafgerichte<br />

abgehalten wurden."<br />

Die Niederlage der Bauern war dem Heer des Schwäbischen Bundes unter Georg Truchseß<br />

von Waldburg, dem "Bauernjörg", zuzuschreiben. Die Schlacht am Goldberg war eine der<br />

blutigsten des Bauernkrieges, 2500 Bauern wurden allein dort niedergemacht. Auch<br />

andernorts wurden die schlecht ausgerüsteten, zersplitterten Bauernheere, die ohne<br />

einheitliche Führung blieben, geschlagen.<br />

Wegen der Teilnahme am Bauernkrieg sollten die Dörfer des Merklinger Amtes, Merklingen,<br />

Gechingen, Althengstett, Simmozheim und Hausen gebrandschatzt werden. Nur durch die<br />

21


Zahlung von 700 Gulden an den Profos des Bundesheeres, Berthold Aichelin, konnte dies<br />

verhindert werden.<br />

Württemberg<br />

Das Kloster Herrenalb, zu dem Gechingen gehörte, stand seinerseits unter der<br />

Schirmherrschaft des Herzogs von Württemberg. Der vertriebene Herzog Ulrich sah seine<br />

Chance, sein Land zurückzugewinnen, darin, daß er den evangelischen Glauben annahm und<br />

sich dem Bund evangelischer Fürsten und Städte (Schmalkaldischer Bund) anschloß. Mit<br />

seiner Hilfe eroberte er 1534 sein Land zurück und führte in Württemberg die Reformation<br />

ein. Dabei wurde, neben vielen anderen, auch das Kloster Herrenalb nach erheblichem<br />

Widerstand säkularisiert, d. h. verweltlicht, seine Einkünfte wurden dem Landesvermögen<br />

zugeschlagen. Gechingen wurde damit württembergisch und evangelisch (Siehe "Zeugen").<br />

Neu erworbene Territorien wurden aber nicht einem der damals vorhandenen<br />

württembergischen Ämter, wie Calw, Nagold, Neuenbürg, Wildberg, Wildbad oder Zavelstein<br />

eingegliedert, sondern dem Land als neue Ämter eingefügt, so auch das Klosteramt Herrenalb.<br />

An seiner Spitze stand nun ein evangelischer Prälat. Gechingen blieb also beim Amt<br />

Merklingen, zu dem auch Hengstett, Simmozheim, Mühlhausen, Schlehdorn, Münklingen,<br />

Cröwelsau, Lehningen, Neuhausen und Hausen gehörten, bis 1808 unter König Friedrich die<br />

Oberämter neu geordnet wurden.<br />

In den geistlichen Ämtern fanden regelmäßig Versammlungen der Schultheißen statt, bei<br />

denen die Anliegen der Dorfgemeinden den Repräsentanten im Landtag, zu denen auch der<br />

Prälat von Herrenalb gehörte, vorgetragen werden konnten. Ein eigentliches Mitspracherecht<br />

bestand freilich nicht.<br />

In der ersten Zeit der württembergischen Herrschaft wurde der <strong>Gechinger</strong> Schultheiß Lorenz<br />

Reißer mit drei Ratsangehörigen nach Böblingen befohlen, um Auskunft über die <strong>Gechinger</strong><br />

Wälder zu geben. Der Besitz des ausgedehnten Gemeindewaldes wurde den <strong>Gechinger</strong>n dort<br />

bestätigt (siehe auch "Der Wald").<br />

1536 gründete Herzog Ulrich das evangelische Stift in Tübingen, das vor allem der<br />

Ausbildung evangelischer Pfarrer dienen sollte - es wurden damals viele gebraucht. Im Stift<br />

wurden von Anfang an begabte, aber wenig begüterte junge Männer aus dem ländlichen Raum<br />

kostenlos ausgebildet. Ein Absolvent aus Gechingen war später Karl F. Brackenhammer.<br />

(Siehe: „Einzelne Persönlichkeiten“).<br />

1547-48 kam Unglück über das Land. Kaiser Karl V., der sich als Schirmherr des<br />

katholischen Glaubens sah, wollte sich gegen Herzog Ulrich und die anderen evangelischen<br />

Fürsten durchsetzen. Es kam zum schmalkaldischen Krieg, in dem die Protestanten<br />

unterlagen. Auch Gechingen wurde in Mitleidenschaft gezogen.<br />

„Nota aus dem <strong>Gechinger</strong> Zinsbuch von 1547-1703: Des gemeldeten Siebenundvierzigsten<br />

Jahr im Monat Januar, als es sehr kalt war, hat Kaiser Karolus der Fünfte durch die Spanier<br />

und Italiener das Land Württemberg hingenommen, dasselbige geplündert und durch eine<br />

streifende Rotte rauben lassen. Gott wolle uns auch fürhin vor Übel bewahren. Amen.“<br />

In Gechingen richteten kaiserliche Soldaten einen Schaden von 28555 Gulden an.<br />

Erst unter Ulrichs Sohn und Nachfolger, Herzog Christoph (1550-1568), der ein fähiger und<br />

gewissenhafter Fürst war, konnte ein Ausgleich zwischen der neuen und der alten Kirche<br />

gefunden werden.<br />

Zurück zu anderen Heimsuchungen, von denen um diese Zeit aus Gechingen berichtet wird:<br />

Im Jahr 1571 war der Winter so streng, daß sogar das Wasser in den Brunnen gefror.<br />

Immer wieder traten Pestepedemien auf. 1594 starben allein in Tübingen 950 Personen an der<br />

Pest. Die Universität wurde teils nach Calw und teils nach Herrenberg verlegt.<br />

22


Aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts stammt das "Neu Buch, in dem ihre Gebräuch<br />

beschrieben sind", das sogenannte Fleckenbuch. Es ist noch heute eine Fundgrube für<br />

Forschungen. Über das "Alt Buch" ist nichts bekannt. Man kann davon ausgehen, daß die<br />

"Gebräuch" auf alte Überlieferungen zurückgehen.<br />

Mit der großen Kirchenordnung, die Herzog Christoph 1559 schuf, und die die Schulordnung<br />

einschloß, sollte unter anderem der Analphabetismus auf dem Lande durch Schule und Kirche<br />

bekämpft werden.<br />

1552 verfügte Herzog Christoph dann die Gleichberechtigung der Kinder bei Erbteilungen<br />

(Realteilung). Das führte später zu einer völligen Zersplitterung des bäuerlichen Besitzes in<br />

Altwürttemberg.<br />

Im Dreißigjährigen Krieg<br />

Im Buch "Heimat Gechingen" von K. F. Essig sind alle Kriegsschicksale unserer Gemeinde<br />

im Dreißigjährigen Krieg (1618-48) ausführlich und genau beschrieben, so daß sich hier eine<br />

Wiederholung erübrigt. Es sollen hier nur Zusammenhänge hergestellt und Ergänzungen<br />

eingefügt werden.<br />

Zunächst blieb unser Ort von den Kriegswirren weitgehend verschont. Erst als König Gustav<br />

II. Adolf von Schweden, der die Sache des Protestantismus hatte retten wollen, gefallen war,<br />

begann für Württemberg das wahre Elend des Krieges. Nach der furchtbaren Niederlage der<br />

evangelischen Seite in der Schlacht bei Nördlingen am 6. Sept. 1634, in der allein viertausend<br />

württembergische Bauern ums Leben kamen., strömten die Reste des geschlagenen Heeres<br />

samt seinen Verfolgern ins Württembergische und verwüsteten und plünderten das schutzlose<br />

Land, wobei es keine Rolle spielte, ob es sich um Verbündete oder Gegner handelte. Herzog<br />

Eberhard III. floh. Calw wurde niedergebrannt, viele Bewohner umgebracht.<br />

Hier sei ein Kinderreim eingefügt, der sich aus dieser Zeit erhalten hat und die Schrecknisse<br />

des Krieges beschreibt:<br />

"Der Schwed isch komma,<br />

Mit Pfeif on Tromma,<br />

Hot älles wegg´nomma,<br />

Hot Fenster naus g´schlaga,<br />

Ond Blei davo traga,<br />

Hot Kugla draus gossa<br />

Ond Baura verschossa."<br />

Ein andrer Kindervers aus Calw nennt sogar namentlich, wenn auch verballhornt, Axel<br />

Oxenstjerna, den schwedischen Reichskanzler, als eine Art Schwarzen Mann:<br />

"Bet, Büable, bet!<br />

Morge kommt der Schwed<br />

Morge kommt der Ochsestearna<br />

Wird mei Büable bete learne,<br />

Bet, Büable, bet!"<br />

Durch die allgemeine Verheerung entstand eine Hungersnot. Ihr folgte die Pest, die auch in<br />

Gechingen wütete. Nach einer Lücke im Totenbuch nimmt Pfarrer Ulrich Kengel die<br />

Eintragungen am 17. August 1635 wieder auf. In den Tagen zwischen 17. - 21. August 1635<br />

starben 21 Menschen und so geht es seitenlang weiter, oft sind es fünf Todesfälle pro Tag.<br />

Besonders erschütternd die Totenliste der Familie des Jakob Brackenhammer. Im<br />

August/September 1635 starben folgende Angehörige an der Pest:<br />

Die Eltern:<br />

Jakob Brackenhammer, *14.4.1579 +14.9.1635<br />

Agatha geb. Knoll *22.3.1579 +18.8.1635<br />

23


Die Kinder:<br />

Anna *23. Trin. 1604 +20.8.1635 oo1628 Hans Ziegerer<br />

Katharina *14.8.1607 +20.8.1635<br />

Barbara *9.5.1615 +7.9.1635<br />

Ursula *14.5.1621 +6.9.1635<br />

Jakob *1623 +19.8.1635<br />

1635 trat auch Frankreich auf der Seite der Schweden und der Evangelischen aktiv in den<br />

Krieg ein. Württemberg war bis zum Ende des Krieges Durchzugsland, Quartier und<br />

Schlachtfeld für Schweden und Franzosen auf der einen, Kaiserliche und Bayern auf der<br />

anderen Seite. Sie hinterließen ein trostlos verwüstetes Land. Von den <strong>Gechinger</strong>n wird<br />

berichtet, daß sie mehrmals in die Wälder flüchten mußten, 1647 suchten sie sogar in Calw<br />

Schutz.<br />

Nach Kriegsschluß wurde Bilanz gezogen: "Es liegen noch wüst 610 Morgen Land, 26 Häuser<br />

und 10 Scheuern sind abgebrannt oder abgebrochen, 97 Bürgerfamilien fehlen oder sind tot."<br />

42 Familien waren noch übrig. Von diesen schweren Verlusten hat sich Gechingen nur<br />

langsam wieder erholt, 1834 zählt man 1107 Einwohner gegenüber schätzungsweise 1400 vor<br />

1618.<br />

Im "Handbuch Baden-Württemberg" von W. Boelcke heißt es: "Die Bevölkerung<br />

Württembergs betrug 1639 nur noch ein Viertel der Vorkriegszeit".<br />

Ein Kaufbrief von 1652 aus Gechingen berichtet von "höchster Kriegsdrangsal":<br />

"12.März 1652. Wir Schultheiß, Bürgermeister und Gericht zu Gechingen, Merklinger Amtes<br />

bekennen hier mit dieser Schrift, daß wir dem hochedel geborenen, gestrengen Herrn Jakob<br />

Friedrich Buwinghausen auf Zavelstein, wieder käuflich abgehandelt haben unser und<br />

Gemeindeflecken durch unser zu Gechingen Wiesental gegen Deufringen fließendes<br />

Fischwasser samt der darob gelegenen Schafweide mit Haselgesträuch und Büschen, der Berg<br />

genannt, an dem Döffinger Pfad hinstreichend, wie solches alles rund eingesteint ist. Vor<br />

etlich Jahren, in unser höchsten Kriegsdrangsal gegen den auch hochedlen, ehrbaren,<br />

gestrengen Herr Jakob Bernhardt von Gültlingen zu Deufringen, Oberstleutnant in kaiserlicher<br />

Majestät Proviantfouragedirektion und Generalproviantmeister, verkauft gehabt haben und ist<br />

hierüber der Kauf mit ihrem gestorbenen Jakob Friedrich als welchen sie durch Erbstreit<br />

gelangen, wieder geschehen für und um 135 Gulden. Darum auf nächst kommenden Tag<br />

Bartholomä dieses laufenden Jahres 1652 zu bezahlen 45 Gulden, desgleichen auf erst<br />

gemeldeten Termin im Jahr 1653 weitere 45 Gulden samt 2 Gulden 15 Kreuzer Zins. Und<br />

dann in Anno 1654 auf solche Zeit wieder 45 Gulden und 2 Gulden 15 Kreuzer Zins. Hierauf<br />

nun so gerade und versehen wir bei unserer Treu und Glauben, solche 135 Gulden samt dem<br />

hierbei zustehenden Zins auf vorgesetztem Termin zu seiner Ihrer gestrengen Sicherhänden<br />

nach Zavelstein oder Calw an welchen Ort wir möchten beschieden werden, ohn all Dero<br />

Kosten und Schaden zu liefern und einzuhändigen. Dessen zu wahren und zu halten geben wir<br />

die Eingangs bei diesem Schreiben berichteten und selbst eigenhändig mit Tauf und Zuname<br />

unterschreiben. Gechingen den 12 März 1652. Gericht Schultheiß Hans Schneider Hans<br />

Brackenhammer Martin Schneider Bürgermeister Paulus Abermann Jörg Wohlpold."<br />

Gechingen hat also damals, um auferlegte Kriegssteuern und Abgaben bezahlen zu können,<br />

dieses beschriebene Land verkauft und nach dem Krieg wieder erworben.<br />

Nach dem Dreißigjährigen Krieg bis zu Herzog Karl Eugen<br />

Im Westfälischen Frieden, 1648, erhielt Eberhard III. sein entvölkertes, verödetes und völlig<br />

verarmtes Land wieder zurück. Im Lauf des Jahres 1649 zogen die letzten Heerhaufen ab.<br />

Schon 1646 mußte Johann Valentin Andreae, der spätere Hofprediger, der die Einäscherung<br />

Calws miterlebt hatte, gegen die Verwahrlosung des Volkes durch den Krieg angehen. Auf<br />

24


seine Initiative geht der Kirchenkonvent zurück, ein Gremium, in dem unter Vorsitz von<br />

Pfarrer und Schultheiß von der Sonntagsentheiligung bis zu Lichtstubenausgelassenheit und<br />

Völlerei, Trinken und Fluchen - die Aufzählung ließe sich verlängern - alles verhandelt und<br />

geahndet werden sollte, das der Obrigkeit nicht genehm war. Der Kirchenkonvent bestand bis<br />

weit ins 19. Jahrhundert hinein.<br />

Nachdem schon unter Herzog Christoph die Volksschulen eingeführt worden waren, galt ab<br />

1648 die allgemeine Schulpflicht, auch für Mädchen.<br />

Calw war schon vor dem Krieg ein bedeutender Handelsplatz gewesen. Die Wolle der Schafe<br />

aus dem Hecken- und Schlehengäu wurde zu Tuch verarbeitet, für das die Calwer Kaufleute<br />

selbst in Italien noch Abnehmer hatten. Ein loser Zusammenschluß der Calwer Handelsherren<br />

bestand schon vor dem Krieg. 1650 vereinigten sich dann die Färber und Kaufleute zur<br />

Calwer Compagnie. Schon seit den Anfängen des Tuchhandels hatten <strong>Gechinger</strong> Weber und<br />

Zeugmacher für die Calwer Herren gearbeitet; an diese Tradition wurde wieder angeknüpft.<br />

Der Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg war in Gechingen wie überall langsam<br />

und mühevoll. Grundsätzlich erholten sich aber die Dörfer rascher als die Städte und waren<br />

zunächst finanzkräftiger. Ab dieser Zeit nahmen sich die meisten Gemeinden das Recht, ihren<br />

Schultheißen selber zu wählen. Von Stuttgart aus wurden diese Bestrebungen der Dörfer, auch<br />

ein Mitspracherecht zu bekommen, eher gefördert.<br />

Im Forstlagerbuch von 1681 erschien zum erstenmal ein Bild von Gechingen.<br />

Die allgemeinen Verhältnisse waren aber immer noch recht unsicher. Das deutsche Reich war<br />

zerfallen, Frankreich dagegen war reich und mächtig. In dieser Phase begann der französische<br />

König Ludwig XIV. mit seinen Eroberungskriegen, unter denen Württemberg sehr zu leiden<br />

hatte. Von 1667-1697 fanden immer wieder Vorstöße in deutsches Gebiet statt. Im ersten<br />

dieser Feldzüge fielen plündernde französische Soldaten in Gechingen ein und nahmen mit,<br />

was sie kriegen konnten.<br />

Auch im zweiten französischen Raubkrieg im Jahre 1692 mußten die Bewohner leiden. Calw,<br />

schon im Dreißigjährigen Krieg zerstört, wurde 1692 erneut niedergebrannt, ebenso Hirsau. In<br />

Gechingen wurde geplündert, und ein Einwohner kam ums Leben.. "Ist Hans Schneider<br />

22.8.1693 Bauer und Zeugmacher in dem Französischen Einfall von den Soldaten im Wald<br />

erschossen worden."<br />

Die Bauern hatten schon immer geklagt über Ernteschäden durch übermäßige Wildhege, aber<br />

im ausgehenden 17. und das ganze 18. Jahrhundert hindurch gab es ständig Berichte von so<br />

starkem Wildschaden auf den Feldern, daß der Verlust der ganzen Ernte durch das<br />

pflanzenfressende Wild drohte. Zwar mußte man sich nicht mehr vor reißenden Tieren<br />

fürchten, Bären gab es seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr, und im 17. Jahrhundert waren<br />

auch die Wölfe ausgerottet, aber die Bauern bangten um ihre wirtschaftliche Existenz. Um<br />

1700 mußten in Gechingen während eines Sommers 30 Mann 47 Nächte lang das Wild hüten,<br />

dennoch wurden die Felder völlig zerstört. Den Schaden mußte die Gemeindekasse bezahlen.<br />

Dazu kam es vor, daß die Bauern, auch während der Ernte, wochenlang bei mangelhafter<br />

Verpflegung Jagdfron leisten mußten.<br />

In krassem Gegensatz dazu ließ Herzog Eberhard Ludwig Schloß und Stadt Ludwigsburg<br />

erbauen. Der Hof versuchte auf jede Art, sich zu bereichern, während das Land Not litt. Kein<br />

Wunder, daß die Menschen ihre Hoffnung auf ein besseres Jenseits setzten, ab 1720 breitete<br />

sich der Pietismus im Lande aus.<br />

Die Willkürherrschaft der Barockfürsten wirkte sich überall aus. Die Abgaben waren hoch,<br />

Bauernsöhne wurden zu den Soldaten gepreßt und buchstäblich verkauft, Soldatenhandel war<br />

zur beliebten Einnahmequelle der Landesfürsten geworden. Auch von Mißernten und<br />

Hungersnöten wird immer wieder berichtet, ganz schlimm war es wohl 1713.<br />

25


In Gechingen forderte am 5. 7. 1733 ein Hochwasser drei Menschenleben; die Wassermassen<br />

müssen so schnell hereingebrochen sein, daß zwei Frauen, die gerade im Stall waren, sich<br />

nicht mehr in Sicherheit bringen konnten. ein Ehemann ertrank, als er nach seiner Frau sehen<br />

wollte. Eine Scheuer wurde fortgerissen.<br />

Der damalige Pfarrer Pommer verfaßte darüber folgendes Gedicht:<br />

"Hier schau, der du hier durchpassierst,<br />

Was sich hier zugetragen,<br />

Wenn du durchs ganze Land marschierst<br />

Kannst andern davon sagen:<br />

Als Gott der Herr dreizehnmal<br />

Das Dorf mit Wasser überall<br />

Und Wassergüssen füllet.<br />

Als man zählt das 33. Jahr und 17hundert,<br />

Den 9.Juli, glaubts fürwahr,<br />

Geschah, was man bewundert.<br />

Das erste Wasser einherschoß,<br />

So gings auf diese Häuser los,<br />

Es reichte diese Höhe.<br />

Drei Menschen wurden gleich ersäuft<br />

Und hin- und hergeschwemmet,<br />

Und da das Wasser kaum entläuft<br />

Die Scheuer am Haus zertrümmert.<br />

Daß dies dem Dorf und unserm Land<br />

Nichts Guts bedeut, ist wohlbekannt,<br />

Gott helf uns überstehen."<br />

Eine Tafel mit diesem Gedicht hing lange Zeit an einem Haus beim Gasthaus Lamm (neben<br />

einer Wassermarke).<br />

Über die Abgaben um 1725 erfahren wir Näheres aus dem Zinsbuch von Gechingen:<br />

"Gächingen Hauptrechte und Fäll von eingesessen leibeigenen Leuten. Von einer jeden<br />

Mannsperson zu Gächingen gesessen dem Kloster Herrenalb mit Leib angehörig, wann sie mit<br />

Tod abgegangen ist, so gefällt bemeldetem Kloster allwegen von Hundert Pfund Werts seines<br />

eigenen verlassenen Guts 1 Gulden in Münz Landeswährung. Und von einer abgestorbenen<br />

leibeigenen Frauensperson gefällt dem Kloster Herrenalb allwegen von Hundert Pfund Wert<br />

ihres eigenen verlassenen Guts zu Hauptrecht 14 Schilling Heller Landeswährung. Eine jede<br />

Frauensperson dem Kloster Herrenalb mit Leib angehörig zu Gächingen gesessen, gibt<br />

gemeldetem Kloster jährlich, solang sie lebt, eine Leibhenne, die werden von ihnen für das<br />

Kloster eingefangen. Wenn sie Kindbetterin ist, wird ihr für dieses Jahr die Abgabe der<br />

Leibhenne erlassen. Auf St. Martinstag seien die von Gächingen schuldig und pflichtig, dem<br />

Kloster zu zahlen 60 Pfund Heller Landeswährung. Ein jede Mannsperson gibt jährlich Steuer<br />

4 Kreuzer 2 Heller. Ewig unablösiger Hellerzins und Haber, genannt Futterhaber auf Martini,<br />

alte Hennen auf die Fastnacht, junge Hühner auf Johannis Babtiste, und Käs auf Walburgis,<br />

auf Häuser, Scheuren, Hofraiten und Gärten fallend."<br />

Das Kloster besaß zu dieser Zeit vier erbliche Höfe mit den ewigen unablösigen Zinsen und<br />

Gülten: "Erster Hof: Michael Bock, Wagner, als Träger und mit ihm Hans Jakob Ginader,<br />

jung Hans Jakob Eisenhardt, jung Jakob Krauss, Michael Gehring, Hans Jakob Mitschelen,<br />

Georg Dreher, Hans Jörg Kielwein und Hans Quinzler haben innen und besitzen einen Hof in<br />

26


Zwängen und Bannen zu Gächingen gelegen, der ist der Inhaber Erbgut und gnädigster<br />

Herrschaft Württemberg von wegen des Klosters Eigentum, daraus Zinsen und geben sie<br />

jährlich auf St. Martin. Zweiter Hof: Hans Bock, Hans Michael Bock, Hans Jörg<br />

Brackenhammer, Hans Jörg Heim, Hans Leonhard Gehring alt, Hans Jakob Ginader jung,<br />

Jakob Gräber, Leonhardt Heim. Dritter Hof: Jung Jakob Gräber, Jakob Schumacher, Hans<br />

Jörg Brackenhammer. Hans Hauptmann(?). Vierter Hof: Hans Breitling."<br />

Einige Jahre später erscheint ein neuer Hof: "Ein Haus, Scheuer und Hof zwischen Adolf<br />

Riehm und der Allmand gelegen, stößt vorne auf die Gemeindegasse und hinten auf den<br />

Calwer Weg." (Vermutlich Appeleshof).<br />

Im österreichischen Erbfolgekrieg 1740-1748 war Württemberg Durchzugsland kaiserlicher<br />

und französischer Truppen. Auch nach Gechingen kamen immer wieder fremde Soldaten,<br />

plünderten und drangsalierten die Einwohner. Im Fleckenbuch steht ein Bericht aus dem Jahre<br />

1741: "An diesem Tag marschierte der Franzos mit vierzigtausend Mann durch das<br />

württtemberger Land, hielt sein Lager bei Mönsheim und Ditzingen, geradewegs dem<br />

Bayernland zu. Hiesiger Ort mußte 6 Wannen Heu und 300 Büschel Stroh leisten, sonsten<br />

hatten wir wenig Beschwernis. Man hielt gutes Commando, als daß man alle Tage 8<br />

Handfröhner und 2 Postpferde ins Lager stellen muß. Der Scheffel Kernen gilt 10 Heller, der<br />

Scheffel Dinkel 4 Heller und die Maß Wein 12-16 Kreuzer. An diesem Tage hatten wir noch<br />

nicht fertig geerntet. Zelg Angel hatte Winterfrucht und wenn es würde eine halbe Ernte, dann<br />

durch den lang anhaltenden Winter, würde ihm der Mai nicht bringen Sonnen, so daß man<br />

meinte, es werde in diesem Jahr gar kein Ende geben. Gott erhalte uns und gebe uns Frieden,<br />

wie Er es uns bescheret hat und daß wir daselbe zu Haus mit unserem schuldigsten Dank<br />

sagen müssen."<br />

1744 erlangte der damals 16jährige Carl Eugen die Herzogswürde. Er war ein launischer,<br />

prunkliebender Fürst, der das Volk noch rücksichtsloser auspreßte als seine Vorgänger.<br />

1772 zählte Gechingen 500 Seelen, der Ort hatte sich also vom furchtbaren Aderlaß des<br />

Dreißigjährigen Krieges noch nicht erholt. 1770 und 1790 herrschten wieder katastrophale<br />

Hungersnöte. Die Calwer Compagnie hatte durch die dauernden Kriegswirren wichtige<br />

Märkte verloren, außerdem war das Unternehmen durch neuartige Web- und Spinnmaschinen<br />

in England so unter Kostendruck geraten, daß es sich nimmer dagegen durchsetzen konnte<br />

und 1797 aufgelöst wurde.<br />

Während seiner langen Regierungszeit besserte Karl Eugen seine Finanzen durch<br />

Soldatenhandel auf; vom Kapregiment, das er an die Holländer verkaufte und das in Südafrika<br />

eingesetzt wurde, weiß man, daß auch einige <strong>Gechinger</strong> dabei waren.<br />

In Frankreich kam es 1789 zur Revolution. Ab 1793 - dem Todesjahr Herzog Karl Eugens -<br />

gab es vier Kriege europäischer Mächte in wechselnden Koalitionen, erst gegen das<br />

revolutionäre Frankreich, dann gegen Napoleon, der im postrevolutionären Frankreich die<br />

Macht an sich gerissen hatte. Kein Wunder, daß einige der durch Kriegswirren, Hungersnöte,<br />

hohe Abgaben und Wildschaden so schwer betroffenen und rechtlosen Einwohner Gechingens<br />

nur in der Auswanderung eine Alternative sahen. Als Friedrich II. von Preußen (der "Alte<br />

Fritz") Siedler für das menschenleere Westpreußen suchte, waren unter den ca. 6000<br />

Württembergern, die seinem Rufe folgten, auch 96 <strong>Gechinger</strong> (Siehe "Auswanderer").<br />

Napoleonische Zeit<br />

Unter den Koalitionskriegen hatte auch Gechingen zu leiden. Wieder wurde Württemberg<br />

zum Durchzugsland. Mehrmals nahmen fremde Truppen in Gechingen Quartier und mußten<br />

verpflegt werden.<br />

27


Am 14.7.1796 kamen zwölf französische Husaren ins Dorf. Wir wissen aus Aufzeichnungen<br />

Pfarrer C. H. Klingers, daß sie höflich von ihm empfangen wurden. Sie aber beschlagnahmten<br />

sein Pferd im Wert von 18 Louisdor. Auch ein Bürger mußte seines hergeben, das 14 Louisdor<br />

wert war. Pfarrer Klinger berichtet weiter: "Ein einzelner Husar zog mich in ein besonderes<br />

Gäßchen, setzte mir eine geladene Pistol auf die Brust und entwendete mir meine versteckte<br />

goldene Uhr im Wert von 55 Gulden. Auch dem Müller, der eine halbe Viertelstunde vom<br />

Dorf entfernt wohnt, wurden gewaltsam 112 Gulden bares Geld geraubt. Es wurde aber im<br />

ganzen Ort niemand verletzt oder mißhandelt."<br />

Eine österreichische Feldwache zwischen Gechingen und Stammheim wurde 1796 von den<br />

Franzosen überfallen, Ostelsheim von ihnen geplündert. Pfarrer Klinger schrieb darüber:<br />

"Während der Kriegsunruhen wurden meist alle Gottesdienste gehalten, außer am 17.7.1796<br />

konnte die Kinderkirche nicht stattfinden, weil über 100 Franzosen einrückten und plündern<br />

wollten. Sie wurden aber von den Bürgern alsdann zurückgedrückt." Solange etwa 1000<br />

Franzosen an der Gemeindegrenze lagerten, wurden die Glocken nicht geläutet. Der Pfarrer<br />

nahm sich seiner Gemeinde mit Rat und Tat an.<br />

Immer wieder wurde Gechingen auch in den folgenden Jahren von kriegerischen<br />

Auseinandersetzungen berührt. Österreichische, kaiserliche und französische Truppen waren<br />

in der Nähe. Im Winter 1797/98 lagen 867 russische Soldaten 64 Tage lang im Ort in Quartier.<br />

Bezeichnend für die Zeit ist ein Lied. Nach der Melodie "Guter Mond, du gehst so stille"<br />

gesungen, machte es seine Runde über die Jahrmärkte und wurde von Hausierern durch das<br />

ganze Land getragen:<br />

"Auch in kaltem Schnee und Winter<br />

Wird der Krieg noch fortgemacht,<br />

Wo die Herden, Schaf und Rinder,<br />

Menschen werden hingeschlacht,<br />

Daß das Blut den Schnee tut färben,<br />

Wieviel Tausend hat verwundt,<br />

Müssen auf dem Schlachtfeld sterben<br />

Und gehn durch den Krieg zugrund."<br />

Der spätere Prälat Karl Friedrich Brackenhammer kam 1810 in der <strong>Gechinger</strong> Mühle zur<br />

Welt.<br />

Königreich Württemberg<br />

Als Napoleon I. ganz Süddeutschland besetzt hielt, kam es zu großen Veränderungen. Herzog<br />

Friedrich von Württemberg verbündete sich mit Napoleon. Dafür erhielt er großzügige<br />

Gebietserweiterungen aus den vorderösterreichischen Landen, reichsstädtischen, geistlichen<br />

und reichsfürstlichen Gebieten und wurde 1806 zum König von Napoleons Gnaden berufen.<br />

Das Königreich Württemberg war doppelt so groß wie Altwürttemberg und hatte ganz<br />

unterschiedliche Strukturen. Friedrich organisierte erst die neuen Gebiete in einer straffen,<br />

vereinheitlichten Verwaltungsgliederung, in der alle Elemente der Selbstverwaltung entfielen,<br />

auch in den Gemeinden (1803). 1805 wurde in Altwürttemberg die Verfassung aufgehoben,<br />

die Verwaltung ebenfalls zentralisiert, der Landtag aufgelöst.<br />

"Die Aufhebung der landständischen Verfassung Altwürttembergs und die Neuorganisation<br />

des jungen Königsreichs führte ab 1806 in wenigen Jahren zu einer völlig neuen Gliederung<br />

und zu einem weitgehenden Strukturwandel der Verwaltungsbezirke. Die absolutistische<br />

Regierung König Friedrichs wollte größere Bezirke. Damals bildete man die königlichen<br />

Oberämter Calw, Nagold und Neuenbürg." (Prof. Dr. Grube). Nach jahrhundertelanger<br />

Zugehörigkeit zum Merklinger Klosteramt kam Gechingen nun zum Oberamt Calw (1808).<br />

28


Damals wurde in Württemberg die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Als Verbündeter<br />

Frankreichs mußte König Friedrich für die Feldzüge Napoleons Soldaten stellen, so auch beim<br />

Rußlandfeldzug 1812. Von Gechingen waren folgende Männer dabei: Johann Michael Bock,<br />

Jakob Adam Breitling, Simon Friedrich Gehring, Johann Martin Gehring, Georg Simon<br />

Gehring, Georg Ludwig Gräber, Jakob Gräber, Christian Heinrich Süsser, Johann Michael<br />

Süsser, Johann Michael Riehm, Johann Jakob Rüffle, Johann Michael Rüffle, Johann Jakob<br />

Kühnle, Johann Jakob Gehring und ein Wagner, über den Näheres nicht bekannt ist. Nur<br />

Jakob Kühnle, Johann Jakob Gehring und der Wagner kehrten zurück. Insgesamt kamen von<br />

15 800 württembergischen Soldaten nur 500 wieder. Die Niederlage Napoleons in Rußland<br />

leitete das Ende der französischen Vorherrschaft in Europa ein. Es gelang König Friedrich<br />

aber, den Gebietsgewinn und den Königstitel zu behalten.<br />

Wie genau und bis in die letzte Einzelheit im Königreich Württemberg alles reglementiert<br />

war, zeigt das kuriose Protokoll über die Spatzenköpfe, das sich aus dieser Zeit in Gechingen<br />

erhalten hat:<br />

"Gechingen Calwer Oberamt, Spatzen-Consignation, von Georgi 1813-1814. Hiebei wird<br />

vordersamt prämittiert, daß vermöge des unterm 6ten Juni 1789 in das Land ergangenen<br />

gnädigsten Befehls wegen der immer häufiger überhandnehmenden, der Landwirtschaft<br />

schädlichen Spatzen zur Ausrottung derselben ein jeder Bürger 1 Dutzend Spatzenköpfe<br />

liefern, und bei der Lieferung aus der Bürgermeisterkasse 6 Kreuzer erhalten, diejenigen aber,<br />

welche dieses nicht leisten würden, in eben dieselbe Kasse 12 Kreuzer zu entrichten haben<br />

sollen." Die <strong>Gechinger</strong> fingen aber keine Spatzen, sondern zahlten lieber ihre zwölf Kreuzer.<br />

Das geht aus einem weiteren Protokoll hervor: "Vermög des Empfangsbuchs von 1813-14<br />

befinden sich im hiesigen Ort 204 Bürger tut à 12 Kreuzer = 40 Gulden 48 Kreuzer. Daß<br />

heuer an Spatzengeld der hiesigen Bürgerschaft nicht mehr aufgerechnet, beurkunden pro<br />

Georgi 1814: Schultheiß und Richter in Gechingen. Johann Michael Schneider, Johann<br />

Friedrich Kappis, Johann Georg Krafft, Georg Simon Spöhr, Johann Georg Däuble, Heinrich<br />

Breitling."<br />

Auch unter König Friedrich waren die Bauern noch leibeigen, so anachronistisch das für die<br />

Zeit nach der französischen Revolution auch anmutet. Einmal wurden <strong>Gechinger</strong> Männer<br />

durch einen Reiter für morgens 7 Uhr nach Münchingen zur Treibjagd befohlen. Sie mußten<br />

in der Nacht zu Fuß nach Münchingen und der Schnee lag einen halben Meter tief. Abends,<br />

als die Jagd vorbei war, erhielten sie dann ein Stück Brot.<br />

1817 ist bei einer Überschwemmung eine Frau in Gechingen ertrunken.<br />

Schon mehrfach war in diesem Buch die Rede von Hungersnöten. Die Ursachen dieser<br />

Hungerzeiten waren einmal die vielen Kleinbetriebe, die durch Bevölkerungswachstum und<br />

die Erbteilungen entstanden waren. Das so zersplitterte Acker- und Weideland ließ keine<br />

vernünftige Bewirtschaftung mehr zu. Der Ertrag der "Äckerle" reichte für die einzelnen<br />

Familien auch in guten Zeiten kaum aus. Dazu kamen die Abgaben für die Herren und Ämter.<br />

Eine weitere Ursache waren die Kriege, in deren Verlauf von 1805 bis 1820 ständig Truppen<br />

durch das Land zogen. Franzosen, Russen und Österreicher wechselten sich ab, und alle<br />

mußten verpflegt werden. Besonders erwähnenswert sind hier die Jahre 1816/17, in ihnen kam<br />

es zur Hungerkatastrophe. Zu allen anderen Beeinträchtigungen kam noch extrem ungünstige<br />

Witterung. Schon 1811 hatten große Regenfälle die Ernte schlecht ausfallen lassen, 1812/13<br />

war es nicht viel besser. 1814 und 1815 folgten mit Mißernten. 1816 schließlich war am 2.<br />

April so starker Frost, daß die Felder nicht bestellt werden konnten und im Juli kamen starke<br />

Hagel- und Schneefälle über das Land. Anfang Oktober fiel dann schon der erste Reif. Viel<br />

konnte nicht geerntet werden, das meiste verfaulte auf den Feldern. Außerdem hatte sich eine<br />

riesige Mäuseplage ausgebreitet. So begann im Winter 1816/1817 das schlimmste Hungerjahr.<br />

Die Menschen ernährten sich von Klee, Wurzeln, Gras, Brennesseln und Beeren. Mehl war<br />

29


nahezu unerschwinglich geworden und wurde mit Holzmehl, Kleie, Treber, Heublumen usw.<br />

gestreckt. Die Teuerung erstreckte sich über den größten Teil Europas. Für die deutschen<br />

Staaten wurde viel russisches Getreide aufgekauft. Der Scheffel (8 Simri) Dinkel stieg auf 48<br />

Gulden, das Simri (ca. 22 Liter) Haber kostete 2 Gulden 40 Kreuzer, ein Simri Gerste 9<br />

Gulden, ein Simri Kartoffeln 3 Gulden 30 Kreuzer, ein Kreuzerweck wog l Lot (ca. 16,7 g).<br />

König Wilhelm I., der 1816 auf König Friedrich gefolgt war, griff ein und erließ Gesetze, um<br />

den Getreidehandel zu sichern und das Spekulantentum zu unterbinden. 1817 wurden auf<br />

Anregung des Königs und seiner sozial denkenden Gemahlin, Königin Katharina,<br />

Speiselokale für die Armen gegründet. Im April wurden die Vorräte aus den königlichen<br />

Fruchtkästen den Bauern als Saatgut zur Verfügung gestellt. Dann war endlich auch das<br />

Wetter gut, so daß man eine reichliche Ernte heimbringen konnte. Dankgottesdienste wurden<br />

abgehalten, es herrschten Jubel und Freude. Aus dieser Zeit stammt ein Erinnerungsblatt, von<br />

dem im Buch "Heimat Gechingen" auf Seite 57 berichtet wird. Es ist im Besitz der Familie<br />

Böttinger, Gartenstraße. Der Text lautet: "1817 zur dankbaren Erinnerung der Güte Gottes,<br />

welche der allgemeinen unerhörten Teuerung durch eine gesegnete Ernte ein Ziel setzte, im<br />

Jahr 1817. Herr, gib uns täglich Brot aus Gnaden immerdar! Vor Mangel, theurer Zeit uns<br />

fernerhin bewahr. Lobe den Herren! Der dein Leben vom Verderben errettet."<br />

Die Familie Schneider Hoher Angel besitzt ein Gedenkblatt, mit der Überschrift:<br />

"Merkwürdige Vorstellung auf die große Theuerung der Jahre 1816 und 1817. Kurze<br />

Übersicht trauriger Kriegsunruhen von 1790 bis in die durch allzu schreckliche Theuerung<br />

drückend eingetretenen Jahre 1816-17".<br />

Älteren Einwohnern ist noch aus Berichten ihrer Großeltern bekannt, daß beim Schulzenhaus<br />

in der Kirchstraße eine verhungerte Frau mit Heu im Mund aufgefunden worden sei. Brot sei<br />

so wertvoll gewesen, daß einige für einen Laib Brot ihre Grundstücke oder ihre Keller<br />

hergegeben hätten.<br />

Viele, vor allem jüngere Leute, faßten in dieser Hungerszeit den Entschluß, auszuwandern. Ihr<br />

beliebtestes Ziel war damals Amerika. "Die Auswanderung nach Amerika erfolgte in zwei<br />

Wellen. Die erste begann 1829 und dauerte bis 1831. Die zweite Welle fand in den Jahren<br />

1852 bis 1854 statt." (Heimberger, Fritz, Sindelfingen).<br />

König Wilhelm setzte sich persönlich für die Förderung der Landwirtschaft ein. Er gründete<br />

die Landwirtschaftliche Schule in Hohenheim und das Landwirtschaftliche Fest in Cannstatt,<br />

das heute als "Cannstatter Volksfest" weltbekannt ist.<br />

1819 gab König Wilhelm dem Land eine Verfassung, die sich an die altwürttembergische<br />

Verfassung (Tübinger Vertrag) anlehnte. 1822 wurde ein Verwaltungsedikt erlassen, das die<br />

Selbstverwaltung der Gemeinden stärkte und ihnen vor allem die Regelung von Finanzfragen<br />

überließ.<br />

Schon 1817 hatte König Wilhelm die persönliche Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben.<br />

Abgaben an die Grundherren, die in Naturalien oder Geldzins zu entrichten waren, sollten<br />

durch eine einmalige Zahlung abgelöst werden. In Gechingen war die Bauernbefreiung 1836<br />

beendet.<br />

Nun kommen wir in die Zeit der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es war eine<br />

friedliche Epoche, die als "Biedermeierzeit" bekannt ist. Unser Land gedieh unter der<br />

segensreichen Regierung Wilhelms I. Nach dem frühen Tode Königin Katharinas hatte er sich<br />

mit Pauline, Prinzessin von Württemberg, wieder verheiratet. Wie Katharina war auch sie eine<br />

Kusine. Zu den beiden Töchtern aus der Ehe mit Katharina kamen noch drei weitere Kinder,<br />

darunter auch Kronprinz Karl.<br />

Wie draußen im Land, so wirkte sich auch in unserem Dorf die günstige Entwicklung<br />

Württembergs aus. Den <strong>Gechinger</strong>n mögen lokale Ereignisse traditionell am wichtigsten<br />

gewesen sein, aber immerhin waren die Ideen der französischen Revolution und ihre Losung:<br />

"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" bekannt. Einerseits war man für diese Gedanken sicher<br />

30


aufgeschlossen, andrerseits stand man allem, was aus Frankreich kam, eher mißtrauisch<br />

gegenüber. Zu sehr hatten Gechingens Bewohner unter den fremden, durchziehenden Truppen<br />

gelitten - und das waren hauptsächlich Franzosen gewesen.<br />

Wenn man in der <strong>Chronik</strong> blättert, merkt man, wie einfach und anspruchslos das Leben der<br />

<strong>Gechinger</strong> zu dieser Zeit war. Profilierte Persönlichkeiten standen an der Spitze des Ortes.<br />

Das waren im geistlichen Amte die beiden Pfarrer Klinger, Christoph Heinrich (1772 - 1822)<br />

und sein Sohn (1828 - 1862). In der Amtszeit des Sohnes wurde im Jahr 1834 eine neue<br />

Schule gebaut (siehe unter "Schule"). Wegen der Feuersgefahr wurde das Backen in den<br />

Wohnhäusern verboten. Die Gemeinden richteten öffentliche Backhäuser ein, die aus Stein<br />

bestehen mußten. Schon vorher war wiederholt das Backen und Waschen in den Häusern<br />

verboten worden, so 1632 und 1679. Gechingen besaß noch aus dem 17. Jahrhundert ein<br />

Backhaus mit drei Öfen und einer Dörre, doch war es nicht mehr zu benutzen. So baute<br />

Gechingen 1839 ein neues Backhaus in der Metzgergasse.<br />

Die Kosten betrugen: Grabarbeiten 25 Gulden 40 Kreuzer, Maurerarbeiten 709 Gulden 30<br />

Kreuzer, Zimmermann 222 Gulden 5 Kreuzer, Schreiner 72 Gulden 5 Kreuzer, Glaser 28<br />

Gulden 39 Kreuzer, Schlosser 62 Gulden 26 Kreuzer, Schmied 7 Gulden 40 Kreuzer, Hafner 2<br />

Gulden, Gußeisen 36 Gulden. Das Backhaus war bis 1958 in Betrieb und wurde 1964 wegen<br />

Baufälligkeit abgerissen.<br />

Als viele Einwohner bei einer großen Grippeepedemie erkrankten, stellte die Gemeinde zehn<br />

Krankenwärter ein.<br />

Im Oktober 1845 begann mit der Eröffnung der Teilstrecke Cannstatt-Untertürkheim der<br />

geplanten Bahnstrecke Esslingen-Stuttgart-Ludwigsburg das Zeitalter der Eisenbahn auch in<br />

Württemberg.<br />

Von der Revolution 1848/49 bis 1870<br />

In den Jahren 1846 und 1847 herrschte wieder Notz durch Mißernten. 1847 kam es in<br />

Stuttgart und Ulm zu Hungerkrawallen. Im Januar 1848 regte sich überall im Land<br />

Unzufriedenheit. Mißstände, über die vorher wohl nur insgeheim "gebruttelt" worden war,<br />

wurden jetzt öffentlich angeprangert. In Stuttgart wurde in einer stürmischen Versammlung<br />

Presse,- Vereins- und Versammlungsfreiheit, Schwurgericht und Volksbewaffnung verlangt.<br />

Pfarrer Bunz bemerkt in seiner Schrift "Der Franzosenfeiertag" etwas spöttisch: "Jedes<br />

Nestchen wollte seine unblutige Revolution", aber natürlich sahen die Menschen etwaige<br />

Mißstände in ihrer nächsten Umgebung sehr genau und auch Kleinigkeiten bewirkten viel<br />

böses Blut. Wie sehr lokale und nationale Interessen sich mischten, wird deutlich in einer<br />

Adresse, die aus Calw am 6. März an den König gerichtet wurde und in der u. a. gefordert<br />

wurde: "Gebrauch nur deutscher Fabrikate, Weglassung aller Titulaturen, Sitzenlassen von<br />

Hut oder Kappe beim Grüßen, eine deutsche Handelsflotte und überseeische Kolonien."<br />

König Wilhelm I. handelte recht geschickt, indem er den Wünschen der Bürger teilweise<br />

entgegenkam. So entließ er den unpopulären Innenminister Schlayer und bildete aus<br />

Mitgliedern der Opposition im Landtag das liberale "Märzministerium". Das müssen die<br />

"neuen Minister" sein, die in der nachfolgenden <strong>Gechinger</strong> "Geheimakte" erwähnt werden.<br />

Die Geschicke der Gemeinde Gechingen leitete von 1844 bis 1848 der königliche Notar<br />

Friedrich Wilhelm Pregizer. In einer "Geheimakte" - so der Vermerk von Schultheiß Ziegler, -<br />

die jetzt zugänglich ist, wurden auch in Gechingen zum Teil ganz erstaunlich "moderne"<br />

Forderungen gestellt. Sie sei hier nach Möglichkeit im Wortlaut zitiert, soweit nicht der<br />

besseren Verständlichkeit wegen leichte Änderungen notwendig wurden. Man muß sich aber<br />

klarmachen, daß das Wort "demokratisch" damals für die meisten Leute einen negativen<br />

Beigeschmack hatte:<br />

"Im März 1848 machte sich auch in Gechingen Unruhe breit. Demokratische Ideen brachten<br />

die sonst ruhigen Bewohner in Aufregung. Es wurden Versammlungen abgehalten und<br />

31


Mißstände vorgebracht, die sich in der Hauptsache gegen Gemeindeverwaltung, Schultheiß<br />

und Ausschußmitglieder wendeten. Ihnen wurde Amtsmißbrauch und Vetternwirtschaft<br />

vorgeworfen.<br />

In einer Bürgerversammlung am 22.3.1848 wurde folgendes beschlossen:<br />

1. Zu Neubauten soll kein Holz aus den Wäldern unentgeltlich abgegeben werden, außer auf<br />

einige Stücke Eichen- und Tannenklotzholz, da mancher nur aus Luxus baut, um Geld damit<br />

zu verdienen. Das bisher kostenlose Flickholz zum Reparieren soll zu einem angemessenen<br />

Preis abgegeben werden. Dazu soll der Bauauschuß bei jedem aufnehmen, wieviel er bedarf.<br />

Das Lager für Flickholz soll ganz abgeschafft oder auf eine gewisse Menge beschränkt<br />

werden.<br />

2. Das Steineschlagen für die Straßen soll anders geregelt werden. Nur an der Stelle, an der<br />

die Steine gebraucht werden, werden sie auch geschlagen. Es soll auch nicht auf Vorrat<br />

geschlagen werden.<br />

3. Die Abrechnung der Schafweide auf die Grundsteuer soll unterbleiben und das Geld in die<br />

Gemeindekasse fließen.<br />

4. Bei jedem Verkauf soll das Verkaufsprotokoll dabei sein, damit man es gleich<br />

unterschreiben kann.<br />

5.Wie unsere neuen Minister sollen auch Beamte weniger Besoldung erhalten.<br />

6. Der Pferchmeister ist überflüssig, der Bürgermeister kann die Pferche verkaufen, da er ja<br />

das Geld unter Verrechnung bringt.<br />

7. Einen Polizeidiener brauchen wir nicht.<br />

8. Der niedere Mesnerdienst ist überflüssig, der Pfarrer braucht keinen Schütz, das<br />

Uhrenaufziehen kann ein Lehrer mit übernehmen.<br />

9. Jede Arbeit bei der Gemeinde soll öffentlich versteigert werden.<br />

10. Jede Rechnung soll veröffentlicht werden, damit alle Bürger Einsicht darin haben.<br />

11. Keiner soll mehr als ein Amt haben und an der Besoldung nachlassen.<br />

12. Jeder, der ein Amt hat, soll alle Leistungen ohne (zusätzliche?) Bezahlung versehen.<br />

13. Das hiesige Rathaus ist nur für hiesige Angelegenheiten, fremde Verwaltungsgeschäfte<br />

sollen hier nicht bearbeitet werden. Die Zusammenkünfte der Schreiber des Schultheißen<br />

dürfen nicht auf dem Rathaus stattfinden.<br />

Unterschriften: Spöhr, Georg Schautt, Johann Quinzler, Michael Schneider, Georg Quinzler,<br />

Georg Kielwein, Bosch, Wilhelm Wagner, Jakob Georg Riehm, Theurer."<br />

Punkt 3 bedarf der Erläuterung. Für die Nutzung der Schafweide wurden Gebühren verlangt,<br />

die Grundsteuer wurde dann aber um diesen Betrag erniedrigt. Die Unterzeichneten sahen<br />

darin eine ungerechtfertigte Bevorzugung der Schäfer.<br />

In die gereizte Stimmung, die damals das ganze Land ergriffen hatte, platzte die Nachricht<br />

von einem Einfall der Franzosen. Es war nur drei Tage nach der Bürgerversammlung in<br />

Gechingen, am 25. März 1848. Der 25. März war damals ein Feiertag (Mariä Verkündigung).<br />

Darüber berichtet Tillie Jäger: "Mein Großvater erlebte diese Zeit als fünfjähriges Büblein,<br />

sein Vater war der Kommandant der <strong>Gechinger</strong> Bürgerwehr. Diese Wehren hatten in ganz<br />

Württemberg höchste Alarmbereitschaft und schon im Spätherbst eifrig exerziert. Die kleinen<br />

Kerle - es waren auch noch der Maurer-Ferdinand und der Simon Rüffle, genannt der<br />

"Stelzensemme" - mit von der Partie. Wenn sie oben auf dem Hohen Angel die übenden<br />

Männer beobachteten, dachte wohl keiner von ihnen, daß sie einmal zwanzig Jahre später<br />

selbst unter den Waffen stünden in dem Bruderkrieg von 1866, wo in der Schlacht bei<br />

Tauberbischofsheim dem Simon Rüffle eine preußische Kugel das Bein zerschmetterte. Sein<br />

Kamerad, mein Großvater Jakob Friedrich Böttinger, konnte ihm nur noch zurufen: "Semme,<br />

paß uff, se kommet!" Also, davon hatten die drei noch keine Ahnung, als sie mit kleinen<br />

Steinchen nach den steifen Bauernhüten zielten. Aber was war die Ursache von all der Unruhe<br />

und Aufregung in der Beschaulichkeit des Winterdorfes? Drüben, über dem Rhein, in<br />

32


Frankreich, war seit der Revolution von 1789 keine Ruhe mehr eingekehrt. Die Losungen von<br />

"Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit" ließen sich von Grenzen nicht aufhalten. So standen<br />

also die Bürgerwehren Gewehr bei Fuß, wobei allerdings die Ausrüstung mehr als mangelhaft<br />

war. So kam der 25. März 1848 heran. Plötzlich läuteten das Rathausglöckchen und bald<br />

darauf auch die Kirchenglocken Sturm. Vor dem Rathaus erscholl ein rollender<br />

Trommelwirbel. Die Stammtischgäste vom "Hirsch", "Adler", "Lamm" und "Rößle" stürzten<br />

hinaus und liefen vor das Rathaus. Frauen und Kinder kamen dazu. Wieder wirbelte die<br />

Trommel. Ein Reiter jagte den Kronenbuckel von Calw her herab und stieg vor dem Rathaus<br />

ab. Er hatte eine wichtige Meldung vom Oberamt zu bringen. Doch schon vor ihm war ein<br />

anderer Bote gekommen und hatte den Schultheißen veranlaßt, die Glocken zu läuten. Die<br />

Menge vor dem Rathaus wuchs. Gerüchte gingen durch die Versammlung, die Franzosen<br />

seien schon bei Freudenstadt. Andere wußten, sie seien schon in Altensteig. Da öffnete sich<br />

die Rathaustür und heraus trat der Schultheiß, umgeben von seinen Gemeinderäten. Alles<br />

verstummte, angstvoll hielten die Frauen ihre Kinder an den Händen. Der Schultheiß sprach<br />

mit lauter Stimme: "Bürger, ich habe euch eine ernste Mitteilung zu machen. Der Feind ist in<br />

unser Land eingefallen, schon steht er in Freudenstadt und wird auch bald Calw bedrohen.<br />

Unsere Regierung hat bereits Truppen zusammengezogen. Aber auch wir wollen unseren Teil<br />

tun, und so fordere ich alle Männer auf, sich um 3 Uhr ausgerüstet hier am Rathaus<br />

einzufinden. Johannes Böttinger wird euer Hauptmann sein!" Bravo- und Hurrarufe dankten<br />

dem Schultheißen für seine Worte. Er fügte noch hinzu: "Wer aber hier bleibt, verteidige<br />

unser liebes Gechingen." Die Menschen gingen in gemischter Stimmung auseinander. "Die<br />

schlage mir uff ´s Dach!" schrien die Mutigen, andere verschwanden schnell in ihren Häusern.<br />

Frauen flehten ihre Männer an, doch lieber nicht gegen die französischen Horden zu ziehen.<br />

Aber viele blieben standhaft und sorgten für ihre Ausrüstung. Ein Vater forderte zwar seinen<br />

Sohn zum Zug nach Calw auf, gab ihm aber zum Abschied die weise Lehre: "Des sag i dir,<br />

Gottlieb, wenn oin Franzos siehsch, no gosch durch!" Die Schmiede und Schlosser hatten<br />

Hochbetrieb im Zurichten von Waffen aller Art, wie Mistgabeln, Spießen und Sensen. Die<br />

Sensen mußten geradegestellt werden, damit man mit ihnen stechen konnte. Der<br />

Fleckenschmied fertigte eine besonders fürchterliche Waffe gegen die Franzosen. Er nahm ein<br />

Strohmesser (mit dem ein Mann seine ganze Kraft brauchte, um am Strohstuhl Stroh zu<br />

schneiden), etwa einen Meter lang, arbeitete die Klinge zu einem Spieß um und befestigte die<br />

Handhabe mit Hilfe von Schrauben und Zwingen an einer zwei Meter langen Stange.<br />

In der Zwischenzeit wurde auf dem Rathaus zwischen Schultheiß Pregizer und Kommandant<br />

Böttinger der Feldzugsplan entworfen. Zur dritten Nachmittagsstunde erschienen die Männer.<br />

Welch eine bunte Abwechslung in ihrer Ausrüstung! Pistolen, Gewehre, Mistgabeln und<br />

Sensen, krumme Säbel und kurze Messer, im Gürtel Beile und Hapen (Haumesser). Im ganzen<br />

waren es etwa dreißig Männer, die bereit waren. Der Kommandant hielt von der<br />

Rathaustreppe aus noch eine kurze Rede: "Des sen keine Soldata, des sen Reiber on Dieb !"<br />

(Gemeint waren die Franzosen!) Johannes Böttinger stellte sich an die Spitze des Zuges, und<br />

fort ging es, den Kronenbuckel hinauf und die Calwer Straße hinaus. Als sie nach Stammheim<br />

hinunterkamen, begegnete ihnen ein Fuhrwerk. Auf dem Bock saß ein Bauer und rief: "Laufet<br />

dapfer, die Franzose hen scho Altestoig azend !" Die Kriegerschar setzte ihren Marsch fort.<br />

Gegen 5 Uhr kamen sie in Calw an. Die Kunde von ihrem Eintreffen war vorausgeeilt. Am<br />

Stadteingang begrüßte sie der Stadtschultheiß und vor dem Rathaus wurde Halt gemacht. Es<br />

war für Speis und Trank reichlich gesorgt. In der Zwischenzeit war in Gechingen alles ruhig<br />

verlaufen. Die Verteidiger des Ortes standen auf ihren Posten, alles war gerüstet, aber nichts<br />

geschah. Die Bewohner legten sich zur Ruhe. Da, gegen Mitternacht, kam der Zug der Helden<br />

den Kronenbuckel herunter, es war alles nur blinder Alarm gewesen. Das war das Ende des<br />

Franzosenfeiertichs, der in der Erinnerung alter <strong>Gechinger</strong> fortlebte."<br />

33


Über den Verlauf des denkwürdigen Tages in Stuttgart kann man bei Wilhelm Seytter in<br />

"Unser Stuttgart" nachlesen. Auch da muß die Aufregung groß gewesen sein. Gelbbefrackte<br />

Postillione sprengten in kurzen Abständen vor das Ministerium des Innern, Flüchtlinge mit<br />

Fuhrwerken und Abgesandte der einzelnen Regionen, die in Stuttgart um Hilfe nachsuchten,<br />

waren zu sehen. Stuttgarts Bürger fingen an, sich zu bewaffnen. Der König dagegen sei<br />

bemerkenswert ruhig geblieben. Gerüchte von riesigen Franzosenheeren seien durch die Stadt<br />

geschwirrt, man hörte, daß Oberndorf in Flammen stünde und Horb bedroht sei. Auch in<br />

Leonberg und Böblingen sammelten sich Bewaffnete, außer mit Sensen und Äxten wollten sie<br />

mit Krautstampfern und Küchenschaufeln dem Feind zu Leibe rücken.<br />

Es muß dann einige Mühe gekostet haben, die aufgebrachten Helden davon zu überzeugen,<br />

daß alles nur blinder Alarm gewesen war, und sie wieder nach Hause zu schicken. Die<br />

Schultheißen in den betroffenen Orten, darunter Böblingen, Leonberg, Nagold, Calw,<br />

Freudenstadt, Oberndorf, Sulz, Rottweil, Balingen mußten benachrichtigt werden ( "hat ein<br />

Einfall von dem französischen Gebiete aus auf badisches und württembergisches Gebiet<br />

überall nicht stattgefunden..." hieß es laut Bunz in dem betreffenden amtlichen Schreiben).<br />

Wahrscheinlich entstand die ganze Aufregung am "Franzosenfeiertag" aufgrund bloßer<br />

Gerüchte.<br />

Ende April war in Frankfurt die aus allgemeinen, gleichen Wahlen in ganz Deutschland<br />

hervorgegangene verfassunggebende Nationalversammlung zusammengetreten.Sie<br />

formulierte zunächst die Grundrechte, die einen Polizeistaat in Zukunft verhindern sollten. Im<br />

Dezember 1848 wurden sie veröffentlicht. Als erstes Mitglied des Deutschen Bundes erkannte<br />

sie Württemberg im Januar 1849 an. Noch im gleichen Monat gab es aus diesem Anlaß ein<br />

Fest in Calw. Dabei wurden die für Württemberg wichtigsten Grundrechte im einzelnen<br />

vorgestellt. Da die deutschen Länder voneinander abweichende Verfassungen hatten - wenn<br />

überhaupt - war es schon wichtig, zu erfahren, was für die Württemberger neu war.<br />

Die etwas später erstandene Reichsverfassung sah ein Erbkaisertum vor. Friedrich Wilhelm<br />

IV. von Preußen wurde zum Kaiser gewählt. Er lehnte ab. Die Reichsverfassung wurde aber in<br />

Württemberg zunächst angenommen.<br />

Die Nationalversammlung in Frankfurt bröckelte nach dem negativen Bescheid des<br />

preußischen Königs ab, die meisten Abgeordneten traten aus. Der Rest bildete in Stuttgart das<br />

Rumpfparlament, es waren noch knapp zwanzig Prozent der ursprünglichen Versammlung. Im<br />

Juni 1849 wurde es von der württembergischen Regierung zwangsweise aufgelöst.<br />

Im Oberamt Calw fand am 5. Juli 1849 eine Abstimmung über eine verfassunggebende<br />

Landesversammlung statt. Die Landesverfassung von 1819 sollte reformiert werden. Der<br />

Abstimmungsbezirk II unter Leitung von Kommissar Pregizer aus Gechingen bestand aus den<br />

Orten Gechingen, Stammheim, Deckenpfronn, Althengstett, Dachtel, Holzbronn und<br />

Ostelsheim. Abstimmungsort war Gechingen; alle Wahlberechtigten aus den genannten<br />

Nachbarorten mußten in Gechingen ihre Stimme abgeben.<br />

Auch nach der Auflösung des Rumpfparlaments gab es genügend Liberale, die an den<br />

Grundrechten und der Reichsverfassung festhielten, die Württemberg akzeptiert hatte. Als im<br />

gleichen Jahr die Rekruten einrücken mußten, erschien im Nachrichtenblatt des Oberamtes<br />

Calw folgendes Abschiedswort: "In diesem Augenblick, in welchem ihr, teure Landsleute und<br />

Brüder, im Begriff seid, eine ernste Pflicht zu erfüllen, um zu eurer Fahne zu eilen, rufen wir<br />

euch noch ein Wort des Abschieds zu. Ihr werdet euch nimmermehr zu gesetzwidrigen<br />

Handlungen mißbrauchen lassen oder gar Befehlen gehorchen, die eine Verletzung der<br />

Verfassung enthalten, neben den Pflichten habt ihr Rechte, Grundrechte, welche die deutsche<br />

Nationalversammlung beschlossen hat. Ihr habet das Recht, Beschwerden, Bitten, bei euren<br />

Oberen, den Behörden, Ständekammern und anderen Organen des Staates vorzubringen, und<br />

zwar ohne alle Beschränkung. Ihr habt das Recht, politische Vereine zu besuchen,<br />

34


Volksversammlungen beizuwohnen, Versammlungen unter euch zu veranstalten, sofern ihr<br />

nicht in Widerspruch mit den Vorschriften der Disziplin tretet. Das heißt, sofern nicht die<br />

Ausübung eures Dienstes euch im Wege steht. Im Dienste seid ihr verfassungsmäßigen<br />

Gehorsam schuldig, außer Dienst seid ihr wie jeder andere Staatsbürger. Ihr seid Wächter und<br />

Vollzieher des Gesetzes, ihr beschützet die Freiheit und Ordnung und das Gesetz, unter dem<br />

alle stehen. Der Soldat hört niemals auf, ein Bürger zu sein. Ihr geht einer ernsten Zukunft<br />

entgegen, ihr sollt im Gebrauch der Waffen geübt, zum Kriegsdienst befähigt werden. Indem<br />

ihr euch vom häuslichen Herde trennt, um euch dem Dienste der Waffen zu widmen, erfüllt<br />

ihr eine Bürgerpflicht gegen den Staat und gegen das Vaterland. Aber ihr schwöret auch, die<br />

Verfassung heilig zu halten und euer Gehorsam ist kein blinder, sondern ein<br />

verfassungsmäßiger. Darum vergesset auch nicht euren Ursprung, bedenket stets, daß ihr aus<br />

dem Volke hervorgegangen seid und einst wieder in seine Reihen zurückkehren werdet. Der<br />

Volksverein in Calw". Über hundert Jahre in der Geschichte Deutschlands mußten vergehen,<br />

bis wieder eine Demokratie entstand, die die Soldaten als "Bürger in Uniform" bezeichnete.<br />

In Stuttgart herrschten jetzt aber Bestrebungen vor, die vorrevolutionären Verhältnisse wieder<br />

herzustellen. Auch der alte Deutsche Bund lebte 1851 wieder auf und beschloß sogleich die<br />

Abschaffung der Grundrechte, der nun auch der württembergische Landtag zustimmte. Volle<br />

Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Möglichkeit der Zivilehe, die Bauernbefreiung und die<br />

Abschaffung der körperlichen Züchtigung blieben zwar erhalten, aber von demokratischer<br />

Freiheit war keine Rede mehr, auch die politische Einheit Deutschlands wurde nicht erreicht.<br />

Die schlechten Zeiten für die Landwirtschaft wiederholten sich. Um während der Hungerjahre<br />

die größte Not zu lindern, wollte der Kirchenkonvent 1852 in Gechingen eine Suppenanstalt<br />

einrichten. Da aber die Gemeinde der Auffassung war, der Kirchenkonvent maße sich damit<br />

den Rang der gesetzlichen Armenbehörde an, lehnte sie ab.<br />

Am 24. Mai 1854 gab es in Gechingen großen Hagelschaden und Hochwasser. In einer alten<br />

Bibel wird darüber berichtet: "Anno 1854, den 24. Mai, am Mittwochabend vor dem<br />

Himmelfahrtsfest ist ein furchtbares Donnerwetter über unsere Markung hereingekommen<br />

und besonders über das Dinkelfeld Zelg Calw und hat großen Schaden gethan. Es sind<br />

Hagelsteine gefallen, 3 Loth schwer, wie die großen Nüsse, es hat auch die Bäume arg<br />

verwundet. Auch die Klee und Wiesen, so daß man im Augenblick meinte, man müsse die<br />

Äcker wieder aufs Neue bestellen. Ist dann aber wieder alles so herrlich herangewachsen, daß<br />

man sich hat wundern müssen. Nur ist die Ernte etwas später geworden; aber alles ist wieder<br />

gut, daß man gar nichts zu leiden hatte vom Wetterschlag.<br />

Gott allein die Ehr, von ihm kommt alles her, ja, danket dem Herrn, denn er ist freundlich und<br />

seine Güte währet ewiglich!"<br />

Von 1855-1857 grassierte in Gechingen das Scharlachfieber.<br />

Im Krieg 1866 zwischen Preußen und Österreich stand Württemberg Österreich bei. An der<br />

entscheidenden Schlacht bei Tauberbischofsheim nahmen die <strong>Gechinger</strong> Simon Rüffle und<br />

Jakob Friedrich Böttinger teil. (Siehe auch vorstehenden Bericht von Tillie Jäger).<br />

Werfen wir einen Blick in die Gemeinderatsprotokolle zwischen 1865 und 1870: "Die<br />

jährliche Asche vom Waschhaus, die vom Kesselfeuer anfiel, wurde um 15 Gulden und 12<br />

Kreuzer versteigert." (Siehe auch: Bauern und Bauernhäuser).<br />

"Um der Mäuseplage abzuhelfen, zahlt die Gemeindekasse für hundert tote Mäuse 15<br />

Kreuzer." - "Die Gemeinde Neuhengstett erhielt zum Bau eines Rathauses 20 Gulden." - "Im<br />

Erdgeschoß der Schule wurde eine große Brückenwaage eingebaut." - "Am Waschhaus<br />

entstand ein Mostereianbau." - "Zum Tintenlöschen wurden 4 Simri Rohrauer Sand für 36<br />

Kreuzer gekauft."-<br />

35


1863 wurde der 50. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig (Oktober 1813), des<br />

entscheidenden Sieges über Napoleon I., auch in Gechingen festlich begangen. Auf dem<br />

Festplatz (Bergwald) war Gestrüpp und Reisig zusammengetragen und abends angezündet<br />

worden. Dabei hielt der Schultheiß eine Rede und lud die Veteranen der Befreiungskriege zu<br />

einem gemeinschaftlichen Essen ins Gasthaus "Adler" ein. Sie verzehrten laut Rechnung<br />

Speisen und Getränke im Wert von 14 Gulden und 24 Kreuzern auf Kosten der<br />

Gemeindekasse. Folgende Veteranen nahmen teil: Johann Michael Class, Michael Süsser,<br />

Friedrich Brenner, Friedrich Eisenhardt, Abraham Bock, Friedrich Ginader, Notar Pregizer,<br />

Forstwart Sattler, Jakob Ginader, Jakob Gehring, Michael Hofmaier, Jakob Kühnle,<br />

Lammwirt.<br />

Der Krieg von 1870/71 und die Folgezeit<br />

1870 kam es zum Krieg zwischen Preußen und Frankreich. Da Württemberg inzwischen mit<br />

Preußen verbündet war, mußten auch württembergische Truppen daran teilnehmen. 35<br />

<strong>Gechinger</strong> marschierten ins Feld. Drei kamen nicht wieder. Die Namen der Gefallenen sind:<br />

Johann Abraham Breitling, gefallen 2.12.1870, Willhelm Heinrich Mörk, gefallen 30.11.1870,<br />

Georg Ludwig Breitling, gestorben 26.10.1870.<br />

Die Familien der ausgerückten Soldaten bekamen von der Gemeinde pro Tag und Mann 6<br />

Kreuzer Löhnungszuschlag.<br />

Am 2. September 1870 wurde bei Sedan der französische Kaiser Napoleon III. mit seiner<br />

Armee vernichtend geschlagen. Die siegreichen Verbündeten schlossen sich zusammen und<br />

am 1. Januar 1871 wurde das zweite Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm I. von Preußen<br />

feierlich gegründet. Fürst Bismarck wurde Reichskanzler. Württemberg war fortan<br />

Bundesstaat des Deutschen Reiches. Der Jahrestag der Schlacht bei Sedan wurde zum<br />

Nationalfeiertag erklärt, dem Sedanstag. Tillie Jäger hat die erste Sedansfeier in Gechingen<br />

geschildert:<br />

"Auch die <strong>Gechinger</strong> wollten nach dem Krieg eine Sedansfeier und einen Sedansplatz. Man<br />

wählte einen Platz auf der Höhe im Bereich der heutigen Bergwaldsiedlung. Von wo aus gibt<br />

es einen schöneren Ausblick auf Felder und Wälder als auf dem Bergwald? In einem Kreis<br />

wurden 12 Linden gepflanzt, die sich im Lauf der Zeit ganz prächtig entwickelten. Nun wurde<br />

ein Fest abgehalten, das noch bis zur Jahrhundertwende Gesprächsstoff bot. Nicht nur<br />

Ansprachen wurden gehalten, man wollte ein richtiges Volksfest feiern mit Speis und Trank.<br />

Tische und Bänke wurden aufgeschlagen, Bierfässer und Eßwaren auf den Platz<br />

hinauftransportiert. Der nagelneue Waschkessel meiner Großmutter mußte als Gulaschkanone<br />

funktionieren. Es wurde Nudelsuppe darin gekocht, natürlich gab es auch Brezeln, Wurst und<br />

Wecken. Die zwölf Linden bekamen den Namen "Friedenslinden". Unser Pfarrer Storz war<br />

damals am 2. September 1872 noch bewegt von dem Dienst, den er während des Krieges in<br />

Gechingen zu tun hatte. Er sprach bei der Einweihung die ahnungsvollen Worte: "Wenn diese<br />

Linden sterben, wird das Reich vergehen." Die Friedenslinden waren in meiner Kinderzeit ein<br />

beliebtes Wanderziel. Einmal hatten die Linden einen großen Tag. Das war im Herbst 1913,<br />

als ganz Deutschland zusammen mit Rußland und Österreich die hundertjährige Wiederkehr<br />

der Völkerschlacht bei Leipzig feierte. Diese Feiern zogen sich über drei Tage hin. Man<br />

wollte bei den Friedenslinden ein Höhenfeuer entfachen, wie im ganzen Land. Es war kein<br />

Haus, das nicht dazu beisteuerte. Am beliebtesten waren gefüllte Holzkörbe mit Scheiten. Als<br />

die Flammen schlugen, brannten in weitem Umkreis vom Schwarzwaldrand bis zu den<br />

Steilhängen der Alb die Feuer. Über dreißig wurden gezählt. Der Festredner an jenem<br />

Oktoberabend war der Buchhändler Friedrich Essig, der Vater unseres Heimatforschers Karl<br />

Friedrich Essig. Sechs von unseren Linden mußten im April 1945 sterben, als Geschütze, die<br />

man dort oben noch in Stellung brachte, sinnlos in die Gegend ballerten !"(Tillie Jäger)<br />

36


1872 wurde die Währung in ganz Deutschland vereinheitlicht. Statt Kreuzer und Gulden gab<br />

es fortan Mark und Pfennig.<br />

Frankreich mußte nach dem Kriege an das Deutsche Reich Reparationen bezahlen, davon<br />

bekam Württemberg ca. 85 Millionen Mark. Mit diesem Geld wurden viele staatliche und<br />

kommunale Einrichtungen erbaut.<br />

1873 und 1877 gab es wieder Hochwasser, wobei 1873 einige Stück Vieh ertranken.<br />

Es war immer Aufgabe der Gemeinde, für die Ortsarmen zu sorgen. Aus dem letzten Viertel<br />

des 19. Jahrhunderts liegen genauere Angaben über ihre Anzahl und die Kosten für die<br />

Gemeinde vor. Die Ausgaben beliefen sich 1873 auf etwa 1300 Mark in Geld und<br />

Lebensmitteln. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Rechnung des Barbiers<br />

Dingler aus dem Jahr 1873. Für das Rasieren eines Ortsarmen, ein Jahr lang, berechnete er der<br />

Armenpflege 5 Mark. 1895 wurden 17 Bedürftige gezählt, 1903 war ihre Zahl um etwa 23%<br />

auf 21 angestiegen.<br />

Für Gechingen und die Nachbargemeinden Stammheim, Holzbronn, Deckenpfronn,<br />

Althengstett und Ostelsheim wurde hier durch Kaufmann Unger im Auftrag der Gemeinde das<br />

traditionelle Zehrgeld für Handwerksburschen verabreicht. Um 1865/66 waren es 71<br />

Durchziehende, von denen jeder 2 Kreuzer erhielt, das waren zusammen 2 Gulden, 22<br />

Kreuzer (1Gulden = 60 Kreuzer).<br />

Kaufmann Unger hatte die Aufgabe übernommen, das Geld auszuzahlen, da das Rathaus nicht<br />

immer besetzt war. Seine Ausgaben machte er dann der Gemeinde gegenüber geltend. Die der<br />

Gemeinde Gechingen entstandenen Auslagen wurden auf die anderen Gemeinden umgelegt.<br />

Aus dem Jahr 1875 ist eine Rechnung, die er der Gemeinde vorlegte, erhalten geblieben.<br />

Offensichtlich rechnet er für zwei Jahre ab, 175 Durchziehende bekamen je 2 Kreuzer, Ungers<br />

"Provision" betrug 35 Kreuzer jährlich.<br />

Um 1884 bekam jeder Handwerksbursche einen Gutschein über 10 Pfennig ausgehändigt. Aus<br />

den Jahren 1884-86 ist aktenkundig, daß Kaufmann Unger 2605 Geschenkgutscheine à 10<br />

Pfennig ausgab und einlöste. Im Lauf der Zeit muß diese Zahl noch gestiegen sein, denn die<br />

Gemeinde ging dazu über, Unger für zwei Monate einen Vorschuß von 50 Mark zu gewähren,<br />

mit dem er dann das Zehrgeld verrechnete. Dies würde 250 Gutscheinen pro Monat<br />

entsprechen. 1897 beschlossen die sechs Gemeinden, mit der Tradition zu brechen und die<br />

Unterstützung aufzuheben mit der Begründung, daß der Zulauf immer größer werde und daß<br />

viele Herumziehende angezogen würden, die diese Gaben nur ausnützten. Wenn man sich die<br />

Entwicklung betrachtet, hatten sie sicher nicht unrecht damit.<br />

Eine Rubrik in den Amtlichen Bekanntmachungen gibt Aufschluß über den Durchschnitt der<br />

Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle in den Jahren 1872, 1873 und 1874 in allen Orten<br />

des Oberamts Calw. Bei Gechingen sind dort 17 Eheschließungen, 48 Geburten und 37<br />

Sterbefälle vermerkt, damit lag die Zahl der Geburten um 23% über der der Sterbefälle, was<br />

so ziemlich der Norm entsprochen haben dürfte. Trotz der damaligen hohen<br />

Säuglingssterblichkeit kann man von einem starken Bevölkerungswachstum ausgehen.<br />

Vom großen Brand bis zum Ausbruch des ersten Weltkreigs<br />

"Das Dorf Gechingen wurde in der Nacht vom 10. auf 11. August 1881 von einer<br />

fürchterlichen Feuersbrunst heimgesucht. Friedlich hatten sich am Abend des 10. August die<br />

Einwohner zur Nachtruhe niedergelegt, um nach Mitternacht furchtbar aus derselben<br />

aufgeschreckt zu werden. Um 12 Uhr brach mitten im Dorf Feuer aus und da die frisch<br />

gefüllten Scheunen dem Feuer ergiebige Nahrung boten, auch der Sturm die Flammen noch<br />

anfachte, verbreitete sich das Feuer mit erschreckender Geschwindigkeit, so daß die rasch<br />

organisierte Feuerwehr des Ortes nicht imstande war, des Feuers Herr zu werden. Bange<br />

Stunden des Harrens waren es, bis die auswärtigen Löschmannschaften bei der Hand sein<br />

37


konnten. Diese trafen das Feuer in einer Ausdehnung an, daß auch sie der Wucht der<br />

Elemente machtlos gegenüberstanden. Erbarmungslos jagte der Sturm die Flammen von Haus<br />

zu Haus. Die Wohnungen, für welche die Gefahr immer drohender wurde, waren zum Teil<br />

noch angefüllt mit dem dorthin geflüchteten Hausrat der zuerst brennenden Häuser. Da<br />

wurden durch Aufräumen und Retten immer mehr Kräfte in Anspruch genommen und der<br />

Arbeit beim Löschen entzogen. Eine Zeitlang konnte auch für die Spritzen das nötige Wasser<br />

nicht beschafft werden, so daß sie mit Unterbrechungen arbeiteten, und so mußten die<br />

Feuerwehrleute vor der Macht des Feuers immer mehr und mehr zurückweichen. Da bekam<br />

wohl jedes den Eindruck, hier kann nur eine höhere Macht helfen und dem Zerstörungswerk<br />

der Elemente Einhalt gebieten. Aus gar manchem angsterfüllten Herzen stieg das heiße Flehen<br />

zu dem Erbarmen des himmlischen Vaters empor !<br />

Diesen schönen Aufsatz hat der Herr Pfarrer Dettinger von Ostelsheim in den Christboten<br />

einrücken lassen, und ich habe es abgeschrieben, um euch dieses zum Lesen zu empfehlen.<br />

Gechingen, 6. Februar 1882 Bernhard Böttinger, Sattler und Tapezierer"<br />

"In der Nacht vom 10. auf 11. August 1881 brach der Brand in der Scheuer des Michael<br />

Gehring, Metzger, heute Rößle, aus. Im Verlauf von wenigen Stunden wurden 52 Gebäude in<br />

Schutt und Asche gelegt. Das Vieh wurde in die Gärten getrieben, glücklicherweise war kein<br />

Menschenleben zu beklagen. Die Dachteler Feuerwehr kam in eine mißliche Lage, sie war im<br />

Hof in der Hohen Gasse zwischen den Häusern Weiß und Schwarz samt ihrer Spritze rings<br />

vom Feuer eingeschlossen. Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Zum Glück versiegte der<br />

Brunnen, aus dem sie ihre Spritze speiste, nicht und so konnten sie das Feuer niederdämmen.<br />

An Vieh verbrannten 8 - 10 Schweine und ein Kalb. Das Feuer war so groß, daß sogar<br />

Esslingen am Neckar seine Feuerwehr alarmieren wollte, weil sie glaubten, es brenne in<br />

Stuttgart-Vaihingen. Nur in Weil der Stadt wurde nichts bemerkt, weil der Turmwächter<br />

schlief. Der Amtsdiener Gotthilf Mack sprang im Hemd aufs Rathaus und läutete die<br />

Feuerglocke, er nahm sich keine Zeit mehr, die Hosen anzuziehen."(K. F. Essig)<br />

Aus Unterlagen geht hervor, daß noch sieben Nächte lang bis zum 18. August Brandwachen<br />

aufgestellt werden mußten, dabei waren 142 Mann eingesetzt. Als Feuerreiter, um die<br />

benachbarten Feuerwehren zu alarmieren, wurden entsandt: Johann Fischer nach Calw,<br />

Friedrich Schwarz nach Dachtel, Heinrich Schumacher nach Althengstett, Breitling (Krone)<br />

nach Ostelsheim, Wilhelm Gehring nach Deckenpfronn, Christian Stiegelmaier nach<br />

Deufringen, Samuel Vetter nach Stammheim, Breitling (Lamm) nach Calw (zum 2. Mal),<br />

Jakob Kraushaar nach Aidlingen. Alle benachrichtigten Wehren waren im Einsatz; lediglich<br />

von der Aidlinger Wehr ist kein Nachweis vorhanden. Die Löschmannschaften wurden in den<br />

hiesigen Gastwirtschaften auf Kosten der Gemeinde bewirtet. Von den Bäckern wurde an die<br />

Brandgeschädigten auf Anweisung des Rathauses Brot geliefert, der Laib um 50 Pfennig, die<br />

Kosten übernahm die Gemeinde. Bereits am Tag nach dem Brand, am 12. August 1881, hat<br />

das Königliche Ministerium des Innern einen Abgeordneten nach Gechingen entsandt, den -<br />

wie es heißt - Hochehrwürdigen Oberregierungsrat von Schönlin, zur Erhebung der Sachlage,<br />

zur Beratung der Behörde. Nach Erhebung der allgemeinen Verhältnisse nahm er an der<br />

Beratung des Gemeinderats teil und drückte dem Gemeinderat die Teilnahme der<br />

allerhöchsten Behörde aus. Es wurde über die Art der Abräumung des Brandplatzes debattiert.<br />

Unter anderem wurde vorgeschlagen, daß der Schultheiß diese Arbeiten beaufsichtigen solle,<br />

da die Gemeinderatsmitglieder durch Erntegeschäfte verhindert seien. Der Schultheiß<br />

beauftragte jedoch den Werkmeister Kleinbub aus Calw mit der Wahrnehmung dieses<br />

Geschäfts. Von den Brandgeschädigten waren mit wenigen Ausnahmen alle versichert, die<br />

Versicherung hat an Entschädigung ausbezahlt: Für Gebäude 141.759 Mark, für Mobiliar<br />

88.349 Mark. Die Auszahlung erfolgte etwas schleppend, so daß die Gemeinde mit<br />

Vorschüssen einspringen mußte. An Spenden sind nahezu 10.000 Mark und an Naturalgaben<br />

3.000 Mark eingegangen, die an die Brandgeschädigten verteilt wurden. Die Spenden kamen<br />

38


aus vielen Gemeinden Württembergs. Die Gemeinde selbst hat sich an den<br />

Wiederaufbaukosten mit 34.000 Mark beteiligt. Gemeinderatsprotokoll vom 18. August 1881:<br />

"Nachdem die Kollegien das erste Mal wieder zusammengetreten, um nach dem großen<br />

Brandunglück zu beraten, ist es die dringendste Aufgabe, für Wohnungen im Winter zu<br />

sorgen, da die jetzigen in keiner Weise genügen. Die Gemeinde kann in kurzer Frist<br />

Wohnräume im Farrenstall stellen, wenn ein Stockwerk auf das Haus aufgesetzt wird. Die<br />

Kollegien beschließen, diesen Bau zu errichten."<br />

Die Hohe Gasse und die Metzgergasse sollten so wieder aufgebaut werden, wie sie vorher<br />

gewesen waren, die Hauptstraße dagegen sollte etwas zurückgenommen und das enge,<br />

krumme Gäßle in eine schöne breite Dorfstraße verwandelt werden. Das größte Vorhaben aber<br />

war die neue Straße, die parallel zum Mühlweg angelegt werden sollte, mit einer einheitlichen<br />

Häuserfront. Hier hatte der Schultheiß Ziegler bei seinem Gemeinderatskollegium einen<br />

starken Widerstand zu brechen. Der Überlieferung nach schloß er die Gemeinderäte im<br />

Rathaus solange ein, bis sie vor Müdigkeit einnickten, und dieses Nicken wertete er als<br />

Zustimmung zu seinen Straßenbauplänen. Die Grunderwerbskosten für die Straßen beliefen<br />

sich auf 18.733 Mark.<br />

Schultheiß Ziegler machte den Vorschlag, die Geschädigten in drei Klassen einzuteilen:<br />

Klasse 1 solche, die an der Hauptstraße gelegen,<br />

Klasse 2 Nebenstraßenplätze,<br />

Klasse 3 Hinterhäuser.<br />

Die Festlegung des Preises der einzelnen Klassen wurde den Brandgeschädigten überlassen.<br />

Die Abgebrannten waren mit dieser Regelung einverstanden. Anschließend gab jeder eine<br />

Erklärung ab, wie lang und breit er sein neues Haus zu bauen beabsichtige, um das Projekt<br />

entwerfen zu können." (Otto Weiß, Altbürgermeister)<br />

"Zum Andenken an den großen Brand pflanzte man nach Fertigstellung der neuen Straße<br />

zwischen Gartenstraße und Kreuzstraße die Marienlinde. Sie soll an die großzügige Spende<br />

der Prinzessin Marie von Württemberg, verehelichte Gräfin Neipperg, erinnern. " (Tillie<br />

Jäger)<br />

Fünf Jahre nach dem großen Brand, am 12.August 1886 um 9.00 Uhr, brach im Haus<br />

Schneider/Weiß in der früheren Schafgasse, jetzt Weingartenstraße, ein Brand aus, der von<br />

einem zündelnden Kind verursacht worden war. Die angebauten, oberhalb stehenden<br />

Nachbarhäuser Böttinger/Breitling, in denen sich auch ein Kramladen befand, sowie das Haus<br />

Heim brannten mit ab.<br />

Im Jahr 1883 begann für Gechingen der öffentliche Personennahverkehr. Die Postkutsche<br />

nahm von Dachtel über Gechingen nach Calw den Betrieb auf.<br />

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein trafen sich in den langen Winterabenden die Frauen und<br />

Mädchen einer alten Tradition gemäß zu gemeinschaftlichen Näh-, Strick- und Häkelarbeiten<br />

("Außelaufa"). Schon im 16. Jahrhundert lassen sich diese "Lichtkärze", die ursprünglich in<br />

der dunklen Jahreszeit Beleuchtung sparen sollten, nachweisen. Da aber auch Burschen dabei<br />

erschienen und mancherlei Allotria getrieben wurde, wurden durch den Kirchenkonvent<br />

strenge Vorschriften für die "Lichtkärze" erlassen, die erhalten geblieben sind.<br />

Wir wollen noch einmal einen Blick in die Gemeinderatsprotokolle aus dieser Zeit werfen.<br />

Den Bauern machten immer wieder Schädlinge das Leben sauer und brachten sie um die<br />

Früchte ihrer Arbeit. Die Rabenplage (gemeint sind Rabenkrähen) nahm 1894 so überhand,<br />

daß die Gemeinde für jeden abgelieferten toten Raben 20 Pfennige bezahlte. 1894/96 wurden<br />

insgesamt 54 Raben abgeliefert. Um 1901 muß die Rabenplage aber so zugenommen haben,<br />

daß sich die Gemeinde veranlaßt sah, für jeden toten Raben 40 Pfennige zu zahlen. Der Feld-<br />

oder Flurschütz erhielt 45 Pfennige dafür. Aber nicht nur Raben, auch Feldmäuse wurden<br />

39


gefangen und abgeliefert. Für eine Maus bekam man 1 Pfennig. Im Jahr 1895 kamen so 18538<br />

tote Mäuse zusammen, was die Gemeindekasse mit 185 Mark und 38 Pfennigen belastete.<br />

1897 war wieder eine Mißernte. Manch bäuerliche Betrieb geriet dadurch in Bedrängnis.<br />

1899 wurde eine Frau bei der Feldarbeit vom Blitz erschlagen.<br />

Ab 1905 war die neue Straße nach Deufringen fertig (siehe "Straßenverhältnisse bis zum<br />

Beginn der Motorisierung“), die Ortsdurchfahrt war seit dem großen Brand gut ausgebaut.<br />

1886 waren die ersten Automobile der Öffentlichkeit vorgestellt worden, und bald danach<br />

begann sich die Kraftfahrzeugindustrie zu entwickeln. Offenbar mußte man sich in Gechingen<br />

schon 1905 Gedanken über den Kraftfahrzeugverkehr machen. Um Unglücksfälle durch allzu<br />

rasch fahrende Motorfahrzeuge innerhalb des Ortes zu verhüten, erließ der Ortsvorsteher<br />

folgende ortspolizeiliche Vorschrift:<br />

„1.Auf sämtlichen Wegen, Straßen und Brücken innerhalb des durch die äußersten Häuser<br />

begrenzten Weichbildes des hiesigen Ortes dürfen Motorfahrzeuge (durch Dampf, Elektrizität,<br />

Benzin, Petroleum und dergleichen Motoren betriebene Fahrzeuge, Automobile,<br />

Motorfahrräder, Straßenlokomotiven) nur mit der Schnelligkeit eines mäßig trabenden Pferdes<br />

gefahren werden. Motorradfahrer, welchen dies nicht möglich ist, haben abzusteigen und das<br />

Rad zu schieben.<br />

2. Der Wagenführer ist zu besonderer Vorsicht in Leitung und Bedienung seines Motorwagens<br />

verpflichtet. Er darf von dem Motorwagen nicht absteigen, solange der Wagen in Bewegung<br />

ist und darf sich von demselben nicht entfernen, solange der Wagen angetrieben ist, auch muß<br />

er die nötigen Vorkehrungen treffen, daß das Fahrzeug von Unbefugten nicht in Bewegung<br />

gesetzt werden kann.<br />

3. Zuwiderhandlungen werden nach Maßgabe des Paragraphen 366 Ziff. 10 des R.Str.G.B. mit<br />

Geldstrafe bis zu 60 Mark oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft.<br />

4. Der Gemeinderat gibt seine Zustimmung und es wird diese Vorschrift durch Ausschellen<br />

und durch öffentlichen Aushang an den Ortseingängen bekannt gemacht.<br />

Gemeinderat: Ladner, Breitling, Schwarz, Weiß, Gann, Böttinger u. Gehring."<br />

Eine Wasserleitung in Gechingen gibt es seit 1906, elektrisches Licht seit 1910/11.<br />

Der erste Versuch, in Gechingen Industrie ansässig zu machen, datiert aus dieser Zeit. Im<br />

September 1908 eröffnete die Firma Petri aus Ludwigsburg eine Zweigniederlassung mit 19<br />

Handstrickmaschinen. Junge Mädchen verdienten sich ihr Geld mit Strumpfstricken. Wie<br />

lange diese Firma hier am Ort bestanden hat, ist nicht bekannt.<br />

Um die Verkehrsverhältnisse weiter zu verbessern, plante in den Jahren 1904-12 die<br />

württembergische Regierung eine Eisenbahnverbindung durch das Heckengäu. Eine<br />

Trassenplanung führte von Böblingen über Aidlingen-Gechingen-Stammheim zur bereits<br />

vorhandenen Bahnlinie Calw-Weil der Stadt. Die andere Trasse sah eine Verbindung von<br />

Herrenberg über Deckenpfronn-Gechingen-Stammheim vor. Der Ausbruch des ersten<br />

Weltkriegs zerschlug aber alle Pläne.<br />

Der erste Weltkrieg<br />

Im August 1914 kam es durch das Attentat von Sarajewo, dem das österreichische<br />

Thronfolgerpaar zum Opfer fiel, zum Kriegsausbruch. 49 Soldaten aus unserem Ort verloren<br />

in den vier Jahren bis zum Ende des Krieges ihr Leben. Die Namen der im Osten gefallenen<br />

lauten: Rudolf Vetter *28.12.1893 +27.11.1914 Ludwig Schaible *28.1.1890 +5.12.1914 Karl<br />

Gehring *9.4.1889 +19.12.1914 Karl Krauss *6.3.1887 +19.12.1914 Wilhelm Gehring<br />

*21.7.1886 +21.12.1914 Christian Riehm *12.7.1894 +30.12.1914 Richard Breitling<br />

*25.12.1892. +25.6.1915 Otto Ginader *4.6.1892 +28.6.1915 Karl Kühnle *24.6.1881.<br />

+5.9.1916 Richard Dingler *9.12.1879 +18.8.1917 Christian Süsser *11.3.1879 +30.4.1918<br />

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Im Westen: Hermann Gehring *15.7.1891 +24.8.1914 Julius Mitschele *23.8.1890<br />

+28.8.1914 Ludwig Heim *25.8.1891 +29.8.1914 Ferdinand Gehring *28.10.1881 +9.1914<br />

Paul Mitschele *27.6.1887 +8.9.1914 Jakob Süsser *18.8.1893 +26.9.1914 Heinrich Dingler<br />

*10.5.1881 +20.10.1914 Jakob Wagner 18.12.1873 +9.2.1915 Gottfried Quinzler *7.5.1880<br />

+19.2.1915 Wilhelm Gehring *3.3.1889 +10.5.1915 Richard Ladner *13.8.1891 +30.6.1915<br />

Heinrich Schumacher *2.2.1885 +12.9.1915 Hermann Vollmer *19.2.1889 +21.3.1916<br />

Friedrich Essig *12.9.1879 +27.5.1916 Friedrich Fischer *24.9.1887 +1.7.1916 Rudolf<br />

Theurer *25.7.1894 +1.7.1916 Karl Böttinger *29.1.1886 +4.7.1916 Paul Gehring *10.3.1896<br />

+10.7.1916 Otto Köber *15.12.1893 +5.11.1916 Otto Kielwein *9.10.1896 +5.11.1916 Otto<br />

Dürr *3.10.1895 +10.1.1917 Karl Süsser *24.1.1897 +22.4.1917 Wilhelm Böttinger<br />

*13.9.1888 +20.5.1917 Karl Schumacher *24.11.1886 +13.6.1917 Friedrich Schumacher<br />

*4.9.1885 +15.7.1917 August Süsser *5.10.1896 +27.8.1917 Friedrich Kraushaar<br />

*24.11.1897 +2.9.1917 Friedrich Vetter *19.10.1873 +12.9.1917 Wilhelm Krauss<br />

*13.12.1883 +3.1.1918 Karl Dingler *7.10.1897 +5.8.1918 Paul Gehring *28.10.1890<br />

+9.8.1918 Ludwig Gehring *22.5.1898 +15.8.1918 Otto Kühnle *13.11.1889 +28.8.1918 Karl<br />

Vetter *13.4.1881 +23.9.1918 Gottlob Süsser *26.10.1880 +29.9.1918 Fritz Heim *28.6.1889<br />

+4.10.1918 August Süsser *23.3.1896 +7.10.1918 Josef Bierle *8.10.1898 +1.1.1919<br />

Da fast alle jungen Männer zum Kriegsdienst eingezogen waren, lag die ganze Last der<br />

Feldarbeit auf den Schultern der Frauen und der nicht wehrdienstfähigen Männer. Das<br />

Tagebuch eines alten Bauern berichtet von mühevoller Arbeit, Ablieferungen, verwundeten<br />

Soldaten und der Trauer der Hinterbliebenen. So heißt es am 6.7.1915: "Gefallen sind Richard<br />

Ladner und Wilhelm Gehring. Wenn der Krieg so weitergeht, kommt bald keiner mehr heim."<br />

Am 22.7.1915: "Es werden Leute gesucht, die bei Nacht die Felder bewachen sollen. Den<br />

ganzen Tag streng arbeiten und bei Nacht wachen, das kann niemand!" Am 2.8.1915: "Eine<br />

Kommission hat in den Häusern nach Frucht gesucht und beschlagnahmt." Vier Wochen<br />

später: "Alle Kupfergegenstände sollen abgeliefert werden." Im Dezember: "Französische<br />

Flieger über dem Ort." 7.3.1916: "Heute hat ein Urlauber zu mir gesagt, wenn der Krieg noch<br />

bis Herbst geht, erschießt er sich." Am 31.8.1916 machte der Bauer den Eintrag: "Seife,<br />

Zucker und Fleischkarten geholt, es müssen wieder viele einrücken, wenn das so weitergeht<br />

mit den vielen Feinden, muß alles, was noch laufen kann, fort." - "Wir müssen 8 Zentner Heu<br />

abliefern, wenn nur der ganze Schwindel mal aus wäre", notiert er unter dem 15.5.1918.<br />

1916 mußte ein deutsches Flugzeug wegen Benzinmangels auf den Wolfswiesen notlanden.<br />

Fast die gesamte Einwohnerschaft war bei diesem aufregenden Ereignis auf den Beinen. Ein<br />

Soldat, der in der Mühle dienstverpflichtet war, machte mit seiner Kamera Bilder, die heute<br />

noch erhalten sind.<br />

Gleich zu Beginn des Krieges wurde auch bei uns, wie in anderen Orten, auf Weisung der<br />

Regierung eine Jugendwehr ins Leben gerufen. Im württembergischen Staatsanzeiger von<br />

1914 heißt es: "Zur militärischen Vorbereitung der Jugend wird ein Ausschuß unter<br />

Generalmajor v. Hügel eingesetzt. Die Lehrer werden angewiesen, sogenannte Jugendwehren<br />

an den Schulen einzurichten. Die Übungen sollen an Sonntagen und Mittwoch- und<br />

Samstagnachmittagen gemacht werden. Weil Teile des Lehrstoffes dadurch ausfallen, wird bei<br />

Prüfungen darauf Rücksicht genommen.<br />

Im Unterricht ist verstärkt über den uns aufgezwungenen Krieg und die Ursachen zu<br />

berichten. Der Lehrer leitet den ganzen Strom der großen Zeit, die wir jetzt erleben, in die<br />

Schule. Hier ist der Ort, wo die Kinder der im Feld stehenden Väter über die Vorgänge auf<br />

den Kriegsschauplätzen zu Land und zu Wasser unterrichtet werden. Auch auf die<br />

Erwachsenen ist in diesem Sinne einzuwirken. Aufsatzthemen: Stimmungsbilder über<br />

Mobilmachung, Einquartierungen, Freiwilligkeit, Freiwillige, Siege usw."<br />

41


Im Amtsblatt für das Schulwesen steht zur gleichen Zeit: "Beim Eintritt von hervorragenden<br />

Kriegsereignissen wird eine Schulfeier abgehalten, der Unterricht fällt aus. Der Jugend ist<br />

Größe und der Ernst der jetzigen Zeit zu vermitteln. Gleichzeitig ist an die Spendenfreudigkeit<br />

der Schüler zu appellieren". Die Schüler sammelten Brennesseln zur Stoffherstellung,<br />

Buchen- und Eichenlaub für Soldatenpferde, Eicheln für Schweinefutter und Bucheckern zur<br />

Herstellung von Öl.<br />

Der Gemeinderat bewilligte im November 1914 Mittel zur Anschaffung von Übungsgeräten<br />

für eine Jugendwehr. Es wurden 25 Holzgewehre gekauft und sechs Ausbilder nach<br />

Münsingen zu einem Kurs geschickt. Anfangs war die Jugend mit Begeisterung dabei. Unter<br />

Aufsicht der Lehrer bauten sie im Mönchsgrund Schützengräben. Andernorts aber fiel das<br />

Ergebnis der paramilitärischen Übungen wohl anders aus als geplant. Am 24.11.1915 mußte<br />

die Regierung schon besondere Maßnahmen gegen die aufbegehrende Jugend erlassen. Die<br />

Schultheißen wurden angewiesen, ein besonderes Auge auf die Jugendlichen zu haben und<br />

gegen Ausschreitungen ohne Rücksicht vorzugehen. Bei uns war das nicht notwendig. Die<br />

Jugend auf dem Lande mußte immer hart arbeiten und hatte für aufrührerische Aktivitäten<br />

weder Zeit noch Energie. Auch spielte der zunehmende Mangel an allen Gütern des täglichen<br />

Bedarfs in der Stadt eine größere Rolle als auf dem Land. Zwar waren Lebensmittel, Schuhe<br />

und Kleider überall rationiert und wurden nur auf Karten abgegeben, aber auf dem Land war<br />

die Lage etwas besser, da die Bevölkerung einen Teil der Ernteerträge behalten konnte. Aber<br />

je länger der Krieg dauerte, desto mehr nahmen auch hier Not und Elend zu.<br />

Um dem Arbeitskräftemangel abzuhelfen, kamen im März 1916 zehn Kriegsgefangene nach<br />

Gechingen. Sie waren in einem Neubau in der Gültlinger Straße bei Samuel Vetter<br />

untergebracht und wurden von einem Wachmann beaufsichtigt. Die Gefangenen, meist<br />

Franzosen, waren teilweise keine Landwirte, so daß sie anfangs keine große Hilfe waren. Im<br />

Laufe der Zeit wurden sie aber für viele Höfe unentbehrlich. Die Miete für Unterkünfte der<br />

Gefangenen in Höhe von 1 Mark pro Mann und Monat übernahm die Gemeinde. Das Essen<br />

stellten die Arbeitgeber. Fluchtversuche der hier arbeitenden Gefangenen gab es nicht,<br />

trotzdem mußte der Feldschütz die Augen offenhalten. Er sollte auch auf feindliche Agenten<br />

und Flugzeuge achten.<br />

Bis November 1918 dauerte der schreckliche Krieg. Erst Jahre später konnten die Verluste an<br />

Menschen in etwa ermittelt werden. In Deutschland waren es 1 885 291 Tote.<br />

Im Zusammenhang mit der militärischen Niederlage kam es überall in Deutschland zur<br />

Revolution. In Württemberg verlief sie einigermaßen glimpflich, doch wurde auch hier der<br />

allgemein beliebte König Wilhelm II. zur Abdankung gezwungen, und Württemberg wurde<br />

zur Republik.<br />

Zwischen den Kriegen bis 1933<br />

Am Ende des ersten Weltkrieges kehrten zwei Drittel der ausgerückten Soldaten wieder nach<br />

Hause zurück. Man versuchte, die Vorkriegsverhältnisse wiederherzustellen und Vorhaben,<br />

die durch den Krieg verhindert worden waren, wieder aufzugreifen. Schon im Juli 1919<br />

beschloß der Gemeinderat, für die im Jahr 1917 abgelieferte Rathausglocke eine neue zu<br />

bestellen. "Es sei ein dringendes Bedürfnis und soll in tunlichster Bälde vorgenommen<br />

werden". Im November 1919 bestellte man bei der Firma Kurtz in Stuttgart eine Glocke im<br />

Gewicht von 150 kg zum Preis von 3450 Mark, "da ein geordneter Betrieb ohne Glocke nicht<br />

mehr durchzuführen ist". So hieß es im Protokoll.<br />

Um den vielen arbeitslosen jungen Männern einen Verdienst zu beschaffen, beschloß die<br />

Gemeinde im Jahr 1921, eine Verbindungsstraße vom oberen Angel zur Althengstetter Straße<br />

zu bauen. Am 28.7.1922 war die Straße fertig und konnte eingeweiht werden. Durch den<br />

Beginn der Inflation waren die Baukosten so in die Höhe geschnellt, daß die neue Straße den<br />

Beinamen "Millionensträßle" erhielt. Die Wirtschaft unseres Landes, das sowieso unter der<br />

42


Last der Reparationszahlungen an die Siegermächte litt, geriet durch die Inflation völlig aus<br />

den Fugen. Die Preise kletterten in astronomische Höhen. Im Tagebuch unseres Bauern läßt<br />

sich das gut erkennen:"10.1.1923: 1 Pfund Butter 3400 Mark, 1 Paar Schuhe 1350 Mark.<br />

17.4.1923: 1 Paar Strümpfe 3200 Mark, 1 Kaffeetasse 1000 Mark. 18.5.1923: Hemdenstoff<br />

42000 Mark, Bodenöl 10800 Mark". Besonders deutlich läßt sich der Währungsverfall anhand<br />

des Tabakpreises zeigen. Am 9.1.1923 kostete 1 Päckchen Tabak 200 Mark, am 15.5. 1923<br />

bereits 800 Mark. Ein Ei bekam man um 340 Mark, für 1 Pfund Rindfleisch legte man 4000<br />

Mark auf den Tisch. Im November 1923 war der Höchststand der Inflation erreicht. 1 US-<br />

Dollar kostete 4, 2 Billionen Mark. Erst mit dem Ende der Inflation und der Einführung der<br />

neuen Währung "Rentenmark" am 15.11.1923 erholte sich das Land wieder, und es kam zu<br />

einem bescheidenen Wohlstand. Man begann, sich lange verschobenen Vorhaben wieder<br />

zuzuwenden, so legten Grabungen an der <strong>Gechinger</strong> Burg 1928 den Grundriß frei.<br />

1929 wurden die Schultheißen in Bürgermeister umbenannt.<br />

1929 kam es zu jenem dramatischen Bankenzusammenbruch in New York, der die ganze<br />

Welt in eine Wirtschaftskrise stürzte. Diese führte zu Preisverfall, Bankrotten und zum<br />

Schrumpfen der Wirtschaftsbeziehungen auf der ganzen Welt. Das Heer der Arbeitslosen<br />

wuchs in Millionenhöhe, vor allem in Deutschland. 1932 zählte man im damaligen Reich<br />

6,128 Millionen Arbeitslose und 3 Millionen Kurzarbeiter. Das waren zwei Drittel der<br />

arbeitsfähigen Bevölkerung. Auch hier bei uns begannen wieder Not und Elend einzuziehen.<br />

Verhungern mußte zwar keiner, aber das Geld wurde knapp und knapper. 1932 beschloß der<br />

Gemeinderat, Gutscheine im Wert von 1 und 2 Pfennig abzugeben. Damit sollten die Bettler,<br />

die den Ort geradezu überschwemmten, abgefunden werden. Sie konnten dann damit<br />

Lebensmittel kaufen.<br />

Die jeweiligen Reichsregierungen in Weimar nahmen, um regierungsfähig zu bleiben,<br />

Notverordnungen zur Hilfe, weil sie dazu die Zustimmung des handlungsunfähigen<br />

Parlamentes nicht brauchten. Gehälter, Löhne und Renten wurden gekürzt und die Armut stieg<br />

weiter.<br />

In Gechingen gab es wieder Hochwasser. Am 30.5.1932 zwischen 3 und 4 Uhr morgens ging<br />

ein schweres Gewitter mit Hagelschlag nieder, es war so stark, daß noch am Nachmittag die<br />

Schloßen 60-70 cm hoch lagen. Beim "Lamm" mußten Stege gebaut werden. Es entstand ein<br />

Sachschaden von ca. 100 000 RM.<br />

Im Winter 1932/33 leisteten die Besitzer der Felder am Dätzinger Weg eine vorbildliche<br />

Gemeinschaftsarbeit. Unter der Leitung von Regierungs-Oberlandmesser a. D. Ziegler<br />

entstand eine großzügige Weganlage mit einer Breite von 5 Meter und einer Steigung von 5-<br />

6%. Dadurch bekamen alle Anliegergrundstücke eine bessere Zufahrtsmöglichkeit als bisher.<br />

Die Gemeinde übernahm die Kosten der Steinschlagmaschine. Der neue Weg bekam den<br />

Namen: Heinrich-Ziegler-Weg.<br />

Das dritte Reich bis zum zweiten Weltkrieg<br />

Durch das wachsende Elend bekam eine Partei großen Zulauf: Die Nationalsozialistische<br />

Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Sie versprach in ihrer sehr geschickten Propaganda<br />

Rettung aus der Not. Viele sahen in ihr die letzte Hoffnung. So stieg in Gechingen die Zahl<br />

der NSDAP-Wähler bei den Reichstagswahlen von 4 Stimmen im Jahr 1928 um das beinahe<br />

Zehnfache auf 39 Stimmen 1930 an. 1932 war es dann noch einmal über das Fünffache mehr:<br />

199 wählten die NSDAP. Bezogen auf die Zahl von rund 500 Wahlberechtigten waren das<br />

1928 0,8%, 1930 7,8% und 1932 39,8% aller Stimmen.<br />

1933 kam Hitler als Reichskanzler in die Regierung und benützte das Ermächtigungsgesetz,<br />

das im Notfall die Regierung dazu befugte, ohne das Parlament Gesetze zu erlassen, um alle<br />

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anderen Parteien entweder zu verbieten oder gleichzuschalten. Nun traten viele in guten<br />

Glauben in die Partei ein oder warteten ruhig ab, was die neue Regierung leisten würde.<br />

Schon am 25.6.1935 gab der Kreisleiter der NSDAP von Calw in einem Schreiben dem<br />

Bürgermeister bekannt, wer zum Gemeinderat in Gechingen berufen werde. Es waren Ludwig<br />

Gehring, Friedrich Schwarz, Georg Wagner, Albert Schaible, Paul Maier und Friedrich Weiß.<br />

Damit war die demokratische Wahl abgeschafft. Die Abfassung der Gemeinderatsprotokolle<br />

aus jener Zeit läßt die Wandlung gut erkennen. Las man vor 1933 noch "der Gemeinderat<br />

beschließt", so hieß es später "der Bürgermeister verfügt". Auch hier bei uns wurde, wie im<br />

ganzen Land, die demokratische Tradition von der Diktatur und dem Führerprinzip abgelöst.<br />

Am 24.6.1933 ordnete das Ministerium ein Fest der Jugend zur Sonnwendfeier an. Die<br />

Einwände des Gemeinderates, daß die Heuernte in vollen Gange sei und man alle Kräfte dazu<br />

brauche, wurden mit der Weisung, daß die Schulen sich an die Anordnung zu halten hätten,<br />

abgelehnt.<br />

Nachdem am 14.7.1933 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, welches die<br />

Zwangssterilisation erlaubte, erlassen war, wurde ein großer Propagandafeldzug bis in die<br />

kleinsten Dörfer hinein organisiert. Zur Beschaffung von Werbematerial mußte auch die<br />

Gemeinde beisteuern. 1934 empfahl der württembergische Gemeindetag den Gemeinden, den<br />

neuen Jugendverbänden, wie Hitlerjugend (HJ), Jungvolk und Bund Deutscher Mädchen<br />

(BDM) neben einem passenden Vereinslokal auch einen jährlichen Pro-Kopf-Beitrag von 2<br />

Pfennig auf jeden Einwohner zu geben. Die Gemeinde stellte daraufhin den unteren Raum des<br />

gemeindeeigenen Hauses in der Kirchstraße zur Verfügung. Heizung und Beleuchtung waren<br />

frei. Die <strong>Gechinger</strong> HJ war im sogenannten "Bann 401, Gefolgschaft 18" organisiert.<br />

An der Post in der Calwer Straße brachte die NSDAP eine große Anschlagtafel an, um die<br />

antisemitische Hetzzeitung "Der Stürmer" von dem bekannten Julius Streicher zu<br />

veröffentlichen. Damit wurde mit Schauermärchen Stimmung gegen die Juden gemacht, um<br />

die barbarischen Maßnahmen gegen sie zu begründen. Mit der Parole "Deutscher, kauf nicht<br />

bei Juden" und SA-Posten vor ihren Läden entzog man den jüdischen Händlern die<br />

Existenzgrundlage. In Gechingen waren allerdings gar keine Juden ansässig, in Calw gab es<br />

zwei jüdische Geschäfte. Manche glaubten den antisemitischen Hetzparolen, aber es gab auch<br />

viele, die nicht darauf hörten. Immer noch traten manche in die Partei und ihre Organisationen<br />

ein, teils weil es aus beruflichen Gründen notwendig war oder nur, um bei ihren Kameraden<br />

zu sein. Durch die beginnende Aufrüstung, Notstandsarbeiten und Bau der Autobahnen ging<br />

die Zahl der Arbeitslosen langsam, aber stetig zurück. Dazu kam noch die Wiedereinführung<br />

der allgemeinen Wehrpflicht, die viele jugendliche Arbeitslose von der Straße holte. Auch<br />

begann sich die Wirtschaft weltweit zu erholen, man rechnete es aber den Nationalsozialisten<br />

an. Das alles trug zur Festigung der Diktatur bei. Es kam wieder zu einem gewissen<br />

Wohlstand.<br />

Der Jugend galt das Hauptaugenmerk der NSDAP. Sie sollte ganz in ihrem Sinne erzogen<br />

werden. Reichsjugendspiele, Zeltlager, Fahrten und Sport brachten den nationalsozialistischen<br />

Jugendverbänden großen Zulauf. Mit dem Gesetz vom 1.12.1936 faßte die Regierung dann<br />

die gesamten deutschen Jugendverbände zusammen und unterstellte sie dem<br />

Reichsjugendführer. Kaum jemandem gelang es, sich dieser allumfassenden Organisation zu<br />

entziehen. Die christlichen Jugendverbände wurden in die Hitlerjugend übernommen. Auch<br />

die Schule bezog man mit ein: "Aus der Erwägung heraus, daß im einigen Reich nur eine<br />

gemeinsame Volksschule Platz haben kann, beabsichtigt der Bürgermeister die Einführung<br />

der deutschen Gemeinschaftsschule in Gechingen zu beantragen. Der Religionsunterricht<br />

bleibt im vollen Umfang erhalten". Weiter heißt es: "An die Jugend unsere Gemeinde werden<br />

wie überall, hohe Anforderungen, auch in sportlicher Hinsicht, z.B. im Schwimmen, gestellt.<br />

Insbesondere bei der HJ, dem Arbeitsdienst und der Wehrmacht. Es ist daher erforderlich, in<br />

44


der Gemeinde eine Badegelegenheit, ein Freischwimmbad zu schaffen. Der Bau ließe sich am<br />

besten in den Wiesen am Brühl erstellen und die Speisung könnte von der<br />

Brackenhammerschen Quelle aus erfolgen. Viele Arbeiten können in Gemeinschaftsarbeit<br />

erledigt werden" (Auszüge aus einem Gemeinderatsprotokoll 1936). Es gab einen Beschluß,<br />

die erforderlichen Grundflächen zu erwerben und einen Architekten zu beauftragen. Diese<br />

Pläne haben sich dann durch den Ausbruch des zweiten Weltkriegs zerschlagen.<br />

Der Reichsluftschutzbund (RLB) gründete 1937 in Gechingen zusammen mit den Gemeinden<br />

Stammheim, Althengstett, Ostelsheim und Dachtel eine Gruppe. Zur Schulung der<br />

Bevölkerung wurden benötigt: "30 Gasmasken, 30 Schutzanzüge, 30 Stahlhelme, 3<br />

Kübelspritzen mit je 25 m Schlauch, 2 Decken, 1 Luftschutz-Verbandskasten und<br />

verschiedene Schulungsmodelle. Die Kosten von rund 1200 RM sollen von den einzelnen<br />

Gemeinden aufgebracht werden. Es ist für die Gemeinde schwer, den vielen Anforderungen<br />

gerecht zu werden, welche heute an sie gestellt werden. Die Schulung der Bevölkerung auf<br />

dem Gebiet des Luftschutzes ist aber bei der heutigen modernen Kriegsführung so wichtig,<br />

daß wir nicht zurückstehen können, da wir sonst eine große Verantwortung auf uns nehmen<br />

würden" (Aus einem Gemeinderatsprotokoll 1937).<br />

"Die Einwohner wurden zum Selbstschutz aufgerufen und in Luftschutzgemeinschaften unter<br />

Führung eines Luftschutzhauswartes eingeteilt. In jedem Haus sollte man Schutzräume<br />

einbauen und mit Einbruch der Dunkelheit alle Lichtquellen verdunkeln. Die Organisation<br />

war Aufgabe des Bürgermeisteramts als des örtlichen Polizeiorgans und der ehrenamtlich<br />

tätigen Angehörigen des RLB. Auf dem Dachboden und im Keller sollte alles zur<br />

Brandbekämpfung bei einem etwaigen Fliegerangriff bereitgestellt werden: Wasser, Sand und<br />

Äxte. Jeder Hausbesitzer mußte sich eine Handspritze anschaffen". (Fritz Heimberger,<br />

Sindelfingen)<br />

In der Folgezeit führte man in Gechingen verschiedene Übungen durch. Bei einer wurde<br />

angenommen, ein Flieger werfe Bomben ab. In einem extra dafür aufgebauten Brandschuppen<br />

entzündete man Brandsätze und machte Löschversuche. Auf der Gartenstraße, vor der<br />

Marienlinde, versorgte man die Verletzten. Luftschutzwarte wurden im Saal des Gasthauses<br />

Hirsch geschult. Ein tiefer Keller des Adlerwirts (Haus Dingler, Calwer Straße) diente erst als<br />

Gasraum, in dem die an jeden ausgegebenen Volksgasmasken probiert wurden, später als<br />

Luftschutzraum. Neben all diesen militärischen und paramilitärischen Aktivitäten wurden<br />

natürlich auch gemeinnützige Vorhaben durchgeführt. Den Schuttabladeplatz im Gailer,<br />

gewiß keine Zier für das Ortsbild, schloß man im August 1936 und legte einen neuen<br />

Müllplatz an der Straße nach Ostelsheim an. Der alte Schuttablageplatz wurde zum Festplatz<br />

für nationale Feiertage umgewandelt und mit Bäumen bepflanzt. Heute befindet sich dort ein<br />

Regenüberlaufbecken. Auch führte man eine Teilflurbereinigung durch. Dabei wurde das<br />

Bachbett im unteren Tal Richtung Deufringen so ausgebaut, daß Überschwemmungen nur<br />

noch selten vorkommen sollten. Es waren sechs Kunstbauten, Brücken und Wehre notwendig.<br />

Die Kosten lagen bei 40 000 RM, davon 60 % zu Gemeindelasten. Gleichzeitig mußte die<br />

Quelle der Irm beim heutigen Feuersee neu gefaßt werden, da die Scheuer, aus deren<br />

Grundmauer sie entspringt, repariert wurde. Das Gemeinderatsprotokoll berichtet, wie<br />

schwierig es war, Zement zu beschaffen, der rationiert war, weil er für den Bau des Westwalls<br />

gebraucht wurde. Dadurch kamen auch die Umbauarbeiten am ehemaligen Waschhaus ins<br />

Stocken und konnten erst im Dezember 1938 zu Ende geführt werden.<br />

1936 ereigneten sich zwei Todesfälle, die alle erschütterten: Ferdinand Breitling fiel beim<br />

Tannenzapfensammeln am 11.7.1936 von einem Baum und starb auf dem Weg ins<br />

Krankenhaus Calw. Sechs Wochen vorher stürzte Paul Gehring auf der Fahrt nach Calw an<br />

der Einmündung der Straße bei Stammheim vom Fahrrad. Er fiel die Böschung hinunter und<br />

war sofort tot. Kurz darauf kam es wieder zu drei Unglücksfällen, die aber zum Glück nicht<br />

45


tödlich verliefen. Es gab einen Unfall im Steinbruch, einen beim Holzfällen und einen Sturz in<br />

der Scheuer.<br />

Bei einem Segelflugwettbewerb auf dem Hornberg errang 1938 Karl Schneider zusammen mit<br />

einem Kollegen den Weltrekord im Dauerfliegen mit 21 Stunden und 2 Minuten.<br />

Die Familie Ruopp aus Gruorn bei Münsingen fand bei uns eine neue Heimat. Sie mußte ihren<br />

Heimatort verlassen, weil der dortige Truppenübungsplatz vergrößert wurde.<br />

Auch in Gechingen merkte man die fortschreitende Militarisierung. Im September 1936 stand<br />

im Evangelischen Gemeideblatt: "Heute und morgen, 2. und 3. 9. ist hier Einquartierung.<br />

Alles ist auf den Beinen; eine feine Sache. Gott gebe, daß wir diese Manöver nicht für den<br />

Ernstfall brauchen, für den Krieg. Rußland will unbedingt den Weltbrand". Schneller als<br />

Pfarrer Reusch, der Schreiber dieser Zeilen ahnte, kam der Ernstfall: 1939.<br />

Der Zweite Weltkrieg 1939 - 45<br />

Sofort mit Kriegsbeginn am 1.9.1939 hatte die Gemeinde monatlich etwa 710 RM<br />

Kriegsabgabe zu bezahlen. Dann bekamen wir Einquartierung, und zwar vom 28.8.-2.10. Es<br />

waren 650 Mann. Als diese Soldaten abrückten, folgten erneut 450 Mann, die bis zum<br />

6.12.1939 blieben. Am 25.9.1939 stand am Rathaus zu lesen: "Beim Schießen der<br />

Flackartillerie gegen Flugzeuge müssen die im Freien befindlichen Personen Deckung<br />

nehmen, da sie sonst durch herabfallende Sprengstücke verletzt werden können."<br />

Während täglich Sondermeldungen über deutsche Siege aus dem Radio tönten, wurden die<br />

Lebensmittel- und Kleiderkarten eingeführt.<br />

Rathausanschläge:<br />

26.9.1939: "Heute Vormittag werden auf dem Rathaus Lebensmittelkarten ausgegeben und<br />

zwar von 1/2 8 - 1/2 11 Uhr."-<br />

7.10.1939: "Ein Aufruf des weiblichen Arbeitsdienstes Jahrgang 1920 und 1921 ist am<br />

Rathaus angeschlagen. Die in Betracht kommenden Dienstpflichtigen haben sich sofort in<br />

Calw mit den erforderlichen Papieren schriftlich zu melden."<br />

16.10.1939: "Sämtliche Angehörige der Jahrgänge 1911 und 1912, soweit sie nicht bereits zur<br />

Wehrmacht eingezogen sind, haben sich morgen, Dienstag, 10 Uhr in Calw zur Musterung zu<br />

stellen"<br />

Sämtliche Kraftfahrzeuge wurden entweder beschlagnahmt oder stillgelegt. Anfangs nahm<br />

man die Lebensmittelkarten nicht so ernst, aber nach und nach wurden sie immer wichtiger.<br />

Jedem standen zuächst 2435 Kalorien zu. Im Laufe des Krieges verkleinerte sich die Ration<br />

mehr und mehr. Bei der Einführung der Bezugscheine für Schuhe und Kleidung gab es<br />

Unruhe unter der Bevölkerung. Die Erklärung des Reichswirtschaftsministeriums vom<br />

27.10.1939, daß man mit dem vorhandenen Schuhbestand bis zum Kriegsende auskommen<br />

müsse, löste erstmals eine große Erbitterung aus. Am 19.11.1939 stellte ein Bericht des SS-<br />

Sicherheitsdienstes fest: "Die Stimmung innerhalb der Landbevölkerung ist, wie aus<br />

Württemberg gemeldet wird, geradezu katastrophal, infolge der absolut ungenügenden<br />

Zuteilung von Arbeitsschuhen an die Bauern. Bei den Ernährungsämtern gehen täglich<br />

Drohbriefe ein." - "Streng handhabte man die Bestimmungen über die Ladenschlußzeiten.<br />

Geschäfte mußten schließen, wenn verdunkelt wurde. Benzin und Mineralöle waren als<br />

kriegswichtige Stoffe rationiert; private Verbraucher mußten zurückstehen. Als Treibstoff<br />

immer knapper wurde, ging man zum Betrieb mit Holzgas aus Generatoren über. Zur<br />

Ergänzung der im eigenen Lande erzeugten Rohstoffe sammelte man Altmaterial aller Art.<br />

Später erstreckten sich die Sammlungen auf Lumpen, Papier, Eisen, Metallteile,<br />

Flaschenkapseln, Folien, Tuben, Korken und Knochen. Die Schulen sammelten regelmäßig<br />

jeden ersten Samstag im Monat." (Fritz Heimberger, Sindelfingen)<br />

Die Gemeinde sollte vier öffentliche Luftschutzkeller ausbauen. Je ein Keller im Schulhaus<br />

und einer im Pfarrhaus waren im März 1940 fertig. Die beiden anderen, davon einer im<br />

46


Lehrerhaus und einer im Haus des Bürgermeisters, sollten in Bälde folgen. Auch der private<br />

Ausbau von Luftschutzräumen ging voran, wie z.B. der Keller in der Calwer Straße 24<br />

(gebaut 1793), der früher als Weinkeller zum "Hirsch" gehört hatte. Auf die Verdunklung<br />

legte man großen Wert, der Gemeindediener und die Luftschutzwarte sowie die Feuerwehr<br />

machten häufig die ganze Nacht über Kontrollgänge und brachten diejenigen, welche<br />

nachlässig waren, zur Anzeige.<br />

Rathausanschläge:<br />

8.12.1939: "Die Abdunklung in Gebäuden wird in letzter Zeit vielfach ungenügend und<br />

fahrlässig durchgeführt. Die Einwohnerschaft wird erneut aufgefordert, für eine vollständige<br />

Abdunklung aller Lichtquellen bei Eintritt der Dunkelheit zu sorgen. Mit Kontrollen ist zu<br />

rechnen."<br />

15.9.1942: "Es wird allen Einwohnern zur Pflicht gemacht, ihre Wohnungen und sonstigen<br />

Räume vollständig zu verdunkeln, weil sonst das ganze Dorf in Gefahr ist. Säumige werden<br />

empfindlich bestraft."<br />

Kraftfahrzeuge brauchten Blenden aus Stoff oder Pappdeckel für ihre Scheinwerfer; das rote<br />

Schlußlicht mußte abgedunkelt werden. Wer nachts auf die Straße ging, durfte nur<br />

Taschenlampen mit Blaulicht verwenden. Selbst Feuer auf dem Felde mußten bei Einbruch<br />

der Dunkelheit gelöscht werden.<br />

1942 bestimmte eine neue Verordnung, daß der Polizeidienst in den Gemeinden mit weniger<br />

als 5000 Einwohnern von der Gendarmerie übernommen werden soll.<br />

"Die Überwachung der Zivilbevölkerung wurde immer schärfer gehandhabt. Jeder über 15<br />

Jahre alte deutsche Staatsangehörige mußte sich eine Kennkarte besorgen, mit der er sich<br />

ausweisen konnte". (Fritz Heimberger, Sindelfingen) Die Feldschützen waren angewiesen, auf<br />

feindliche Agenten und Spione, die eventuell als Fallschirmspringer landen könnten, ein<br />

wachsames Auge zu haben. Im Herbst 1942 kam es dann zu einer Begebenheit, die sich nur<br />

durch die allgemeine Sorge und Anspannung erklären läßt. Es war schon dunkel, als ein paar<br />

halbwüchsige Jungen verstohlen, wie sie meinten, vom Apfelklauen ins Dorf zurückkamen.<br />

Sie gingen im Gleichschritt mit ihren genagelten Schuhen, damit man meinen solle, es sei<br />

bloß einer, weckten aber gerade damit das Mißtrauen eines zufälligen Beobachters, der im<br />

Dorf sonst keineswegs als "verschrocken" galt. Ein Dorfpoet schrieb später:<br />

"Em Gleichschritt gohts der Gailer rei, als ob`s bloß oiner wär, oiner henderm andra drei, do,<br />

pletzlich kommt a Ma en d´Quer. . . .<br />

Dr Ma isch an dr Ulma gstanna, hot os, on mir ehn au net kennt. Mir waret graoße Kerle,<br />

lange, dia grad wie er jetzt Angscht g´het hent.<br />

Mit ra Latern zo gleicher Stond hot der alt Rechner Abort gleert. Dort isch der Obekannte<br />

nomm ond hot dean uffgeklärt:<br />

"Des kenntet Fallschirmjäger sei, dia muaß mr schnellstens fassa! Mit dr Latera hennadrei,<br />

mer derf`s net saua lassa!"<br />

Da im Gasthaus "Hirsch" zur gleichen Zeit eine Parteiversammlung tagte, stürzte der Mann<br />

zum Hintereingang hinein und alamierte die Anwesenden:"Ganz außer Atem bat er hier, es<br />

war kein Grund zum Scherzen:"Bitte schnellstens ein Glas Bier zur Beruhigung meines<br />

Herzens!"<br />

Dui Nachricht hot wia a Bomb eigschlaga. "Wo send se na?", will jeder wissa. Die<br />

Versammlung war, mer kaos ruhig saga, fermlich übern Haufa gschmissa.<br />

"Auf Männer, nicht lang diskutieren, das Vaterland ischt in Gefahr. Keine Zeit ist zu<br />

verlieren. Auf in den Kampf, der Feind isch da!"<br />

Was em Ort no war an Waffa hot mer schnellstens hola lau. Ao d´Parteiführung hot jetzt<br />

missa schaffa, on mit uff Patrullje gau.<br />

47


D`Landwehr hot mer alamiert on´s Iberfallkommando vo Calb kommt iber Hengstett, wenns<br />

pressiert, weils dort vermutlich zerschta knallt.<br />

Bis gega Morga isch des ganga, koa Feind war weit on breit, on mancher hot bei diesem<br />

Fanga omsonscht sich uff an Orda gfreit!"<br />

Doch zurück zu den weiteren Ereignissen. Wie im ersten Weltkrieg kamen des<br />

Arbeitskräftemangels wegen wieder Kriegsgefangene, Franzosen, Polen, Russen und<br />

sogenannte "Ostarbeiter" (zwangsverpflichtete polnische und russische Zivilarbeiter und -arbeiterinnen)<br />

hierher. Die genaue Anzahl läßt sich heute nicht mehr feststellen, es werden<br />

ungefähr 60 Personen. Diese Gefangenen und Arbeiter wurden von der Bevölkerung<br />

unterschiedlich behandelt, was sich dann beim späteren Einmarsch der Franzosen auswirken<br />

sollte. Die meisten hatten ein gutes Verhältnis zu ihren Arbeitgebern, so daß noch Jahre nach<br />

dem Krieg einige Franzosen Gechingen besuchten. Neben der Arbeit in der Landwirtschaft<br />

waren die Gefangenen im alten Steinbruch, beim Bau des Fußwegs nach Deckenpfronn und<br />

des Feldweges im Hilsental eingesetzt. Untergebracht waren sie im "Vöhringer Häusle"; im<br />

Erdgeschoß die Franzosen und oben die Polen. Auch das Wachpersonal kampierte dort. Im<br />

ehemaligen HJ Heim in der Kirchstraße hausten weitere russische Gefangene. Die<br />

Gefangenen wurden streng bewacht, aber die Zivilarbeiter durften sich im Ort frei bewegen,<br />

sie hatten lediglich Ausgangsbeschränkung von 21-5 Uhr. Übertretungen bestrafte man mit<br />

zwei Wochen Straflager oder 20 RM. Von einer Begebenheit soll berichtet werden:<br />

Vereinzelte Landwirte beklagten sich bei den Wachtposten der Gefangenen über schlechte<br />

Arbeitsleistungen. Daraufhin kam ein paar Tage später ein ortsfremdes SS-Kommando, das<br />

die Gefangenen so verprügelte, daß sie tagelang krank waren und nicht arbeiten konnten. Das<br />

hatten die Bauern nicht gewollt. Viele empörten sich darüber, aber keiner getraute sich, das<br />

auch laut zu äußern. Nur Wilhelm Essig, Landwirt und Molkereirechner, schrieb einen Brief<br />

an den Kreisleiter in Calw, in dem er u. a. ausführte, daß eine solche Behandlung von<br />

Gefangenen einem humanen Volk wie dem deutschen schlecht anstehen würde und man sollte<br />

doch auch bedenken, daß Ähnliches vielleicht einmal auch unseren Vätern und Söhnen<br />

zustoßen könnte. Ein mutiger Brief, der in jenen Zeiten das Todesurteil bedeuten konnte. Am<br />

Tage darauf erschien gleich die Gestapo (geheime Staatspolizei) und versuchte unter<br />

Todesdrohungen, Wilhelm Essig zu bewegen, sich von diesem Brief zu distanzieren. Zwei<br />

Tage und Nächte lang wurde er auch von seiner Frau, seiner Verwandtschaft und Kameraden<br />

bearbeitet. Er weigerte sich jedoch und blieb bei seinem Standpunkt: "Was ich gesagt habe,<br />

habe ich gesagt!" Nur durch Vermittlung eines Herrn Leppe, dem Vorsitzenden des Verbands<br />

der Träger der goldenen Verdienstmedaille (aus dem ersten Weltkrieg), dem Wilhelm Essig<br />

angehörte, wurde das Verfahren niedergeschlagen. Er stand aber weiter unter Beobachtung<br />

und Kontrolle.<br />

Das Abhören von Feindsendern war streng verboten und wurde hart bestraft. Natürlich hörten<br />

einige Menschen trotzdem ausländische Sender, sie mußten aber über das Gehörte schweigen<br />

und durften sich nicht erwischen lassen.<br />

Die Landwirte und ihre Erzeugnisse wurden ständig beaufsichtigt und die Ablieferungspflicht<br />

mußte unbedingt eingehalten werden. Der Reichsnährstand, die Partei bzw. ihre Vertreter<br />

meldeten Verstöße zur Bestrafung. Vor allem das Mahlen von Getreide und die Berechtigung<br />

dazu überprüfte man laufend. Auch die Ölmühlen in Stammheim und Schafhausen unterlagen<br />

diesen Kontrollen. Die Landwirte sollten nicht mehr für sich haben, als ihnen zugeteilt war.<br />

Trotz des Krieges konnten nicht alle anderen Aufgaben der Gemeindeverwaltung verschoben<br />

werden. Nach 1924 und 1936 wurde auch 1943 eine Teilflurbereinigung durchgeführt.<br />

Betroffen waren Grundstücke im Deufringer Tal, Weingarten und im Insental.<br />

48


Ab Juli 1944 nahm der Luftkrieg an Stärke zu. Aus dem Gemeinderatsprotokoll vom 2.8.:<br />

"Am Mittwoch, den 19.7., etwa um 11 Uhr vormittags, wurden sieben Sprengbomben<br />

westlich (etwa 50 Meter) des Wasserreservoirs abgeworfen. Zwei Trichter befanden sich auf<br />

der Straße, drei rechts und zwei links in unmittelbarer Nähe. Zwei weitere schwere<br />

Sprengbomben wurden gleichzeitig im Gewann "Gemeine Äcker" (jetziges Industriegebiet)<br />

abgeworfen. Durch Zufall wurde die Hauptleitung der Wasserversorgung getroffen und<br />

zerstört. Die Reparatur nahm man sogleich in Angriff, daß am Freitag, den 21.7., die Leitung<br />

wieder in Ordnung war. 30 Meter neue Leitung wurden eingebaut. Glücklicherweise entstand<br />

an den nahen Gebäuden im Gailer nur geringer Schaden." Kaum hatte sich die Gemeinde von<br />

dem Schrecken erholt, zogen am Freitag, 21.7.1944 bei bewölktem Himmel sehr viele<br />

Flugzeuge (Kampfverbände) über unsere Markung. Dabei fielen am Ortsende, Richtung<br />

Deufringen, neun Sprengbomben und eine Luftmine. Eine davon fiel auf das Grundstück des<br />

Fotografen Otto Weiß, nahe der Gärtnerei, und verursachte in dort großen Schaden, bei den<br />

der Gewächshäusern und Frühbeeten, wurde das Glas völlig zerstört. Die anderen Bomben<br />

fielen über den Bach in die Wiesen und in die Äcker der Gewanne "Mühlhecke" und<br />

"Mulden". An Gebäuden entstand nur geringer Schaden. Die Trichter, die teilweise 100 cbm<br />

Fassungsvermögen hatten, wurden in Gemeinschaftsarbeit aufgefüllt. Unter dem Eindruck der<br />

Angriffe suchte die Bevölkerung sich zu schützen, und so begann eine Gruppe von<br />

Einwohnern unter Leitung von Dr. Stein den Bau eines Luftschutzstollens im "Schießerrain".<br />

Der Stollenbau entwickelte sich von selbst zu einer öffentlichen Angelegenheit und auch der<br />

Bürgermeister schaltete sich ein. Die Geländeaufnahme (Schnitt) wurde durch das<br />

Vermessungsamt Calw veranlaßt und ergab, daß über dem Stollen die erforderliche<br />

Deckungsmasse vorhanden war. Die Gemeinde beteiligte sich mit Holzlieferungen,<br />

Geldzuweisungen und der Stellung von Aufsichtspersonal an dem Bau. Es waren zwei<br />

Stollen, die etwa 47 Meter auseinanderlagen. Die Stollenhöhe betrug zwei Meter und im<br />

Innern der Stollen waren Gasschleusen vorgesehen. Die Eingänge sollten durch Mauern, 2,50<br />

m hoch und 1 m stark, gedeckt werden. Das über dem Stollen liegende Erdreich war 10-15 m<br />

stark, also viel sicherer als die Hauskeller. - Da die seitherige Alarmierung der Bevölkerung<br />

recht mangelhaft war, unternahm Bürgermeister Schmidt alle Anstrengungen, um eine<br />

elektrische Alarmsirene für den Ort zu beschaffen. Schon im März 1944 bestellte er eine<br />

Sirene, aber durch die Materialknappheit und den komplizierten Instanzenweg dauerte es bis<br />

März 1945, ehe das Gerät geliefert wurde. Doch konnte das dazugehörende elektrische<br />

Steuergerät aus den gleichen Gründen nicht beschafft werden, so daß mit einem Handschalter<br />

ein- und ausgeschaltet werden mußte, um einen Heulton zu erzeugen. Ein weiteres Problem<br />

war auch der Stromanschluß, da Elektromaterial nicht zu bekommen war. Anfang April 1945<br />

war dann die Sirene provisorisch angeschlossen und betriebsbereit - gerade noch rechtzeitig,<br />

um vor den noch folgenden Angriffen zu warnen. Durch die schweren Luftangriffe auf die<br />

deutschen Großstädte evakuierte die Regierung Frauen und Kinder auch hierher und brachte<br />

sie in leerstehenden Wohnungen und Zimmern unter.<br />

Im Jahr 1942 führte Bürgermeister Schmidt vorausschauend aus: "Es ist nach dem Kriege eine<br />

Belebung der Bautätigkeit zu erwarten. Die schulentlassene Jugend wird im Raum Böblingen-<br />

Sindelfingen reichlich Beschäftigung finden. Für die Gemeindeerweiterung ist die Aufstellung<br />

eines Ortsbauplanes notwendig, da die Herstellung neuer Häuser nicht mehr willkürlich<br />

erfolgen kann. Außerdem muß ein Projekt für die Kanalisierung aufgelegt werden, um die<br />

dauernden Wasserschäden zu beenden". Diese mitten im Kriege erstellte Prognose wurde<br />

dann 10-15 Jahre später verwirklicht.<br />

In Gechingen waren die letzten Tage des Krieges die schlimmsten. Feindliche Jagdflieger<br />

machten Jagd auf Bauern, die ihre Felder bearbeiteten und beschossen sie mit<br />

Maschinenwaffen. In Deckenpfronn wurde ein Bauer auf dem Acker erschossen ebenso in<br />

Simmozheim. Die auf dem Lerchenberg stationierte Wetterfunkstelle zog immer wieder die<br />

49


Fliegerangriffe auf sich. Am 8.12.1944 zählte man zum Beispiel 22 Bomben. "Öffentliche<br />

Luftgefahr", "Fliegeralarm" und "Entwarnung" wechselten sich mehrmals am Tage ab. Die<br />

Einwohner waren verängstigt und aufgeregt. Am 18.10.1944 erfolgte der öffentliche Aufruf<br />

zur Bildung des Volkssturmes. Jeder deutsche Mann vom 16. bis zum 60. Lebensjahr wurde<br />

zum Dienst mit der Waffe verpflichtet. Der Dienst fand nach Arbeitsende und an Sonntagen<br />

statt. Anfangs war der Volkssturm zum Schanzen-bau eingesetzt; später errichteten seine<br />

Mitglieder Panzersperren und kleine Feldbefestigungen (Schützenlöcher) an sämtlichen<br />

Ortseingängen, um das Vorrücken der feindlichen Truppen zu erschweren. In Gechingen stand<br />

der Volkssturm unter Führung des Ortsgruppenleiters. Im Frühjahr 1945 übergab dieser die<br />

Leitung an den früher schon erwähnten Landwirt und Molkereirechner Wilhelm Essig. Ihm,<br />

der im 1. Weltkrieg die höchste Mannschaftsauszeichnung, die goldene Verdienstmedaille,<br />

erhalten hatte, traute man die Verteidigung des Ortes zu. Wilhelm Essig sagte bei der<br />

Übernahme: "Ja, ich übernehme den Volkssturm und sorge dafür, daß keiner ein Gewehr in<br />

die Hand nimmt." Der Ortsgruppenleiter tat so, als hätte er nichts gehört. Wilhelm Essig<br />

ignorierte in der Folge alle aus Calw kommenden schriftlichen Befehle, die den Volkssturm<br />

zu verschiedenen Einsätzen anforderten. Einen Tag vor der Besetzung durch französische<br />

Truppen kam eine SS-Streife, um ihn wegen Befehlsverweigerung zu verhaften. Sein Sohn<br />

warnte ihn noch rechtzeitig, daß er sich verstecken konnte und die Streife unverrichteter<br />

Dinge wieder abzog. Gechingen wurde also nicht vom Volkssturm verteidigt. Das war auch<br />

mit ein Grund, weshalb es nicht zerstört wurde. Eine Einheit der deutschen Wehrmacht kam<br />

auf ihrem Rückzug durch unseren Ort und bezog eine Stellung beiderseits der Stammheimer<br />

und Althengstetter Straße. Es war die 1. Kompanie des Infantrieregiments 816. Ihr<br />

Gefechtsstand war im Grabenweg in der Kirchhalde. Um den Panzern der Franzosen den<br />

Vormarsch zu erschweren, fällte man die großen schönen Tannenbäume entlang der<br />

Althengstetter Straße und warf sie quer über den Weg. In gleicher Weise verfuhr man mit den<br />

Linden an der Straße nach Dachtel. Schon vorher waren von der Bevölkerung und dem<br />

Volkssturm an den Straßen sogenannte "Panzerdeckungslöcher" gegraben worden. Von diesen<br />

Löchern aus sollten Einzelkämpfer mit Panzerfäusten die feindlichen Panzer erledigen. Am<br />

20.4.1945 vormittags warfen französische Jagdflugzeuge Spreng- und Brandbomben über<br />

dem Ort ab. Beim Anflug fielen auch Bomben auf Stellungen der Wehrmacht in Höhe des<br />

Steinbruchs an der Calwer Straße, weitere landeten bei der Kirche und dem alten Schulhaus.<br />

Dabei kamen im Ort vier Menschen ums Leben, darunter ein fünfzehnjähriger Junge, dem es<br />

den Fuß abriß. Weitere Bomben gingen auf die Scheuer des Gasthauses "Rößle" und das Haus<br />

Böttinger nieder. Dort starben zwei Menschen. Insgesamt kamen folgende Einwohner ums<br />

Leben:<br />

Gottfried Gwinner *17.4.1859, Christian Maier *27.4.1878, Gottlob Niethammer *15.5.1896,<br />

Pauline Rössler *17.10.1906, Albert Schneider *3.8.1929, Wolfgang Schweizer *30.1.1941.<br />

Ein französischer Kriegsgefangener, Julius Charrier, wurde total zerfetzt. Auch unter den<br />

einquartierten Soldaten gab es Verwundete. Die Toten wurden später auf Anweisung der<br />

französischen Besatzungsmacht ohne Feierlichkeiten beerdigt.<br />

Zwei Wohnhäuser und drei Scheuern brannten ab: Eine Scheuer im Hof des Gasthauses<br />

"Rößle", eine Scheuer von Gottlob Böttinger, Metzgergasse, eine Scheuer von Härtkorn, das<br />

Wohnhaus von Gottlob Böttinger, Metzgergasse, das Wohnhaus von Luise Böttinger, Hohe<br />

Gasse. Die Feuerwehr und die Einwohner konnten eine Ausbreitung des Feuers verhindern.<br />

Den ganzen Tag lang bis in den Abend zogen deutsche Truppen durch den Ort, mal Richtung<br />

Stammheim, dann wieder Richtung Deufringen. Da von Westen die Franzosen und aus dem<br />

Raum Heilbronn die Amerikaner vorstießen, herrschte wildes Durcheinander. Große Teile der<br />

deutschen Truppen lösten sich im Ostelsheimer Wald auf. Einige zerstreuten sich, andere<br />

besorgten sich Zivilkleider, und wieder andere gingen in Gefangenschaft. Ihre Ausrüstung lag<br />

noch einige Zeit im Wald. Am 20.4. wurden die Nachbarorte Deckenpfronn und Stammheim<br />

50


schwer bombardiert. Die Brand- und Phosphorbomben richteten verheerenden Schaden an. In<br />

beiden Ortschaften fiel die Hälfte aller Häuser dem Feuer zum Opfer. Den folgenden Tag<br />

waren die <strong>Gechinger</strong> mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Eine letzte deutsche Kolonne mit<br />

schweren Geschützen, die auf dem Bergwald in Stellung gewesen war, zog durch den Ort<br />

Richtung Deufringen ab. Gegen Mittag rannte plötzlich ein junges Mädchen durch das Dorf<br />

und rief ihrem Vater, der mit Dachdecken beschäftigt war, zu: "Vatter, komm schnell hoim,<br />

d´Franzosa kommat d´Wolfwiesa rei!" Diese Nachricht verbreitete sich mit Windeseile durch<br />

den ganzen Ort. Einige wollten es zwar nicht glauben, doch die Mehrzahl rannte nach Hause<br />

und schloß sich ein. Unser beherzter Mitbürger, Doktor Stein, hißte die weiße Fahne und<br />

verhütete dadurch Schlimmeres. Er wußte, daß der Volkssturm unter Wilhelm Essigs Führung<br />

den Ort nicht verteidigen würde. Dr.Stein, der französisch sprach, teilte dies dem<br />

kommandoführenden Offizier mit. Dieser stand über Funk mit Flugzeugen in Kontakt. Im<br />

Falle einer Verteidigung wären sicher wieder Bomben gefallen. Aber so wurde Gechingen<br />

kampflos besetzt und ein Ortskommandant übernahm die Macht. Er schickte alle<br />

arbeitsfähigen Männer zur Althengstetter und Dachtler Straße, um die gefällten Bäume zu<br />

beseitigen. Die französischen Truppen, es waren in der Mehrzahl Marokkaner, biwakierten in<br />

den Häusern am Ortsrande und richteten sich zur Verteidigung ein. Sie zogen am nächsten<br />

Morgen nach Deufringen weiter, nur eine kleine Besatzung blieb hier. Zwei deutsche<br />

Soldaten, die bei den Kämpfen am 17. und 18.4. am "Doppelten Wald" gefallen waren,<br />

wurden auf dem Friedhof beigesetzt. Trotz aller Beschwernisse und Übergriffe der Besatzung<br />

atmete die Bevölkerung doch auf, daß der Krieg endlich aus war. Leider bezahlten viele<br />

<strong>Gechinger</strong> den sinnlosen Krieg mit ihrem Leben.<br />

Es sind gefallen:<br />

Im Süden: Werner Maier *14.10.1921 +30.1.1944,<br />

Karl Frohnmaier *7.3.1921 +28.4.1944,<br />

Karl Böttinger *5.4.1926 +12.7.1944<br />

Im Westen: Friedrich Gerlach *24.1.1907 +20.1.1945 vermißt 10.1.1945 Elsaß,<br />

Hans Bierle *24.12.1927 +18.4.1945,<br />

Walter Bantel *6.5.1923 +26.11.1944,<br />

Fritz Dingler *20.10.1917 +24.10.1944,<br />

Kurt Kühnle *22.8.1925 +17.9.1944,<br />

Wilhelm Härtkorn *20.8.1895 +16.12.1945,<br />

Paul Böttinger *16.12.1926 +23.12.1944,<br />

Paul Geppert *8.1.1909 +16.2.1945<br />

Im Norden: Hermann Wagner *16.8.1904 +18.8.1945<br />

Im Osten: Gustav Gutmann *28.2.1912 +24.7.1941,<br />

Karl Bantel *27.9.1921 +20.7.1943,<br />

Paul Wagner *22.1.1913 +26.7.1941,<br />

Eugen Dingler *12.10.1919 +29.7.1941,<br />

Adolf Dingler *29.10.1910 +14.12.1942,<br />

Karl Gehring *3.6.1924 +29.7.1943,<br />

Karl Govaers *6.6.1913 +7.8.1943,<br />

Wilhelm Weiß *2.12.1915 +8.8.1944 vermißt 16.8.1944, Rumänien<br />

Adolf Weiß *1.6.1904 +14.8.1944 vermißt 8.8.1944 Rumänien,<br />

Reinhold Eisenhardt *8.10.1924 +9.8.1944 vermißt 22.8.1944 Rumänien,<br />

Robert Schmid *8.5.1924 +14.8.1944 vermißt 6.10.1944 Rumänien,<br />

Heinrich Böttinger *21.11.1913 +22.8.1943,<br />

Jakob Lambert *18.11.1920 +28.8.1942,<br />

Karl Gauß *27.5.1910 +28.8.1943,<br />

Max Eichelbaum *9.8.1907 +6.9.1944,<br />

51


Hans Eichelbaum *19.9.1910. + 1.1945,<br />

Heinrich Weiß *2.9.1913 +8.9.1941,<br />

Christian Kielwein *13.7.1913 +17.9.1947,<br />

Gerhard Kühnle *21.1.1928 +April 1945,<br />

Paul Mack *14.9.1918 +4.10.1944,<br />

Alfred Breitling *19.11.1920. +7.10.1941,<br />

Hermann Breitling *20.7.1908, +13.11.1943,<br />

Wilhelm Böttinger *3.7.1901 +10.10.1942,<br />

Eugen Schumacher *1.3.1906 +17.10.1944 vermißt Litauen,<br />

Friedrich Schneider *21.6.1921 +18.10.1944,<br />

Otto Schumacher *15.11.1922 +27.10.1944,<br />

Wilhelm Rex *3.10.1917 +31.10.1943 vermißt Tschaplinko UDSSR<br />

Eugen Bühler *24.4.1908 +3.11.1943 vermißt Kiew UDSSR,<br />

Karl Gehring *25.3.1923 +9.11.1942,<br />

Walter Groß *1.1.1922 +9.11.1943 vermißt Okt.1943 Witebsk UDSSR<br />

Fritz Heim *13.11.1923 +24.11.1946,<br />

Walter Böttinger *21.4.1924 +2.12.1943,<br />

Wilhelm Süßer *21.6.1912 +3.12.1941,<br />

Albert Schaible *20.4.1915 +7.12.1944,<br />

Fritz Schumacher *4.11.1904 +7.12.1944,<br />

Fritz Gann *4.2.1920 +18.12.1944,<br />

Ernst Breitling *28.11.1911 +19.12.1945,<br />

Wilhelm Wagner *25.9.1906 +5.3.1945 vermißt Fürstenberg-Oder<br />

Karl Böttinger *23.9.1902 +30.10.1944,<br />

Emil Weiß *1.12.1904 +15.2.1943,<br />

Robert Stahl *15.4.1909 +22.7.1944,<br />

Erwin Gräber *27.1.1921 +10.1.1943 vermißt Stalingrad UDSSR,<br />

Hermann Dingler *26.11.1909 +13.1.1945 vermißt Lyk Ostpreußen:<br />

Christian Dingler *2.6.1913 +16.5.1945,<br />

Paul Breitling *25.12.1908 +16.1.1943,<br />

Hermann Breitling *4.3.1914 +12.7.1942,<br />

Willi Mörk *28.9.1926 +20.1.1945 vermißt Kreuzberg Ostpreußen:<br />

Willi Wurst *19.2.1923 +23.1.1945,<br />

Gerhard Wurst *5.7.1925 +10.8.1944,<br />

Otto Schneider *5.3.1899 +27.1.1945 vermißt Benschen/Posen,<br />

Wilhelm Gehring *10.3.1910 +28.1.1943 vermißt Woronesch UDSSR,<br />

Eugen Gehring *19.2.1909 +31.12.1945 vermißt Freienwalde/Oder,<br />

Ernst Ohngemach *23.8.1914 +14.2.1942 vermißt Orel Bolchow UDSSR,<br />

Friedrich Köhnert *10.7.1904 +15.2.1945,<br />

Eugen Rüffle *4.9.1905 +18.2.1943,<br />

Georg Vollmer *3.6.1908 +22.2.1945,<br />

Paul Gehring *14.1.1910 +27.2.1942,<br />

Hermann Gehring *24.3.1920 +10.8.1944,<br />

Eugen Schmohl *27.4.1922 +2.3.1943,<br />

Erwin Spöhr *6.1.1908 +12.3.1945 vermißt Strehlen Oberschlesien:<br />

Willy Vetter *26.8.1909 +5.3.1942,<br />

Rudolf Vetter *20.1.1917 +30.12.1941,<br />

Walter Gräber *1.6.1927 +15.3.1945,<br />

Bernhard Dürr *9.5.1925 +18.3.1944 vermißt Dubno UDSSR,<br />

Richard Brackenhammer *11.11.1908 +18.9.1943 vermißt Leningrad UDSSR,<br />

52


Ernst Brackenhammer *13.6.1907 +18.4.1945 vermißt Küstrin.<br />

Theo Schneider *14.7.1924 +25.3.1945,<br />

Emil Lutz *2.10.1902 +10.4.1945,<br />

Paul Schaible *4.6.1921 +13.4.1945,<br />

Otto Kühnle *16.5.1913 +16.4.1944 verm. Tarnopol,<br />

Otto Kielwein *25.1.1922 +17.4.1943,<br />

Hermann Kielwein *24.8.1923 +30.10.1944,<br />

Wilhelm Lipp *20.11.1909 +26.4.1944,<br />

Paul Essig *24.12.1922 +28.4.1945 vermißt Dresden-Leipzig,<br />

Eugen Böttinger *20.11.1922 +30.4.1944,<br />

Rudolf Benz *27.8.1914 +1.5.1945,<br />

Hermann Mörk *10.6.1917 +18.5.1944 vermißt Witebsk UDSSR,.<br />

Wilhelm Fischer *3.11.1909 +28.5.1944,<br />

Otto Schmid *21.6.1916 +31.5.1943,<br />

Walter Pfeifle *6.1.1920 +1.6.1943 vermißt Stalingrad UDSSR,<br />

Fritz Schwarz *6.5.1920 +15.6.1944 vermißt Orscha UDSSR,<br />

Willi Gehring *4.12.1919 +22.6.1944 vermißt Minsk UDSSR,<br />

Willi Gräber *22.8.1922 +24.6.1944 vermißt Orscha UDSSR,<br />

Richard Gehring *19.9.1920 +28.6.1942,<br />

Pfarrer Lilienfein *6.12.1909 +1.7.1941,<br />

Eberhard Breitling *7.9.1913 +16.7.1941,<br />

Fritz Dürr *23.3.1915 +18.7.1943,<br />

Richard Mörk *17.1.1914 +8.5.1943,<br />

Armin von Büren *14.10.1919 +13.12.1941,<br />

Weltweit ließen 27 Millionen Soldaten und 25 Millionen Zivilisten ihr Leben. Mehrere<br />

Millionen kamen in Gefangenschaft und wurden oft erst nach Jahren wieder entlassen<br />

Für alle Völker, die vom Krieg betroffen waren, waren die Jahre von 1939-45 eine düstere<br />

Zeit, geprägt von Angst, Verfolgung, Tod und Schrecken. Fast in jeder Familie waren nahe<br />

Angehörige ums Leben gekommen, Städte und Dörfer waren durch Beschuß oder Bomben<br />

verwüstet und Millionen hatten ihre Heimat als Flüchtlinge oder Vertriebene verlassen<br />

müssen.<br />

Nachkriegszeit bis heute<br />

Anfang Mai 1945 kam eine französische Einheit in den Ort, die ungefähr zwei Wochen lang<br />

hierblieb. Am Ortsausgang beim Haus Bierle wurde später ein Schlagbaum errichtet. An der<br />

Markungsgrenze nach Deufringen stand ein weiterer, der die Grenze zwischen der<br />

französischen und der amerikanischen Zone bezeichnete. Da einige Landwirte sowohl hüben<br />

als auch drüben Felder bewirtschafteten, erhielten sie sogenannte Passierscheine, die in<br />

verschiedenen Sprachen ausgestellt waren. Von Mai bis Ende Juni durfte die<br />

Gemeindeverwaltung nicht arbeiten. Die Besatzungsmacht regierte und befahl. Im Mai<br />

mußten alle Rundfunkgeräte, zusammen 184, von der Musiktruhe bis zum selbstgebauten<br />

Detektor, abgeliefert werden, außerdem 17 Fotoapparate. Sämtliche Waffen, Gewehre,<br />

Pistolen, auch Teile davon, sowie Munition, insgesamt 185 Stück, kamen am 26.5.1945 zur<br />

Ablieferung. Jede Familie hatte am 20.6. abzugeben: Einen Zivilanzug, bestehend aus Rock,<br />

Weste, Hose und Hut, ein Hemd mit Kragen, zwei Taschentücher, eine Unterhose, ein Paar<br />

Socken, eine Krawatte, ein Paar Schuhe. Alles mußte sich in gutem Zustand befinden. Zum<br />

gleichen Zeitpunkt wurden Bücher und Illustrierte mit nazistischem Inhalt eingesammelt.<br />

Auch später forderte die Militärregierung noch so einiges, wie Rathausanschläge aus dieser<br />

Zeit beweisen:.<br />

53


18.10.1946: "Es wird darauf hingewiesen, daß sämtliche Butterfässer und Zentrifugen sofort<br />

auf dem Rathaus abzuliefern sind. Stichproben in den Häusern durch die Militärregierung sind<br />

möglich."<br />

19.10.1946: "Den säumigen Eierablieferern wird eine letzte Frist gegeben. Die Strafe beträgt 4<br />

RM für jedes nicht abgelieferte Ei. Heute abend ist von jedem Geflügelhalter je ein Ei pro<br />

Henne abzuliefern."<br />

30.4.1947: "Auf Anordnung der Militärregierung muß die Heuablieferung sofort durchgeführt<br />

werden. Es wird restlose Ablieferung verlangt. Jeder landwirtschaftliche Betrieb, auch solcher<br />

ohne Vieh, hat 30 kg Heu oder 50 kg Stroh abzugeben."<br />

17.5.1947: "In Anbetracht der großen Not wurde die totale Ablieferungspflicht für Kartoffeln<br />

angeordnet. Von jedem Ar Anbaufläche müssen mindestens noch 1 kg abgeliefert werden."<br />

12.6.1947: "Laut Mitteilung des Gouverneurs ist ab sofort das Backen von Kuchen und<br />

Kleingebäck verboten."<br />

Selbstverständlich mußte der hier einquartierte Kommandant verpflegt werden, u.a. bekam er<br />

vom Mai bis Juni 1945 32 Mittag- und Abendessen. Die Truppen wurden mit Holz und Heu<br />

beliefert. Für die Versorgung der Bevölkerung im Landkreis waren anfangs nur 40% der Brot-<br />

, Butter- und Fleischproduktion freigegeben. Die Vieh- und Getreideabgaben waren deshalb<br />

hoch, und die Bewirtschaftung ging verstärkt weiter. Auch die Lebensmittelmarken blieben in<br />

Kraft. Jeder Erwachsene hatte vom 16. bis 30. September 1946 Anspruch auf 4500 g Brot und<br />

240 g Fleisch. Die Lebensmittelmarken wurden am Anfang des Monats ausgegeben, jedoch<br />

wurden die Marken jeweils in "Zuteilungsperioden" aufgerufen, die je nach Versorgungslage<br />

kürzer oder länger sein konnten, ebenso wich die Art und Menge der zugeteilten Lebensmittel<br />

oft erheblich voneinander ab.<br />

Im Laufe der nächsten zwei Jahre wurde die Versorgung immer schlechter. 1947 und Anfang<br />

1948 herrschte überall Mangel: "Januar 1948, 110. Zuteilungsperiode: Zucker 125 g,<br />

Nährmittel 250 g, Fett 12,5 g, Fleisch 100 g, Brot 1750 g." Das Fett, 12,5 g, reichte gerade,<br />

um zwei Brotschnitten zu bestreichen. Im November 1948 war die Fleischration auf 75g in<br />

der Woche zusammengeschrumpft, Wurst inbegriffen. Erst ab 1949 verbesserte sich die<br />

wirtschaftliche Lage, und die Lebensmittelkarten konnten nach und nach abgeschafft werden.<br />

Doch zurück in das Jahr 1945. Am 30. Juni erschienen bei dem noch amtierenden<br />

Bürgermeister Schmidt zwei Vertreter des antifaschistischen Kreisvertrauensrat Calw. Sie<br />

hatten den Auftrag, in unserer Gemeinde einen Vertrauensrat zu bilden. Nach Beratung und<br />

Abstimmung wählte man einen Rat mit neun Mitgliedern. Die Landwirte waren durch fünf,<br />

die Gewerbetreibenden durch zwei und die Arbeitnehmer ebenfalls durch zwei Mitglieder<br />

vertreten. In einer anschließenden Beratung der Vertreter von Calw und Gechingen wurde<br />

dem nicht teilnehmenden Bürgermeister Schmidt einstimmig das Vertrauen ausgesprochen.<br />

Der Rat erwartete aber, daß alles, was an die Nazipartei erinnerte, verschwinde. Dann wählte<br />

man noch eine Dreimannkommission für die Viehablieferung an die Militärregierung. Am<br />

14.8.1945 wurden alle Bürgermeister des Kreises nach Calw berufen. Capitän Frenot,<br />

Gouverneur der Militärregierung, sprach über die Ernährungslage, die Rückführung der<br />

verschleppten Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und Umquartierten, außerdem über das<br />

Transportwesen und die Beschlagnahmungen. Er erklärte, daß für das deutsche Volk ein in<br />

jeder Beziehung sehr schwerer Winter bevorstünde. Der Kreis hätte ab sofort wöchentlich 60<br />

Stück Schlachtvieh zu liefern. Auf unsere Gemeinde entfielen als erste Umlage 10 Stück<br />

Großvieh. Als Bürgermeister Schmidt wieder zu Hause war, erfuhr er telefonisch, daß mit<br />

dem Vieh auch 5 Fahrräder abzugeben waren. In Althengstett war die Ortskommandantur, der<br />

auch Gechingen unterstellt war. Es handelte sich um die 8. Kompanie des Inf. Reg. 126. Der<br />

Kommandant befahl, bis 1.10. 50 Raummeter Holz zu schlagen und nach Althengstett zu<br />

54


ingen. Dazu waren zwei Arbeitsschichten mit je 12 Mann an 8-10 Tagen notwendig. Das<br />

Holz schlug man im oberen Heiligenwald. Überall im Kreis Calw war in ähnlicher Weise<br />

Holz zu schlagen und abzuliefern.<br />

Für die dort in Quartier liegenden Truppen mußten 100 Wolldecken nach Teinach gebracht<br />

werden. An die Kommandantur in Ostelsheim waren zu liefern:<br />

Am 5.8.: 350 kg Kartoffeln, 150 Eier, 15 kg Butter, 5 kg Zwiebeln, 50 kg Gemüse, 2 kg Malz,<br />

4 kg Fett, 1 kg Knoblauch und 5 Schafe.<br />

Am 20.10.: 40 Zt. Kartoffeln, 60 kg Erbsen, 50 kg Linsen und ein großer gußeiserner Ofen.<br />

Am 5.9.45 wurde der Fabrikant Emil Wagner von den Franzosen zum ersten Landrat der<br />

Nachkriegszeit für den Kreis Calw ernannt. Wie einst der Amtmann war er total abhängig,<br />

aber für alles zuständig, sowohl für die Sicherung der Ernährung und die Versorgung mit<br />

Wirtschaftsgütern als auch für den Verkehr. Außerdem hatte er die ehemaligen Landes- und<br />

Reichsbehörden, wie Post und Bahn, zu leiten.<br />

Die Zonengrenze sollte außer dem Personen- auch den Güterverkehr sperren. Gerade im Kreis<br />

Calw, der ja im Grenzbereich lag, gab es dadurch in vielen Bereichen unerträgliche<br />

Mangelzustände. So fanden bald trotz strikten Verbots Kompensationsgeschäfte über die<br />

Zonengrenze hinweg statt. Als Tauschgüter wurden Lebensmittel, Holz, Spirituosen, Textilien<br />

und feinmechanische Erzeugnisse eingesetzt.<br />

Der im Schießerrain gebaute Luftschutzstollen sollte auf Anweisung der Militärbehörde<br />

gesprengt werden, doch die Gemeinde vereinbarte, daß das Stollenholz im Quergang und im<br />

hinteren Eingang bis zur Gasschleuse ausgebaut wurde. Anschließend schüttete man die<br />

Eingänge zu. Eine Sprengung hätte mit Sicherheit einen Schaden an den umliegenden<br />

Gebäuden verursacht.<br />

Durch schwere Wolkenbrüche waren einige Straßen so schlecht, daß Reparaturen sinnlos<br />

erschienen. Im September bezeichnete Bürgermeister Schmidt den Ausbau der Kanalisation<br />

als vordringliche Aufgabe der Zukunft. In der gegenwärtigen Lage gab es dazu allerdings<br />

keine Möglichkeit.<br />

Im Zuge der "politischen Säuberung" wurde Bürgermeister Schmidt entlassen und Wilhelm<br />

Gräber vom Kreis als neuer Bürgermeister kommissarisch eingesetzt, dazu wurde ein<br />

sechsköpfiges Gemeinderats-Komitee gebildet, das am 15.11.1945 erstmals zusammentrat.<br />

Diese Verwaltung blieb im Amt, bis die am 15.9.1946 durchgeführte erste demokratische<br />

Nachkriegswahl einen neuen Gemeinderat und einen neuen Bürgermeister brachte. Es war in<br />

dieser Zeit nicht leicht, allen Forderungen der Besatzungsmacht nachzukommen und diese<br />

gegenüber den Bürgern zu vertreten. Otto Weiß erklärte in seiner Antrittsrede am 1.10.1946:<br />

"Es wird mein äußerstes Bestreben sein, stets unparteiisch zu sein und jedermann, ohne<br />

Ansehen seiner Person oder politischen Haltung, die gleichen Rechte, aber auch die gleichen<br />

Pflichten einzuräumen." Ein Versprechen, welches er, wie seine späteren Wahlerfolge zeigten,<br />

auch gehalten hat. Die neue Verwaltung hatte gleich ihre erste Bewährungsprobe mit der<br />

Verteilung und Auswertung von Volkszählungsbogen zu bestehen. Die Zählung ergab 935<br />

Einwohner, 31 seither Vermißte und 35 Kriegsgefangene hatten sich brieflich gemeldet.<br />

1946/47 erlaubten die Militärbehörden den Vereinen wieder die Aufnahme ihrer Tätigkeiten.<br />

Noch im Laufe des Jahres gab es Landtagswahlen in der französisch besetzten Zone und eine<br />

Volksabstimmung über die Verfassung von Württemberg-Hohenzollern. Die neue Verfassung<br />

wurde mit 268 661 gegen 116 013 Stimmen angenommen.<br />

Auch die Feldwege hatten unter dem Wetter so gelitten, daß der Gemeinderat im Juli 1946<br />

beschloß, nach Artikel 173 der Gemeindeordnung Hilfsdienste anzuordnen. Leistungspflichtig<br />

war von jedem landwirtschaftlichen Betrieb eine Person. Sämtliche Pferde- und Ochsenhalter<br />

55


hatten Fahrdienst zu leisten. Drei Tage lang mußte ohne Entschädigung gearbeitet werden, für<br />

die Arbeit darüber hinaus wurden für die Stunde 60 Reichspfennig bezahlt.<br />

Mit den Abgaben ging es weiter. Für 1947 waren 80 Schweine und 1 875 Doppelzentner<br />

Kartoffeln zu liefern, außerdem eine größere Menge weißer Bettwäsche. Erschwert wurde die<br />

Erfüllung der Quote durch das schlechte Wetter in jenem Sommer, Hagelschläge vernichteten<br />

Hafer und Gerste fast vollständig.<br />

Aus den Orten und Städten des Umlandes zogen viele Bewohner zu Fuß in die Dörfer,<br />

manche sogar mit Handwagen, um Lebensmittel einzutauschen oder zu hamstern. Zur<br />

Erntezeit waren die Felder von Ährenlesern überlaufen, die auf diese Weise ihre Rationen<br />

erhöhten. Weitere Holzeinschläge wurden angeordnet im Gewann "Pfutsch" und "Birkwald".<br />

Die 39 Arbeiter der SAFT (Societé Alsacienne d`Exploitations Forestières et de Transports -<br />

Elsässische Gesellschaft für Holzeinschlag und Transport) waren in Privatquartieren<br />

untergebracht. In der Küche im Gasthaus "Hirsch", aus der diese Arbeiter verpflegt wurden,<br />

geschah am Freitag, den 21.11.1947, ein Unglücksfall, bei dem eine junge <strong>Gechinger</strong>in das<br />

Leben verlor. Die Holzhauer kamen wie jeden Tag kurz nach 18 Uhr vom Wald nach Hause<br />

und nahmen im Speiseraum Platz. In der Küche nebenan wurde von der Hirschwirtin und drei<br />

Gehilfinnen das Essen gekocht. Ein zum Holzkommando gehörender 52jähriger Mann aus<br />

dem Elsaß betrat vom Hof kommend die Küche. Er hatte ein Jagdgewehr in der Hand, dem er<br />

die Patronen entnahm. Er glaubte, das Gewehr sei nun entladen, legte zum Spaß den Lauf<br />

einer 22jährigen Frau an die Hüfte und drückte ab. Ein Schuß löste sich, die Verletzte brach<br />

zusammen und starb trotz Operation im Calwer Krankenhaus.<br />

Seit Jahrzehnten hatte es keine so schlechte Ernte gegeben wie im Jahre 1948. Die<br />

Hauptursache war das Fehlen von Düngemitteln. Auch die Obsternte ließ sehr zu wünschen<br />

übrig. Dagegen gab es viele Kartoffeln. Das unter Zwangsbewirtschaftung angebaute Gemüse<br />

war durch die schlechte Witterung völlig verdorben, es konnte nichts geerntet werden. Ein<br />

Lichtblick in diesem Jahr war das Wegfallen der Passierscheine, dadurch wurde der Verkehr<br />

zwischen den besetzten Zonen erleichtert. Als Start für eine neue Zukunft erwies sich die<br />

Währungsreform am 20.7.1948. Jeder erhielt ein "Kopfgeld" von 40 DM. Die Sparkonten<br />

wurden 10:1 abgewertet.<br />

Das Jahr 1948 endete mit Gemeinderats- und Kreistagswahlen. Bürgermeister Otto Weiß<br />

wurde mit Mehrheit wiedergewählt und am 5.1.1949 in sein Amt eingesetzt. Ein besonderes<br />

Problem war nun die Einweisung und Unterbringung von Flüchtlingen und Ausgewiesenen in<br />

leerstehende Zimmer und Wohnungen. Im Januar 1949 sollte die Gemeinde wieder 126<br />

Personen aufnehmen. Da die Beschaffung von Bettzeug große Schwierigkeiten bereitete,<br />

kaufte die Gemeinde 23 Strohsackgarnituren beim Umsiedleramt. Wegen der Verlagerung der<br />

Hollerith-Werke (heute IBM) von Hechingen nach Sindelfingen/Böblingen benötigten die<br />

Mitarbeiter dieser Firma Wohnraum, den die Gemeinde Gechingen zur Verfügung stellen<br />

sollte. Es wurden dann etwa 50 Werksangehörige hier untergebracht. Dafür entfiel vorläufig<br />

die vorgesehene Aufnahme von Flüchtlingen. Zum Hollerith-Werk gelangten die Arbeiter mit<br />

dem Postbus, der seit der Aufhebung des Passierscheinzwanges wieder regelmäßig verkehrte.<br />

Im Juni 1950 betrug die Einwohnerzahl 1035 Personen, davon 463 männliche und 572<br />

weibliche, darunter 79 Kinder von 0-5 Jahren und 150 von 6-14 Jahren, 62 waren Jugendliche<br />

von 14-18 Jahren. Gechingen hatte 282 Haushalte. Auf ein Wohngebäude kamen<br />

durchschnittlich 4 Personen.<br />

1950 gestaltete Lehrer F. Binder mit der Unterklasse eine Heimatausstellung im Schulhaus.<br />

Nach der Führung durch die Schule, in der neben vielen alten Dokumenten, Büchern,<br />

Trachten und Bildern auch Gemälde der vier <strong>Gechinger</strong> Kunst- und Heimatmaler gezeigt<br />

werden konnten, sangen die Schüler Heimatlieder. K. F. Essig sprach über seine<br />

Forschungsarbeiten aus der <strong>Gechinger</strong> Geschichte. Lehrer Binder wies in seiner Rede darauf<br />

56


hin, daß diese Ausstellung die Notwendigkeit eines Heimatmuseums klar erweise. Leider<br />

verfolgte man damals diese Anregung nicht weiter, die Umstände waren dagegen. Es gab<br />

Wichtigeres zu tun, zum Beispiel so notwendige Arbeiten wie Bachregulierung und<br />

Kanalisation. Im ersten Abschnitt korrigierte man den Bach und zwar von der Wette<br />

(Feuersee) bis zum Ortsausgang. Ein offener Bachlauf kam aus technischen Gründen nicht in<br />

Frage. Es war zweckmäßig, die 450 m lange Strecke ganz unterirdisch zu führen. Aus<br />

Kostengründen beschloß man, den Bau in eigene Regie zu nehmen unter Leitung von<br />

Gemeinderat und Wegmeister Eugen Schwarz. Ein Jahr später, im Oktober 1951, waren die<br />

Maßnahmen fast abgeschlossen. Die Baukosten betrugen samt dem Ausbau des<br />

Feuerlöschteiches 111 500 DM. Damit waren die Voraussetzungen für die Kanalisation<br />

geschaffen. Als erstes wurde die Leitung vom Gasthaus "Adler"-Kunzengasse-Metzgergasse-<br />

Bach in Angriff genommen, denn das war die Strecke, an der immer die stärksten<br />

Beschädigungen durch Regenfälle auftraten. 1952 waren die Dachtler und Dorfäckerstraße<br />

kanalisiert, weil man zur Beschleunigung der Arbeiten einen Bagger eingesetzt hatte. Als<br />

dann 1953 die Gartenstraße auch fertig war, hatte man den alten Ortskern mit einem<br />

Kostenaufwand von nur etwa 200 000 DM entwässert. Die Einwohner wurden mit keinerlei<br />

Anliegerbeiträgen belastet, sogar die Rohre für die Hausanschlüsse gab es kostenlos. Zur<br />

gleichen Zeit konnten die Arbeiten am Feuerlöschteich beendet werden. Der Stundenlohn für<br />

die Arbeiter betrug damals 1,20 DM.<br />

Ein weiteres großes Vorhaben war der Bau neuer Feldwege und Steigen. Die Steigen im<br />

"Nonnental" und "Stockauf" waren schnell fertig, dagegen mußte für die neue Steige nach<br />

Dachtel die Pfarrscheuer erworben, abgebrochen und eine Brücke über den Bach gebaut<br />

werden. Die neuen Steigen brachten eine wesentliche Erleichterung für die Landwirtschaft.<br />

Die Kosten teilten sich die Gemeinde, der Staat und die Grundstückseigentümer.<br />

Langsam begann sich auch der private Wohnungsbau zu regen. Für die ersten Bauten im<br />

"Kreuz" und in den "Hochtennen" erstellte die Gemeinde einen Ortsbauplan.<br />

Die Ortsstraßen waren, wie schon berichtet, in einem üblen Zustand. 1921 hatte man sie zum<br />

letztenmal instandgesetzt. Durch das Einlegen der Kanalisationsrohre hatte sich der<br />

Straßenzustand noch mehr verschlechtert. 1953 teerte und walzte man die Straßen und versah<br />

sie, soweit möglich, mit Bordsteinen und Gehwegen. Dabei wurde auch gleich der Dorfplatz<br />

in der Metzgergasse angelegt und zwar auf dem Platz der durch Bomben am 20. April 1945<br />

zerstörten Häuser.<br />

Ende 1953 hob der Gemeinderat die Wohnraumbewirtschaftung auf. Diese hatte viel Ärger<br />

verursacht. Von nun an konnte jedermann seine Wohnung wechseln oder vermieten wie er<br />

wollte. Das war ein weiterer Schritt zur Normalisierung der Verhältnisse.<br />

Um den Ort herum sammelte sich seit einigen Jahren in den Hecken zunehmend Unrat an.<br />

Jetzt beschloß der Gemeinderat, daß eine Müllabfuhr eingerichtet werden sollte. Vorgesehen<br />

war eine einmalige Abholung pro Monat, wobei der Müll von den Bürgern selbst aufgeladen<br />

werden sollte.<br />

Trotz der 1937 durchgeführten Bachregulierung im unteren Tal waren dort wieder<br />

Maßnahmen notwendig geworden, die nun in Angriff genommen wurden. Das Bachbett war<br />

zum Teil erheblich ausgewaschen, außerdem mußte es im Zuge der Flurbereinigung an<br />

manchen Stellen verlegt werden. Die Arbeiten zogen sich in Etappen über Jahre hin.<br />

Die Flurbereinigung wurde 1950 in Angriff genommen. Sie war von absoluter Notwendigkeit.<br />

Durch die Realteilung bei Todesfällen waren die Äcker immer kleiner geworden. Schon in der<br />

Oberamtsbeschreibung von 1860 ist vermerkt: "Die Markung ist so sehr vertheilt, daß die<br />

meisten Grundstücke nur 1/4-1/2 Morgen betragen." Das waren 8 bis 16 ar. Mit der<br />

Abwanderung der Arbeitskräfte in die Industrie und dem Einsatz von leistungsfähigeren<br />

landwirtschaftlichen Maschinen wurden die kleinen Äcker immer unrentabler. Im Verlauf der<br />

57


Umlegung bezog man nachträglich sogar die Grundstücke mit ein, die schon 1903, 1924, 1936<br />

und 1943 der Flurbereinigung unterlegen waren. Als 1959 die Zuteilung erfolgte, war eine<br />

Parzellenminderung von 5:1 erreicht und ca. 760 ha waren umgelegt worden. Alle betroffenen<br />

Grundstücke müssen in vollem Umfang auch bei Erbfällen erhalten bleiben. Im Lauf der<br />

Flurbereinigung wurden auch ca. 40 km Feldwege befestigt. Die Gesamtkosten für diese<br />

Maßnahmen beliefen sich auf 700 000.- DM, wobei ein staatlicher Zuschuß von 50% gewährt<br />

wurde.<br />

Nachdem der Gemeinderat schon 1955 mehrmals über den Bau einer Mehrzweckhalle beraten<br />

hatte, erfolgte die Bauausschreibung im Februar 1956. Man entschied sich für eine Halle mit<br />

einem Grundriß von 12 x 35 m im früheren Garten der Familie Ziegler an der Althengstetter<br />

Straße. Vorgesehen war eine Mehrzweckhalle mit Bühne, ein Übungsraum für die Vereine<br />

sowie eine Küche und ein Schankraum. Im Untergeschoß sollten zwei Räume für den<br />

Kindergarten, ferner Wannen und Duschbäder, eine Waschküche, eine Backstube und die<br />

Hausmeisterwohnung Platz finden. Die beiden Häuser "Mörk" und "Kneib" mußten dem<br />

Neubau weichen und wurden abgebrochen. Dadurch konnte auch die Althengstetter Straße<br />

verbreitert werden. Am 30.12.1957 konnte die neue Halle eingeweiht werden. Zur Eröffnung<br />

wurde das Theaterstück "Der Letzte seines Stammes" unserer Heimatdichterin Tillie Jäger<br />

aufgeführt.<br />

Weiter baute die Gemeinde ein Försterhaus und einen neuen Farrenstall in der<br />

Dorfäckerstraße. Die Ansiedelung von Industriebetrieben zur Stärkung der Finanzkraft war<br />

schon immer ein Anliegen der Verwaltung gewesen. Den Anfang machte 1948 die Firma<br />

Motoren-Dürr in der Angelstraße. Da sie sich im Laufe der Jahre immer mehr vergrößerte,<br />

wurde ein Umzug notwendig. Vorgesehen war zunächst, ins "Kreuz" auszuweichen, doch das<br />

war aus naturschutzrechtlichen Gründen nicht realisierbar. An der Gültlinger Straße wurde<br />

dann ein Industriegebiet ausgewiesen, in dem heute neben dem Neubau der Firma Motoren-<br />

Dürr mehrere kleinere und mittlere Betriebe stehen.<br />

Die Bundeswehr plante in den Jahren 1956-1961, in den Gewannen "Hinteres und Vorderes<br />

Lehen" Munitions- und militärische Schießanlagen einzurichten. Von den Bürgern und den<br />

Gemeinderäten wurde dieses Projekt lange diskutiert. Sie entschieden sich dann mit Mehrheit<br />

gegen den Bau der Anlagen.<br />

Durch die gute Wirtschaftsentwicklung nahm die Bautätigkeit zu. Die Baugebiete "Gültlinger<br />

Straße", "Oben im Gailer" und "Angelländer" wurden erschlossen. Schon um dort die<br />

Wasserversorgung zu sichern, wäre der Bau eines Hochbehälters angebracht gewesen. Wegen<br />

der 1960 begonnenen Baues der Bergwaldsiedlung wurde er dann zwingend notwendig. Die<br />

Kosten des Hochbehälters beliefen sich auf 320 000 DM. Die Siedlung Bergwald umfaßt 100<br />

Grundstücke, die mit Gebäuden im Landhausstil bebaut wurden. Die Erschließungskosten<br />

betrugen ca. 1 300 000 DM, wozu noch die Kosten für die notwendig gewordene Kläranlage<br />

kamen. Sie wurde im Oxidationsgrabensystem erstellt und im Frühjahr 1964 in Betrieb<br />

genommen. Die Kosten beliefen sich auf 220 000 DM.<br />

Um für die Landwirte, die im Altort keine Ausdehnungsmöglichkeiten mehr hatten, Platz zu<br />

schaffen, wurden von der Württembergischen Landsiedlung Aussiedlerhöfe gebaut. 1959 sind<br />

in den Gewannen "Stockauf", "Damshalde" und "Weidenselten" fünf Höfe erstellt worden.<br />

Das alte Rathaus war wegen der zunehmenden Bevölkerung und den dadurch wachsenden<br />

Verwaltungsaufgaben zu klein geworden, weshalb man einen Neubau plante. Durch den Kauf<br />

und Abbruch des Gasthauses "Adler" entstand ein zentraler Platz, der für ein neues Rathaus<br />

geeignet war. 1971 begannen die Bauarbeiten, die am 8.12.1972 abgeschlossen waren. Jetzt<br />

hatte die Gemeinde ein repräsentatives Verwaltungsgebäude, in welchem auch noch drei<br />

Geschäfte unterkamen. Mit dem "Steckenpferd" öffnete man das Rathausfoyer den<br />

58


Hobbykünstlern für Ausstellungen aller Art. Das alte Rathaus, umgebaut und renoviert, dient<br />

nun als Kinderstube, als Übungsmöglichkeit für den Chor und beherbergt den örtlichen<br />

Polizeiposten. Gleichzeitig wurden im Zuge der Ortskernsanierung zwei Scheuern und ein<br />

Wohnhaus an der Kunzengasse abgerissen. So entstand ein großer Dorfplatz, der auch<br />

genügend Parkplatz bietet und den Busverkehr nach Dachtel erleichtert.<br />

Mit der Aufstellung neuer Bebauungspläne befriedigte die Gemeinde die steigende Nachfrage<br />

nach Bauplätzen. Nacheinander wurden die Gebiete "Angel I, II und III", "Zellenäcker",<br />

"Weingarten", "Furt", "Dorfäcker I und II" und "<strong>Gechinger</strong>" erschlossen und im Verlauf der<br />

siebziger Jahre bebaut.<br />

Fast hundert Jahre lang hatte das Waschhaus am Feuersee seinen Dienst getan, zuerst mit<br />

Kesseln und Holzfeuerung; vor dem Zweiten Weltkrieg dann schon mit elektrischer<br />

Waschmaschine. 1957 wurde die Wäscherei in die Gemeindehalle verlegt und 1971<br />

eingestellt, weil die einzelnen Haushalte sich immer mehr eigene Waschmaschinen<br />

anschafften.<br />

Neunzehn Jahre lang, von 1954 bis 1973, führte Familie Staiger im Auftrag der Gemeinde die<br />

Müllabfuhr durch. Wegen der Schließung unseres Müllplatzes trat die Gemeinde dem<br />

Zweckverband "Mülldeponie Simmozheim" bei, die den Müll zentral sammelte und abfuhr.<br />

Anläßlich der letzten Fahrt des alten "Kutterautos" verfaßte Heinz Krugler folgende Zeilen:<br />

"Wie das knattert,<br />

Nur so rattert,<br />

Blechern scheppert,<br />

Grausig kleppert,<br />

So kommt´s stöhnend,<br />

Fauchend, dröhnend<br />

Und mit mächtigem Gebrumm<br />

In dem ganzen Flecken rum,<br />

Vorne drin die Staigerin.<br />

Kuttereimer,<br />

Da noch einer!<br />

Wie die fliegen,<br />

Laßt nichts liegen!<br />

Hinten rein geht,<br />

Was herumsteht.<br />

Wieder sind die Fäßla leer.<br />

"Auf geht´s Leutla, Kutter her!"<br />

So ruft laut die Staigerin.<br />

Wie das rumpert,<br />

Schrecklich wumpert.<br />

Hartes Stoßen<br />

In der großen<br />

Autotonne.<br />

Eis und Sonne.<br />

"Kommt´s au dick vo obe rah,<br />

Samschtigs sent mir immer da!"<br />

Lacht da nur die Staigerin.<br />

59


Letzte Runde,<br />

Alter Kunde,<br />

Rollt der Wagen<br />

Ohne Klagen<br />

Nach viel Dreck<br />

Nun ins Eck.<br />

Neue Bräuche ziehen ein.<br />

So wie´s war, wird´s nimmer sein.<br />

Sagt auch Dank der Staigerin."<br />

1971 erreichte die Diskussion um die Verwaltungsreform ihren Höhepunkt. Da Bestrebungen<br />

im Gang waren, den Kreis Calw aufzulösen, trat an Gechingen die Frage heran, wie man sich<br />

entscheiden sollte. Deckenpfronn und Dachtel orientierten sich sofort zum Kreis Böblingen,<br />

während Ostelsheim und wir noch zuwarteten. Zur Diskussion stand auch die Eingemeindung<br />

unseres Ortes und Stammheims in die große Kreisstadt Calw. In einer öffentlichen Sitzung am<br />

10.3.1972, zu der fast alle Einwohner kamen, entschied sich die Mehrheit für die<br />

Selbständigkeit. Dieses Ziel konnte 1973 dadurch erreicht werden, daß Gechingen einem<br />

Verwaltungsverband, bestehend aus Althengstett, Ostelsheim, Simmozheim, Neuhengstett<br />

und Ottenbronn, beitrat. Seinen Beitritt machte Gechingen davon abhängig, daß es<br />

selbständiger Teilverwaltungsraum bleiben konnte. Der Kreis Calw und mit ihm unsere<br />

Gemeinde kamen am 1.2.1973 zur Region Nordschwarzwald mit dem Sitz in Pforzheim. Wir<br />

wechselten damit auch vom Regierungsbezirk Südwürttemberg (Tübingen) zum<br />

Regierungsbezirk Nordbaden (Karlsruhe) über. Die Befürchtungen, daß der Kreis Calw<br />

aufgelöst werden könnte, bewahrheiteten sich nicht. Als Kuriosum sei hier vermerkt, daß eine<br />

Karlsruher Zeitung wenig später unser gutes Schwäbisch als "ostbadischen" Dialekt<br />

bezeichnete!<br />

Eine Erweiterung und Renovierung der Gemeindehalle, die lange Jahre auch als<br />

Schulturnhalle benutzt wurde, war dringend notwendig geworden. Am 7.2.1976, nach rund<br />

zehnmonatiger Bauzeit, erfolgte die Übergabe an die Bevölkerung. Bald danach wurde dort<br />

der Seniorentreffpunkt gegründet, eine Initiative, an der sich die Kirchen, die bürgerliche<br />

Gemeinde und eine Schar freiwilliger Helfer beteiligen. Heute trifft sich der Kreis auch häufig<br />

im evangelischen Gemeindehaus. Das abwechslungsreiche Programm wird von Vereinen,<br />

Gruppen, Schule und Bürgern gestaltet.<br />

Wegen der vielen Neubaugebiete trat eine Überlastung der Kanäle auf, ein Gesamtkanalplan<br />

wurde notwendig. Dieser sah den Bau von sechs Regenüberlaufbecken (RÜB) und zwei<br />

Regenrückhaltebecken (RRB) vor. Diese Becken erbaute man im Lauf der folgenden Jahre.<br />

Beim überlasteten Hauptsammler mußten auf der ganzen Länge die alten Rohre gegen neue<br />

mit größerem Querschnitt ausgewechselt werden.<br />

Als der langjährige Bürgermeister Otto Weiß 1978 in den Ruhestand trat, fand im September<br />

1978 eine Bürgermeisterwahl statt. Zwei Bewerber standen sich in einem spannenden<br />

Wahlkampf gegenüber. Mit 776 gegen 722 Stimmen konnte sich Herr Rainer Dannemann<br />

gegen seinen Mitbewerber durchsetzen.<br />

Die Schwerpunkte in den Jahren 79/80 waren einmal der dringend erforderliche Bau einer<br />

größeren Kläranlage und die Erschließung des Baugebiets "Gailer" mit rund hundert<br />

Baugrundstücken. Immer noch herrschte große Nachfrage nach Bauplätzen.<br />

Der 1978 aufgegebene Farrenstall wurde umgebaut und von der Feuerwehr und dem Bauhof<br />

bezogen. Der Bauhof und seine Mitarbeiter richteten im "Gailer", beim Finkenweg und auf<br />

dem Bergwald Spielplätze ein. - Bald geriet der Bauhof aber in Platz- und Raumnot. Ende<br />

1989 erwarb die Gemeinde das Anwesen einer Baufirma auf dem Angel und konnte nun dem<br />

60


Bauhof einen größeren Platz zur Verfügung stellen. Die Feuerwehr wird die frei werdenden<br />

Räume für Schulungszwecke nutzen.<br />

1980 war ein Jahr der Wahlen, Landtagswahl, Bundestagswahl und Gemeinderatswahl folgten<br />

aufeinander.<br />

1981 besuchte der Landrat unsere Gemeinde. Der Bürgermeister machte ihn mit unserem Ort,<br />

seiner Struktur und seinen öffentlichen Einrichtungen bekannt. Bei der anschließenden<br />

Rundfahrt durch die Markung besichtigte man auch das Gelände, auf dem verschiedene<br />

Bürger gerne die Anlage eines Golfplatzes veranlaßt hätten. Der Antrag war abgelehnt<br />

worden, weil der Golfplatz Naturschutz und Landwirtschaft beeinträchtigt hätte. Um die<br />

Umwelt zu schützen und die Gemarkung sauber zu halten, führen Schule und Vereine seit<br />

einigen Jahren regelmäßige Feld- und Waldreinigungen durch. Alteisen-, Glas- und<br />

Batteriecontainer wurden aufgestellt, um das Müllaufkommen zu verringern. Für die<br />

bedrohten Kleintiere, wie Frösche und Salamander, legte man als Biotop einen kleinen See an.<br />

Das Waldsterben machte auch vor unserer Gemeinde nicht halt. Unsere 500 ha Wald sind und<br />

waren von jeher ein gewichtiger Bestandteil des Gemeindevermögens. Der Gemeinderat<br />

verfaßte eine Denkschrift über das Waldsterben und sandte sie an alle politischen<br />

Persönlichkeiten. Darin heißt es: "Allein in unserer kleinen Gemeinde mit 3 200 Einwohnern<br />

und etwa 500ha Mischwald ist durch das Waldsterben ein Verlust von ca. 100 000 DM<br />

anzunehmen". Diese Denkschrift zeigte keine nennenswerte Wirkung. - Man glaubt heute<br />

aber, daß durch die Muschelkalkböden in unserem Gebiet der saure Regen zum Teil<br />

neutralisiert wird und das Waldsterben sich langsamer ausbreitet. Zur Vorsorge bringt man<br />

Kalk durch Gebläse auf den Waldboden, da bereits Laubbäume, neben dem hauptsächlich<br />

betroffenen Nadelwald, erste Krankheitssymptome zeigen.<br />

Im Jahr 1984 gab es wiederum drei Wahlen, Landtagswahl, Europawahl und<br />

Gemeinderatswahl. Damals wurde der Fleckenplatz, die neue Ortsmitte, fertig. Mit<br />

verschiedenen Pflasterungen und Baumbepflanzung gelang es, den Platz ansprechend zu<br />

gestalten.<br />

Eine große Aufgabe stellte der Plan und Bau einer neuer Sporthalle auf dem Angel dar. Die<br />

Baukosten erhöhten sich durch verschiedene Umstände von 3 auf 6 Millionen DM. Im Januar<br />

1990 konnte dann die Halle mit einem Einweihungsfest, bei dem viele Gäste anwesend waren,<br />

der Allgemeinheit übergeben werden. Die Vereine, der Sportverein an der Spitze, verfügen<br />

nun über eine großzügige Halle für die verschiedensten Sportarten und andere Zwecke.<br />

Seit 1988 beschäftigt den Gemeinderat die Frage nach einem Standort für die neue<br />

Erddeponie. Nach Schließung des alten Areals bei der Bergwaldsiedlung konnte der<br />

Erdaushub nach Althengstett auf die dortige Deponie gebracht werden, jedoch unter der<br />

Bedingung, daß Gechingen dann im Gegenzug den Althengstetter Erdaushub auf eine neue<br />

Deponie übernimmt. Jetzt wird ein Gelände an der Straße nach Althengstett benutzt.<br />

Im Ortskern gab es verschiedene Veränderungen. Durch Abbruch von einigen alten Häusern<br />

wurde Platz für einen großen Neubau mit Einkaufszentrum geschaffen. Weitere Pläne hatte<br />

die Gemeinde mit der sogenannten "Salzscheuer" und einer benachbarten Scheuer. Hier<br />

entstand ein Neubau mit einer Arzt- und einer Massagepraxis. In dem danebenliegenden<br />

Gebäude "Appeleshof" ist das Heimatmuseum untergebracht. Für ein neues Baugebiet<br />

"Kirchberg" sind die Planungen vollendet, die ersten Gebäude sind bereits fertig und bezogen.<br />

Weitere Baugebiete am Ortsrand in Richtung Bergwaldsiedlung sind vorgesehen. Der Kreis<br />

hat seit 1990 die Uhlandstraße, die Calwer Straße und die Straße nach Althengstett ausgebaut.<br />

An der Straße nach Althengstett entstand ein Radweg, vor allem für die Schüler, die in<br />

Althengstett weiterführende Schulen besuchen. Zur Zeit, 1994, wird die Straße nach<br />

Deufringen neu ausgebaut und teilweise mit einem Radweg versehen. Der Zufall will es, daß<br />

vor genau hundert Jahren der Bau dieser Straße beschlossen wurde.<br />

61


Wirtschaftliche Entwicklung<br />

Viehzucht<br />

1773 schon machte sich Pfarrer Mayer, der sich bleibende Verdienste um die Modernisierung<br />

der Landwirtschaft erworben hat, Gedanken über das richtige Verhältnis zwischen<br />

Viehbestand und bewirtschafteter Fläche. Die Großviehhaltung war auch für Ackerbauern<br />

unerläßlich, denn man brauchte Zugvieh zum Getreideanbau, ebenso den Dung der Tiere zur<br />

Verbesserung des Ertrags von Feldern und Wiesen.<br />

Obwohl bei uns der Ackerbau dominierte, unterschied man die Bauern nach der Art ihrer<br />

Zugtiere in:<br />

a) Kühbauern, die von ihren Zugtieren Milch und Kälber bekamen,<br />

b) Ochsenbauern, deren Zugtiere man mästen und schlachten konnte,<br />

c) Pferdebauern, deren Tiere weder Milch noch Fleisch gaben.<br />

Übersicht über den Tierbestand in Gechingen seit 1860<br />

Rinder Pferde Schweine Schafe Ziegen Geflügel<br />

1860 423 46 93 481 15<br />

1939 775 60 424 267<br />

1950 627 40 167 239 14 723<br />

1984 414 111 311 243 3610<br />

1992 287 154 378 444<br />

Bei den ersten drei Zählungen hatte Gechingen jeweils so um die tausend Einwohner. Durch<br />

bessere Bewirtschaftung u.a. durch den Einsatz von Maschinen und Düngung konnte der<br />

Anbau von Futter für die Tiere und damit die Anzahl der Rinder gesteigert werden. In der<br />

Oberamtsbeschreibung von 1860 steht ausdrücklich: "Der meist aus einer rothen Landrace<br />

bestehende Rindviehbestand ist sehr bedeutend und bildet eine namhafte Erwerbsquelle,<br />

indem mit Vieh ein lebhafter Handel auf benachbarten Märkten getrieben wird."<br />

Die Haltung von Großvieh barg für den einzelnen Bauern immer ein gewisses Risiko. Schon<br />

vor 1840 existierte deshalb im damaligen Oberamt Calw ein Viehversicherungsverein, in dem<br />

sehr wahrscheinlich auch <strong>Gechinger</strong> Bauern Mitglieder waren. Unter dem Namen<br />

"Ortsviehversicherungsverein Gechingen" wurde dann für die Gemeinde Gechingen im Jahre<br />

1843 ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit gegründet. Der Verein hatte die Aufgabe<br />

und den Zweck, Verluste an Vieh durch Notschlachtungen und plötzlichen Tod zu ersetzen.<br />

Das geschah dadurch, daß die nichtgeschädigten Mitglieder das genießbare Fleisch eines<br />

Tieres abnahmen und bezahlten. Im Falle der Ungenießbarkeit mußten sie Barzahlung leisten.<br />

20 % des Schadens trug der Besitzer selbst. Der Verein unterhielt ein Schlachthaus beim<br />

Feuersee, welches auch an Nichtmitglieder vermietet wurde, bis die Gemeinde im Jahr 1967<br />

ein eigenes Schlachthaus in der Dorfäckerstraße baute. In den Jahren 1855, 1866 und 1921<br />

gab sich der Verein neue Satzungen. 1866 gründete der damalige Schultheiß Ziegler den<br />

Verein neu, nach der stillschweigenden Auflösung einige Jahre vorher. Auch nach der<br />

Inflation 1923 war eine Neugründung durch Schultheiß Schmidt notwendig. Der Verein hatte<br />

bis 1956 im Durchschnitt 170 Mitglieder und einen versicherten Viehbestand von ca. 550<br />

Stück. 1968 besaßen die 86 Mitglieder noch 325 Stück Vieh. Von da an sank die<br />

Mitgliederzahl ständig ebenso die Zahl der Tiere, so daß es im Jahre 1979 nur noch 25<br />

Mitglieder mit zusammen 73 Stück Vieh gab. Dadurch war die Belastung bei einem<br />

62


Schadensfall für die einzelnen Mitglieder so hoch, daß sich die Versicherung nicht mehr<br />

lohnte und deshalb der Verein aufgelöst wurde.<br />

Das Jahr 1950 markiert, wie aus der Tabelle deutlich hervorgeht, einen Einschnitt in der<br />

Geschichte des Dorfes, das vor großen Wandlungen stand. 1950 war noch Nachkriegszeit. Der<br />

Bestand an Großvieh war relativ hoch. Lebensmittelimporte spielten noch keine große Rolle,<br />

die Landwirtschaft lohnte sich damals noch, es gab auch für die <strong>Gechinger</strong> kaum andere<br />

Möglichkeiten, sich den Lebensunterhalt zu sichern. Ab 1950 nahm die Bevölkerung<br />

sprunghaft zu, bis 1984 war sie auf 3300 Bürger gestiegen. Die vielen Neubürger sind<br />

größtenteils im Raum Böblingen/Sindelfingen in der Großindustrie beschäftigt, wie die<br />

meisten Alt-<strong>Gechinger</strong> inzwischen auch, die Zahl der bäuerlichen Betriebe ging zurück,<br />

ebenso die Rinderhaltung. Als Zugtiere werden Rinder nicht mehr gebraucht und durch<br />

Milchquotierung und Schließung der Molkerei ist auch die Milchviehzucht nicht mehr<br />

lohnend. Die Pferde sind 1984 und 1992 keine Zugtiere mehr, bei dem Bestand handelt es sich<br />

ausschließlich um Reitpferde. Die Zahl der Schweine dagegen, die von 1860 bis 1939 um<br />

mehr als das Vierfache angestiegen war, fiel zwischenzeitlich zurück, hat aber fast wieder den<br />

Vorkriegsstand erreicht. Schafe gibt es in Gechingen wieder fast so viel wie 1860 nachdem<br />

über hundert Jahre lang der Bestand bei ca. 250 Tieren stagnierte. In der<br />

Oberamtsbeschreibung von 1860 heißt es: "Auf der Weide laufen etwa 500 Stücke Schafe,<br />

welche theils den Bürgern, theils dem Ortsschäfer gehören, jeder Schafeigenthümer entrichtet<br />

für ein Schaf 32 kr. und für das Lamm 20 kr., was der Gemeindekasse neben der<br />

Pferchnutzung etwa 6-700 fl. einträgt. Die Wolle kommt nach Kirchheim und in die<br />

Umgegend." Nun hat im ganzen Hecken- und Schlehengäu die Schafzucht Tradition, die teils<br />

recht geringen Böden taugten immer noch als Schafweide. Die Wolle wurde schon um die<br />

Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in Calw, teilweise auch in Wildberg zu Wolltuch<br />

verarbeitet. 1510 erließ Herzog Friedrich, der dem aufblühenden Gewerbe wohlgesonnen war,<br />

die erste Tuchordnung. Die Produkte der Calwer Zeugmacher, allen voran das "Engelsait"<br />

(englisch Satin), ein glatter, langhaariger Wollstoff, waren überall geschätzt und wurden bis<br />

nach Italien exportiert. Anfang des 17. Jahrhunderts teilten sich die Tuchhersteller. Die Färber<br />

übernahmen den Handel, die Zeugmacher das Weben. 1611 wurden die Zeugmacher<br />

"gebannt", das heißt, sie konnten ihre Ware nunmehr nur noch über vorgeschriebene<br />

"Verleger" absetzen, die sich 1622 zur Gesellschaft der "Gesamten Färber und<br />

Handelsgenossen zu Calw" zusammenschlossen. Diese Zeit war die große Zeit der Calwer<br />

Zeugmacherei und nicht nur ein Großteil der Calwer Bürger, sondern auch viele Bewohner der<br />

umliegenden Dörfer lebten davon. Damals hatte auch unser Ort, wie man heute sagen würde,<br />

eine Industriebevölkerung, das waren die Weber. So kam es, daß Gechingen, bevor der<br />

dreißigjährige Krieg auch unsere Gegend erreichte, eine Einwohnerschaft von ca. 1400<br />

Personen aufwies, mehr, als sich damals von der Landwirtschaft ernähren konnten. Auch nach<br />

dem 30jährigen Krieg - die eigentliche Calwer Compagnie (CC) wurde erst 1650 gegründet -<br />

arbeiteten mit Sicherheit <strong>Gechinger</strong> für die Calwer Verlagsherren und die Schafzucht war<br />

weiterhin bedeutend. Die CC bestand bis 1796, ihr Niedergang hatte schon 1730 eingesetzt,<br />

als die wirtschaftlichen Voraussetzungen sich verschlechterten. Das Zeugmachergewerbe ging<br />

zwar dadurch völlig zurück, für die Wolle der Schafe fanden sich aber, wie beschrieben,<br />

immer noch Abnehmer. Um 1900 war die Schafweide zeitweise verpachtet.<br />

Bekannte Schäfer in Gechingen waren: Paul Heinrich Schaible 1880-1968, Albert Schaible<br />

1883-1957.<br />

Ackerbau<br />

Nach der alamannischen Landnahme ist Gechingen eine bäuerliche Siedlung gewesen, in der<br />

der Ackerbau die Hauptrolle spielte und der Ertrag der Felder die Existenzgrundlage war. In<br />

63


ganz Europa hatte sich schon sehr früh die Drei-Felder-Teilung der Feldflur durchgesetzt, die<br />

Winterzelg, die Sommerzelg und die Brache, wie wir sie bis zu den fünfziger Jahren unseres<br />

Jahrhunderts noch hatten.<br />

1. Jahr: Winterfrucht (Dinkel)<br />

2. Jahr: Sommerfrucht (Gerste und Hafer)<br />

3. Jahr: Brache (unbebautes Land)<br />

Urkundlich ist die Dreifelderwirtschaft seit der Zeit Karls des Großen (um 800)<br />

nachgewiesen; betrieben wurde sie sicher schon früher. Sie sollte der Erhaltung der<br />

Fruchtbarkeit des Bodens dienen, die für die Bewohner so wichtig war. Die einzelnen Höfe<br />

hatten Äcker in Streulage, die auf alle drei Zelgen verteilt waren. Da die Felder aber nicht<br />

durch Wege voneinander abgeteilt waren, mußten sie einheitlich bestellt werden, um zu<br />

verhindern, daß durch Fuhren usw. die Äcker der Nachbarn geschädigt wurden, aber auch,<br />

weil die Zelg als Ganzes nur zeitlich beschränkt bebaut werden durfte. Nach der Ernte wurden<br />

die Äcker von allen gemeinsam zur Weide für das Vieh genutzt, ebenso die Brache den<br />

Sommer über. So war die Einhaltung der Dreiteilung der Ackerfläche Pflicht, sämtliche<br />

Dorfbewohner mußten sich dem Flurzwang fügen. Ursprünglich hatte die ganze Gemeinde<br />

das Recht, die Bestellung der Feldflur einvernehmlich zu regeln, im Lauf der Zeit übernahm<br />

ein Herrenhof die Befugnis, die Äcker zur Benutzung freizugeben oder zu sperren. Im<br />

Sommerfeld konnten auch Wicken, Linsen und Hirse angebaut werden. Auf der Brachflur<br />

wurde nichts ausgesät. Der Name kommt von "brechen". Umgepflügt, mit dem Pflug<br />

umgebrochen, wurde sie zumindest vor der Aussaat des Wintergetreides.<br />

Durch Rodungen, die im Lauf der Zeit durch die Bevölkerungsentwicklung nötig wurden -<br />

den Alamannen gelang es bald nicht mehr, ihr Gebiet auszudehnen, da sie mächtige Nachbarn<br />

hatten - konnte zusätzliches Ackerland gewonnen werden, das dem "Zwing und Bann" nicht<br />

unterlag.<br />

Schon bei den Alamannen war Getreide, ergänzt durch Hülsenfrüchte, die Grundlage der<br />

Ernährung. Es zeichnet sich aus durch gute Lagerfähigkeit, außerdem kann man die<br />

verschiedensten Speisen daraus zubereiten. Zunächst verwendete man es zu Mus, Suppen und<br />

Brei, seit dem 8. Jahrhundert wurde das Getreide hauptsächlich zu Brot verarbeitet. Das<br />

Brotgetreide in Gechingen war von altersher der Dinkel, der schlichtweg als Korn bezeichnet<br />

wurde. Er liefert ein wertvolles, kleberreiches Mehl. Erst in unserem Jahrhundert wurde er<br />

nach und nach vom Weizen verdrängt. Weizen ist ertragreicher, aber auch empfindlicher und<br />

anspruchsvoller. Doch gelang es durch Züchtung neuer Sorten und durch verbesserte<br />

Düngemethoden, ihn auch bei uns anzubauen.<br />

Im Mittelalter bis zum 16. Jahrhundert lag der durchschnittliche Gertreideverbrauch bei 250<br />

kg pro Person und Jahr. Heute ist er auf ca. 70 kg gesunken. Da im Mittelalter die Erträge nur<br />

das 2,5 - 3fache der Saatmenge ausmachten, erntete man von einem Hektar etwa 400 - 600 kg.<br />

Vermindert um die als Saatgut für die nächstjährige Bestellung gebrauchte Menge, blieb<br />

gerade soviel, wie für den Jahresverbrauch einer Person erforderlich war. 1860 trug laut<br />

Oberamtsbeschreibung der Morgen (o,315 ha) in Gechingen 10-12 Scheffel Dinkel, 6-8<br />

Scheffel Hafer und 4-6 Scheffel Gerste. Umgerechnet ergibt das beim Dinkel ca 750 - 900 kg<br />

pro Hektar. Heute rechnet man mit Erträgen von 4000 kg und mehr Getreide pro Hektar. Die<br />

Ertragssteigerung dürfte auch auf verbesserte Pflüge zurückzuführen sein. Hafer war<br />

Futtergetreide; da der Hafer keinen Kleber enthält, eignet er sich nicht zum Brotbacken. Doch<br />

werden sich die älteren <strong>Gechinger</strong> noch an Suppe oder Brei aus Habermehl erinnern, sie<br />

galten als besonders sättigend und waren daher in den Jahren der Nachkriegszeit sehr beliebt,<br />

wie schon in alter Zeit. Der gute Geschmack wurde durch Dörren erreicht, das der Bäcker im<br />

64


Backofen vornahm. Der so vorbehandelte Haber wurde zur Mühle gebracht. Habermehl hatte<br />

eine hellbräunliche Farbe.<br />

Gerste wurde als Futtergerste oder auch als Braugerste angebaut. In der Kriegs- und<br />

Nachkriegszeit röstete man auch Gerste auf Kuchenblechen im Backofen. Sie wurde dann mit<br />

der Kaffeemühle gemahlen und als Kaffeersatz verwendet.<br />

Kartoffeln setzten sich erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts langsam durch. Breits 1750<br />

wurden sie in Gechingen angebaut, wie aus der Besoldungsliste des damaligen Pfarrers hervor<br />

geht. Als man mit der Stallfütterung begann, wurde die Brache für Klee und Hackfrüchte<br />

genutzt, so daß im wesentlichen die Dreiteilung der Flur erhalten blieb. Rotklee mußte schon<br />

in die Sommerfrucht gesät werden, als Unterkultur bei Hafer oder Gerste. Er brachte dann im<br />

zweiten Jahr in der Zelg Brache den Ertrag als Futtermittel. 1860 werden Kartoffeln, Klee,<br />

Esparsette, weiße Rüben, Hanf und etwas Reps als Bebauung der Brache genannt. Außerdem<br />

baute man später das "Wickafuader" dort an. Das war eine Mischung aus Erbsen, Wicken,<br />

Gerste und Hafer, die als Grünfutter zwischen Heuet und Ernte geschnitten wurde. Danach<br />

wurde der Acker umgepflügt und war dann ein Brachacker. Esparsette und Luzerne (Ewiger<br />

Klee) waren genügsame Futterpflanzen. Sie mußten nicht jedes Jahr neu ausgesät werden und<br />

brachten auch bei Trockenheit Erträge. Das Grundstück, auf dem man sie anbaute, mußte in<br />

jeder Zelg zugänglich sein. Vom Landwirtschaftsamt Wildberg stammt folgender Überblick<br />

über die Entwicklung der Landwirtschaft in Gechingen in den letzten fünfzig Jahren:<br />

"Die Landwirtschaft hatte in Gechingen von jeher eine große Bedeutung. Im Jahr 1939 betrug<br />

die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe 230 und die Nutzfläche 850 ha. Damals hatte<br />

Gechingen 938 Einwohner. Bedingt durch Boden, Klima und Höhenlage wurde neben<br />

Getreideanbau auch Futteranbau betrieben. Es wurden gezählt: 775 Stück Rindvieh, davon<br />

487 Milchkühe, 60 Pferde, 267 Schafe, 424 Schweine, 3289 Stück Geflügel. Bis zum Jahre<br />

1957 hatte sich die Zahl der Betriebe auf 170 verringert und die Nutzfläche auf 760 ha<br />

verkleinert. Die Betriebsgrößen lagen unter 10 ha, nur drei Betriebe bewirtschafteten zwischen<br />

10 und 15 ha. Wegen der beengten baulichen Verhältnisse im Ortskern waren viele<br />

Gebäudeverhältnisse unzureichend, eine Erweiterung aus Platzmangel meist nicht möglich.<br />

Nach der Flurbereinigung und der Aussiedlung von sieben Betrieben begann ein starker<br />

Strukturwandel in unserer Gemeinde. Dazu kam ein großes Arbeitsplatzangebot in den<br />

benachbarten Industriestädten. Dies hatte zur Folge, daß die Zahl der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe weiter abnahm; gleichzeitig aber die Größe der einzelnen Betriebe zunahm. Heute<br />

gibt es in Gechingen nur noch acht hauptberufliche Landwirte. Die gesamte Nutzfläche<br />

beträgt 650 ha. Viele Höfe gaben wegen Betriebsumstellungen und der Milchquotierung die<br />

Viehhaltung auf. Dafür nahm die Zahl der gehaltenen Schafe und Pferde zu."<br />

Sonderkulturen (Faserpflanzen und Hopfen)<br />

Auch Flachs oder Lein, eine der ältesten Kulturpflanzen, wurde bei uns angebaut. Sie blüht<br />

blau und wird 60 - 120 cm hoch. Die Frucht ist eine Kapsel. Auch der kleine, flachgedrückte,<br />

braune Samen, den sie enthält, läßt sich vielfältig nutzen - als Arznei, aber auch zur<br />

Ölgewinnung. Ende Juli bis Anfang August wird der Flachs geerntet, nicht etwa gemäht,<br />

sondern mit den Wurzeln aus dem Boden gerissen ("gerupft"), damit man möglichst lange<br />

Fasern erhält. Dann wird er in kleine Garben gebunden und zum Trocknen aufgestellt. Nach<br />

dem Einfahren der Ernte werden zunächst die trockenen Fruchtkapseln entfernt, das geschieht<br />

mit dem "Reff", einer Art Kamm aus Holz oder Eisen. Das Reffen war eine langwierige<br />

Arbeit. Zur Fasergewinnung mußten die Faserbündel von dem holzigen Rindengewebe befreit<br />

werden. Das geschieht durch die "Röste", in der die holzigen Bestandteile verrotten und<br />

dadurch abgelöst werden können, so daß die Faserbündel übrigbleiben. Beim Rösten wird<br />

entweder der Flachs auf Stoppelfeldern oder Wiesen dünn ausgebreitet, feucht gehalten und<br />

mehrmals gewendet. Diese "Tauröste" nimmt vier bis zehn Wochen in Anspruch. Schneller<br />

65


geht es mit der Kaltwasserröste, wobei die Garben 1 - 3 Wochen lang senkrecht in kleine<br />

Gräben gestellt werden. Nach der Röste muß der Flachs wieder getrocknet oder "gedarrt"<br />

werden, dann wird er gebrochen. Das Trocknen nimmt man am besten in einem noch warmen<br />

Backofen vor, ähnlich wie das Dörren von Zwetschgen. Dabei kam es aber leicht zu Bränden,<br />

so daß das Flachsdarren im Dorf verboten wurde. Deshalb entschloß man sich meist, vor dem<br />

Dorf eine Flachsdarre anzulegen. Auch in Gechingen muß es so gewesen sein. Ein altes Foto<br />

zeigt die Frauen des Dorfes in der "Brechgaß" beim Flachsbrechen, im Hintergrund ist ein<br />

Graben zu erkennen, der auf beiden Seiten mit Steinen ausgekleidet ist, die ihn etwas<br />

überragen. Quer über dem Graben liegt ein Holzrost, darauf kam der Flachs. Die Feuerstelle<br />

liegt etwas entfernt, nur Warmluft und Rauch sollten durch einen unterirdischen Kamin ins<br />

Innere der Flachsdarre ziehen. Aber völlig ausschließen konnte man die Brandgefahr auch hier<br />

nicht, auf unserem Foto sieht man, daß für alle Fälle ein Eimer mit Wasser bereitstand.<br />

Durch das Brechen zerbersten die holzigen Teile und fallen zum Teil hier schon ab, die Fasern<br />

bleiben erhalten und werden durch "Schwingen" über ein hölzernes Messer von den letzten<br />

Holzresten befreit. Anschließend wird der Flachs gehechelt, wodurch die langen Fasern<br />

isoliert und die gröberen, kurzen als "Werg" entfernt werden. Die so gewonnenen Flachsfasern<br />

werden dann in sogenannte "Docken" gebündelt. Diese sind das Ausgangsmaterial für die<br />

Leinenindustrie und für die bäuerliche Leinenherstellung. Wie beim Brechen fanden sich auch<br />

zum Flachsspinnen die Frauen und Mädchen zusammen. In den Spinnstuben wurde abends<br />

erzählt und gesungen, die Dorfjugend traf sich dort, was oft von der Obrigkeit gar nicht gern<br />

gesehen wurde. - In Gechingen ist mehrere Male der Kirchenkonvent eingeschritten. Es gibt<br />

ein Kirchenkonventsprotokoll vom 22.1.1798 (siehe "Kirche"), das nur Frauen und Mädchen<br />

in Begleitung ihrer Mütter erlaubte, die Spinnstuben (Lichtkärze) zu besuchen. Höchstens acht<br />

Personen ohne die Hausgenossen waren zugelassen usw.<br />

Bis zum fertig gesponnenen Garn war die Flachsverarbeitung Frauensache. Der Rest war<br />

Männerarbeit. Das Leinengarn wurde im Haus verwoben. Die meisten Bauern hatten ihren<br />

eigenen Webstuhl. Die natürliche Farbe der so erzeugten Leinwand ist gelblich-braun. Um die<br />

frischgewobenen Tücher weiß zu bekommen, mußten sie gebleicht werden. Die Gemeinde<br />

Gechingen hatte einen fest angestellten Bleicher (siehe "Berufe") Als die Leineweberei<br />

zurückging und kein Bleicher mehr beschäftigt wurden, bleichten die Frauen selber. Sie legten<br />

in der Frühe ihre Tücher auf dem Gänswasen aus und holten sie abends wieder ab.<br />

Daß auch früh Hanf angepflanzt und dann versponnen wurde, geht aus dem Calwer<br />

Wochenblatt von 1830 hervor. In einer Anzeige der Gemeinde werden 500 Schneller (Rollen)<br />

gutgesponnenes, hänfenes Garn an den Meistbietenden verkauft.<br />

1860 heißt es vom Hanf in der Oberamtsbeschreibung, daß er "sehr gut gedeiht und häufig<br />

gebaut wird". Hanf erbringt im Verhältnis zur Anbaufläche eine größere Menge spinnbare<br />

Faser als Flachs. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts dürfte Hanf bei uns angepflanzt<br />

worden sein, als der Flachs schon verschwunden war (Hanfländer im oberen Tal). Allerdings<br />

wurde im zweiten Weltkrieg und in den Nachkriegsjahren noch einmal in geringer Menge<br />

Flachs angebaut, hier ging es aber häufig um die Gewinnung von Leinöl. Jedoch wurde auch<br />

die Fasergewinnung noch durchgeführt.<br />

Heute gibt es in Gechingen keinen Flachs- und Hanfanbau mehr. Verschwunden sind auch die<br />

Hopfenkulturen, weder die modernen Hopfengärten noch die Äcker mit den langen<br />

Fichtenstangen und den daran emporwachsenden Hopfenranken sieht man nicht mehr.<br />

Die Dreifelderwirtschaft mit ihrem strengen Flurzwang ließ erst im 19. Jahrhundert den<br />

Anbau von Hopfen zu, weil ein Hopfenacker nicht in den Fruchtwechsel einbezogen werden<br />

kann. In der Oberamtsbeschreibung von 1860 heißt es: "In neuerer Zeit hat man auch den<br />

Hopfenbau mit gutem Erfolg eingeführt."<br />

66


Der Hopfen zählt zur Gattung der Hanfgewächse und ist eine zweihäusige Schlingpflanze. Die<br />

Fruchtzapfen der weiblichen Pflanze liefern einen wichtigen Rohstoff zur Bierherstellung, das<br />

Hopfenmehl, das vor allem Bitterstoffe enthält, die dem Bier den würzigen Geschmack<br />

verleihen. In Hopfengärten angebaut werden nur die weiblichen Pflanzen. Vor dem<br />

Einpflanzen der Stecklinge muß das Feld tief umgegraben werden. Nur tiefgründige Böden<br />

sind zum Anbau geeignet, vor allem Kalkböden. Die Stecklinge holten die Bauern aus dem<br />

Herrenberger Anbaugebiet. Einmal gepflanzt, war der Austrieb für 10-12 Jahre gesichert. Im<br />

zeitigen Frühjahr wurde der kurze Stock, der im Herbst nach der Ernte stehenblieb,<br />

zurückgeschnitten, damit die jungen Triebe sprossen konnten. Rasch wurde es dann Zeit, die<br />

8-10 m hohen Fichtenstangen einzusetzen. Mit dem schweren Hopfeneisen machte man<br />

Löcher und setzte vorsichtig, damit die Triebe nicht beschädigt wurden, die Stangen ein. In<br />

der späten Wachstumsphase und zu Beginn der Blütezeit spritzte man den Hopfen mehrmals,<br />

um Schädlinge abzuhalten. Kam dann die Ernte heran, schnitt man die Ranken unten ab, legte<br />

die Stange um und nahm die Ranken vorsichtig ab. Deren starken unteren Teil verwahrte man,<br />

er konnte bei der Getreideernte als Garbenbinder verwendet werden. Vor Gebrauch weichte<br />

man die Abschnitte dann einige Zeit in Wasser ein, damit sie geschmeidig wurden.<br />

Waren die Ranken in der Scheuer, begann das Hopfenzopfen. Das war eine fröhliche Zeit für<br />

das Dorf. Meist saß die ganze Verwandtschaft dabei zusammen, größere Hopfenbauern hatten<br />

auch bezahlte Aushilfskräfte. Jeder Pflücker hatte seine bestimmte Familie, bei der er jedes<br />

Jahr pflückte. Manches frohe Lied wurde bei der Arbeit gesungen, die Jugend lernte dabei von<br />

den Älteren. So gab man eine große Fülle von Volks- und Heimatliedern weiter.<br />

Nach dem Hopfenzopfen begann die Feinarbeit. Der Hopfen mußte getrocknet und gedörrt<br />

werden. Auf der Bühne, auf den Speichern, den Fruchtböden und wo sonst ein geeigneter<br />

Platz war, stellte man die Hopfendarren auf. Auch im Gemeindebackhaus, über den Backöfen,<br />

wurde Hopfen gedörrt. Ein gut aufbereiteter, gesunder, wohlriechender Hopfen brachte einen<br />

schönen Erlös.<br />

Wie sehr der Hopfenanbau in Gechingen verbreitet war, kann man an manchem hochgiebligen<br />

Bauernhaus sehen - nach dem großen Brand wurden ja viele neu gebaut. Da liegen oft drei<br />

Hopfenböden übereinander, damit man genügend Platz hatte, um den Hopfen zu darren.<br />

Eine technische Änderung beim Anbau des Hopfens trat in den Zwanziger Jahren ein. Man<br />

begann, moderne Drahtanlagen aufzustellen, welche über Jahre stehen bleiben konnten.<br />

Große, schwere Baustangen wurden als Gerüst mit Flaschenzügen hochgestellt und mit<br />

starken Drähten am Boden verankert. In der Höhe spannte man Längsdrähte und von dort aus<br />

senkrechte Drähte zu den einzelnen Stöcken. Diese senkrechten Drähte konnte man aus der<br />

Verankerung lösen und den reifen Hopfen im Herbst herunterziehen. Das jährliche Aufstellen<br />

und Abbauen der vielen einzelnen Stangen fand damit sein Ende. In Gechingen wurden 1934<br />

etwa 154 ar Hopfen angebaut. Davon waren 8 ar auf schlechtem Boden, so daß das Oberamt<br />

Calw 3 ar aushauen ließ. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde der Hopfenanbau zu<br />

Gunsten des Getreideanbaus eingestellt. 1940 gab es 1 RM Prämie für jeden ausgehauenen<br />

Stock.<br />

Wiesen und Weiden<br />

Die Wiesen waren für die Gewinnung von Heu wichtig, das als Viehfutter im Winter<br />

gebraucht wurde. Gechingen hatte zu Anfang des 19. Jahrhunderts in dem damaligen Pfarrer<br />

Heinrich Theodor Klinger einen Mann, der sich, wie viele Pfarrer seiner Zeit, um die Hebung<br />

der Landwirtschaft Gedanken machte, so auch um Pflege und Bewirtschaftung der Wiesen.<br />

Seit 1839 leitete er einen landwirtschaftlichen Verein in Calw. 1849 erschien von ihm<br />

folgender Beitrag für die "Nachrichten aus dem Oberamt Calw":<br />

67


"Wenn wir unsere schönen Thäler in Wald und Gäu betrachten und nicht blos auf das<br />

Anmuthige und Romantische, sondern auch auf das Nützliche sehen, so werden wir uns<br />

gestehen müssen, das der Ertrag erhöht werden könnte, wenn man die Wiesen besser<br />

behandelte, vor allem zweckmäßiger bewässerte. Und Wässerungsanlagen könnten noch<br />

manche, unbeschadet der Wasserwerke, in Haupt- und Seitenthälern der Nagold angelegt,<br />

manche dürre oder sumpfige Plätze zu saftreichen Triften umgewandelt werden. Ja, wenn uns<br />

nur Jemand an die Hand ginge! Ich weiß einen solchen Mann, und derselbe ist weit bekannt,<br />

es ist der Wiesenbaumeister Hafner von Hohenheim. Dieser hat schon in seinem Fach in<br />

vielen Gegenden Großes geleistet. Gegenwärtig ist derselbe im Oberamt Sulz und ich habe die<br />

Bitte an die Zentralstelle eingereicht, denselben auf seiner Rückreise auch zu uns zu senden,<br />

um seine Belehrungen und Rathschläge jedem Fragenden mitzutheilen. Ich zweifle nicht, daß<br />

dieser Bitte Gehör gegeben wird, und zwar also, daß es keine Kosten für unsere Kassen<br />

verursacht. Aber umso trauriger wäre es, wenn diese Gelegenheit nicht benüzt würde. Ich<br />

ersuche daher alle Wiesenbesizer, besonders aber die Ortsvorsteher; in Überlegung zu ziehen,<br />

wo es bei ihren Thälern fehlt, wie sie besser wässern, neue Wiesen anlegen, schlechte<br />

verbessern könnten, und dann sich mit Herrn Hafner in Verbindung zu sezen. Wird meine<br />

Bitte gewährt, so geschieht die Anzeige des Tags der Ankunft Herrn Hafners in Calw von mir<br />

in diesem Blatte. Gechingen, 11.Mai 1849. Pfarrer Klinger"<br />

Ob Pfarrer Klinger wohl von den Verhältnissen in Gechingen ausging? Die Wiesen im Tal<br />

waren seit langer Zeit durch Bewässern besonders ertragreich. Noch heute kann man im<br />

oberen und unteren Irmtal, an den seitlichen Hängen, sich lang hinziehende Gräben erkennen.<br />

Sie dienten bis in die späten fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts zum Bewässern der Wiesen.<br />

So lange existierte eine Wässerungsgemeinschaft, in der genaue Regeln dafür sorgten, daß<br />

kein Wiesenbesitzer benachteiligt wurde. Das in die Gräben eingeleitete Wasser wurde vom<br />

betreffenden Grundstücksbesitzer mit Brettern gestaut und in die Wiese abgeleitet. Dabei kam<br />

es immer wieder zu Verstößen, so daß schon früh Verordnungen mit Strafandrohungen<br />

erlassen werden mußten.<br />

Aus dem Fleckenbuch von 1647: "Wenn ein ungenügend Wasser im Tal und zu Zweit oder<br />

mehr wässern wollen, sollen sie schuldig sein, das Wasser miteinander zu teilen und<br />

miteinander wässern.<br />

Wässerung der Wiesen 1697."Wann ein ungeteiltes Wasser im Tal lauft und zwei oder mehr<br />

wässern wollten, sollen sie schuldig sein, das Wasser miteinander zu teilen und zu wässern."<br />

Anschließend folgen jeweils komplizierte Vorschriften, die in allen Einzelheiten festlegen,<br />

wie die Teilung des Wassers zu bewerkstelligen ist.<br />

Der Müller Balthes Wagner lag 1668 mit der Gemeinde im Streit wegen angeblichen<br />

Wassermangels durch die Wiesenwässerung.<br />

"Actum, den 18.Mai Anno 1668.<br />

Dato klagt Balthas Wagner, Müller gegen die ganze Gemeinde, dergestalten sie ihm das<br />

Wasser zur Mühle nicht völlig zukommen lassen, sondern mehr als zur Hälfte für ihre<br />

Wässerung gebrauchen tun. Welches ihm dann sehr nachträglich sei, daß er also nun auf ein<br />

ganz Wasser habe, bittet die Inhaber der Wiesen anzuhalten, ihm selbiges angedeihen zu<br />

lassen. Der Vogt von Leonberg soll solches nach altem Herkommen mit gerichtlichem<br />

Bescheid für die Wässerung, der Gemeinde übergeben."<br />

Schultheiß und Gericht von Gechingen widerstehen dieser Klage und sind nicht der Meinung,<br />

daß das Wasser allein dem Müller zustehe, laut Herkommen gehöre ihnen das halbe Wasser<br />

den Sommer über zur Wässerung der betreffenden Wiesen. Sie wollen nachweisen, daß vor 50<br />

und mehr Jahren die vorigen Müller mit soviel Wasser, wie es der jetzige Müller habe,<br />

zufrieden gewesen seien. "Wie er denn auch Wasser genug habe und dieser nur ohne Not<br />

klagen tue". Die Gemeinde hofft auf günstigen Bescheid, weil der Müller nichts beweisen<br />

68


kann und so will sie mit ruhigem Gewissen abwarten. Der Müllerknapp, Michael Riehm, der<br />

über 50 Jahre lang in der Mühle gedient hat und Martin Schneider, des Gerichts, und Hans<br />

Knoll, über 80 Jahre alt, sind als Zeugen vorgeschlagen.<br />

Michael Riehm gibt an, nachdem er auf seine Aussagepflicht hingewiesen wurde, daß vor<br />

diesem und vor mehr als 50 Jahren das halbe Wasser, das vom Flecken herabfließe, den<br />

Inhabern der Wiesen zwischen Flecken und Mühle zur Wässerung zuständig sei und die<br />

damaligen Müller mit dem übrigen halben Wasserteil, samt dem Bronnenwasser, das ober der<br />

Mühle entspringt, wohl zufrieden waren und deswegen noch keine Klage geführt worden sei.<br />

Das gleiche sagt auch Martin Schneider, 78 Jahr alt. Hans Knoll, 84 Jahr alt, sagt, daß voriger<br />

Mühleninhaber jederzeit mit dem halben Dorfwasser zufrieden gewesen sei. Es sei oft<br />

geschehen, daß zu Wässerungszeiten, obwohl er Wasser genug hatte, der (jetzige?) Müller mit<br />

dem Korn und Kernen aus der Mühle nach Döffingen gefahren, damit er die Leute nötigen<br />

konnte, daselbst zu mahlen und "dieses nur ein Ursach zum Klagen sei. Sintemalen ihm nur<br />

ein Mahlwerk Wasser gehöre, den der Weiherbronnen allein treiben tue".<br />

Hier ist der obrigkeitliche Bescheid:<br />

Nach altem Herkommen wird dem Müller die Hälfte des Dorfwassers überlassen. Wenn die<br />

Stellfalle am Bach zu hoch ist, muß sie neu eingestellt werden. "Es wird erwartet, daß damit<br />

der Streit erledigt ist und sich die Parteien wieder recht und bürgerlich zueinander verhalten.<br />

Andernfalls droht eine Strafe von zwei kleinen Frevel."<br />

Die Oberamtsbeschreibung von 1860 gibt an: "Der Wiesenbestand ist ausgedehnt und liefert<br />

ein gutes, nahrhaftes Futter, welches, wegen des namhaften Viehstandes, im Ort selbst<br />

verbraucht wird; die Wiesen, von denen etwa 1/3 wässerbar sind, ertragen durchschnittlich 20-<br />

25 Centner Heu und 8-10 Centner Oehmd pr. Morgen." - Ein württembergischer Morgen<br />

entspricht 0,315 ha.<br />

Bevor sich die Stallfütterung durchsetzte, wurden die Brache, die Stoppelfelder nach der<br />

Getreideernte, teilweise auch die lichten Wälder als Weideland für das Vieh genützt, die<br />

Wiesen allenfalls, wenn das Öhmd eingebracht war. Schafweide auf dem Ödland des oberen<br />

Muschelkalks gab es im Hecken- und Schlehengäu immer reichlich, es war zu nichts anderem<br />

zu verwenden. Schon in den Zeiten, als man das Vieh noch auf die Weide trieb, waren im<br />

Winter, wenn das Vieh im Stall war, die Wiesen als Schafweide freigegeben. Der Pferch (die<br />

Hürden, in denen die Schafe über die Nacht blieben) gehörte der Gemeinde. Er, d.h. das Recht<br />

zu seiner Aufstellung, wurde von der Gemeinde verkauft. Innerhalb dieser Umzäunung fiel<br />

eine nicht unbedeutende Menge Kot von den Tiere an, der als Dünger begehrt war. Auch für<br />

die Stoppeläcker und die Wiesen ab November galt die Beweidung wegen des Schafmists als<br />

Vorteil.<br />

Wein - und Obstbau<br />

Wenn man den Flurnamen "Weigert" hört, denkt man an den Weingärtner oder Winzer.<br />

Auch der Familienname Quinzler leitet sich von Wenzer, also Winzer ab. Der Wein war das<br />

Hauptgetränk im Mittelalter und sein Anbau war früher viel weiter verbreitet als heute, auch<br />

in schlechten Lagen. So ist es gut möglich, daß dieser Flurnamen auf den dort inzwischen<br />

längst aufgegebenen Weinbau zurückgeht, der im Nachbarort Stammheim nachweislich<br />

noch länger betrieben wurde. Unsere Vorfahren tranken allerdings nicht den einfachen Wein,<br />

sondern sie fügten wie die Römer Gewürze, Kräuter, Beeren oder Honig hinzu, kochten ihn<br />

und tranken ihn heiß. Auf diese Art konnten auch schlechte und saure Weine, wie sie zum<br />

Beispiel in Gechingen nicht anders sein konnten, genießbar gemacht werden. Weinbau<br />

treffen wir um 1350 sogar in Norddeutschland an. Mitte des 15. Jahrhunderts änderte sich<br />

jedoch das Klima in Europa und die durchschnittliche Jahrestemperatur sank um 1-2° C. Das<br />

führte zum Erliegen des Weinbaus in extrem ungünstigen Lagen. In Württemberg allerdings<br />

wurde noch im 17./18. Jahrhundert in vielen Regionen auf Geheiß der Obrigkeit der<br />

69


Weinbau ausgedehnt. In guten Weinjahren war der Wein sehr billig. In Württemberg kostete<br />

1426 ein Eimer alter Wein 13 Kreuzer und 1481 konnte man eine Maß für ein Ei bekommen.<br />

Der "Eimer" ist ein altes Maß und entspricht gut 300 l.<br />

Von der Mühseligkeit der Arbeit im Weinberg, aber auch von der hierzu nötigen<br />

Sachkenntnis, mögen die folgenden Verse von Hans Sachs (1494-1576) eine Vorstellung<br />

vermitteln:<br />

"Der Rebmann.<br />

Ich bin ein Häcker im Weinberg.<br />

Im Früling hab ich harte werk.<br />

Mit graben, pältzen und mit hauwen<br />

Mit Pfäl stossn, pflantzen und bauwen<br />

Mit auffbinden und schneiden die Reben<br />

Biss im Herbst die Traubn Wein geben. . . "<br />

Etwa: Ich hacke im Weinberg, besonders im Frühjahr muß ich hart arbeiten. Ich muß graben,<br />

veredeln und hacken, Pfähle setzen und Pflanzungen anlegen, die Reben aufbinden und<br />

schneiden, damit im Herbst die Trauben Wein geben.<br />

"Pältzen" oder "beltzen" nannte man das Veredeln von Bäumen und auch von Rebstöcken.<br />

Die Arbeit im Weinberg hat sich also vom 17. Jahrhundert bis zur Mitte dieses Jahrhunderts<br />

nicht wesentlich geändert.<br />

Der Wein war lange vor dem Most das Volksgetränk, das Mosten ist noch nicht so uralt, wie<br />

wir glauben. Nun hatte man schon in der Jungsteinzeit die Früchte wilder Apfel- und<br />

Birnbäume gesammelt, sie auch wohl für den Winter durch Dörren haltbar gemacht.<br />

Zumindest Apfelbäume wurden zu dieser Zeit auch schon kultiviert. Doch war, außer dem<br />

geringen Bestand in manchen Gärten, in Württemberg der Obstbau nur wenig verbreitet. Erst<br />

unter Herzog Karl Eugen (1728-1793), der in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens von<br />

seinem Musterbetrieb in Hohenheim aus sich um die Hebung der Landwirtschaft bemühte,<br />

kam der Weinbau auf den schlechteren Lagen zusehends zum Erliegen zu Gunsten des<br />

Obstbaus, um den sich auch Friedrich Schillers Vater, Kaspar Schiller, als Baumschuldirektor<br />

auf der Solitude verdient machte.<br />

Ebenso wurde unter König Wilhelm I. und König Karl der Anbau von Obst gefördert und<br />

nahm kontinuierlich zu. Noch in der Oberamtsbeschreibung von 1860 heißt es allerdings von<br />

Gechingen: "Die Obstzucht, welche sich hauptsächlich auf die um das Dorf gelegenen<br />

Baumgärten beschränkt, ist nicht bedeutend und erlaubt keinen Verkauf nach Außen, sondern<br />

es wird noch viel Obst auswärts zugekauft; vorzugsweise werden Zwetschgen und von<br />

Kernobst Luiken, Goldparmänen, Palmischbirnen, Knausbirnen etc. gezogen." Die vielen<br />

Streuobstwiesen, die es früher in Gechingen gab, die Apfel- und Birnbäume entlang der<br />

Wege, dürften also erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen sein und mit ihnen das<br />

Mosten. Es begann nach der Obsternte im Herbst und war früher eine zeitaufwendige Arbeit.<br />

"Feif bis sechs Ma hend z' don ghed wäge zwoa oder drei Oamer Mooschd" (wobei "Eimer"<br />

das alte Weinmaß von ca. 300 l bedeutet). Man schüttete das Obst, Äpfel und Birnen, in einen<br />

großen Stein- oder Holztrog, in dem von Hand ein runder, schwerer Stein hin- und hergewälzt<br />

wurde. Dieser Stein sah ähnlich aus wie ein Mühlstein, mit einer langen, hölzernen Achse in<br />

der Mitte, um die er hin- und hergedreht werden konnte. Die zerquetschte Obstmasse kam mit<br />

Wasser zusammen in die Presse. Der auslaufende Süßmost wurde wie Wein in Fässern<br />

vergoren. Dieses Getränk durfte in keinem Haus fehlen. Ohne Wasserzusatz entstand der<br />

"Saft" - er galt schon als etwas Besonderes und Besseres. Manchmal wurde der Most auch mit<br />

purpurroten Schlehensaft gefärbt.- Trotz aller Arbeit war es aber doch ähnlich wie bei der<br />

Weinlese ein Fest, wenn im Dorf gemostet wurde:<br />

70


"Äpfel geits, on des net wia,<br />

landauf, landab on auch hia<br />

Do siehd mr d' Leid se lesa, uf de Waga lada<br />

zur Moste brenga on zur Preß na traga.<br />

On wenn's na afangt en de Fässer z'laufe,<br />

isch au s' meischde Gschäfd schau dau,<br />

da denkt koaner me dra, Bier z' kaufa,<br />

wie mr sonst vielleicht häd dau."<br />

Wenn vor der Ernte der Most ausging, wurden oft Zibeben (Rosinen) gekauft und zum<br />

Mosten mit Wasser angesetzt. Ca. 70 Pfund Zibeben kamen in ein 300 Literfaß mit Wasser.<br />

Der gegorene "Zibebemooscht" wurde oft unterschätzt - er war so stark, daß er manchen<br />

Rausch erzeugte.<br />

Als Tafel- und Lagerobst eigneten sich nur wenige Sorten der in Gechingen wachsenden<br />

Äpfel und Birnen. Außer zu Most wurden vor allem Birnen nach wie vor zu Dörrobst<br />

verarbeitet, ebenso Zwetschgen. Auch wurden die schönsten Schlehenbeeren ausgesucht und<br />

auf dem Ofen getrocknet. Im Winter kaute man sie solange, bis nur noch der Kern übrig war.<br />

Wildwachsende Beeren wurden noch bis Ende der fünfziger Jahre fleißig in den Wäldern und<br />

an den Hecken gesammelt. Was nicht frisch verzehrt wurde, wurde, wie auch der Ertrag der<br />

Beerensträucher im Garten und teilweise das Steinobst, eingemacht oder zu "Gsälz" verkocht,<br />

was gegenüber dem Dörren aber eine viel neuere Form der Konservierung ist und sich erst in<br />

unserem Jahrhundert durchgesetzt hat. Das Eindünsten (Sterilisieren) mit dem bekannten<br />

Apparat, den zugehörigen Gläsern usw. wurde erst 1894 entwickelt. Das Haltbarmachen mit<br />

Zucker durch Marmeladenherstellung war zwar schon viel früher bekannt, da aber Zucker bis<br />

zur Vervollkommnung der Zuckergewinnung aus Zuckerrüben sehr teuer war, verbot sich<br />

diese Art der Konservierung auf dem Land von selber.<br />

In Gechingen gibt es schon seit 1956 eine Gefriergemeinschaft, so daß es hier schon seit über<br />

vierzig Jahren verbreitet ist, auch auf diese schonende Weise das Obst haltbar zu machen.<br />

Der Wald<br />

Der ausgedehnte Gemeindewald stellt bis heute einen beträchtlichen Teil des Vermögens der<br />

Gemeinde dar. Ursprünglich war um Gechingen Laubwaldgebiet mit Vorherrschaft der Buche,<br />

untermischt hauptsächlich mit Eichen. Nadelbäume konnten sich nur da behaupten, wo sie<br />

kahlgeschlagene Flächen besiedeln konnten oder damit aufgeforstet wurde. In den lichten<br />

Laubwäldern ist der Graswuchs sehr stark. So wurde der Wald als Viehweide und im Herbst,<br />

wo es zusätzlich auch noch Bucheckern und Eicheln gab, zur Schweinemast genutzt. Buchen<br />

sind empfindlich gegen Tritte und gegen Verbiß. Bei zunehmender Bevölkerungszahl und<br />

anwachsendem Viehbestand wurden die Wälder geschädigt. Dazu kam die übermäßige<br />

Wildhege der Herren, die in den Wäldern das "Gejaid" hatten. Erst ab der Einführung der<br />

Stallfütterung konnten die Wälder sich zunächst wieder erholen, sofern Gras und Laub nicht,<br />

wie es später vor allem in mageren Jahren geschah, als Viehfutter und Laubstreu eingeholt<br />

wurden. Das Entfernen der schützenden und humusbildenden Gras- und Laubdecke ließ den<br />

Waldboden verarmen und die nachwachsenden Bäume verkümmern.<br />

Die Jagd war in den Händen des Prälaten von Hirsau, von dem es dann zur Reformationszeit<br />

auf das württembergische Fürstenhaus kam. Aktenkundig ist, daß damals der Schultheiß mit<br />

drei Ratsangehörigen in Böblingen über die <strong>Gechinger</strong> Wälder befragt wurde. Den<br />

71


<strong>Gechinger</strong>n wurde bestätigt, daß die Wälder schon seit undenklichen Zeiten zu Gechingen<br />

gehörten. Die Bauern waren aber verpflichtet, dem neuen Herren Jagdfronen zu leisten, auch<br />

mußten sie für ihn Hunde halten und das erlegte Wild zu dem Ort führen, wo es der Herzog<br />

hinhaben wollte. (siehe auch unter "Württemberg")<br />

Aus dem Forstlagerbuch von 1583:<br />

"Gechingen der Fleck hat einen Wald, die Kirchhalden: Ist Brennholz, ungefähr 100 Morgen,<br />

ein Jungwald.<br />

Item haben sie einen Wald, den Dachtler Berg, Bau und Brennholz, ungefähr 60 Morgen, ist<br />

schön gewachsen und soll nächstes Jahr zu Brennholz geschlagen werden.<br />

Item das Weiler, Bau und Brennholz, 200 Morgen. 100 Morgen vor 30 Jahren abgehauen.<br />

Item ein Wald der Burch, 10 Morgen meist Brennholz ohne Langholz."<br />

Der Förster war damals in Stammheim, das Forstamt hatte seinen Sitz in Böblingen.<br />

Aus dem Fleckenbuch von 1614:<br />

"Anno 1614 haben Schultheiß, Bürgermeister, Gericht, folgende Holzordnung beschlossen:<br />

Zu jedem Neubau soll aus des Flecken Waldungen gegeben werden:<br />

10 große, eichene Stämme<br />

40 große, tannene Stämme<br />

30 kleine tannene Stämme<br />

Je nach Neubaugröße kann die Gemeinde die Holzgabe mindern oder mehren.<br />

Bei Umbauten oder Reparaturen entscheidet die Gemeinde, wieviel Holz dazu gegeben wird."<br />

Diese Bestimmung führte im Lauf der Zeit zu Mißbrauch oder wurde doch bis aufs äußerste<br />

ausgenutzt und zwar anscheinend vor allem von den wohlhabenderen Einwohnern. Jedenfalls<br />

bezieht sich der Einspruch der Bürgerversammlung vom 23.3.1848 darauf (siehe: "Von der<br />

Revolution 1848/49 bis 1870").<br />

1693 heißt es: "Kein Bürger darf einem Fremden Brennholz verkaufen. Wenn einer im Walde<br />

unbefugt Holz holt, soll er mit 1 Pfund Heller bestraft werden."<br />

Jeder Bürger hatte ein Recht auf die "Gab", eine gewisse Menge von Brennholz aus dem<br />

Wald, das ihm kostenlos zustand. Der Umfang der "Gab" richtete sich nach der Größe der<br />

Familie.<br />

Über das Weiden von Vieh in den Wäldern:<br />

"Gechingen der Fleck, Merklinger Amts, haben in ihren eigenen und commun Waldungen seit<br />

undenklichen Zeiten her den Trieb und die Weidgerechtigkeit gehabt, daß sie mit all ihrem<br />

Vieh, Ochsen, Kühen, Pferden und Schweinen nach ihrem Gefallen dieselben nützen und<br />

genießen können, ohne alle Beschwerden."<br />

Das wurde dann später abgeschafft und behördlich verboten. Offenbar hatte man erkannt, daß<br />

die Waldweide auf lange Sicht den Wald zugrunde richtete. 1791 findet sich ein Vermerk, daß<br />

die Forsten in einem desolaten Zustand seien. 1831, bei der Ablösung des Zehnten, werden<br />

die Wälder wieder erwähnt; anscheinend haben sie sich zu diesem Zeitpunkt bis zu einem<br />

gewissen Grad erholt. Inzwischen hatte sich wohl auch die Stallfütterung nach und nach<br />

durchgesetzt. Die Entnahme von Waldheu und Laubstreu ließ sich aber, vor allem in<br />

Notzeiten, nicht ganz vermeiden, doch wurde sie streng reglementiert.<br />

Aus dem Lagerbuch des Heiligen von 1701 u.1746:<br />

"Des Heiligen St.Martin Wälder:<br />

30 Morgen, 36 Ruthen an einem Stück, des Heiligen Wald oder auch des Heiligen Platten<br />

genannt, gegen den Haselstaller Grund, zwischen des gemeinen Flecken Wald und unten auf<br />

die Egarten, sei die Länge solcher 30 Morgen vorgleichen 108 Ruthen und die Breite 42<br />

Ruthen. Mit großen, besonders gemachten und gesetzten Steinen, rings umsteint. Und seien<br />

die Steine 13, nämlich 4 Feldsteine, worunter der Eine oben gegen die Herrschaft und<br />

Fleckenwaldung mit einem H bezeichnet auf der einen Seite, gegen den Haselstaller Hof sein<br />

72


zwischen beiden Feldsteinen 3 Steine, worunter der Dritte gegen den folgenden mit einem H<br />

bemerckt, auf der anderen Seite gegen den Deckenpfronner Pfad sein zwischen selbigen<br />

Feldsteinen noch 4 Stein, unter welchen oben ebenmäßig mit einem H bezeichnet, der Dritte<br />

glatt und der Vierte mit einem H G notiert, dann oben und unten allwegen ein glatter Stein."<br />

Dieser Wald war also Eigentum der kirchlichen Gemeinde.<br />

1712 wurde ein Wildzaun, vor allem gegen die Wildschweine, errichtet. Die Bauern hatten<br />

schon immer unter der Jagdleidenschaft der Herren zu leiden und unter der übertriebenen<br />

Schonung des Wildes, das die Äcker verwüstete und oft genug die Ernte dezimierte oder gar<br />

vernichtete.<br />

1715 gab es eine Jagd in Gechingen.<br />

1718 wurden Nachtwachen eingerichtet, um Wildschaden zu verhüten.<br />

Im 18. Jahrhundert befaßten sich Angehörige der Calwer Compagnie mit dem Holzhandel.<br />

Gechingen besitzt heute ca. 473,2 Hektar Mischwald.<br />

Die Namen der einzelnen<br />

Abteilungen lauteten um 1900 1980 erfolgte eine Neugliederung<br />

1.Bergwald 1.Bergwald<br />

a.Mühlhecke<br />

b.Riedhalde a.Schlossberg<br />

c.Schlossberg b.Torwartsgrund<br />

d.Untere Großbuch c.Großbuch<br />

e.Obere Großbuch d.Forchen<br />

f.Torwartsgrund Nord e.Bergbösch<br />

g.Dachtlerberg Nord<br />

h.Torwartsgrund Süd<br />

i.Dachtlerberg Süd<br />

j.Forchen<br />

2.Weiler 2.Weiler<br />

a.Maasen a.Maasen<br />

b.Herdweg b.Herdweg<br />

c.Lichte c.Lichte<br />

d.Finsterschlag d.Schimpfentannen<br />

e.Schimpfentannen e.Buschacker<br />

f.Buschäcker f.Wasserteich<br />

g.Trauf g.Kohlplatte<br />

h.Birkwald h.Hilsental<br />

i.Wasserteich i.Schnepfental<br />

j.Kohlplatte j.Lindenbusch<br />

k.Hülsental Ost k.Weilerstich<br />

l.Hülsental West l.Zigeunerloch<br />

m.Torweg m.Heiligenwald<br />

n.Weilereck n.Hofäcker<br />

o.Weilerstich<br />

p.Bühlwald<br />

q.Schnepfental Ost<br />

73


.Schnepfental West<br />

s.Lindenbusch<br />

t.Oberes Zigeunerloch<br />

u.Oberer Gerberwald<br />

v.Oberer Heiligenwald<br />

w.Obere Hofäcker<br />

x.Unteres Zigeunerloch<br />

y.Unterer Gerberwald<br />

z.Unterer Heiligenwald<br />

aa.Untere Hofäcker<br />

3.Grundhau 3.Grundhau<br />

a.Pfutsch a.Hofpfad<br />

b.Hofpfad b.Hochrain<br />

c.Grund<br />

d.Hochrain<br />

4.Burch 4.Burch<br />

5.Kirchhalde 1-6 5.Kirchhalde<br />

a.Obere Kirchhalde<br />

b.Vordere Kirchhalde<br />

c.Räderstall<br />

d.Hintere Kirchhalde<br />

6.Bergbösch<br />

Die Wälder bestehen zu ca 60 % aus Nadelbäumen. Der Rest setzt sich aus ca 35 % Buche<br />

und 5 % Eiche zusammen.Der Holzverkauf aus den Wäldern brachte der Gemeinde schon in<br />

früheren Zeiten regelmäßige Einnahmen. Von 1862 an finden sich in Abständen Anzeigen<br />

über Holzverkauf in der Calwer Zeitung.<br />

Im Jahre 1906 erlöste die Gemeinde für einen Raummeter Scheiterholz 12-18 Mark, für einen<br />

Raummeter Tannenholz 6-10 Mark.<br />

Die mittleren Einnahmen der Jahre 1981-1990 aus dem Holzverkauf lagen bei DM 493 897.-.<br />

Die Ausgaben im Mittel für den gleichen Zeitraum betrugen DM 334 257.-, so daß ein<br />

mittleres Jahresergebnis von DM 159 640.- in die Gemeindekasse floß.<br />

Anfang des Jahres 1990 fegten drei große Stürme über das Land. Etwa 8000 Festmeter<br />

Sturmholz fielen an. Die Stürme richteten nicht nur bei den Fichten und Tannen großen<br />

Schaden an, auch achtzig- bis hundertjährige Buchen wurden vom Orkan umgerissen.<br />

Das gegenwärtige Waldsterben bringt einen Verlust von DM 100.000.- pro Jahr. So waren<br />

z.B. 1984 30 % der Wälder geschädigt, und zwar fielen 60% der Tannen unter die Schadstufe<br />

1, 10 % unter Schadstufe 2, bei steigender Tendenz. Um dem Waldsterben entgegenzuwirken,<br />

begann man 1985, Kalk in den Wäldern auszubringen.<br />

Straßenverhältnisse bis zum Beginn der Motorisierung<br />

Die Straßenverhältnisse waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei weitem nicht so gut wie<br />

heute. Zwar wurde im 18. Jahrhundert in Württemberg mit dem Bau eines Straßennetzes nach<br />

heutigen Begriffen begonnen, es gab aber 1787 erst 286 km gepflasterte Fahrdämme<br />

74


(Chausseen). Um den Straßenbau zu finanzieren, hatte 1772 Herzog Carl Eugen von<br />

Württemberg eine Straßensteuer festgesetzt. Die Verordnung macht deutlich, wie damals der<br />

Personen- und Güterverkehr ablief. Der Text lautet:<br />

". . . . und zwar sollen 1.: Auf eine Stunde weit von 1 Pferd an einem beladenen Güterwagen,<br />

Kutschen oder anderen Gefährten, 3 Heller, bei einem leeren Wagen 1 und einen halben<br />

Heller gegeben werden. 1 Pferd, 2 Ochsen oder 2 Kühe zahlen je 3 Heller, Schafe, Schweine,<br />

Hammel, Gaißen und Kälber von 1-10 Stück 3 Heller. Von dieser Abgabe sind befreit:<br />

Hofleute, Militär, Postillions, Gesandte, Fronfahrten aller Art und die Feuerleute. Das<br />

Straßengeld wird von extra Einzugsstationen kassiert. Die Schultheißen der an den Straßen<br />

gelegenen Orten sorgen dafür, daß jeder bezahlt."<br />

Auch das Gewicht der Fahrzeuge war beschränkt:". . kein Fuhrmann darf über 60 Zentner<br />

laden und nur 6 Vorspannpferde nehmen." - Diese Maßnahme war notwendig, um den<br />

Zustand der Straßen zu erhalten. Diese Vorschriften sollten uns zu denken geben, wenn wir<br />

heute über zu viel Bürokratie klagen.<br />

In Gechingen existierte zwar ein Wegenetz, aber die Straßen waren, wie die meisten<br />

Landstraßen, nach heutigen Begriffen Feldwege mit teilweise schlechtem Unterbau.<br />

Gewohnheiten vieler Generationen und dauernde Benützung haben diese Wege meist schon in<br />

vorgeschichtlicher Zeit entstehen lassen. Von den nachfolgenden Bewohnern wurden sie dann<br />

übernommen. Sie gingen, nicht zuletzt aus militärischen Gründen, aber auch weil in den<br />

versumpften Tälern keine Verkehrswege möglich waren, über die Höhen. So z. B. die<br />

Ochsenstraße, die vom Jägerberg über Ostelsheim und Döffingen nach Sindelfingen führt. Die<br />

alte Straße nach Deufringen, heute noch als Feldweg vorhanden, zieht sich in halber<br />

Höhenlage am Berg talwärts. Die sogenannte "Römerstraße" kommt von Deckenpfronn und<br />

führt laut Oberamtsbeschreibung 1860 unter der Bezeichnung "Hochsträß" über die zu<br />

Gechingen gehörende Flur "Altenburg" (gemeint ist der "alte Burch") nach Althengstett.<br />

Benützt wurden die Straßen um unser Dorf von Fuhrwerken und Fußgängern, ab und zu mal<br />

vielleicht von einer Chaise, und führten über Gelände bergauf und bergab. Irgendeine Art von<br />

organisiertem Personenverkehr gab es noch nicht. Wie isoliert noch zu Beginn des 19.<br />

Jahrhunderts eine Dorfgemeinschaft lebte, wenn der Ort nicht an einer Handelsstraße lag,<br />

macht ein Brief deutlich, der sich aus dieser Zeit erhalten hat. Der <strong>Gechinger</strong> Johannes<br />

Böttinger schreibt am 12. März 1832 aus der Kaserne in Ludwigsburg an seine Eltern:<br />

"Vielgeliebte Eltern und Geschwister, . . . . Auf 0stern oder auf Kirchweih bekomme ich<br />

vielleicht Urlaub, dann werde ich euch besuchen. Aber ein Tag Urlaub nützt mir nichts, da<br />

könnte ich ja doch nicht zu euch kommen. Ihr wißt ja selbst, daß es weit ist, und wenn ich je<br />

zwei Tage bekommen würde, so hätte ich gerade mit Hin- und Herlaufen zu tun."<br />

Jedoch stieg auch in Gechingen nach und nach der Verkehr, und die Einsicht setzte sich<br />

durch, daß die alten Straßen dem nicht gewachsen waren. Allmählich kamen auch die ersten<br />

landwirtschaftlichen Maschinen auf, die die Straßen stärker beanspruchten. In der<br />

Oberamtsbeschreibung von 1860 heißt es: ". . . .landwirthschaftliche Neuerungen, wie<br />

verbesserte Pflüge, Walzen, Repssämaschinen, einfache Joche etc. haben Eingang gefunden."<br />

Die erste richtige Straße nach heutigen Maßstäben, die hier gebaut wurde, war 1830 die nach<br />

Althengstett. Ebenso wurde eine Verbesserung bzw. ein Neubau der Straße in Richtung<br />

Deufringen immer dringlicher. Die erste Straße dorthin, von der wir wissen, führte durch die<br />

Riedhalde. Die <strong>Gechinger</strong> Burg lag zumindest in ihrer Nähe, so daß sie eine Kontrollfunktion<br />

für den Verkehr auf dieser Straße gehabt haben dürfte. Nach 1730 zog die Deufringer Straße<br />

auf halber Höhe über die heutige Bergwaldsiedlung den Dachteler Bergwald entlang. So war<br />

Dachtel "naheliegender" als Deufringen und die erste Postkutschenlinie, die durch Gechingen<br />

führte (seit 1883), verkehrte von Dachtel über Gechingen nach Calw.<br />

1895 beschloß dann endlich der Gemeinderat laut Protokoll:<br />

75


"Es wird eine neue Straße nach Deufringen gebaut, Gechingen bezahlt 2/3, Deufringen 1/3 der<br />

Kosten." 1901 konnte die neue Trasse vermessen werden. Die Meßgehilfen, Christian Gehring<br />

und Friedrich Breitling, erhielten pro Tag und Mann je 2 Mark. Der Kostenvoranschlag belief<br />

sich auf 34 000 Mark. Im Protokoll heißt es weiter: "Gechingen möge ein Staatsbeitrag von 33<br />

1/3 % gewährt werden, da Gechingen für Deufringen einen Zuschuß von 5000 Mark zur<br />

Verfügung stellt". Diese 5000 Mark gab Gechingen der, wie es in einem anderen Protokoll<br />

heißt, "armen Gemeinde Deufringen", da sonst der Straßenbau nicht zustande gekommen<br />

wäre. Gechingen lag nämlich mit seiner Steuerkraft im alten Oberamt Calw an dritter Stelle<br />

nach Calw und Stammheim. Auch Aidlingen mußte für Deufringen einen Beitrag leisten.<br />

Am 25. Juni 1905 war die Straße fertig und wurde von Schultheiß Ladner, Gemeinderat<br />

Ludwig Schwarz und Bürgerausschußmitglied Dingler abgenommen.<br />

Im Zusammenhang mit diesem Straßenbau steht die erste Flurbereinigung in Gechingen. Von<br />

1903-1908 wurden 58 ha im Deufringer Tal umgelegt.<br />

Gechingen und seine Bewohner<br />

Bevölkerungsbewegungen<br />

Die Merklinger Schätzungslisten von 1448 und 1470 zählen in Gechingen: Vermögende<br />

Hausbesitzer 47, Einwohner ohne Haus 5, völlig Mittellose 10. Geschätzte Zahl der<br />

Einwohner: Ungefähr 350-450 Personen. (Siehe "Vom frühen Mittelalter bis zum<br />

Bauernkrieg"). Aus noch früheren Jahrhunderten liegen keine Bevölkerungungszahlen vor.<br />

Um 1618 lebten 140 Familien in Gechingen. Wenn man den früher üblichen Kinderreichtum<br />

berücksichtigt, kommt man auf von ca. 1 400 Einwohner. Das sind mehr, als Ackerbau und<br />

Viehzucht in Gechingen zu jener Zeit ernähren konnten. Bei der damals aufblühenden ersten<br />

Industrie im Lande, der Tuchherstellung, die von Calw aus betrieben wurde und der in allen<br />

Dörfern ringsum Zeugmacher und Weber zuarbeiteten, waren auch viele <strong>Gechinger</strong><br />

beschäftigt, die Männer als Weber, die Frauen als Spinnerinnen, und hatten davon ihr<br />

Auskommen.<br />

Der 30-jährige Krieg dezimierte den Einwohnerstand auf ca. 430 Personen im Jahr 1650. Nur<br />

sehr langsam stieg die Einwohnerzahl wieder an. Erst in der Zeit zwischen 1950 und 1965<br />

wurde der Stand von 1618 überschritten. Gründe für das schwache Bevölkerungswachstum<br />

gab es viele: Einer war die enorm große Säuglingssterblichkeit, die durch Hungersnöte noch<br />

verstärkt wurde. Dann ging der Verdienst oder Nebenverdienst durch die Zeug- und<br />

Tuchweberei laufend zurück. Die Arbeit wurde immer schlechter entlohnt und ab 1797, als<br />

die Calwer Compagnie aufgeben mußte, entfiel dieses Einkommen ganz. Durch Mißwirtschaft<br />

der Landesherren und dadurch bedingt, steigende Abgaben, auch durch übermäßige Wildhege,<br />

die Ernteeinbußen und vermehrte Jagdfronen mit sich brachte, stieg die Neigung, vor allem<br />

bei jungen Leuten, auszuwandern. Vom Soldatenhandel war Gechingen ebenfalls betroffen,<br />

auch junge Männer von hier wurden als Söldner ins Ausland verschachert.<br />

1772 zählte man 500 Seelen. Im Jahre 1821 war die Bevölkerung sprunghaft auf 1 002<br />

Einwohner angestiegen. 1834 hatte Gechingen dann 1107 Ortsangehörige, davon waren 545<br />

männlichen und 562 weiblichen Geschlechts. Im Jahre 1860 wird Gechingen als Bauerndorf<br />

geschildert (Oberamtsbeschreibung); Gewerbetreibende gab es nur für die lokalen<br />

Bedürfnisse. Einen Höchststand erlangte die Einwohnerzahl im Jahr 1880 mit 1 230 Personen.<br />

Diese Entwicklung wurde wahrscheinlich durch die im Anfang des 19. Jahrhunderts nach und<br />

nach beginnende allgemeine Erhöhung der Ernteerträge möglich. Die Verbesserung des<br />

Saatguts hatte dazu geführt, auch wurden neugewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse über<br />

Düngung und Fruchtwechsel nach und nach umgesetzt. Dazu beigetragen hat sicher auch die<br />

Stallfütterung, die sich immer mehr verbreitete. Vor allem König Wilhelm I. (er regierte 1816-<br />

76


64) war sehr darauf bedacht, den Ackerbau zu heben. Die ersten landwirtschaftlichen<br />

Maschinen sind in dieser Zeit allmählich eingeführt worden. Die Gefahr der Hungersnöte war<br />

aber noch keineswegs gebannt, sie wurden aber seltener.<br />

Ab 1900 mit 1 088 Einwohnern sank der Stand der Bevölkerung wieder langsam, was mit der<br />

zunehmenden Industrialisierung Württembergs und der damit einsetzenden Landflucht<br />

zusammenhängen dürfte. Noch um die Mitte des 19. Jhdts. war Württemberg weit<br />

überwiegend von der Landwirtschaft geprägt, aber schon 1912 machte der<br />

Bevölkerungsanteil, der von Industrie und Handel lebte, fast die Hälfte (49,5%) der<br />

Einwohner Württembergs aus. Die Auswanderung war dagegen ganz zurückgegangen.<br />

Im Jahr 1940 gab es 936 Einwohner in Gechingen. Eine erste Steigerung läßt sich 1950<br />

ablesen. Unser Ort hatte in diesem Jahr 1 035 Bewohner, davon waren 744 Erwachsene über<br />

18 Jahren. In den folgenden 15 Jahren bis 1965 stieg die Bevölkerungszahl langsam auf 1 905<br />

Einwohner an. Dann kam es durch rege Bautätigkeit und den Zuzug vieler neuer Mitbürger zu<br />

einem rascheren Anstieg. Im Jahr 1979 wurde die Zahl von 3000 Einwohnern überschritten.<br />

Seitdem nimmt die Bevölkerung wieder langsamer zu. Im Jahre 1989 waren es ca. 3 400<br />

Einwohner. In den genannten Zahlen der letzten Jahre sind die ausländischen Mitbürger<br />

immer mit eingerechnet. Die ersten Gastarbeiter kamen etwa 1960 nach Gechingen. 1966<br />

waren es dann 145 Personen. 1981 erreichte die Zahl der Ausländer mit 481 ihren Höhepunkt,<br />

das waren etwas über 15 % der Gesamtbevölkerung. Durch die nachlassende Konjunktur<br />

sahen sich dann aber manche Gastarbeiter veranlaßt, wieder in ihre Heimat zurückzukehren,<br />

so daß 1984 nur noch 428 und 1985 nur noch 354 Ausländer in Gechingen wohnten. Der<br />

größte Teil der in ihre Heimat zurückkehrenden Gastarbeiter waren Türken. Ihr Anteil betrug<br />

im Jahr 1981 noch 213 Personen, bis 1985 war er auf 123 Personen gesunken. Auch bei den<br />

italienischen Gastarbeitern fiel in dem entsprechenden Zeitraum die Zahl von 131 auf 102<br />

Personen. Bei der drittstärksten ausländischen Gruppe, den Jugoslawen, ist ein<br />

gleichbleibender Stand von 56 Einwohnern zu verzeichnen. Insgesamt gesehen war der<br />

Bevölkerungsanteil der ausländischen Mitbürger rückläufig. Das änderte sich, als der<br />

Gemeinde ausländische Asylberwerber zugewiesen wurden. Die Zahl der Asylsuchenden<br />

schwankt zwischen 30 und 50 Personen. Aber auch hier sinkt auf Dauer der Zustrom.<br />

Bauer, Bäuerinnen und Bauernhäuser<br />

In der Oberamtsbeschreibung von 1860 steht folgendes über die <strong>Gechinger</strong>:<br />

"Die im allgemeinen körperlich kräftigen Einwohner, welche seit Menschengedenken von<br />

epedemischen Krankheiten verschont blieben, sind sehr fleißig und finden ihre<br />

Nahrungsquellen in Feldbau und Viehzucht, indem die Gewerbe, mit Ausnahme einer<br />

Ziegelhütte, nur den örtlichen Bedürfnissen dienen. Schildwirtschaften bestehen drei und ein<br />

Kaufmann wie auch ein Krämer sind vorhanden.<br />

Die Vermögensumstände gehören zu den besseren des Bezirks, indem der sogenannte<br />

Mittelstand vorherrscht und eigentlich Arme sich nur wenige im Ort befinden. Der<br />

vermöglichste Bürger hat einen Besitz von 33 Morgen, während der größte Theil der<br />

Einwohner 10-15 Morgen besitzt, die Unbemittelten haben 1-2 Morgen und nur wenige sind<br />

ohne Grundbesitz. Die Markung ist so sehr vertheilt, daß die meisten Grundstücke nur 1/4-1/2<br />

Morgen betragen."<br />

Der Fleiß, der hier den <strong>Gechinger</strong>n nachgesagt wird, war auch vonnöten. Schon Hans Sachs<br />

beschreibt die Bauernarbeit folgendermaßen:<br />

"Der Bauwer<br />

Ich aber bin von art ein Bauwer<br />

Meine Arbeit wirt mir schwer und sauwr.<br />

Ich muß Ackern, Seen und Egn<br />

77


Schneyden, Mehen, Heuwen dargegn<br />

Holtzen und einführen Hew und Treyd<br />

Gült un Steuwr macht mir viel hertzleid<br />

Trink Wasser und iß grobes Brot<br />

Wie denn der Herr Adam gebot."<br />

(„Ich aber bin von Art ein Bauer. Meine Arbeit wird mir schwer und sauer. Ich muß ackern,<br />

säen und eggen, schneiden, mähen und heuen, holzen und Heu und Getreide einführen.<br />

Abgaben und Steuern machen mir viel Herzeleid. Ich trinke Wasser und esse grobes Brot, wie<br />

es der Herr schon Adam geboten hat.")<br />

So mühsam, wie hier für das 16. Jahrhundert beschrieben, war die Arbeit der Bauern bis weit<br />

in unser Jahrhundert hinein. Erst als sich landwirtschaftliche Maschinen durchgesetzt hatten,<br />

wurde sie leichter. Es soll jetzt die Getreideernte in Gechingen geschildert werden, wie sie vor<br />

dem Maschinenzeitalter vor sich ging. (soweit die älteren <strong>Gechinger</strong> sich noch erinnern<br />

können oder vom Hörensagen wissen.)<br />

Teilweise wurde noch um die Jahrhundertwende das Getreide mit der Sichel geschnitten,<br />

dadurch fielen weniger Körner aus den Ähren. Sensen verwendete man nur für Hafer. Später<br />

nahm man Sensen auch für das Brotgetreide. Während das Schneiden mit der Sichel noch<br />

vorwiegend Frauen besorgt hatten, arbeiteten mit der Sense im allgemeinen die Männer.<br />

"Wenn mr gmäht hod, isch mer morgens um drui fort", so erzählte mir ein alter <strong>Gechinger</strong>.<br />

Von 1/2 5 Uhr bis 9 Uhr wurde ununterbrochen gearbeitet, dann gab es eine Pause, Brotessen<br />

oder Vesper. Um 11 Uhr läutete die große Kirchenglocke und die Frauen eilten nach Hause,<br />

um zu kochen und das Vieh im Stall zu versorgen. Nach dem Mittagessen, das den Männern<br />

von den Frauen aufs Feld gebracht wurde, ging die Arbeit bis 18 Uhr weiter. Vor dem<br />

Abendessen mußte dann erst noch das Vieh versorgt werden.<br />

Bei Gras mähte man vom stehengebliebenen Gras weg ("wegmäha"). Aber bei der<br />

Getreideernte wurde gegen das noch nicht Gemähte geschnitten ("namähe"). So konnten die<br />

Halme nicht auf den Boden fallen. Gehilfen, meist Frauen, nahmen sie mit der Sichel auf und<br />

legten sie auf dem abgemähten Feld in Reihen zu "Sammletsen" aus ("weglega"). Bei gutem<br />

Wetter blieb das ausgelegte Getreide 2-3 Tage lang liegen, damit die Körner hart wurden und<br />

das Stroh gut trocken war. War das Wetter dagegen schlecht, mußte man alle paar Tage<br />

"omdreha", d. h., das Untere nach oben wenden, sonst wäre das Korn "ausg´waase"<br />

(ausgewachsen). Man konnte es auch "ufböckle" (zu kleinen Garben binden,) von denen<br />

jeweils ein paar mit den Ähren nach oben zusammengestellt wurden.<br />

Zum Einholen der Ernte wurden die Sammletsen a´grecht, d.h. man rechte soviel zusammen,<br />

daß es mit den Armen gut aufgenommen und auf das Garbaseile gelegt werden konnte<br />

("a´traga"). Vier Armvoll brauchte man etwa für eine Garbe. - Ehe die Garbaseile sich<br />

durchsetzten, verwendete man zum Garbenbinden auch Hopfenranken oder Strohseile. Das<br />

Auslegen der Garbaseile war im allgemeinen Kinderarbeit. Das Klötzle mußte auf der<br />

richtigen Seite der Garbe liegen und dem Binder geboten werden, wenn er auf der Garbe<br />

kniete und sie mit dem Seil zusammenspannte. Auch dieses Bieten war Kinderarbeit.<br />

Als Erntewagen hatten viele keinen speziellen, großen Wagen, schon aus Platzgründen. Zur<br />

Heuernte konnte der Mist- oder Futterwagen verlängert und zum Leiterwagen umgerüstet<br />

werden ("ufrichta"). Hinten wurde das Wagengestell dann durch eine drehbare Welle<br />

abgeschlossen. Diese Spannwelle war ein Teil der Spannvorrichtung, mit der man eine Heu-<br />

oder Garbenladung zusammenpreßte und damit für den Transport befestigte. Über die gesamte<br />

Wagenlänge kam der Wiesbaum ("Wiesboom"), er wurde mit Seilen so verspannt, daß die<br />

Ladung auch auf hochbeladenen Wagen festhielt. Die Spannseile liefen über die Welle und<br />

wurden festgezurrt mit Hilfe der "Wellnägel", die man in Löcher der Spannwellen einführen<br />

und diese damit drehen und so die Seile in der Spannung halten konnte. - Nachdem das Öhmd<br />

eingebracht worden war, wurde der Wagen wieder "a(b)g´richtet" bis zur nächsten Heuernte.<br />

78


Zu den Arbeiten im Herbst, Winter und Frühjahr, wie Kartoffel- und Rübenernte und<br />

Futterholen genügte der kleine Wagen.<br />

Zum "Uflada" waren zwei Mann vonnöten, einer, der die Garben bot und einer, der sie im<br />

Wagen aufschichtete. Zuerst mußte das Gestell des Wagens mit Garben aufgefüllt werden.<br />

Die restlichen Garben wurden in "Glecken" ("Gelegen") angeordnet. Hier lagen die Garben<br />

quer zum Wagen, die Strohseite nach außen, in der Mitte die Ähren und zwar so, daß je zwei<br />

sich gegenüberliegende Garben mit den Ähren überdeckten. Die Garben ragten hüben und<br />

drüben etwas über die Leiterbäume hinaus. In einem Gleck hatten 16 - 20 Garben Platz. Ein<br />

Wagen konnte mit drei bis vier Gleck beladen werden, man mußte aber die Kräfte der<br />

Zugtiere und die Beschaffenheit des Weges berücksichtigen. Auf steilen Strecken war der<br />

Wagen bereits mit drei Gleck gut beladen.<br />

In der Scheuer angekommen, zog man die Garben mit Hilfe des "Grechrädles" (eines<br />

Holzrads, das oben am First befestigt war), nach oben. Über das Grechrädle lief ein Seil, das<br />

mit einem Haken versehen war, der in das Garbaseil eingehängt wurde. Wichtig war, daß<br />

beim Binden der Garbe darauf geachtet wurde, daß ihr Schwerpunkt auf der Ährenseite lag,<br />

schon das Beladen des Erntewagens ging so leichter vonstatten und die Garben ließen sich<br />

beim Hochziehen und auch beim Stapeln besser handhaben. In den oberen Geschossen der<br />

Scheuer ("Baarn") schichtete man die Garben reihenweise auf.<br />

Im Spätherbst begann der Flegeldrusch, der sich bis in den Winter hineinzog. Hermann<br />

Schmid erzählt in seinen Lebenserinnerungen: "Im Winter, wenn die Feldarbeit eingestellt<br />

war, wurde gedroschen. Wagen, Karren, alles was in der Tenne war, kam raus. Der Boden<br />

wurde sauber gefegt, einer ging die Leiter hoch und warf die Garben runter, bis der Boden auf<br />

beiden Seiten voll war. Dann wurden sie aufgemacht und auseinandergebreitet, daß Ähren<br />

gegen Ähren lagen. Nachdem gedroschen war, wurden die Garben umgedreht und auf der<br />

anderen Seite bearbeitet. Zum Schluß band man das Stroh zusammen und zog es in die<br />

Scheune hoch. Die Frucht wurde mit der Putzmühle gereinigt, in Säcke abgefüllt und auf die<br />

Bühne getragen, dort ausgeleert und wochenlang getrocknet."<br />

Gedroschen wurde meistens von 6 bis 8 Uhr, danach gab es zum Morgenessen Haberbrei.<br />

Dann arbeitete man weiter bis zum Mittagessen um 12 Uhr, anschließend putzte man die<br />

Frucht. Putzmühlen gab es seit 1860, Dreschmaschinen kamen um 1900 in Gebrauch. Um den<br />

Takt beim Flegeln zu halten, gab es für Anfänger besondere Sprüche, z.B. bei drei Dreschern:<br />

"Friß Roßdreck." Bei vier Mann hieß es: "Kraut on Spätzle" oder "Suppen schlappen", bei<br />

fünf Dreschern: "Schuldes, du Zipfel", bei sechs: "Katz hat Supp nagschlabbert."<br />

Auch die Arbeit der Bäuerinnen war schwer. Zur Feldarbeit mußten sie ihr Teil beitragen, die<br />

Bestellung der Gärten blieb ihnen meist ganz überlassen. Auch im Stall leisteten sie einen<br />

großen Teil der anfallenden Arbeiten, die Kleintierhaltung oblag ihnen gänzlich. Sie zogen<br />

den Nachwuchs auf, kochten, wuschen, putzten, flickten, spannen und schneiderten die<br />

benötigten Kleider. Der Arbeitstag dauerte durchschnittlich 15 - 16 Stunden. Durch die vielen<br />

Geburten, acht bis zwölf Kinder pro Familie waren die Regel, starben viele Frauen in jungen<br />

Jahren. Dann war der Witwer der Kinder wegen gezwungen, schnellstens wieder zu heiraten.<br />

Die Kindersterblichkeit lag um 1850 in Württemberg bei 34 %, das heißt, von 100 Säuglingen<br />

überlebten nur 66.<br />

Zurück zur Frauenarbeit: Eine der wichtigste Aufgaben war das Versorgen der Familie mit<br />

Nahrung. Damit verbunden war auch die Vorratshaltung und das Haltbarmachen von<br />

verderblichen Nahrungsmitteln. Brot wurde alle 8 bis 14 Tage im Gemeindebackhaus<br />

gebacken. Als Triebmittel für den Teig verwendete man Sauerteig ("Hefel"). Die fertigen,<br />

großen, runden Brotlaibe wurden im Keller auf der "Brothange" gelagert. Das war ein Brett,<br />

das an Ketten von der Kellerdecke hing, zum Teil mußte das Brot auch noch darauf mit<br />

Hauben aus Drahtgitter vor Ratten geschützt werden. Am Backtag, an dem die Frauen nicht so<br />

79


viel Zeit zum Kochen hatten, gab es allgemein Spickleng zum Essen, einen Kartoffelkuchen,<br />

der im Backhaus auch gleich gebacken wurde - eine <strong>Gechinger</strong> Spezialität (Siehe „Rezepte“).<br />

Die Mahlzeiten wurden zum allergrößten Teil aus selbst erzeugten Lebensmitteln zubereitet.<br />

Mehlspeisen spielten traditionell eine große Rolle, aber auch Kartoffeln, Milch und Eier.<br />

G´standene (saure) Milch und Kartoffeln aus der Hand (Pellkartoffeln) mit Salz, das gab es oft<br />

zum Abendessen oder auch g´standene Milch, in die Brot eingebrockt wurde. Im Sommer und<br />

Herbst kam auch selbstgezogenes Gemüse oder Salat auf den Tisch, im Winter gab es sehr<br />

häufig Kraut. Ein Ländle im Krautgarten und eine Krautstande für das Sauerkraut gehörten zu<br />

jedem Haushalt. Auch Hülsenfrüchte, vor allem Linsen ("Leisa") waren ein Winteressen. Hin<br />

und wieder gab es wohl auch Dampfnudeln, Schwedaknöpfla oder Ofenschlupfer mit Schnitz<br />

ond Zwetschga. Auch Suppen galten als vollwertiges Gericht, vor allem abends; Milchsuppe<br />

konnte auch schon morgens aufgetischt werden. Da gab es Brennte (Mehl-)Supp und<br />

Riebelessupp, Habersupp, Wasserspätzle, Grieß- und Nudelsupp. Fleisch und Wurst kamen<br />

nur selten vor.<br />

Auch die Küchenarbeit war hart und mühsam. Wasser mußte bis 1906, als Gechingen eine<br />

Wasserleitung bekam, von offenen Brunnen, die oft viele Meter vom Haus entfernt waren, in<br />

Eimern oder Kübeln geholt werden. Das Wasser, wie auch andere schwere Lasten, zum<br />

Beispiel die Backschüssel mit Brotteig, trugen die Frauen meist auf dem Kopf, auf den vorher<br />

ein "Bauscht" gelegt wurde.<br />

Schmutzwasser schüttete man in die Gosse.<br />

In der allerersten Zeit hatte man zum Kochen eine ausgemauerte Feuerstelle mit offenem<br />

Kamin, Kessel, Pfanne, Rührlöffel und ein eiserner Bratspieß waren, nebst ein paar irdenen<br />

Gefäßen, die ganzen Küchengeräte. Später hatte man große, gemauerte Herde. Sie bestanden<br />

aus einem gemauerten Block, auf dem das Feuer offen brannte. Darüber war der Rauchfang,<br />

in dem Fleisch und Wurst geräuchert werden konnten. Die Küchen waren damals immer rußig<br />

und voller Rauch und meist kleine Räume, ausschließlich für die Küchenarbeit bestimmt. Ab<br />

Beginn des 19. Jahrhunderts kamen nach und nach gußeisernen Herde auf, bei denen die<br />

Feuerung sich unter einer Eisenplatte befand. Ein Blechrohr ragte in den Kamin. Nun war die<br />

Arbeit in der Küche nicht mehr ganz so unangenehm. Feuerpolizeiliche Vorschriften, die die<br />

Abschaffung der nach unten offenen, besteigbaren Kamine und enge Zugkamine verlangten,<br />

verhalfen dazu, die Küchen allmählich rauch- und rußfrei zu machen. Nun konnte die Hitze<br />

effektiver genutzt und das Feuerholz gespart werden. In manchen Küchen gab es auch für<br />

einige Zeit offene und geschlossene Herdstellen nebeneinander.<br />

Die großen Küchenherde mit Holzfeuerung kennen die Älteren von uns wohl noch alle. Die<br />

einzelnen Kochstellen waren mit Herdringen abgedeckt, von denen man je nach Größe des<br />

Kochhafens oder der Pfanne einige oder alle entfernen konnte, so daß es möglich war, über<br />

offenem Feuer zu kochen. Manche Häfen waren auch zweiteilig, der obere Teil stand etwas<br />

über und wurde mit diesem Rand auf die entsprechend aufgedeckte Kochstelle gesetzt, die<br />

untere Hälfte, die direkt im Feuer hing, hatte einen kleineren Durchmesser. Gerichte, die nur<br />

gelinder Hitze bedurften, köchelten auf der heißen Herdplatte. Natürlich waren Häfen und<br />

Pfannen immer vom Feuer rußgeschwärzt.<br />

Später bevorzugte man größere Küchen, in denen meist auch ein Tisch als Arbeitsplatte oder<br />

für einen schnellen Imbiß stand, die Küche eignete sich jetzt auch eher als Aufenthaltsraum.<br />

Oft wurde auch das Säufutter in der Küche vorbereitet und gekocht, da brauchte man Platz.<br />

Nun setzten sich die emaillierten Herde durch, wie man sie vor allem in Form von<br />

Beistellherden vielfach heute noch hat.<br />

Für die meisten Frauen war der Waschtag ein besonders gefürchteter, weil überaus<br />

anstrengender Tag. Am Abend zuvor mußte die Wäsche eingeweicht werden. Die<br />

Einweichlauge wurde aus Holzasche gewonnen. Diese enthält wasserlösliche Pottasche, die<br />

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wie Soda wirkt und benützt werden kann. Ein Korb wurde mit einem alten Stück Stoff, dem<br />

Aschentuch, ausgelegt, Asche hineingegeben und mit kochendem Wasser übergossen. Das so<br />

abgeseihte Wasser enthielt nun die gelöste Pottasche und konnte zum Einweichen verwendet<br />

werden. Die festen Ver-brennungsrückstände blieben auf dem Tuch im Korb zurück. Am<br />

andern Morgen wurde die Wäsche mit Kernseife eingeseift und auf dem Waschtisch oder auf<br />

einem Brett eingebürstet, vor allem an stark verschmutzten Stellen. Vor der Zeit der<br />

beheizbaren Waschkessel wurde die vorbehandelte Wäsche dann in einem Zuber mit auf dem<br />

Herd zum Kochen erhitzten Wasser gebrüht, in späterer Zeit im Waschkessel gekocht, wobei<br />

man sie mit dem Wäschestampfer bearbeitete. Der Waschkessel, der sich im 19. Jahrhundert<br />

nach und nach überall durchsetzte, war transportabel, denn man wartete nach Möglichkeit<br />

gutes Wetter ab und wusch meist im Freien. Er bestand aus einem gußeisernen, runden<br />

Ofenteil, das mit Schamotte ausgekleidet war und auf metallenen Beinen ruhte wie ein<br />

Stubenofen. Durch ein Ofentürle war er ganz normal zu heizen, das Ofenrohr ragte in die Luft.<br />

Der eigentliche Kessel war in den Ofenteil eingelassen, der die untere Partie des Kessels wie<br />

ein Wulst umgab. Direkt oberhalb dieses Wulstes waren Handgriffe am Kessel angebracht,<br />

damit man diesen nach Bedarf herausheben konnte.<br />

Wenn die Wäsche gut gekocht hatte, benutzte man die Wäschezange, um sie aus der heißen<br />

Lauge herauszuheben. Kleinere Stücke konnte man direkt mit ihr fassen, bei größeren war sie<br />

eine Hilfe, um das Wäschestück so über den hölzernen Waschlöffel zu ziehen, daß man damit<br />

das Stück herausholen konnte. Zuber mit Wasser zum Schwenken, die auf Holzböcken stehen<br />

konnten, standen neben dem Waschkessel bereit, da hob man die Wäsche hinein und bewegte<br />

(schwenkte) sie mit dem Waschlöffel. Auch da wurde die Wäsche noch einmal<br />

durchgemustert und wenn ein Teil nicht ganz sauber geworden war, wurde es nachbehandelt.<br />

Das Schwenken wurde noch ein paarmal mit frischem Wasser wiederholt, beim letztenmal<br />

kam Waschblau oder Sil ins Schwenkwasser. Darin ließ man die Wäsche einige Zeit liegen.<br />

Zum Auswinden brauchte man bei den großen Stücken zwei Personen, die Frauen halfen sich<br />

am Waschtag gegenseitig aus.<br />

Zum Aufhängen der Wäsche wurde ein Waschseil gespannt. Dieses wurde an großen Bäumen<br />

befestigt. An manchen Häusern gab es auch Haken für das Waschseil und in manchem Hof<br />

oder Garten fest eingemauerte Wäschestotzen zu diesem Zweck. Wenn man schwere<br />

Wäschestücke auf die oft recht lange Leine hängte, hatte man Stützen in Form von Latten,<br />

etwa in der Länge von Bohnenstecken. Diese hatten oben eine Kerbe, die der Dicke des<br />

Waschseils entsprach. Man verhinderte mit ihnen, daß das Waschseil zu weit nach unten hing<br />

und die Wäsche womöglich am Boden schleifte.<br />

Bett- und Tischwäsche mangelten die Frauen von Hand mit einer Holzmangel. Sie mußte von<br />

zwei Personen bedient werden, wobei die eine, häufig ein Kind, "triebelte" und die andere das<br />

Wäschestück, wenn nötig der Walzenbreite entsprechend zusammengelegt, zwischen die<br />

beiden sich drehenden Walzen schob und dann auseinandergezogen hielt, daß es glatt gepreßt<br />

wurde.<br />

Kleinere Wäschestücke wurden gebügelt. Entweder hatte man ein Holzkohlen- oder ein<br />

Stahlbügeleisen. Letzteres war hohl und hatte an der hinteren Seite eine Klappe, in die der<br />

erhitzte Bügelstahl eingelegt werden konnte. Bei beiden Arten war es sehr schwierig, die<br />

Bügeltemperatur so einzurichten, daß die Wäsche geglättet, aber nicht versengt wurde. Nach<br />

dem Zusammenlegen gehörte noch das Verstauen in den Wäscheschrank zur großen Wäsche.<br />

Das Ganze war eine sehr zeitaufwendige Arbeit, die sich oft zwei bis drei Tage lang hinzog.<br />

Verständlich, daß früher die Wäsche nicht so oft gewechselt wurde wie heute.<br />

Der Wäscheschrank war der Stolz der Hausfrau, den sie mit selbstgestickten Sprüchen<br />

schmückte. Zum Beispiel: "Was Rocken, Webstuhl und Nadel gemacht, wird hier fein<br />

säuberlich untergebracht. Willst Du das Ganze richtig verwalten, gilt´s Neues zu schaffen und<br />

81


Altes erhalten."Oder: "Geblüht im Sommerwinde, gebleicht auf grüner Au, liegt still es nun<br />

im Spinde als Stolz der deutschen Frau."<br />

Die Mädchen saßen an den Winterabenden bei Kerzen- oder Petroleumlicht und nähten<br />

oder stickten an ihrer Aussteuer, lange bevor sie einen Bräutigam hatten. Viel Wäsche<br />

bedeutete viel Ansehen und Reichtum. Monogramme in Bettwäsche, Handtüchern und<br />

Taschentüchern wiesen für das ganze Leben aus, was in die Ehe eingebracht wurde.<br />

Wäsche und Kleidung war in früherer Zeit im Vergleich zu den allgemeinen<br />

Lebenshaltungskosten sehr teuer oder recht mühsam herzustellen - und die Frauen gingen<br />

äußerst sorgsam damit um und versuchten, die einzelnen Stücke möglichst lange zu<br />

erhalten. Da wurden feine Wäschestücke gewiefelt auch Tisch- und Taschentücher, Socken<br />

und Strümpfe kunstgerecht gestopft, oder, wenn sie zu sehr zerrissen waren, neue Spitzen<br />

an- oder neue Fersen eingestrickt. Bei Strümpfen wurde, wenn die Länge noch gut war, ein<br />

neues Fußteil angestrickt. Selbstgestrickte Socken, vor allem Männersocken, besetzte man<br />

von Anfang an auf dem Sohlenteil mit Stoff, damit das Gestrickte beim Gebrauch geschont<br />

wurde. Kleidungs- und Wäschestücke wurden, vor allem wenn sie an Strapazierstellen<br />

dünn ("blöd") geworden waren, unterlegt. Nur das Ausbessern zerissener Teile, wobei ein<br />

Stück Stoff ("Blätz") ein- oder darübergesetzt wurde, nannte man flicken.<br />

Besonders bemühte man sich um die Bettwäsche, damit sich die möglichst lange hielt. Die<br />

Ecken der Deckbettbezüge ("Ziachen") wurden durch Unterlegen verstärkt und innen ein<br />

Bändel angenäht, dem jeweils ein Bändel an den Ecken des Inletts entsprach. So ließen<br />

sich die Ziachen am Deckbett festbinden, was zugleich auch das Bettenmachen erleichterte.<br />

Nun noch einiges über bäuerliches Wohnen (ca. 1860): Kam man in ein altes Bauernhaus,<br />

gelangte man zunächst in den geräumigen Flur ("Ern"), in dem Gerätschaften wie Geschirre,<br />

Peitschen und andere Dinge an der Wand hingen. Eine Tür führte zum Stall, kleine Fenster<br />

erhellten diesen. Über eine Treppe gelangte man vom Flur zum Wohnstock und zur Küche,<br />

deren Wände mit Kalk geweißt waren. In der Ecke stand der aus Backstein aufgemauerte<br />

Herd, über dem sich der offene Rauchabzug befand. Das Schüsselbrett mit Kochtöpfen und<br />

Schüsseln, Messingpfannen, Zinntellern usw. war an der Wand angebracht. Vor dem Fenster<br />

hing das "Hafenbritt", der Aufbewahrungsort für die irdenen Milchtöpfe und die Melkkübel.<br />

Die Bauernwohnstube lag immer neben der Küche, damit sie von dort aus beheizt werden<br />

konnte. Die Wand zur Küche war durchbrochen und der Herd, als sogenannter Hinterlader, in<br />

die Stube geschoben. Bei dem damals noch üblichen System des offenen Rauchfangs war das<br />

Schüren sicher eine unangenehme, schmutzige Arbeit, aber die Stube wenigstens blieb frei<br />

von Ruß und Qualm. Der Stubenofen hatte meist schon ein Ofenrohr, das in den offenen<br />

Rauchabzug mündete. Auf der Stubenseite des Ofens war entweder eine eiserne Platte mit<br />

Wappen und Verzierungen oder die ganze Wand wurde mit Tontafeln verkleidet. Diese<br />

Plättchen waren mit Sprüchen bemalt, die von Liebe, von Essen und Trinken sowie über<br />

Beobachtungen aus der Natur berichteten. Aber auch Rätsel, Volkslieder- oder<br />

Gesangbuchverse waren beliebt. Hergestellt wurden solche Tontafeln in Dachtel, Gärtringen,<br />

Simmozheim und Weil der Stadt. In Gechingen ist eine Fotografie bekannt, die aus dem Jahr<br />

1920 stammt und vier Ofenplättchen mit folgenden Sprüchen zeigt:<br />

"Um der Wölfe willen will der Faule nicht pflügen, so muß er in der Ernte betteln und<br />

nichts kriegen." - "Eh ich ließ meinen Schatz ließ ich's Leben auf dem Platz." - "Sei ohne<br />

Falsch wie die Tauben." Auf dem vierten Plättchen stand: "Georg Simon Gehring 1760".<br />

Dieser lebte von 1760 bis 1840; er war Metzgermeister und mit Anna Margaretha<br />

geb.Rüffle verheiratet. (Weitere Ofensprüche unter "Reime").<br />

Über dem Ofen hing ein Stangengerüst, das "Ofengrähm" zum Trocknen von Wäsche. Hinter<br />

dem Ofen und entlang der Wand gab es Sitzgelegenheiten für mehrere Personen, wie sie einst<br />

82


esonders beim "Lichtkarz" zusammenkamen. In der anderen Ecke des Zimmers stand der<br />

Tisch aus Eichenholz mit zwei oder drei Stühlen. Eine Wiege, ein Spinnrad und eine Kunkel<br />

ergänzten das Mobiliar. Wände und Decken der Wohnstube waren oftmals mit Holz<br />

verkleidet.<br />

Es gab nur ein - nicht heizbares - Schlafzimmer, in dem das Ehepaar mit den kleineren<br />

Kindern nächtigte. Die Größeren schliefen auf dem Dachboden, ebenso das Gesinde. In der<br />

Schlafstube, auch "Kammer" genannt, standen die beiden Bettladen. Sie füllten fast den<br />

ganzen Raum aus. Dann gab es noch den dazu passenden Kasten und ein Kinderbett oder die<br />

Wiege.<br />

Unsere Vorfahren bauten Fachwerkhäuser, wie sie vereinzelt in Gechingen noch erhalten sind.<br />

Teilweise trotzen sie schon seit 400 Jahren Sturm und Wetter. Die mächtigen Balken, aus<br />

denen sie gezimmert sind, sind ineinander eingelassen und mit starken Holzpflöcken<br />

verdübelt. Die Zwischenräume oder Gefache waren mit einem Geflecht aus Buchen- oder<br />

Haselnußstecken ausgefüllt, das dann mit einem Lehm/Strohgemisch beworfen wurde. Die<br />

Bauordnung von 1654 forderte bei Neubauten das Ausriegeln mit Stein, dazu verwendete man<br />

bei uns Feldkalksteine. Die Dächer waren zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges durchweg<br />

noch mit Stroh gedeckt, das dann aber auf behördliche Anordnung nach und nach durch<br />

Ziegel ersetzt wurde, so daß es 1860 in Gechingen kein Strohdach mehr gab. Schon 1773<br />

gründete Herzog Karl Eugen die Württembergische Gebäudebrandpflichtversicherung, die bei<br />

Feuer- und Sturmschäden einsprang.<br />

Auswanderer<br />

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die wirtschaftliche Lage vieler <strong>Gechinger</strong> Familien kritisch<br />

geworden. Dafür gab es mehrere Gründe. Einer davon war zweifellos das Real-<br />

teilungsgesetz, das bei Erbfällen alle Erben gleichermaßen berücksichtigte und Grund und<br />

Boden ebenso aufteilte wie den Rest der Habe. So kam es zu einer Zerstückelung der Äcker,<br />

durch die die gesamte Flur in immer mehr und immer kleinere Flächen zerteilt wurde, bei<br />

zunehmender Bevölkerung wurden die Gütle immer kleiner und boten für die Besitzer selbst<br />

in guten Zeiten keine ausreichende Existenzgrundlage mehr. Nach Mißernten kam es zu<br />

Hungersnöten, gerade im ausgehenden 18. Jahrhundert folgte eine Hungerperiode auf die<br />

andere in immer kürzeren Abständen. Dazu kam, daß es in Gechingen, wie in allen Dörfern<br />

rings um Calw, viele Weberfamilien gab, die ihre Produkte der Calwer Zeughandelskompanie<br />

zulieferten und von diesem Verdienst ganz oder teilweise lebten (Siehe auch "Weber und<br />

Zeugmacher" unter "Berufe"). Sie waren durch den Niedergang der Calwer Companie, der um<br />

1730 eingesetzt hatte und sich bis zu ihrer Auflösung 1797 hinzog, schwer betroffen.<br />

Schlecht bezahlt waren diese Heimarbeiter immer, die Armut unter ihnen war groß, aber nun<br />

war ihre Lage hoffnungslos geworden. Es muß zu dieser Zeit ungefähr 50 Weberfamilien hier<br />

gegeben haben. Die Gemeinde war zwar verpflichtet, die größte Not unter ihnen zu lindern;<br />

auf dem Rathaus wurden Brote verteilt, die größeren Bauernhöfe gaben Kartoffeln und Rüben<br />

ab, aber Aussicht auf eine grundsätzliche Besserung ihrer bedrängten Lage bestand nicht.<br />

Einfuhren maschinell gewobener Tuche aus England und die steigende Beliebtheit von Baumwollstoffen<br />

hatten die einheimische Produktion überflüssig gemacht. In der Landwirtschaft<br />

gab es in den mehrheitlich kleinbäuerlichen Familienbetrieben keine Arbeitsplätze. Da bot<br />

sich die Auswanderung nach Westpreußen geradezu an. König Friedrich II von Preußen<br />

versprach Siedlungsland in Westpreußen, das heute polnisches Gebiet ist. 1781 setzte die<br />

Auswanderung ein und erreichte ihren Höhepunkt um 1782; die letzten Nachzügler brachen<br />

1803 auf. 96 Menschen aus Gechingen, Leineweber, Zeugmacher, Taglöhner, Schmiede und<br />

Zimmerleute aber nur wenige Bauern waren dabei. Der Auswanderungssog riß viele mit.<br />

83


Zwanzig Auswanderer kehrten bald wieder zurück. Die anderen siedelten sich in Westpreußen<br />

an und betrieben vorwiegend Land-wirtschaft.<br />

Bei den Auswanderern nach Amerika lassen sich außer wirtschaftlichen auch andere Gründe<br />

für diesen Schritt vermuten. Dem Ruf des preußischen Königs zu folgen, versprach eine<br />

gewisse Sicherheit, außerdem mögen die Auswanderungswilligen von Beginn an von Preußen<br />

unterstützt worden sein. Nach Amerika aber mußte jeder die Reise selber organisieren und<br />

auch bezahlen. Bei den fünf <strong>Gechinger</strong>n, die schon zwischen 1750 und 1765 nach Amerika<br />

zogen, war wohl die Lust auf Abenteuer das maßgebliche Motiv.<br />

Böttinger, Anna Marg. *12.5. 1728, nach Amerika,<br />

Breitling, Andreas *1.9.1731, nach Amerika,<br />

Diechtel, Joh.Georg *22.7.1720, in die Neue Welt,<br />

Schnepf, Anna Maria *26.7.1748, in die Neue Welt<br />

Weiß, Anna Magd. *16.3.1749, in die Neue Welt.<br />

Über ihr Schicksal ist nichts bekannt.<br />

Um 1750 wanderte ein Gräber, Johannes, Beck, *7.12.1731 mit seiner Frau Maria Agnes geb.<br />

Flick aus Althengstett nach Philadelphia aus. Von ihnen existiert ein Brief über Erbschaftsangelegenheiten.<br />

Für die im Jahre 1852 erneut einsetzende Welle der Auswanderung, diesmal nach den USA.<br />

dürfte aber hauptsächlich die zu dieser Zeit recht kritische Lage der Landwirtschaft<br />

ausschlaggebend gewesen sein. Trotz Modernisierung und Steigerung der Erträge hatten<br />

schlechte Ernten erneut Hungersnöte verursacht, denn die Bevölkerung war stark gewachsen<br />

(in Gechingen seit 1772 um mehr als das Doppelte). In den Kirchenkonventsprotokollen der<br />

damaligen Zeit ist zu lesen, daß die Armen oft tagelang ohne Nahrung waren, und daß selbst<br />

gegen Geld nichts zu haben war. Insgesamt wanderten 202 Personen aus Gechingen bis ca.<br />

1880 ab.<br />

Bei manchen mögen auch politische Gründe eine Rolle gespielt haben, so die gescheiterte<br />

Revolution von 1848, die sie veranlaßte, der Heimat enttäuscht den Rücken zu kehren.<br />

Seitdem Württemberg 1806 Königreich geworden war, war die Auswanderung geregelt<br />

worden und mit verschiedenen Bedingungen verbunden.<br />

1. Die Person mußte volljährig sein.<br />

2. Der Militärdienst war vorher abzuleisten.<br />

3. Wegen eventueller Schuldenforderungen waren Bürgen zu stellen.<br />

Ab 1850 kam noch dazu:<br />

4. 150 Gulden Reisegeld.<br />

5. Ein Transportvertrag mit einer offiziellen Agentur.<br />

6. Eine Gebühr für die Entlassung aus dem Bürgerrecht.<br />

Wer sein Heimatrecht weiter behalten wollte, mußte beim Oberamt Reisegenehmigung und<br />

Reisepaß beantragen. Wer ohne Genehmigung auswanderte, hatte sein Heimatrecht verloren.<br />

Viele Gemeinden versuchten, unliebsame, zum Teil asoziale Personen und Familien, die der<br />

Gemeindekasse zur Last fielen, nach Amerika abzuschieben. Die Gemeinde bezahlte die<br />

Überfahrt und die Reisekosten, das kam sie billiger, als diese Leute jahrelang zu unterhalten.<br />

Sie mußten dafür auf ihr Heimatrecht schriftlich verzichten. Auch von Gechingen sind einige<br />

derartige Fälle bekannt. So wurden z.B. einer ledigen Frau im Jahre 1838 die Kosten der<br />

Überfahrt nach Amerika in Höhe von 550 Gulden bezahlt.<br />

Einer der Auswanderungsagenten war in Calw Kaufmann Bock, der im Calwer Wochenblatt<br />

im Jahre 1849 inserierte: "Nur über Bremen nach Amerika! Nach vielen Erfahrungen ist die<br />

Reise für Auswanderer nach Amerika über Bremen die beste, schnellste und sicherste. Ich rate<br />

daher den Weg über Bremen zu machen. Die Kost auf den Bremerschiffen ist sehr gut, die<br />

84


Behandlung vorzüglich, die Verdecke der Schiffe sind geräumig und man zahlt von Bremen<br />

bis New York nebst freier Kost 68 Gulden. Am 1. und 15. jeden Monats gehen Schiffe ab."<br />

Ein weiterer Calwer Agent war Heinrich Hutten. 1852 stand von ihm folgende Anzeige im<br />

Wochenblatt: "Spezial-Agentur der 16 regelmäßigen Postschiffe zwischen Havre und New<br />

York. Die Abfahrten erfolgen das ganze Jahr hindurch am 4., 11., 19.,und 27. jedes Monats.<br />

Es fahren ab:<br />

Am 19.Mai Wilhelm Tell 1500 Tonnen mit Kapitän Willard<br />

Am 27.Mai Helvetia 1200 Tonnen mit Kapitän Marsh<br />

Am 4.Juni Admiral 1000 Tonnen mit Kapitän Bliffins<br />

Am 11. Juni Samuel M.Fox 1500 Tonnen, Kapitän Ainswort<br />

Am 19. Juni St.Dennis 1000 Tonnen, Kapitän Follausbek<br />

Den Anverwandten und Freunden derjenigen 67 Personen, welche auf den Schiffen New York<br />

und Isaak Bell abfuhren (haben wir Nachricht), (sie) sind nach einer glücklichen Fahrt von 24<br />

Tagen wohlbehalten in New York eingetroffen."<br />

Emil Georgii, Generalagent für Bremen und Hamburg, ließ 1884 in das Wochenblatt drucken:<br />

"Nach Amerika befördere ich jede Woche mit den Dampfern des norddeutschen Lloyd<br />

Ab Bremen a 90.-Mark<br />

Mit dem Schnelldampfer 100.- Mark<br />

Mit freier Fahrt ab Frankfurt 110.- Mark<br />

Über Antwerpen 80.- Mark<br />

Mit freier Fahrt ab Mannheim 95.- Mark<br />

Über Rotterdam 80.- Mark<br />

Mit freier Fahrt ab Mannheim 90.- Mark<br />

Über Havre 90.- Mark<br />

Alles mit vollständiger Schiffsausrüstung und 300 Pfund Freigepäck, täglich 1/2 Liter guten<br />

Rotwein. Kinder unter 2 Jahren frei. Fahrzeit 8 - 11 Tage."<br />

1886 inserierte Georgii: "Über Havre mit 200 Pfund Freigepäck ab Straßburg mit<br />

vollständiger Schiffsausrüstung. Ein Kind pro Familie ist ganz frei, von 3 - 8 ein Drittel, von 8<br />

- 12 Jahren die Hälfte des Preises. Die Beförderung erfolgt direkt vom Eisenbahnwagen auf<br />

den Seedampfer, so daß keine Kosten entstehen. Die neuen prachtvollen Schnelldampfer von<br />

7200 Tonnen und 8000 PS legen die Reise zwischen Havre und New York in der Regel in 7 -<br />

8 Tagen zurück."<br />

Im Jahre 1859 stand im Calwer Wochenblatt: "Aus New York erhalte ich folgendes<br />

Schreiben: Hier kommen oft junge Leute an, ohne Beschäftigung zu finden.Sie haben nur ein<br />

paar Taler in der Tasche und wissen nicht, was sie beginnen sollen. Häufig werden sie unter<br />

leeren Versprechungen hingehalten, bis der letzte Cent verzehrt ist. Aber hier in unserer<br />

Gegend, im Staate Ohio finden junge kräftige, nicht arbeitsscheue Leute Arbeit. Es werden<br />

gesucht: Grobschmiede, Zimmerleute, Schneider, Schuhmacher, Bauernknechte, Ärzte,<br />

Apotheker, Hauslehrer, Weibspersonen aller Art, überhaupt Leute, die Lust haben zu arbeiten.<br />

Es wird sich für jeden ein Plätzchen finden, vor allem auch für Bauernfamilien, auch wenn sie<br />

wenig Geld haben. Die Gegend hier ist gesund und die hiesigen Ansiedler durchgängig<br />

wohlhabend. Im Namen von Dr. Henry Linggen, John Wolf, John Truck, Daniel Kissling, alle<br />

im Counties Montgommery, Buttler und Preble. Staat Ohio. C. Stählin Notar in Heilbronn."<br />

Es fehlte aber auch nicht an Warnungen vor Neppern und Betrügern an die Adresse der<br />

Auswanderungswilligen. Das Königliche Oberamt Calw gab in der Zeitung und an alle<br />

Schultheißenämtern am 30. Mai 1846 bekannt daß die Auswanderer dazu angehalten werden<br />

sollen, beim Abschluß von Verträgen besondere Vorsicht walten zu lassen, da schon viele<br />

Fälle von Betrügereien bekannt geworden seien. "Die Schultheißen werden angewiesen, diese<br />

Warnung allen Auswanderer ans Herz zu legen. Vor allem sollen die Auswanderer die Reise<br />

85


nicht vorher antreten, bevor sie eine schriftliche Zusage der Schiffsgesellschaft mit<br />

Einschiffungsdatum in den Händen halten."<br />

Am 17. Dez. 1867 erschien folgende Warnung des Oberamtes Calw: "Die Auswanderer<br />

werden dringend ermahnt, vor ihrer Ankunft in Amerika sich durch keinerlei Vorspiegelungen<br />

zur Erwerbung von Eisenbahnbillets verleiten zu lassen. Manche Agenten betrügen ihre<br />

Kunden dabei, indem sie 36 - 180 % mehr verlangen als die Billets kosten. Derartigen<br />

Angeboten, von wem sie auch seien und von wem sie auch ausgehen, sind keinerlei Folge zu<br />

geben. Alle Auswanderungsagenten werden von der königlichen Regierung auf dieses<br />

hingewiesen."<br />

Fünf junge Männer aus Gechingen, zwischen 15 und 21 Jahre alt, waren von dem<br />

spektakulären Untergang des amerikanischen Schiffs "Powhattan" betroffen. Sie hatten sich<br />

darauf von Le Havre aus nach Nordamerika eingeschifft. Das Schiff kämpfte drei Tage lang in<br />

Sichtweite der Leute am Ufer unweit von New York mit den Wellen. Hilfe war nicht möglich.<br />

Am 15. April 1854 ging das Schiff unter, niemand konnte gerettet werden.<br />

250 Personen ertranken, darunter 148 Württemberger, auch unsere <strong>Gechinger</strong>.<br />

Die Abwanderung hörte erst auf, als nach dem gewonnenen Krieg von 1870/71 die<br />

Industrialisierung zunahm und damit mehr Arbeitskräfte im Land beschäftigt werden konnten.<br />

Eine genaue Liste der Auswanderer ist im Ortssippenbuch nachzulesen.<br />

Berufe<br />

Die Handwerker<br />

In Württemberg konnten sich Handwerker schon früh auch auf den Dörfern niederlassen.<br />

Zum Beispiel läßt sich nachweisen, daß es in unserem Dorf schon im 16. Jahrhundert einen<br />

Bäcker, drei Schneider, einen Schmied und einen Schreiner gab. In anderen Gegenden war<br />

durch die starre, städtische Zunftordnung, die aufs genaueste die Anzahl der Meister<br />

regelte, das Handwerk auf die Städte beschränkt.<br />

Um sich bei andern Meistern fortzubilden, Land und Leute kennenzulernen und Erfahrungen<br />

zu sammeln, war in den Zunftordnungen festgelegt, daß die jungen Gesellen auf Wanderschaft<br />

gehen mußten. In deren Verlauf arbeiteten sie kürzere oder längere Zeit in anderen Städten<br />

und wechselten die Stelle häufig. Solange sie - zu Fuß natürlich, mit dem "Ränzlein auf dem<br />

Rücken" - unterwegs waren, hatten sie Anspruch auf Unterstützung durch die Zünfte, aber<br />

auch Gemeinden und Städte pflegten ein Zehrgeld zu verabreichen. Das Wanderwesen war<br />

streng geregelt, das Beherrschen festgelegter Gebräuche dokumentierte die<br />

Handwerkszugehörigkeit. Pässe oder gar Wanderbücher gab es zuerst noch nicht, der<br />

Lehrbrief oder ein Taufzeugnis genügte als Ausweis. Auch viele Handwerksburschen aus<br />

Gechingen, seien es Schmiede, Schreiner, Glaser oder Metzger, waren früher "auf der Walz".<br />

Sie kamen dabei auch ins benachbarte Ausland, in die Schweiz, in das Elsaß oder nach<br />

Österreich.<br />

Auch als sich im 19. Jahrhundert die Gewerbefreiheit nach und nach überall durchgesetzt<br />

hatte, blieb der alte Brauch der Wanderschaft noch lange erhalten. In Gechingen genossen die<br />

"Handwerksbuurscht" kein großes Ansehen, aber man hielt sich an den Brauch und zahlte den<br />

durchreisenden Handwerkern ein Zehrgeld aus. (siehe: "Der Krieg von 1870/71 und die<br />

Folgezeit")<br />

Solange die Städte am Zunftwesen festhielten und genau bestimmt war, wieviel Gesellen<br />

und Lehrlinge ein Meister halten durfte, konnten sich keine größeren Betriebe bilden. Unter<br />

der Schirmherrschaft der Herzöge entwickelten sich aber schon im Württemberg des 17.<br />

Jahrhunderts die ersten Industrien. Die bedeutendste war die Zeughandelskompagnie in<br />

86


Calw, die in ihrer Blütezeit über tausend Weber, Zeugmacher und Färber sowie 3000 -<br />

4000 Spinnerinnen und Kämmer, die meist Angehörige der Weber waren, beschäftigte.<br />

Die Weber oder Zeugmacher<br />

Die Zeugmacherei und Weberei in Gechingen ist eng mit der Calwer Compagnie verbunden.<br />

In Calw, als württembergischer Oberamtsstadt, sahen die Herzöge das Entstehen der<br />

Tuchindustrie mit Wohlwollen. Die erste Tuchordnung in Württemberg wurde 1510 für Calw<br />

erlassen. Selbsterzeugte Wolle aus der Schafzucht im Heckengäu wurde zu einem leichten,<br />

glatten, langhaarigen Wollstoff verarbeitet (englisch Satin = "Engelsaith"), der von Calw aus<br />

vor allem nach Italien exportiert wurde. Herzog Friedrich I. von Württemberg (1593 - 1608)<br />

insbesondere förderte die aufstrebende Industrie, in Calw lebten zu Beginn des 17.<br />

Jahrhunderts zwei Drittel der Bevölkerung davon. Nun ließen die Calwer Tuchherren auch in<br />

Heimarbeit weben, wie wir heute sagen würden. Auf den Dörfern ringsum, natürlich auch in<br />

Gechingen, dürfte es sich bei den Heimarbeitern um Leute gehandelt haben, die einen<br />

Webstuhl hatten (er kostete damals neu sieben Gulden, gebraucht vier Gulden) und es<br />

verstanden, damit umzugehen. Sicher besaßen einige, wenn nicht alle von ihnen, noch etwas<br />

Land, das sie neben der Weberei bestellten, sie waren nun aber vom Ertrag des Bodens nicht<br />

mehr so abhängig. Vermutlich wurde Weberei zum Hausgebrauch auch schon vor und neben<br />

der Auftragsarbeit her betrieben. Man weiß, daß in Gechingen ein Bernhardt Schneider 1560<br />

am Bach ein Färberhäuschen besaß. Es ist anzunehmen, daß er auf eigene Rechnung färbte,<br />

vielleicht Wifling - ein grobes Gewebe, das besonders für Weiberröcke, aber auch für die<br />

Hosen der Männer verwendet wurde und das die Bauern selbst herstellten. Es wurde dunkel<br />

gefärbt, schwarz oder blau, auch grün. Beim Wifling bestand der Zettel (Kette) aus Leinen,<br />

der Einschlag aus Wolle.<br />

Das Gewerbe der Tuchmacherei war in Calw so rasch gewachsen, daß die Bereiche geteilt<br />

wurden. Die Zeugmacher beschränkten sich auf das Weben, die Färber übernahmen noch den<br />

Tuchhandel. Die Heimarbeiter wurden an Verlagsherren (bestimmte Händler) gebunden<br />

(gebannt), denen sie ausschließlich zuliefern mußten (1611). Wenn das von den<br />

Heimarbeitern gewebte Tuch von den Calwer Verlagsherren nicht abgenommen wurde, erhielt<br />

es einen Stempel und durfte dann frei verkauft werden.<br />

Die Verlagsherren schlossen sich 1622 zur Gesellschaft der "Gesamten Färber- und<br />

Handelsgenossen zu Calw" zusammen. Aus dem gleichen Jahr stammt auch eine Verordnung,<br />

die besagt, daß die Elle (ca. 61,5 cm) Engelsaith höchstens zwölf Kreuzer kosten darf.<br />

Engelsaith war ein billiger Wollstoff, der auch nur eine geringe Breite hatte. Andere<br />

Wolltuche kosteten bis zu 36 Kreuzer die Elle.<br />

Ab etwa 1565 gab es in Gechingen Zeugmacher, die in Calw unter Vertrag standen. Erst<br />

waren es drei Familien, ihre Zahl wuchs aber rasch an. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, der<br />

Gechingen und Calw stark in Mitleidenschaft gezogen und die Einwohnerschaft stark<br />

dezimiert hatte, lebten der Tuchhandel und die Zeugmacherei erstaunlich rasch wieder auf.<br />

1650 gründeten die Calwer Färber und Kaufleute erneut eine Gesellschaft: Die Calwer<br />

Compagnie (CC). Sie bestand bis 1797. Freilich hatte ihr Niedergang schon um ca 1730<br />

eingesetzt. Allmählich kamen Baumwollstoffe auf den Markt, zu deren Herstellung vor allem<br />

in England Maschinen entwickelt wurden und Fabriken entstanden. Dieser Konkurrenz war<br />

die CC nicht gewachsen, der Absatz ließ nach. Die Armut der Heimarbeiter rings um Calw,<br />

die nie üppig bezahlt worden waren, wuchs ständig, denn sie wurden immer schlechter<br />

entlohnt. Eine Weberfamilie konnte zum Schluß trotz fleißigster Arbeit nicht einmal mehr das<br />

Existenzminium verdienen. Die CC mußte 1797 aufgeben. (Siehe auch: "Auswanderer").<br />

Neben der Wolle wurde auch hier angebauter Flachs verwoben. Das geschah aber immer nur<br />

für den Eigenbedarf. Die Flachskultivierung und -verarbeitung bis zum fertigen Garn war<br />

87


ausschließlich Frauensache, das Weben und Bleichen unterstand im allgemeinen den Männern<br />

(Siehe auch: "Sonderkulturen").<br />

Hans Sachs schreibt über den (Leine-)Weber:<br />

"Ich bin ein Weber zu Leinen Wat, Handzwehl, Facilet, und wer Lust zu Bettziechen hett . .<br />

."<br />

(Ich bin ein Weber, stelle Stoffe zu Leinenkleidung, zu Hand- und Taschentüchern her, und<br />

wer gerne Bettbezüge möchte . . .)<br />

Zur Zeit, in der Hans Sachs lebte, im 16. Jahrhundert, bestand nicht nur Bett- und<br />

Haushaltwäsche ausschließlich aus Leinen, sondern auch die gesamte Unterwäsche und ein<br />

gut Teil der Oberbekleidung. In allen zeitgenössischen Darstellungen tragen die Bauern<br />

zwilchene Kittel. "Zwilch" oder "Zwillich" ist ein kräftiges Leinengewebe aus doppeltem<br />

Faden.<br />

Die selbstgewobenen Leintücher verschwanden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der<br />

Name "Leintuch" hat sich bis heute gehalten, auch wenn das "Leintuch" längst aus Baumwolle<br />

ist.<br />

Der Wagner<br />

"Ich mach Räder, Wägen und Kärrn.<br />

Auch mach ich dem Bauwren den Pflug<br />

Und darzu auch Schleyfen und Egn."<br />

(Ich verfertige Räder, Wagen und Karren, auch mach ich dem Bauern den Pflug, dazu auch<br />

Bahnschlitten und Eggen.) dichtet Hans Sachs. An diesem Berufsbild des Wagners hat sich<br />

jahrhundertelang nichts geändert. Ein großer Vorrat an gutem Holz war für die<br />

Wagenherstellung notwendig, die wichtigste Arbeit des Wagners. Stabil mußten die Wägen<br />

sein, denn schwere Lasten mußten auf oft nahezu unpassierbaren Wegen und Straßen<br />

befördert werden.<br />

Aus der Werkstatt des Wagners kamen auch Stiele für Werkzeuge, wie Pickel, Schaufeln,<br />

Hauen, Hämmer und Schlegel, dazu Leitern für die Landwirtschaft und alle möglichen<br />

Gegenstände, vom Heurechen bis zum Leiterwägelchen. Jedoch konnte der Wagner allein oft<br />

kein fertiges Produkt liefern, dazu war noch die Arbeit des Schmiedes notwendig.<br />

Zu den Anfangszeiten der Automobilherstellung war dieser Beruf noch immer sehr wichtig,<br />

waren doch früher die tragenden Teile der Karosserien in Holz ausgeführt<br />

Bekannte Wagner in Gechingen waren: Jakob Friedrich Kielwein 1874-1956, Friedrich Jakob<br />

Gann 1878-1960, Hermann Schmid 1905-1983.<br />

Der Schmied<br />

"Der Schmidt.<br />

Ich Huffschmidt ka die pferd beschlagn<br />

Darzu die Räder, Karn und Wagn."<br />

(Ich bin Hufschmied und kann Pferde beschlagen,<br />

dazu die Räder, Karren und Wagen.)<br />

Einen Schmied gab es wohl schon im Dorf seit der Gründung durch die Alamannen. Zum<br />

erstenmal schriftlich erwähnt wurde er um 1550. Er genoß eine gewisse Sonderstellung im<br />

Ort, und zwar als Helfer in der Not bei allen möglichen Krankheiten und Unfällen vor allem<br />

bei Tieren, zuweilen auch bei Menschen. Der Weg zum Tierarzt war oft weit und vor allem<br />

im Winter beschwerlich, oft unmöglich. Der Schmied war im Ort und mit seiner Hilfe konnte<br />

gerechnet werden. Sei es bei einem kranken Pferd, bei einer Fehlgeburt im Stall - der Schmied<br />

88


war zur Stelle. Seine Hauptaufgabe war das Beschlagen der Zugtiere, Kühe, Ochsen und<br />

Pferde.<br />

Bekannte Schmiede in Gechingen waren: Johannes Gehring 1849-1894, Karl Gottlob Stürner<br />

1873-1956, Karl August Breitling 1876-1937, Eugen Breitling 1906-1976.<br />

Der Nagler<br />

„Ein Nagelschmid bin ich genannt<br />

Mach eysern Negel mit der Hand<br />

Allerley art auff meim Amboß<br />

Kurtz und Lang, Klein und auch Groß."<br />

Vergessen ist heute der Beruf des Nagelschmieds, der ein Zweig des Schmiedehandwerks war.<br />

Zeitweise waren in Gechingen mehrere Nagelschmiede tätig, welche Nägel in allen Größen<br />

hersstellten.<br />

Der Sattler<br />

Wo es Zugtiere und Wagen gab, brauchte man den Sattler, dessen Arbeit darin bestand, die<br />

Verbindung zwischen Tier, Mensch und Fahrzeug herzustellen. Ein Meisterwerk waren die<br />

Kummet, mit Beschlägen und Messingrosetten, die in der Sonne blitzten. Der Sattler wußte<br />

genau, wie er dem Tier durch die Form, die Anpassung, die Polsterung und den Sitz auf der<br />

Brust die Arbeit erleichtern konnte. Aber auch andere Arbeiten gab es für den Sattler genug,<br />

sein Lager enthielt Leder in allen Qualitäten, Riemen, Seile, Stricke, Treibriemen für Motoren,<br />

nicht zu vergessen die meist sehr schönen Decken für die Pferde. Sie waren oft kunstvoll mit<br />

Leder eingefaßt und am Ende über Eck eingestickt der Name des Besitzers. Stand eine<br />

Hochzeit in Aussicht, war der erste Weg zum Sattler. Die Aussteuer der Braut sollte ein Leben<br />

lang halten. Der Stolz der Braut wurde sichtbar, wenn der ganze Besitz mit den<br />

handgearbeiteten Matratzen hoch auf dem Leiterwagen zur zukünftigen Heimat der Braut<br />

geführt wurde. Ebenso wie der Wagner war auch der Sattler in der Anfangszeit der<br />

Automobilherstellung unentbehrlich. Sitze und Polster entstanden unter seinen<br />

fachmännischen Händen.<br />

Bekannte Sattler in Gechingen waren: Otto Karl Breitling 1881-1937, Paul Vetter 1912-,<br />

Richard Schwarz 1918-1978.<br />

Der Müller.<br />

„Wer Korn und Weitz zu malen hat<br />

der bring mirs in die Mül herab<br />

Denn schütt ichs zwischen den Mülstein<br />

Und mal es sauber rein und klein<br />

Die Kleyen (Kleie) gib ich treuwlich zu."<br />

So beschreibt Hans Sachs die Aufgaben des Müllers.<br />

Die <strong>Gechinger</strong> Mühle wird urkundlich schon im Jahr 1330 erwähnt. Mit ihrem Besitz waren<br />

Privilegien für Wasserrechte und Einzugsgebiete verbunden. Um 1550 gehörte die Mühle der<br />

Familie Bock.<br />

Streit hatte der Müller Balthasar Wagner mit der Gemeinde im Jahre 1668. Wagner klagte,<br />

daß die Bürger ihm durch Wässern der Wiesen das Wasser ableiten würden und es daher nur<br />

für einen Mahlgang reiche. Das Gericht entschied zu Gunsten der Bürger, es sei ein Recht aus<br />

alten Zeiten, die Wiesen zu bewässern. Das galt bis in das 19. Jahrhundert. (Siehe auch<br />

"Wiesen und Weiden").<br />

Im Jahr 1763 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem damaligen <strong>Gechinger</strong> Müller<br />

Jakob Weinbrenner und zwei Müllern in Deufringen, die Frucht von den <strong>Gechinger</strong>n Bauern<br />

abholten, um sie in ihren Mühlen in Deufringen zu mahlen. Der Müller Weinbrenner<br />

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eantragte beim Herzog für sich und seine Nachkommen die Übertragung der alleinigen<br />

Zuständigkeit für das Mahlen des Getreides der <strong>Gechinger</strong> Bauern. Der Herzog antwortete am<br />

7. Januar 1764, daß diesem Ersuchen entsprochen wird und der Ort Gechingen in seine Mühle<br />

gebannt ist (d. h., daß die <strong>Gechinger</strong> in der <strong>Gechinger</strong> Mühle mahlen lassen müssen). Es<br />

erging auch eine Anweisung an den Schultheißen, dafür zu sorgen, daß der herzogliche Befehl<br />

beachtet wird.<br />

Johann Jakob Brackenhammer (1743 - 1804) war der erste Brackenhammer auf der Mühle,<br />

die seither ununterbrochen im Besitz der Familie ist.<br />

1796 raubten plündernde Soldaten dem Müller Brackenhammer 112 Gulden.<br />

Der Ölmüller<br />

1803 wurde an der "Reibe" die Schwarzmaierische Öl-, Reib- und Schleifmühle trotz des<br />

Widerstands der Gemeinde und der Anlieger erbaut. Herzog Friedrich hatte den Streit, der<br />

fünf Jahre lang dauerte, zugunsten von Schwarzmaier entschieden. Bernhardt Schwarzmaier<br />

hatte aber folgende Auflagen, die auch seinen Nachkommen galten, einzuhalten:<br />

1. Keine Wohnung in das Gebäude einzubauen, keine Landwirtschaft dort zu treiben und<br />

keine Übernachtungen zu erlauben<br />

2. Das Gebäude so niedrig zu bauen, daß kein Schatten auf die Grundstücke der Nachbarn<br />

fallen kann<br />

3. Nur zu mahlen, wenn der Müller Brackenhammer Wasser übrig hat<br />

4. Sofort mit Mahlen aufzuhören, wenn ein Wiesenbesitzer seine Grundstücke wässern will<br />

Im März 1907 brannte die Mühle aus ungeklärten Gründen ab und wurde nicht wieder<br />

aufgebaut.<br />

Der Ziegler (Ziegelhersteller)<br />

"Der Ziegler<br />

Ein Ziegler thut man mich nennen<br />

Auss Lättn kan ich Ziegel brennen."<br />

Die Flurnamen "Dachtgruben" und "Lehmgrube" (Lehmgrube kommt auf unserer Markung<br />

viermal vor) deuten auf den Grundstoff für den Beruf des Zieglers hin. Von Hand formte er<br />

aus Lehm Dachziegel und Mauerziegel und brannte sie in selbstgebauten Öfen. Auf den<br />

Dächern alter Häuser kann man heute noch handgestrichene Ziegel antreffen.<br />

Ein Aufschwung der Ziegelei trat ab 1782 ein, als Herzog Karl Eugen eine Bestimmung<br />

erließ, die besagte, daß alle Stroh- und Schindeldächer innerhalb von zwei Jahren mit Ziegeln<br />

zu decken seien, andernfalls bei einem Brandschaden Abzüge vorgenommen würden. Diese<br />

Verordnung hing mit der Gründung der Pflichtbrandversicherung aus dem Jahre 1773<br />

zusammen. In Gechingen wurden bald alle Dächer umgedeckt. Das ist aus den Protokollen<br />

von 1860 ersichtlich, in denen kein Strohdach mehr aufgeführt ist.<br />

Um 1850 erbaute Samuel Vetter in der Gültlinger Straße einen Ziegelofen, der lange in<br />

Betrieb war. Es dreht sich dabei wohl um die in der Oberamtsbeschreibung von 1860<br />

erwähnte Ziegelhütte "indem die Gewerbe, mit Ausnahme einer Ziegelhütte, nur den örtlichen<br />

Bedürfnissen dienen".<br />

Der Korbmacher<br />

Ein sehr altes Handwerk, das auch heute noch ausgeübt wird, ist das Korbmachen.<br />

Holzkörbe, Futterkörbe, Obst- und Getreidekörbe bis hin zu Sesseln stellten bzw. stellen die<br />

Korbmacher her. Als Rohmaterial dienen Weidenruten, die geschält und gespalten werden.<br />

Vor der Verarbeitung werden sie längere Zeit gewässert, um sie biegsamer zu machen.<br />

Die einfachen Futter- oder Holzkörbe ("Zoane") aus ungeschälten Weidenruten, wie sie im<br />

bäuerlichen Haushalt vielfältige Verwendung fanden, waren meist selbstgeflochten.<br />

90


Bekannter Korbmacher in Gechingen war Albert Samuel Vetter 1885-1957.<br />

Der Küfer<br />

Die Herstellung von Wein- und Mostfässern aus Eichenholz war die Hauptbeschäftigung des<br />

Küfers. Außerdem stellte er Güllefässer, Wasch- und Badzuber sowie Kübel aller Größen,<br />

Schöpfeimer und Gelten her. Das gerade gewachsene Holz spaltete er passend in verschiedene<br />

Längen und ließ es ein bis zwei Jahre im Freien trocknen. Die Faßdauben dämpfte man mit<br />

Feuer und Wasser und preßte sie dann mit Reifen in die Form. Genaues und pünktliches<br />

Arbeiten war unbedingt notwendig, damit die verschiedenen Behälter dicht wurden.<br />

Bekannte Küfer in Gechingen waren: Wilhelm Krafft 1879-?, Georg Ludwig Wagner 1880-<br />

1939, Christian Wolf 1904-1966, Christian Wagner 1908-1991.<br />

Der Seiler<br />

Seile und Stricke für die Landwirtschaft fanden ständig Abnehmer. Man brauchte sie zum<br />

Verspannen der Erntewagen, zum Anbinden der Tiere, zum Hochziehen der Garben in der<br />

Scheuer, als Waschseil usw. Auf der sogenannten "Seilerbahn" wurden aus dem aus eigenem<br />

Hanfanbau gewonnenen Garn Seile und Stricke von Hand gedreht, da Wasserkraft nicht zur<br />

Verfügung stand.<br />

Bekannter Seiler in Gechingen war Christian Friedrich Stiegelmaier 1860-1973.<br />

Der Hafner (Töpfer)<br />

"Den Leymen (Lehm) tritt ich mit meim Fuß<br />

Mit Har gemischt, darnach ich muß<br />

Ein klumpen werffen auff die Scheiben<br />

Die miss ich mit den Füssen treiben<br />

Mach Krüg, Häffen, Kachel un Scherbe<br />

Thu sie denn glassurn und ferben<br />

Darnach brenn ich sie in dem Feuwer."<br />

Ein reicher Vorrat an irdenen Milch- und Schmalzhäfen, sowie allerhand Krüge und die<br />

Krautstande, Schüsseln, ja sogar Töpfe aus Ton - all diese Erzeugnisse des Hafners fanden<br />

sich in jedem Haushalt. Da das Brennen aber aufwendig war, hat man die Töpferware schon<br />

früh auf dem Hafenmarkt gekauft.<br />

Weitere Berufe<br />

Noch heute gebräuchlich, aber alt, sind folgende Handwerksberufe: Bäcker, Metzger,<br />

Schuhmacher oder Schuster, Schneider, Zimmermann, Schreiner, Glaser,<br />

Buchbinder, Maurer, Schlosser, Flaschner, Mechaniker, Kaufleute und Maler.<br />

Bekannte Vertreter ihres Standes in Gechingen waren:<br />

Bäcker: Christian Heinrich Böttinger 1855-1933, Karl Mörk 1867-1944, Wilhelm Friedrich<br />

Mörk (Schulhausbeck) 1868-1934, Karl Heinrich Kappis 1872-1942, Christian Heinrich<br />

Gräber (Dorfbeck) 1880-1962, Wilhelm Friedrich Vetter 1882-1924, Friedrich Rex 1889-<br />

1970.<br />

Früher vergab die Gemeinde jedes Jahr das Brezelbacken neu und sorgte auch dafür, daß<br />

immer ein anderer Bäcker an der Reihe war. Einen Laden hatten sie in der Regel nicht.Die<br />

Leute brachten ihren Brotteig, Hefenkranz, Gugelhopf und Spickling (Kuchen) zum Backen.<br />

Um 1550 wird ein Bäcker mit Namen Abermann erwähnt.<br />

Metzger: Georg Ludwig Gehring 1864-1938, Jakob Friedrich Dingler 1855-1944, Ludwig<br />

Karl Schneider 1885-1971, Emil Ayasse 1911-1980.<br />

Meist hatten die Metzger eine Gastwirtschaft, manchmal auch einen kleinen Laden dabei. Sie<br />

besorgten bei den Bauern die Hausschlachtung.<br />

91


Schuhmacher oder Schuster: Johann Daniel Wagner 1798-1866, Adam Heim 1814-1892,<br />

Johann Wilhelm Wagner 1830-1892, Johann Jakob Krauss 1841-1920, Christian Friedrich<br />

Schneider 1855-1938, Gottlob Schneider 1870-1951, Christian Georg Schneider 1887-1964,<br />

Rudolf Dingler 1899-1950, Karl Dingler 1905-1992, Richard Kielwein 1907-1950.<br />

Die Schuhmacher mußten Schuhe anmessen und anfertigen, vor allen Dingen haben sie<br />

Schuhe geflickt. Einen Laden hatten sie selten.<br />

Schneider: Georg Friedrich Böttinger 1852-1939, Simon Friedrich Riehm 1865-1948,<br />

Christian Heinrich Krauss 1877-1960, Robert Stahl 1909-1944.<br />

Näherin: Katharine Jakobine Wagner 1874-1950, Marie Eisenhardt 1897-1957, Emma<br />

Kübler geb. Wagner 1904-1992.<br />

Um 1550 gab es im Ort drei Schneider. Da Wolltuche und Leinwand im Dorf selbst<br />

hergestellt wurden, wurden zumindest für die Herstellung der Festkleidung Schneider<br />

gebraucht. Die Schneider waren meist sehr darauf bedacht, daß sie allein für die Oberkleidung<br />

zuständig waren, den Näherinnen blieb die mühselige Weißnäharbeit und natürlich das<br />

Ausbessern (Wiefeln und Flicken).<br />

Zimmermann: Johann Jakob Schwarzmaier 1781-1841 (Erbauer des alten Schulhauses),<br />

Johann Georg Schwarzmaier 1810-1873, Georg Ludwig Wuchter 1858-1933, Gottlob<br />

Friedrich Lutz 1897-1972, Fritz Gottlob Kühnle 1907-1959.<br />

Die Zimmerleute planten, entwarfen, fertigten und beaufsichtigten den Bau des Fachwerkhauses.<br />

Schreiner: Johann Georg Breitling 1841-1913, Gottlob Heinrich Köber 1853-1932, Wilhelm<br />

Heinrich Gehring 1860-1947, Christian Weber 1865-1925, Friedrich Georg Weiß 1876-1927,<br />

Christian Friedrich Mitschele 1878-1937, Georg Ludwig Schwarzmaier 1884-1963, Karl<br />

Holwein 1884-1973, Wilhelm Friedrich Theurer 1892-1931, Christian Ruopp 1899-1980,<br />

Paul Richard Dürr 1900-1968.<br />

Von den Schreinern stammen die schönen alten Bauernmöbel, von denen einige im Museum<br />

Appeleshof zu sehen sind. Außerdem fertigten sie Wand- und Deckenvertäfelungen und<br />

Türen.<br />

Um 1550 ist ein Schreiner erwähnt.<br />

Glaser: Christian Friedrich Class 1850-1911, Wilhelm Gottlob Class 1864-1943, Karl<br />

Ludwig Gehring 1886-1962.<br />

Die Glaser stellten komplette Fenster her und setzten zerbrochene Scheiben ein.<br />

Buchbinder: Karl Gotthilf Böttinger 1870-1943, Ferdinand Georg Breitling 1872-1963.<br />

Die Buchbinder reparierten Bücher, die aus dem "Leim" gingen, banden Akten des Rathauses<br />

und der Kirche zu Büchern. Die gesammelten Jahrgänge von Zeitschriften wurden von ihnen<br />

zu schönen Bänden gebunden. Sie hatten kleine Läden, in denen sie Schulbedarf und allerlei<br />

Kram verkauften.<br />

Maurer: Ferdinand Georg Gehring 1843-1933, Karl Friedrich Mörk 1897-1955, Karl Gottlob<br />

Riehm 1899-1966.<br />

Schlosser: Gustav Adolf Gräber 1863-1938, Karl Gustav Gräber 1902-1968.<br />

Flaschner: Christian Essig 1855-1904, Karl Härtkorn 1863-1918, Wilhelm Bernhard<br />

Härtkorn 1895-1945, Georg Eugen Eisenhardt 1896-1958.<br />

Mechaniker: Friedrich Gehring 1847-1906, Gottfried August Dongus 1884-1957.<br />

Kaufleute: Ernst Unger 1843-1901, Friedrich Hubel 1856-1926, Wilhelm Vöhringer 1865-<br />

1938, Christian Friedrich Süsser 1879-1918, Gottlob Paul Schwarz 1885-1949, Karl Bühler<br />

1890-1943, Karl Schwenk -1982.<br />

Maler: Gottlob Mörk 1865-1907, Paul Heinrich Gann 1884-1965, Otto Böttinger 1913-1979.<br />

Dienstleistungen<br />

92


Der Wirt<br />

Schon um 1550 gab es zwei Wirte im Dorf. Die Oberamtsbeschreibung von 1860 berichtet<br />

dann von drei "Schildwirthschaften", es waren der "Adler", das "Lamm" und der "Hirsch".<br />

Zu den Wirtschaften gehörten teilweise auch Sudhäuser, in denen eigenes Bier gebraut wurde,<br />

so beim "Adler", beim "Lamm" und in der "Krone". Das Sudhaus vom "Lamm" wurde 1809<br />

erbaut. Unsere Hopfenbauern belieferten auch die im Ort ansässigen Bierbrauer. Schade, daß<br />

in Gechingen nicht mehr gebraut wird, obwohl die Sudhäuser teilweise heute noch stehen!<br />

War der Sud mißlungen, konnte man dieses Bier billig haben. Darüber schrieb ein Dorfpoet:<br />

"Hier trinkt man jetzt 8-Pfennigbier, trink nur, wer trinken kann, denn nirgends trinkt man<br />

solches Bier. Brüder, nur herein! Denn wer von diesem Bierchen trinkt, ist nachher pudelwohl<br />

und manches frohe Lied erklingt auf dieses Stoffs Symbol."<br />

Am Samstagabend versammelten sich die Stammgäste, die Wirtin stellte ihnen eine Schüssel<br />

mit Sauerkraut hin, davon konnte essen, wer Lust hatte.<br />

Um das Bier kühl zu halten, wurde im Winter das Wasser im oberen Tal gestaut und das Eis<br />

später abtransportiert und gelagert. Das "Lamm" hatte dort einen Eissee, der bis in die<br />

zwanziger Jahre benützt wurde. Im Haus Schwarz, in der Althengstetter Straße, befanden sich<br />

zwei große Keller, in denen das Eis gelagert wurde.<br />

Das Bierbrauen kann auf eine uralte Tradition zurückblicken. Schon die Sueben und<br />

Alamannen kannten diese Kunst. Allerdings wurde in den frühesten Zeiten Hafer zum Brauen<br />

verwendet und das Bier noch ohne Hopfen hergestellt. Erst später, in den Klöstern, wurde das<br />

Bier, wie wir es heute kennen, aus Gerstenmalz mit Zusatz von Hopfen entwickelt. Bis zum<br />

13. Jahrhundert blieb Bier das Volksgetränk.<br />

In der "Krone" hing folgender Spruch von 1870:<br />

"Solche Gäste liebe ich,<br />

die ehrbar discutieren<br />

Essen ,Trinken, zahlen mich<br />

und friedsam abmarschieren."<br />

Und im "Rößle" konnte man lesen:<br />

"Die Rose blüht,<br />

der Dorn, der sticht,<br />

wer gleich bezahlt,<br />

vergißt es nicht."<br />

Eine Aufstellung der <strong>Gechinger</strong> Gasthäuser und ihrer Wirte ist im Ortssippenbuch<br />

nachzulesen.<br />

Der Bote<br />

Eine wichtige Funktion für den Ort hatten die Boten, in Gechingen "Bott" genannt. Sie hielten<br />

die Verbindung zur Oberamtsstadt und zu den Nachbargemeinden aufrecht. Heute noch ist<br />

sprichwörtlich: "Der lauft wia a Bott!", was besagt, daß jemand sehr ausgreifend und<br />

zielbewußt marschiert. Heute kann man es kaum mehr nachvollziehen, welche enormen<br />

Entfernungen die Boten zu Fuß, wie es bis Ende des 19. Jahrhunderts selbstverständlich war,<br />

zurücklegten und das bei jeder Witterung.<br />

Aus dem Botenlied von 1556:<br />

"Im Winter leid ich an der großen Kält,<br />

im Herbst mich dann Ungewitter quält.<br />

Im Sommer leid ich große Hitz,<br />

ich mich oft beim Wirt versitz.<br />

Eh´ ich verdiene meinen Lohn,<br />

93


so ist er er oft zu schnell verdon.<br />

So lauf ich Botschaft über Feld,<br />

einem Jedem für sein gutes Geld."<br />

Vielen ist noch der Zweibott Jakob Wagner (1870 - 1946) in Erinnerung. Seinen Namen<br />

bekam er, weil er jeden Tag pünktlich nachmittags um 2 Uhr von Gechingen aus aufbrach.<br />

Sein Weg führte über Stammheim nach Calw; zuerst von 1900 - 1905 zu Fuß um 95 Pfennig<br />

pro Tag, dann mit dem Fahrrad und ab 1911 mit Pferd und Wagen. Er brachte die Post nach<br />

Calw und zurück. Auf eigene Rechnung beförderte er mit dem Wagen auch Personen. Im<br />

Winter benützte er einen Schlitten, aber nie, ohne eine Wärmflasche mitzunehmen. Außer der<br />

Postbesorgung erledigte er auch kleinere Aufträge, z.B. holte er Arzneimittel aus der<br />

Apotheke und ähnliches. Nebenher betrieb er noch eine kleine Landwirtschaft und arbeitete<br />

im Wald. Anfang der zwanziger Jahre übernahm dann die neue Postautolinie Gechingen-<br />

Ehningen einen Teil seiner Arbeit.<br />

Von 1901 bis 1926 fuhr der Bott Bitzer aus Dachtel jeden Morgen mit seinem Pferdewagen<br />

über Gechingen nach Calw und besorgte die Post. Zu seiner letzten Fahrt schrieb 1926 ein<br />

unbekannter Dichter:<br />

"Zu Bitzers letzter Postfahrt !<br />

Nach langen schweren 25 Jahren<br />

kommt Jakob Bitzer heut das letzte Mal gefahren.<br />

Die neue Zeit hat diesem grauen Kopf<br />

geschnitten eben auch den alten Zopf.<br />

Selbst Jakobs Pferden wird der Weg zu schwer,<br />

in flotter Fahrt kommt jetzt ein Auto her.<br />

Ach, du gute, alte, württemberger Zeit,<br />

seit Preußens Geist ist zu End deine Herrlichkeit!<br />

Leb wohl, du pflichtgetreuer Bote!<br />

Du hast verdient die beste Note.<br />

Wir wünschen auch auf ferneren Wegen<br />

dir Gottes Glück und reichen Segen !"<br />

Der Barbier (Balbierer)<br />

Der Barbier oder Balbierer (Friseur) war gleichzeitig Wundarzt und Zahnarzt in einem und<br />

ein sehr wichtiger Mann im Ort, denn der nächste Arzt befand sich in der Stadt Calw. In<br />

Versen aus dem Jahr 1568 heißt es:<br />

"Ich bin beruffen allenthalbn<br />

Kan machen viel heilsamer Salbn<br />

Frisch Wunden zu heiln mit Gnaden<br />

Dergleich Beinbrüch und alte Schaden."<br />

Ferner rühmt sich der Barbier in diesem Spruch, daß er Zähne ausbrechen kann. Eine andere<br />

Behandlung kranker Zähne war zu dieser Zeit nicht möglich. Über das Zahnbrechen gibt es<br />

auch einen alten Spruch, der mehr über die Härte der Zeit als über besonders schonende<br />

Methoden aussagt:<br />

"Wolher, wer hat ein bösen Zan<br />

Denselben ich aussbrechen kan<br />

On wehtagn, wie man gbiert die Kinder."<br />

1878 verrechnete der Barbier und Wundarzt Dingler (1851-1930) pro Krankenbesuch 30<br />

Pfennig. Ein Verband kostete 40 Pfennig und ein Bericht an den Oberamtsarzt 30 Pfennig.<br />

94


Teurer war das Zurückdrücken eines Bruches mit 1 Mark. Für das ganzjährige Rasieren eines<br />

Mannes bekam er 5 Mark. Bei kleineren Beschwerden half sich die Bevölkerung mit<br />

Naturheilmitteln.<br />

Der Bader<br />

"Wolher ins Bad Reich unde Arm<br />

Das ist jetzund geheitzet warm<br />

Mit wolschmacker Laug ma euch wescht<br />

Denn auff die Oberbank euch setzt<br />

Erschwitzt, denn werdt ir zwagn und gribn<br />

Mit Lassn das Blut ausstriebn<br />

Denn mit dem Wannenbad erfreuwt<br />

Darnach geschorn und abgefleht."<br />

(Hinein ins Bad, arm und reich, es ist jetzt warm geheizt. Man wäscht euch mit<br />

wohlriechendem Waschwasser, dann setzt man euch auf die obere Bank, damit ihr schwitzt,<br />

dann werdet ihr abgewaschen und gerieben und zur Ader gelassen, dann mit dem Wannenbad<br />

erfreut, danach geschoren und abgeflöht). So schildert Hans Sachs die Badefreuden des 16.<br />

Jahrhunderts.<br />

Um 1560 war am Bach das Badhaus, betreut von einem Jakob Niethammer. Später erscheint<br />

ein Jörg Röckle als Besitzer. Er nahm pro Person 2 Kreuzer Badgeld.<br />

Die Dienstboten<br />

Der Bauernverband stand um die Mitte des 19. Jahrhunderts unter Leitung des rührigen<br />

<strong>Gechinger</strong> Pfarrers Heinrich Theodor Klinger. Der in den "Nachrichten für das Oberamt<br />

Calw" im Jahre 1849 erschienene Artikel schildert eine Preisverteilung an "brave<br />

Dienstboten", die auf Veranlassung des Bauernverbandes stattfand.<br />

"Zu der am 30. vorigen Monats zum Andreas-Feiertag im Waldhorn zu Calw<br />

ausgeschriebenen Preisvertheilung durch den Bauernverband an brave Dienstboten, meldeten<br />

sich drei männliche und elf weibliche Personen, welche sämtlich die erforderlichen<br />

Eigenschaften hatten, um Preise zu erhalten. Sie wurden folgendermaßen eingetheilt:<br />

Männliche Dienstboten:1. Preis mit 8 fl. (Gulden): Johann Jakob Wolf, aus Möhringen,<br />

Oberamt Stuttgart, vom Jahr 1815 bis 1837 bei dem im Jahr 1837 gestorbenen Rittmeister und<br />

Gutsbesitzer v. Vischer in Calw, nun in Diensten des Sohnes auf dem Ihinger Hof und in<br />

Calw. 2. Preis mit 7 fl.: Johann Georg Mattes, von Simmozheim, Wochenlöhner bei<br />

Löwenwirt Bauser, daselbst seit 8 1/2 Jahren. 3. Preis mit 6 fl.: Johann Georg Volz von<br />

Altbulach, seit 7 1/2 Jahren bei Adlerwirt Stoll und dessen Ehevorfahren in Oberkollwangen.<br />

Weibliche Dienstboten: 1. Preis mit 8 fl.: Anna Barbara Bohnaker von Feldstetten, Oberamt<br />

Münsingen, seit 34 Jahren bei Pfarrer Mohl in Neuweiler und dessen Eltern in Feldstetten. 2.<br />

Preis mit 7 fl.:Anna Maria Grob von Altdorf, Oberamt Böblingen, seit 9 1/2 Jahren bei<br />

Schuhmacher Walz in Dachtel. 3. Preis mit 6 fl.: Johanna Dorothea Nüssler von Sindelfingen,<br />

seit 9 1/2 Jahr bei Kaufmann Seeger in Calw. Diese beiden mußten bei gleichen Dienstjahren<br />

um den 2. und 3. Preis losen, welches, wie angemerkt, entschied. Der Ausschuß beschloß<br />

einstimmig, die bei den männlichen Dienstboten übriggebliebenen dritten Preise an die<br />

weiblichen zu vertheilen, somit erhielten weiter: 4. Preis mit 5 fl.: Luise Friederike<br />

Kesselbach von Heidelberg, seit 9 1/4 Jahren bei Georg Dörtenbach in Calw. 5. Preis mit 5 fl.:<br />

Friederike Rapp von Urach, seit 8 1/4 Jahren bei Revierförster Salzmann in Liebenzell. 6.<br />

Preis mit 4 fl.: Marie Engelfried von Calw, seit 8 1/4 Jahren bei Kaufmann Schumm daselbst.<br />

Diese beiden hatten ebenfalls darum zu losen. 7. Preis mit 4 fl.: Christiane Euting von Nagold,<br />

seit 8 Jahren bei Bäckermeister Kramer in Calw. 8. Preis mit 3 fl.: Rosine Müller von<br />

Zavelstein, seit 7 Jahren bei Johann Georg Kübler, Bauer in Neuweiler. 9. Preis mit 3 fl.:<br />

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Anna Katharina Höpfer von Deckenpfronn, seit 7 Jahren bei Johann Breitling, Bauer in<br />

Gechingen. Ehrenbriefe erhielten: Catharina Nothaker von Stammheim, seit 6 3/4 Jahren bei<br />

Bäckermeister H. Haydt in Calw, und Marie Catharine Gehring von Gechingen, seit 6 1/2<br />

Jahren bei Bäckermeister Brackenhammer, daselbst.<br />

Der Vorstand des landwirtschaftlichen Vereins im Oberamt Calw. Pfarrer Klinger zu<br />

Gechingen."<br />

Dieser Artikel ist in mehr als einer Hinsicht hochinteressant. Offenbar war es damals schon<br />

(wie noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein) recht verbreitet, "in Stellung" zu gehen und<br />

zwar zum ganz überwiegenden Teil für jüngere, ledige, weibliche Personen. Es war durchaus<br />

möglich, als bewährte, "altgediente" Kraft, sich eine Lebensstellung zu erringen. Die meisten<br />

Mädchen werden aber geheiratet haben.<br />

Die Mädchen vom Lande waren harte Arbeit bei wenig Freizeit gewöhnt und erwiesen sich<br />

meist als zuverlässig und tüchtig.<br />

Wenn man ihre Arbeitgeber betrachtet, so sind es meist Wirte, Bäcker, Kaufleute, auch<br />

Pfarrer, bei denen von den Ehefrauen erwartet wurde, daß sie ihre Männer bei der beruflichen<br />

Arbeit unterstützten Nur zwei Bauern sind darunter, was darauf hinweist, daß die bäuerlichen<br />

Betriebe ganz überwiegend Familienbetriebe waren, in denen man ohne Gesinde auskam.<br />

Ähnlich wie der Militärdienst bei den jungen Männern war eine Stellung als Dienstmädchen<br />

für die jungen Frauen die Gelegenheit, andere Verhältnisse kennenzulernen, außerdem hatten<br />

sie die Chance, Geld für ihre Aussteuer zu verdienen.<br />

Gelegenheitsarbeiter und Angelernte<br />

Die Strohflechter<br />

Um 1850 herum betätigten sich Frauen und auch gebrechliche Männer als Strohflechter. So<br />

entstanden z.B. Hausschuhe, Mehlkörbe, Bienenkörbe und Bodenmatten aus geflochtenem<br />

Stroh. Der damalige Pfarrer Klinger inserierte 1849 in der Calwer Oberamtsnachrichten<br />

und nahm auch Bestellungen für Strohware entgegen.<br />

Die Herstellerinnen von Totengedenkbildern<br />

Diese Arbeit wurde meistens von Frauen ausgeübt. Solche Bilder waren in Württemberg - und<br />

hier hauptsächlich in den protestantischen Gegenden - seit Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

gebräuchlich. Verwandte, Freunde oder Nachbarn spendeten nach einem Todesfall ein solches<br />

Trauerandenken. Die Bilder sollten die Hinterbliebenen trösten und an den Verstorbenen<br />

erinnern. Die Form und Ausstattung der Totengedenkbilder war sehr unterschiedlich. Vom<br />

rechteckigen bis zum ovalen oder runden Bild kamen alle Formen vor. Unter dem Glas finden<br />

sich Gebilde aus Stoff, Papier oder Menschenhaaren, die zu Blumen, Schriftzügen und<br />

Bildern verarbeitet wurden. Auch Goldpapier, Glasperlen, Wachsfigürchen oder Fotos wurden<br />

zu Ensembles zusammengestellt. Immer wieder tauchen dabei bestimmte Motive auf, wie<br />

Kränze, Grabsteine, Kreuze oder Engel. Dieser Brauch ging Ende des vorigen Jahrhunderts<br />

durch die Verbreitung der Fotografie zu Ende. Leider sind in Gechingen nur noch zwei dieser<br />

Totengedenkbilder erhalten geblieben. Auf einem kann man noch folgendes Gedicht lesen:<br />

"Nachruf.<br />

Von Freundinnen sei dir nun heut,<br />

das letzte Denkmal jetzt geweiht.<br />

Bis jener große Tag erscheint,<br />

wo uns die Liebe neu vereint.<br />

Gott hat dich von der schlimmen Zeit,<br />

durch einen frühen Tod befreit.<br />

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Auch deine Mutter ruft dir zu:<br />

Komm, Tochter hier ist wahre Ruh.<br />

Leb wohl, getreues Vaterherz,<br />

mein früher Abschied bringt dir Schmerz.<br />

Großvater, du wirst dort mich sehen,<br />

wenn wir verklärt am Throne stehen.<br />

Wir weihen dir aus treuem Sinn,<br />

auch dieses kleine Denkmal hin.<br />

Dort in dem Reich der Seligkeit,<br />

wird unserer Liebe Band vereint.<br />

Du wirst als wohlgeschmückte Braut,<br />

mit einem anderen Mann getraut.<br />

Dann bricht nach kurzer Pilgerbahn,<br />

dein Hochzeitstag im Himmel an.<br />

Elisabeth Katharina Kühnle, gest.11.1.1869.<br />

Zum Andenken von ihren Freundinnen."<br />

In Gechingen wurden diese Art Bilder "Kranzkästen" genannt.<br />

Der Kreidegräber<br />

Der im Gewann "Herdweg" vorkommende feine Ton, der sogenannte "Trips" wurde früher<br />

abgegraben und zum Reinigen der Lederhosen und zum Putzen von Metallgegenständen<br />

verwendet.<br />

Der Kalkbrenner<br />

Im Mai 1965 wurde bei Kanalisationsarbeiten im Baugebiet "Angel" ein Kalkofen<br />

angeschnitten. Auf dem Boden lag über einer dünnen Holzkohlenschicht eine etwa 30 cm<br />

starke Schicht Kalk. Der die Grube umfassende Boden bzw. Fels war stark ausgeglüht. Ein<br />

Beweis, daß in unserer kalksteinreichen Gegend schon sehr früh, ab 1400 etwa, der Beruf des<br />

Kalkbrenners ausgeübt worden ist. Der Kalkstein wurde nach dem Erhitzen als gebrannter<br />

Kalk zum Herstellen von Mörtel und zum Ausweißen der Stuben und Ställe verwendet.1869<br />

erichtete der damalige Ziegler Samuel Vetter gegenüber seinem Haus in der Gültlinger Straße<br />

auf dem heutigen Grundstück Dingler einen Kalkofen. Später kam noch ein Kalkloch dazu,<br />

aus dem die Hausfrauen Kalk zum Einlegen der Eier holten.<br />

Der Samensammler<br />

In seinen Lebenserinnerungen berichtet Hermann Schmid über das Samensammeln: "Die<br />

Zapfen von Tannen, Fichten, Buchen und Forchen wurden gesammelt und nach Nagold<br />

gefahren und dort verkauft. 8 Mark für den Zentner, das war ein schönes Geld, und ich machte<br />

mit. In der Frühe nahm ich die 30sprossige Leiter und zwei Säcke. An der ersten Buche die<br />

Leiter angestellt und rauf ging´s! Ich pflückte und ging von Ast zu Ast, bis alles leer war.<br />

Dann ging ich runter, um zu sehen, wo noch weitere Samen wären. An zwei großen Ästen<br />

hingen noch welche, aber von oben waren sie nicht zu erreichen. Also stellte ich meine Leiter<br />

so, daß sie gerade noch den untersten Ast erreichte, kletterte hoch und stand auf der 28.<br />

Sprosse. Von dort wollte ich den nächsten Ast fassen, aber es reichte nicht. Ich stieg deshalb<br />

auf die letzte, die 30. Sprosse, aber auch so klappte es nicht. Sollte ich noch höher, vielleicht<br />

von den Leiterspitzen aus, ich griff nach einem Ast, mußte ihn loslassen, dadurch schnellte er<br />

gegen meine Leiter. Ein Krach - sie brach in der Mitte auseinander - wieviele Saltos ich beim<br />

Fallen schlug, weiß ich nicht mehr." Hier verlief der Sturz glücklicherweise glimpflich,<br />

Hermann Schmid trug keine Verletzungen davon, jedoch gab es bei solchen Unfällen oft auch<br />

Tote. Einige wagemutige Sammler machten sich nicht die Mühe, von einem abgeernteten<br />

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Baum erst abzusteigen, sondern kletterten ganz hoch in den Wipfel und brachten diesen durch<br />

Schaukeln in die Höhe des nächsten Baumes, dessen Äste sie dann packten, um sich<br />

hinüberzuschwingen. Die Zapfen wurden gepflückt, auf den Boden geworfen und später<br />

eingesammelt. Die Samen wurden in Nagold in der sogenannten "Staatsklenge" gesammelt,<br />

ausgesät und in Baumschulen gezogen. Mit den Setzlingen wurden und werden Wälder<br />

aufgeforstet.<br />

Gemeindebedienstete<br />

Die meisten Ämter wurden von der Gemeinde für kürzere oder längere Zeit immer wieder<br />

aufs Neue vergeben, und zwar im "Abstreich". Jeder interessierte Bürger konnte sich melden<br />

und bei der Gemeinde ein Angebot einreichen, zu welchen Bedingungen bzw. Entlohnung er<br />

das Amt übernehmen werde. Der billigste Bieter bekam dann, wenn Gemeinderat und<br />

Bürgerausschuß zugestimmt hatten, das Amt oder die Arbeit übertragen. Es handelte sich<br />

dabei um mehr oder weniger umfangreiche Nebentätigkeiten, die ein Zubrot verschafften.<br />

Außer den anschließend gesondert aufgeführten gab es noch Mausfänger, Baumwart,<br />

Bahnschleifer (Straßen freimachen im Winter), Feuerschauer, Waldmeister, Waldschütz,<br />

Feldschütz, Grabenschauer (Freihalten von Wasserabzugsgräben), Mostereiaufseher,<br />

Waschhausaufseher, Maß- und Gewichtsvisitatoren, Steinklopfer, Farrenwärter, Totengräber,<br />

Kalk- u.Ziegelschauer sowie Backhausaufseher.<br />

Der Bleicher<br />

Um frischgewobene Leinwand weiß zu bekommen, mußte sie gebleicht werden. Zu diesem<br />

Zweck mußte man im Sommer die Tuchbahnen im Freien in der Sonne auslegen, Wasser<br />

darauf gießen und die Bahnen öfters umdrehen. Diese Arbeit verrichtete der Bleicher, der das<br />

Tuch bei Tag und Nacht bewachte. Zu seiner Unterbringung erbaute die Gemeinde um 1880<br />

das "Bleicherhäusle" auf dem Festplatz (Bergwald). Später wurde die Hütte abgebrochen und<br />

als Wetterhäuschen in der Nähe des heutigen Hasenhofes aufgebaut. Der Bleicher erhielt für<br />

seine Arbeit 6 - 9 Mark pro Woche von der Gemeinde. Das Bleichen kostete pro Elle 3<br />

Pfennig. Im Jahr 1880 wurden z.B. 2 219 Ellen Tuch gebleicht. Als sich die Anstellung eines<br />

Bleichers durch die Gemeinde nicht mehr lohnte, bleichten die Frauen ihr Tuch selber.<br />

Der (Flecken-)Schütz<br />

Die Aufsicht im Waschhaus hatte um 1560 der Dorfschütz, er mußte alle Tage ins Waschhaus<br />

gehen und aufpassen, daß die "Weiber nicht unnütz mit den Kessel umgehen". Das Waschen<br />

zu Hause war wegen der Feuergefahr verboten.<br />

Wir wissen auch, daß ca. 1610 der Fleckenschütz täglich zweimal zum Schulzen und einmal<br />

in der Bürgermeister Häuser zu gehen hatte, um Anweisungen zu holen. Ferner mußte er im<br />

Backhaus danach schauen, daß das Bachholz, von dem jede Familie ihr eigenes hatte, richtig<br />

geschnitten war (Kerbholz). Nach der Anzahl der Kerben im Backholz wurde der Backpreis<br />

berechnet.<br />

Der Nachtwächter<br />

Die Nachtwächter gab es lange Zeit in unserem Ort. Sie hatten dafür zu sorgen, daß die Gatter<br />

an den Toren geschlossen waren und die Einwohner bei Gefahr alarmiert wurden. Auch bei<br />

Bränden, die bei den damaligen offenen Feuerstellen in den Häusern häufig waren, sollten die<br />

Nachtwächter Alarm geben. Später kam auch das Laternenanzünden als weitere Aufgabe<br />

hinzu. Von den Schultheißen mußten die Nachtwächter öfters verwarnt werden, da einige<br />

ihrem Dienst nur unvollkommen nachkamen. Zur besseren Kontrolle führte man um die<br />

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Jahrhundertwende ein Schlüsseluhrensystem ein. An sechs Stellen im Ort wurden kleine<br />

Blechkästen montiert, in denen Schlüssel hingen, die der Nachtwächter bei seiner Runde in<br />

eine Uhr einführen mußte. Ein eingelegtes Kontrollblatt zeichnete die Uhrzeit auf. Nach 1865<br />

war es Sitte, daß in der Neujahrsnacht die Nachtwächter vor jedem Haus sangen und<br />

Glückwünsche zum neuen Jahr überbrachten. Dafür erhielten sie Geld oder Naturalien. Da die<br />

jungen Burschen immer kräftig mitsangen und mitgrölten, mußte der Gemeinderat gegen<br />

diesen Lärm, der oft bis in die Morgenstunden ging, etwas unternehmen. Für das folgende<br />

Jahr erhielten die Nachtwächter mehr Lohn, damit sie das Singen in der Neujahrsnacht nicht<br />

mehr nötig hatten. Ob dies etwas geholfen hat, ist nicht überliefert.<br />

1916 wurde ein Antrag an das Bezirksamt wegen Abschaffung der Nachtwächter abgelehnt.<br />

Erst im Jahr 1921 mußte der letzte <strong>Gechinger</strong> Nachtwächter, Friedrich Kühnle, seinen<br />

Abschied nehmen.<br />

Der Amtsdiener<br />

Aus einem Protokoll von 1841:<br />

"Ich beziehe als Amtsdiener eine jährliche Besoldung von 24 Gulden, wofür ich wöchentlich<br />

dreimal nach Calw gehen muß und öfters zum Tragen der Bücher und Akten einen weiteren<br />

Gehilfen brauche. Pro Gang also 9 Kreuzer, bei einer Entfernung von 1 1/2 Stunden, bei der<br />

gebirgigen Strecke auch im Winter, mit größter Anstrengung. Die Belohnung steht also in<br />

keinem Verhältnis, weshalb ich um Erhöhung bitte". Diese wurde nicht genehmigt.<br />

Die Hebamme<br />

Ein uralter weiblicher Beruf ist der der Hebamme. Die erste schriftliche Erwähnung in<br />

Gechingen stammt aus dem Jahr 1659. Dort heißt es: "Der Hebamme sind zu zahlen, von<br />

jeder Frau die ein Kind gebiert, 4 Schilling. Von der Gemeinde für ein Jahr 2 Pfund Heller, 3<br />

Simri Roggen, 3 Scheffel Dinkel. Ihr Mann ist frei von Frohnen und Wachen." 1747 heißt es<br />

über die Besoldung der Hebamme: "Jährlich erhält sie 2 Gulden und 9 Kreuzer und für 4<br />

Schilling Dinkel. Die Weiber, welche sie brauchen, sollen ihr 8 Kreuzer und 4 Heller geben.<br />

Ihr Mann ist frei von Frohnen und Wachen. Im "Fleckenbuch" von 1649 sind drei<br />

Hebammen namentlich aufgeführt. Sie hießen: Margaretha Quinzler geb. Kappis, Anna<br />

Brackenhammer geb. Maurer und Agnes Schneider geb. Mitschele. Bei dem damaligen<br />

Kindersegen hatten die Hebammen sicher viel zu tun. Über die letzte <strong>Gechinger</strong> Hebamme,<br />

Emma Wuchter, berichte ich in dem Kapitel "Personen".<br />

Der Vieh- und Schweinehirt<br />

Verschwunden ist auch der Berufsstand des Vieh- und Schweinehirten, nur der Flurname<br />

"Viehtrieb" erinnert noch heute an diese Tätigkeit. Im Fleckenbuch von 1741 steht: "Den 24.<br />

August sind nachstehende Dienst und Ämter durch Schultheißen, Bürgermeister, Gericht und<br />

Rat wieder vergeben und ersetzt worden: Der Schafhirtendienst ist dem Michael Böttinger<br />

wieder für ein Jahr anvertraut worden um den alten Lohn. Den Wald- und Feldschützendienst<br />

dem Hans Leonhard Stürner um den alten Lohn. Den Kühehütedienst dem Michael Ziegerer,<br />

den Fleckenschützendienst dem Hans Jakob Ziegerer und die halbe Nachtwache um den<br />

halben Lohn. Den Schwein- und Geishütedienst dem Hans Jakob Bocken um den alten Lohn.<br />

Die Fleckenschmiede samt der halben Nachtwache um den alten Lohn an Kraushaar." Die<br />

Hirten hatten die Aufgabe, das gesamte Vieh der Gemeindemitglieder auf den<br />

gemeindeeigenen Wiesen zu hüten und zu bewachen. Die Schafzucht war früher schon weit<br />

verbreitet, die Wolle wurde versponnen. 1906 verpachtete die Gemeinde das Schafweiderecht<br />

über ca. 3.000 Morgen auf die Dauer von drei Jahren. Die Weide durfte im Vorsommer mit<br />

200, im Nachsommer mit 300 Schafen beschlagen (beweidet) werden. 1840 hieß es: "Die<br />

Weide ernährt im Vorsommer 600, im Nachsommer 800 Stück Schafe."<br />

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Der Rindenschäler<br />

Die "Kirchhalde" war in vergangenen Zeiten ganz mit Eichen bewachsen. Da gab es Arbeit für<br />

den Rindenschäler. Mit dem Räppeleisen entfernte er die Eichenrinde von den Stämmen und<br />

verkaufte sie an die Gerbereien in Calw, die mit Eichenrindenlauge ihre Felle gerbten. Die<br />

Gemeinde stellte für das Rindenschälen in den Gemeindewäldern Leute an und verkaufte die<br />

Rinde auf eigene Rechnung.<br />

Der Straßenwart<br />

Mit Besen und Schaufeln bewaffnet, traf man an den Straßen die Straßenwarte. Sie hatten für<br />

die Sauberkeit und Instandhaltung der Straßen und Wege zu sorgen. Abflußgräben mußten<br />

freigemacht und kleinere Schäden mit Schotter ausgebessert werden. Es gab für jede<br />

Landstraße einen extra Straßenwart. Bis in die jüngste Vergangenheit waren zwei Originale,<br />

nämlich die Straßenwarte Ernst Ohngemach und Gottlob Böttinger, im ganzen Ort bekannt.<br />

Der Untergänger<br />

Die Untergänger, auch Felduntergänger genannt, hatten die wichtige Aufgabe, die Grenzsteine<br />

zu sichern bzw. neu zu setzen.<br />

In der alten deutschen Zehntordnung heißt es: "Wo einer wissentlich Marksteine ausgrabet,<br />

den soll man in die Erde graben bis an den Hals und soll dann nehmen vier Pferde, die des<br />

Ackers nicht gewohnt sind und einen Pflug, der neu ist und sollen die Pferde nicht mehr<br />

gezogen und der Knecht nicht mehr gepflügt, noch der Pflughalter nicht mehr den Pflug<br />

gehalten haben und ihm nach dem Hals pflügen, bis er ihm den Hals abgepflügt hat." Solche<br />

grausamen Strafanordnungen für frevelhafte Grenzsteinversetzer lockerten sich im<br />

Spätmittelalter zu Landesverweisung, Gefängnis, Geldstrafen oder Stockschlägen. Den<br />

Grenzsteinen drohten auch Gefahren durch Hochwasser, Unwetter und Erdbewegungen. Für<br />

den Untergänger war es daher oft ein Problem, die alte Stelle wieder zu finden, an der der<br />

Stein gestanden hatte. Im "Recht der Grenzen" von Beck aus dem Jahre 1739 steht: "Man<br />

pflegt es aber bei der äußerlichen Bezeichnung der Steine nicht zu lassen, sondern es werden<br />

auch inwendig etliche Steinlein beigelegt, welche man Zeugen, Geheimnis, Merkzeichen,<br />

Loszeichen oder Jungen, item Beleg, Gemerk, Beilagen nennet. Im Herzogtum Württemberg<br />

nennen sie die Untergänger Eier und sehen sogleich der Hebung der Marksteine nach, ob der<br />

Stein seine Eier habe oder nicht." Solche Beigaben, bei uns Zeugen genannt, gab es auch in<br />

Gechingen. Vorhanden sind noch aus Ton gebrannte größere und kleinere Kegel, oben mit<br />

einem großen "G" gekennzeichnet und viereckige Tonplättchen mit der Inschrift "Gechingen".<br />

In Gechingen verloren die Zeugen 1899 ihre Beweiskraft durch die neue Art der Vermessung.<br />

Gleichwohl blieb es bis 1960 bei diesem Brauch. Wer unter einem Grenzstein nach Zeugen<br />

sucht, macht sich strafbar, da alle Grenzsteine unter Denkmalschutz stehen, laut Gesetz vom<br />

6.12.1983. Diebstahl oder Beschädigung von Grenzzeichen ist kein Kavaliersdelikt und wird<br />

hart bestraft.<br />

Neue Entwicklungen - neue Bedürfnisse<br />

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich, durch Verbesserungen im Bereich der Landwirtschaft,<br />

neuartige Maschinen, Fruchtwechselwirtschaft, Ausbau des Straßennetzes und damit der<br />

Transportverhältnisse, Zunahme der Bevölkerung, neue Bedürfnisse, denen durch Selbsthilfe,<br />

aber auch durch die Gemeinde Rechnung getragen werden mußte.<br />

Der Ortsbauernverband<br />

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Schon ab 1839 gab es im damaligen Oberamt Calw einen landwirtschaftlichen Verein unter<br />

der Leitung des rührigen <strong>Gechinger</strong> Pfarrers Heinrich Theodor Klinger. Wieviele <strong>Gechinger</strong><br />

Bauern damals Mitglied im Ortsbauernverband waren, läßt sich heute nicht mehr feststellen.<br />

Als sicher gilt, daß es nach dem ersten Weltkrieg eine Ortsgruppe des Bauernbundes in<br />

Gechingen gab. Belegt sind aus dieser Zeit Reisen und Besichtigungen von Mustergütern,<br />

außerdem eine fleißige Vereinstätigkeit, auch des Hausfrauenvereins, unter Leitung von<br />

Katharine Weiß, Hohe Gasse. Das Jahr 1933 machte dem Bauernbund, wie vielen anderen<br />

Vereinen auch, ein Ende. Er wurde aufgelöst und dem sogenannten "Reichsnährstand"<br />

eingegliedert. Die Bauern in Gechingen schloß man in der Ortsbauernschaft zusammen, an<br />

deren Spitze der Ortsbauernführer stand. Er überwachte die Ausführung der Anordnungen, die<br />

der Reichsbauernführer über die Landesbauernführer und Kreisbauernführer gab. Es wurde<br />

nicht nur die eigentliche Landwirtschaft vom Reichsnährstand erfaßt, sondern auch alle<br />

Berufe, die mit der Be- und Verarbeitung sowie der Verteilung landwirtschaftlicher<br />

Erzeugnisse zu tun hatten, also auch die Müller, Bäcker und Mehlhändler. Mit Hilfe des<br />

Reichsnährstandes versuchte das nationalsozialistische Regime Deutschland von der Einfuhr<br />

von Lebensmitteln aus dem Ausland unabhängig zu machen. Die Bauern wurden so zu einem<br />

Glied der nationalen Verteidigung und der Kriegswirtschaft. Nach Kriegsende gründete sich<br />

die Ortsbauerngemeinschaft des Bauernverbandes in Gechingen am 7.3.1948 mit 35<br />

Mitgliedern neu. Um 1950 zählte der Ortsbauernverband Gechingen 74 Mitglieder. Eine<br />

wichtige Aufgabe des Verbands war die Mitwirkung bei der anstehenden Flurbereinigung.<br />

Auch wurden Stäubapparate und Rapskäferfanggeräte angeschafft.<br />

Im Jahr 1953 wurde in Gechingen das Kreiserntedankfest ausgerichtet und gefeiert. Alle<br />

Vereine und die Schule beteiligten sich daran. Tausende von Besuchern sahen einen<br />

einmaligen Festumzug mit Schülergruppen, Erntewagen, Früchtewagen, "Lichtstube",<br />

"Lichtgang", Sichelhenke (Fest bei Beendigung der Ernte) und Blumenwagen.<br />

In den folgenden Jahren schaffte der Ortsverband mehrere Unkrautspritzen an, die den<br />

Mitgliedern zur Verfügung standen. Auch ein Klauenpflegestand wurde gekauft. Im Jahr 1978<br />

wurde die Saatreinigungs- und Beizanlage vom Ortsverband übernommen. Die Mitgliederzahl<br />

des Verbandes stieg bis 1965 ständig. Damals hatte sie mit 109 Mitgliedern einen Höchststand<br />

erreicht. Seither sinkt der Mitgliederstand wegen Betriebsaufgaben wieder. Im Jahr 1985<br />

zählte der Ortsverband Gechingen 70 Mitglieder.<br />

Die Ortsobmänner seit der Wiedergründung im Jahr 1948 waren:<br />

Von 1948 - 1970 Fritz Mörk<br />

Von 1970 - 1979 Otto Mörk<br />

Von 1979 - 1989 Heinz Marquardt<br />

Von 1989 - heute Gerd Böttinger<br />

Die Milchverwertungsgenossenschaft<br />

Vermutlich im Jahr 1894 wurde die Genossenschaft, kurz MVG genannt, gegründet und im<br />

Februar 1895 ein Grundstück von Johann Georg Eisenhardt erworben. Den Plan zur<br />

Errichtung eines einstöckigen Molkereigebäudes unterzeichnete Vorstand Unger. Eine<br />

Eintragung im Grundbuch der Gemeinde lautet, daß laut Statut vom 28.10.1895 eine MVG als<br />

freie Genossenschaft existiert und sich um die Verwertung der hier erzeugten Milch bemüht.<br />

Der größte Teil der Milch wurde zu Butter verarbeitet oder an private Milchhändler verkauft.<br />

Das Jahr 1918 brachte die Überleitung der MVG in eine GmbH. In dieser Zeit belief sich die<br />

Mitgliederzahl auf ca. 190 Personen. Im Jahr 1920 wurde eine großzügige<br />

Gebäudeerweiterung durchgeführt und der Maschinenpark vergrößert, außerdem wurde ein<br />

Kleesamenreiber angeschafft.<br />

101


Im Inflationsjahr 1924 schließt der Jahresbericht vom März 1924 mit einem Gewinn von 39<br />

Billionen, 234 Milliarden, 232 Millionen, 468 Tausend, 837,25 Papiermark ab. (Das waren<br />

39,23 Goldmark!) Für einen Liter Milch erhielten die Bauern damals bis zu 3.000 Mark. Ein<br />

großer Teil der Butter wurde in 5-Pfund-Stangen verpackt nach Hildesheim verschickt. Dazu<br />

war der Bau einer Kühlanlage notwendig. Doch schon 1930 wurde die Butterungsanlage<br />

stillgelegt und dafür Rahm produziert. Die MVG erhielt beim Landwirtschaftlichen Hauptfest<br />

in Stuttgart 1930 den ersten Preis. Daraufhin bot die Milchverwertung Stuttgart AG<br />

Zusammenarbeit an und die MVG Gechingen beteiligte sich an der AG. Die Abhängigkeit<br />

vom privaten Handel war damit zu Ende. Auf der DLG (Deutsche<br />

Landwirtschaftsgenossenschaft) Ausstellung 1932 in Mannheim erzielte die MVG Gechingen<br />

wiederum den ersten Preis für Frischmilch. Die Milch wurde mit Pferdewagen nach<br />

Gärtringen oder Althengstett gefahren. Dabei stürzte im Februar 1934 bei Glatteis der Wagen<br />

in Althengstett um. Der Schaden betrug 140 Reichsmark und wurde bei der Gemeinde<br />

Althengstett angemeldet.<br />

Ein Anbau an das Molkereigebäude wurde 1938 begonnen, nachdem fünf Tonnen Zement<br />

zugeteilt worden waren. Dadurch wurde Platz geschaffen für einen Hochdruckdampfkessel<br />

und eine moderne Entrahmungsanlage. Während des zweiten Weltkrieges war in der Molkerei<br />

auch die Eiersammelstelle.<br />

Im April 1945 mußte die Milchannahme ganz eingestellt werden, da ein Abtransport wegen<br />

der Kriegsereignisse nicht mehr möglich war. Im Mai kam dann vom Landratsamt Calw der<br />

Auftrag, die Milch nach Calw zu liefern, aber der Transport machte zu große Schwierigkeiten,<br />

außerdem wurde der zugesicherte Milchpreis nicht bezahlt. Die gesamte Verwaltung der<br />

MVG mußte im Zuge der politischen Säuberung zurücktreten. Durch die Aufteilung des<br />

Landes in Besatzungszonen kam die MVG zur Milchversorgung Pforzheim.<br />

Eine neue Saatgutreinigungsanlage wurde 1954 gekauft und die TBC-Aktion erfolgreich<br />

durchgeführt.<br />

Mit einem Kostenaufwand von DM 24 000.- wurde 1959 eine neue Molkereieinrichtung<br />

eingebaut und von da an praktisch nur noch die Milch gesammelt. Die Milchanlieferung<br />

erreichte 1962 mit 1 Million 6 000 Liter ihren Höchststand. Ein Artikel der "Kreisnachrichten<br />

Calw" aus dem Jahr 1965 berichtet über die Arbeit der MVG:<br />

"Wenn in Gechingen die Milch abgeliefert wird<br />

Auch in Gechingen ist die Landwirtschaft in den letzten Jahren zurückgegangen. Dennoch hat<br />

das Dorf noch einen gesunden Bauernstand mit einer zum Teil nach modernsten<br />

Gesichtspunkten ausgerichteten Viehhaltung. Während der Charakter der Landgemeinde in<br />

den ständig wachsenden Neubaugebieten keine typisch ländlichen Züge mehr trägt, ist der<br />

Hauptort wie eh und je echt bäuerlich geblieben. Hinzu kommen 8 Aussiedlerhöfe als Beispiel<br />

dafür, daß in Gechingen auch der Fortschritt im Rahmen des Möglichen nicht zu kurz kommt.<br />

Das bäuerliche Leben ist deshalb weiterhin ein wichtiger Faktor im Leben des Dorfes<br />

überhaupt. Landwirtschaftliche Traktoren, Maschinen und andere Fuhrwerke gehören etwa<br />

ebenso zum Ortsbild wie morgens und abends die vielen Milchkannen, die - getragen oder<br />

gefahren - zur Milchsammelstelle gebracht werden. Rund 100 Anlieferer sind zum Beispiel in<br />

den Abendstunden gegen 7 Uhr unterwegs. Besonders gerne ist hier die Jugend bei der Sache,<br />

denn der Gang zur Milchsammelstelle hat zweifellos seine guten Seiten: Man trifft sich, man<br />

spricht über alles, und - was man an Neuigkeiten noch nicht erfahren haben sollte, erfährt man<br />

bestimmt beim Schwätzle an der Molke. Die ganze Ablieferung der Milch ist in den<br />

Abendstunden die Sache von gut einer halben Stunde. Durchschnittlich 2 400 Liter fließen aus<br />

den Kannen durch den Meßapparat in die 3 000 Liter fassende Tiefkühlwanne, deren Inhalt<br />

am nächsten Morgen nach Pforzheim in die Molkerei kommt. Den früheren Vorsitzenden der<br />

Milchgenossenschaft - Eugen Böttinger - trafen wir bei der Entnahme der Fettproben, die das<br />

A und O für die Bezahlung sind. "Die Proben kommen nach Pforzheim zum<br />

102


Milchprüfungsring", erklärte uns Eugen Böttinger, der uns als Milchpreis bei Fettgehalten von<br />

3,5 - 4,5 % 28 - 35 Pfennig pro Liter nannte. "Ein Fettgehalt von 4,5 % ist jedoch schon die<br />

oberste Grenze", erfuhren wir im Verlauf des Gesprächs von Ludwig Ruopp, der zusammen<br />

mit Frau Erika Utz die Sammelstelle betreut. Gleichzeitig mit der Milchanlieferung wird auch<br />

Milch an die Verbraucher abgegeben. Täglich sind es etwa 200 Liter. Käse und Butter gibt es<br />

nur für die Milcherzeuger. Die Milchverwertungsgenossenschaft Gechingen ist alles in allem<br />

ein wichtiges Glied in der Versorgung mit einem der bedeutendsten Nahrungsmittel."<br />

1970 konnte die MVG ihr 75-jähriges Bestehen feiern. Doch zeigten sich jetzt schon<br />

rückläufige Tendenzen. 1971 hatte die MVG bei 114 Mitgliedern noch 55 Milchlieferanten.<br />

Nachdem 1975 der Ortsmilchverkauf auf Grund EG-Gesetzen entfallen mußte, stellten sich<br />

auch wirtschaftliche Überlegungen über die weitere Zukunft der MVG. So kam es 1978 zur<br />

Verschmelzung mit der MVG Nördlicher Schwarzwald. Zuvor mußte noch das<br />

Molkereigebäude verkauft und mit dem neuen Besitzer ein Mietvertrag über einen Raum, der<br />

als Milchsammelstelle mit Kühlanlage dienen sollte, abgeschlossen werden. Mit dem<br />

Bauernverband konnte eine Einigung über die Übernahme der Saatgutreinigungsanlage erzielt<br />

werden. Am 1.12.1978 löste sich die MVG dann endgültig auf.<br />

Der Konsumverein<br />

Die Filiale wurde um 1922 im Hause Calwer Straße 11 eingerichtet, das damals dem<br />

Korbmacher Haueisen gehörte. Er oder sein Vorgänger Schuhmacher Jauch bauten in jenen<br />

Jahren an das bestehende Gebäude an. Haueisen war auch der erste Leiter dieser Filiale. Bis<br />

1971 blieb der Konsum dort, dann konnten im neuen Rathause größere Räume bezogen<br />

werden, um die zahlreichen Kunden besser bedienen zu können.<br />

Die Gefriergemeinschaft<br />

Es war 1955, als sich ein Kreis von etwa 20 Personen traf, um die Idee einer zentralen<br />

Gefrieranlage in die Tat umzusetzen. Bei Preisen von 2000 DM für eine einzelne Anlage<br />

war dies ein guter Gedanke. Vom Spätherbst bis zum Dezember 1955 wurden verschiedene<br />

Anlagen in der Umgebung besichtigt, weitere Interessenten gewonnen und eine<br />

Gefrieranlage bestellt. Die Anlage mit 56 Truhen `a 200 Liter kostete pro Truhe 550 DM.<br />

Bei der Inbetriebnahme im April 1956 waren noch 10 Truhen unverkauft, doch nach ca.<br />

einem Jahr waren dann alle belegt. Untergebracht ist die Gefrieranlage im Untergeschoß<br />

des früheren WLZ (Württembergische Lagerhaus Zentrale) Lagerhauses in der<br />

Dorfäckerstraße. In der ersten Zeit waren es vor allem Landwirte, die dort Lebensmittel<br />

einlagerten, heute sind auch viele Privathaushalte dabei. Während in manchen umliegenden<br />

Ortschaften die Gefrieranlagen nach und nach wegen zu großer Reparaturkosten stillgelegt<br />

wurden, arbeitet die <strong>Gechinger</strong> Anlage dank guter Wartung noch einwandfrei. Nur einmal<br />

in 30 Jahren mußte unter hektischen Umständen der Motor ersetzt werden. Die Herren<br />

Steimle und Benz und lange Zeit Eugen Schwarz warteten das Kühlaggregat in<br />

vorbildlicher Weise. Herr Groß, von Anfang an Rechner der Gefriergemeinschaft, sorgte<br />

dafür, daß bei den Mitgliedsbeiträgen - sie liegen derzeit bei monatlich 70.- DM - ein<br />

Betrag für anfallende Reparaturen zur Seite gelegt wurde.<br />

Die Feuerwehr<br />

Jahrhundertelang löschte man Brände durch Wasser aus Bütten, aus denen man mit ledernen<br />

Eimern schöpfte, die dann in der Menschenkette von Hand zu Hand gingen. Die ganze<br />

Einwohnerschaft war verpflichtet, zu helfen. Am 17.1.1655 heißt es in einem<br />

Gemeinderatsprotokoll:"...wofern ein Fremder in unseren Flecken eindringen (sich<br />

niederlassen) will, der solle dem Flecken uff das Rathaus einen Eimer (Feuereimer) machen<br />

lassen." In den württembergischen Landesordnungen von 1552, 1567 und 1621, in denen<br />

103


esondere Abschnitte "Von Brünsten" enthalten sind, war bei letzteren nur die Löschpflicht<br />

und die gegenseitige Beistandspflicht der Gemeindemitglieder festgelegt. Im ersten Drittel des<br />

18. Jahrhunderts folgten drei im wesentlichen gleichlautende Feuerordnungen (von 1703,<br />

1716 und 1730), welche zwar zunächst bloß für die Residenzstädte Stuttgart und Ludwigsburg<br />

erlassen waren, aber allmählich - auch nach dem Willen der Landesregierung - in anderen<br />

württembergischen Orten entsprechend angewendet wurden. Im Jahr 1752 wurde sodann ein<br />

württembergisches Gesetz, die Landfeuerordnung, erlassen, welche ausdrücklich und der<br />

Form nach für alle Gemeinden des Landes zu gelten hatte und auf diese die Bestimmungen<br />

der früheren "Stadt-Feuer-Ordnung" anwandte. Diese Landfeuerordnung von 1752<br />

verpflichtete schon alle Gemeinden zur Anschaffung von Löschgerätschaften, sowie sämtliche<br />

Gemeindeeinwohner ohne Unterschied des Standes zur Hilfeleistung bei Brandfällen. Noch<br />

fehlten aber jegliche Vorschriften über die geeignete Verwendung der zur Hilfeleistung<br />

Verpflichteten auf der Brandstätte und über eine sachverständige Leitung der<br />

Löschmaßnahmen. An eine etwaige Einübung der Hilfsdienstpflichtigen für den Ernstfall war<br />

überhaupt noch nicht gedacht. Erst die für das junge Königreich Württemberg erlassene, auf<br />

die im April 1808 verkündete Feuerpolizeiordnung folgende, allgemeine Feuerlöschordnung<br />

vom 20. Mai 1808 brachte weitere Verbesserungen. Dort wurde bestimmt, daß die<br />

Bürgerschaft, besonders auch die "Erwachsenen ledigen Leute, Gesellen und Knechte des<br />

Orts" nach dem Grad ihrer Brauchbarkeit und entsprechend ihren handwerklichen<br />

Sonderkenntnissen, in Rotten einzuteilen sind. Auch waren nun genaue Vorschriften über die<br />

Leitung der Löscharbeiten und über die nach dem Brandfall zu ergreifenden Maßnahmen<br />

gegeben. In den nächsten 50 Jahren (bis 1852) wurden in Württemberg etwa 16 freiwillige<br />

Feuerwehren, meist in Oberamtsstädten, gebildet. Die Königliche Regierung hatte im März<br />

1819 (auf dem Weg über die vier Kreisregierungen), unter Hinweis auf die in Heilbronn<br />

bereits bestehende und als gut erprobte derartige Einrichtung, zur Bildung von organisierten<br />

und eingeübten Feuerlöschmannschaften in den größeren Gemeinden aufgefordert. Die in der<br />

Residenzstadt Stuttgart schon im Jahr 1847 erstmalig angeregte Gründung einer Freiwilligen<br />

Feuerwehr kam erst 1852 endgültig zustande. Eigentliche freiwillige Feuerwehren, die<br />

halbwegs zweckentsprechend ausgerüstet waren und regelmäßige Übungen abhielten, wurden<br />

erst im Jahr 1847 in Württemberg gegründet. Die ersten hierbei waren einmal eine 200 Mann<br />

starke Freiwillige Lösch- und Rettungsanstalt in Heilbronn und zum andern die<br />

"Pompierskorps" ( "pompiers" französisch = Feuerwehr) in Reutlingen und Tübingen, je seit<br />

Mai 1847. Im gleichen Jahr folgte noch die Gründung der Freiwilligen Steigerkompanie in<br />

Ulm und diejenige der Freiwilligen Feuerwehr in Schwäbisch Hall. Schon im Jahr 1869 war<br />

vom Königlichen Ministerium des Innern der Entwurf zu einem neuen Gesetz über das<br />

Feuerlöschwesen in Württemberg ausgearbeitet worden. Der Entwurf wurde jedoch, wohl<br />

wegen der Kriegszeiten (1870-1871) nicht zum Gesetz erhoben, aber allem nach galt er doch<br />

in manchen Punkten schon als Richtlinie. Durch diesen Beschluß wurde erreicht, daß vom<br />

Jahr 1872 ab in allen württembergischen Gemeinden, welche noch Feuerlöschpumpen mit<br />

Beiträgen aus der Zentralkasse anschafften oder anschaffen wollten, nun ausgerüstete<br />

Steigerabteilungen und Pflichtfeuerwehren entstanden. Der damalige Oberamtsbezirk Calw<br />

besaß 1872 nur vier organisierte Wehren, Calw, Hirsau, Liebenzell und Simmozheim. Bis<br />

1877 kamen noch Althengstett, Dachtel, Deckenpfronn, Gechingen, Neubulach und<br />

Stammheim dazu.<br />

Über die allgemeine Feuerlöschordnung vom 20. Mai 1808 erfahren wir aus einem <strong>Gechinger</strong><br />

Gemeinderatsprotokoll von 1821 folgendes: "Ferner wurde weiter vorgetragen, daß die<br />

Pferdsbauern bei vorkommenden Feuersbrünsten wegen geringen Lohn um weitere Anzeig zu<br />

machen, nicht zufrieden seyen und begehren fernerhin eine bessere Belohnung für zu<br />

prostierenden Feuerritt. Es wurden demnach von dem Gemeinderath und Bürger-Collega<br />

104


estimmt, daß zu der Feuerspritze vier Pferd angeordnet werden sollen und jedem Pferd zu<br />

fahren an Lohn zugesichert werden und zwar von der ersten Stund 1 Schilling, von der<br />

zweiten 30 Kreuzer, bei der dritten 30 Kreuzer. Falls aber dieselben bey einer Brunst<br />

anlangten und die Pferd beibehalten würden, bis dann die Spritze nicht mehr gebraucht würde,<br />

so solle für jedes Pferd wegen Aufwarten per Tag 32 Kreuzer erhalten. Ferner solle dem der<br />

gegen den Feuer reitet, per Stund an Lohn zugerichtet werden 1 Schilling und demjenigen,<br />

welcher in die nachbarlichen Orte weitere Anzeig machen müßte, solle jedem per Stund zu<br />

Lohn zugerichtet werden 40 Kreuzer."<br />

1856 heißt es: "Für die Feuerlöschgerätschaften sollen 12 in Eisen gebundene und mit Ölfarbe<br />

angestrichene Butten angeschafft werden. Junge kräftige Bürger wird man mit der Führung<br />

derselben bekannt machen. Bei Bränden außerhalb werden die Buttenträger mit dem<br />

Fuhrwerk hingefahren." Bei einem Brand in Aidlingen am 28.11.1856 waren 18 Mann der<br />

Buttenträgermannschaft eingesetzt.<br />

1858: "Der Zustand der vorhandenen Feuerspritze erregt den Wunsch, eine neue, leichtere<br />

Spritze, namentlich zum Gebrauch bei auswärtigen Bränden, anzuschaffen."<br />

In Gechingen bestanden Feuerrotten, aus Buttenträgern, Spritzenmannschaft und<br />

Steigermannschaft zusammengesetzt. Insgesamt waren es ca. 70 Mann. Alle jungen Männer,<br />

die ins aktive Bürgerrecht eintraten, hatten ein "Feuereimergeld" von je 1 Gulden zu<br />

entrichten. 1860 kamen so 8 Gulden in die Kasse, 1866 12 Gulden. Als es am 20.1.1862 in<br />

Deufringen brannte, waren 31 Mann der Spritzenmannschaft dort bei der Brandbekämpfung<br />

tätig.<br />

1863 wird erstmals das <strong>Gechinger</strong> Spritzenhaus erwähnt. Es handelt sich jedoch nicht um das<br />

bekannte Spritzenhaus, das erst 1873 aus der Schulscheuer entstanden ist, sondern um ein<br />

kleineres Gebäude, das oberhalb des Kirchplatzes am Geißbiegel stand (bei Haus Wittel). Im<br />

Februar 1871 beschädigte ein Sturm das Häuschen, so daß Reparaturen in Höhe von 3 Gulden<br />

und 52 Kreuzer anfielen. Deshalb wurde die Schulscheuer 1873 mit einem Aufwand von 207<br />

Gulden zu einem Spritzenhaus umgebaut. 1892 mußte der Boden des Gebäudes ausgegraben<br />

und mit Schotter und Sand so gerichtet werden, "daß die Spritzen gut auslaufen können“. Am<br />

10.5.1867 wurden beide Feuerspritzen probiert. Die Spritzenmeister waren: Jakob Gehring,<br />

Schmied und Johann Gräber, Schlosser. Im Oktober des gleichen Jahres waren 38 Mann bei<br />

einem Brand in Deckenpfronn eingesetzt. Im Mai 1872 taten 12 Feuerreiter aus Gechingen<br />

Dienst bei einem Brand in Ostelsheim.<br />

Am 28.10.1872 wurde dann auch in Gechingen die Freiwillige Feuerwehr gegründet. In den<br />

Statuten von 1872 steht u.a.: "Das Korps besteht aus dem Kommandanten, dem Adjudanten,<br />

dem Kassier, zwei Tambours, drei Hornisten, 1 Zug Steiger, 1 Zug Schutzmannschaft, 2 Züge<br />

Spritzmannschaft nebst zwei Spritzenmeistern und deren Stellvertretern. Die<br />

Buttenmannschaft besteht aus 18 Mann. Zum Bedienen der Feuerspritzen, Hydrophor<br />

genannt, benötigt man zwei Gruppen, die sich gegenseitig ablösen. Die Hornisten haben die<br />

Aufgabe, mit Hilfe von verschiedenartigen Trompetenstößen den Mannschaften die Befehle<br />

des Kommandanten zu übermitteln." Es gab 24 verschiedene Signale mit der Trompete,<br />

außerdem noch vier Pfeifsignale. Die erste Kompanie Steiger hörte auf das Signal: "Ihr<br />

Steiger, gebet Achtung, man ruft euch jetzo vor!" Für die zweite Kompanie<br />

Spritzenmannschaft galt das Signal: "Die Spritzen vor, zweite Kompanie !" Die dritte<br />

Kompanie, Hydrophormannschaft, hörte auf: "Hydrophor, Hydrophor !" Die vierte Kompanie,<br />

Buttenmannschaft, auf: "Mehr Wasser her, die Spritz ist leer, mehr Wasser her, die Spritz ist<br />

leer!" Die fünfte Kompanie, die erste Rettungsmannschaft, hörte auf das Signal: "Oh, die<br />

fünfte Kompanie, scheute einen Brand noch nie !" Die sechste Kompanie, zweite<br />

Rettungsmannschaft, auf: "Auf ihr Männer, rettet geschwind, doch tragt ja nichts unter den<br />

105


Wind!" (Die geretteten Möbel usw. sollten nicht in der Windrichtung gelagert werden, da ein<br />

Ausdehnen des Brandes in diese Richtung zu befürchten war.)<br />

Noch im gleichen Jahr schaffte man folgende Gerätschaften an:<br />

4 Hackenleitern je 27 Gulden, 1 Rettungsschlauch 60 Gulden, 1 Rettungskorb 8 Gulden, 3<br />

Signalhörner in B 19 Gulden 30 Kreuzer, 1 Messinghupe 3 Gulden 30 Kreuzer, 4 kleine<br />

Hupen 4 Gulden, 12 Schrillpfeifen 3 Gulden, 16 Drillichanzüge 20 Gulden 56 Kreuzer, 14<br />

Helme und 14 Beile 22 Gulden 24 Kreuzer, 21 Gurtenhaken 37 Gulden 48 Kreuzer, 22<br />

Seilhaken 17 Gulden 36 Kreuzer, 18 Gurtenringe 2 Gulden 42 Kreuzer, 70 Feuerwehrhelme<br />

272 Gulden 15 Kreuzer, 1 Flaschenzug mit Seilen 37 Gulden 54 Kreuzer, 12 Laternen, Haken<br />

mit Seil und Kette 56 Gulden 30 Kreuzer, 1 Anstelleiter 10 m lang u.2 Dachleitern 56 Gulden,<br />

1 Hydrophor mit Saugschläuchen, 1 Schlauchwagen 1513 Gulden, 9 Schläuche mit<br />

Normgewinden 172 Gulden 44 Kreuzer 2 Hakenleitern, 2 Dachleitern 46 Gulden.<br />

In der Lokalfeuerlöschordnung von 1889 heißt es: "Bei Brandfällen im Ort geschieht die<br />

Alarmierung durch Läuten aller Glocken, Signale der Hornisten und Tambours. Bei<br />

auswärtigen Bränden durch Läuten der großen Glocke und Signale der Feuerwehr."<br />

Die neue <strong>Gechinger</strong> Feuerwehr hatte ihren ersten auswärtigen Einsatz am 23.8.1874 bei einem<br />

Großbrand in Wildberg. Aber schon im Juli 1872 war sie bei einer Übung in Böblingen mit<br />

dabei. Zum 10. Deutschen Feuerwehrtag in Stuttgart, der vom 11.-14.August 1877 stattfand,<br />

war die <strong>Gechinger</strong> Wehr mit einem Sonderzug von Althengstett aus angereist und beteiligte<br />

sich an dem 11000 Mann starken Festzug.<br />

Ihren größten Einsatz hatte die Wehr 1881 beim großen Brand in Gechingen (Siehe: "Vom<br />

großen Brand bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs"). Dieses Unglück wurde zum Anlaß,<br />

weitere vier Buttenspritzen zum Preis von 290 Mark anzuschaffen. Bei einem Brand in<br />

Ostelsheim am 26.1.1885 rückten vier Mannschaftszüge mit acht Pferden aus und am 11.8.<br />

zu einem Brand nach Althengstett 25 Mann. Zwei Brände in Gechingen, 1887 und 1891<br />

konnten von der Wehr gelöscht werden. Zwei weitere Brände 1891 in Ostelsheim machten<br />

den Einsatz von insgesamt 68 Mann notwendig.<br />

1901 waren 250 m Schlauch und 12 eiserne Butten als Ersatz für die alten hölzernen Butten<br />

nötig, außerdem ein Helm für den Kommandanten in den württembergischen Farben mit<br />

weißem Busch, Emblem und Schuppenband.<br />

Die <strong>Gechinger</strong> Feuerwehr war lange Jahre über 70 Mann stark. Einen Bericht über den Einsatz<br />

aller Einwohner im Brandfall verdanken wir Luise Weiß geb. Gehring:<br />

"Dienstag, den 2. Juni 1903. Mittags 12 Uhr.<br />

Als wir am Mittagessen saßen, fuhr nach vorangegangenem Blitzen und Donnern ein<br />

fürchterlicher Blitz nieder, der alle zittern machte, welchem auf der Stelle ein solcher<br />

Donnerschlag folgte, daß alles erbebte und jedes meinte, es sei selbst getroffen worden. Einige<br />

Minuten nachher entstand Feueralarm, wo es jetzt schon ziemlich hagelte. Der Blitz schlug in<br />

die Scheuer des Christian Stiegelmaier im Gailer, welche sofort in hellen Flammen stand und<br />

total niederbrannte unter Hagel und strömendem Regen. Die ganze Einwohnerschaft hat nun<br />

ununterbrochen gearbeitet, um wenigstens das Wohnhaus zu retten, was auch dank schwachen<br />

Windes gelang. Solange dort gearbeitet wurde, schlug ein zweiter Blitzschlag in das Schwarz-<br />

Dongus´sche Haus, doch ohne zu zünden, was noch ein großes Glück war, denn an zwei<br />

Stellen wäre an ein Löschen nicht zu denken gewesen. Es war auch in diesem Unglück noch<br />

von Glück zu sagen. Diese Gewitter, denn es kam eines hinter dem anderen, mindestens drei,<br />

entluden sich sämtlich auf unserer Markung. Rings um uns regnete es kaum, bei uns dagegen<br />

waren einige nahe daran, Wassersnot zu bekommen. In den Gärten und in den Hopfen hat es<br />

ziemlich Schaden gemacht, wir wollen uns aber noch zufrieden geben in der Hoffnung, daß<br />

Gott uns verschont hat vor der großen Wassersnot wie vor 30 Jahren 1873."<br />

106


1897 beging die <strong>Gechinger</strong> Wehr ihr 25-jähriges Jubiläum und ehrte aus diesem Anlaß 12<br />

Mitglieder mit dem Feuerwehrdienstehrenabzeichen.<br />

Der 12 Juli 1936 war ein großer Tag für die <strong>Gechinger</strong> Feuerwehr, fand doch der<br />

Kreisfeuerwehrtag in Gechingen statt. 24 auswärtige Feuerwehren zogen in einem großen<br />

Festzug durch den Ort. Vormittags fand eine Feuerwehr- und Luftschutzübung statt.<br />

Infolge der Vereinheitlichung der Feuerwehren im ganzen Reich im Jahre 1937 hatte auch die<br />

hiesige Feurwehr die Rechtsform eines eingetragenen Vereins erhalten. Auf den 1.4.1941<br />

wurden alle Feuerwehrmänner zu Hilfspolizisten bestellt und unterstanden damit dem SS-<br />

Reichsführer Himmler. Als Dienstgrad wurden die Bezeichnungen Truppmann,<br />

Obertruppmann und Haupttruppmann eingeführt. Während des 2.Weltkriegs, ab 12.<br />

September 1940, hatte die Feuerwehr einen Nachtwachdienst, die sogenannte "Fliegerwacht"<br />

auf freiwilliger Basis übernommen. Zu den Aufgabengebieten gehörte u. a. die Kontrolle der<br />

Verdunklungsvorschriften.<br />

Nach Kriegsende mußte auf Anordnung der französischen Besatzung die Feuerwehr auf eine<br />

Sollstärke von 21 Mann reduziert werden. Gleichzeitig wurde die Feuerwehrabgabe erhöht.<br />

Im Lauf der Zeit passte man den Fuhrpark und die Ausrüstung den steigenden Anforderungen<br />

an. So wurde 1973 ein Gerätefahrzeug mit Notstromaggregat bzw. Gerätesatz beschafft, im<br />

darauffolgenden Jahr Funksprechgeräte. Seit 1980 steht ein modernes Tanklöschfahrzeug 16<br />

in der Halle des neuen Feuerwehrgerätehauses, das zum größten Teil in freiwilligen<br />

Arbeitsstunden der Feuerwehrmänner 1977 ausgebaut wurde. Nachdem auch<br />

Funkmeldeempfänger, schwere Atemschutzgeräte und ein neues Löschfahrzeug 16 TS<br />

angeschafft wurden, ist die Wehr auch für andere Aufgaben als die Bekämpfung von Bränden,<br />

gerüstet. Bei technischen Einsätzen, bei Verkehrsunfällen, Ölalarmen u.ä. konnte sie schon<br />

des öfteren ihr Können unter Beweis stellen. Zur Zeit zählt die Freiwillige Feuerwehr<br />

Gechingen etwa 40 Mitglieder. Der Gerätebestand im Jahr 1985: 1 TLF 16<br />

(Tanklöschfahrzeug), LF 16 TS (Löschfahrzeug), 1 Gerätewagen Öl, 1 TSF 4,10<br />

Atemschutzgeräte, 40 Funkmelder.<br />

Durch den Auszug des Bauhofes aus dem Feuerwehrgebäude 1990 hatte die Wehr die<br />

Möglichkeit, Schulungs- und größere Umkleideräume zu schaffen. Im Frühsommer 1992<br />

konnten die in Eigenarbeit ausgebauten Räume bezogen werden. Damit ging ein lang gehegter<br />

Wunsch der Mannschaft in Erfüllung.<br />

Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr Gechingen<br />

Johannes Quinzler 1. 1. 1872 - 23.10.1892 (Glasermeister)<br />

Jakob Friedrich Böttinger 23.10. 1892 - 15.07.1900 (Bauer)<br />

Joh.Jakob Gräber 15.07. 1900 - 29.05.1910 (Dreher)<br />

Bernhard Gottlob Gehring 29.05. 1910 - 1919 (Bauer)<br />

Karl Ludwig Gehring 1919 - 04.1945 (Hirschwirt)<br />

Paul Dingler 04. 1945 - 1947 (Bauer)<br />

Eugen Breitling 1947 - 1973<br />

Rolf Erbele 1973 - 1974<br />

Karl Bräuhäuser 1974 - heute<br />

Der Kindergarten<br />

Die Kleinkinderschule oder der Kindergarten, wie es heute heißt, wurde am 17.Juni 1853<br />

eingeweiht. Das Calwer Wochenblatt meldete damals: "Am 17. Juni wurde in Gechingen in<br />

einem freundlich gelegenen Parterrezimmer des Schulgebäudes eine Kleinkinderschule mit<br />

zwei Lehrerinnen und 80 Kindern feierlich eröffnet." Aus den alten Dokumenten geht weiter<br />

107


hervor, daß die Betreuerin im Jahr 1880/81 pro Tag 1 Mark Lohn erhielt, das waren pro Jahr<br />

298 Mark. Das gleiche Entgelt wurde auch im Jahr 1883/84 bezahlt. Katharine Gräber leitete<br />

die Kleinkinderschule bis zum Januar 1900. Dann hörte sie altershalber auf. Die Gemeinde<br />

sandte auf ihre Kosten die neue Bewerberin, Rosine Schaible, zur Ausbildung als<br />

Kindererzieherin nach Grossheppach. Diese Ausbildung kostete damals 114 Mark. Rosine<br />

Schaible trat ihren Dienst am 30.4.1901 an und betreute ganze Generationen von jungen<br />

<strong>Gechinger</strong>n, bis zu ihrem Dienstende 1937. Sie starb 1947 im Alter von 77 Jahren. 1926<br />

besuchten 73 Kinder, 1929 61 Kinder den Kindergarten. Ab 1929 stand Rosine Schaible eine<br />

Helferin zur Seite. Ihre Nachfolgerin und eine Helferin betreuten im Jahr 1944 ungefähr 44<br />

Kinder. Bis 1956 befand sich der Kindergarten im alten Schulgebäude. Danach zog er in den<br />

Neubau der Gemeindehalle um. Da die Zahl der Kinder ständig zunahm, wurden diese<br />

Räumlichkeiten bald zu klein. Ein weiterer Raum entstand 1975 bei dem Umbau bzw. der<br />

Erweiterung der Gemeindehalle. Doch auch diese beiden Gruppenräume deckten den Bedarf<br />

nicht. Da die Schule den Pavillion in den Wolfswiesen nicht mehr brauchte, wurden dort zwei<br />

weitere Kindergartengruppen eingerichtet. Im Jahr 1980 besuchten 112 Kinder den<br />

Kindergarten, betreut von vier Erzieherinnen und vier Helferinnen. 1984 wurde der<br />

Kindergarten in den Wolfswiesen durch einen Anbau von 80 qm vergrößert, um den Kindern<br />

noch mehr Spiel- und vor allem Turnmöglichkeiten zu bieten. Da Gechingen ein sehr<br />

kinderfreundlicher Ort ist, wurde mit einem Aufwand von ca. DM 500.000.- im Gebiet<br />

"Weingarten" bei den Tennisplätzen 1987 noch ein weiterer Kindergarten gebaut und<br />

inzwischen vergrößert.<br />

Der Krankenpflegeverein<br />

Protokoll vom 2.11.1921: "Der neu gegründete Krankenpflegeverein, der mit 190 Mitgliedern<br />

ins Leben gerufen wurde, hat mitgeteilt, daß er demnächst eine Krankenschwester von der<br />

Diakonissenanstalt Stuttgart bekommen werde. Für dieselbe sei u.a. eine Wohnung und auch<br />

das erforderliche Heizmaterial zu beschaffen. Der Gemeinderat möge im Interesse dieser<br />

wohltätigen Einrichtung die frühere Forstwartwohnung und auch das erforderliche Heizmaterial<br />

unentgeltlich zur Verfügung stellen. Die Nützlichkeit dieser Einrichtung wird<br />

anerkannt und nach Beratung ist Beschluß :<br />

1. Dem Krankenpflegeverein in stets widerruflicher Weise die Forstwartwohnung<br />

unentgeltlich zu überlassen.<br />

2. Der Krankenschwester bis auf weiteres jährlich je 1 rm Buche- und Tannenholz sowie 25<br />

buchene Wellen zur Verfügung zu stellen.<br />

Zur Beurkundung : Gemeinderat. "<br />

Zunächst verlief alles wunschgemäß. Am 8.Februar 1932 wurde der Verein dann nochmals<br />

gegründet, nachdem er in den Jahren 1929-30 wegen Geldmangel aufgelöst wurde. (Weltwirtschaftskrise)<br />

Um 1950 hatte er 223 Mitglieder. Nach einer zweijährigen Pause, in der<br />

keine Krankenschwester zur Verfügung stand, übernahm 1972 Hermine Gehring geb. Folsche<br />

dieses Amt, das sie mit Hingabe ausübte. Als sie dann 1979 aus gesundheitlichen Gründen<br />

aufgab, fand sich in Margot Dingler eine neue tüchtige Kraft. Seit 1978 ist der<br />

Krankenpflegeverein Gechingen Mitglied der Diakoniestation Althengstett. Außer Frau<br />

Dingler sind noch drei weitere Schwestern im Einsatz.<br />

Die Krankenkasse<br />

Die Allgemeine Krankenkasse Gechingen wurde 1890 als Hilfskasse gegründet. Das hatte<br />

folgenden Grund: Die Arbeitgeber brauchten den Hilfskassenmitgliedern, im Gegensatz zu<br />

den Mitgliedern der Allgemeinen Ortskrankenkassen, keinen Arbeitgeberanteil an den<br />

Beiträgen zu zahlen. Deswegen stellten manche Arbeitgeber nur Arbeiter ein, die einer<br />

Hilfskasse angehörten. Die Mitglieder waren hauptsächlich in der Land- und Forstwirtschaft<br />

108


und als Dienstboten tätig. Dazu kamen noch unständig Beschäftigte und<br />

Wandergewerbetreibende. Auch auf Heimarbeit und sonstige Personen erstreckte sich die<br />

Hilfskasse. Die Kasse hatte den Zweck, ihre Mitglieder im Krankheitsfalle zu unterstützen,<br />

und bei Beerdigungen einen Kostenanteil zu übernehmen. Im Gründungsprotokoll hieß es:<br />

"Betreff Beginn der Allgemeinen Krankenkasse Gechingen (eingeschriebene Hilfskasse).<br />

Wohllöblichen Schultheißenamt bringen wir ergebenst Anzeige, daß unser Verein, nachdem<br />

die am 24. Januar 1890 eingereichten Statuten von der hohen Kreisregierung am 9. Februar<br />

1890 die Genehmigung erhielten, mit 1. März 1890 unter dem Titel "Allgemeine<br />

Krankenkasse Gechingen" (eingeschriebene Hilfskasse) in Wirksamkeit tritt. Der Ausschuß<br />

besteht aus nachstehenden Personen:<br />

1. Vorstand Christian Class<br />

2. Vorstand Friedrich Gehring<br />

Ausschußmitglieder: Ferdinand Breitling, Gottlob Weinbrenner, Friedrich Böttinger, August<br />

Vetter<br />

Schriftführer Friedrich Hubel<br />

und ersuchen Wohllöbliches Schultheißenamt, bezugnehmend auf Paragraph 19 unserer<br />

beigefügten Statuten um Legimation unseres Vorstands. Gechingen, 1.März 1890"<br />

Als Eintrittsgeld waren bei der Aufnahme in die AKG, gestaffelt in drei Klassen, 0,50 - 2<br />

Mark zu bezahlen. Der wöchentliche Beitrag betrug in den ersten Jahren<br />

in der 1. Klasse 0,10 Mark<br />

in der 2. Klasse 0,06 Mark<br />

in der 3. Klasse 0,04 Mark.<br />

Im Laufe der Jahre steigerte sich der wöchentliche Beitrag bis auf 0,80 Mark, 0,52 Mark und<br />

0,36 Mark. Die AKG bezahlte ihren Mitgliedern freie ärztliche Behandlungen, Brillen,<br />

Bruchbänder u.ä. Heilmittel, außerdem im Falle der Erwerbsunfähigkeit vom ersten Tage an<br />

ein Krankengeld in Höhe der Hälfte des für den Beschäftigungsort festgesetzten ortsüblichen<br />

Taglohnes eines gewöhnlichen Arbeiters. Beim Tode eines Mitglieds erstattete die AKG den<br />

Hinterbliebenen<br />

in der 1. Klasse 35 Mark<br />

in der 2. Klasse 20 Mark<br />

in der 3. Klasse 14 Mark.<br />

Aus einer Abrechnung von 1912 geht hervor, daß der Mitgliederbestand im Berichtsjahr bei<br />

120 männlichen und 25 weiblichen Personen lag. Ein Sterbefall und 298 Krankheitstage sind<br />

für 1912 verzeichnet. Die Kassenrechnung mit 1 553,37 Mark Einnahmen und 1 368,84<br />

Mark Ausgaben schließt mit einem Kassenbestand von 184,53 Mark ab. Nach den<br />

vorhandenen Unterlagen existierte die Allgemeine Krankenkasse Gechingen (AKG) bis etwa<br />

1914. Über ihre Auflösung gibt es keinen Nachweis.<br />

Die VdK Ortsgruppe<br />

Die Ortsgruppe des VdK (Verein der Kriegsgeschädigten, Hinterbliebenen und<br />

Wehrdienstopfer) wurde in Gechingen 1950 gegründet. Kriegsgeschädigte und Hinterbliebene<br />

aus den zwei Weltkriegen sind Mitglieder. Die Ortsgruppe zählte bei ihrer Gründung 42<br />

Personen. Der VdK gab und gibt seinen Mitgliedern Hilfe und Unterstützung bei Problemen<br />

mit Behörden und Ämtern. Damit das gesellige Leben nicht zu kurz kommt, werden<br />

Versammlungen und Ausflüge durchgeführt. Zur Zeit zählt die Ortsgruppe Gechingen 38<br />

Mitglieder.<br />

Die Vorsitzenden seit der Gründung bis heute sind Richard Vetter, Paul Breitling, Alfred<br />

Hack und Dr. Klaus Ruck.<br />

109


Der Krieger- und Veteranenverein<br />

Dieser Verein wurde vermutlich von heimkehrenden Soldaten des Feldzuges gegen Rußland<br />

(1813) gegründet. Die früheste Erwähnung des Veteranenvereins steht im Calwer<br />

Wochenblatt vom Juli 1841. Darin werden die <strong>Gechinger</strong> Veteranen zu einer Versammlung<br />

nach Calw aufgerufen.<br />

Zum Andenken an die Schlacht von Sedan (1870), bei der Napoleon III. gefangengenommen<br />

wurde, führte der Verein an den Sedanstagen festliche Veranstaltungen durch. Im April 1902<br />

gründeten 32 Mitglieder unter der Leitung von Maurermeister Morgenthaler einen<br />

Militärverein neben dem damals noch aus 26 Mitgliedern bestehenden Veteranenverein. Die<br />

nach dem ersten Weltkrieg zurückgekommenen Soldaten führten die Tradition fort. 1925<br />

bauten die Ver-einsmitglieder in Eigenregie im Dachteler Bergwald eine Schießbahn. Die 200<br />

m lange Anlage hatte einen natürlichen Kugelfang und wurde lange Jahre eifrig benützt.<br />

Durch den Kriegsausbruch 1939 wurde der Schießbetrieb auf der Anlage beendet. Schon<br />

vorher, nämlich im Jahr 1934, mußte der Krieger- und Veteranenverein dem<br />

nationalsozialistischen Kyffhäuser-Bund beitreten bzw. wurde gleichgeschaltet und unterstand<br />

damit der NSDAP. Das Ende des zweiten Weltkriegs bedeutete auch das Ende des Krieger-<br />

und Veteranenvereins.<br />

Die Wasserversorgung<br />

Liste der bekannten Brunnen um 1880:<br />

1. Bernbrunnen bei der Scheuerquelle, im Hof Rüffle<br />

2. Rohrbrunnen, bei der Post Dachteler Str.<br />

3. Fleckenbrunnen, Hauptstr. vor der Bäckerei<br />

4. Kellerquelle oder Hausbrunnen, Brunnenstr. Haus Böttinger<br />

5. Marienlindenbrunnen, Ecke Kreuz- u. Gartenstr.<br />

6. Friedhofbrunnen<br />

7. Pumpbrunnen vor dem Friedhof, Parkplatz<br />

8. Schafgassbrunnen, vor Haus Kühnle/Lang<br />

9. Calwer Weg Brunnen, Calwer Str. Haus Gehring<br />

10. Hengstetter Straßen Brunnen, gegenüber Haus Wuchter/Gemeinde<br />

11. Angelbrunnen, Angelstr. bei der Linde<br />

12. Dachtler Straßen Brunnen, im Hof Gräber<br />

13.Deufringer Straßen Brunnen 1, Kreuzstr. vor Haus Breitling/Neubau<br />

14. Gäßlesbrunnen, vor Haus Quinzler<br />

15. Geißbiegelbrunnen, Kirchstr. vor Haus Marquardt<br />

16. Hauptstraßen Brunnen, im Hof "Rößle"<br />

17. Oberer Brunnen, Calwer Str. bei Scheuer Esslinger<br />

18. Ipserquelle, Gartenstr. Haus Wagner<br />

19. Scheurenquelle, Brunnenstr. Scheuer Böttinger<br />

20. Rathausbrunnen, beim alten Rathaus<br />

21. Außenimdorfbrunnen, Dorfäckerstr. bei Haus Zech<br />

22. Deufringer Straßen Brunnen 2, Mühlweg bei Haus Kühnle<br />

23. Appeleshofbrunnen, Hof zwischen Kirch- u. Calwerstr.<br />

24. Kapellenbergbrunnen oder Calwer Straßen Brunnen, oberhalb der "Krone"<br />

25. Weiherbrunnen, Mühlquelle, Wasser für Aidlingen<br />

26. Hummel- oder Hundsbrunnen, an der Straße zur Mühle<br />

27. Klingelbrunnen, im Brühl<br />

28. Galgenbrunnen, Uhlandstr.<br />

29. Heinrichsbrunnen, Ecke Calwer- u. Dorfäckerstr.<br />

30. Wehrbrunnen, Standort unbekannt<br />

110


Vor dem Bau der Wasserleitung im Jahr 1906 hatte unser Ort etwa 76 Pump- oder<br />

Ziehbrunnen. Der am oberen Angel soll über 30 m tief gewesen sein. Daß es bei der<br />

Benutzung dieser Brunnen Probleme gab, zeigt folgendes Protokoll vom 26. September 1887:<br />

"Die Besitzer des Schafgassbrunnens haben Streitigkeiten unter sich in Beziehung auf ihre<br />

Anteile an dem Brunnen und haben die Bezahlung einer Rechnung des Glasers Gehring im<br />

Betrag von 9,20 Mark verweigert, um endlich die Eigentumsverhältnisse des Brunnens zu<br />

regeln. Nach den öffentlichen Büchern (Güterbüchern) haben sie unbestrittene Anteile wie<br />

folgt:<br />

1. Die Gemeinde 1/12, erworben von dem verstorbenen Georg Böttinger,<br />

2. Georg Schautt, Witwe , 1/12,<br />

3. Karl Schaible, Schäfer, 1/12,<br />

4. Johann Georg Eisenhardt, Witwe, 1/12,<br />

5. Ludwig Gräber, Bäcker, 1/12 (von Wildbret erworben),<br />

6. Ludwig Gräber, den Anteil seines alten Hauses mit 1/12,<br />

7. Johannes Breitling, Bauer, 1/12,<br />

8. Friedrich Böttinger, Gemeinderat, 1/12,<br />

9. Jakob Süsser, Witwe, 1/12,<br />

10.Wilhelm Kühnle, Bauer, 1/12.<br />

Diese Besitzer haben bisher gegen einen Wasserzins von 1,14 Mark folgende Personen<br />

Wasser holen lassen:<br />

1. Adam Schaible<br />

2. Ferdinand Gehring<br />

3. Georg Schmid<br />

4. August Köber<br />

5. Friedrich Breitling jun.<br />

6. Georg Köber.<br />

Diese sollen auch fernerhin Wasser holen dürfen, wogegen der Vertreter der Gemeinde,<br />

Schultheiß Ziegler, sich verwahrt in Bezug auf Ferdinand Gehring und Georg Schmid, da<br />

diesen ein eigener Brunnen zu Gebot gestanden und sie dieses Anrecht vergeben haben.<br />

Schließlich wird festgesetzt:<br />

1. Daß diese künftig 1,20 Mark pro Jahr bezahlen sollen.<br />

2. Daß Ferdinand Gehring und Georg Schmid bloß solange Wasser aus dem Brunnen holen<br />

dürfen, als kein Wassermangel eintritt.<br />

3. Als Vertreter der Brunnengemeinschaft und zugleich als Kassierer wird Friedrich Böttinger<br />

sen. gewählt.<br />

4. Es wird beschlossen, daß eine steinerne Umfassung des Brunnens hergestellt wird und daß<br />

bei fernerem Bedarf an der Bedeckung die Gemeinde, wie bei allen Brunnen, Bretter<br />

unentgeltlich abzugeben habe. Die letzte Rechnung für den Diel mit 8 Mark soll auf die<br />

Gemeinde übernommen werden, womit der Gemeinderat einverstanden ist.<br />

5. Der Brunnenzins ist je auf 30.Dezember 1887 erstmals zahlbar.“<br />

Es folgen sämtliche Unterschriften der Obengenannten.<br />

Durch den manchmal auftretenden niederen Wasserstand der Brunnen sah sich der<br />

Gemeinderat veranlaßt, 1904 die Quelle im oberen und unteren Tal messen zu lassen. Im Jahr<br />

1905 wurde von Stuttgart ein Gutachten angefordert, das die Zuleitung des Wassers der<br />

Quellen vom oberen Tal ohne Pumpwerk zum Inhalt hatte.<br />

Im Protokoll vom 20. Mai 1905 heißt es:<br />

"Infolge Beschlusses vom 17. Februar des Jahres hat am 5. des Monats eine Besichtigung der<br />

für eine neue Wasserversorgung ins Auge gefaßten Quellen im oberen Tal durch einen<br />

111


Beamten des Königlichen Bauamtes für das öffentliche Wasserversorgungswesen in Stuttgart<br />

stattgefunden. Das Ergebnis ist in einem schriftlichen Gutachten niedergelegt, welches zur<br />

Verlesung kommt. Hiernach ist eine zweckmäßige Wasserversorgung ohne allzu große Opfer<br />

ausführbar. Die Quellenmessung ergab als Zufluß der Quelle 1 (obere Quelle) 2 lsec, der<br />

Quelle 2 (untere Quelle) 1,5 lsec, insgesamt also 3,5 Liter pro Sekunde. Während einer<br />

Zugrundelegung eines Wasserbedarfs pro Kopf und Tag von 80 Liter ist eine<br />

Quellenergiebigkeit von 1,1 Sekundenliter für Gechingen genügend. Bei der am 19. Dezember<br />

vorigen Jahres nach vorausgegangener abnormer Trockenheit durch Wasserbautechniker<br />

Kleinbub aus Calw vorgenommenen Quellenmessung lieferte Quelle 1 1,0 lsec, Quelle 2<br />

dagegen, welche ca. 120 m talabwärts ist und 1,5 m tiefer liegt, 0,9 lsec, zusammen also 1,9<br />

Liter pro Sekunde oder täglich 164 160 Liter, so daß bei 1 088 Einwohnern auf jeden Kopf in<br />

24 Stunden rund 150 Liter entfallen, während wie schon oben bemerkt, ein Wasserbedarf von<br />

80 Litern = 1,1 lsec, genügen würde. Von dem Techniker des Königl. Bauamtes für das<br />

Wasser-versorgungswesen wurde weiter festgestellt, daß der Ursprung der unteren Quelle ca.<br />

8m über der Straßenfläche des höchstgelegenen Ortsteiles liegt, während für den weitaus<br />

größten Teil des Orts durch die Quellenzuleitung ein natürlicher Druck von 20 - 25 m sich<br />

erzielen ließe. Die Erstellung eines Pumpwerks kommt hierdurch nicht in Frage. Die<br />

Notwendigkeit einer Wasserversorgung wird von beiden Collegien anerkannt.<br />

Die Gesamtkosten des Unternehmens werden nach einer Schätzung seitens des Technikers auf<br />

ca. 45 000 Mark zu stehen kommen.<br />

Nach eingehender Besprechung wurde zunächst zur Abstimmung geschritten, mit dem<br />

Ergebnis, daß sich der Gemeinderat mit sämtlichen 8 Stimmen für den Bau einer<br />

Wasserleitung erklärt hat, während sich der Bürgerausschuß mit 4 Stimmen gegen 1 Stimme<br />

gegen das Unternehmen ausgesprochen hat.<br />

Beschluß:<br />

1. Schnellstens ein vollständiges Wasserversorgungsprojekt auf Gemeindekosten<br />

auszuarbeiten.<br />

2. Herrn Oberbaurat Ehmann, Stuttgart die Oberleitung zu übertragen.<br />

3. Die Grundstücke mit den darauf entspringenden Quellen im oberen Tal zu erwerben."<br />

Am 20.Januar 1906 wurden dann die Bauarbeiten ausgeschrieben und am 4. März 1906 der<br />

erste Spatenstich für den Bau der neuen Wasserleitung getan. Schon Anfang Juni 1906<br />

strömte das Wasser in die Häuser. Es floß mit eigenem Gefälle in höher gelegene Ortsteile.<br />

Ein Reservoir, das 2 500 hl faßte und heute noch besteht, sammelte das Wasser. Im Ort<br />

wurden zahlreiche Hydranten erstellt, die im Brandfall reichlich Wasser lieferten. Die<br />

Gesamtkosten betrugen ca. 70 000 Mark. Die Bevölkerung war begeistert von dieser<br />

Neuerung und die Feuerwehr feierte ein Wasserfest.<br />

Für die richtige Instandhaltung der neuen Wasserleitung wurde im Juni 1908 ein<br />

Wassermeister angestellt (Karl Härtkorn).<br />

Die Wasserversorgung für die Gemeinde Gechingen war damit auf lange Sicht sichergestellt,<br />

nur in den Gebäuden im oberen Angel traten besonders in trockenen Jahren Schwierigkeiten<br />

auf.<br />

Infolge der anhaltenden Trockenheit in den Jahren 1947 bis 1949 und 1950 hatte sich die<br />

Quellschüttung von 3,5 l/sec im Jahr 1906 auf 0,91 l/sec verringert. Die Gemeinde mußte<br />

etwas unternehmen, um neue Wasserquellen zu erschließen.<br />

Durch die Fassung einer Quelle am Ortsausgang Richtung Deufringen und den Bau eines<br />

Pumphäuschens dort sowie einer kurzen Druckleitung zur nächstliegenden Leitung wurde das<br />

Problem gelöst.<br />

Neue Baugebiete, hauptsächlich der Bau der Bergwaldsiedlung und der Aussiedlerhöfe,<br />

machten Erweiterungen der Wasserversorgung notwendig. Dazu wurde in der Kirchhalde ein<br />

112


Wasserturm erstellt, der durch zusätzliche Pumpen gespeist wird. Er versorgt jetzt die<br />

höhergelegenen Gebiete unseres Ortes. 1963 beschloß der Gemeinderat, Wasserzähler in die<br />

einzelnen Häuser einbauen zu lassen und einen Kubikmeterpreis von 30 Pfennig zu erheben.<br />

Bis dahin war der Wasserbezug kostenlos. An der Brühlquelle traten Verunreinigungen auf,<br />

die umfangreiche Umbaumaßnahmen notwendig machten. Die verschiedenen Zuläufe wurden<br />

neu gefasst, darüberhinaus schaffte man eine Querverbindung zur Niederzone der<br />

Steckbrunnenquelle. Gleichzeitig begann man mit dem Bau einer getrennten Druck- und<br />

Falleitung zum Wasserturm.<br />

1984 entstand beim Wasserturm ein zusätzlicher Wasserbehälter und eine<br />

Aufbereitungsanlage. Der Wasserbehälter hat ein Volumen von 1.250 Kubikmeter, die<br />

Wasseraufbereitungsanlage hilft, das Wasser bei evtl. Verunreinigungen zu filtern. Die<br />

Gesamtkosten für diese Maßnahmen betrugen ca. 2 Millionen DM. 1988 wurde der 25 Jahre<br />

alte Wasserturm renoviert und mit einem neuen Außenanstrich versehen. Jetzt können 1.500<br />

Kubikmeter Wasser im Erdbehälter gespeichert werden. Die schon früher vorhandenen<br />

Behälter fassen 200 Kubikmeter. Diese Kapazität reicht für ca. drei Tage. Alle diese<br />

Investitionen in die Wasserversorgung des Ortes machten laufende Erhöhungen des<br />

Wasserbezugspreises notwendig.<br />

Die Stromversorgung<br />

Aus dem Gemeinderatsprotokoll vom 8.4.1897 ersehen wir, daß das Anzünden der<br />

Straßenlaternen damals vom jeweiligen Nachtwächter je ein Jahr lang abwechslungsweise zu<br />

besorgen war. Die Laternen waren mit Öl gefüllt, hingen über der Straßenmitte und konnten<br />

mit Hilfe von Seilen herabgelassen werden. Eine ziemlich aufwendige Arbeit, wenn man sie<br />

mit den heutigen Verhältnissen vergleicht.<br />

Hermann Schmid beschreibt dies in seinen Lebenserinnerungen so:<br />

"Alle 100 m stand ein Holzmasten, 8 m lang, 0,20 m stark, daran hing eine Laterne. Sie war<br />

ca. 35 x 50 cm groß, ringsum ein Eisenrahmen mit Glas, innen ein Behälter mit Erdöl. Die<br />

Lampe wurde mit einer Kurbel über ein Zahnrad und Drahtseil heruntergelassen, angezündet<br />

und wieder hinaufgezogen."<br />

Das 20. Jahrhundert brachte die Elektrizität. Die Gemeinde Gechingen konnte sich 1906 noch<br />

nicht entschließen, dem neugebildeten "Gemeindeverband zum Zwecke der Einrichtung eines<br />

Elektrizitätswerks behufs Versorgung der Gemeinden des Bezirks Calw mit elektrischem<br />

Licht und Kraft" beizutreten. Die 15 Interessenten, die sich bei der Gemeinde meldeten,<br />

mußten noch zwei Jahre lang warten.<br />

Im Jahr 1908 beschlossen der Gemeinderat und Bürgerausschuß einstimmig, dem<br />

obengenannten Gemeindeverband beizutreten. Als Vertreter Gechingens in den<br />

Verbandsausschuß wurden Bürgermeister Ladner und Gemeinderat Hubel gewählt. Im Jahr<br />

1911 wurde dann vom Gemeinderat in einer Sitzung am 4.7. folgendes beschlossen:<br />

"1. In betreff der Straßenbeleuchtung wird bestimmt, daß anzubringen sind, je eine Lampe<br />

a) bei der Kronenwirtschaft,<br />

b) beim Gasthaus zum "Adler" (heute neues Rathaus),<br />

c) an der Straße nach Althengstett bei Ludwig Wuchters Haus (Nr.30),<br />

d) beim Rathaus (altes Rathaus),<br />

e) oben an der Metzgergasse (beim "Lamm"),<br />

f) beim Waschhaus (am Feuerlöschteich),<br />

g) am Bach beim Wohnhaus Fritz Weiß Witwe (Dachteler Str.11),<br />

h) an der Hauptstraße bei Gehring auf der Mauer (Nr.2),<br />

i) an der Gartenstraße (Nr.13).<br />

2. Im Schulgebäude sind folgende Lampen einzurichten:<br />

a) im Lokal der Mittelklasse 3 größere Lampen,<br />

113


) für die Beleuchtung der Treppe 1 Lampe,<br />

c) im Lokal der Unter- und Oberklasse je 1 größere Lampe über dem Pult,<br />

d) in der Wohnung des Oberlehrers eine größere Lampe im Wohnzimmer und je eine in<br />

Schlafzimmer und Küche,<br />

e) im Zimmer des Unterlehrers 1 Lampe,<br />

f) in der Wohnung des Hauptlehrers in der Calwer Straße 3 Lampen.<br />

Die Einrichtung der elektrischen Beleuchtung geschieht ganz auf Kosten der Gemeinde.<br />

Dagegen haben die Lehrer für die Beschaffung der Leuchtkörper selbst aufzukommen und die<br />

Bezahlung des Stromverbrauchs zu übernehmen. Im Falle eines Stellenwechsels sind die<br />

Lampen in dem Zustand abzutreten, wie solche von den abgehenden Stelleninhabern<br />

übernommen worden sind.<br />

3. Eine erforderliche Anzahl von Lampen soll auch im Rathaus eingerichtet werden."<br />

Im Lauf des Jahres 1911 wurden auch die Privathäuser mit Leitungen und Strom versorgt. Auf<br />

dem Hohen Angel wurde die erste Trafostation gebaut und mit einer Leitung von Althengstett<br />

her versorgt, die über die Kirchhalde führte.<br />

Das Futter für 10 Stück Vieh schnitt man mit der elektrischen Futterschneidmaschine für<br />

einen Monat mit einem Aufwand von 1 Mark. Die Kilowattstunde kostete 1913 45 Pfennige<br />

und deshalb war in vielen Häusern nur eine Lampe, mit einer schwachen Glühbirne bestückt.<br />

Kein Vergleich zu unseren heute gut ausgeleuchteten Räumen!<br />

Das Elektrizitätswerk an der Station Teinach konnte schon im November 1910 durch<br />

Fremdstrombezug in Betrieb gehen und einige Gemeinden mit Strom beliefern. Mit 3<br />

Gasturbinen von 700 PS Leistung wurde dann ab April 1911 eigener Strom erzeugt.<br />

"Die stürmische Entwicklung erlaubte es, im Mai 1913 mit dem ehrgeizigen Projekt einer<br />

Wasserkraftanlage zu beginnen. Dazu wurde an der Talmühle ein Wehr errichtet und ein mehr<br />

als 2 km langer Wasserstollen bis Station Teinach durch den Berg getrieben. Im Kraftwerk<br />

wurden zwei Francis-Zwillingsturbinen mit liegenden Wellen installiert, die mit zwei<br />

Drehstromgeneratoren direkt gekoppelt sind. Diese Anlage ging im Januar 1915 in Betrieb.<br />

Mit ihr war es möglich, auch in den schweren Zeiten des ersten Weltkrieges und den Jahren<br />

danach die Stromlieferungen einigermaßen aufrecht zu erhalten."<br />

(Auszug aus dem Jahrbuch für den Kreis Calw 1985)<br />

Trotzdem mußte im ersten Weltkrieg in Gechingen ein Trafo abmontiert werden, um<br />

anderswo eine Lücke in der Stromversorgung zu schließen. Der Gemeinderat beantragte<br />

deshalb am 12.November 1920 beim E-Werk Teinach die Verstärkung und den Wiedereinbau<br />

des Trafos, da der Verbrauch an elektrischem Strom stark zugenommen habe.<br />

Im Jahr 1939 wurden die Gemeindeverbände enteignet und das E-Werk Teinach in die<br />

Energieversorgung Schwaben (EVS) überführt, ohne die Gemeinden zu befragen. 1949<br />

schlossen sich die Gemeinden zu einem neuen Gemeindeverband zusammen.<br />

1958 wurde wie im ganzen Land, auch in Gechingen die Stromversorgung von 220 Volt auf<br />

380 Volt umgestellt. Die seitherigen Giebelanschlüsse wurden aus Sicherheitsgründen<br />

abmontiert und dafür Dachständer angebracht. Dazu wurden neue Leitungen verlegt,<br />

außerdem die alte Trafostation am Angel abgebrochen. Eine neue Trafostation entstand 1959<br />

wenige Meter daneben. Gleichzeitig erweiterte und erneuerte man die Straßenbeleuchtung.<br />

Die Neubaugebiete stattete man mit Erdkabeln aus. Der Bau von weiteren Trafostationen und<br />

die elektrische Versorgung unseres Ortes durch eine sogenannte "Ringleitung" waren<br />

notwendig. Dadurch ist die Stromversorgung auch bei Störungen besser gewährleistet.<br />

Die Post<br />

"Staatliche Einrichtungen für die sichere und rasche Beförderung von Nachrichten und<br />

Personen waren schon im römischen und fränkischen Reich vorhanden. Ursprünglich dienten<br />

sie allerdings nur der Öffentlichkeit und konnten von Privatpersonen nicht in Anspruch<br />

genommen werden. Unter Graf Eberhard wurden in Württemberg die ersten regelmäßig<br />

114


verkehrenden Boten eingesetzt. Sie beförderten die Post nach Berlin, Wien, Prag, Straßburg<br />

und in andere europäische Städte, mit denen Württemberg in Beziehung stand. Die Privatpost<br />

dagegen wurde von Postillionen oder "Metzger-Boten" befördert. Die Metzger hielten in der<br />

Regel Pferde, kamen bei Viehkäufen weit im Land herum und trafen andere Metzger, denen<br />

sie die Sendungen übergeben konnten. Aus diesen Anfängen entwickelten sich regelmäßige<br />

Botengänge und Ritte.<br />

Schon 1490 beauftragte Kaiser Maximilian die Herren von Taxis, seine Amtspost von Wien<br />

nach den Niederlanden zu transportieren. 1536 ernannte Karl V. Baptist von Taxis zu seinem<br />

Generalpostmeister, wodurch die Postbeförderung im ganzen Reich eine Angelegenheit des<br />

Hauses Taxis wurde. Am 6.November 1597 ließ Kaiser Rudolf II. das Nebenbotenwerk, also<br />

die Metzgerboten, die auch Briefe von Italien über Deutschland nach den Niederlanden<br />

beförderten, verbieten. Weil sich die Postbeförderung zu einem lukrativen Geschäft<br />

entwickelte, entspann sich ein 250-jähriger Kleinkrieg zwischen dem Kaiser als Reichsherrn<br />

einerseits und den Herzögen als Landesfürsten andererseits. Die Landesfürsten versuchten<br />

immer wieder, eigene Posteinrichtungen zu schaffen. Am 26.Juni 1622 erließ Herzog Johann<br />

Friedrich von Württemberg eine Verordnung, welche bestimmte, "was die Postmeister und<br />

Metzger der Posten halber zu thun schuldig sind, und wie es sonst in allem Andern mit dem<br />

Postwesen gehalten werden soll". Nach dem 30-jährigen Krieg, als die Fürsten ihre Länder<br />

absolut regierten, errichtete Herzog Eberhard Ludwig ab 1709 ein vorbildliches Postwesen in<br />

Württemberg. Es wurden neue Straßen und Poststationen angelegt, wobei unser Gebiet von<br />

der Postlinie Stuttgart-Straßburg, die Württemberg mit den Besitzungen in Frankreich<br />

(Montbeliard), verband, versorgt wurde. Neu war vor allem, daß die herzogliche Post nun<br />

auch Waren und Personen beförderte.<br />

Wieder griff der Kaiser ein und im Jahr 1775 wurden alle württembergischen<br />

Posteinrichtungen für 30 Jahre an die inzwischen in den Fürstenstand erhobenen<br />

Erbreichspostminister von Thurn und Taxis vergeben. Erst 1851, als sich die<br />

württembergischen Staatseisenbahnen weigerten, die Taxis'sche Post zu befördern, und diese<br />

somit nicht mehr konkurrenzfähig war, ging das gesamte Postwesen in Württemberg gegen<br />

Bezahlung von 1 300 000 Goldgulden an den württembergischen Staat über. Im selben Jahr<br />

wurden die ersten Briefmarken herausgegeben und die Postämter mit neuen Stempeln<br />

ausgestattet."<br />

(Calwer Kreisnachrichten 1987)<br />

Württemberg wurde bei der Reichsgründung 1871 die Verwaltung der Post mit eigenen<br />

Briefmarken zugestanden. Diese Regelung bestand bis zum 21.3.1920.<br />

In Gechingen wurde am 1.12.1883 eine Poststelle eingerichtet.<br />

Der erste Posthalter Ludwig Weiß stellte im Erdgeschoß seines Hauses gegenüber dem alten<br />

Rathaus einen Raum zur Verfügung, der durch einen Holzverschlag mit Schalter abgeteilt<br />

war. Ein Briefträger, der diese Arbeit nebenher verrichtete (sein Hauptberuf war Schneider),<br />

trug die Post im Ort aus. Kamen Telegramme an, besorgte sie der Posthalter persönlich. Für<br />

50 Pfennig stellte er zu Fuß Telegramme nach Dachtel zu. Als Ludwig Weiß 1912 starb, baute<br />

Christian Vetter in seinem Garten an der Calwer Straße ein neues Haus und richtete dort 1913<br />

die Poststelle ein. Bis zur Fertigstellung dieses Gebäudes war sie provisorisch im Haus<br />

Hauptstraße 9 untergebracht. Christian Vetter und später seine Frau, sein Sohn Hermann<br />

Vetter versahen in dem Postgebäude an der Calwer Straße ihren Dienst. Die Räume wurden<br />

durch verschiedene kleine Umbauten den steigenden Anforderungen angepaßt.<br />

Am 1.10.1984 wurde die Poststelle Gechingen wegen ständiger Zunahme des Brief- und<br />

Paketverkehrs Postamt. 1986 zog die Post in neue größere Räume in der Dachteler Straße um.<br />

Poststellenleiter in Gechingen:<br />

115


1883 - 1912 Ludwig Weiß<br />

1913 - 1943 Christian Vetter<br />

1943 - 1951 Luise Vetter geb.Gehring<br />

1951 - 1984 Hermann Vetter<br />

1984 - 1990 Max Ufer<br />

1990 - heute Herr Sieber<br />

Das Postauto<br />

Zur gleichen Zeit, wie die Poststelle, am 1.12.1883 nahm auch eine Postbotenfahrt von<br />

Dachtel über Gechingen nach Calw ihren Betrieb auf. Die Kutsche beförderte außer der Post<br />

auch Personen. Die Kurszeiten waren jeden Werktag:<br />

Ab Dachtel 6.30 Uhr<br />

An Gechingen 6.50<br />

Ab Gechingen 7.00<br />

An Calw 8.30<br />

Ab Calw 10.00<br />

An Gechingen 11.30<br />

Ab Gechingen 11.40<br />

An Dachtel 12.10<br />

Der Bezirks- und Handelsverein Calw ließ im Juni 1921 die Gemeinde Gechingen wissen, daß<br />

zur Aufrechterhaltung der Postverbindung Dachtel-Gechingen-Calw die Gemeinde einen<br />

jährlichen Beitrag von 200 Mark zu leisten habe. Die Gemeinde Gechingen war sich bewußt,<br />

daß diese Verbindung unter allen Umständen notwendig war und leistete den Beitrag unter der<br />

Maßgabe, daß auch Stammheim sich mit dem gleichen Betrag beteilige.<br />

1926 richtete die Post eine Kraftpostverbindung von Gechingen über Aidlingen nach<br />

Ehningen ein, die dann 1937 durch die Linie Calw-Gechingen-Aidlingen-Böblingen abgelöst<br />

wurde. Dazu mußte 1926 von der Gemeinde Gechingen eine Kraftposthalle in der<br />

Dorfäckerstraße gebaut werden.<br />

Durch diese Omnibuslinie war Gechingen mit den Städten Böblingen und Sindelfingen<br />

verbunden. Das trug viel zu Entwicklung unseres Dorfes bei. In den 80-Jahren trennte sich die<br />

Post wieder vom Personenverkehr, der seitdem von der Bundesbahn durchgeführt wird.<br />

Das Telefon<br />

Das erste Telefon in unserer Gemeinde wurde am 26.10.1889 eingerichtet, und zwar in der<br />

erwähnten Poststelle von Ludwig Weiß. Für seinen Telefonbereitschaftsdienst erhielt er eine<br />

kleine Vergütung von der Gemeinde. 1913 zog die Telefonvermittlungsstelle mit der<br />

Poststelle um in das neue Gebäude des Christian Vetter an der Calwer Straße.<br />

Im Laufe der Zeit nahm die Zahl der Telefonanschlüsse zu, und da auch die Gemeinden<br />

Deckenpfronn, Dachtel und Deufringen zum Ortsnetz Gechingen gehören, war der Bau einer<br />

kleinen Vermittlungszentrale notwendig. Sie wurde 1934 im früheren Arrestlokal im<br />

Erdgeschoß des alten Rathauses eingerichtet. Nach weiteren Erweiterungen des Telefonnetzes<br />

wurde die Zentrale in einem Anbau der Kraftposthalle in der Dorfäckerstraße untergebracht.<br />

Gechingen besaß im Jahr 1950 12 Telefonanschlüsse.<br />

Durch die rasche Vergrößerung des Ortes in den 50- und 60-Jahren stieg die Nachfrage nach<br />

Telefonanschlüssen rapide an. Der Bau einer neuen großen vollautomatischen Zentrale in der<br />

Dachteler Straße deckt nun auch die künftige Nachfrage nach Fernsprechanschlüssen.<br />

116


Die Spar- und Darlehenskasse<br />

Gegründet wurde der Darlehenskassenverein am 24. Januar 1889. 62 der Anwesenden<br />

unterschrieben die Statuten und wählten Friedrich Ziegler zum Vorsteher des Vereins. Das<br />

Eintrittsgeld betrug 2 Mark. Zum 21.12.1891 hatte der Verein bereits 73 Mitglieder und eine<br />

Bilanzsumme von ca. 12 800 Mark. Nach zehnjährigem Bestehen des Darlehenskassenvereins<br />

Gechingen eGmbH betrug die Bilanzsumme 30 656,98 Mark. Bei Beginn des ersten<br />

Weltkrieges wurde bereits ein Geschäftsvolumen von 47 188,63 Mark erreicht, so daß sich<br />

Gechingen schon damals durch eine gute Eigenkapitalausstattung auszeichnete. Das<br />

Geschäftsguthaben belief sich auf 1 763,06 Mark und die Rücklagen auf 3 128,27 Mark,<br />

wobei 31,82 Mark an Dividende zur Verteilung kamen. Bedingt durch die Kriegsereignisse<br />

und aufgrund der dadurch verursachten Geldentwertung wies die Bilanz von 1918 bereits ein<br />

Volumen von 234 522,93 Mark aus. Diese Entwicklung setzte sich fort bis in die<br />

astronomischen Größen der Inflation. Am 17. Januar 1924 hatte dann eine außerordentliche<br />

Generalversammlung darüber zu befinden, ob der Darlehenskassenverein weiter bestehen<br />

sollte, denn bis auf einen kleinen Warenbestand hatte man alles verloren. Während der<br />

Inflation wurde der Geschäftsanteil stetig heraufgesetzt, zuletzt waren 5 000 Mark als<br />

Geschäftsanteil zu bezahlen.<br />

Aufgrund der Aktion "Gleichschaltung" wurde bei der Generalversammlung 1935 das neue<br />

Einheitsstatut des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften -<br />

Raiffeisen e.V. - eingeführt. Damit verbunden war auch die erste Umfirmierung von Darlehenskassenverein<br />

Gechingen eGmbH in "Spar- und Darlehenskasse eGmbH Gechingen".<br />

Außerdem wurde die Verwaltung auf drei Vorstands- und sechs Aufsichtsratmitglieder<br />

reduziert und der Rechner auf unbestimmte Zeit gewählt (Vorher mußte der Rechner jeweils<br />

nach vier Jahren neu gewählt werden). Vom 26.8.1939 bis zum 18.3.1940 wurden die<br />

Kassengeschäfte in die Abend- und Nachtstunden verlegt, da der Rechner eingezogen worden<br />

war und die Geschäfte von den Vorstandsmitgliedern erledigt wurden. Die Umstellung auf<br />

DM brachte 1948 so viele Schwierigkeiten mit sich, daß man selbst bei der<br />

Generalversammlung am 14.5.1950 noch nicht in der Lage war, genaue Angaben zu machen,<br />

da die Ausgabe der Bilanzierungsvorschriften durch die Militärregierung sich verzögert hatte.<br />

Erst bei der am 25.10.1952 im "Adler" stattfindenden Generalversammlung konnte die<br />

Reichsmark-Schlußbilanz und die DM-Eröffnungsbilanz vorgelegt werden. Mit einem<br />

Kostenaufwand von DM 31 000.- wurde 1950 ein neues Lagergebäude erstellt. Bei der 84.<br />

Generalversammlung wurde zum zweiten Mal der Firmenname geändert. Aus der "Spar- und<br />

Darlehenskasse eGmbH" wurde die "Genossenschaftsbank Gechingen eGmbH". Gleichzeitig<br />

wurde die Haftung des einzelnen Mitglieds auf 1 000 DM beschränkt. Bei dem 75-jährigen<br />

Jubiläum am 3.5.1964 wurde dann der Firmenname zum dritten Mal geändert, und zwar in<br />

"<strong>Gechinger</strong> Bank eGmbH". Seit 1978 gehört die <strong>Gechinger</strong> Bank zur Calwer Volksbank. Die<br />

Bilanzsumme stieg weiter an und überschritt am 31.Dezember 1985 bei der Gesamtbank die<br />

200 Millionen DM-Grenze. Im Jahr 1986 trat das 6 000 Mitglied der Bank bei. - 1987 feierte<br />

die Calwer Volksbank ihr 125-jähriges Bestehen. - 1989 konnte die Bank neue Räume im<br />

einem neuerstellten Wohn- und Geschäftshaus an der Calwer Straße beziehen. - Am 6. August<br />

1989 fand ein "Tag der offenen Tür" zum 100-jährigen Gründungstag des "Spar- und<br />

Darlehensvereins Gechingen" statt. - Die Calwer Volksbank und die Volksbank Weil der<br />

Stadt schlossen sich zu den Vereinigten Volksbanken zusammen.<br />

Die Kreissparkasse.<br />

Die Anfänge der Kreissparkasse Calw in Gechingen liegen in den zwanziger Jahren.<br />

Kaufmann Wilhelm Vöhringer, Calwer Straße 97, wurde von der damaligen Calwer<br />

Oberamtssparkasse zum ersten Ortssparpfleger - die frühere Bezeichnung für den<br />

Zweigstellenleiter - berufen. Ab 1928 war die Zweigstelle in der Hand der Familie Schneider.<br />

117


Karl Schneider, Land- und Gastwirt (zum Lamm), betreute die Zweigstelle der<br />

Kreissparkasse. Ab 1964 übernahm seine Tochter, Eugenie Benz, für 12 Jahre die<br />

Sparkassengeschäfte. Während in diesen Zeiten die Zweigstelle weitgehend im Nebenberuf<br />

geführt wurde, änderte sich dies 1978, als neue moderne Räume im Hause Kienzle bezogen<br />

wurden. Es stehen jetzt mehrere fest angestellte Mitarbeiter bereit, um die Kunden fachgerecht<br />

zu bedienen.<br />

Die Württembergische Landessparkasse<br />

Buchbindermeister Karl Böttinger, der in der Metzgergasse 10 wohnte, übernahm 1897 die<br />

Vertretung der Württembergischen Landessparkasse. Im April 1922 konnte Böttinger das<br />

25jährige Jubiläum der Agentur feiern. Von 1938 bis 1975 führte dann Kaufmann Schwenk<br />

die Vertretung weiter.<br />

Kirche und Pfarrer<br />

Geschichte<br />

Mit der Eroberung des Gäus durch die Franken hielt auch das Christentum nach und nach<br />

Einzug. Das besetzte Land wurde in Bistümer eingeteilt, Gechingen gehörte zum Bistum<br />

Speyer. Überall entstanden Kirchen und Kapellen, die erste in Gechingen vermutlich am<br />

Steidachpfad, dem Weg zum Gewand "Lehen", oder auf dem "Käppelesberg". Die ersten<br />

Kirchen waren sogenannte Eigenkirchen. Sie gehörten dem adeligen Herrn, auf dessen Grund<br />

sie standen, und waren meist Teil seines Hofes. Er setzte auch den Geistlichen ein. Für dessen<br />

Unterhalt und den der Kirche stand ihm der Kirchenzehnte zu.<br />

Die dörflichen Gemeinden wurden zunächst durch wandernde Missionare, meist Mönche aus<br />

den Klöstern, versorgt. Seit ca. 700 gibt es die ersten Kirchen "mitten im Dorf"", wie wir sie<br />

heute kennen, anfangs einfache Holzbauten. Die Kirche stand gewöhnlich neben dem Freihof<br />

und bildete mit diesem zusammen den beherrschenden Mittelpunkt des Ortes. Der Freihof von<br />

Gechingen war wahrscheinlich das "Schulzenhaus" (heute Haus Marquardt/Böttinger<br />

Kirchstraße).<br />

Unsere Martinskirche verdankt ihren Namen dem Schutzpatron der Franken, dem Heiligen<br />

Martin, was auf eine sehr frühe Gründung in der Frankenzeit hinweist. Stammheim war<br />

anscheinend die Urpfarrei, von der aus Althengstett und Gechingen christianisiert wurden.<br />

Deufringen mit einer St. Veitskapelle wurde Filial von Gechingen. Nach den ältesten<br />

Unterlagen bildete Gechingen mit der Kapelle in Deufringen eine Pfarrei. Der Plebanus<br />

(Leutepriester) lebte von einem Einkommen, das ihm die adlige Herrschaft oder das Kloster,<br />

das die Pfarrei gestiftet hatte, ausgeworfen hatte. Der Stifter einer Kirche mußte nicht nur für<br />

den Unterhalt des Pfarrers und des Mesners besorgt sein, sondern auch die Kirche mit Gütern<br />

ausstatten, um ihre bauliche Unterhaltung, Inneneinrichtung und was sonst noch dazu gehört,<br />

zu gewährleisten. Diese Mitgift des Stifters, der sogenannte Kirchensatz, war Voraussetzung<br />

für die Gründung einer Kirche. Er sollte sie samt Pfarrer und Mesner vom Kirchenherren<br />

unabhängig machen. Nutzen durfte sein Eigentümer nur das, was über die Verpflichtungen<br />

und Verbindlichkeiten, zu deren Ablösung der Kirchensatz vorgesehen war, hinausging. In<br />

Gechingen gehörten der Heiligenwald, sowie sogenannte Fruchtgülten und Landachtfrüchte<br />

zum Kirchensatz, auch Hellerzinsen waren später dabei. Dem Eigentümer des Kirchensatzes<br />

stand ferner das Patronatsrecht zu (das Vorschlagsrecht für den Pfarrer).<br />

Gechingen hatte schon sehr früh Beziehungen zur Markgrafschaft Baden, da die Markgrafen<br />

mit dem Calwer Grafenhaus verwandt waren. Weil die männliche Linie der Grafen zu Calw<br />

schon im 13. Jhdt. ausstarb, gelangte ihr Besitz durch Heirat der Grafentochter an die<br />

Pfalzgrafen von Tübingen bzw. deren Lehensleute, die Truchsessen von Waldeck, die sicher<br />

118


auch nahe Verbindungen zur Burg Gechingen hatten. Von den Tübingern und den Waldeckern<br />

erwarb im Jahr 1308/09 das Kloster Herrenalb große Teile Gechingens. Herrenalb wurde<br />

damit der Grundherr der weltlichen Dorfgemeinde.<br />

Die Kasten- und Schirmvogtei des Klosters Herrenalb oblag bis 1338 der Markgrafschaft<br />

Baden. Dann ging sie nach heftigem Streit an die Grafen von Wirtemberg über. Für<br />

Gechingen war dieser Vorgang deshalb von Bedeutung, da Württemberg nach der<br />

Reformation die Klöster säkularisierte, ihren Besitz einzog und Gechingen somit<br />

württembergisch wurde. Die Klosterämter blieben aber als württembergische Oberämter mit<br />

einem evangelischen Prälaten an der Spitze erhalten.<br />

Der Kirchensatz und alle damit zusammenhängenden Besitztümer waren aber offenbar bei<br />

den Truchsessen von Waldeck verblieben. Im Staatsarchiv in Stuttgart findet sich unter den<br />

Akten des Klosters Herrenalb ein Pergament in lateinischer Sprache vom 23.4.1404, in dem<br />

ein <strong>Gechinger</strong> Pfarrer erwähnt wird. In der Urkunde heiß es: " . . . . Vorgeschlagen wird<br />

Heinrich Durhubel, Pfarrer in Gechingen, von den Brüdern Konrad und Heinrich, Truchsessen<br />

von Waldeck. . . "<br />

Bei Sattler, "Topographische Geschichte des Herzogtums Württemberg, Stuttgart 1784" wird<br />

genau erläutert:<br />

"Wie denn Grav Eberhard (Eberhard III., der Milde, bis 1417) zu Würtemberg im Jahr 1413<br />

von Heinrich, Truchsess von Waldek einen vierten Teil an der Vogtei zu Dachtel, ingleichen<br />

dessen Sohn Grav Eberhard (Eberhard IV., bis 1419) der jüngere auch von disem und seines<br />

Bruders Sohn Konrad von Waldeck 1417 alle ihre Rechte, die sie an Leuten und Gütern<br />

gehabt, welche in das Schloß Waldeck gehöret, ingleichen den Kirchensaz und Zehenden<br />

zu Dachtel und Gechingen . . . , auch im Jahre 1419 von Heinrich Truchsess von Waldek<br />

dem älteren alle seine noch übrigen Güter und Gülten zu Dachtel, Kalw, Wildberg, Ensingen,<br />

Lengenfeld (oder Leinfelden) und Schwieberdingen, samt dem Kirchensaz zu Münklingen<br />

und Gechingen um 1183 Pfund Hlr. und endlich Grav Ludwig zu Würtemberg (Ludwig I.,<br />

1419-1450) von Tristram und Wilhelm von Waldek, alle übrigen Gerechtigkeiten an den<br />

Kirchen zu Gechingen und Dachtel erkauft haben." Der letzte Kauf ist, nach der<br />

Oberamtsbeschreibung von 1860, im Jahr 1428 zustandegekommen.<br />

Es muß damals also schon eine Pfarrei samt Kirche in Gechingen bestanden haben. Da die<br />

ältesten Teile des Turms romanische Stilelemente aufweisen, dürfte zumindest der Turm<br />

damals schon ca. 200 Jahre alt gewesen sein.<br />

In der Zeit zwischen 1428 und 1453 (in "Heimat Gechingen" erscheint die Jahreszahl 1440)<br />

muß Württemberg den Kirchensatz, das Mesnerlehen und den halben Fruchtzehnten an den<br />

Markgrafen von Baden veräußert haben; denn 1453 schenkte der Markgraf Jakob von Baden<br />

dem von ihm gegründeten Chorherrenstift Baden-Baden den <strong>Gechinger</strong> Kirchensatz. Auf<br />

besonderen Wunsch des Stifters wurde dieser dem Stift per Dekret durch den Papst<br />

einverleibt. Dem Markgrafen war unsere Kirche also offensichtlich so wichtig, daß er bereit<br />

war, dafür ein päpstliches Dekret zu bezahlen.<br />

Bis zum Jahre 1806 blieb es so, daß das Stift Baden-Baden die <strong>Gechinger</strong> Pfarrherren<br />

vorschlug (das Patronatsrecht hatte), daß aber Württemberg sie konfirmierte (bestätigte). Ein<br />

in jenem Jahr (1806) geschlossener Staatsvertrag zwischen Württemberg und Baden<br />

bereinigte territoriale und rechtliche Verhältnisse und gegenseitige Ansprüche zwischen<br />

beiden Ländern.<br />

Die dem Stift in Baden zustehenden Einkünfte zog der sogenannte badische Klosterschaffner<br />

ein (Schaffner bedeutet hier Aufseher, Beauftragter). Auch das blieb so bis 1806.<br />

Die Rechte an kirchlichem und weltlichem Besitz waren vielfach aufgespalten und Anteile<br />

konnten getrennt veräußert werden. So brachte eine Agnes von Gültlingen, die um 1460 in das<br />

Frauenkloster Lichtenstern eintrat, Rechte in Gechingen ein, die das Kloster 1473 für 300<br />

119


Gulden an das Kloster Hirsau verkaufte. Es handelt sich offenbar um den halben<br />

Kirchenzehnten. (siehe auch unter "Pfarrer Balthasar Wagner, 1562-66").<br />

Auch der Markgraf von Baden hat keineswegs alle Rechte, die er von Württemberg erworben<br />

hatte, dem Chorherrenstift Baden-Baden übertragen. Sein Titel war damals auch "Grav von<br />

Pforzheim" und da der Schwarze Predigerorden in Pforzheim das "Gefälle des Heiligen<br />

Martin" (die Abgaben, die der Kirche zustanden, um ihren Unterhalt zu sichern) Ende des 15.<br />

Jhdts. besaß, wäre denkbar, daß der Markgraf in beiden Städten Stiftungen gemacht hat.<br />

Dieses "Gefälle" kaufte die Gemeinde Gechingen 1497 vom Schwarzen Predigerorden in<br />

Pforzheim, eine Abschrift der Kaufurkunde ist im Rathaus Gechingen erhalten geblieben.<br />

"Folgt der Kaufbrief, wie des Heiligen Gefäll von dem Convent zu Pforzheim erkauft worden,<br />

zugerichtet anno Christi 1497, dessen Original bei anderen, des Heiligen Briefen liegt."Wir,<br />

Prior und der Convent Gemeines Predigerordens des Closters zu Pforzheim, bekennen uns<br />

öffentlich mit diesem Brief, daß wir verkauft und zu kaufen geben haben, alle unsere Zins<br />

Hellergült, Roggengut, Dinkel, Haber, völlig und zeitlich, auch ein Maß Magöl, wie das mit<br />

allem Brauch, Nutz und Besitzung inne gehabt haben, bis auf diesen Tag, nach Dato dieses<br />

Briefes, dem Heiligen oder welcher das will zu seinen selber Händen kaufen und ablösen, wie<br />

das miteinander überkommen, alles in dem Dorf Gechingen und ihrer Markung, die diesen<br />

Namen hat. Unserm oben gemeldetem Prior und Convent unterworfen ist, allen Häusern,<br />

Äckern und Wiesen nicht ausgenommen. Und ist dieser Kauf geschehen 1 PH? Boben um 1<br />

Pfund Heller, 1 Malter Dinkel um 8 Pfund Heller, 1 Malter Haber um 7 Pfund Heller, zahlbar<br />

in Württemberger Geld und Münze, das macht in einer Summe MXXIV Pfund Heller und 2<br />

Heller, die wir als bar bezahlt und unser Besitz sind und wir Kraft dieses Briefes dem oben<br />

gemeldetem Prior und Convent übergeben und jedem der davon besonders betroffen ist<br />

Nachricht geben. In dem gemeldeten Dorf Gechingen all unsere Gerechtigkeit, Nutzen,<br />

Brauchung und Besitzung auch Briefs und Register wie wir sie bisher innegehabt haben, also<br />

daß die genannten Heiligen alle darin begriffen, hinförder zu Gechingen lagen, mit allen<br />

solchen Zinsen und Gülten damit zu tun und lassen, verkaufen, verleihen, versetzen, also wie<br />

mit anderen eigenen Gütern ungehindert und ohngefragt, unsre und all unsere Nachkommen<br />

kein Anspruch nach solchen Zinsen füro nimmermehr haben, noch etwas zu bestimmen,<br />

weder mit Gericht oder Ohngericht Beistand. Und ohne gefährdende Arglist, geloben, daß bei<br />

Worten Treue, stets zu halten und dem Allem zu wahren verkündet haben wir, oben<br />

gemeldeter Prior und Convent unseren Conventsiegel gehängt an diesen Brief, der gegeben ist<br />

nach der Christi Geburt Unseres Herrn Jesu Christi, als man zählt 1497."<br />

Die Gemeinde stellte damit die Erhaltung der Kirche sicher, behielt sich aber ein<br />

Kontrollrecht vor. Deshalb sind im Rathaus Rechnungen der Kirchenpflege (Heiligenpflege)<br />

und Lagerbücher (Zinsbücher) des Heiligen aufbewahrt.<br />

Die ältesten Inschriften an und in der Kirche stammen aus dem Jahr 1481. Sie bezeichnen<br />

sicher nicht das Baujahr der Kirche, vielmehr wurde in diesem Jahr wahrscheinlich eine<br />

größere Renovierung abgeschlossen. Da aber kein sicherer Nachweis über das wahre Alter<br />

unserer Kirche zu erbringen ist, wird 1481 als das "Geburtsjahr" der Martinskirche betrachtet.<br />

Eine der beiden Inschriften befindet sich über dem südwestlichen Eingang zur Kirche. Dort<br />

steht auf einem eingemauerten Stein: "In honorem sancti Martini est dedicata illa ecclesia<br />

anno domini 148 (letzte Zahl fehlt, erschlossen) Bertholdus Dieringer Plebanus,<br />

Heinericus Wieland Lapicida."(Zu Ehren des Heiligen Martin wurde diese Kirche geweiht im<br />

Jahre des Herrn 148 Berthold Dieringer, Pfarrer, Heinrich Wieland, Steinmetz). In der<br />

Mitte der Inschrift befand sich das Wappen der Markgrafen von Baden, das später entfernt<br />

wurde. Die zweite Inschrift aus diesem Jahr ist Pfarrer Dieringers Grabplatte, die später an der<br />

Wand am Aufgang zur Empore angebracht wurde. Sie lautet: "Anno domini MCCCCLXXXI<br />

obijt bertholdus dieringer de alten bullach plebanus ecclesie cuius anima requiescat in pace<br />

amen." - "Im Jahre des Herrn 148 starb Berthold Dieringer aus Altenbulach, Pfarrer dieser<br />

120


Kirche. Seine Seele ruhe in Frieden Amen." Diese Grabplatte stammt nicht von dem<br />

obengenannten Steinmetz. Es wird angenommen, daß diese Jahreszahl 1481 auch das Jahr der<br />

Einweihung der Kirche ist.<br />

Um das Jahr 1522, also in der vorreformatorischen Zeit, muß unser Gotteshaus einen<br />

Altarschrein besessen haben. Einem Zufallshinweis verdanken wir die Nachricht über zwei<br />

geschnitzte Figuren des Schreins. Die erste Erwähnung über die Figuren fanden wir in dem<br />

Buch von Julius Baum "Bildwerke des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts" von 1917.<br />

Hier heißt es auf Seite 266: "Abbildung 318 zeigt den Heiligen Petrus auf dem linken Fuß<br />

stehend, den rechten vorstreckend. Er hält in der erhobenen Rechten ein Buch, gegen das sein<br />

bärtiges, kahles Haupt gesenkt ist. Über die geballte Linke ist der Mantel derart geworfen, daß<br />

das gegurtete Gewand auf der Brust sichtbar bleibt. Es fehlen: die Nase, eine Zehe des rechten<br />

Fußes, und der Schlüssel in der Linken. Fassung größtenteils zerstört. Der Mantel war golden,<br />

Lindenholz, Rückseite ausgehöhlt, Höhe 1,23 m, Breite 0,38 m, aus Gechingen, Oberamt<br />

Calw." - "Abbildung 319 zeigt den Heiligen Martin, langsam reitend. Das schwerfällige Pferd<br />

in Trabstellung. Der Heilige in Amiktus, Alba, Dalmatika und Pluviale (Name von Kirchengewändern),<br />

die Mitra auf dem Haupte, wendet den Oberkörper nach rechts, dem Bettler zu, der<br />

unter dem Kopf des Pferdes kniet und mit der Rechten nach dem Mantelsaum des Bischofs<br />

langt. Dieser war dargestellt, wie er eben ein Stück seines Mantels abzuschneiden im Begriff<br />

ist, den die Linke hält. Es fehlen: Der Bettler, von dem nur noch ein Fuß und der rechte Arm<br />

erhalten sind, der rechte Arm des Heiligen Martin, seine Nase, Teile der Mitra und der<br />

Mantelfalten sowie der Schwanz des Pferdes. Statt der ursprünglichen Fassung ein gleichfalls<br />

größtenteils zerstörter weißer Anstrich, Lindenholz, Rückseite ausgehöhlt. Die Figur stand<br />

wohl in einem Schreinaufsatz. Höhe 0,94 m, Breite 0,59 m. Aus Gechingen, Oberamt Calw.<br />

Beide Figuren aus dem Jahr 1522 nach nicht nachzuprüfenden Angaben im Inventar der<br />

Sammlung Paulus. 1866 aus der Sammlung Paulus erworben." Seitdem waren die Figuren im<br />

Besitz des Landesmuseums Stuttgart. Der Heilige Petrus befindet sich dort im Alten Schloß,<br />

während der Heilige Martin seit ca. 1956 im Heimatmuseum Sindelfingen steht. Die oben<br />

erwähnte Sammlung Paulus soll von einem Oberkirchenrat Paulus stammen, der zur Zeit<br />

König Karls (1864 - 1891) gelebt hat. Dem Landesmuseum fehlen nach Auskunft von Dr.<br />

Meurer weitere Erkenntnisse über Paulus.<br />

Wann genau unsere Kirche und unser Dorf evangelisch wurden, wissen wir nicht. Zwar wird<br />

die Reformation in Württemberg auf 1535 festgesetzt nach der Rückkehr Herzog Ulrichs, und<br />

das Volk nahm in der Mehrheit die Lehre Luthers freudig an, aber die Klöster leisteten<br />

teilweise heftigen Widerstand, auch erlitt die evangelische Sache mancherlei Rückschläge.<br />

Mit Sicherheit aber kann man annehmen, daß vor 1550 der Übergang vollzogen war.<br />

Was die Verhältnisse ein bißchen schwierig machte - der Kirchensatz blieb in badischem, also<br />

"ausländischem" Besitz und zwar bei der katholisch gebliebenen Linie der Markgrafen von<br />

Baden-Baden. Im Zinsbuch des Klosters Herrenalb von 1725 erfahren wir folgendes über den<br />

Pfarrer von Gechingen: "Der Kirchensatz und Herrschaft der Pfarrer zu Gechingen gehört dem<br />

Stift zu Baden, die Kastenvogtei aber gnädigster Herrschaft Württemberg. Das Kloster<br />

Herrenalb hat zu Gechingen auf dem Kirchhof ein eigenes Kornhaus gehabt, das ist vor Jahren<br />

in einer Brunst abgegangen, ist gegen dessen von Gechingen und sonst männiglich aller<br />

Steuer und Beschwerden ganz frei gewesen." Ob in diesem Kornhaus nun aber Korn der<br />

Pfarrei gelagert wurde, ist nicht mehr festzustellen. Denkbar wäre es, denn Herrenalb bzw. das<br />

Klosteramt Merklingen war die vorgesetzte württembergische Behörde.<br />

Von einem schweren Brandunglück erzählt eine Inschrift am Kirchturm. "Anno 1561 mense<br />

aprilis turris hec fulmine coelitus delapso tacta et usque ad imum scissa est et tandem 1568<br />

anno reaedificari cepta eodemque absoluta." Das heißt: "Im Jahre 1561 im Monat April wurde<br />

121


dieser Turm durch einen Blitz vom Himmel getroffen, bis unten hin gespalten; und schließlich<br />

im Jahre 1568 begann man, ihn wiederaufzubauen; im selben Jahr wurde man damit fertig."<br />

Über dem südlichen Kircheneingang befand sich früher eine Inschrift: "1568 Lorentz<br />

Manner." Der Name stammt wahrscheinlich von einem Handwerksmeister, der damals die<br />

Bauarbeiten ausgeführt hat.<br />

Im Fleckenbuch von 1679 - 1748 findet man folgenden Eintrag: "Den 24. August ist<br />

Schultheiß, Gericht und Rat wieder versammelt gewesen. NB. Weil am 11. Dezember der<br />

Paulus Gräber, Fleckenschmied, gestorben ist, kommt von Simmozheim Bernhard Strohm. In<br />

diesem Jahr 1743 wurde 55 Schuh (1 Schuh = ca. 28 cm) in der Länge an unserer Kirche<br />

neben der neuen Sakristei gebaut. Unser Herrgott gab Segen und gutes Wetter. Vom 1. Mai<br />

bis 1. September wurden sie fertig, so daß am 12. Sonntag Trinitatis am Egidiustag (der<br />

Heilige Egidius wurde im Mittelalter sehr verehrt und zu den 14 Nothelfern gezählt) von<br />

Herrn Special Bregen aus Calw im Beisein ihrer Gnaden, Herrn Regierungsrat und<br />

Oberamtmann zu Merklingen, neben mehr als 2 000 Menschen so zu Lieb hierhergekommen,<br />

in Gottes Namen der Heiligen Dreifaltigkeit zu Ehren angefangen worden. Es ist das ganze<br />

Werk aus des Heiligen Kasten erbaut worden (Kirchenvermögen), außer der Schultheiß<br />

Johann Bernhard Kappis, der hat den eingemachten Stuhl an dem großen Kirchturm auf seine<br />

und seiner Nachkommen und Erben Kosten zu seinem Angedenken machen lassen, welcher<br />

auch zu ihrem Eigentum sei und verbleiben soll. Hiesige Kommun hat dem jetzigen<br />

treueifrigen Herrn Pfarrer Johann Martin Pommer sehr viel zu verdanken, welcher nicht nur<br />

alle guten Taten hier gemacht, sondern vielmehr selbst Hand angelegt und unter seiner und<br />

des Schultheißen Kappis Inspektion alles geschehen. Unser Herrgott erhalte die liebe Kirche<br />

vor allem Unglück und Schaden."<br />

Über dem südwestlichen Portal zum Kirchsaal ist eine Rose aus rotem Sandstein angebracht<br />

mit der Jahreszahl 1743, sie wurde höchstwahrscheinlich zum Abschluß der Bauarbeiten<br />

eingesetzt.<br />

Bei dem obengenannten Herrn Special Bregen handelt es sich um den damaligen Spezialsuperintendenten,<br />

(heute Dekan) Johann Christoph Breg. Er lebte von 1739 bis 1751 in Calw,<br />

geboren wurde er in Stuttgart 1682, verstorben ist er in Murrhardt 1752.<br />

Weitere Arbeiten an der Kirche wurden im Jahr 1772 durchgeführt. Im Kirchenkonventprotokoll<br />

vom 5.4.1772 heißt es (im Text wörtlich, Orthographie modernisiert): "Nachdem<br />

man wahrgenommen, daß seit einigen Jahren der allhiesige Kirchturm durch gewaltsame<br />

Sturmwinde und eingedrungenes Regenwasser sehr großen Schaden erlitten, so daß der<br />

Hauptstern (Balkenkonstruktion) außerhalb des Turms in der Mitte gänzlich verfaulte, die<br />

Gratstücke samt den Kreuzbälken nimmer habhaft, die darauf befindliche Helmstange samt<br />

dem zentnerschweren Kreuz, Knopf, und Hahnen, gesunken, und zu befürchten, es möchte<br />

durch den Verzug der Reparatur ein noch größerer Schaden entstehen, durch einen Sturm alles<br />

vollends abgerissen, und nicht nur das Turmdach, sondern auch das Kirchendach totaliter<br />

zusammengeschlagen werden, so habe ich subsignierter Johannes Machtloff, Maurermeister<br />

und Landschieferdecker auf Verlangen der allhiesigen Kirchen- und Communvorsteher den<br />

Kirchturm nebst einigen Urkundspersonen und dem Zimmermann Class beaugenscheinigt,<br />

den Schaden pflichtgemäß angezeigt und meine Arbeit aufs genaueste spezifiziert. Weil ich<br />

mich bei dem ganzen Geschäfte vieler Lebensgefahr exponieren muß, so prätendiere ich vor<br />

meiner Arbeit 75 Gulden nebst 4 Gulden zu ein Paar Schuh, ein Paar Strümpf und eine<br />

Gesundheitsflasche dem uralten Brauch gemäß."<br />

Im Jahre 1825 wurde eine kleine, helle Sakristei gegen Süden der Kirche erbaut, die aber nicht<br />

heizbar war. Bei der Kirchenrenovierung 1953 wurde beim Abnehmen der Kanzel ein<br />

Portalbogen mit der Jahreszahl 1825 gefunden. Bei diesem Bogen handelt es sich vermutlich<br />

um den alten Zugang zur Sakristei.<br />

122


Aus dem Jahre 1862 gibt es eine Inventarliste für unsere Martinskirche. Sie verfügte damals<br />

über: 1 Nachtmahl-Kelch aus Silber, 1 Hostien-Büchse, 6 zinnerne Nachtmahl-Kannen, einen<br />

kleinen Bücherkasten, einen großen Bücherkasten, einen Tisch, einen Stuhl, einen Schemel, 3<br />

Glocken, eine gute Uhr, eine Orgel, diverse Kanzel-, Altar- und Taufsteintücher.<br />

Eine durchgreifende Erneuerung und Vergrößerung der Kirche fand zwischen 1865 und 1867<br />

statt. Die Kirche, ursprünglich romanisch, wurde dabei in den jetzigen, neugotischen Stil<br />

umgebaut. An der Ostseite entstand ein Anbau von ca 11 ½ m (40 Schuh) Länge und ca. 11,7<br />

m (20 Schuh) Breite. Dadurch wurde für etwa 120 Personen Platz gewonnen. Zunächst wurde<br />

auf der nördlichen Seite eine regelmäßige Fenstereinteilung vorgenommen, gleichzeitig die<br />

jetzige Sakristei errichtet. Ebenfalls dürfte bei diesem Umbau der heutige Treppenaufgang zur<br />

Empore erstellt worden sein, da vorher von der Notwendigkeit der Beseitigung des<br />

"unschönen Stiegenhauses" die Rede war, einer überdachten Außentreppe, wie sie heute noch<br />

bei manchen Kirchen zu sehen ist. Anschließend wurde die Südseite umgebaut, wobei die<br />

Fenster im gotischen Stil errichtet und wie auf der Nordseite mit dreifarbigem Glas versehen<br />

wurden. Die Fenster bestanden aus etwa 10 cm großen Rauten, die auf die Spitze gestellt und<br />

in Blei gefaßt waren. Ihre Farben waren rot, blau und gelb.<br />

Der Haupteingang wurde ganz neu in Quadern und gotischer Arbeit ausgeführt. Der Turm<br />

bekam ebenfalls einen Eingang von außen. Bis dahin war vermutlich der einzige Zugang zum<br />

Turm durch den 1953 zugemauerten Torbogen im Kirchsaal möglich. Alle Eingänge wurden<br />

mit Türen aus massivem Eichenholz versehen. Im Zusammenhang mit der<br />

Kirchenrenovierung stiftete Schultheiß Otto Friedrich Ziegler einen neuen hölzernen, gotisch<br />

gearbeiteten Altar im Wert von 150 Gulden. Pfarrer Storz gab ein Lutherbild im Wert von 11<br />

Gulden, das neben der Kanzel aufgehängt wurde. Für Taufstein, Altar und Kanzel wurde eine<br />

neue, scharlachrote, mit gelbseidenen Borten versehene Bedeckung aus der Stiftungspflege für<br />

150 Gulden angeschafft. Außerdem wurde die Kirche außen verputzt. Der gesamte<br />

Kostenaufwand für die Baumaßnahmen 1865 - 1867 betrug ca. 11 000 Gulden, welcher von<br />

der Stiftungspflege allein getragen worden ist. Die Mittel dazu konnten aus dem Heiligenwald<br />

beschafft werden.<br />

Am 13.11.1874 trat der Stiftungsrat zusammen, um über den weiteren Ausbau unserer<br />

Martinskirche zu beraten. Aus dem Protokoll ersehen wir: "Die Orgel ist in nächster Zeit und<br />

damit das Innere der Kirche fertig, aber der Turm paßt zur Kirche in seiner jetzigen Bauart<br />

nicht mehr. Nun liegt bereits der neue Plan vor. Derselbe wird genehmigt und beschlossen: Im<br />

nächsten Frühjahr ist mit dem Bau des Turmes zu beginnen." Nach einem späteren Protokoll<br />

wurden die Pläne für den Umbau des Turms von Architekt Feldweg aus Hirsau und<br />

Baumeister Nüssle aus Stammheim gefertigt. Zur Ausführung kam eine Kombination aus<br />

beiden Plänen, wobei Oberamtsbaumeister Nüssle die Bauleitung übertragen wurde. Der<br />

Kirchturm wurde erhöht und mit einem "Pyramidendach" versehen. Dazu eine Beschreibung<br />

von Architekt Feldweg: "Der (alte) Turm hat vom Boden bis zur Gurte eine Höhe von 56<br />

Schuh, 16 m. Hierauf sitzt der abzubrechende Glockenstock, welcher auf drei Seiten von<br />

Fachwerk und auf der Westseite von Stein konstruiert, nur 4 m hoch ist, worauf das 4,6 m<br />

hohe Zeltdach sitzt. Gesamthöhe 24,6 m. Die von Stein aufzusetzenden zwei neuen<br />

Stockwerke über der oben genannten Turmgurte haben eine Gesamthöhe von 8,72 m, die<br />

Höhe der Pyramide 11,44 m. Der Turm erhält coupierte Ecken und geht im Pyramidendach in<br />

ein vollständiges Achteck über. Baukosten: 6 191 Gulden (10 586 Mark)." Das Kreuz auf dem<br />

Kirchturm, Gewicht 126 Pfund, wurde von Friedrich Gehring, Schlosser in Gechingen, um 43<br />

Gulden angefertigt, die Schalläden wogen 1 917 Pfund und kosteten 766 Gulden.<br />

Da bei dem neuen Turm auf jeder der vier Seiten ein Zifferblatt vorgesehen war - vorher war<br />

das nicht der Fall - ließ man im Hüttenwerk Wasseralfingen vier Uhrentafeln anfertigen. Aus<br />

123


einem Frachtbrief der Königlich Württembergischen Eisenbahn geht hervor, daß sie 400 Kilo<br />

wiegen. Sie kosteten 262 Mark.<br />

Der Umbau des Turmes wurden von dem Erlös des an die bürgerliche Gemeinde um 12 000<br />

Gulden verkauften Heiligenwaldes bestritten.<br />

Weitere Baumaßnahmen an der Kirche von 1879 bis heute:<br />

Um 1880 wurde auf der Kirchenbühne ein neuer, astloser Boden verlegt. Diese Bühne wurde<br />

zum Hopfentrocknen an <strong>Gechinger</strong> Bürger verpachtet. Das Regenwasser vom Kirchendach<br />

und Kirchplatz wurde in eine Dole geleitet.<br />

Ab 1892 wurde der Kirchplatz als Turnplatz für die Schüler genutzt. Er wurde mit Sand<br />

hergerichtet und mit Kastanienbäumen zum Sonnenschutz bepflanzt.<br />

1893 wurde die Kirche im Winter zum erstenmal beheizt mit eisernen Öfen, die ca. 900 Mark<br />

gekostet haben. Die Besucher, vor allem die Kinder, begrüßten diese Maßnahme.<br />

1914 wurde in der Kirche elektrische Beleuchtung eingerichtet.<br />

1928 bekam das Turmdach eine neue Bedeckung. Der damalige Schieferdecker beendete seine<br />

Arbeit mit einem Handstand auf dem Turmkreuz.<br />

Aus dem Tagebuch der Luise Weiß geb.Gehring: "Anfang Dezember 1921 sind auch zwei<br />

Ehrentafeln für unsere im Krieg gefallenen Helden in der Kirche angebracht worden, welche<br />

die Namen sämtlicher Gefallenen und Vermißten enthalten, 49 an der Zahl. Sodann wurden<br />

sämtliche Kränze (jeder Gefallene hatte seinen Lorbeerkranz) abgenommen und den<br />

Angehörigen übergeben. Es war ein schöner Schmuck der Kirche und wurde sehr vermißt."<br />

Nach dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges und den seit 1943 verstärkten feindlichen<br />

Luftangriffen mußte auch die Kirchengemeinde Gechingen die nötigen Einrichtungen für den<br />

Selbstschutz schaffen. Nach einer Besichtigung am 23.Juni 1943 wurde folgendes angeordnet:<br />

"1. Der Turm ist durch Brandbomben nicht leicht zu treffen, an dem steilen Dach prallen diese<br />

ab. Das Übergreifen eines Feuers aus dem Kirchenschiff kann durch das Anbringen einer<br />

Brandmauer in der Turmöffnung des Erdgeschosses und der Empore verhindert werden.<br />

2. Auf dem oberen Dachboden ist der Bauschutt zu entfernen. Fünf gefüllte Sandtüten sind am<br />

Treppenaufgang bereitzustellen.<br />

3. Im unteren Dachboden ist das gespaltene Holz in der Mitte aufzusetzen, loses Reisig ist zu<br />

entfernen.<br />

4. 10 gefüllte Sandtüten müssen am Eingang bereitgestellt werden. Desgleichen eine<br />

Luftschutzhandpumpe und ein Behälter mit mindestens 50 Liter Wasser, ferner zwei<br />

Feuerpatschen und eine Schaufel.<br />

5. Im Erdgeschoß sind neben jedem Eingang fünf Sandtüten und je eine Luftschutzhandpumpe<br />

und ein Behälter mit mindestens 50 Liter Wasser aufzustellen.<br />

6. Sämtliche Leuchten sind mit dunklem Stoff abzuschirmen.<br />

Vollzugsmeldung am 1. August 1943.<br />

Luftschutzleiter Schmidt, Pfarrer Lemp."<br />

Am 20. April 1945 richteten Fliegerbomben an der Kirche beträchtlichen Schaden an. Er<br />

wurde von der ganzen Gemeinde notdürftig behoben.<br />

Am 1. Mai 1951 wurden bei einer Bauschau größere Schäden an der Kirche festgestellt:<br />

Gestühl und Boden waren schadhaft, ebenso das Dach. Die Kirchenmauer hatte Risse, der<br />

Schlußstein im Torbogen im Turm gegen die Kirche zu hatte sich gesenkt. Am 21. September<br />

1953 begannen nach der Frühandacht die Abbrucharbeiten. Die alten Emporen sollten entfernt<br />

und die Orgelempore versetzt werden. Beim Abnehmen der Emporenbrüstungen stellte sich<br />

heraus, daß sie ursprünglich bemalt und später übermalt worden waren. Es handelte sich um<br />

biblische Darstellungen aus dem alten und neuen Testament, Christi Himmelfahrt und Jakobs<br />

Heirat. Auch die zwölf Apostel waren zu erkennen. Als die Orgelempore abgebrochen wurde,<br />

um die Mauer zu verlegen, kam ein alter beschrifteter Balken zum Vorschein, der die Stifter<br />

von Bildern aus der Barockzeit nennt. An der südlichen Langschiffwand war unter dem Putz<br />

124


eine Beschriftung vorhanden, u.a. fand man den Namen von Bürgermeister Schneider, der von<br />

1796 - 1828 sein Amt ausübte.<br />

Nach Räumung der Kirche von den riesigen Emporen kam die Schönheit des Kirchenschiffes<br />

erst richtig zur Geltung. Leider traten auch Schäden am Turm zutage, weshalb dieser<br />

unterfangen werden mußte. Der Turmbogen - er könnte eine frühere Chornische im Turm<br />

gewesen sein - mußte zugemauert werden, damit der Turm, dessen Fundamente nachgegeben<br />

hatten, wieder festen Halt bekam. Die Sakristeiwand wurde abgebrochen, um die Decke tiefer<br />

legen zu können. Die bis dahin bunten Kirchenfenster wurden durch helle, in fünf Farben<br />

leicht getönte, in Blei gefaßte, rechteckige Gläser ersetzt. Das runde Fenster über dem Altar,<br />

vor der Renovierung durch die Orgel verdeckt, wurde von der Kunstglaserei Saile als<br />

Buntfenster mit fünf biblischen Motiven gestaltet. Das Gestühl, das schon vor dem ersten<br />

Weltkrieg beanstandet worden war, wurde durch ein neues ersetzt und eine elektrische<br />

Heizung eingebaut.<br />

Die Arbeiten gingen nicht zuletzt dank des unermüdlichen Einsatzes Pfarrer Ulmers zügig<br />

voran, bereits am 25. Dezember 1953 konnte der Kirchsaal provisorisch eingeweiht werden<br />

und am Palmsonntag, dem 11.April 1954, weihte Prälat Schlatter die Kirche.<br />

Im Jahre 1960 wurden Renovierungsarbeiten am Kirchturm durchgeführt, der Turm erhielt<br />

auch einen neuen Verputz.<br />

1981 gedachte die Evangelische Kirchengemeinde der 1481 erfolgten Weihe der Kirche mit<br />

einem großen, mehrtägigen Fest, das von allen Seiten regen Zuspruch fand. Den Festvortrag<br />

hielt Professor Dr. Hansmartin Decker-Hauff; eine geistliche Abendmusik und ein großer<br />

Festgottesdienst seien als herausragende Aktivitäten genannt.1988 erfolgte mit einem<br />

Kostenaufwand von ca. DM 260.000.- die Erneuerung des Kirchendaches.<br />

Die Kirchturmuhr<br />

Die <strong>Gechinger</strong> Pfarrbeschreibung von 1827 stellte fest: "In dem Turm befindet sich eine Uhr,<br />

welche Viertel und Stunden schlägt." Dies galt seither als ältester Hinweis auf eine<br />

Kirchenuhr in Gechingen. Jetzt fand sich aber noch ein älteres Dokument über eine<br />

Kirchturmuhr und zwar eine Rechnung vom 22. April 1811: "Unterzeichneter Christian Karl<br />

Veiel hatte in Gechingen den 20. April 1811 die Uhr mit vier Werken auseinandergemacht<br />

und die Aufzugsräder mit Kloben befestigt. Das Werk wiederum zusammengesetzt. Samt der<br />

Versäumnis habe verdient zwei Gulden. Den 22. April war der Aufzugshaken an dem<br />

Viertelwerk abgebrochen, somit die Uhr wiederum auseinandergemacht, einen neuen Haken<br />

hineingemacht und das Werk zusammengesetzt. Samt dem Versäumnis habe verdient<br />

nochmals zwei Gulden, macht zusammen vier Gulden. Christian Karl Veiel, Schlosser und<br />

Uhrmacher in Calw."<br />

Im Jahr 1841 schaffte sich die Kirchengemeinde eine neue Uhr an. Der einheimische<br />

Schlossermeister Friedrich Gehring stellte sie her und gab 6 Jahre Garantie darauf: "Aber nur,<br />

wenn sie richtig aufgezogen und nicht den Schulbuben überlassen wird." Damals mußten die<br />

Uhren täglich aufgezogen werden, und die Lehrer, die dafür verantwortlich waren, übertrugen<br />

dieses Amt den Schulbuben, die dann wohl nicht immer sehr schonend mit dem Werk<br />

umgingen. Aus diesem Grund wurde die Pflege und das Aufziehen der neuen Uhr dem<br />

Schlosser Gehring übertragen. 1856 war jedoch eine umgreifende Reparatur der Uhr fällig.<br />

Die Kosten beliefen sich auf 60 Gulden. 1862 ist in der Inventarliste der Kirche (siehe diese)<br />

ausdrücklich "eine gute Uhr" erwähnt. Beim Umbau des Turmes wurden vier neue<br />

Uhrentafeln angeschafft, das Uhrwerk konnte man aber offenbar weiterhin verwenden.<br />

Im Jahr 1928 wurde dann eine neue Kirchenuhr erworben, die elektrisch aufgezogen wurde.<br />

Dem Mesner ersparte man damit die Mühe des täglichen Aufziehens. Die Kosten dieser Uhr,<br />

die die Firma Perrot aus Calw lieferte, beliefen sich auf RM 5 228.-. Unsere heutige<br />

125


Kirchturmuhr, im Jahr 1967 eingebaut und ebenfalls von der Firma Perrot geliefert, ist<br />

vollelektrisch und elekromechanisch. 1996 wurde die Uhr dann nochmals umgebaut, sie hat<br />

jetzt elektronische Funksteuerung.<br />

Die Glocken.<br />

Schon im Jahr 1495 bekam unsere Kirche ein Geläut. Es bestand aus drei Glocken, die alle<br />

von Bernhart Lachamann aus Heilbronn gegossen worden sind. Lachamann der Ältere war<br />

von 1481 - 1517 als Glockengießer tätig. Ihm folgte sein Sohn Bernhart von 1517 - 1524.<br />

"Der Typ ihrer Glocken ist stets derselbe, angefangen vom Körper der Glocke mit<br />

Kronenplatte auf doppelter Vorlage, schwach gerundetem Übergang der Haube zur Schulter,<br />

glatter Flanke und der Kronenbildung aus stets glatten Bügeln von rechteckigem Querschnitt<br />

und mit scharfem Knick. Die Inschrift aus klaren, breitgestalteten Minuskeln<br />

(Minuskelschriften bestehen ausschließlich aus kleinen Buchstaben) wird von einem<br />

Tatzenkranz eingeleitet und durch große paragraphen-förmigen Zeichen nach den einzelnen<br />

Wörtern getrennt. Das Schriftband wird von den glatten, derben Stegen durch freie Zonen<br />

geschieden." (Aus dem deutschen Glockenatlas von Württemberg-Hohenzollern.) Im Kreis<br />

Calw gab oder gibt es noch mehr Glocken von Lachamann, so in Zwerenberg (von 1494), in<br />

Stammheim (von 1505), in Sulz am Eck (von 1505) und in Wildberg (von 1511).<br />

Unsere größte Glocke hat ein Gewicht von 1 200 kg, einen Durchmesser von 1,20 m und eine<br />

Höhe von 88 cm. Ihr Ton ist F. Auf ihr steht: "0sanna heis ich, in unser Fraven Er levt ich,<br />

bernhart lachamann gos mich 1495." - Die mittlere Glocke wiegt 700 kg, hat einen<br />

Durchmesser von 102 cm und eine Höhe von 80 cm und klingt in As. Die Inschrift lautet:<br />

"Jesus nazarenus rex Judeorum (Jesus von Nazareth, König der Juden) bernhart lachamann<br />

gos mich 1495." Das Gewicht der kleinen Glocke ist nicht mehr bekannt. Die Ausführung war<br />

wie bei den beiden anderen, sie hatte den Ton B, und trug folgende Inschrift: "Hilf Jesus<br />

Maria. bernhart lachamann gos mich 1495." Das Geläut in den Tönen F, As und B ist kein<br />

harmonischer Klang, sondern ein melodisches Motiv, und zwar das Tedeum-Motiv. (Te deum<br />

laudamus = Dich, Gott, loben wir). Die drei Glocken blieben in Jahrhunderten unverändert in<br />

unserer Kirche.<br />

Im Jahr 1875 wurde wegen der Turmerhöhung der Glockenstock abgebrochen. Die Glocken<br />

ließ man auf den Kirchhof herunter und nach Fertigstellung des neuen Turmes zog man sie<br />

wieder hinauf; für diese Zeit sicher eine technische Meisterleistung. Gegen Ende des ersten<br />

Weltkrieges, 1918, mußte die kleinste Glocke zum Einschmelzen für militärische Zwecke<br />

abgegeben werden. Es wurde ein Antrag an die Behörden gestellt, in dem hieß es: "Der<br />

überaus seltene Fall eines vollständigen Geläutes von Bernhard Lachamann sollte zur<br />

Befreiung von der Abgabe Veranlassung geben." Aber dieser Antrag fand keine Zustimmung.<br />

Luise Weiß geb. Gehring schrieb dazu in ihr Tagebuch: "Am 31. Juli 1918 wurde die kleine<br />

Glocke heruntergenommen, wurde zu-sammengeschlagen und zum Schalladen<br />

hinausgeworfen. Erst auf den 15. Hammerschlag bekam sie den ersten Sprung. Sie wird zu<br />

Kriegszwecken verwendet und Menschen werden nun damit zusammengeschossen. Es ist<br />

traurig und zum Weinen, wenn man bedenkt, wieviel Freud und Leid seit 1495 die Glocken<br />

mit ihrem harmonischen Geläute so manches Menschenalter hindurch Erquickung gespendet<br />

haben."<br />

1923 konnte dann eine neue Glocke angeschafft werden. Dazu Luise Weiß: "Den 17. August<br />

1923 wurde wieder eine neue Glocke hinaufgemacht."<br />

Am oberen Rand der Glocke stand: "Hilf, Herr, aus dieser Not!", am unteren Rand: "Die<br />

Gemeinde Gechingen 1923". Die neue Glocke wog 400 kg. In der Mitte der Glocke befand<br />

sich ein rundes Bildchen mit einem Knaben, der in jeder Hand eine Glocke trug. Dieses<br />

126


Bildchen war mit: "Heinrich Kurtz in Stuttgart" signiert. Im zweiten Weltkrieg mußte auch<br />

diese Glocke wieder für Kriegszwecke hergegeben werden.<br />

Im Gemeindeblatt vom August 1939 lesen wir folgendes über die Glocken: "Die Klagen, daß<br />

sich die 11 Uhr-Glocke so schwer läuten lasse, kann nur von der mangelhaften Aufhängung<br />

der Glocke herrühren. Da wir auch einen außergewöhnlich starken Verbrauch an Glockenseil<br />

haben, fast jedes Jahr müssen die Seile erneuert werden, dieses Jahr wieder um 17 Mark, ist es<br />

nötig, die Glockenaufhängung baldmöglichst zu überprüfen. Glockengießer Kurtz, Stuttgart<br />

machte ein Gutachten und einen Kostenvoranschlag, woraus hervorgeht, daß bei der<br />

mangelhaften Aufhängung unserer beiden großen Glocken die Gefahr besteht, daß sie<br />

zerspringen. Außerdem werden durch die starken Stöße die Verzapfungen des Stuhles<br />

gelockert." Doch durch den Beginn des zweiten Weltkrieges mußten die notwendigen<br />

Reparaturarbeiten bis 1953/54 zurückgestellt werden, als bei der umfassenden Renovierung<br />

auch Schäden im Turm behoben wurden.<br />

Für die im 2. Weltkrieg abgelieferte kleine Glocke lieferte 1951 die Glockengießerei Kurtz<br />

aus Stuttgart eine neue Glocke mit einem Gewicht von 535 kg im Ton B und folgender<br />

Inschrift: "Gegossen ward ich in schwerer Zeit, um die gefallenen Helden trag ich Leid."<br />

Am 31. Dezember 1958 beschloß der Kirchengemeinderat die Anschaffung einer elektrischen<br />

Glockenläutanlage. Im Protokoll steht die Begründung: "Der Gesundheitszustand der<br />

Mesnerin, deren Dienst sich die Gemeinde so lange als möglich erhalten möchte, macht<br />

diesen Beschluß notwendig." Die Rede ist hier vom unvergessenen "Kasper-Rösle", an das<br />

sich heute noch viele <strong>Gechinger</strong> freundlich dankbar erinnern.<br />

Unsere Glocken läuten zur Zeit nicht nur zur Einladung zum Gottesdienst. Die Morgenglocke<br />

ertönt um 7.00 Uhr und will zum Morgengebet wecken. Das Läuten um 11.00 Uhr soll auf die<br />

einbrechende Finsternis bei der Kreuzigung Jesu hinweisen. Früher war es auch ein Signal für<br />

die auf den Feldern arbeitenden Frauen, heimzugehen und das Mittagessen zu kochen. "Elfe,<br />

Weib, koch! Zwölfe wird´s doch", heißt ein bekannter Spruch. Das Läuten um 15 Uhr soll<br />

zum Gedenken an die Todesstunde Jesu mahnen. Die Abendglocke, im Winter um 16.30 Uhr,<br />

im Sommer um 20.30 Uhr, erinnert an die Stunde des Begräbnisses Jesu. Dieses Abendläuten<br />

hieß "Uffemärgeläuda" von "Ave Marialäuten" und war das Signal für Kinder und<br />

Jugendliche, schnell nach Hause zu gehen. Lange Zeit war es bei uns üblich, daß man beim<br />

Läuten der Glocken die Arbeit im Haus oder auf dem Felde unterbrochen und die Hände zum<br />

Gebet gefaltet hat. Das Gebet beim Läuten der Abendglocke lautet:<br />

"Mensch bedenk, was das bedeutet,<br />

daß man diese Glocke läutet.<br />

Es bedeutet abermals<br />

unsres Lebens Ziel und Zahl.<br />

Sieh, der Tag hat abgenommen,<br />

bald wird auch der Tod herkommen.<br />

Darum Mensch, o schicke dich,<br />

daß du sterbest seliglich.<br />

Befiehl dem Engel, daß er kommt<br />

und uns bewach, dein Eigentum.<br />

Schick uns den lieben Wächter zu,<br />

daß wir vorm Satan haben Ruh.<br />

So schlafen wir im Namen dein<br />

und laß die Englein bei uns sein<br />

und die heilige Dreieinigkeit.<br />

Wir loben dich in Ewigkeit."<br />

1996 wurden die beiden großen Glocken und der Glockenstuhl gründlich überholt, zum Teil<br />

waren die Arbeiten schon 1939 für notwendig erachtet worden. Durch jahrhundertlanges<br />

127


Schlagen waren im Metall Spannungen aufgetreten, die mit der Zeit zum Zerspringen der<br />

Glocken geführt hätten. In einer mehrtägigen Prozedur wurden durch vorsichtiges Erhitzen<br />

auf 600°C im Holzkohlenfeuer die Spannungen gelöst. Am unteren Rand der Glocken, dem<br />

Schlagring, waren die Glocken so beschädigt, daß mehrere Kilogramm Bronze aufgeschweißt<br />

werden mußten; die Klöppel wurden durch neue ersetzt.<br />

An die Stelle der verrosteten Blechschalläden kamen neue aus Eichenholz, und die Stahljoche,<br />

an denen die Glocken seither aufgehängt waren und die gleichfalls in schlechtem Zustand<br />

waren, wurden durch schwere Eichenholzjoche ersetzt. Beide Maßnahmen dienen zugleich<br />

der Verbesserung des Glockentons.<br />

Da sich gezeigt hatte, daß die drei Läutemaschinen, die senkrecht über dem Glockenstuhl<br />

angebracht worden waren, die Turmschwingungen verstärkt hatten, wurden neue Läutemaschinen<br />

auf einen Balkenausleger am Glockenstuhl montiert. So können die Schwingungen<br />

sich nicht vom Glockenstuhl auf den Turm übertragen.<br />

Die Kosten für Reparaturen an Glocken, Uhr und Turm werden je zur Hälfte von der<br />

bürgerlichen Gemeinde mitgetragen. Das geht auf das Jahr 1890 zurück, als Grundstücke und<br />

Geldvermögen aus dem Besitz der Kirche an die bürgerliche Gemeinde übergingen, um z. B.<br />

die Armenpflege zu finanzieren. Die Kirchengüter waren aber größer als die damit<br />

übernommenen Verpflichtungen, deshalb wurde vertraglich festgelegt, daß die bürgerliche<br />

Gemeinde künftig für die Hälfte der Reparatur- und Unterhaltskosten für Glocken, Uhr und<br />

Turm aufkommen muß.<br />

Die Orgel<br />

Orgeln in den Dörfern kamen erst im 17. und 18. Jahrhundert auf. Bis dahin wurde der<br />

Gesang in der Kirche von sogenannten Vorsängern angeführt, meistens vom Lehrer und von<br />

Schülern. Der älteste Hinweis auf eine Orgel in unserer Kirche ist 1751 zu finden. Um 9<br />

Gulden für jedes Register wurde sie repariert. Die nächste Reparatur war 1759 fällig.<br />

70 Jahre später wird in einer Pfarrbeschreibung erwähnt, daß in der Kirche eine "gute Orgel"<br />

stehe. Es ist vermutlich in der Zwischenzeit eine neue Orgel angeschafft worden, denn damals<br />

konnte man noch keine so dauerhaften Orgeln bauen wie heute.<br />

1842 kaufte man eine neue Orgel mit 11 Registern. Viktor Gruol aus Bissingen, vermutlich<br />

der Orgelbauer, spielte am 1. Advent 1842 zum ersten Mal auf dem Instrument. Ein Jahr<br />

später wurde die Orgel für 100 Gulden lackiert und reich vergoldet. Diese Gruolorgel hatte,<br />

wie auch die anderen aus dieser Werkstatt, einen warmen und tiefen Ton, der dem<br />

Zeitgeschmack nicht entsprach. 32 Jahre später mußte sie wegen angeblich schlechter Qualität<br />

einer neuen weichen. Die neue Orgel mit 16 Registern wurde dann auch bemalt und vergoldet,<br />

laut Rechnung von 1875 zum Preis von M 293,74. Diese Orgel steht nach vielen Reparaturen,<br />

Änderungen und Erweiterungen bis zum heutigen Tag in unserer Kirche. Sie hat einen<br />

wunderbaren Klang und funktioniert noch immer.<br />

Luise Weiß geb. Gehring schreibt in ihrem Tagebuch: "Im Sommer 1917 holten sie hier<br />

unsere schönen Orgelpfeifen und das Rathausglöckle zu Kriegszwecken, zum Erschießen so<br />

vieler junger braver Männer und Familienväter. Das Herz blutet einem, ja man könnte sich<br />

blind weinen bei so vielen traurigen Hiobsbotschaften. Unsere Kirchenglocken dürfen wir<br />

vorerst behalten, weil es ein vollständiges Geläute ist und hohen Kunstwert hat." Ein paar<br />

Seiten weiter steht: "Im Dezember 1921 sind wieder Orgelpfeifen angebracht worden, worauf<br />

jetzt eine Schuld von 3 000 Mark ruht, trotz Opfer und Kirchenkonzert."<br />

1932 wurde ein Orgelmotor eingebaut, doch bis Anfang der fünfziger Jahre wurde der<br />

Blasebalg noch von den Schülern getreten, was auch heute noch bei Stromausfall möglich ist.<br />

Um 1958 erstellte die Orgelfirma Weigle ein Positiv mit 3 Registern zur Verstärkung des<br />

zweiten Manuals, das an der Brüstung vor dem Spieltisch aufgestellt wird. Die zwei räumlich<br />

von einander getrennten Registergruppen sind eine große Seltenheit.<br />

128


Im Spätsommer 1992 wurden Wartungsarbeiten an der Orgel durchgeführt, sie wurde<br />

überholt, gereinigt und anschließend frisch gestimmt.<br />

Die Rolle der Kirche im dörflichen Leben<br />

Etwa seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts sind genügend schriftliche Zeugnisse aus dem<br />

Alltagsleben erhalten, daß wir uns in groben Zügen ein Bild von dieser Zeit machen können.<br />

Eine besonders gute Quelle dafür sind die Kirchenkonventsprotokolle. Der Kirchenkonvent<br />

war eine Aufsichtsbehörde, die 1644 landesweit eingeführt worden war, um der Verwilderung<br />

der Sitten durch den Dreißigjährigen Krieg gegenzusteuern. Den Vorsitz führten Pfarrer und<br />

Schultheiß gemeinsam, die Beisitzer wurden von den Vorsitzenden bestimmt. Der<br />

Kirchenkonvent traf sich in gewissen Zeitabständen. Er hatte vor allem die Aufgabe eines<br />

Sittengerichts. Die Heilighaltung des Sonntags und der Besuch der Gottesdienste und des<br />

Abendmahls wurden kontrolliert. Zuspätkommen und Schwatzen beim Gottesdienst wurden<br />

streng geahndet. Eigens aufgestellte und vereidigte Personen, die "Kirchenrüger", hatten das<br />

zu überwachen, Kontrollgänge während des Gottesdienstes durch den Ort zu machen und alle<br />

Vergehen dem Konvent zu melden. Der Kirchenkonvent wandte sich gegen das Tanzen und<br />

Spielen, gegen Wirtshausbesuche, gegen Fluchen, Lärmen und Zanken. Darüberhinaus fühlte<br />

sich der Kirchenkonvent verantwortlich für das Bestellen von Pflegern und Vormunden,<br />

Versorgen der Ortsarmen, Aufsicht über die Lehrherren und Lehrlinge sowie die gesamte<br />

Schulverwaltung. Alle Verstöße gegen die Regeln der kirchlichen und weltlichen<br />

Gemeinschaft, vom Einschlafen während der Predigt bis zum Umgang der Geschlechter<br />

miteinander, vom Wasserholen am Brunnen bis zum Ehestreit, wurden durch den Konvent<br />

unter Vorsitz des Ortsgeistlichen untersucht und gegebenenfalls bestraft. Der Konvent konnte<br />

sogar Einweisungen bis zu drei Tagen in den Ortsarrest verfügen. Die eingehenden Strafgelder<br />

gingen an die Kirchenkasse.<br />

Aber auch Hilfe für Notleidende und Arme kam vom Kirchenkonvent. Während der Hungerjahre<br />

von 1845 - 1852 nahm die Kirchengemeinde eine Schuld von 500 Gulden auf, um die<br />

schlimmste Zeit, bis staatliche Hilfe vom Kamaralamt (Finanzamt) kam, zu überbrücken.<br />

1852 beschloß der Kirchenkonvent, eine Suppenanstalt einzurichten. Die weltliche Gemeinde<br />

weigerte sich, weil sie den Kirchenkonvent nicht als gesetzliche Armenbehörde anerkennen<br />

wollte.<br />

Die Einrichtung des Kirchenkonvents bestand etwa 200 Jahre lang. Ab 1855 löste der Pfarrgemeinderat,<br />

aus dem 1886 der Kirchengemeinderat hervorging, den Kirchenkonvent ab.<br />

Schon zuvor hatte das weltliche Polizeirecht einige seiner Befugnisse übernommen. Die<br />

freieren Anschauungen, die sich während des 19.Jahrhunderts entwickelt hatten, machten<br />

einen gewissen Wandel in der Bedeutung und in den Aufgaben der kirchlichen Behörde<br />

notwendig.<br />

Geblieben sind die Protokolle des Kirchenkonvents als Zeugnisse der Zeit. - So war es um<br />

1800 auch in Gechingen Brauch, daß sich die ledigen jungen Mädchen und Burschen abends<br />

zum Spinnen und zum Schwatzen trafen. Bei diesen Treffen, den sogenannten "Lichtkärzen",<br />

kam es häufig zu "Unfug", so daß der Kirchenkonvent einschritt. Eine Entscheidung des<br />

<strong>Gechinger</strong> Kirchenkonvents vom 22. Januar 1798 lautete:<br />

"Untersuchung wegen der "Licht-Kärze", welche im hiesigen Ort bisher sehr gewöhnlich<br />

gewesen und wobei schon soviel Unfug verübt worden ist, wird folgende Verordnung<br />

gemacht:<br />

1. Ohne erhaltene Erlaubnis von dem Kirchenkonvent darf durchaus keine Licht-Karz oder<br />

Licht-Gang gehalten werden.<br />

2. Das Kirchenkonvent darf aber Licht-Kärzen nur solchen Hausvätern und nur in solchen<br />

Häusern gestatten, welche unbescholten sind und wo durchaus kein Unfug geduldet wird.<br />

129


3. Es dürfen nur acht Personen ohne die Hausgenossen erscheinen.<br />

4. Diese acht Personen dürfen nur weiblichen Geschlechts sein.<br />

5. Mannsleut und besonders ledige Burschen dürfen bei empfindlicher Strafe nicht erscheinen.<br />

6. Die ledigen Mädchen müssen ihre Mütter mitbringen.<br />

7. Die Nachtwächter und Scharwärter sind angehalten, diese Licht-Kärze fleißig und öfters zu<br />

besuchen.<br />

8. Sollen noch zwei Personen, vom Magistrat benannt, nämlich Richter Kraft und Ratsverwandter<br />

Maier, den Licht-Kärzen beiwohnen und ihre unparteiische sorgfältige<br />

Aufmerksamkeit auf alle Übertretungen zu haben und diese sogleich beim Pfarramt anzeigen,<br />

wo es dann der Kirchenkonvent exemplarisch abbestraft.<br />

Das Oberamt zu Merklingen, der Schultheiß und Magistrat zu Gechingen, der Pfarrer zu<br />

Gechingen."<br />

Noch 1872 durfte die Lichtkarz nur in den Häusern gehalten werden, in denen keine<br />

Schulkinder wohnten.<br />

Aus der Lichtkarz entwickelte sich später der "Außelauf", bei dem sich auch ältere Leute<br />

trafen. Man strickte, flickte, häkelte und stickte, tauschte Neuigkeiten aus und die Älteren<br />

erzählten von früher.<br />

Aus dem Kirchenkonventprotokoll vom 8. Jan. 1773:<br />

"1. Michael R. wurde herbeordnet, weil er am Thomastag nach Stuttgart zu Markt gefahren<br />

und trotz Verbot nicht zu Hause geblieben ist. Deshalb wird er um 1/2 Pfund Heller bestraft.<br />

2. Zur Rede gestellt wurde die Witwe des Johannes B. wegen mancherlei Unarten und<br />

Unordnungen, die in ihrem Hause vorgegangen sind. Sie wird ernstlich verwarnt."<br />

In der Pfarregistratur wird eine Aufzeichnung von Pfarrer Christoph Heinrich Klinger über<br />

den Reformationstag am 31.10.1817 aufbewahrt, der besonders festlich begangen wurde, weil<br />

es sich um den 300. Jahrestag der Reformation handelt.<br />

"Die Kirche wurde aus- und inwendig gereinigt und geweißelt. Vor dem Haupttor waren zwei<br />

Rottannen befestigt, die mit Girlanden aus Reis und Blumen umhängt waren, ebenso die vier<br />

Ecken des Altars. Auf der Kanzel zierte das bemalte Brustbild Dr. Luthers ein grüner Kranz<br />

mit schönen Blumen. Der Haupteingang und einzelne Stühle in der Kirche waren mit<br />

rottannenen Mayen von Laub und Blumen behängt, welches alles einen rührenden Anblick<br />

gewährte. Um 1/2 10 Uhr fing der Gottesdienst an. Eine Prozession vom Rat- und Schulhaus<br />

aus begab sich in die Kirche. Zuerst die kleinen Schülerknaben, dann die kleinen<br />

Schülermädchen mit einem Lehrer, gefolgt von den großen Knaben und den großen Mädchen.<br />

Dann kamen die ältesten Sonntagsschüler, der Knabe den Kelch, das Mädchen die Bibel<br />

tragend und die anderen Sonntagsschüler und Schülerinnen. Es folgten die Geistlichen,<br />

Magistrat, Bürgerausschuß, alle paarweise. Die Gemeinde schloß sich größtenteils an."<br />

Die Pfarrer waren früher verpflichtet, alle paar Jahre über ihren Ort in einem Pfarrbericht ihrer<br />

vorgesetzten Behörde Auskunft über das kirchliche Leben im Ort zu geben. Nachfolgend<br />

einiges aus den Pfarrbeschreibungen der Jahre 1892 - 1910. Im Jahre 1892 waren alle 1208<br />

Einwohner Gechingens evangelisch. Die Gottesdienste waren morgens immer sehr gut<br />

besucht, zu den Mittagsandachten kamen überwiegend Frauen. Die Abendbetstunden wurden<br />

im Jahre 1892 fast nur von Frauen besucht, die Männer kamen erst ab dem Jahr 1894, als der<br />

Pfarrer in diesen Stunden auch über die politische Lage und die Geschichte sprach. 30 - 50<br />

Männer besuchten dann die Bibelstunden. Mit der Einhaltung der Sonntagsruhe waren die<br />

Pfarrer im großen und ganzen zufrieden, sie beklagen nur, daß an den Feiertagen gearbeitet<br />

wird, sogar Mist wird aufgeladen! Die sonntägliche Stille wird darauf zurückgeführt, daß die<br />

<strong>Gechinger</strong> allgemein als "sehr mäßig und nüchtern im Trinken (wohl aus Sparsamkeit!)"<br />

beschrieben werden. Erwähnenswert fand der Pfarrer 1910 die <strong>Gechinger</strong> Verwandtschaft.<br />

Wer irgendwie miteinander verwandt ist, hält zäh zusammen. Dabei ist so ziemlich die ganze<br />

130


Gemeinde unter sich verwandt. Die Familiennamen Böttinger, Breitling, Dingler, Gehring<br />

machen weitaus die Mehrzahl der Bewohner aus. Über das Familienleben in Gechingen<br />

äußerte er 1910 sehr lobend, während 1892 folgende Episode erwähnt wird: "Eine Frau kam<br />

klagend zum Seelsorger, sie werde geschlagen von ihrem Mann. (Sehr böses Maul, hat's<br />

ehrlich verdient.) Der Grund der Ehezwistigkeiten scheint der Geld- und Herrschaftsteufel zu<br />

sein, weniger das Saufen und eheliche Untreue." Auch beklagt sich der gleiche Pfarrer über<br />

die relativ vielen unehelichen Geburten. "Diese sind in der Regel Großstadt-Sünden, die<br />

Mädchen sind in Stuttgart, Pforzheim, Frankfurt als Mägde, haben dann ihr Wochenbett hier<br />

und lassen das Kind bei den Eltern in Kost."<br />

Aus einem Pfarrbericht des Jahres 1905 erfahren wir über die kirchlichen Bräuche zu dieser<br />

Zeit:<br />

Taufe<br />

Taufen werden zum größten Teil während der sonntäglichen Christenlehre vollzogen.<br />

Haustaufen kommen äußerst selten vor. Seit 1902 wird eine Gebühr von 2 Mark für die Taufe<br />

erhoben, nur uneheliche Kinder werden kostenlos getauft.<br />

Konfirmation<br />

Vor der Konfirmation wird die Kirche von den Konfirmanden geschmückt. Die Mädchen<br />

reinigen die Kirche und verfertigen Kränze. Die Knaben bringen in der Kirche<br />

Tannenbäumchen und Girlanden an. Die Kinder erhalten bei der Einsegnung Denksprüche,<br />

jedes Kind wird einzeln eingesegnet. Am Konfirmationstag besteht die nicht auszurottende<br />

Sitte, daß Verwandte und Bekannte den Kindern kleine Geldbeträge ins Haus bringen. Am<br />

Nachmittag wird häufig vom Pfarrer und Lehrer mit den Konfirmanden ein kurzer<br />

Spaziergang gemacht. Am Sonntag nach der Konfirmation nehmen die Konfirmanden das<br />

erste Mal am Abendmahl teil und werden am Nachmittag ins Pfarrhaus, Knaben und Mädchen<br />

gesondert, eingeladen. Sie erhalten dort ein Konfirmandentestament.<br />

Hochzeiten<br />

Bei Trauungen mit Hochzeitspredigt wird zum Beginn des Gottesdienstes ein beliebiges Lied<br />

gesungen. Nach Gebet und Segenswunsch zum Anfang der Trauung "Von Dir, Du Gott der<br />

Einigkeit ", nach der Trauung: "So segne sie . . . ". Bei stillen Hochzeiten findet nur ein<br />

Orgelspiel statt. Stille Hochzeiten dürfen auch an Samstagen und Sonntagen stattfinden,<br />

andere Hochzeiten an diesen Tagen nicht. Es bereitete anfangs Schwierigkeiten, dem<br />

Eindringen der Samstagshochzeiten zu wehren. Traubibeln werden seit 1860 unentgeltlich<br />

ausgegeben. Der Pfarrer beteiligt sich an der weltlichen Feier, die fast ausnahmslos im<br />

Wirtshaus stattfindet, nicht.<br />

Bestattungen<br />

Bis 1882 war es üblich, daß Pfarrer und Lehrer am Grab eine Rede hielten. Dies wurde durch<br />

Beschluß des Pfarrgemeinderates abgeschafft, so daß nur noch der Pfarrer die Grabrede hält.<br />

Die gewöhnliche Zeit für Beerdigungen ist mittags 1 Uhr, für Kinderbeerdigungen<br />

nachmittags. Lehrer und Sänger gehen um 1 Uhr unter Geläute an das Trauerhaus, wo einige<br />

Verse gesungen werden. Darauf setzt sich der Leichenzug unter dem Geläute aller Glocken in<br />

Bewegung, voran die Schüler mit dem Lehrer, dann die Träger mit dem Sarg, dahinter die<br />

Männer, sodann die Frauen. Ein- bis zweimal wird unterwegs abgestellt und gesungen, wobei<br />

das Geläute pausiert. Der Pfarrer schließt sich bei der Kirche dem Zug an, er folgt unmittelbar<br />

hinter dem Sarge. Am Grabe beginnt die Feier mit dem Gesang der Schüler, hierauf folgt<br />

Eingangsgruß, Gebet, Rede ohne förmlichen Lebenslauf. Gebet, Vaterunser, Versenkung des<br />

Sarges mit Gesang und Einsegnung folgen. Bei kleineren Kindern nachmittags beteiligt sich<br />

kein Lehrer und kein Chor. Ein Leichentrunk ist hier nicht üblich.<br />

131


Kirchenchor und Posaunenchor<br />

Ein Kirchenchor besteht seit 1884. Es nehmen daran einige Männer und eine größere Anzahl<br />

Frauen teil. Geleitet wird er vom Lehrer, der zugleich Organist ist. Der Kirchenchor singt an<br />

den Festtagen, außerdem auch bei Trauungen und Begräbnissen. Soviel aus dem Jahre 1905.<br />

Den Kirchenchor gibt es heute noch, er umfaßt ca. 35 Sängerinnen und Sänger und wird seit<br />

Jahren von Herrn Kasper geleitet. Darüber hinaus gibt es in Gechingen noch einen<br />

Begräbnischor, welcher nur an Beerdigungen singt.<br />

Seit 1967 hat die Evangelische Kirchengemeinde Gechingen einen Posauenchor mit etwa 30<br />

Mitgliedern. Ebenso wie der Kirchenchor umrahmt der Posaunenchor die Gottesdienste. Sehr<br />

beliebt ist auch das "Ständchen", das der Posaunenchor allen Mitbürgern ab dem 80. Lebensjahr<br />

darbringt. 1992 konnte der Chor sein 25jähriges Jubiläum mit einem Festgottesdienst und<br />

einem Bläserkonzert feiern.<br />

Evangelisches Gemeindeblatt<br />

Der damalige Pfarrer Andler brachte im Oktober 1905 ein "Evangelisches Gemeindeblatt für<br />

Gechingen" heraus, das bis 1908 erschien. Eine Spalte auf der vierten Seite berichtete über<br />

Begebenheiten aus der Ortschronik von Paul Heinrich Andler. Der Preis betrug 36 Pfennig im<br />

Jahr bei 12 Ausgaben. 1906 hatte das Blatt in Gechingen 135 Abnehmer. Das Blatt ging aus<br />

finanziellen Gründen ein.<br />

Pfarrer Reusch begann am 1.1.1936 wieder neu, bis er 1941, als aus kriegswirtschaftlichen<br />

Gründen (Papierknappheit) das Erscheinen einstellen mußte.<br />

Der Friedhof<br />

Bis zur Anlegung des heutigen Friedhofes war der "Kirchhof" um die Kirche herum die<br />

Begräbnisstätte für die <strong>Gechinger</strong> Bürger. Es handelt sich um den Bereich des Schulgartens<br />

südlich der Kirchhofmauer und westlich des abgebrochenen Feuerwehrgerätehauses, wo heute<br />

das Gemeindehaus steht. Vielleicht hat mancher beim Blättern im Buch "Heimat Gechingen"<br />

auf Seite 63 die Abbildung Alt-Gechingens aus dem Kieser'schen Forstlagerbuch von 1681<br />

betrachtet. Dort ist die Mauer des alten Kirchhofes um die Kirche noch zu sehen.<br />

Der jetzige Friedhof wurde im Jahre 1730 angelegt. Für unsere Ahnen mag es nicht leicht<br />

gewesen sein, die Toten nicht mehr im Schatten der Martinskirche zu bestatten, sondern auf<br />

einen geeigneten Platz auf freier Feldmark auszuweichen. Der war am südlichen Hang<br />

oberhalb der Wolfswiesen gefunden und bald mit einer festen Mauer von Kalksteinen<br />

umgeben. Der Eingang wurde wohl erst später erweitert und war anfangs wahrscheinlich mit<br />

einem Holztor verschlossen. 1813 - 14 mußte der Friedhof wesentlich erweitert werden.<br />

Damals erwarb man um 135 Gulden ein Grundstück von Johannes Rüffle. Es galt nun, den<br />

neuen Teil dem vor-handenen Friedhof anzugliedern. Die Gemeinde wollte eine Mauer<br />

errichten, das Kameralamt Hirsau, als die zuständige Finanzverwaltung, befürwortete einen<br />

Wall mit Graben. Der Wall hätte dann mit einer Hecke bepflanzt werden sollen. Das aber<br />

lehnten die <strong>Gechinger</strong> ab. Sie fürchteten den Spott der lieben Nachbarn, wenn sie einen<br />

Kirchhof besessen hätten, der halb mit einer Hecke und halb mit einer Mauer umgeben<br />

gewesen wäre. Der offizielle Einwand aber war, daß die Toten so nicht genügend verwahrt<br />

seien und das zu Aberglauben Anlaß geben könnte, außerdem wäre den Wildschweinen kein<br />

Halt geboten. Dem Einspruch wurde stattgegeben, die Gemeinde bekam ihre Mauer bewilligt.<br />

Am Beginn des neuen Teils ist die Jahreszahl 1814 beim westlichen Ende des alten Friedhofes<br />

in einem Stein in der Außenmauer eingemeißelt.<br />

Wann die erste Grablegung im erweiterten Teil des Friedhofs stattgefunden hat, ist nicht<br />

bekannt. Unser Friedhof ist nicht reich an historischen Grabstätten, deshalb sollten die<br />

132


wenigen wertvollen Zeugen der Vergangenheit festgehalten werden. An der mittleren<br />

Quermauer sind zwei Gedenkplatten eingelassen, von denen die eine die lapidare Inschrift<br />

trägt: "Vater Klinger, gestorben 1830". Unmittelbar neben dem Brunnen findet man eine Tafel<br />

mit der Inschrift: "G. A. Hartmann, 43 Jahre Schullehrer dahier von 1788 - 1831, geb. am 1. 9.<br />

1764, gest. 17. 12. 1831". Von dem Hartmann'schen Denkstein sind es nur wenige Schritte bis<br />

zu dem auf eigenem Boden stehendem Erbbegräbnis der Familien Schumacher - Ziegler. Auf<br />

dem Schild am Eingang steht: "Die Stifter für die Familie sind Georg Ludwig Schumacher<br />

und Magdalene 1851". Am östlichen Mauerrand befinden sich zwei geborstene Platten. Auf<br />

der einen stand: "Johann Georg Kappis, drei Jahre Schultheiß hier (1828 - 1831) geb.<br />

26.1.1780 und fand ihre Ruhestätte neben ihm seine Ehefrau Catharine Barbara geb. Rüffle".<br />

Ein weiterer Zeuge aus alter Zeit ist der wuchtige Gedenkstein Gehring im Friedhof. Die<br />

Beschriftung dieses Steines stammt wahrscheinlich von Pfarrer Klinger, denn das geschilderte<br />

Unglück geschah im Jahr 1827, während dessen Amtszeit in Gechingen. Vikar Klinger, der<br />

Sohn, hat laut Inschrift die Leichenpredigt gehalten. Der auf den vier Seiten des Steines<br />

verteilte Text liest sich im Uhrzeigersinn:<br />

1. Seite: "Hier ruht die zerschlagene Hülle des schnell endenden Mitbruders Joh. Michael<br />

Gehring. Geschehen den 19.April 1827."<br />

2. Seite: "Nicht weit von dieser stillen Stätte, wo mein zerschlagener Körper ruht, fand ich ein<br />

schnelles Sterbebette durch eines scheuen Tieres Wuth. War gleich gewaltsam schnell mein<br />

Ende, kam doch mein Geist in Gottes Hände."<br />

3. Seite: "Seinem ihm unvergeßlichen Vater und dem neben ihm ruhenden Kinde weiht diß<br />

Denkmal der Liebe der dankbare Sohn, Johann Michael Gehring."<br />

4. Seite: "Leichentext genommen von Vicar Klinger aus Klagelieder Jeremia, im 3. Kapitel<br />

der 1., 4. und 24. Vers. Ich bin ein elender Mann usw."<br />

Es handelte sich um Johann Michael Gehring, geboren am 9.8.1759, verheiratet am<br />

12.11.1782 mit Agnes Katharina geb. Rüffle. Sie hatten zwei Kinder, Marie Katharine, geb.<br />

13.8.1783 und Johann Michael, geb. 1.8.1788, der ihm den Gedenkstein setzte. Das "neben<br />

ihm ruhende Kind" ist wahrscheinlich die kleine Enkelin Gottliebin, die am 21.5.1827 im<br />

Alter von acht Monaten starb, eine Tochter Johann Michael Gehrings junior.<br />

Die nächste größere Erweiterung des Friedhofes fand im Jahre 1964 statt, notwendig<br />

geworden durch die steigenden Einwohnerzahlen. Die Fläche vergrößerte sich um das<br />

Doppelte. Gleichzeitig baute man eine Leichenhalle, wie schon lange geplant war. Nun<br />

konnten auch Aussegnungen auf dem Friedhof durchgeführt werden. Am Totensonntag 1965<br />

wurden die Halle und das Ehrenmal für die Toten eingeweiht.<br />

1979 und 1988 wurden durch das rasche Bevölkerungswachstum erneut Erweiterungen nötig.<br />

1989 entstanden nochmals 44 neue Grabplätze.<br />

1980 machte der <strong>Gechinger</strong> Friedhof Schlagzeilen in der Presse. Eine auswärtige junge Frau<br />

wurde hier unter falschem Namen beerdigt. Einige Zeit später wurde der Leichnam wieder<br />

ausgegraben, um das Rätsel seiner Herkunft zu klären.<br />

Evangelisches Gemeindehaus<br />

Bereits 1936 rief Pfarrer Reusch zu Spenden für ein Gemeindehaus auf. Dieses Haus sei für<br />

die kirchliche Gemeindearbeit unbedingt nötig. 1938 gründete Pfarrer Lilienfein einen Verein<br />

zum Bau eines Gemeindehauses, der aber von der Gestapo wieder verboten wurde. Erst 1983<br />

konnte die Kirchengemeinde den Bau dann in Angriff nehmen. Auf dem Platz der früheren<br />

Schule zwischen Pfarrhaus und altem Rathaus entstand das neue Gebäude. Im Oktober 1984<br />

war das Richtfest. Die Kosten beliefen sich nach Fertigstellung des Gebäudes auf 1,6<br />

Millionen DM reine Baukosten, von denen ein großer Teil durch tatkräftige Mithilfe von<br />

Gemeindemitgliedern und die Kirchengemeinde Gechingen aufgebracht wurde. Das Haus<br />

dient der Jugendarbeit, auch Chorproben, Altennachmittage, Hauskreise und<br />

133


Gemeindesonntage werden darin abgehalten. In der angenehmen und freundlichen<br />

Atmosphäre fühlen sich alle <strong>Gechinger</strong> zu Hause.<br />

Das Pfarrhaus<br />

Aus verschiedenen Unterlagen zur Pfarrerbesoldung geht hervor, daß das Stift zu Baden das<br />

Pfarrhaus samt Scheuer zu unterhalten hatte. Der Amtmann zu Merklingen, Leonhart<br />

Breitschwerdt, verfertigte eine detaillierte Besoldungsliste über das Einkommen der<br />

<strong>Gechinger</strong> Pfarrer, nachdem sich nach Pfarrer Wagner (Pfarrer in Gechingen von 1562-66)<br />

auch sein Nachfolger über die zu geringen Einkünfte beschwert hatte. Darin stellt er fest:<br />

"Item er (der Pfarrer) hat auch Behausung . . . nach aller nothdurft . . " Ebenso berichtet<br />

Pfarrer Heinrich Christoph Klinger in einer Pfarrbeschreibung ca. 250 Jahre später über das<br />

"Collegiat-Stift Baden, dem auch die Erbauung und Erhaltung der Pfarrwohnung zukam."<br />

Das Pfarrhaus steht neben der Kirche in einem großen Garten. Es wurde erbaut um 1677,<br />

nachdem man das alte Gebäude bis auf die Grundmauern abgerissen hatte.<br />

Im Jahr 1830 wurde das Pfarrhaus gründlich umgebaut und renoviert. Das Haus hatte früher in<br />

seinem Untergeschoß landwirtschaftliche Räume. Zur Pfarrei gehörte nämlich das<br />

Widdumgut, das Pfarrgut, zu beiden Seiten des Furtbaches sowie die Einkünfte des halben<br />

Heuzehnten. Auf dem Widdumgut lag die Pflicht zur Haltung eines Ebers. Der Pfarrer hatte<br />

auch das Recht, auf der Gemeindewiese 6 Stück Rindvieh und 25 Schafe weiden zu lassen.<br />

Allerdings mußte er sich auch anteilsmäßig an den Unkosten für den Hirten beteiligen. Diese<br />

Verhältnisse veränderten sich radikal, als 1827 die Pfarrgüter in Gechingen zum größten Teil<br />

verkauft, der Erlös zur Staatskasse eingezogen und die Zinsen "als ein künftiger<br />

Pfarrbesoldungstheil zur Geldbesoldung des Pfarrers geschlagen" wurden, wie es in einer<br />

"Note der Königlichen Finanzkammer des Schwarzwaldkreises an das evangelische<br />

Consistorium in Stuttgart" vom Dezember 1827 heißt. (Siehe auch "Auction im Pfarrhause"<br />

bei Pfarrer Christoph Heinrich Klinger 1827). Mit dem Wegfall des größten Teils der<br />

Landwirtschaft entsprach das Pfarrhaus den veränderten Gegebenheiten nicht mehr.<br />

Die Kosten des Umbaues 1830 beliefen sich auf: Maurer 540 Gulden, Gipser 80 Gulden,<br />

Schlosser 184 Gulden, Hafner 3 Gulden, Maler 85 Gulden, Pflästerer 27 Gulden, insgesamt<br />

919 Gulden. Bezahlt wurden diese Rechnungen aus der Königlich Württembergischen<br />

Staatskasse, das Stift war seit dem Staatsvertrag von 1806 nicht mehr zuständig. In der<br />

Oberamtsbeschreibung von 1860 heißt es lapidar: "Das vor etwa zehn Jahren bedeutend<br />

erneuerte Pfarrhaus unterhält der Staat."<br />

Das versicherte Inventar im Pfarrhaus betrug 1862:<br />

2 tannene Kästen 10 Gulden<br />

1 Kleiderkasten 3 Gulden<br />

1 Kommode mit Pult 15 Gulden<br />

2 Bücherständer 10 Gulden<br />

1 Thermometer 1 Gulden<br />

Mehrere Bücher 20 Gulden<br />

1891 wurde wieder eine Renovierung durchgeführt<br />

Die Pfarrscheuer stand neben dem Pfarrhaus und wurde 1952 abgebrochen. Über das<br />

Grundstück führt heute die Straße nach Dachtel.<br />

Die Pfarrer<br />

Nach Unterlagen von K. F. Essig, der Württembergischen Landesbibliothek, dem<br />

Landeskirchlichen Archiv und der Sigelliste, aus Lagerbüchern von Gechingen und<br />

Deckenpfronn und nach Kircheninschriften:<br />

134


1330: Conrad von Waldeck (Stiftungsbrief über eine Meßpfründ zu Calw. Sattler: Geschichte<br />

der Grafen von Württemberg, Band 1 Seite 146)<br />

1404: Heinrich Durhubel. Urkunde vom 23.4.1404 im Staatsarchiv: "Vorgeschlagen wurde<br />

Heinrich Durhubel, Pfarrer in Gechingen, von den Brüdern Konrad und Heinrich, Truchsessen<br />

in Waldeck. "<br />

1407: Johannes Ruhmisz aus Pforzheim am 13.1.1407 (Urkunde HSTA Repertoire Herrenalb<br />

A 489-Nr. 329)<br />

1437: Hans Stieger. Im Deckenpfronner Lagerbuch erscheint er als Zeuge unter einem<br />

Gültbrief des Hans Wagner, den dieser zur Beurkundung seiner Abgaben an die Kirche in<br />

Deckenpfronn ausstellen mußte.<br />

1481: Bertold Dieringer * um 1400 +1481. Auf seiner Grabplatte in der Kirche ist folgende<br />

Inschrift: "Im Jahr des Herrn 1481 starb Bertold Dieringer, Alten Bullach, Plebanus<br />

(Leutepriester). Geboren 1400. Seine Seele ruhe in Frieden." Während seiner Amtszeit wurde<br />

die Kirche erbaut (renoviert). (Siehe dazu auch: "Die Kirche Geschichte")<br />

Die weiteren bekannten Pfarrer sind evangelisch.<br />

1547: Heinrich Schneider *vor 1507 in Gechingen +vor 1548, oo um 1540 mit Appolonia.<br />

Geistliches Lagerbuch.<br />

1547: Johann Schneider +1585 in Feuerbach oo um 1530 mit Anna, 7 Kinder. Geistliches<br />

Lagerbuch.<br />

1553-58: Magister Paul Heller. Vorher in Warmbronn 1542, Döffingen 1548-53. Sigel.<br />

1558-62: Magister Sebastian Bloss *Münsingen oo mit Anna Catharina.<br />

Der Sohn Jakob wurde Pfarrer in Heidenheim, Sohn Ernst Pfarrer in Beinstein.<br />

Sebastian Bloss war vorher in Hirsau 1556-58, nachher Dekan in Wildberg 1562-70 und<br />

Stadtpfarrer in Hornberg 1570-90. Sigel.<br />

1562-66: Magister Balthasar Wagner *Balingen. Vorher in Grossbottwar 1561, nachher in<br />

Truchtelfingen 1566 - 71, Dekan in Tuttlingen 1571 - 79. (Sigel und Lagerbuch).<br />

Von Magister Balthasar Wagner (1562) stammt das älteste erhaltene Schreiben eines<br />

<strong>Gechinger</strong> Pfarrers über seine Besoldung. Es ist ein sehr langer Brief: "An den<br />

Durchlauchtigsten Herzog Christoph." Pfarrer Wagner beklagt sich bitterlich, weil seine<br />

Einkünfte hinten und vorne nicht reichen. Interessant ist dieser Brief vor allem deshalb, weil<br />

er eine Aufstellung seiner Einkünfte macht, denn der Herzog soll selber beurteilen, "ob ein<br />

Pfarrherr dabei bleiben möge oder nicht. Ich habe verschiedene Beschwerden, die einem<br />

Pfarrherrn sonderlich beschwerlich und überlästig sind".<br />

Den weitaus größten Teil der Besoldung machen Naturalien aus, hier handelt es sich vor allem<br />

um Getreide, Stroh und Heu von den Abgaben der Bauern, auf die der Pfarrer ein Anrecht hat,<br />

aber auch Ernteerträge vom Widdumhof. -"Widumgüter: Wiesen 6 Morgen, Äcker in allen<br />

Zelgen miteinander 16 Morgen. Die Äcker muß ich mit großer Last anbauen, also daß ich bei<br />

solcher Belastung auch mich schmerzlich erhalten mag, werde auch in solcher großen<br />

Anstrengung und bauern in meinem Studium oftmals nicht wenig verhindert", schreibt Pfarrer<br />

Wagner. An anderer Stelle heißt es: " Ferner will ich samt meiner Hausfrau erhalten werden,<br />

so wird dies nicht erfordern, daß wir schier wie andere Bauern schaffen und arbeiten müssen,<br />

da wir beide ziemlich schwach und zu solchen schweren Arbeiten untauglich sind." - Oder:<br />

"Wein kann ich mir nicht kaufen und mit Wasser kann man nicht in der Kirche und auf dem<br />

Feld arbeiten." - Da es offenbar auch Mißernten gab, mußte der Pfarrer sogar Schulden<br />

machen, unter anderem, um Saatgut zu kaufen.<br />

Unglaublich niedrig für heutige Begriffe ist die Besoldung in Geld. Balthasar Wagner gibt an:<br />

"Stift zu Baden gibt 18 Gulden auf Georgi, 9 Gulden auf Martini." An Hellerzins und<br />

ähnlichem kommen noch 3 - 4 Schilling jährlich ungefähr dazu. (Vergleiche auch<br />

Besoldungsliste Pfarrer Ehemann, Pfarrer in Gechingen von 1750-1772)<br />

135


Balthasar Wagner kommt mit folgendem Antrag zum Schluß:<br />

"Bitte abermals Eure fürstlichen Gnaden ganz untertäniglich und hochgeflissentlich um:<br />

Kleiner Zehnten Heu, Obst, Erbsen und Werg . . . Sie wolle mir hilfreich und erbötig sein,<br />

auch hinsichtlich der Pfarrei, daß mir entweder von Eurer fürstlichen Gnaden oder vom Stift<br />

zu Baden die Gabe dafür gnädiglich gereicht und gegeben wird. . . Wenn ich aber sehe, daß<br />

meine Geschäfte leichter gemacht werden, wäre ich sehr zufrieden. Dies will ich auch<br />

fürderhin in aller Untertänigkeit mit meinem Gehorsam und meinem Gebet zeigen und Eurer<br />

Fürstlichen Gnaden zu jeder Zeit zu dienen. Eurer Fürstlichen Gnaden williger, gehorsamer<br />

M. Balthasar Wagner."<br />

Dieser Brief wurde offenbar in Merklingen, als dem zuständigen Amt, eingereicht und löste<br />

eine wahre Briefflut aus. Zunächst wurde er mit einer Art Aktennotiz nach Herrenalb<br />

geschickt. ("Lieben Getreuen, was uns heutigentags der Pfarrer zu Gechingen, Mg. Balthasar<br />

Wagner . . ." etc.)<br />

Herrenalb schrieb dann an den "Durchlauchtigsten, Hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn<br />

Christophen, Herzogen zu Wirtemperg und Teck . . . "etc.)<br />

Von Stuttgart aus ging ein Brief nach Baden, "Pfarrherrn zu Gechingen Balthasar Wagnern<br />

belangend".- "Hat sich der Pfarrherr zu Gechingen, Magister Balthasar Wagner geringer<br />

Besoldung halb beklagt."<br />

Kanzler und Räthe zu Baden schreiben zurück über "Pfarrers zu Gechingen Besoldung" dem<br />

"Durchleuchtigsten Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Christoffen Hertzogen zu<br />

Wirtemberg und Teckh, Graven zu Mümpelgard, unserem gnedigsten Fürsten und Herrn".<br />

Sie geben zu bedenken, (im Namen oder im Auftrag unseres gnedigsten Fürsten Hans<br />

Philiberts? Markgraven zu Baden und Graven zu Pforzheim), daß das Stift auch für den<br />

Unterhalt des Pfarrhauses samt der Scheuer aufkommen muß und außerdem das Kloster<br />

Hirsau das Recht auf den halben Zehenden in Gechingen hat und sich deswegen an der<br />

Besoldungserhöhung, wenn sie denn zustande käme, beteiligen müsse. So wird auch Hirsau<br />

angeschrieben.<br />

Hirsau seinerseits wendet sich wieder an Herzog Christoph, die Pfarrei Gechingen betreffend.<br />

Die Herren legen die Kopie eines Schriftstücks bei - es Brief zu nennen, wäre zu wenig, es<br />

handelt sich eher um eine Broschüre - in dem sich die Äbtissin des Frauenklosters<br />

Lichtenstern, von dem Hirsau den halben Zehnten erworben hat, mit diesem offenbar<br />

ergiebigen Thema ausführlichst befaßt. Inzwischen ist eine lange Zeit verflossen. Von<br />

irgendeinem greifbaren Ergebnis der Eingabe Balthasar Wagners ist nirgendwo die Rede, der<br />

Pfarrer tritt 1566 eine andere Stelle an.<br />

1566-77: Magister Daniel Ziegler, *ca. 1540 in Wildberg, als Sohn des Vogtes in Hornberg,<br />

Peter Ziegler. oo vor 1575 mit Sabina, Witwe des Pfarrers Ruff in Gültstein.<br />

Sohn Daniel wurde später Pfarrer in Gechingen.<br />

D. Ziegler war von 1564 - 66 in Adelberg, von 1577 - 1615 Dekan in Wildberg.<br />

Er begann 1566 das Eheregister, 1574 das Taufregister und 1577 das Totenregister anzulegen.<br />

Mehrere Schreiben an das Stift Baden sind von ihm erhalten, in denen es um<br />

Besoldungsfragen geht. (Sigel.)<br />

1577-84: Johannes Hartmann, *in Bottwar, oo in 1. Ehe mit Barbara Büchsenstein aus Calw,<br />

in 2. Ehe 1585 auch mit einer Calwerin. 1565 - 67 war er Diakon in Calw, 1567-77 Pfarrer in<br />

Simmozheim. (Sigel.)<br />

1584-1603: Magister Noah Braitter + am 12.5.1603 in Calw, oo vor 1584 mit Maria.<br />

Er war 1571-73 Präzeptor in Hirsau, 1573 - 76 Diakon in Nagold, 1576 - 84 Pfarrer in<br />

Dachtel.<br />

Im 16. Jahr seiner Amtszeit schreibt er an den Fürsten in Baden wegen der Besoldung.<br />

Von Braitters Nachfolger stammt folgende Notiz über seinen Amtsvorgänger:<br />

136


"Als er noch im Leben, hat er sich zum Gevatter erbeten lassen, als er aber verschieden, hat an<br />

seiner Statt Hans Herzog das Kind auf die Tauf gehoben und Anna Brackenheimerin." Braitter<br />

muß also völlig überraschend gestorben sein, denn zwischen Geburt und Taufe eines Kindes<br />

lagen damals meist nur wenige Tage. (Sigel.)<br />

1603-12: Magister Daniel Ziegler jun., Sohn des Magisters Daniel Ziegler, der von 1566 - 77<br />

in Gechingen war. Er heiratete vor 1605 Catharina Schmidlin<br />

Sohn Daniel wurde später Pfarrer in Güglingen, er und noch weitere fünf Kinder sind in<br />

Gechingen geboren.<br />

1612-38: Magister Ulrich Kengel *um 1581 in Deckenpfronn, + Oktober 1638. oo in 1. Ehe<br />

mit Licia, 2. Ehe am 4.8.1635 mit Margareta Hirt. Er hatte eine große Kinderschar.<br />

Auch Ulrich Kengel macht Eingaben der Besoldung wegen, 1612 schreibt Ulrich Kengel<br />

deswegen an Herzog Johann Friedrich. (1608-1628) Ein Brief von Herrenalb an Baden in<br />

dieser Sache ist erhalten.<br />

Von 1606-08 war er Pfarrer in Schwarzenberg, 1608-12 in Dachtel.<br />

Ulrich Kengel war Pfarrer in Gechingen, als 1634 die für Württemberg so verhängnisvolle<br />

Schlacht bei Nördlingen stattfand. 4000 Bauern aus dem württembergischen Aufgebot<br />

verloren dabei ihr Leben; durch unser Gebiet strömten die Truppen des geschlagenen Heers<br />

und ihre Verfolger, alle ohne Unterschied plünderten und mordeten, führten das Vieh weg und<br />

brannten Städte und Dörfer nieder. Da das Land nicht bebaut werden konnte, gab es im<br />

nächsten Jahr eine große Hungersnot, der die Pest folgte.<br />

Ulrich Kengel begann am 17.8.1635 wieder mit dem Totenbuch, nachdem die letzte<br />

Eintragung am 30.4.1583 war. Über ihn schreibt sein zweiter Nachfolger: "Ungefähr Mitte<br />

Oktober 1638 verstarb der rechtschaffene und gelehrte Magister Ulrich Kengel, der 27 Jahre<br />

mit der größten Treue der hiesigen Pfarrei vorstand; er ist wohl wert, daß sein Name neben<br />

seinen Schafen verzeichnet werde, als Hirte den Zug der Toten beschließend."<br />

Es ist ein großer Zug, den er beschließt. Als etwa um 1650 die Bilanz des Krieges gezogen<br />

wird, waren von 140 Familien noch 43 übrig. (Sigel u. Pfarrarchiv)<br />

1638-40: Gechingen hatte in diesen Jahren keinen eigenen Pfarrer und war die Filiale von<br />

Ostelsheim. (Sigel.)<br />

1640-44: Magister Georg Ludwig Trautwein, + in Nürtingen. Pfarrer in Trichtlingen 1628-35,<br />

in Ostelsheim 1635-40. oo mit Anna. 1640 wurde dem Paar eine Tochter geboren. Von Pfarrer<br />

Trautwein gibt es eine Nominationsurkunde, die sehr deutlich den Weg durch die Instanzen<br />

zeigt, wenn man Pfarrer in Gechingen werden wollte. Der Kandidat mußte sich zuerst in aller<br />

Form beim (katholischen) Stift in Baden bewerben, das ihm dann aufgrund der Tatsache, daß<br />

dem Stift das "Jus Patronatus (das Patronatsrecht) von alters hero ohndisputirlich . . zusteht",<br />

Brief und Siegel darauf gab, daß er nominiert worden war, und das Konsistorium in Stuttgart<br />

wurde gebeten, ihn zu konfirmieren (bestätigen).<br />

Bemerkenswert ist, daß die Bürokratie in dem verwüsteten und entvölkerten Land immer noch<br />

funktionierte und man sich an Brauch und Herkommen zu halten hatte, egal, was in der<br />

Pfarrei vorgegangen war.<br />

Zeitweilig war Georg Ludwig Trautwein auch für Dachtel und Stammheim zuständig. Er<br />

beklagt sich in einem Schreiben an das Stift zu Baden: "Ich muß trotz Leibesblödigkeit,<br />

mangelnder Kleidung und schlechtem Wetter die Nachbargemeinden versorgen. Ist aber kein<br />

Vicarius vorhanden."<br />

Von 1644-48 war Trautwein in Deckenpfronn. (Sigel.)<br />

1644-47: Magister Friedrich Pfaff *9.11.1616 in Langenbeutingen. Friedrich Pfaff war in<br />

Wildberg von 1638-44 und heiratete dort am 7.6.1642 Anna Justina Magirus, Tochter des<br />

Stadtpfarrers Johann Jakob Magirus in Beilstein und seiner Frau Justine geb. Jung. Das<br />

Ehepaar Pfaff hatte drei Kinder.<br />

137


1647 floh der Pfarrer mit anderen <strong>Gechinger</strong> Bürgern nach Calw; denn immer wieder kamen<br />

marodierende Truppen in unser Gebiet. Unterwegs starb seine Frau.<br />

Von 1647-85 war Friedrich Pfaff dann Pfarrer in Steinheim an der Murr.<br />

Sein Vikar in Gechingen war 1647 Joh. Christoph Wild. (Sigel)<br />

1648-74: Georg Wochele *11.12.1612 in Aidlingen, als Sohn des Webers u. Bürgermeisters<br />

Hans Wochele und der Katharina geb. Reisser. Er war von 1636-48 Pfarrer in Deufringen und<br />

starb am 6.3.1674 in Gechingen.<br />

1. Ehe am 18.10.1636 mit Catherina Schütz aus Calw, Tochter des deutschen Schulmeisters<br />

Johannes Schütz. Von den acht Kindern des Paares starben zwei, bevor sie ein Jahr alt waren,<br />

drei zwischen zwei und zehn Jahren innerhalb ganz kurzer Zeit im Jahre 1650. Für diese drei<br />

steht im Totenbuch: "Der liebe Gott wolle sie alle drei an seinem großen Tag mit Freude zum<br />

ewigen Leben erwecken."<br />

Katharina Wochele war schon am am 1.5.1649 gestorben.<br />

2. Ehe am 5.11.1649 mit Agnes Mayer, Tochter des Hans Mayer aus Calw.<br />

Ein Sohn Johannes *8.12.1664 +22.3.1739 oo 1688 Gräber wurde in Gechingen Hirschwirt,<br />

badischer Schaffner und Zoller. (Sigel)<br />

1674-83: Magister Ernst Friedrich Binder * Böblingen. Heirat mit Anna Juditha. Er war von<br />

1668-74 in Loffenau und von 1683-1715 in Heimerdingen. In Gechingen wurden ihm fünf<br />

Kinder geboren. (Sigel)<br />

1683-90: Magister Johann Philippus Demler, oo mit Anna Barbara. Johann Philippus Demler<br />

war von 1676-83 in Neuweiler.<br />

Sohn Philippus Jakobus *7.7.1685 in Gechingen. (Sigel)<br />

1690-1723: Magister Johann Konrad Pommer *1658 in Calw, als Sohn des Johann Leonhard<br />

Pommer, Chirurg und der Ursula geb. Eble. M. Pommer war 1688 in Marschalkzimmern.<br />

1. Ehe am 20.5.1690 mit Anna Barbara Schill aus Calw, +1739, Tochter des Bürgermeisters<br />

Jakob Schill und der Elisabeth geb. Stuber, Calw. Aus der Ehe gingen zehn Kinder hervor.<br />

Ein Sohn, Johann Martin, wurde Pfarrer in Gechingen.<br />

1723 machte Pfarrer Pommer eine Eingabe an den Herzog wegen der Schafhaltung.<br />

In einem weiteren einem Protokoll von 1732 heißt es: "Von Gottes Gnaden Eberhard Ludwig,<br />

Herzog zu Württem-berg. Unsern Gruß zuvor, liebe Getreuen! Auf Magister Johann Conrad<br />

Pommer, Pfarrers zu Gechingen um gnädigste Conzession 100 Schafe gleich halten zu dürfen.<br />

Unterthänigst eingereicht Memorial und des Zahlmeisters Wolfs dabei erstatteten Bericht. Ist<br />

unser gnädigster Befehl hiermit, du wollest die Commun dahin anweisen, daß die Ihrem<br />

Pfarrer eine größere Anzahl, so es nach Proportion eines Pfarramtes und eines Besitzer gab, so<br />

halte. Und übern Winter kann Vater Pommer berechtigterweise unter die anderen Tiere<br />

treiben und auch nach Gusto den gemeinen Pferch dem Pfarrer nach Gebühr zukommen<br />

lassen. Daran befiehlt unser Will und Meinung und wir verbleiben Dir im Guten. Oeconome<br />

Cameralis (etwa: Finanzverwaltung) Stuttgart."<br />

Magister Pommer starb am 26.3.1737 in Gechingen. (Sigel und Lagerbuch)<br />

1723-49: Magister Johann Martin Pommer, Sohn des Johann Conrad Pommer und der Anna<br />

Barbara geb. Schill, *6.11.1699 in Gechingen, + am 12.12.1749 in Gechingen.<br />

1. Ehe am 6.5.1732 mit Maria Sabina geb. Meyer *in Calw 1709 + am 20.2.1749 in<br />

Gechingen, Tochter von Marx Meyer und Marie Katharina geb. Demler. Dem Paar wurden elf<br />

Kinder geboren, von denen aber die meisten im Kleinkindalter starben.<br />

2. Ehe am 9.9.1749 mit Friederike Margareta Simon geb. Schill Witwe des Pfarrers Simon in<br />

Ehningen/BB. Vater Johann Marx Schill von Calw.<br />

Magister Johann Martin Pommer hielt 1723 die erste Konfirmation mit 6 Knaben und 4<br />

Mädchen und begann das Konfirmationsregister. Die Konfirmation wurde in Württemberg am<br />

11.12.1722 eingeführt. Wörtlich heißt es: "Solle fürohin niemand mehr das erste Mal zum hl.<br />

Abendmahl, es seye denn, daß sie vor in der Kirche vor Angesicht der ganzen Gemeinde ihren<br />

138


Taufsbund erneuert haben." Pfarrer Pommer wird 1743 im Fleckenbuch als "treueifrig"<br />

gerühmt und seine Verdienste um den Umbau der Martinskirche hervorgehoben. (siehe "Die<br />

Kirche Geschichte")<br />

(Sigel und Lagerbuch)<br />

1750-72: Magister Johannes Ehemann, *1723 in Schorndorf +22.5.1772 in Gechingen. Eltern:<br />

Johannes Ehemann, Kollaborator und Maria Dorothea aus Schorndorf.<br />

Johannes Ehemann war, bevor er nach Gechingen kam, in Schorndorf, Göppingen und<br />

Stuttgart tätig.<br />

Am 4.5.1750 verheiratete er sich mit Susanne Magdalena geb. Brodhag. Sie wurde geboren<br />

am 4.9.1726 als Tochter des Stadtpfarrers von Sindelfingen, Johann Burkhard Brodhag, und<br />

seiner Frau Julie Heinerike geb. Moser und starb am 4.7.1772.<br />

Die älteste Tochter, Sophie Magdalena, geb. 2.1.1751 - sie bekam noch zehn Geschwister -<br />

wurde später Pfarrfrau in Gechingen; sie heiratete 1772 Pfarrer Klinger.<br />

Von Pfarrer Ehemann liegt eine Besoldungsliste vom 14.3.1750 vor:<br />

"Geldbesoldung von Baden 24 Gulden<br />

Vom Heiligen 19 Gulden, 43 Kreuzer<br />

Hellerzins 1 Gulden, 30 Kreuzer<br />

Summa 44 Gulden, 13 Kreuzer<br />

Naturalbesoldung (durch die bürgerliche Gemeinde)<br />

Roggen: 3 Scheffel à 3.00 9 Gulden<br />

Dinkel: 24 Scheffel, 2 Vierling à 1.30 36 Gulden, 5 1/2 Kreuzer<br />

Haber: 10 Scheffel, 2 Simri, 3 Vierling à 1.00 10 Gulden, 21 1/2 Kreuzer<br />

Erbis (Erbsen): 2 Simri 3 Vierling 1 Gulden, 4 1/2 Kreuzer<br />

Stroh: 1 Fuder 1 Gulden, 30 Kreuzer<br />

Stammholz:10 Klafter à 1.00 10 Gulden<br />

Reisach (Reisig): 200 Büschel 40 Kreuzer<br />

1/4 Küchengarten 34 Kreuzer<br />

Krautgarten zu 300 Setzlingen 25 Kreuzer<br />

1 und 1/2 Viertel Baum- und Grasgarten 1 Gulden 41 Kreuzer<br />

Mannsgewand und Stiefel 27 Gulden<br />

10 Jauchert Acker à 1.00 10 Gulden<br />

Landecht Früchten 1 Gulden 10 Kreuzer<br />

Heu: 7 1/2 Wannen 22 Gulden 30 Kreuzer<br />

Kleiner Zehnten zur Hälfte an Erbis,<br />

Wiecken, Linsen, Bohnen, Hanf, Flachs,<br />

Kraut, Rüben und Grundbirnen 15 Gulden<br />

Viehweid: 6 Stück Rindvieh und 25 Schafe 4 Gulden, 40 Kreuzer<br />

Kirchen- und Schulvisitation, Kinderexamen<br />

und Ämterersetzung 2 Gulden, 30 Kreuzer<br />

Summa 199 Gulden, 24 1/2 Kreuzer<br />

Accidentia (sonstige Einnahmen) 16.00 Gulden<br />

Fideliter extrahiert, (treulich ausgeschrieben) den 14.3.1750<br />

Fürstlich Consistorial Canzelist." (1 Fuder = 17,63 hl, 1 Scheffel = 176 l, 1 Simri<br />

22 l, 1 Vierling 5,5 l, 1 Wanne ca. 12 cbm, 1 Klafter 3,3 cbm, 1 Jauchert 576 qm)<br />

Die Besoldungsliste ist noch um folgenden Vermerk ergänzt:<br />

139


"Von der Communalwaldungen: Die Holtzbesoldung wurde kraft eines herzoglichen<br />

Regierungsdekrets vom 23.10.1719 dahingehend dekriert und bestätigt. Der Wiesen- und<br />

..?.futterzehnte wurde aber der Pfarrei am 3. November 1760 gnädigst zuerkannt."<br />

(Sigel und Lagerbuch)<br />

Später erfolgte die Holzbesoldung durch die bürgerliche Gemeinde, von der hier die Rede ist, in<br />

Geld. Erst 1964 wurde diese Bezahlung, die in Höhe von 500-700 DM jährlich lag und an die<br />

Evangelische Pfarrgutsverwaltung in Stuttgart abzuführen war, mit DM 16066 abgelöst. Damit<br />

wurde eine jahrhundertealte Vereinbarung zwischen Landeskirche und Gemeinde aufgehoben.<br />

Nach diesem Vertrag war die Gemeinde verpflichtet, jährlich ca. 15 Raummeter buchene<br />

Scheiter, ca. 7 Raummeter eichene Scheiter, ca. 7 Raummeter tannene Scheiter und ca. 150 Stück<br />

buchene Wellen (als Büschel zusammengebundenes Prügelholz) in natura oder in Geld<br />

abzuliefern.<br />

1772-1828: Magister Christoph Heinrich Klinger *19.2.1748 in Wildbad, als Sohn des<br />

Försters Joh. Michael Klinger und Rebekka geb. Sattler.<br />

1. Ehe am 27.9.1772 mit Sophie Magalena geb. Ehemann, Tochter des <strong>Gechinger</strong> Pfarrers<br />

Ehemann, *2.1.1751, +30.10.1793. Das Paar hatte vier Kinder, die Sophie Magdalena alle<br />

überlebte.<br />

2. Ehe am 6.8.1794 mit Christiane Dorothea geb. Theuss aus Freudenstadt, *20.11.1765, als<br />

Tochter des Stadtschreibers Theodor Theuss und der Christina Margareta geb. Ulmer. Der<br />

Sohn Heinrich Theodor Christian aus dieser Ehe wurde Pfarrer und seines Vaters Nachfolger<br />

in Gechingen.<br />

Selten werden die dürren Zahlen im Dorfsippenbuch so beredt, wie im Fall Pfarrer Klingers.<br />

Die junge Sofia Magdalena Ehemann, die seine erste Frau wurde, verlor 1772 innerhalb von<br />

sechs Wochen beide Eltern, und eine ganze Reihe jüngerer Geschwister - das jüngste knapp<br />

einjährig - waren zu versorgen. Pfarrer Klinger, damals 24 Jahre alt, muß sich unmittelbar<br />

nach dem Tod Pfarrer Ehemanns bei dem Stift in Baden um die Pfarrstelle in Gechingen (er<br />

war der letzte <strong>Gechinger</strong> Pfarrer, der in Baden nominiert wurde) beworben haben, denn schon<br />

vier Wochen nach dem Tod Pfarrer Ehemanns war er der nominierte Kandidat für die<br />

Pfarrstelle in Gechingen. Am 4. Sept. 1772 von Württemberg konfirmiert, heiratete er die<br />

Tochter seines Vorgängers am 27. 10. 1772. Von den vier Kindern des Paares starben drei<br />

ganz früh, nur die Älteste, Heinerike Sofie, wuchs heran, aber kaum zwanzigjährig, starb auch<br />

sie. Ihre Mutter überlebte sie nur um drei Wochen.<br />

1794 verheiratete Pfarrer Klinger sich zum zweitenmal. Nach einer Totgeburt 1797 kam 1801<br />

Sohn Heinrich Theodor zur Welt. Sein Vater war damals 53 Jahre alt.<br />

Man kann sich unschwer vorstellen, warum Pfarrherr und Gemeinde ein so enges, vertrauensvolles<br />

Verhältnis zueinander hatten, sie hatten Freud und Leid zusammen erlebt und sich<br />

gegenseitig mit Sicherheit beigestanden. (Vergleiche auch "Napoleonische Zeit",<br />

Koalitionskriege) Als 80jähriger noch bekennt Pfarrer Klinger, es sei sein Wunsch, "wenn ich<br />

den Rest meiner Tage in der Mitte meiner von mir väterlich geliebten Gemeinde beschließen,<br />

und einst mein Staub sich mit dem Staube derer mengen würde, zu deren Seelenheil von mir<br />

mehr als 18 tausend Gottesdienste unter des Höchsten Beistand gehalten wurden." -<br />

Pfarrer Christoph Heinrich Klinger feierte am 17.7.1822 seine fünfzigjährige Amtszeit in<br />

einer Gemeinde, gewiß ein seltenes Ereignis. Der Dekan und sämtliche Geistliche der Diözese<br />

Calw gratulierten dem Jubelgreis mit einem Gedicht, welches vom typographischen Comptoir<br />

Calw gedruckt und verbreitet wurde. Der Dekan bestätigte 1828, daß Pfarrer Klinger längst<br />

eine Beförderung hätte suchen können, aber nie eine Veränderung begehrte.<br />

1827 wurden die Pfarrbesoldungsgüter verkauft und der Erlös zur Staatskasse eingezogen. Die<br />

Zinsen sollten zur Geldbesoldung des Pfarrers geschlagen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />

muß Pfarrer Klinger die mit dem Pfarramt verbundene Landwirtschaft geführt haben; denn im<br />

140


Jahre 1827 lesen wir im Calwer Wochenblatt: "Auction im Pfarrhause. Bis nächsten Mondtag,<br />

den 15. d. M., morgens 8 Uhr, wird im hiesigen Pfarrhause eine Versteigerung von<br />

ökonomischen Gegenständen aller Art gehalten werden. Namentlich wird bemerkt: 2 Wägen,<br />

1 Pflug, 1 Schlitten, Pferdegeschirr, 1 1/2 jähriges Hengstfohlen. Auch wird eine Hobelbank<br />

nebst beinahe vollständigem Schreiner-Handwerkszeug abgegeben."<br />

1828 werden dann eine Partie Bienenstöcke, 2 Bienenkappen und dergleichen angeboten. Der<br />

im Jahre 1829 erfolgte Verkauf von einem eisernen Ofen mit 535 Pfund Gewicht und einem<br />

Kanonenofen hängt sicher mit dem Umbau des Pfarrhauses zusammen, der 1830 durchgeführt<br />

wurde.<br />

Es ist bekannt, daß Pfarrer Christoph Heinrich Klinger noch im Jahre 1823 den Pfarrer von<br />

Deckenpfronn vertrat und zu Pferd nach Deckenpfronn ritt.<br />

In den letzten Jahren seiner Amtszeit wurde er von seinem Sohn Heinrich Theodor Klinger als<br />

Vikar unterstützt. Mit Schreiben vom 21.5.1828 bat Magister Christoph Heinrich Klinger<br />

alleruntertänigst um seine Entlassung und allergnädigste Ernennung seines Sohnes zu seinem<br />

Amtsnachfolger. Sein Dekan und die Gemeinde Gechingen unterstützten das Gesuch.<br />

Er schrieb: "Nach 56jähriger Dienstzeit möchte ich mich gerne in den Ruhestand begeben. . .<br />

"-<br />

"Ich kam 1772 als Pfarrer auf den hiesigen Dienst, der nach dem damaligen Anschlag 200<br />

Gulden und jetzt 605 Gulden beträgt."<br />

(Zum Vergleich: 1850 war die Jahresbesoldung des Pfarrers auf 1145 Gulden, 24 Kreuzer<br />

gestiegen.)<br />

Pfarrer Klinger starb am 1.11.1830 in Gechingen. (Sigel und Pfarrarchiv)<br />

1828-62: Pfarrer Heinrich Theodor Christian Klinger *13.4.1801 als Sohn des <strong>Gechinger</strong><br />

Pfarrers Christoph Heinrich Klinger.<br />

1. Ehe am 18.9.1828 mit Luise Franziska geb. Schweikardt, Tochter des Eberhardt Friedrich<br />

Schweikardt aus Stammheim und der Elisabeth Modeste geb. Weiß *14.6.1809 +11.6.1835.<br />

Die so jung gestorbene Frau hinterließ drei kleine Kinder, zwei andere waren schon vor ihr<br />

gestorben.<br />

2. Ehe am 14.6.1836 mit Marie Albertine Pauline geb. Schweikardt, verwitwete Memminger,<br />

Schwester der ersten Frau. *19.10.1806 +10.8.1861. Zu einem gemeinsamen Sohn kam noch<br />

eine Tochter aus erster Ehe der Frau.<br />

Pfarrer Heinrich Theodor Klinger war ein äußerst rühriger Mann, der sich viele Verdienste<br />

erworben hat. 1825 gründete er einen Leseverein im Oberamt Calw, in dem Zeitschriften und<br />

Bücher ausgeliehen wurden. Er war auch der Gründer des 1839 entstandenen Landwirtschaftsvereins<br />

und des Gustav-Adolf-Vereins im Oberamt Calw. Mit Zeitungsanzeigen versuchte<br />

Heinrich Theodor Klinger Heimarbeit nach Gechingen zu bringen, besorgte vielen<br />

Jugendlichen Lehrstellen und beschäftigte arme, alte Menschen mit Strohschuhflechten usw.<br />

Im Pfarrhaus ließ er Ortsarme über den Winter leinenes Garn spinnen (1843) und sorgte mit<br />

einer Versteigerung für den Verkauf der Ware.<br />

Heinrich Theodor Klinger setzte sich auch für einen fortschrittlichen Schulunterricht ein.<br />

Auszug aus dem Konventbericht von 1854:<br />

"Die Tochter des Schulmeisters Hofmann von Deufringen soll so lange als Industrie-Lehrerin<br />

angenommen werden, bis etliche Andere zum Unterricht tauglich sind. Sie wird wöchentlich 2<br />

Gulden 42 Kreuzer erhalten, wobei sie für die Nachmittage von Mittwoch und Samstag frei<br />

erhält, an welchen die Rosine Werner den Unterricht für die kleineren Mädchen zu erteilen<br />

hätte."<br />

(Industrie-Schulen bzw. -lehrerinnnen sollten Kindern der Armen Fertigkeiten vermitteln, die<br />

sie dazu befähigten, Lohnarbeiten auszuführen, wobei es sich in Gechingen vor allem um<br />

Mädchen und den Bereich der Textilherstellung und -bearbeitung gehandelt haben wird.)<br />

141


Anläßlich des 25jährigen Amtsjubiläums Pfarrer Klingers 1853 erschien ein großer Artikel<br />

über ihn im Calwer Wochenblatt. Unter anderem heißt es hier: "Während der Amtsführung<br />

des Vaters und Sohnes vom 17.7.1772 bis 1853, also in 81 Jahren, hielten Gottesdienste: der<br />

Vater 19 159, der Sohn: 10 237, zusammen 29 396, dabei waren Predigten vom Vater 5 097,<br />

vom Sohne 3 119, zusammen 8216. Taufen vom Vater 1863, vom Sohne 1369, zusammen<br />

3232. Communikanten vom Vater 94 016, vom Sohne 56 752, zusammen 150 468.<br />

Auswärtige Gottesdienste hielt der Vater 1 691, der Sohn 496, zusammen 2187. Die<br />

Gemeinde Gechingen zählte im Jahre 1772 500 und im Jahr 1853 1200 Seelen. Im ganzen<br />

Ort leben nur noch drei Personen, die nicht vom Vater oder Sohn getauft worden sind."<br />

Pfarrer Heinrich Theodor Klinger starb in Gechingen am 14.5.1862.<br />

(Sigel und Pfarrarchiv)<br />

1862-71: Pfarrer Martin Storz, vorher Pappelau, Dekanat Blaubeuren, trat am 27.8.1862 sein<br />

Amt in Gechingen an. In seiner Amtszeit wurde von 1865-67 die Kirche umgebaut und<br />

renoviert. Martin Storz war kränklich. (Pfarrarchiv)<br />

1872-81: Pfarrer Paul Albrecht Dörr *23.4.1821 in Erpfingen, +31.1.1881 in Gechingen. Er<br />

war vorher Pfarrer in Steingebronn, Münsingen. Seine Eltern waren Imanuel Gottlob Dörr,<br />

Pfarrer in Oppelsbohm und Eberhardine Friederike geb. Bauer.<br />

Paul Albrecht Dörr heiratete am 14.7.1869 Emma Luise Amalie geb. Grözinger aus<br />

Pfummern, Tochter des Pfarrers in Dapfen, Gottlob Jakob Grözinger und der Henriette<br />

Christiane geb. Dorner, mit welcher er einen Sohn hatte.<br />

Während der Amtszeit von Paul Albrecht Dörr wurde eine neue Orgel angeschafft und der<br />

Kirchturm erhöht.<br />

Das Einkommen des Pfarrers betrug 1872 2330 Mark jährlich. Auch Paul Albrecht Dörr war<br />

kränklich. (Pfarrarchiv)<br />

1881-90: Pfarrer Max Friedrich Barth *18.4.1840 in Stuttgart, vorher seit 1873 Pfarrer in<br />

Deufringen.<br />

Am 10.6.1890 stand im Calwer Wochenblatt folgendes:<br />

"Herr Pfarrer Barth von Gechingen hat seine Stelle mit Möhringen vertauscht und läßt ihn<br />

seine Gemeinde mit Bedauern scheiden, da er hier 8 Jahre in treuer Pflichterfüllung tätig war.<br />

Als seltener Fall sei erwähnt, daß dies seit ca. 130 Jahren der erste Geistliche ist, der von hier<br />

eine andere Stelle bezog." (Pfarrarchiv)<br />

1890-97: Pfarrer Wilhelm Keller *23.10.1842 in Weiler +2.2.1904 in Ebingen. Die Eltern<br />

waren Wilhelm Keller, Pfarrer in Möglingen und Pauline geb. Nast. W. Keller war vorher in<br />

Lampolshausen, Dekanat Neuenstadt.<br />

Am 12.5.1873 heiratete er Anna geb. Eytel *4.10.1854, ihre Eltern waren Wilhelm Eytel,<br />

Pfarrer in Gerlingen und Marie Henrietta Luise geb. Knapp. Pfarrer Keller und seine Frau<br />

hatten sechs Kinder. Er wurde später Stadtpfarrer in Ebingen.<br />

1896 beantragte Wilhelm Keller, daß sein Sohn Eugen, der das Predigtexamen bestanden<br />

hatte, ihm als Vikar zugeteilt werde. Der Bitte wurde entsprochen. (Pfarrarchiv)<br />

1897-1908: Paul Heinrich Andler *22.5.1861 in Crailsheim als Sohn des Diakons Friedrich<br />

Ludwig Emil Andler und der Eugenie geb. Georgii.<br />

Heirat am 25.9.1894 mit Amalie Marie Mathilde geb. Hilbert, Tochter des Kanzleirates<br />

Johann Karl Friedrich Hilbert und Babette geb. Bumiller aus Stuttgart.<br />

Pfarrer Andler hatte zwei Söhne, deren Ältester in Giengen a. d. Brenz geboren wurde, wo<br />

Pfarrer Andler amtierte, ehe er nach Gechingen kam. 1908 wurde Andler erster Stadtpfarrer in<br />

Besigheim und später Kirchenrat in Stuttgart.<br />

Pfarrer Andler gründete in Gechingen den Jünglingsverein, der sich im Pfarrhaus<br />

versammelte. Im Oktober 1905 ließ er eine Zeitung erscheinen, die den Namen<br />

"Evangelisches Gemeindeblatt für Gechingen" führte.<br />

Im Calwer Wochenblatt konnte man am 19.2.1908 lesen:<br />

142


"Heute verließ uns nach beinahe 10jähriger Tätigkeit Pfarrer Andler mit seiner Familie, um<br />

das Dekanat Besigheim zu übernehmen. Am gestrigen Sonntag hielt er in der gutbesuchten<br />

Kirche seine treffliche Abschiedspredigt. Der Kirchenchor ehrte den Scheidenden mit einem<br />

Ständchen und heute begleiteten Mitglieder des bürgerlichen- und Kirchengemeinderates die<br />

Pfarrfamilie auf die Station Althengstett. Dabei kam es dort zu einem Unfall. Frl. Jakobine<br />

Wagner von hier sollte einige Tage lang bei der Einrichtung des Hauses in Besigheim Hilfe<br />

leisten. Beim Abspringen vom Gefährt blieb dieselbe mit den Kleidern hängen und trug einen<br />

komplizierten Beinbruch davon." (Pfarrarchiv)<br />

1908-12: Pfarrer Hermann August Beitter *27.3.1866 in Münchingen als Sohn des<br />

Wundarztes Christoph Heinrich Beitter und Friederike geb. Beitter aus Münchingen. Heirat<br />

am 5.9.1893 mit Amalie Eugenie geb. Lessing * 11.5.1865, Tochter des Pfarrers Gustav Adolf<br />

Lessing und Clara Francisca geb. Maier aus Talheim. Zunächst war H. A. Beitter Pfarrer in<br />

Enzberg. Seine drei Kinder wurden geboren, ehe er die hiesige Pfarre übernahm.<br />

Intrigen des <strong>Gechinger</strong> Wundarztes, der um seine Existenz fürchtete, weil der Pfarrer<br />

Kenntnisse der homöopathischen Heilkunde hatte und offenbar mit Erfolg anwandte, führten<br />

zum vorzeitigen Amtsende in Gechingen.<br />

Am 29.9.1912 stand folgender Artikel im Calwer Wochenblatt:<br />

"Nicht geringe Aufregung verursachte in der Gemeinde Gechingen die Nachricht, daß unser<br />

Seelsorger, Herr Pfarrer Beitter, uns verlassen wolle. Wir verlieren nicht nur einen ausgezeichneten<br />

Seelenarzt, sondern auch auch einen tüchtigen Arzt für leibliche Gebrechen. Aber<br />

gerade dadurch, daß er seine homöopathische Heilkunde kostenlos zur Verfügung stellte, hat<br />

er sich eine Feindschaft zugezogen. Bei jedem geringen Anlaß sorgte ein anonymer<br />

Briefeschreiber dafür, Pfarrer Beitter bei der höheren Stelle zu verdächtigen. Könnten nicht<br />

unsere Ortsväter dem hinterhältigen Briefeschreiber das Handwerk legen?"<br />

Am 22.10.1912 hieß es weiter:<br />

"Noch im Laufe dieser Woche wird Herr Beitter uns verlassen. In seiner schlichten<br />

Bescheidenheit hat er jede öffentliche Verabschiedung abgelehnt. An zwei Gemeindeabenden<br />

konnte jedoch die Einwohnerschaft zeigen, daß sie zu ihrem Pfarrer steht. Wir wünschen ihm<br />

und seiner Familie alles Gute an seinem neuen Wirkungskreis."<br />

Am 25.10.1912:<br />

"Die gesamte Einwohnerschaft von Gechingen stand Spalier, als Pfarrer Beitter mit Familie<br />

unseren Ort verließ. Alle winkten und riefen ihm ein Lebewohl zu. Viele ließen es sich nicht<br />

nehmen, mit ihren Wagen und Kutschen die Abreisenden nach dem Bahnhof Gärtringen zu<br />

begleiten. Wie zu erfahren war, soll der anonyme Briefschreiber Pfarrer Beitter an seinem<br />

neuen Ort bereits als gemeingefährlich angeschwärzt haben. Dieser Schreiber spricht sich<br />

selber sein Urteil! Wir hoffen, daß der Ränkeschmied dort kein Gehör findet."<br />

Von Gechingen aus ging Pfarrer Beitter 1912 nach Bodelshausen und übernahm dann 1913<br />

ein Kirchenamt bei der Hospitalpflege in Stuttgart. (Pfarrarchiv)<br />

1913-28: Pfarrer Karl Wilhelm Otto Grundgeiger *25.3.1871 in Öhringen als Sohn des<br />

Oberlehrers Otto Grundgeiger und Maria geb. Scharr aus Öhringen. Heirat am 4.7.1901 mit<br />

Helene Julie geb. Bach, *9.6.1874 Tochter des Buchbinders Christoph Bach und Maria geb.<br />

Liesching aus Stuttgart. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.<br />

Pfarrer Grundgeiger war vorher in Mähringen bei Ulm tätig. (Pfarrarchiv)<br />

1928-37: Pfarrer Paul Traugott Reusch *10.2.1901 in Dharwar/Ostindien, als Sohn des<br />

Pfarrers Traugott Friedrich Reusch und Marta geb. Ensinger. Heirat am 11.9.1930 mit<br />

Margareta geb. Plank *23.4.1908, Tochter des Stadtpfarrers Reinhold Plank und Anna geb.<br />

Mayer aus Winnenden. Der älteste Sohn Klaus ist in Gechingen geboren. "Aus Dankbarkeit<br />

gegen Gott für die glückliche Ankunft des ersten Buben" steuerte Pfarrer Reusch 100.-RM für<br />

die Anschaffung eines elektrischen Orgelmotors bei, der das mühselige Orgeltreten<br />

überflüssig machte.<br />

143


Pfarrer Paul Traugott Reusch war vorher in Gnadental und Nürtingen, später in<br />

Neuenstadt/Kocher.<br />

Am 20.3. 1932 wurde in der Kirche auf seine Veranlassung hin zum erstenmal ein Rundfunkkonzert<br />

übertragen und zwar die Bach´sche Osterkantate. Die Übertragung wurde von den<br />

Besuchern sehr gelobt.<br />

Der sogenannte Kirchenkampf schlug auch bei uns Wellen. Die Führung der NSDAP suchte<br />

1933 eine einheitliche Evangelische Reichskirche zu schaffen, und die nationalsozialistisch<br />

ausgerichteten "Deutschen Christen" betrieben massiv die "Entjudung" von Kirche und Lehre.<br />

Landesbischof Wurm wurde zum Wortführer des Widerstands der Evangelischen Kirche<br />

gegen das Regime, war dadurch scharfen Angriffen ausgesetzt, und das Verlesen seiner Briefe<br />

wurde verboten. Umso höher ist der Mut Pfarrer Reuschs zu werten, der im Auftrag des<br />

Kirchen-gemeinderates ein Telegramm an den Reichsbischof Müller sandte. Der Text lautete:<br />

"Erschüttert über die rechtswidrigen und lügnerischen Machenschaften der "Deutschen<br />

Christen" in der Evangelischen Kirche, stellt sich unsere Gemeinde geschlossen hinter<br />

unseren Landesbischof Wurm und weist alle in Presse und Rundfunk über ihn verbreiteten<br />

unwahren Nachrichten zurück. Wer bewußt nur die halbe Wahrheit sagt, der lügt. Wer bewußt<br />

im kirchlichen Amt nur auf eine kleine Gruppe hört, geht Irrwege. Wir fordern Aufhebung der<br />

Notverordnung vom 15. April, da die Bedingungen dazu fehlen."<br />

In einem Schreiben vom 12.1.1934 an den in Stuttgart erscheinenden "NS-Kurier" verwahrte<br />

sich Pfarrer Reusch gegen die "Art und Weise, wie mit unserem Landesbischof Wurm in der<br />

Presse umgegangen wird. Ich höre immer wieder mit Empörung, wie in Ihrem Blatt, zu dessen<br />

Lesern auch ich gehöre, über kirchliche Fragen berichtet wird. Gehört es nicht zu den ersten<br />

Regeln des Anstandes und der Wahrhaftigkeit, daß man bei einem Streit beide Parteien<br />

anhört? Hat weiter Ihre Redaktion so wenig Begriff von den Gesetzen der menschlichen<br />

Psyche, daß sie wagt, in der Öffentlichkeit der Politik den Vorrang zu geben vor der Religion<br />

und unseren Landesbischof zurechtweisen zu wollen? Gegenüber Vorgängen, wie sie der<br />

Bischof rügt, muß die Kirche selbstverständlich scharf auftreten, denn sie gehören zum<br />

kirchlichen Leben und scheinen trübe Hintergründe zu besitzen." (Pfarrarchiv)<br />

1937-41: Pfarrer Karl Lilienfein *6.12.1909 in Backnang, gefallen am 1.7.1941 in Rußland.<br />

Heirat am 12.8.1937 mit Elsbeth geb. Höchel aus Backnang. Karl Lilienfein war vorher in<br />

Stuttgart und Brenz.<br />

Pfarrer Lilienfein gründete 1938 einen Evangelischen Gemeindeverein. Dessen Ziele waren:<br />

1. Ungeschmälerter Dienst der Kirche zur Verbreitung von Gottes Wort.<br />

2. Enger Zusammenschluß der Gemeindemitglieder.<br />

3. Gründung eines Gemeindehelferkreises.<br />

4. Bau eines Gemeindehauses.<br />

Am 20.6.1939 wurde der Evangelische Gemeindeverein durch Beschluß der Gestapo verboten<br />

und aufgelöst.<br />

Daß auch Pfarrer Lilienfein mit dem weiterschwelenden Kirchenstreit zu tun bekam, zeigt ein<br />

Brief vom 20.6.1938 von der Kreisleitung der NSDAP. Ein Mann, der seine Predigten in der<br />

Kirche überwachte, meldete der Partei, Pfarrer Lilienfein habe die NSV<br />

(Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) beleidigt. Pfarrer Lilienfein wußte sich gegen diese<br />

Behauptung mit Erfolg zu wehren. (Pfarrarchiv)<br />

1941-46: In diesen Jahren hatte die Gemeinde keinen ständigen Pfarrer. Zur Aushilfe waren<br />

tätig:<br />

1941 - 44 Pfarrer Lempp von Stammheim<br />

1944 - 45 Pfarrer Wennberg<br />

1945 Pfarrer Haage<br />

1946 Pfarrer Schwarzmaier<br />

144


Am 23.8.1941 mußte der Pfarrer eine Erklärung für die Gestapo unterschreiben, daß er<br />

Kanzelverkündigungen des Landesbischofs Wurm nicht mehr verlesen würde. Der<br />

Bürgermeister wurde als Aufpasser verpflichtet. Die Auseinandersetzungen mit Pfarrer<br />

Lilienfeins Amtsverwesern dauerten mit unterschiedlicher Heftigkeit bis 1945 an. Nur weil<br />

man diesen Streit während der Dauer des Krieges für unzweckmäßig hielt, verschob das<br />

Regime die "Abrechnung" mit den Widerstrebenden auf die Zeit nach dem "Endsieg".<br />

(Pfarrarchiv)<br />

Die Pfarrer aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg sind nur aufgelistet und Besonderheiten<br />

angemerkt. Ihre Lebensdaten stehen unter Datenschutz.<br />

1946-50: Pfarrer Adolf Zielke<br />

1951-59: Pfarrer Theodor Ulmer<br />

Er übernahm später eine Stelle als Religionslehrer in Stuttgart.<br />

1959-72: Pfarrer Adolf Burkhardt, geboren in Asperg, zog 1972 nach Bissingen/Teck und trat<br />

1991 in den Ruhestand. Er war Vorsitzender des Internationalen Christlichen Esparanto-<br />

Bundes.<br />

Evangelisches Gemeindeblatt vom 5.4.1992:<br />

"Seit über 30 Jahren, so Landrat Peter Braun bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes<br />

am 19.3.1992 in Esslingen, habe sich Pfarrer Burkhardt ehrenamtlich für die Belange der<br />

Kultur, der Sprachwissenschaft, der Ökumene und der internationalen Verständigung<br />

eingesetzt. 25 Jahre habe er sich dem Aufbau der jetzt in Aalen beherbergten Deutschen<br />

Esparanto-Biliothek gewidmet. Die weltweit beachtete Spezialsammlung umfaßt über 10 000<br />

Buchtitel und rund 900 Zeitschriften aus mehr als 50 Ländern."<br />

1972-86: Pfarrer Werner Kenner * Nellingen<br />

1986-heute: Pfarrer Michael Beck * Waldorf-Haslach<br />

Er amtierte vorher in Österreich.<br />

Die Mesner<br />

Das Mesnerlehen, vom Stifter zum Unterhalt des Mesners bestimmt, gelangte mit dem<br />

übrigen Kirchensatz um 1440 an die Markgrafschaft Baden. Rund hundert Jahre später, im<br />

Jahre 1539, verlieh der damalige Markgraf Ernst von Baden dieses Lehen an seinen<br />

Mundkoch Franz Kaag bzw. dessen leibliche Erben. Die Verleihungsurkunde lautet wie folgt<br />

(Orthographie moderni-siert):<br />

"Dokument von 1539, das Mesnerlehen betreffend. Wir, Ernst von Gottes Gnaden, Markgraf<br />

zu Baden und Hochberg, Landgraf zu Süßenberg, Herr zu Röteln und Badenweiler usw. Wir<br />

tun kund und bekennen mit diesem Brief, daß wir uns und unsere Erben unserem Mundkoch<br />

und lieben Getreuen, Franz Kaag und seinen ehelichen Leibeserben in Ansehen seines<br />

untertänigst getreuen Dienstes, so er weiland dem hochgeborenen Fürsten, unserem<br />

freundlichen lieben Bruder Herrn Philippen, Markgraf zu Baden usw. löblichen und seligen<br />

Gedächtnis und uns lange Jahre bewiesen hat, und fürhin tun soll und mag, das Mesneramt zu<br />

Gechingen, welches durch tödlichen Abgang Heinrichen Klebergers kürzlich erledigt,<br />

gnädiglich geliehen habe und tun das in und mit Kraft dieses Briefes. Also, daß er und die<br />

Gemeldeten, seine ehelichen Leibeserben dasselbige Mesneramt durch sich selbst oder andere<br />

dazu taugliche Person besetzen, verwalten und versehen und dagegen die Nutzung so daselbe<br />

Mesneramt hat, empfangen, nutznieß und gebrauchen sollen und mögen mit aller Zugehörung<br />

und Gerechtigkeit. Dermaßen wie es gemeldeter Heinrich Kleberger in Zeit seines Lebens und<br />

seiner Vorderen innegehabt, genützt und genossen haben. Doch wollen wir, und das ist unsere<br />

Meinung, daß des genannten Mundkoch jetzige Hausfrau es, gleich ob sie den Tod ihres<br />

Mannes erlebt, solch Mesneramt ihr Lebenlang jetzt gemeldeter Maßen nießen, auch erst nach<br />

ihrem Tode, auf ihre beide Leibeserben wie obgemeldet fallen soll ohne Gefährde. In Urkund<br />

145


mit unsrem anhangenden Insiegel besiegelt; gegeben in unserer Stadt Pforzheim auf den 27.<br />

Tag des Monats Juni nach Christi unseres lieben Herrn Geburt 1539."<br />

Bis etwa 1840 hatte die hiesige Mesnerstelle den Kaag´schen Erben jährlich 20 Gulden<br />

abzuliefern. Man bedenke, 300 Jahre lang blieb diese Forderung bestehen! Schließlich ging<br />

den <strong>Gechinger</strong>n die Geduld aus, zumal die Familie Kaag einer anderen Konfession angehörte.<br />

Es entwickelte sich ein langwieriger Prozeß, der unser Dorf viel Geld kostete. Der Prozeß<br />

wurde vom damaligen Stadtschultheißen, Johann Bräuning von Sindelfingen, im Amt von<br />

1826 - 1832, als Abwesenheitsvormund eines Georg Friedrich Dannkann von Rastatt geführt.<br />

1835 konnte die Gemeinde Gechingen das Mesnerlehen erwerben.<br />

Aus dem Jahre 1797 stammt ein Dokument, das vom Mesnerlehen und seiner Abgrenzung<br />

durch Marksteine handelt. Die Steine waren mit einem großen eingehauenen M und einer<br />

Nummer versehen. Mitglieder des Arbeitskreises versuchten, diese Steine aufzufinden und<br />

damit das Mesnerlehen zu lokalisieren, sie mußten aber feststellen, daß in der Flur keine<br />

Steine mehr vorhanden sind. Durch Zufall wurde dann in einem Hof in der Hauptstraße ein<br />

Stein entdeckt. Er trägt die Nr. 5 und ein M., er ist bis jetzt der einzige Zeuge über die<br />

Versteinung des Mesnerlehens. Offenbar stieß es aber schon 1797 auf Schwierigkeiten, den<br />

genauen Umfang des Mesnereilehens festzustellen, wie der folgende Bericht beweist:<br />

"Zelg Calw = 49 Morgen, Zelg Angel = 54 Morgen 1 Viertel, Zelg Staig = 44 Morgen, 2<br />

Viertel.<br />

Das hier allegerierte (angeführte) Mesnerei Zehent Lagerbuch selbst ist also das einzige<br />

Dokument, welcher den Umfang dieses Zehend Rechtes begründet und welches im Jahr 1604<br />

durch den damaligen Amtsschreiber Drötsog in Merklingen erneuert worden. Bei dem Mangel<br />

einer specieficierten Beschreibung dieses in vielerlei Distrikten bestehenden<br />

Mesnereizehenden und einer Versteinung desselben mußten daher notwendig mancherlei<br />

Irrungen, Strittigkeiten und Klagen zwischen den beiderseitigen Zehend Rechten und<br />

Auszählern entstehen, welche ohne eine Renovation weder amtlich noch gerichtlich erörtert<br />

werden könnten. Weswegen man sich von Seiten des Herzoglichen Kirchenrates zu Vornahme<br />

einer ordentlichen Renovation entschlossen und solches Geschäft unter den Vorbehalt des<br />

Klosterbeitrags von den interessierten Teilen dem Forstrenovator Christian Heinrich Hahn<br />

gnädigst übertragen hat. Unter Beiziehung des gegenwärtigen Schulmeisters und Mesners,<br />

Georg Andreas Hartmann mit ihren gegenwärtigen Inhabern, Nebenliegern und Anstößer aufs<br />

neue gefertigt und beschrieben, sofort mit erhabenen Steinen und aufgehauenen Zeichen<br />

untergänglich (Siehe auch "Der Untergänger" bei "Berufen") vermarken lassen, wie hiernach<br />

das Weitere umständlich zu erfahren sein wird."<br />

Lange Zeit war es vielerorts, auch in Gechingen, üblich, daß der Lehrer gleichzeitig auch den<br />

Mesnerdienst versah.. Am 31.7.1899 wurde ein entsprechendes Gesetz erlassen und gegen<br />

Ende des 19. Jahrhunderts auch in Gechingen die Mesnerei vom Schuldienst getrennt.<br />

Das Gras auf dem Friedhof gehörte mit zu den Einkünften des Mesners. Anfang 1800 heißt es:<br />

"3 Kirchhöfe zu genießen. 3/4 im Mess, Ertrag etwa 6 Gulden." Als Mesner- und Lehreramt<br />

getrennt wurden, mußte der Lehrer, wenn er das Gras weiterhin wollte, dem Mesner 5 Gulden<br />

bezahlen.<br />

1894 wurde der Mesner entlassen, weil er in seiner Freizeit öffentlich Marionettenspiele<br />

aufführte, eine Tätigkeit , die sich, laut Kirchengemeinderat, "mit dem Ansehen des Mesners<br />

in der Gemeinde nicht verträgt". Allerdings war dem Betreffenden schon vor Antritt seines<br />

Dienstes künftig das Puppentheaterspielen untersagt worden.<br />

Ein Kirchengemeinderatsbeschluß von 1904 lautet: "Der Jahresgehalt des Mesners beträgt 150<br />

Mark, als Orgeltreter noch 50 Mark dazu und für das Aufziehen der Kirchturmuhr noch 5,50<br />

Mark extra. Der Mesner hat zu läuten bei den Gottesdiensten, Hochzeiten, Betstunden,<br />

146


Beerdigungen. Weiteres Läuten: Alle Tage um 11 Uhr, 15 Uhr, 16 Uhr, um 18-19 Uhr<br />

Abendläuten.“<br />

Eine Aufstellung vom 2.6.1904 legt fest:<br />

"1. Täglich 4 x läuten à 5 Pf. =365 x 5 =73 Mark, abgerundet, weil Sonntags nur 2 x zu läuten<br />

ist, 70 Mark<br />

2. Läuten zu Gottesdiensten mit 2 Zeichen und Herrichten der Kirche à 15 Pf. 140 x 15= 21<br />

Mark<br />

3. 25 Werktags-Kinderlehre 1 Zeichen à 5 Pf.= 1,25 Mark<br />

4. Beerdigungen, Läuten und Begleiten 25 x 10 Pf.= 2,50 Mark“<br />

Katholische Gemeinde<br />

Nach dem zweiten Weltkrieg kamen auch Katholiken in unseren seit der Reformation rein<br />

evangelischen Ort. Sie schlossen sich mit Glaubensgenossen aus den Gemeinden Aidlingen,<br />

Deufringen, Lehenweiler und Dachtel zur Kirchengemeinde Mariä Himmelfahrt zusammen.<br />

In Gechingen wohnen ca. 750 Katholiken, die die Gottesdienste in Mariä Himmelfahrt in<br />

Aidlingen oder St. Fidelis in Dachtel besuchen. An jedem zweiten Samstag findet um 18.30<br />

Uhr eine Vorabendmesse in der <strong>Gechinger</strong> Martinskirche in Gechingen statt.<br />

Adventgemeinde<br />

Im Herbst 1919 wurde die Glaubensgemeinschaft mit 11 Personen in Gechingen gegründet.<br />

Zuerst wurden die Versammlungen in Wohnzimmern der Mitglieder abgehalten. Schon früh<br />

entstand eine eigene Jugendabteilung. Die Prediger kamen bis 1930 von außerhalb. Seither<br />

verrichteten zwölf Glaubensverkünder ihren Dienst.<br />

Die Raumnot war eklatant, die Gemeinde mußte zeitweise von der Calwer Adventgemeinde<br />

beherbergt werden. So beschloß man, eine eigene Kapelle in Gechingen zu errichten. Der<br />

Bauplatz auf dem "Käppelesberg" wurde der Gemeinde von einem Mitglied geschenkt und<br />

dank finanzieller Hilfe der Stuttgarter Gemeinschaftsleitung konnte der Bau Ende 1963 in<br />

Angriff genommen werden. Unter Mithilfe der ganzen Adventgemeinde wurde die Kapelle<br />

nach zwei Jahren fertiggestellt. Heute zählt die Adventgemeinde Gechingen nur knapp 30<br />

Mitglieder. 1995 feierte sie ihren 75. Geburtstag und gleichzeitig das 30jährige Bestehen der<br />

Kapelle.<br />

Schule und Schulwesen<br />

Herzog Christoph erließ 1559 die Große Kirchenordnung, in der auch die Schulordnung<br />

enthalten war. Darin heißt es zur Einführung: "Damit dann auch die Jugend in und bei unserer<br />

deutschen Schule, mit der Furcht Gottes, rechter Lehr und guter Zucht, wohl unterrichtet und<br />

erzogen, und hierunter Gleichheit seie, so wollen wir, daß im solchen folgende Ordnung<br />

gehalten werde."<br />

Vorgesehen war neben den Lateinschulen in den Städten eine möglichst umfassende<br />

Schulbildung auch auf dem Land in "deutschen Schulen". Den Zeitpunkt des ersten<br />

Schulunterrichtes in Gechingen können wir nicht mehr rekonstruieren. Das älteste Dokument<br />

über einen Lehrer und somit über die Schule in unserem Ort stammt vom 10. 3. 1581 und<br />

lautet kurz: "Altschulmeister Hans Aumersch stirbt." Es gibt aber von diesem Zeitpunkt an<br />

immer wieder Hinweise darauf, daß der Schulunterricht kontinuierlich weiterlief, obwohl es<br />

noch keine allgemeine Schulpflicht gab. Sie wurde erst 1648 eingeführt<br />

In der württembergischen Schulordnung von 1723 hieß es: "Es sollen aber die Schulmeister in<br />

dem züchtigen der Ruten mäßigen Gebrauch machen, die Kinder nicht bei den Haaren ziehen,<br />

auf die Köpfe schlagen oder dergleichen, sondern in den Strafen ziemliche Maß zu halten."<br />

147


Aus einer Notiz aus dem Jahr 1743 können wir ersehen, wie damals über die Besetzung einer<br />

freien Schulmeisterstelle entschieden wurde: "Es wurde Session (Sitzung) vom ganzen<br />

Magistrat und 4 Deputierten aus der Gemeinde gehalten, um sowohl einen neuen Schulmeister<br />

(zu wählen), als auch der hinterlassenen Witwe etwas zu geben. Wenn ein Lediger<br />

Schulmeister werden sollte, so solle derselbe der Witwe eine Vierteljahrbesoldung frei<br />

zukommen lassen, desgleichen von allen Schulgeldzehnten außer den Nebeneinkünften, die<br />

gehören ihm allein." Der gewählte Lehrer hieß Jörg Kappis und war ein Sohn des damaligen<br />

Schultheißen.<br />

Von ihm stammt ein Schriftstück über die Schule: "Es ist bei letzter Schulvisitation mir<br />

aufgegeben worden, das was in allhiesigem Schulhaus mangelhaft und nötig zu machen wäre,<br />

auf Papier zu bringen, damit man es einem löblichen Magistrat vortragen könne. Und wäre<br />

folgendes:<br />

Erstlich ist der Schulofen mangelhaft und ist an demselben die unterste Platte gesprungen,<br />

welche zu binden nötig.<br />

Ferner wäre an dem genannten Ofen außerhalbs ein kleines Türlein nötig mit Eisen<br />

beschlagen, weil bei stürmischen Wetter kein Feuer im Ofen brennen will und man dabei zu<br />

besorgen hat, weil die Schuljugend an demselben aus und eingeht, aus Vorwitz mit dem Feuer<br />

zu spielen und ein größeres Unglück daraus entstehen könnte.<br />

Drittens: Sind die Schultische in einem sehr üblen Stand, welche eine gute Reparation nötig<br />

hätten.<br />

Viertens: Wäre ein Laden zu machen nötig in dem Schulgang und wäre das Tor in dem<br />

Schulgang ebenfalls in einen guten Zustand zu stellen."<br />

Es muß also damals schon ein Schulhaus gegeben haben. Das älteste bekannte Schulgebäude<br />

stand an das (alte) Rathaus angelehnt.<br />

Die Lehrer waren damals nicht so gut ausgebildet wie heute, es waren oft alte Soldaten,<br />

Veteranen, die unterrichteten. Als um 1785 eine herzogliche Verordnung befahl, daß die<br />

Landschulmeister auch die Rechenkunst lehren sollten, erklärten einige alte Schullehrer, daß<br />

sie lieber ihren Dienst aufgeben würden als das zu tun.<br />

Die Schulmeister teilten früher ganz das Leben der Gemeinde, waren sie doch mit der Arbeit<br />

auf ihren Schulgütern an die gleichen Voraussetzungen gebunden und hatten die selben<br />

Sorgen wie die Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung.<br />

Wie aus einer Rechnung von 1810 hervorgeht, besuchten damals schon 176 Kinder die<br />

Schule. Es heißt da: "Bei der auf Georgi 1810 abgehaltenen Schulvisitation ist jedem<br />

Schulkind ein Kreuzer Brot gegeben worden. So sind es nach beiliegendem Schulzettel<br />

gewesen = 176 Kinder. Simon Kielwein, Beck, hat gebacken, macht zusammen: 2 Gulden 56<br />

Kreuzer, welche vom Heiligenpfleger bezahlt wurden."<br />

Die Volksschule wurde erst zweiklassig, später dann dreiklassig geführt.<br />

In den Jahren 1833/34 wurde ein neues Schulhaus gebaut, welches dann bis 1969 benutzt<br />

wurde. Außer den Klassenräumen befand sich die Dienstwohnung für den Lehrer darin, und<br />

im Untergeschoß waren ursprünglich Ställe, denn mit der Lehrerstelle war lange, auch ein<br />

landwirtschaftlicher Betrieb verbunden. Später baute man statt der Ställe einen Kindergarten<br />

und die Gemeindewaage ein.<br />

Der Kostenvoranschlag für diese neue Schule betrug:<br />

Mauerarbeit 2.450 Gulden 3 Kreuzer<br />

Gipserarbeit 201 Gulden 15 Kreuzer<br />

Zimmerer 1.022 Gulden 7 Kreuzer<br />

Schreiner 881 Gulden 20 Kreuzer<br />

Glaser 266 Gulden 33 Kreuzer<br />

Schlosser 457 Gulden 46 Kreuzer<br />

148


Flaschner 33 Gulden 36 Kreuzer<br />

Pflästerer 80 Gulden<br />

Maler 96 Gulden 40 Kreuzer<br />

Hafner 6 Gulden<br />

zusammen 5.495 Gulden 20 Kreuzer.<br />

Am 17. 7. 1834 wurden u. a. folgende Reime von Pfarrer Klinger in den Grundstein eingelegt:<br />

"Von alten, vergangenen Zeiten zu lesen<br />

ist man jederzeit, Freunde, begierig gewesen.<br />

Man denkt so gerne an sie zurück<br />

und preist oft allein nur der Alten Geschick.<br />

Über Gegenwart hört man viel Murren und Klagen,<br />

nur immer vom Glück der Altväter sagen.<br />

Doch gleicht sich im Ganzen der Zeiten Lauf,<br />

bis Gott im Himmel sie löset auf.<br />

Wie jetzt es steht im Vaterlande,<br />

besonders in unserem Gemeindeverbande,<br />

dies zeichnen wir auf für die spätere Zeit<br />

und legen es in den Grundstein heut.<br />

Man nimmt gegenwärtig an, daß auf der ganzen Erde 1.000 Millionen Menschen wohnen, von<br />

diesen kommen auf die Juden 2.500.000 auf die Christen 200 Millionen, auf die<br />

Mohammedaner 140 Millionen, auf die Heiden 650 Millionen. Nach der letzten Zählung 1832<br />

hat Württemberg 1.578.147 Einwohner, nämlich 768.385 männliche und 809.782 weibliche.<br />

Unser Ort zählte am 1. November dieses Jahres 545 männliche und 562 weibliche, zusammen<br />

1.107 Einwohner. Schulkinder sind hier 211, Bürger samt Witwen 270. Das<br />

Gemeindevermögen beläuft sich auf 9.000 Gulden, nicht eingerechnet 1.428 Morgen Wald,<br />

das Stiftungsvermögen auf 14.720 Gulden. Andere Merkwürdigkeiten vom Vaterlande sind in<br />

einem besonders beiliegenden Buch genau enthalten. Jahrhunderte kommen, Jahrhunderte<br />

scheiden! Aus einem Legendenbuch von 1809, Seite 356."<br />

Beim Abbruch des Gebäudes im Jahre 1982 wurden im Grundstein nur ein paar Münzen und<br />

ein zerstörtes Dokument gefunden.<br />

Neben dem Schulhaus errichtete man das Feuerwehrgerätemagazin. Der als Gerätemagazin<br />

genutzte Teil war von unten zugänglich. Darüber, unterm Dach war bis 1833 die Scheuer des<br />

Eisenhardtschen Hauses untergebracht, die ihre Zufahrt von oben hatte. Ab 1872 wurde der<br />

Scheuernteil des Gebäudes dann als Schulscheuer (Holzlager) benützt.<br />

In der Zeit von 1866 bis 1882 gab es an der <strong>Gechinger</strong> Schule einen Realschulzug. Diese<br />

Realschule wurde auch von auswärtigen Schülern besucht, die sich hier für die<br />

Aufnahmeprüfung in die Lehrerseminare vorbereiteten. Manche dieser jungen Leute wohnten<br />

bei <strong>Gechinger</strong> Familien und brachten zusätzliches Geld ins Dorf. Schon im Gründungsjahr<br />

1866 hatte die Realschule 42 Schüler. Das Schulgeld betrug 2 Gulden im Jahr. Der erste<br />

Mittelschullehrer hieß Büttner. Er wohnte in dem Haus des früheren Bürgermeisters und<br />

Notars Pregizer in der Calwer Straße, das als weitere Dienstwohnung für Lehrer diente. Als<br />

Gehalt bezog Herr Büttner 500 Gulden pro Jahr. Bürgernutzen, Wohnung und Garten wurden<br />

mit 35 Gulden angerechnet. Als Schulbrennholz standen ihm 50 buchene und 50 tannene<br />

Wellen (Bündel) zu. 1869 vergrößerte man die Räume der Mittelschule im dritten Stock des<br />

Schulhauses. Die Kosten hierfür betrugen 250 Gulden.<br />

1874 bis 1875 war das Jahr mit den höchsten Schülerzahlen. 48 Kinder besuchten die<br />

<strong>Gechinger</strong> Mittelschule. Von da an sank die Schülerzahl allerdings stetig. 1882 wurde die<br />

Schule aufgelöst, die restlichen 25 Schüler wurden in die Oberklasse der <strong>Gechinger</strong><br />

Volksschule übernommen.<br />

Einige Zahlen über die Entwicklung der Schülerzahlen in der Volksschule:<br />

149


1865/66 171 Schüler. Pro Schüler mußten 20 Kreuzer Schulgeld bezahlt werden.<br />

1884/85 229 Schüler und 75 Sonntagsschüler wurden von drei Lehrkräften unterrichtet.<br />

1900/01 181 Schüler und 43 Fortbildungsschüler wurden gezählt.<br />

Einer Ortsbeschreibung von 1905 entnehmen wir: "Die Volksschule umfaßt drei Klassen. Die<br />

Unterklasse für das 7. bis 10., die Mittelklasse für das 10. bis 12. und die Oberklasse für das<br />

12. bis 14. Lebensjahr. Die Unter- und die Oberklasse ist mit je einem ständigen, die<br />

Mittelklasse mit einem unständigen Lehrer besetzt. In der Oberklasse ist Zeichnen<br />

obligatorisch, außerdem als fakultatives Fach Französisch eingeführt. Für die Mädchen<br />

besteht freiwilliger Arbeitsunterricht." Die Mädchen bekamen noch zusätzlich Unterricht in<br />

einer Näh- und Strickschule. Dieser Unterricht dauerte im Schuljahr 1865/66 zum Beispiel 42<br />

halbe Tage, dafür erhielten die beiden Lehrerinnen je 15 Kreuzer Entgelt. Es waren dies die<br />

Witwe Anna Maria Vollmer und Maria Jehle von Gechingen.<br />

1897 wurde die Stelle des Lehrers der Oberklasse neu ausgeschrieben. Das Jahresgehalt<br />

betrug: Bar 1011,00 Mark, als Zulage für Zeichnen und französischen Sprachunterricht waren<br />

235,00 Mark vorgesehen. Dazu kamen 18,6 Zentner Dinkel, Gartengenuß 5a 30qm,<br />

Bürgergabe 50 - 70 Wellen Holz. Der Lehrer der Unterklasse erhielt jährlich: Bar 954,88<br />

Mark, 19 Zentner 37 Pfund Dinkel, Gartengenuß 3a 8qm, Bürgergabe 50 - 70 Wellen Holz.<br />

Ordnung und Zucht in der Volksschule wurden von Pfarrer und Kirchenkonvent streng<br />

überwacht. Unentschuldigte Schulversäumnisse rügte der Konvent im Beisein der<br />

betreffenden Schüler und Eltern öffentlich, was als Schande galt. Später wurden<br />

Übertretungen vom Lehrer dem Schultheißen gemeldet, der dann die Strafen festsetzte. So<br />

waren zum Beispiel 1901 vier Schüler der Oberklasse ohne Aufsicht im Gasthaus "Rößle" in<br />

Dachtel. Sie wurden dafür mit je drei Stunden Ortsarrest bestraft. Den acht Schülern, die 1902<br />

im Gasthaus "Adler" waren, erging es ähnlich. Wenn an den Schulversäumnissen die Eltern<br />

oder Ausbilder schuldig waren, weil sie den Schüler oder die Schülerin durch häusliche oder<br />

berufliche Arbeiten vom Schulbesuch abhielten, verhängte der Schultheiß Strafen.Von 1 Mark<br />

bis zu einem Tag Haft. So z. B. 1906, als ein Mädchen zu Hause bleiben mußte, um Kinder zu<br />

hüten. Auch einem Ausbilder, der seinen Fortbildungsschüler nicht in die Abendschule ließ,<br />

sondern ihn beschäftigte, wurde bestraft.<br />

Die Schulzeit dauerte 7 Jahre, danach kam noch die sogenannte Fortbildungsschule, die bis<br />

zum 18. Lebensjahr ging und von den Lehrern abwechselnd abends für die Knaben und<br />

nachmittags für die Mädchen gehalten wurde. Dies war die Vorgängerin der späteren<br />

Berufsschulen.<br />

Die Räum-lichkeiten der Schule reichten noch bis zum Ende des zweiten Weltkrieges völlig<br />

aus, erst ca. 1960 wurden Klagen über die räumliche Enge laut. Die zu niederen Räume und<br />

schlechte Beleuchtung wurden reklamiert. Außerdem mußten die Fußböden noch von Hand<br />

eingeölt werden.<br />

1956 zählte die <strong>Gechinger</strong> Schule in 8 Klassen 97 Schüler. 1960 waren es bereits 128 Schüler.<br />

Ein Um- oder Neubau stand zur Debatte. Die Gemeinde entschied sich für einen Neubau.<br />

Kurzfristig wurde die 4. Klasse in einen 1965 erbauten Pavillion in den Wolfswiesen<br />

ausgelagert. Dieses Gebäude wird heute als Kindergarten benutzt. Da die Schülerzahlen,<br />

durch die neuen Baugebiete weiter anstiegen, erstellte man am 1. Dezember 1966 als<br />

Zwischenlösung auf dem Platz des künftigen Schulgeländes zwei Pavillions. Dem Architekten<br />

gelang es, diese zwei Pavillions so mit dem Neubau zu verbinden, daß der ganze Komplex<br />

heute eine Einheit darstellt. Die neue Grund- und Hauptschule erhielt den Namen<br />

"Schlehengäuschule" und wurde am 13. September 1969 eingeweiht.<br />

Das alte Schulgebäude samt dem ehemaligen Feuerwehrgerätemagazin wurde 1982<br />

abgebrochen. Heute steht an dieser Stelle das Evangelische Gemeindehaus.<br />

150


1976 entschied das Schulamt, daß an die <strong>Gechinger</strong> Hauptschüler nach Althengstett zur<br />

Schule gehen mußten, weil in Gechingen aufgrund nicht ausreichender Schülerzahlen keine<br />

Hauptschule mehr geführt werden könne. Die dadurch freiwerdenden Klassenräume wurden<br />

in dieser Zeit von Sonderschülern aus dem Kreis Calw benutzt. Die Schüler der Klassen 9 der<br />

Hauptschule von Althengstett wurden nach Gechingen gefahren und hier unterrichtet.<br />

Lediglich die damaligen Klassen sieben und acht wurden nach Althengstett verlegt, die<br />

Hauptschulklassen fünf und sechs blieben in Gechingen.<br />

In den Jahren 1976 bis 1978 bemühten sich Bevölkerung, Gemeinderat und<br />

Gemeindeverwaltung um Rücknahme dieser Verfügung des Schulamts. 1979 schließlich<br />

hatten sie Erfolg. Am 17. 4. 1979 teilte das Staatliche Schulamt Bürgermeister Dannemann<br />

mit: "Ab dem Beginn des neuen Schuljahres am 1. 8. 1979 wird wieder eine Grund- und<br />

Hauptschule in Gechingen geführt, und die Hauptschüler aus Gechingen scheiden aus der<br />

Nachbarschaftshauptschule in Althengstett aus."<br />

Heute unterrichten etwa 20 Lehrkräfte 250 bis 260 Schüler in ca. 350 wöchentlichen<br />

Unterrichtsstunden. Die Schlehengäuschule und ist ein "Vorreiter" in Bezug auf das<br />

sogenannte EBA (Erweitertes Bildungsangebot an der Hauptschule). Noch heute - trotz der<br />

finanziell schwierigen Situation - bestehen Arbeitsgemeinschaften, die von Schülern<br />

gewünscht und durchgeführt werden. Dabei steht ein verantwortlicher Lehrer als Koordinator<br />

im Hintergrund. Die Arbeiten werden außerhalb der normalen Unterichtszeit durchgeführt.<br />

Jedes Angebot sollte mit einem Ziel, das auch dargestellt wird, abgeschlossen werden.<br />

Grundsätzlich soll den Hauptschülern dadurch die Möglichkeit gegeben werden, ihre<br />

Fähigkeiten zu erkennen, zu fördern und zu beweisen.<br />

Im Jahre 1974 konnte in kurzer Bauzeit neben der Schule eine Kleinschwimmhalle erstellt<br />

werden. Außer den Schülern steht das Bad auch der Bevölkerung und den Vereinen zur<br />

Verfügung. Im Jahre 1984 besuchten ca. 11.220 Schüler und 28.800 Erwachsene das<br />

Hallenbad.<br />

1994 feierte die Schlehengäuschule ihr 25jähriges Jubiläum unter reger Beteiligung der<br />

Bevölkerung mit einem großen Schulfest und einem vergnüglichem Abend für Eltern und<br />

Lehrer.<br />

Die Lehrer<br />

um 1580: Altschulmeister Hans Aumersch stirbt.<br />

um 1584: Hans Kraußhaar *10.3. 1591<br />

oo um 1550 Walpurga +15. 3.1579<br />

1590 - 1625: Jakob Niethammer *um 1570 +14.12.1635<br />

oo 3.6.1590 Walpurga Spiegel *Gärtringen, 6 Kinder<br />

um 1592: Martin Riehm *um 1569 +3.10.1635<br />

oo 27.11.1592 Barbara Klein, 8 Kinder<br />

um 1613: Konrad Riehm *23.3. 1595 +20.12.1669 in Darmsheim<br />

oo 17.11.1613 Irmela Eisenhardt *4.2.1590 in Hengstett +17.2.1680 in Döffingen<br />

um 1619: Martin Riehm *18.4. 1597 +18.2.1675 (36 Jahre Dienst in Gechingen)<br />

1.oo 5.10.1619 Barbara Merk *um 1600 in Aidlingen,<br />

2.oo 7.10.1662 Elisabeth Baumann * Calw, 4 Kinder<br />

1626 - 1635: Jakob Niethammer<br />

151


um 1650: Hans Jerg Koch *2.3. 1624 +18.1.1711<br />

oo 14.10.1650 Agnes Riehm *2.9.1623 +11.5. 1687 4 Kinder<br />

um 1675: Jakob Koch *3.9.1653 +26.9.1729,<br />

1.oo 16.9.1675 Agnes Schneider *10.7.1653 +vor 1720,<br />

2.oo 11.6.1720 Anna Margareta Mayer *10.2.1690 5 Kinder<br />

um 1698 :Johann Peter Schnauffer *Calw<br />

1.oo 12.7.1698 Anna<br />

2.oo 18.11.1727 Anna Katharina Kappis *1.7.1701 +21.6. 1775 7 Kinder<br />

um 1727: Johann Jakob Schnauffer (Barbier) *22.7.1701 +vor 26.9.1743,<br />

1.oo 8.7.1727 Anna Maria Gräber *9.8.1704 +vor 1733,<br />

2.oo 6.10.1733 Margareta Gehring *25.12.1711 +vor 1736,<br />

3.oo 28.11.1736 Anna Rosine Nüßle *Oberjesingen 7 Kinder<br />

um 1743: Georg Ludwig Kappis *26.8.1722 +21.11.1757,<br />

1.oo 14.7.1744 Christina Maria Hecker *7.7.1726 +um 1748,<br />

2.oo 22.7.1749 Anna Katharina Hagenlocher *5.10.1728 in Ostelsheim +22.2.1770 8 Kinder<br />

Kappis wurde am 17.8.1743 von Schultheiß, Pfarrer und Gemeinderat einstimmig als<br />

Schulmeister verpflichtet. Er mußte der Witwe seines Vorgängers eine<br />

Vierteljahresbesoldung geben.<br />

1758 - 1788: Georg Simon Kappis *28.11.1728 +14.10.1788<br />

oo 14.11.1758 Eva Katharina Fellnagel *20.1.1740 +17.6.1809 11 Kinder<br />

1788-1831: Georg Andreas Hartmann *13.9.1764 in Althengstett +17.12.1831<br />

oo 30.7.1789 Anna Johanna Rahmenstein *Eltingen. 4 Kinder<br />

Auf dem Friedhof kann man eine Tafel mit der Inschrift finden:<br />

"G. A. Hartmann, 43 Jahre Schullehrer dahier von 1788 - 1831, geb. am 1. 9. 1764, gest. 17.<br />

12. 1831".<br />

Um 1809: Georg Ludwig Schneider *17.8.1784 +Untertürkheim<br />

oo 21.11.1809 Eva Katharina Brackenhammer *10.12.1785 + Untertürkheim. 4 Kinder<br />

um 1829: Karl Gotthilf August Hartmann *18.12.1800 +4.4.1838<br />

oo 21.5.1829 Christiane Luise Schneider *7.12.1810 3 Kinder<br />

um 1829: Gottlieb Christoph Kopp*11.1.1801 in Dachtel, +13.1.1875,<br />

1.oo 29.6.1829 Johanna Luise Mammel *31.3. 1809 in Malmsheim, +4.11.1829 in Dachtel,<br />

2.oo 31.10.1831 Rosine Magdalena Deuble *2.6. 1811. 7 Kinder<br />

um 1839: Johann Jakob Jässle *7.4.1805 Horrheim, +Sept.1884<br />

oo 26.11.1839 Ernestine Philippine Bohnenberger *26.9. 1811 in Neuenbürg,<br />

Lehrer Jässle war der Gründer des Liederkranzes.<br />

um 1856: Johann Büttner, Mittelschullehrer, *23.3. 1825 in Gärtringen,<br />

oo 10.1. 1856 Johanna Kopp *7.1.1832 in Dachtel.<br />

152


1875 - 1887: Traugott Christian Frieß *12.6.1849 in Renningen,<br />

oo 13.5.1875 Rosine Pauline Koch *14.7.1854 Rohrdorf 8 Kinder.<br />

Frieß ging nach Aalen.<br />

um 1875: Jakob Schmid *25.6. 1847 in Ofterdingen,<br />

oo 9.12. 1875 Luise Karoline Friederike Haug *26.9.1845 in Garnberg, 8 Kinder.<br />

Jakob Schmid war Mittelschullehrer und ging nach Freudenstadt.<br />

um 1884 - 1897: Johann Georg Schürger *14.5.1858 in Wildenthierbach,<br />

oo 15.4.1884 Rosine Gottliebin Finkbeiner *31.12. 1853 in Schönegrund, 5 Kinder.<br />

Er ging nach Berlin-Tempelhof.<br />

um 1888: Gottlob Heinrich Pfäffle *18.11.1862 in Hausen a.W.,<br />

oo 4.8.1888 Barbara Dieter *17.7.1863 in Derendingen, 1 Kind.<br />

Er ging nach Truchtelfingen.<br />

um 1895: Georg Michael Eduard Kömpf. Er ging nach Ennabeuren.<br />

1896 - 1906: Gottlieb Friedrich Daniel Günther *20.5.1867 in Nagold,<br />

oo 21.9.1896 Dorothea Kirschner *24.4.1871 in Wimsheim. 4 Kinder<br />

Er ging nach Nagold.<br />

1897 - 1901: Lehrer Staiger, suspendiert<br />

1900 - 1904: Georg Friedrich Wiedmann *28.2.1864 in Heimsheim,<br />

oo 27.10.1891 Christina Pauline Gommel *14.5.1869 in Schöckingen 4 Kinder.<br />

Er ging 1904 nach Ostheim.<br />

1904 - 1912: Adolf Albrecht Friedrich Hofmann *5.12.1875 in Crailsheim,<br />

oo 4.10.1902 Julie Eugenie Volz *12.11.1878 in Fluorn, 1 Kind.<br />

Er ging nach Besigheim.<br />

1906 - 1914: Friedrich Bullinger, Oberlehrer. Er ging nach Schorndorf.<br />

1912 - 1916: Friedrich Süßer *10.5.1886 in Stachenhausen,<br />

oo 13.3.1913 Eugenie Martha Emma Rettich *Stuttgart. 1 Kind<br />

Er ging nach Alpirsbach.<br />

1917 - 1928: Friedrich Schrempf *30.8.1890 +1928<br />

1917 - 1929: Gustav Grötzinger *10.1.1891 in Renningen,<br />

oo 19.7.1919 Emilie Luise Brunner *13.9.1892 in Blaubeuren. 1 Kind<br />

Er ging nach Blaubeuren.<br />

um 1919: Friedrich Ziegler *27.11.1893 in Busenweiler,<br />

oo 29.2.1919 Pauline Jäger *3.12.1894 Stuttg.Gaisburg, 1 Kind<br />

1928 - 1941: Karl Gotthilf Heckeler *10.1.1898 in Ditzingen, +1941<br />

oo 26.5.1928 Rosine Maria Beutel *15.5.1899 in Winnenden, 2 Kinder.<br />

1929 - 1938: Andreas Sehburger. Er ging nach Calw. 2 Kinder<br />

153


1930 - 1937: Karl Friedrich Essig *13.12.1902 in Gechingen, +3.8.1956<br />

oo 20.10.1932 Hedwig Anna Eberhardt *12.5.1903 Stuttgart +24.12.1976, 4 Kinder.<br />

Er ging nach Althengstett.<br />

1932 - 1933: Paul Friedrich Vetter *22.9.1910 in Gechingen, +13.11.1986 in Würzbach,<br />

oo 26.1. 1946 Anneliese Essig, Würzbach.<br />

1936 - 1937: Otto Schneider *29.1.1916 in Gechingen, oo Stieringer, Nagold.<br />

1938 - 1949: Karl Lorenz (1941-1948 Kriegsdienst)<br />

1946 - 1968: Paul Adolf Gottlob Schwarz *7.1.1903 in Gechingen, +17.1.1985,<br />

1.oo 24.7. 1931 Elise Klara Weinmann * 13.1.1910 in Neuhengstett +20.6.1939,<br />

2.oo 6.7.1940 Gertrud Schlecht *6.7.1905 in Stuttgart +15.1.1995, 3 Kinder<br />

1949 - 1957: Friedrich Binder<br />

1957 - ?: Helmut Pumbo *Holstre Estland<br />

Die Lehrer ab 1965 sind im Ortssippenbuch nachzulesen.<br />

Rektoren:<br />

Hans Stahl, Hartmut Benzing , Hans Büxenstein, Gerd Danisch<br />

Rathaus, Gemeindeverwaltung und Schultheißen<br />

Das Rathaus<br />

Mitten im Altort steht das alte Rathaus. Es wurde vor 1475 erbaut, 1857 gründlich renoviert<br />

und 1909 mit einem neuen Treppenhaus versehen. Aus der Zeit von Schultheiß Jörg Breitling<br />

(1525-1530) wissen wir, daß das Rathaus damals im allgemeinen leerstand und nur zu<br />

Amtsgeschäften besetzt war, es sei denn, der Schultheiß hatte auf seinem Kornboden im<br />

Rathaus zu tun.<br />

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts gibt eine Rechnung über das Rathaus Auskunft:<br />

"Inventarium über des Flecken Haus und Vorrat.<br />

3 tannene Tafeln<br />

1 Tisch von Tannenholz<br />

1 kleine abschließbare Truhe für Geld und Akten<br />

1 Eisen zum Zeichen (Brenneisen)<br />

1 eiserner Leuchter und 2 Flinten<br />

3 Zwillichkittel und 2 Feuerfahnen<br />

1 Schrand ohne Lehne (mehrsitzige Bank)<br />

1 alter Kasten."<br />

Auf dem Rathausdach hängt in einem Türmchen auf dem First das Rathausglöcklein. Unsere<br />

Vorfahren lebten ohne Uhren. Während die Kirchenglocken mit ihrem Läuten zu bestimmten<br />

Tageszeiten das Zeichen zum Aufstehen gaben oder die Zeit zum Kochen signalisierten oder<br />

daran erinnerten, daß die Kinder nach Hause und ins Bett mußten oder daß es Zeit zum Beten<br />

war, wurde mit dem Rathausglöcklein bis vor ca. 30 Jahren geläutet, wenn bei der Gemeinde<br />

etwas Besonderes anlag. Betätigt hat es der Gemeindepfleger oder der Schütz. Die Bürger<br />

154


wurden damit aufgerufen, verschiedenen Zahlungs- oder sonstigen Verpflichtungen<br />

nachzukommen, auch sollte auf Ver-anstaltungen der Gemeinde aufmerksam gemacht<br />

werden. Ob die Bürger zum Entrichten der Grundsteuer, des Holzgelds, der Hagelschaden-<br />

versicherung, der Feuerwehrabgabe aufgefordert oder auf Versteigerungen, Schafpferch-<br />

verkauf, Kartoffelkäfersammeln, Obstverkauf, Vergabe der Farrenwiesen und<br />

Akkordvergaben aller Art hingewiesen werden sollten, alles wurde durch das<br />

Rathausglöckchen angekündigt. Säumige wurden durch nochmaliges kräftiges Bimmeln<br />

gemahnt, endlich zu erscheinen. Der helle Klang der Rathausglocke alarmierte aber auch die<br />

Einwohner bei Kriegsgefahr und Feuersnot. Beim großen Brand 1881 rannte der damalige<br />

Nachtwächter Mack im Nachthemd auf das Rathaus und weckte mit der Glocke die Leute auf.<br />

Da im letzten Krieg die Luftschutzsirene erst im April 1945 nach monatelangem Papierkrieg<br />

montiert wurde, benutzte man die Rathausglocke auch zum Alarmieren bei Fliegeralarm. Seit<br />

wann das Glöcklein dort oben hängt, wissen wir nicht genau. Während des ersten Weltkrieges<br />

mußte es im Sommer 1917 abgeliefert werden; es sollte zu Munition verarbeitet werden. Nach<br />

Kriegsende 1918 beschloß der Gemeinderat im November 1919: "Da ein geordneter Betrieb<br />

auf dem Rathause ohne Glocke nicht durchführbar ist, wird die Firma Kurtz in Stuttgart<br />

beauftragt, eine neue Glocke im Gewicht von 150 Kilo und dem Preis von 3450 Mark zu<br />

liefern."<br />

Als in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts die Bevölkerung so stark zugenommen<br />

hatte, daß das Rathaus für die Verwaltungsaufgaben zu klein geworden war, beschloß die<br />

Gemeinde einen Neubau. Das Gasthaus "Adler" wurde gekauft und abgebrochen und auf<br />

diesem zentralen Platz das neues Rathaus errichtet. 1972 waren die Bauarbeiten<br />

abgeschlossen.<br />

Das alte Rathaus, 1980 umgebaut und renoviert, ist ein Schmuckstück unseres Ortes<br />

geworden. Es dient als Kinderstube, enthält einen Übungsraum für den Chor und beherbergt<br />

den örtlichen Polizeiposten.<br />

Das Amt<br />

Der Name "Schultheiß" entstand aus "Schuld", jemand etwas schuldig sein und "heischen,“<br />

etwas fordern. Der Schultheiß hatte die Gemeindeglieder dazu anzuhalten, ihre Schuldigkeiten<br />

gegenüber den Fürsten oder Grundherren zu entrichten. Die Bezeichnung "Schultheiß" wird<br />

um das Jahr 536 zum erstenmal genannt. Die Franken bezeichneten damit den Ortsrichter,<br />

also den Ortsvogt der Herrschaft. Als Zeichen seiner Gewalt führte er den Gerichtsstab mit der<br />

Schwurhand. Der Schultheiß hatte den Vorsitz im Dorfgericht, das aus sieben bis zwölf<br />

Geschworenen bestand. Die Mitglieder wurden in alten Protokollen mit ihrem Namen und<br />

dem Zusatz "des Gerichts" aufgeführt. Im Volksmund hießen sie "die Herren". Der wichtigste<br />

von ihnen war der Gemeinderechner, anfangs "Heimbürge", später "Bürgermeister" genannt.<br />

Seine Aufgabe war die Verwaltung des Gemeindevermögens, worüber er jährlich Rechnung<br />

legen mußte. In Gechingen hieß er "Gemeindepfleger". Der Bürgermeister, auch Dorfmeister<br />

oder Bauernmeister genannt, war ursprünglich der Vorsteher und Vertreter der Gemeinde und<br />

wurde von ihren Bürgern gewählt, der Schultheiß der Vertreter der Herrschaft und wurde von<br />

ihr ernannt.<br />

Als Gechingen 1308 an das Kloster Herrenalb fiel, wurde es vom Klosteramt Merklingen aus<br />

verwaltet. Der Schultheiß wurde von dort eingesetzt und bestätigt. Unmittelbarer Vorgesetzter<br />

des <strong>Gechinger</strong> Schultheißen war der Klosteramtmann in Merklingen. Das änderte sich auch<br />

nicht, als das Kloster säkularisiert und württembergisch wurde. Die württembergischen<br />

Herzöge ließen die Klosterämter bestehen, an ihrer Spitze stand nun ein evangelischer Prälat.<br />

Die Gesamtheit der Städte und Ämter bildete die Landschaft, ihr Organ war der Landtag. Bei<br />

Klosterämtern vertrat der Prälat an ihrer Spitze das Klosteramt im Landtag, es gab<br />

155


egelmäßige Versammlungen der Schultheißen, die dort dem Prälaten die Angelegenheiten,<br />

von denen sie wünschten, daß sie im Landtag zur Sprache kämen, vorbringen konnten.<br />

Wenn man die Liste der uns bekannt gewordenen <strong>Gechinger</strong> Schultheißen im Hinblick auf<br />

ihre Amtszeiten betrachtet, fällt auf, daß, bis auf Lorenz Reisser II (1550-1558) und dadurch<br />

bedingt, der anschließende Schultheiß Lorenz Weiß (1558-1565), sie immer fünf Jahre lang<br />

oder ein Mehrfaches davon amtierten, Schultheißenwechsel trat jeweils zum Ende einer<br />

Dekade oder deren Hälfte ein (z.B. 1525, 1530, 1540, 1550). Auch nach der Unterbrechung<br />

1558, die sich durch einen unvorhersehbaren Notfall, wie Krankheit oder Tod, erklären ließe,<br />

stellte sich der alte Rhythmus schnellstmöglich wieder ein. Es wäre denkbar, daß der<br />

Schultheiß jeweils nach fünf Jahren im Amt bestätigt werden mußte und es dann entweder zur<br />

Verlängerung seiner Dienstzeit um fünf Jahre oder zu einem Amtswechsel kam.<br />

In der ersten Zeit der bekannt gewordenen Schultheißen sind Verwandtschaften nachgewiesen<br />

(Lorenz Reisser I und II z. B. waren Vater und Sohn); aber die Unterlagen sind um diese Zeit<br />

noch so lückenhaft, daß man nicht entscheiden kann, ob sie aus Gechingen kamen oder von<br />

außerhalb. Nur von Hans Mitschele (1570-1580) wissen wir sicher, daß er gebürtiger<br />

<strong>Gechinger</strong> war.<br />

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden die Amtszeiten unregelmäßig. Etwa um die gleiche<br />

Zeit übernahmen nachweislich ausschließlich ortsansässige <strong>Gechinger</strong> Bürger das<br />

Schultheißenamt. Weitaus die meisten waren gebürtige <strong>Gechinger</strong>, vereinzelt kommen auch<br />

eingeheiratete vor, die jedoch alle schon längere Zeit in Gechingen lebten, ehe sie das<br />

Schultheißenamt antraten. Letzteres gilt auch für Jakob Niethammer (1616-1635), der zwar<br />

als Schulmeister von außerhalb kam und auch nicht mit einer <strong>Gechinger</strong>in verheiratet war,<br />

doch natürlich in Gechingen Bürgerrecht hatte. Es läßt sich nicht denken, daß Schultheißen<br />

aus Gechingen ohne die Zustimmung der Bürger ihr Amt antraten, also lediglich von der<br />

vorgesetzten Behörde ernannt wurden. So mag überall die Entwicklung dahingehend<br />

verlaufen sein, daß die Gemeinden mehr und mehr Mitspracherecht bei der Besetzung des<br />

Schultheißenamts bekamen. Es war deshalb folgerichtig, daß sich nach dem Dreißigjährigen<br />

Krieg in Altwürttemberg die Gemeinden das Recht nahmen, ihren Schultheißen selbst zu<br />

wählen. In Gechingen sind bis 1844, als Notar Pregizer aus Calw Schultheiß wurde, nur<br />

<strong>Gechinger</strong> im Amt gewesen, die fast alle immer wieder aus den gleichen Familien kamen und<br />

vielfältig miteinander verwandt waren, oft auch über ihre Frauen.<br />

Der Bürgermeister war als Vertreter der Gemeinde an die zweite Stelle gerückt. Zum<br />

Bürgermeister gehörte der Rat, seine Mitglieder wurden in den Protokollen mit ihrem Namen<br />

und dem Zusatz "des Rats" aufgeführt. Der Rat war also der Ausschuß der Gesamtgemeinde.<br />

Gericht und Rat bildeten zusammen die Ehrbarkeit. Die Aufgaben waren etwa die gleichen<br />

wie beim Nachfolger, dem heutigen Gemeinderat.<br />

Schultheiß und Bürgermeister, die meist Bauern und Handwerker waren, waren immer mehr<br />

auf die Dienste der beamteten Schreiber angewiesen, auch bei den komplizierten<br />

Erbauseinandersetzungen, bei Aufstellung von Inventarien usw. genügten die Dienste der<br />

Schulmeister bald nicht mehr. Als das Verwaltungswesen schwieriger wurde, mußten die<br />

Gemeinden zuweilen auch die Unterstützung der Aktuare und Notare als Außenbeamte von<br />

Oberamt und Amtsgericht in Anspruch nehmen..<br />

Ein Beispiel, wie die Obrigkeit das Leben der Bürger beeinflußte und regelte, ist die<br />

nachstehende "Heiratserlaubnis" von 1768. Jeder Heiratswillige mußte sie beim Kloster-<br />

0beramt in Merklingen schriftlich einholen. Nach Genehmigung des Heiratsgesuchs wies<br />

dann der Oberamtmann brieflich den Pfarrer und den Schultheißen an, die Trauung<br />

vorzunehmen. Ein solcher Brief lautete:<br />

"Hochwohlerwürdiger und Hochgelehrter Herr Pfarrer und geliebter Schultheiß!<br />

156


Am 6. Mai ist der Herzoglich gnädige Befehl ergangen, daß sich Johann Jakob Gehring,<br />

Bürger und Zeugmachergesell zu Gechingen mit Maria Agnes Braitlingin, daselbst, gegen<br />

Erlegung eines Reichsthalers verheiraten dürfe. Ihr könnt jetzt die Proklamation und<br />

Kopulation vornehmen, aber dabei besorgt zu sein, daß die zwei Reichsthaler zuvor bezahlt<br />

sind. Mit der Gnade Gottes belassen. 13. Oktober 1768. Oberamtmann Öttinger"<br />

Der Oberamtmann in Merklingen war der Vertreter der staatlichen Behörde, aber aus diesem<br />

Brief geht klar hervor, daß kirchliche und staatliche Obrigkeit - zumindest auf dem Dorf - als<br />

Einheit angesehen wurden.<br />

Der Schultheißeneid lautete um 1772: "Ihr werdet geloben und schwören, daß Ihr dem<br />

gemeinen Flecken Gechingen getreu und hold sein wollet, dessen Schaden mit möglichstem<br />

Fleiß warnen und wenden, seinen Nutzen schaffen und fördern werdet, den Untertanen und<br />

Amtsangehörigen, den Reichen wie den Armen, den Einheimischen wie den Fremden ohne<br />

Ansehen der Person rechtmäßigen, ehrbaren und unparteiischen Bescheid geben wollet.<br />

Ferner habt Ihr als ein gutgesinnter, tugendhafter und eifriger Schultheiß, der von Gott in<br />

seinem Wort so teuer anbefohlenen Witwen und Waisen, Verlassenen und Hilflosen Euch<br />

unverzüglich anzunehmen, auch insgemein zu des Fleckens Wohlfahrt und unter Euren<br />

Mitbürgern die möglichste Glückseligkeit zu verbreiten."<br />

Als es Friedrich von Württemberg unter Napoleon gelang, sein Gebiet auf mehr als das<br />

Doppelte zu vergrößern, und Württemberg Königreich wurde, hob er in Altwürttemberg 1805<br />

die Verfassung auf. Der Landtag wurde aufgelöst. Die Verwaltung, auch auf kommunaler<br />

Ebene, wurde zentralisiert. Dem Königreich Württemberg (seit 1806) fehlten zunächst alle<br />

Elemente der Selbstverwaltung. Die Schultheißen wurden auf Lebenszeit ernannt, die<br />

Amtsbezirke neu eingeteilt, ihre Gebiete im allgemeinen vergrößert. Alle Klosterämter, auch<br />

Herrenalb, wurden abgeschafft. Gechingen wurde 1808 dem Oberamt Calw zugeschlagen.<br />

Ziemlich sicher wurde in Gechingen nicht so heiß gegessen, wie gekocht wurde. Der<br />

Schultheiß zu dieser Zeit war Johann Michael Schneider, er war von 1796-1828 im Amt, hatte<br />

es also schon angetreten, als Friedrich, damals noch Herzog, zur Regierung kam, und<br />

überdauerte die gesamte Herrschaftszeit des Monarchen. Ebenso übten Pfarrer Klinger und<br />

Schulmeister Georg Andreas Hartmann schon vor Regierungsantritt Friedrichs ihr Amt aus.<br />

So mögen Veränderungen, wie die nunmehrige Zugehörigkeit zum Oberamt Calw, von den<br />

<strong>Gechinger</strong>n als nicht so einschneidend empfunden worden sein, denn die Männer an der<br />

Spitze des Dorfes blieben die alten - bis 1828 Schultheiß und Pfarrer, bis 1831 Schulmeister<br />

Hartmann.<br />

Unter König Wilhelm I (seit 1816) wurden die Verhältnisse wieder liberalisiert. Die<br />

Verwaltung der Finanzen und die Regelung von Gemeindeangelegenheiten blieben fortan den<br />

Kommunen selber überlassen, auch der Polizeidienst wurde in Selbstverwaltung<br />

übernommen. Bürgermeister und Gemeinderat wurden auf Lebenszeit von den Bürgern<br />

gewählt. Neben dem Gemeinderat gab es noch den Bürgerausschuß, der keine Beschlüsse<br />

fassen durfte, aber den Gemeinderat überwachte. Der Schultheiß führte, wie seither,<br />

nebenberuflich die Geschäfte der Gemeinde, auch bei ihm war vorgesehen, daß er auf<br />

Lebenszeit im Amt verblieb.<br />

Von August Lämmle ist ein Spruch überliefert, der die Rechte und Pflichten eines<br />

Schultheißen wiedergibt:<br />

"Red du.<br />

Gott hört zu.<br />

Das Alte heg.<br />

Das Neue wäg.<br />

Das Recht wohl miß.<br />

Eigenen Vorteil vergiß.<br />

157


Zu gemeinem Nutz<br />

Hau, stich und trutz.<br />

Der Wort zwei<br />

Sein besser denn drei.<br />

Wo ein Ding faul,<br />

Da brauch das Maul.<br />

Sonst schweig still:<br />

Das ist Gott`s Will. "<br />

Württemberg, das immer zäh an der Überlieferung festhielt, behielt den Namen "Schultheiß"<br />

bis 1929 bei. Der Name "Bürgermeister" hat sich dann reibungslos eingebürgert.<br />

Die Schultheißen<br />

Der "Amtmann" von ca. 1450 - 1475.<br />

Vom ersten nachweisbaren Amtsinhaber wissen wir den Namen nicht, doch sein<br />

Schwiegersohn und späterer Nachfolger Konrad Schneider sagte bei einer Zeugenvernehmung<br />

aus: "Als mein Schwäher (Schwiegervater) Amtmann in Gechingen war, sind 2 Pfändungen<br />

gewesen".<br />

Der Amtmann dürfte um 1450 seinen Dienst aufgenommen und ihn bis ungefähr 1475<br />

ausgeübt haben.<br />

Konrad Schneider von ca. 1475 - 1505.<br />

Aus den Akten sehen wir, daß er um 1500 beinahe 30 Jahre im Amt war. An einer anderen<br />

Stelle ist die Rede von "des Schultheißen Kunrad Schneiders Hus und Hof, Scheuer und<br />

Garten mit aller Zugehörd an dem Hengstetter Tor."<br />

Hans Breitling von ca. 1505 - 1525.<br />

Er ist im Lagerbuch von 1547 erwähnt, hat um 1520 eine Margareta geheiratet und starb um<br />

1559.<br />

Jörg Breitling von ca. 1525 - 1530<br />

Wir wissen wenig über ihn, er hat um 1525 geheiratet und zinst dem Kloster Reutin,<br />

Wildberg. Der Lohn eines Schultheißen betrug damals sieben Gulden im Jahr, dazu kamen<br />

dann noch Tagegelder für Käufe und Verkäufe<br />

Lorenz Reisser von ca. 1530 - 1540.<br />

Er heiratete um 1525 eine Ursula.<br />

Von Lorenz Reisser ist aktenkundig, daß er mit drei Ratsangehörigen nach Böblingen<br />

befohlen wurde, um Auskunft über die <strong>Gechinger</strong> Wälder zu geben.<br />

Michael Riehm von ca. 1540 - 1550.<br />

Er wird im Güterlagerbuch 1547 erwähnt und heiratete um diese Zeit eine Barbara. Er starb<br />

vor 1559.<br />

Lorenz Reisser II von ca. 1550 - 1558.<br />

Er war ein Sohn des Schultheißen Reisser, heiratete am 14.12.1572 eine Ursula Eisenhardt aus<br />

Dachtel und starb am 28.6.1580.<br />

Lorenz Weiß von ca. 1558 - 1565.<br />

Zusammenhänge mit den heute hier lebenden Weiß ließen sich nicht feststellen. Es fehlen<br />

auch alle sonstigen Angaben.<br />

158


Steffen Bastian von ca. 1565 - 1570.<br />

Er war der Schwiegersohn des Schultheißen Michael Riehm.<br />

Hans Mitschele von ca. 1570 - 1580.<br />

Er hieß auch der Oberhans oder Vollmitschele und stammt mit Sicherheit aus Gechingen. Er<br />

heiratete um 1553 eine Christina. Zwei Söhne gingen nach auswärts.<br />

Hans Schneider II von ca. 1580 - 1589.<br />

Er heiratete um 1577 eine Agnes.<br />

Jakob Fellnagel von ca. 1589 - 1605.<br />

Um 1575 heiratete er Anna Brackenhammer aus Gechingen.<br />

Hans Schneider III von ca. 1605 - 1615.<br />

Er war der Sohn des Hans Schneider II, von Beruf Knapp, das heißt Zeugmacher. Am<br />

11.2.1590 heiratete er Anna Abermann, die um 1570 geboren wurde und am 10.9.1658<br />

verstarb.<br />

Jakob Niethammer von ca. 1616 - 1635.<br />

Er war von Beruf Schulmeister, wurde um 1570 geboren und verheiratete sich am 3.6.1590<br />

mit Walpurga Spiegel von Gärtringen. Jakob Niethammer starb am 14.12.1635 mit 65 Jahren,<br />

er blieb also bis zu seinem Tod im Amt.<br />

Georg Quinzler von ca. 1635 - 1644.<br />

Georg (Jerg) Quinzler wurde am 15.1.1608 geboren, sein Todestag ist nicht bekannt. Im Jahre<br />

1633 heiratete er Margareta Kappis.<br />

Hans Brackenhammer von ca. 1644 - 1660.<br />

Er wurde am 6.1.1603 geboren und heiratete am 28.11.1626 Agatha Vogt. Auch Hans<br />

Brackenhammer war bis zu seinem Tod am 3.6.1660 im Amt. Als er mit seiner Familie und<br />

anderen <strong>Gechinger</strong>n 1647 nach Calw flüchtete, wurde ihm dort ein Kind geboren, das bald<br />

darauf starb.<br />

Hans Schneider IV von ca. 1660 - 1668.<br />

Er wurde am 23.12.1598 geboren, als Sohn des Schultheißen Hans Schneider und starb am<br />

22.11.1668 mit 70 Jahren. Am 22.5.1621 hatte er sich mit Katharina Gerlach aus Ostelsheim<br />

verheiratet. Alle fünf Kinder starben in jungen Jahren.<br />

Bernhard Kappis von ca. 1668 - 1678.<br />

Bernhard Kappis kam am 13.3. 1632 zur Welt, sein Todestag ist unbekannt. Mit Agatha<br />

Brackenhammer, Tochter des Schultheißen Hans Brackenhammer, schloß er am 15.11. 1653<br />

die Ehe.<br />

1662 verkauften Schultheiß und Waisengericht im Namen Hans Brackenheimers "der<br />

blödigkeitshalber an Ketten liegt", Felder und Wiesen.<br />

Leonhard Röckle von ca. 1679 - 1690.<br />

Leonhard (Lienhardt) Röckle, von Beruf Bader, wurde um 1643 in Aidlingen geboren. Um<br />

1670 verheiratete er sich mit Maria Wohlpold aus Gechingen. Er starb um 1695<br />

159


Hans Ziegerer von ca. 1690 - 1694.<br />

Er war der Enkel des Schultheißen Hans Brackenhammer, wurde am 10.2.1643 geboren und<br />

starb um 1700. Am 7.7.1663 verheiratete er sich das erste Mal mit Christina Mitschele und<br />

das zweite Mal um 1700 mit einer Margareta.<br />

Hans Jakob Eisenhardt von ca. 1694 - 1730.<br />

Hans Jakob Eisenhardt, geboren am 5.9.1653, Todestag unbekannt, verheiratete sich das erste<br />

Mal am 29.6.1675 mit der Tochter des Schultheißen Bernhard Kappis, Agatha Kappis.<br />

Nachdem Agatha Kappis am 24. 4.1696 starb, heiratete Hans Jakob Eisenhardt am 26.1.1697<br />

Christiana Rephuhn.<br />

Hans Jakob Eisenhardt hatte die längste Amtszeit, die ein <strong>Gechinger</strong> Schultheiß je hatte, er<br />

brachte es auf 36 Dienstjahre.<br />

Hans Jakob Eisenhardt von 1730 - 1735.<br />

Als Sohn des Schultheißen Hans Jakob Eisenhardt wurde er am 5.3.1678 geboren. Sein<br />

Todestag ist unbekannt. Er war badischer Stiftsschaffner (Verwalter der Güter des Collegiat-<br />

Stifts Baden-Baden in Gechingen). Am 20.10.1696 schloß er die Ehe mit Anna Magdalena<br />

Heider.<br />

Hans Bernhardt Kappis von ca. 1735 - 1748.<br />

Als Sohn des Schultheißen Bernhardt Kappis wurde er am 6.12.1698 geboren und starb am<br />

26.1.1767. Die Ehe schloß er am 4.11.1721 mit Anna Katharina Böttinger.<br />

Johann Georg Quinzler von ca. 1748 - 1768.<br />

Er wurde als Urenkel des Schultheißen Georg Quinzler am 13.4.1707 geboren. Er starb am<br />

6.5.1778 durch einen Sturz in der Scheuer. Mit der Urenkelin des Schultheißen Hans Jakob<br />

Eisenhardt, Agatha Köhler, ging er am 14.10.1727 die Ehe ein.<br />

Johann Jakob Brackenhammer von ca. 1768 - 1796.<br />

Er war der erste Brackenhammer auf der Mühle, von Beruf Beck und Lammwirt. Geboren am<br />

3.12. 1719, verstorben am 10.6.1796, heiratete er am 23.10.1742 Marie Agnes Hecker. Als sie<br />

am 8.9.1748 starb, heiratete Johann Jakob Brackenhammer am 22.10. 1749 Anna Magdalena<br />

Schnauffer.<br />

Johann Michael Schneider von ca. 1796 - 1828.<br />

Er war von Beruf Chirurgus und wurde am 11.3.1757 als Urenkel des Schultheißen Jakob<br />

Niethammer geboren. Am 30.10.1783 verheiratete er sich mit der Enkelin des Schultheißen<br />

Hans Bernhardt Kappis, Maria Katharina Kappis. Johann Michael Schneider starb am<br />

31.7.1836 mit 79 Jahren.<br />

Johann Georg Kappis von ca. 1828 - 1831.<br />

Er war der Enkel des Schultheißen Hans Bernhardt Kappis und wurde am 11.12.1780 geboren<br />

und starb am 5.10.1832. Mit Katharina Barbara Rüffle ging er am 14.5.1805 die Ehe ein.<br />

Christof Friedrich Ziegler von 1831 - 1832.<br />

Am 5.3.1793 wurde Christof Friedrich Ziegler in Waiblingen geboren und verheiratete sich<br />

am 2.2.1818 in Gechingen mit Katharina Wochele, die aber schon am 9. 10.1820 verstarb. Sie<br />

war die Tochter des Hirschwirtes Georg Achatius Wochele. Die zweite Ehe wurde am 21. 4.<br />

1822 geschlossen. Die Braut war die Urenkelin des Schultheißen Johann Georg Quinzler,<br />

Marie Magdalena Kühnle. Christof Friedrich Ziegler verstarb am 19.1.1833.<br />

160


Johann Georg Quinzler von 1832 - 1841.<br />

Der Bier- und Lammwirt Johann Georg Quinzler wurde am 17. 7.1778 geboren, als Enkel des<br />

Schultheißen Johann Georg Quinzler und heiratete am 23.2.1802 Rosine Magdalena Gehring,<br />

Tochter des Lammwirts Johann Georg Gehring. Johann Georg Quinzler starb am 5.8.1848.<br />

Zu Quinzlers Amtszeit wurde überall die "Bauernbefreiung" durchgeführt, das heißt, die auf<br />

dem Boden liegenden Lasten, wie Naturalabgaben, Geldzinsen und Frondienste wurden mit<br />

Geld abgelöst (siehe auch "Königreich Württemberg", unter "Gechingen in geschichtlicher<br />

Zeit"). Über Schultheiß Quinzler erschien zu dieser Zeit folgende Notiz im Calwer<br />

Wochenblatt:<br />

"Calw (Öffentliche Belobung)<br />

Nachgenannte Ortsvorsteher werden wegen der von ihnen bei Vollziehung der Ablösungsgesetze,<br />

namentlich der Böden- und Frohnablösungsgesetze vom 27. und 28. Okt. 1836 in<br />

ihren Gemeinden bewiesenen besonderen Thätigkeit, in Folge Auftrags der K. Kreisregierung,<br />

hiemit öffentlich belobt, nämlich:<br />

Schuldheiß Quinzler und Rathsschreiber Schraishan in Gechingen<br />

Schuldheiß Ayasse zu Neuhengstätt<br />

Schuldheiß Repphun zu Simmozheim und<br />

Schuldheiß Roller zu Stammheim.<br />

Den 6. Juni 1839. K. Oberamt. In leg. Abw. des OAmtm. der ges. Stellvertreter<br />

Akt. Buttersack."<br />

Am 19. Jan. 1839 erschien in der gleichen Zeitung eine Annonce, die auf die öffentliche<br />

Versteigerung von "gut gesponnenem hänfenen Garn" hinwies. Unterzeichnet war mit:<br />

"Gemeinschaftliches Amt. Pfarrer Klinger. Schuldheiß Quinzler." Das läßt darauf schließen,<br />

daß die Bestrebungen des Pfarrer Heinrich Theodor Klinger (siehe diesen), den armen Leuten<br />

in Gechingen zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, von Schultheiß Quinzler voll<br />

unterstützt wurden und geistliche und staatliche Obrigkeit eine Einheit bildeten.<br />

Georg Ludwig Schumacher von 1841 - 1844 und 1848 - 1865.<br />

Georg Ludwig Schumacher, Bauer, wurde am 7.2.1800 geboren und verstarb am 19.6.1880.<br />

Am 15.5.1827 heiratete er die Tochter Eva Katharine des Schultheißen Johann Georg Kappis,<br />

die aber zehn Jahre später am 8.9.1837 starb. Sie hinterließ fünf Kinder, so daß Schumacher<br />

am 1.5.1838 Anna Maria Schneider ehelichte. Ein weiteres Kind kam aus dieser Ehe, die<br />

durch den Tod der zweiten Ehefrau am 20.11.1839 getrennt wurde. Am 27.5.1844 verheiratete<br />

der Witwer sich zum dritten Mal mit der Witwe des Schultheißen Christof Friedrich Ziegler,<br />

Marie Magdalena Kühnle, die inzwischen ihren zweiten Mann, den Ratschreiber Christian<br />

Friedrich Schraishan, verloren hatte. Diese Ehe blieb kinderlos.<br />

Friedrich Wilhelm Pregizer von 1844 - 1848.<br />

Der königliche Notar Friedrich Wilhelm Pregizer wurde am 24. 5.1794 in Grünbach bei<br />

Freudenstadt geboren. Er heiratete in Calw am 13.10.1827 Auguste Friederike Speidel aus<br />

Großsachsenheim. 1846 erbaute er das Haus Calwer Straße 22 in Gechingen. Warum er nur<br />

vier Jahre lang Schultheiß war, konnte noch nicht geklärt werden. Entweder waren die Bürger<br />

mit seiner Amtsführung nicht zufrieden, was mit den Unruhen von 1848 zusammenhängen<br />

könnte (siehe auch "Von der Revolution 1848/49 bis 1870" unter "Gechingen in<br />

geschichtlicher Zeit“), oder sie konnten sich nicht damit abfinden, daß jemand von außerhalb<br />

des Dorfes Schultheiß wurde. Sein Todestag ist nicht bekannt. Er starb in Calw.<br />

Zweite Amtszeit Georg Ludwig Schumachers von 1848-1865<br />

161


Als Folge der Revolution von 1848 wurden kirchliche und staatliche Befugnisse mehr und<br />

mehr getrennt. Zum Beispiel beschloß der Kirchenkonvent 1852, eine Suppenanstalt<br />

einzurichten. Die bürgerliche Gemeinde weigerte sich, weil sie den Kirchenkonvent nicht als<br />

gesetzliche Armenbehörde anerkennen wollte.<br />

Otto Friedrich Ziegler von 1865 - 1895.<br />

Er wurde als Sohn des Schultheißen Christof Friedrich Ziegler am 18.11.1831 in Gechingen<br />

geboren. Er war zunächst Ratsschreiber in Gechingen und heiratete am 8.2.1853 die Tochter<br />

des Schultheißen Georg Ludwig Schumacher, Katharina Magdalena Schumacher.<br />

Schultheiß Ziegler muß ein selbstbewußter, selbständig denkender und handelnder Mann<br />

gewesen sein, der Auseinandersetzungen nicht scheute. Viele voneinander abweichende<br />

Gerüchte, wie er nach dem großen Brand eine aufgelockertere Bauweise an der Gartenstraße<br />

und eine breite Ortsdurchfahrt durchsetzte; sicher ist, daß er dem Gemeinderat seinen Willen<br />

mehr oder weniger aufzwang. Heute noch wird diese weitblickende Entscheidung von den<br />

Verkehrsteilnehmern gewürdigt, auch wenn viele nicht wissen, auf wen sie zurückgeht.<br />

Als Schultheiß Ziegler im Calwer Wochenblatt angegriffen worden war, weil er an einer Versammlung<br />

nicht teilgenommen hatte, setzte er sich in der gleichen Zeitung folgendermaßen<br />

zur Wehr:<br />

"Obwohl ich dem Hrn. Berichterstatter über die <strong>Gechinger</strong> Volksversammlung keine<br />

Rechenschaft über meine Handlungen oder Unterlassungen schuldig bin, so muß ich doch<br />

kurz bemerken, daß ich bloß deshalb durch meine Abwesenheit glänzte, weil dies Andere<br />

durch ihre Anwesenheit thaten.<br />

Schultheiß F. Ziegler."<br />

Schultheiß Ziegler konnte sich also auch schriftlich sehr gewandt ausdrücken und machte von<br />

dieser Gabe ohne Scheu Gebrauch. Bezeichnend für ihn ist ein Schriftwechsel, der sich ergab,<br />

als einem <strong>Gechinger</strong>, der in der Schweiz lebte, aber noch <strong>Gechinger</strong> Bürgerrecht hatte, die<br />

Heiratserlaubnis verweigert wurde. Die Eheschließung war inzwischen eine zivilrechtliche<br />

Angelegenheit geworden, damit traten moralische Ansprüche gegenüber finanzielle<br />

Erwägungen zurück. Eine Heirat wurde untersagt, wenn eine Gemeinde befürchtete, daß die<br />

aus der Ehe zu erwartenden Nachkommen von ihr "verhalten" werden mußten, weil die<br />

eigenen Mittel des Paares nicht ausreichten. Unser aus-wärtiger <strong>Gechinger</strong> stellte sicherlich<br />

einen Extremfall dar. Nachdem die zahlreichen Nachkommen aus seinen zwei Ehen über<br />

Jahrzehnte hinweg die Armenkasse der Gemeinde Gechingen stark in Anspruch genommen<br />

hatten, wollte der <strong>Gechinger</strong> Gemeinderat eine dritte Ehe nicht zulassen. Der Pfarrer von<br />

Bürgeln in der Schweiz versuchte, durch eine Eingabe beim württembergischen<br />

Innenministerium den Beschluß rückgängig zu machen, aber Schultheiß Ziegler stellte in<br />

einem Brief ans Innenministerium dar, weshalb die Gemeinde Gechingen gegen weiteres<br />

"unkontrolliertes Vermehren der Familie" war und beharrte auf der Verweigerung der<br />

Heiratserlaubnis, es sei denn, die ganze Familie nähme fortan Gechingen zum Wohnsitz.<br />

Schultheiß Ziegler starb am 6.7.1895 und wurde unter großer Anteilnahme der <strong>Gechinger</strong> am<br />

8. Juli begraben. Es kamen auch viele Auswärtige, denn er war als Vorstand des "Westlichen<br />

Gäusängerbundes" ein weit über Gechingen hinaus bekannter Mann.<br />

Karl Wilhelm Ladner von 1895 - 1918.<br />

Karl Wilhelm Ladner wurde am 22.4.1858 in Marbach am Neckar geboren und starb am 14.8.<br />

1918. Am 3.3. 1891 schloß er die Ehe mit Rosine Wilhelmine Kühnle, einer Verwandten des<br />

Schultheißen Johann Georg Quinzler. Der älteste Sohn, Richard Ladner, ist 1915 im ersten<br />

Weltkrieg gefallen.<br />

162


Ladner war Verwaltungsaktuar und vor seiner Wahl zum Schultheißen zehn Jahre lang in<br />

Gechingen tätig. Ein Wahlkomitee veröffentlichte vor der Wahl eine Art Flugblatt, in dem es<br />

heißt: "Ein Ortsvorsteher, der sein Amt ersprießlich und zum Segen der Gemeinde und ihrer<br />

Bürger führen soll, muß neben den nötigen Kenntnissen und Charaktereigenschaften in erster<br />

Linie frei und unabhängig nach allen Seiten sein, er soll in politischer Beziehung über den<br />

Parteien stehen und er darf insbesondere auch durch keine geschäftlichen Rücksichten, die<br />

ihm den freien Blick trüben und unparteische Entscheidungen erschweren, gebunden sein."<br />

Das könnte man auch heute noch unterschreiben.<br />

Die Schrift entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, wenn man berücksichtigt, daß Ladner<br />

einen Fabrikanten als Mitbewerber um das Schultheißenamt hatte, der ihm nur knapp<br />

unterlag.<br />

Ladner führte die Gemeinde in einer schwierigen Zeit. Er und auch seine Nachfolger hatten<br />

eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen, auf die in der allgemeinen Geschichte des Dorfes<br />

(siehe diese) näher eingegangen wurde.<br />

Gottlob Schmidt von 1918 - 1945.<br />

Er wurde am 2.10.1888 in Renningen geboren und heiratete am 30.5.1929 die Tochter des<br />

Schultheißen Karl Wilhelm Ladner, Maria Emma Ladner. Gottlob Schmidt starb am 3.4.1963.<br />

Auch Gottlob Schmidt war vor seiner Wahl zum Schultheiß Verwaltungsbeamter.<br />

Die Bürgermeister ab 1945<br />

Wilhelm Gottlob Gräber von 1945 - 1946.<br />

Wilhelm Gottlob Gräber wurde am 5.12.1886 geboren, er war Landwirt und Kellner und<br />

heiratete am 15. 5.1920 Rosine Pauline Kielwein. Zwei Kinder konnte das Ehepaar<br />

großziehen. Wilhelm Gottlob Gräber wurde am 1.11.1945 kommissarisch als Bürgermeister<br />

eingesetzt und war bis September 1946 im Amt.<br />

Otto Weiß von 1946 - 1978.<br />

Otto Weiß wurde am 27.1.1916 geboren und erlernte den Kaufmannsberuf. Er wurde dann<br />

zum Militär einberufen und nach seiner Rückkehr zum Bürgermeister gewählt. Am 12. 9.1953<br />

heiratete er Lotte Gehring.<br />

Rainer Dannemann von 1978 - 1994.<br />

Rainer Dannemann wurde am 29. 1.1944 geboren und heiratete am 26.8.1966 Monika geb.<br />

Koch.<br />

Jens Häußler von 1994 - heute<br />

Kulturelle Entwicklung<br />

durch Vereine und Vereinigungen<br />

Der Liederkranz<br />

Lehrer Jässle war der Gründer des Liederkranzes Gechingen. 1840 trafen sich unter seiner<br />

Leitung 15 Sänger zur ersten Chorprobe. Da in jener Zeit überall Gesangsvereine entstanden,<br />

kam bald der Wunsch auf, sich einer größeren Gemeinschaft anzuschließen. Als sich in<br />

Göppingen 1849 der Schwäbische Sängerbund zusammenfand, war der <strong>Gechinger</strong><br />

Liederkranz mit dabei. Mit Begeisterung nahm der junge Verein an Sängerfesten in<br />

Ludwigsburg 1856 und Tübingen 1857 teil. Damals war eine Fahrt in diese Städte noch fast<br />

163


eine Weltreise und nicht so einfach wie heute. Die damals ersungenen Pokale nehmen noch<br />

heute einen Ehrenplatz in den Vereinsräumen ein.<br />

Lehrer Jässle leitete den Verein bis 1868. Durchschnittlich waren es 20 Sänger. Danach ruhte<br />

die Vereinstätigkeit für ca. 4 Jahre, bis 1872 unter der Leitung des Lehrers Schwäble ein neuer<br />

Anfang gemacht wurde. Die nächsten Jahre waren eine unruhige Zeit für den Verein durch<br />

ständigen Wechsel in der Chorleitung, die nacheinander die Lehrer Büttner, Frieß und<br />

Pfrommer übernahmen. Im Jahr 1884, Vorstand war damals der weitblickende und tatkräftige<br />

Schultheiß Ziegler, wurde im Zusammenwirken mit Ernst Unger am 24. Mai der westliche<br />

Gäusängerbund, schlicht "Westgau" genannt, gegründet.<br />

Charakteristisch für diese Zeit war die Durchführung von Sängerwettstreiten, die anfangs<br />

jährlich, später noch alle zwei Jahre stattfanden. Der Verein war unter der musikalischen<br />

Leitung von Lehrer Pfäffle (1889 - 1897), Lehrer Wilhelm Breitling (1900 - 1901), Lehrer<br />

Günther (1902 - 1908) und Lehrer Bullinger (1908 - 1914) sehr aktiv an diesem Geschehen<br />

beteiligt. Die Vereinsleitung in diesen Jahren lag nacheinander bei Karl Maier, Karl Breitling<br />

und Ludwig Weiß. Der erste Weltkrieg brachte einen tiefen Einschnitt in das Vereinsleben;<br />

viele Sänger mußten einrücken. Zwei treue Sänger kehrten nicht mehr zurück.<br />

Nachdem sich das Leben nach dem Ende des Krieges wieder etwas normalisiert hatte, fanden<br />

sich am 1. Juni 1919 die Sänger wieder zusammen und begannen einige Monate danach unter<br />

der Leitung von Hauptlehrer Baier aus Dachtel wieder mit regelmäßigen Singstunden.<br />

Vorsitzender war bis 1921 der bereits erwähnte Ludwig Weiß. Danach wurde Otto Schaible<br />

zu seinem Nachfolger gewählt, der 1937 zum Ehrenvorstand ernannt wurde.<br />

1922 fand in Schömberg ein Preissingen statt, an dem sich der Verein erstmals nach<br />

Kriegsende wieder beteiligte. Die Aktivitäten der Vereinsangehörigen beschränkten sich nicht<br />

nur auf die Pflege des Liedgutes, sondern erstreckten sich auch in den schauspielerischen<br />

Bereich. Dabei hatte sich eine Laienspielschar zusammengefunden, die sich mit großem<br />

Erfolg selbst an schwierige Aufgaben heranwagte und u.a. auch Stücke der Heimatdichterin<br />

Tillie Jäger aufführte.<br />

1923 übernahm Oberlehrer Unger aus Stuttgart die Chorleitung. In erfolgreicher<br />

Zusammenarbeit mit den Vizedirigenten Adolf Breitling und Hauptlehrer Sehburger errang<br />

der Verein von 1923 bis 1931 fünf 1a und zwei 1b Preise. Dabei erreichte der Liederkranz<br />

zweimal die beste Tagesleistung und wurde 1928, der damaligen Klassifizierung<br />

entsprechend, in die Klasse "Kunstgesang" aufgenommen. Am 7.6.1931 feierte der Verein im<br />

Rahmen eines Gauliederfestes sein 90-jähriges Bestehen.<br />

Das Jahr 1935 brachte einen Höhepunkt in der Vereinsgeschichte. Bei einem Sängerfest in<br />

Freudenstadt erreichte der Liederkranz im "erschwerten Kunstgesang" die Bestleistung des<br />

Tages, die mit der Note "vorzüglich" bescheinigt wurde. Die begeisterten Zuhörer spendeten<br />

langanhaltenden Beifall.<br />

Durch einen Erlaß der damaligen Regierung mußten alle Vereine ihre Vermögen dem Staat<br />

übereignen. Um dem zu entgehen, machte der Liederkranz kurz entschlossen einen<br />

Vereinsausflug an den Bodensee und verbrauchte dabei das ganze Vereinsvermögen.<br />

1939 stand wieder ein Wechsel in der Chorleitung an, da Chorleiter Unger wegen<br />

Arbeitsüberlastung den Dirigentenstab niederlegte, den Lehrer Lorenz übernahm. Rudolf<br />

Unger wurde in Würdigung seiner Verdienste zum Ehrenchormeister ernannt. Lehrer Lorenz,<br />

der damals in die Bresche sprang, konnte nur zwei Jahre lang das Dirigentenamt ausüben, da<br />

er 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Doch erzielte der Liederkranz bei einem<br />

Wertungssingen unter seiner Leitung 1939 in Althengstett die Note "sehr gut". 1941 stellte<br />

sich Ehrenchormeister Unger wieder zu Verfügung und hat durch seinen Einsatz unserem Ort<br />

den Gesangverein erhalten können. Auch während des Krieges konnte die chorische Arbeit in<br />

eingeschränktem Umfang fortsetzt werden. So war man in der Lage, bei fast allen<br />

164


Trauergottesdiensten zu singen. Am Ende des Krieges hatte der Verein 13 gefallene und acht<br />

vermißte Sänger zu betrauern.<br />

Trotz der großen Lücken, die der zweite Weltkrieg hinterlassen hatte, war es möglich, die<br />

Arbeit des Liederkranzes fortzusetzen. Die Chorleiter Adolf Gehring und Rudolf Unger<br />

arbeiteten gut zusammen, unterstützt durch die damaligen Vorsitzenden Wilhelm<br />

Schumacher, Karl Böttinger und Otto Vetter. So konnte der Liederkranz am 26. und 27. Mai<br />

1951, im Rahmen des ersten Gauliederfestes des nach dem Krieg wieder erstandenen<br />

Westgaus, in Gechingen nachträglich sein 110-jähriges Jubiläum feiern. Es wurde ein<br />

gelungenes Fest.<br />

Am 26.10.1952 wurde in Ludwigsburg der Schwäbische Sängerbund nach dem Krieg neu<br />

gegründet. Als ehemalige Mitgründer nahm der Liederkranz Gechingen mit einer Abordnung<br />

daran teil. Im gleichen Jahr erreichte der Chor bei einem Wertungssingen in Dachtel unter der<br />

Leitung von Adolf Gehring mit dem Chor "Der Wagen rollt" die Tagesbestleistung mit der<br />

Benotung "sehr gut".<br />

Schon 1951 gab es Überlegungen, dem bis dahin reinen Männerchor einen Frauenchor anzugliedern.<br />

Mit dreißig aktiven Sängerinnen startete der Frauenchor sehr erfolgreich. Seither<br />

singen beide Chöre getrennt oder gemischt zur Freude aller Zuhörer. 1953 war der Verein für<br />

kurze Zeit ohne Dirigent. Dann hat sich jedoch mit dem Musiklehrer Reinhold Schäffer aus<br />

Stuttgart rasch ein neuer Chorleiter gefunden. Im Januar 1955 verstarb der Ehrenchormeister<br />

Rudolf Unger. Der Liederkranz geleitete seinen geschätzten und verehrten Dirigenten zu<br />

seiner letzten Ruhestätte und wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.<br />

Erfolgreiche chorische Arbeit in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wird durch folgende<br />

Ereignisse dokumentiert: 1955 durch die Teilnahme an einem Gaufest in Simmozheim, wobei<br />

dem Liederkranz für den Chor "Der Einsiedler" das Prädikat "mit Auszeichnung" zuerkannt<br />

wurde. Auch die Auftritte beim Rundfunksingen 1955 und 1959 fanden bei den Hörern guten<br />

Anklang, was durch begeisterte und dankbare Schreiben belegt ist, die dem Liederkranz<br />

zugesandt wurden. Als besondere Anerkennung darf auch die Überreichung der Zelterplakette<br />

am 15.3.1958 gewertet werden. Im Rahmen der Bundesversammlung des Schwäbischen<br />

Sängerbundes wurde dem Verein von Präsident Dr. Weiß diese Auszeichnung überreicht. Sie<br />

ist eine Stiftung des ehemaligen Bundespräsidenten Prof. Dr. Theodor Heuss und wird an<br />

Vereine verliehen, die bereits auf eine 100-jährige Tradition zurückblicken können.<br />

Einer großen Herausforderung hatte sich der Verein in der Osterwoche 1961 mit der<br />

Aufführung der Johannes-Passion von Heinrich Schütz gestellt. Es war für Sänger und<br />

Zuhörer ein großes Erlebnis, daß dieses gewaltige Werk in der Martinskirche aufgeführt<br />

werden konnte.<br />

1965 war Jubiläumsjahr. 125 Jahre waren seit der Gründung des Liederkranzes vergangen. In<br />

Verbindung mit einem Gauliederfest wurde ein umfangreiches Festprogramm mit einem<br />

großen Festzug geboten. Die Feier wurde zu einem vollen Erfolg und zu einem Erlebnis, an<br />

das sich viele Beteiligte noch heute gerne erinnern. Der damalige Vorsitzende, Otto Vetter,<br />

mußte aus gesundheitlichen Gründen sein Amt niederlegen und wurde für 14-jährige treue<br />

Dienste zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Als sein Nachfolger wurde Karl Mörk Vorsitzenden<br />

gewählt. Auch in den Jahren danach war der Verein unter Chorleitung von Reinhold Schäffer<br />

weiterhin aktiv. Höhepunkte in dieser Zeit waren 1966 die Aufführung der Operette "Die<br />

Winzerliesel", bei der eine Laienspielgruppe unter der Regie von Eugen Breitling mit<br />

Unterstützung des Chores eine hervorragende Leistung bot. Dem folgte 1967 ein gelungenes<br />

Konzert für Männer-, Frauen- und gemischten Chor. 1969 fuhr der Verein am 11.4. zum<br />

Süddeutschen Rundfunk zu Bandaufnahmen, die am Pfingstsonntag gesendet wurden.<br />

Nach fast 19 Jahren des Wirkens in Gechingen mußte sich der Verein Ende Juli 1970 von<br />

Chorleiter Reinhold Schäffer trennen. Bis ein geeigneter Nachfolger gefunden wurde<br />

165


übernahmen Vizedirigent Otto Gann und als Stellvertreter Karl-Heinz Dürr die Leitung der<br />

Chorproben. Am 24.9.1971 konnte Konrektor Hartmut Benzing als neuer Chorleiter die erste<br />

Singstunde mit dem gemischten Chor abhalten. Der neue Chorleiter und heutige<br />

Gauchormeister im Hermann-Hesse-Gau konnte seine Leistungen in den nächsten Jahren<br />

eindrucksvoll unter Beweis stellen. Schon im Juni 1972 wurde unter dem Motto "Über Länder<br />

und Meere" das erste Konzert durchgeführt, gefolgt von einem festlichen Adventskonzert im<br />

gleichen Jahr, das zusammen mit dem Kirchenchor gestaltet wurde. Das Jahr 1975 brachte<br />

wieder einen Wechsel in der Vorstandschaft. Nach 10-jährigem Wirken legte Karl Mörk sein<br />

Amt nieder. Zu seinem Nachfolger wurde Hans Gräber gewählt.<br />

Im Juni 1976 fand in Berlin das Chorfest des Deutschen Sängerbundes statt. Als Vertreter des<br />

Westgaus war der Liederkranz mit dabei. Schon am 6. November folgte der nächste<br />

Höhepunkt dieses ereignisreichen Jahres. Ein Querschnitt durch die "Romantische Oper",<br />

besetzt mit Solisten aus der Staatsoper Stuttgart und begleitet vom Orchester Spieß, wurde zu<br />

einem musikalischen Hochgenuß und einem Meilenstein in der Vereinsgeschichte.<br />

Am 15. Mai 1978 wurde nach monatelanger Probenarbeit ein Auftritt des Liederkranzes bei<br />

einem Konzert für chorische Gebrauchsmusik in der Sindelfinger Stadthalle durch guten<br />

Erfolg belohnt. Auch beim jährlichen Familien- und Unterhaltungsabend, wurde im Oktober<br />

des gleichen Jahres mit der Operette "Maske in Blau" etwas Besonderes geboten. Im Herbst<br />

1979 folgte ein Wunschkonzert, wobei Chorleiter Benzing aus den eingegangenen<br />

Wunschzetteln ein ansprechendes Programm zusammenstellte.<br />

Vom 13. bis 17. Juni 1980 war der Liederkranz auf einer beeindruckenden Reise in Wien, bei<br />

der die Teilnehmer sowohl etwas geboten haben als auch etwas geboten bekamen.<br />

Im Rahmen einer "Geburtstagsfeier" wurde am 25. und 26. Oktober 1980 das 140-jährige<br />

Bestehen des Liederkranzes gefeiert.<br />

Eine überraschend große Resonanz fand die Einladung zur Gründung eines Jugendchors. Mit<br />

40 Mädchen und Jungen kamen weit mehr Kinder als erwartet zur ersten Chorprobe,. Als<br />

Jugendleiter stellte sich Max Musshafen zur Verfügung.<br />

Im Spätherbst 1981 beteiligte sich der Liederkranz an einer Veranstaltung des Schwäbischen<br />

Sängerbundes in Böblingen. Mit Frauenchor, Männerchor und gemischtem Chor wurden<br />

Beiträge zum Thema "Das deutsche Volkslied im Wandel der Zeiten" mit gutem Erfolg<br />

vorgetragen. Am 6. November 1991 führte der Liederkranz wieder einen Konzertabend mit<br />

einem Potpourri aus der Operette "Glückliche Reise" durch. Erstmalig war auch der<br />

Jugendchor mit von der Partie. Ende November galt es, "500 Jahre Martinskirche Gechingen"<br />

zu feiern. Aus diesem Anlaß fand eine Festwoche statt. Dabei wirkte der Verein bei einer<br />

festlichen Abendmusik in der Kirche mit.<br />

Vom 15. bis 19. Juni 1983 zog es den Verein nach Frankreich. Ein offizieller Empfang durch<br />

die Gemeinde St. Germain Les Corbeil bei Paris und das Konzert in der Kirche waren<br />

unvergeßliche Erlebnisse für die Teilnehmer.<br />

Mitte September gab es einen Wechsel im Amt des Jugendleiters. Gerhard Busch löste Max<br />

Musshafen ab, die Arbeit des Jugendchors ging nahtlos weiter. Vom 31. Mai bis 3. Juni 1984<br />

reiste der Jugendchor nach St. Germain Les Corbeil und führte zusammen mit dem dortigen<br />

Schulchor ein Konzert durch. Der Gegenbesuch im gleichen Jahr mit einer festlichen Matinée<br />

war ein echter Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft.<br />

Im November wurde unter dem Motto "Die Welt entlang mit Hohnerklang" ein<br />

Orchesterkonzert durchgeführt. 1986 folgte wieder ein Opernkonzert mit hervorragenden<br />

Solisten, ein chorischer Höhepunkt der 80er Jahre.<br />

Am 12.6.1987 feierte Chorleiter Hartmut Benzing sein 25-jähriges Jubiläum mit vielen<br />

geladenen Gästen. Ende 1987 und im ersten Halbjahr 1988 wurde der Verein überwiegend<br />

vom Jugendchor repräsentiert. Veranstaltungen in Trossingen, Haigerloch und Gechingen<br />

166


waren erfolgreich. Im November 1988 kamen Kompositionen aus vier Jahrhunderten zur<br />

Aufführung; es war ein Konzert auf hohem Niveau.<br />

Zu einem wahren Ohrenschmaus wurde am 21. 10. 1989 ein Konzert in der Martinskirche.<br />

Ein umfangreiches Programm mit Werken vom Barock bis zur Moderne übertraf alle<br />

Erwartungen. Ein schöner Erfolg für den Jugendchor, die Aureliussängerknaben Calw und den<br />

Jugendchor Stein-Eisingen! Jugendleiter Gerhard Busch übergab sein Amt an Harald Kramer.<br />

Im Jahr 1990 feierte der Verein mit der ganzen Bevölkerung sein 150. Jubiläum. Ein bunter<br />

Festzug, an dem sich alle örtlichen Vereine und Gruppen beteiligten, zog durch den Ort. 19<br />

Vereine fanden sich zu einem Kritiksingen ein, das ein musikalischer Leckerbissen wurde<br />

Der Jugendchor hatte 1991 den Schulchor von St.Germain zu Gast. Ein Gegenbesuch in<br />

Frankreich erfolgte wenig später.<br />

Anfang 1992 fand ein Wechsel im Vorstand des Liederkranzes statt. Hans Gräber, der zum<br />

Ehrenvorsitzenden ernannt wurde, legte nach langem Wirken sein Amt in die Hände von<br />

Günther Rummel. Im November 1992 führte der Liederkranz unter dem Motto "Vom<br />

Nordseestrand zum Schwabenland" ein gelungenes Konzert durch. Auch bei einer<br />

Morgenfeier 1993, im Rahmen des 2. Chortages des Hermann-Hesse-Gaus in Stammheim,<br />

wirkte der Liederkranz mit. Im Januar 1995 übergab Harald Kramer nach mehrjähriger<br />

Tätigkeit als Jugendleiter sein Amt an Iris Bühler.<br />

Noch nie ist im Liederkranz die Geselligkeit zu kurz gekommen. Man traf und trifft sich<br />

regelmäßig bei Familien- und Unterhaltungsabenden, Faschings- und Tanzveranstaltungen<br />

(Frühlingsball), Sommerfesten (Lindenblütenfest), Ausflügen, Wanderungen, Gautagen oder<br />

Treffen mit anderen Vereinen. Im Vordergrund jedoch stand und steht, gestern wie heute, die<br />

Förderung und Pflege des Chorgesangs als Vereinsaufgabe.<br />

Der Musikverein<br />

Sieben Musikfreunde waren es, die im Jahre 1877 die Musikkapelle Gechingen ins Leben<br />

gerufen haben, und zwar: Gehring Karl alt, Maier Friedrich, Gräber Jakob, Vetter Samuel,<br />

Stiegelmaier Heinrich, Reichert Jakob und Ginader Fritz. Georg Gehring, der Vater des<br />

Mitbegründers Karl Gehring, ein Bauersmann mit überdurchschnittlichen musikalischen<br />

Gaben, finanzierte damals den Kauf der Instrumente und wirkte in der Kapelle mit.<br />

Musikdirektor Speidel von Calw erteilte den Anfängern zwei Jahre lang Unterricht, bis die<br />

Kapelle von Karl Gehring selbst geleitet werden konnte. In den 90-er Jahren des vorigen<br />

Jahrhunderts wurde die Leitung der Kapelle von Kaufmann Kaltenmark, der Militärmusiker<br />

war, mit gutem Erfolg übernommen. Um das Jahr 1905 bestand der Verein fast ausschließlich<br />

aus alten Leuten. Da neue Kräfte nicht gewonnen werden konnten, ruhte zunächst die<br />

Tätigkeit der Kapelle. Im Jahr 1921 fanden sich wieder einige Musikfreunde zusammen, die<br />

einen Musikverein gründeten. Dies war die Geburtsstunde des heutigen Musikvereins<br />

Gechingen e.V.. Noten und einige Instrumente konnten von der alten Kapelle übernommen<br />

werden. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit konnten weitere Instrumente angeschafft werden,<br />

obwohl die Beschaffung damals sehr schwer war und ohne größere Opfer jedes einzelnen<br />

Vereinsangehörigen nicht möglich gewesen wäre. Insbesondere verdient hervorgehoben zu<br />

werden, daß Paul Breitling, der ein begeisterter Musiker war, damals seine ganzen Ersparnisse<br />

zur Verfügung gestellt hat, um dem Verein die Anschaffung der fehlenden Instrumente zu<br />

ermöglichen. Bald zählte der Verein 18 Mann und erlebte eine erfreuliche<br />

Aufwärtsentwicklung. Im Jahr 1927 konnte der Verein sein 50-jähriges Jubiläum festlich<br />

begehen.<br />

Mit großem Erfolg hat sich der Verein an Musikwettbewerben beteiligt, so in Stammheim<br />

1927 und in Möhringen a.d.F. 1928, wo der Verein mit der Ouvertüre zu v. Kelers Lustspiel<br />

167


"Bela" einen Ia-Preis errang. Das Programm zum Musikfest 1928 in Gechingen sah<br />

folgendermaßen aus:<br />

Gechingen O.A. Calw<br />

F e s t - P r o g r a m m<br />

zum M u s i k - F e s t<br />

des Musikvereins Gechingen e.V.,<br />

Mitglied des Süddeutschen Musikverbandes, am 10.Juni 1928<br />

Morgens 5 1/2 Uhr: Tagwache<br />

9 Uhr: Ausschuß - Sitzung im Adler<br />

11 Uhr: Massen - Chorprobe<br />

Mittags 1 Uhr: Aufstellung des Festzugs in der Gartenstraße<br />

Nach Ankunft auf dem Festplatz:<br />

1. Begrüßungsmarsch durch die Festkapelle<br />

2. Begrüßungsansprache<br />

a) von Vorstand Riehm<br />

b) von Schultheiß Schmidt, Ehrenvorsitzender<br />

3. Vortrag des Gesangvereins Liederkranz Gechingen<br />

4. Massenchor: Die Himmel rühmen und Marsch: Hoch - Heidecksburg<br />

5. Einzel-Vorträge der Gastkapellen:<br />

a) Musikverein Eintracht Merklingen, Eris-Ouvertüre<br />

b) Musikverein Möhringen, Unbestimmt<br />

c) Musikverein Kuppingen, Der Zukunftsgeist<br />

d) Musikverein Gültlingen, Hochzeitsständchen<br />

e) Musikverein Althengstett, Regina - Ouvertüre<br />

f) Musikverein Hirsau, Ouvertüre Regina<br />

g) Musikverein Gärtringen, Zauberflöte<br />

h) Musikverein Weil der Stadt, Ouvertüre Goldgräber<br />

i) Musikverein Stammheim, Unbestimmt<br />

k) Musikverein Aidlingen, Unbestimmt<br />

6. Schlußmarsch durch die Festkapelle<br />

8 Uhr abends: Festball im "Hirschsaal"<br />

1929 beteiligte sich der Verein am Bezirksmusikfest in Mühlhausen a.d.W. mit der Ouvertüre<br />

"Nebukadnezar" von Verdi und erhielt einen Ia-Preis. Im Jahr 1930 konnte beim<br />

Verbandsmusikfest in Pforzheim in der Mittelstufe die Note "gut" erreicht werden, ebenso<br />

1934 beim 100-jährigen Jubiläum in Calw mit Marschmusik. Beim Bezirksmusikfest 1935 in<br />

Nagold, verbunden mit dem 50-jährigen Jubiläum der Stadtkapelle Nagold, wurde mit der<br />

Militärouvertüre von Zwicker die Note "vorzüglich" errungen. 1936 war der Verein ohne<br />

Dirigenten. Es zeigte sich bald, daß es mit der Leistung rückwärts ging. Kurz darauf übernahm<br />

Kapellmeister Solf aus Hirsau, welcher verschiedene Kapellen der Umgebung dirigierte, die<br />

Leitung. 1937 veranstaltete der Verein einen Musikertag, verbunden mit dem 60-jährigen<br />

Vereinsjubiläum. Das Fest war von nah und fern gut besucht.<br />

Im Laufe des zweiten Weltkrieges mußten fast alle Angehörigen des Vereins einrücken oder<br />

waren dienstverpflichtet. Doch konnte der Verein bis zum Jahr 1943 bei allen Trauerfeiern<br />

den gefallenen Kameraden die letzte Ehre mit Musik erweisen. Schwere Lücken hat der Krieg<br />

in die Reihen des Musikvereins gerissen. Der Verein trauert um 10 aktive und 3 passive<br />

Mitglieder. Nach diesem Verlust galt es, den Verein wieder neu aufzubauen. Im Januar 1946,<br />

als verschiedene Kameraden aus der Gefangenschaft zurückkehrten, trafen sich die Musiker,<br />

um die Vereinstätigkeit wieder auf-zunehmen. Gleichzeitig wurden 11 musikfreudige junge<br />

168


Leute in den Verein aufgenommen, die mit allem Eifer ans Werk gingen. Mit der Leitung des<br />

Vereins wurde Karl Dürr betraut, der aus den jungen Musikern tüchtige Nachwuchsspieler<br />

machte. So konnte 1947 eine Frühjahrsfeier mit gutem Erfolg abgehalten werden. Im Jahr<br />

1948 übernahm Gustav Klier aus Bad Liebenzell die Dirigentenschaft. Vom 24. bis 26. Mai<br />

1952 feierte der Verein sein 75-jähriges Jubiläum, verbunden mit dem Kreismusikfest des<br />

Kreises Calw im Bezirk Schwarzwald-Nord. Durfte auch die Vereinskasse infolge der<br />

schlechten Witterung keinen Erfolg verbuchen, so war es für den Verein selbst doch ein<br />

bedeutendes Fest und Ansporn zu weiterem Schaffen.<br />

In den folgenden Jahren ging es dem Verein gut, sowohl bei den Neuzugängen, als auch bei<br />

der Leistung. Dies zeigt die Verpflichtung zu einem Kurkonzert in Bad Liebenzell, welches<br />

mit einer Stärke von 28 Mann unter Herrn Klier meisterhaft ausgeführt wurde. In der<br />

folgenden Zeit beteiligte sich der Verein regelmäßig an den Bezirks- und Kreismusikfesten<br />

des Bezirks Schwarzwald-Nord. 1955 spielte der Verein bei zwei Kurkonzerten in<br />

Schömberg. Aufgrund der guten Leistung verpflichtete der Liederkranz Schömberg den<br />

Musikverein zu seinem Fest im selben Jahr. Auf diese Art und Weise wurde der Musikverein<br />

Gechingen weit über die Grenzen der Heimat hinaus bekannt und als beliebte Tanz- und<br />

Stimmungskapelle zu Festen jeglicher Art geholt, so auch für drei Tage nach Langenbrand<br />

zum Kreiserntedankfest. 1959 fand ein Frühjahrskonzert in der Festhalle mit sehr guter<br />

Konzertmusik statt. Im Juli des gleichen Jahrs war Kreismusikfest in Wildberg, wo der<br />

Musikverein Gechingen unter den besten fünf von zwanzig Kapellen war. Am 6. Mai 1960<br />

begannen die Aufnahmen zum <strong>Gechinger</strong> Heimatfilm durch den Musikverein. Im Juli nahm<br />

der Verein am Kreismusikfest in Jagsthausen teil. Im Oktober war die erste Vorführung des<br />

Heimatfilms, der dem Verein gehört und auf dem Rathaus aufbewahrt wird.<br />

1962 wurden neue Uniformen angeschafft, um das Bundesmusikfest in Ludwigsburg zu<br />

besuchen, wo der Verein mit 90 Punkten einen enttäuschenden 3. Rang erhielt. Am 16.<br />

September spielte der Verein drei Tage beim Kreiserntedankfest in Deckenpfronn. Neben<br />

Verpflichtungen nach Dachtel, Zainen-Maisenbach, Deufringen und Sindelfingen im Jahr<br />

1963 wurde auch der konzertanten Blasmusik Rechnung getragen und wie alljährlich mit<br />

einem Konzert in der Festhalle aufgewartet.<br />

Um den Verein zu erhalten, war im Jahr 1965 ein Dirigentenwechsel unumgänglich. Hierzu<br />

konnte Gerhard Schmid aus Wildberg gewonnen werden, welcher am 24. April dann den<br />

Taktstock in Gechingen übernahm und bereits am 1. Mai bei einer Frühjahrsfeier sein Können<br />

unter Beweis stellte. 1966 spielte die Jugendkapelle unter Leitung von Alfred Gehring zum<br />

ersten Mal außerhalb Gechingens in Salzstetten Kreis Horb. Neben Verpflichtungen nach<br />

Dätzingen, Sindelfingen, Deufringen, Stuttgart - Botnang und Liebenzell, fand auch der seit<br />

Jahrzehnten zur Tradition gewordene Hahnentanz in der Gemeindehalle statt. Mit dem<br />

Pflichtstück "Dramatischer Epilog" und dem selbstgewählten Stück "Schwarzwaldsuite" in<br />

vier Sätzen von H. Kolditz erhielt der Verein beim Bundesmusikfest in Sindelfingen am 16.<br />

Juni 1968 einen ersten Rang in der Mittelstufe. Im selben Jahr wurden ein Musikfest in<br />

Neuhengstett sowie das Kreismusikfest in Ebhausen besucht.<br />

Ein bedeutendes Jahr für den Musikverein Gechingen wird das Jahr 1971 bleiben. Die<br />

Instrumente waren so überaltert, daß eine Neuanschaffung notwendig wurde. Es entstanden<br />

Kosten in Höhe von etwa DM 40.000. Der Instrumentenbestand im Jahr 1971 betrug zwischen<br />

60 und 70 Stück.<br />

Beim Jugendkritikspiel 1973 in Schönaich errang die Jugendgruppe die Note "gut", die<br />

Jugendkapelle die Note "sehr gut". Vom 22. bis 26. Juni 1973 fanden die "Internationalen<br />

Musiktage Gechingen" statt. Leider hatte der Wettergott bei diesem Fest kein Einsehen, ein<br />

heftiger Sturm und mehrere Gewitter setzten den Festplatz unter Wasser. Neben der<br />

169


Musikgesellschaft Stansstad (Schweiz) wurde dieses Fest über vier Tage von Kapellen und<br />

Vereinen aus den Bezirken Schwarzwald-Nord und Leonberg-Schönbuch besucht und damit<br />

zu einer wahren Demonstration der deutschen Volksmusik.<br />

1974 erhielt die Jugendgruppe beim Kritikspiel die Note "gut". Zum ersten Mal in der<br />

Vereinsgeschichte spielte der Verein in der Oberstufe beim Bundesmusikfest in<br />

Onstmettingen und erzielte einen ersten Rang. 1975 war der Musikverein bereits zum dritten<br />

Male in Kerzers in der Schweiz. Das Jahr 1977 brachte mit dem 100-jährigen Bestehen des<br />

Musikvereins Eintracht einen Höhepunkt im Vereinsleben der Gemeinde. Ganz Gechingen<br />

war auf den Beinen und feierte mit.<br />

Seit Jahren veranstaltet der Verein seine "Hocketse" im Ort. Gastorchester spielen den Gästen<br />

bei Speis und Trank bis in die Nacht auf. Zahlreiche Besucher aus nah und fern feiern mit dem<br />

Musikverein.<br />

Weitere Daten aus der Vereinsgeschichte:<br />

1978: Wertungsspiel in Neuhengstett in der Höchststufe. Wertung: 1.Rang mit Auszeichnung.<br />

1984: Wertungsspiel in Bad Liebenzell in der Höchststufe. Wertung: 1.Rang mit Belobigung.<br />

1990: 25-jähriges Dirigentenjubiläum von Musikdirektor Gerhard Schmid.<br />

1991: Dirigent Gerhard Schmid verstorben.<br />

1992: Neuer Dirigent Anton Hirzle aus Birkendorf im Süd-Schwarzwald.<br />

Seit 1992: Der MVG veranstaltet zwei Konzerte im Jahr. Im Dezember: Festliches<br />

Adventskonzert (Sinfonische und konzertante Blasmusik). Im April: Modern- Music- Show<br />

(Ausschließlich moderne Musik, gespickt mit Licht- und Showeffekten).<br />

1994: 25 jähriges Freundschaftsjubiläum zwischen der Musikgesellschaft Kerzers und dem<br />

Musikverein Gechingen.<br />

1995: Der MVG reist zum dritten Mal nach 1987 und 1991 nach England. Dort wird er beim<br />

Edelweißclub Luton (Vorort von London) dessen traditionelles Oktoberfest musikalisch<br />

umrahmen.<br />

Der Handharmonikaclub<br />

Nachdem sich in den umliegenden Orten Handharmonikaclubs bildeten, faßten am 20. 10.<br />

1936 sieben Musikfreunde den Entschluß, auch einen Verein zu gründen. Vorsitzender wurde<br />

Wiethard Kammerer. Bis zum Kriegsausbruch 1939 trafen sich die Mitglieder regelmäßig alle<br />

vier Wochen zu Proben im Gasthaus Adler. Beim Festzug am 60jährigen Jubiläum des<br />

Musikvereins am 26. 6. 1937 war der Club mit einem eigenen Wagen dabei. Der<br />

Kriegsausbruch brachte das Ende des Clubs.<br />

Der Homöopathische Verein<br />

Daß es einen derartigen Verein gegeben hat, ersehen wir aus einer Zeitungsanzeige im Calwer<br />

Wochenblatt vom März 1914. Der Text lautet: "Am Sonntag den 23 März, nachmittags 4 Uhr<br />

findet im Gasthaus zum "Lamm" ein Vortrag statt, über das Thema: Ist es der Mühe wert,<br />

Homöopath zu sein? Redner Herr Reallehrer Wolf Stuttgart. Freunde der Homöopathie sind<br />

freundlich eingeladen!!" Der Gründer des Vereins war vermutlich Pfarrer Hermann Adam<br />

Beitter, der von 1908 - 1912 in Gechingen tätig war. Er war als Naturheilkundiger bekannt<br />

und übte auch in Gechingen seine Tätigkeit aus. Dies ging nicht ohne Probleme ab, da der<br />

damalige Barbier eine Beeinträchtigung seiner Arbeit und seines Verdienstes in der Gemeinde<br />

befürchtete. Wie lange der Verein noch nach dem Weggang von Pfarrer Beitter existierte, ist<br />

nicht bekannt. Vermutlich endete das Vereinsleben durch den Ausbruch des zweiten<br />

Weltkrieges, denn 1931 fand noch eine Generalversammlung statt, bei der Vorstand Weiß,<br />

Wegemeister, die Mitglieder begrüßte. Es wurden als Ausschußmitglieder August Breitling,<br />

Schmied, und Otto Weiß, Landwirt gewählt.<br />

170


Der Schwarzwaldverein<br />

Die Ortsgruppe Gechingen des Schwarzwaldvereins wurde am 19.11. 1960 von 18 Personen<br />

unter Vorsitz von Frau Ursula Pumbo gegründet. Die Stammheimer Wanderfreunde standen<br />

dem jungen Verein als Paten zur Seite. Seit 1968 stieg die Mitgliederzahl ständig; 1978 waren<br />

es 250, 1984 bereits 363 Mitglieder. 1994 konnte das 500. Mitglied begrüßt werden. Zuerst<br />

lag der Schwerpunkt der Vereinstätigkeit auf dem Ausbau des Wegenetzes. Aber bald<br />

erstreckte sich das Aufgabengebiet auf wichtige Themen wie Umweltschutz, Landschafts- und<br />

Brauchtumspflege und den Kampf gegen das Waldsterben. Längst hat der Schwarzwaldverein<br />

seine Wanderziele erweitert, heute wandert er auch in den Vogesen, in den Bergen der<br />

Schweiz, Österreichs, Südtirols (Dolomiten) und Bayerns. Ehrenmitglied Anton Röser,<br />

Stuttgart, überließ dem Ortsverein Gechingen 1971 seine Jagdhütten, heute "Röserhütten"<br />

genannt, zur kostenlosen Benützung. Wenige Tage vor seinem Tode schenkte er diese Hütten<br />

und den dazugehörenden Wald dem Verein. Die Hütten sind oft das Abschlußziel<br />

heimatlicher Wanderungen. Dort findet auch ein Großteil der geselligen Aktivitäten der<br />

Mitglieder statt. 1989 trat der Arbeitskreis Heimatgeschichte mit ca. 20 Mitgliedern als<br />

selbständige Abteilung dem Schwarzwaldverein bei. Zu seinen selbstgestellten Aufgaben<br />

gehört das Einrichten und Betreiben des Heimatmuseums im "Appeleshof".<br />

Volkshochschule<br />

1975 wurde in Gechingen eine Außenstelle der Volkshochschule Calw gegründet. Das<br />

Programmangebot der VHS Gechingen als Stätte kultureller 0rientierung, kreativer<br />

Freizeitgestaltung und selbstbestimmtem Lernens ist sehr vielfältig. Es umfaßt eine breite<br />

Palette in den Bereichen Sprachen, Werken, Gesundheit, Kochen etc., bis hin zu Einzelveranstaltungen<br />

mit allgemein interessierender und anspruchsvoller Thematik. So fanden<br />

im Jahre 1984 58 Kurse (747 Teilnehmer) und 20 Einzelveranstaltungen (940 Teilnehmer)<br />

statt; auch im Jahre 1985 sah die VHS in Gechingen mit 62 Kursen (730 Teilnehmer) und 15<br />

Einzelveranstaltungen (739 Teilnehmer) dieses erfreuliche Interesse bestätigt. Im Jahre 1994<br />

fanden 151 Kurse mit 1538 Teilnehmern und 16 Einzelveranstaltungen mit 385 Teilnehmern<br />

statt. 1995 blickte die Volkshochschule auf ihr 20-jähriges Bestehen zurück. Die Hauptstelle<br />

in Calw und die Gemeindeverwaltung in Gechingen drückten der Außenstellenleiterin,<br />

Johanna Helbig, für ihren tatkräftigen Einsatz Dank und Anerkennung aus. Die<br />

Volkshochschule in Gechingen wird auch in Zukunft das kulturelle Leben in der Gemeinde<br />

bereichern sowie der persönlichen und beruflichen Weiterbildung mit ihrem Angebot dienen.<br />

Die Sportfreunde Gechingen e.V.<br />

Mit ca. 1 400 Mitgliedern, darunter 600 Jugendlichen, ist der Verein der Sportfreunde die<br />

größte Gemeinschaft am Ort. In zehn Abteilungen werden verschiedene Sportarten betrieben.<br />

Die Abteilungen sind sportlich selbständig und haben eigene Trainingsstätten. Durch die neue<br />

Sporthalle erhalten die Sportfreunde noch bessere Übungsmöglichkeiten. Vorsitzender des<br />

Hauptvereins war viele Jahre Heinz Schwarz.<br />

Die Fußballabteilung<br />

Wir wissen, daß im März 1921 erstmals eine <strong>Gechinger</strong> Fußballmannschaft antrat. Die<br />

Männer der ersten Stunde gründeten die Spielvereinigung Gechingen, wie es in der<br />

Vereinssatzung hieß. Schon damals wurden die Vereinsfarben schwarz/weiß gewählt, denen<br />

der Verein bis heute treugeblieben ist, nur für eine kurze Übergangszeit wurde mit senkrecht<br />

gestreiftem Trikot in schwarz/orange gespielt. Die ersten Spielversuche wurden auf einer<br />

Wiese nahe beim Ort gemacht, bevor die Gemeinde dem jungen Verein ein Gelände auf dem<br />

Vorderen Berg zur Verfügung stellte. In Eigenleistung wurde ein Sportplatz hergerichtet, der<br />

auch heute noch benützt wird. Ein Blick in die Spielliste zeigt, daß schon im Jahr 1921 ein<br />

171


eger Spielbetrieb herrschte. Oft traten an einem Sonntag vier Mannschaften auf vier<br />

verschiedenen Plätzen an. Neben den Freundschaftstreffen gegen Althengstett, Calw,<br />

Ditzingen, Nagold, Stammheim usw. gab es schon bald die gefürchteten 6er-Pokalturniere<br />

nach dem sogenannten ko-System. Pokalsieger wurden damals die <strong>Gechinger</strong> in Mönchberg,<br />

Altburg und Althengstett. Das zweite Jahrzehnt brachte für die Spielvereinigung Gechingen<br />

auch große Erfolge bei turnerischen und leichtathletischen Wettkämpfen. Neben Fußball<br />

wurde schon damals zum Ausgleich Faustball gespielt. Im Jahre 1932 nahm die<br />

Fußballabteilung zum ersten Mal an den Punktspielen der Verbandsrunde in der gemischten<br />

Klasse teil. Die Wintermonate benutzten die Spieler zur Vorbereitung und Aufführung von<br />

Laien-Theaterspielen. Die Weihnachts- und Frühjahrsfeiern des Sportvereins waren und sind<br />

immer Höhepunkte im Vereinsleben der Gemeinde Gechingen. Das erste Kassenbuch, das<br />

vorliegt, beginnt 1930. Hier lesen wir, daß fast jeden Sonntag auf dem Vorderen Berg ein<br />

Fußballspiel stattfand, aber die Platzeinnahmen nur zwischen 2 und 7 Reichsmark, selten über<br />

10 Reichsmark, lagen. Auch wurde für die Spieler in Eigenleistung beim Sportplatz auf dem<br />

Vorderen Berg eine Umkleide- und Unterkunftshütte gebaut. Während des Kriegs führten die<br />

noch nicht eingezogenen Spieler den Sportbetrieb zunächst, so gut es ging weiter und<br />

übernahmen viele Aufgaben dazu. Sie führten eine Winterhilfswerkssammlung durch und<br />

versorgten ihre Kameraden im Feld mit Paketen und Grüßen aus der Heimat. Dann kam die<br />

Vereinstätigkeit aber doch zum Erliegen. Am 1. 3. 1942 ist im Kassenbuch folgendes<br />

eingetragen: "Durch Länge des Krieges und Spielermangel kamen keine Einnahmen mehr<br />

herein, so war ich gezwungen, den Verein abzumelden. Der Kassenbestand beträgt 17,92<br />

Reichsmark. Heinrich Gehring." Mit diesen 17,92 Reichsmark wurde der Verein am 1. 2.<br />

1946 neu ins Leben gerufen. Daß die Wiedergründung durch Leute erfolgte, die die Schrecken<br />

des Krieges, Verwundungen, Kriegsgefangenschaft und ähnliches erlebt haben, ist sicher die<br />

herausragende Leistung in der Vereinsgeschichte. Viele Lücken waren durch den Krieg in die<br />

Spielerreihen gerissen worden und mußten wieder geschlossen werden. Im Jahr darauf fand<br />

die offizielle, von der damaligen französischen Militärregierung amtlich zugelassene<br />

Gründungsversammlung statt. Fritz Rex, der trotz schwerer Kriegsverletzung als aktiver<br />

Spieler dabei war, wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt. Sein Nachfolger war Adolf Lutz, der<br />

auch schon in den 30-er Jahren dieses Amt innehatte. Im Jahre 1949 mußten auf Anordnung<br />

der Militärregierung die Namen aller Vereine geändert werden, so wurde die Spielvereinigung<br />

Gechingen in Sport-freunde Gechingen umbenannt.<br />

Durch verschiedene Umgruppierungen spielte die Mannschaft ab 1946 abwechselnd in der A-,<br />

B- oder gemischten Klasse. Sicher einmalig ist auch folgender Vorgang in der<br />

Vereinsgeschichte, den wir im Kassenbuch unter dem Eintrag vom 22.6.1948 nachlesen<br />

können: "Infolge Währungsreform am 20.6.1948 wurde der Kassenbestand an alle aktiven<br />

Mitglieder verteilt. Jeder erhält 25 RM. Mit dem verbleibenden Rest von 2,50 RM wird der<br />

Grundstock für das neue Vereinsvermögen gelegt."<br />

Das folgende Jahrzehnt war sportlich sehr bewegt. 1951 noch in der A-Klasse Nagold<br />

spielend, stieg die Mannschaft 1956 in die C-Klasse ab und erreichte im darauffolgenden Jahr<br />

nur noch den viertletzten Tabellenplatz. 1957/58 wurde dann aber mit der Erringung der C-<br />

Klassen-Meisterschaft eine Aufwärtsentwicklung eingeleitet, die sich in den 60-er Jahren<br />

stetig fortsetzte. Auch feierte der Verein 1951 das 30-jährige Jubiläum mit einem Festbankett<br />

und einem Pokalturnier. Die erste Jugendmannschaft beteiligte sich 1953 an den<br />

Verbandsspielen und griff dann im folgenden Jahr in den Kampf um die Bezirksmeisterschaft<br />

ein. Seitdem verging fast kein Jahr, in dem sich nicht eine oder mehrere Jugendmannschaften<br />

in die Meisterliste der Staffeln oder des Bezirks eintragen konnten. Die Jugendarbeit, mit viel<br />

Geduld, Ausdauer und Idealismus durchgeführt, ist letztlich der Grund für den Aufschwung.<br />

172


Im März 1952 befaßte sich die Vereinsleitung intensiv mit dem Bau eines neuen Sportplatzes.<br />

Im heutigen Ortsteil Angel wurden Grundstücke aufgekauft, die dann allerdings wieder<br />

zurückgegeben wurden, weil die Belastung für Gemeinde und Verein zu hoch erschien. Einen<br />

neuen Anlauf unternahm der Verein einige Jahre später, er erwarb bei der Flurbereinigung<br />

mehrere Grundstücke, die bei der Mühle zusammengelegt wurden.<br />

Wasserschutzbestimmungen ließen aber auch dieses Projekt scheitern.<br />

Die 60-er Jahre waren wohl die erfolgreichsten für die <strong>Gechinger</strong> Fußballer. Der Meisterschaft<br />

in der B-Klasse 1960/61 folgte nach 8 Jahren Zugehörigkeit zur A-Klasse Böblingen/Calw der<br />

Aufstieg in die 2. Amateurliga Württemberg. Als Geschenk zum 40. Jubiläum 1961 brachten<br />

die Fußballer dem Verein den Meisterwimpel der B-Klasse. Das Festspiel gegen die Amateure<br />

des VfB Stuttgart verlor die frischgebackene Meisterelf trotz sehr guter Gesamtleistung. Nur<br />

zweimal in acht Jahren A-Klassen-Zugehörigkeit mußte der Verein um den Klassenerhalt<br />

bangen. Doch verstanden es Trainer und Funktionäre, die Spieler zu überdurchschnittlichen<br />

Leistungen anzuspornen. In der Saison 1964/65 trennte die Spieler nur ein Punkt von der<br />

damaligen Aufsteigermannschaft Nufringen. In den folgenden Jahren belegten die<br />

Sportfreunde gute Mittelplätze. 1968/69 beendeten sie die Vorrunde mit dem 5. Tabellenplatz.<br />

Zu diesem Zeitpunkt dachte wohl niemand an die Meisterschaft. Erst als nach einer<br />

Siegesserie in der Rückrunde im März 1969 die Sportfreunde erstmals auf dem 2. Platz<br />

standen, wurde man auf die <strong>Gechinger</strong> Spieler aufmerksam. Diesen Platz konnten sie bis vor<br />

dem letzten Spieltag behaupten. Nachdem sie gegen Darmsheim gewinnen konnten und<br />

Schönaich nur ein Unentschieden in Mötzingen erreicht hatte, mußte Schönaich die<br />

Sportfreunde Gechingen vorbeiziehen lassen. Der dann folgende Aufstieg in die 2.<br />

Amateurliga Württemberg war sportlicher Höhepunkt, denn jetzt konnten sich die <strong>Gechinger</strong><br />

mit renommierten Mannschaften messen.<br />

Die wohl größte Leistung außerhalb des sportlichen Bereichs erbrachten die Mitglieder mit<br />

dem Bau der Sportanlage. In nahezu 20 000 unentgeltlichen Arbeitsstunden wurde in<br />

vierjähriger Bauzeit ein Sportheim und ein Sportgelände fertiggestellt. Der Platz in der 2.<br />

Amateurliga konnte nicht gehalten werden, wen wundert dies, da in Gechingen eben wirklich<br />

nur Amateure Fußball spielen! Konnte man Anfangs der 70-er Jahre mit guten Plätzen in der<br />

A-Klasse Böblingen/Calw zufrieden sein, waren die folgenden Jahre geprägt von wechselnden<br />

Erfolgen der Fußballabteilung. 1976 mußte ein erneuter Abstieg in die B-Klasse<br />

hingenommen werden, aber bereits 1978 erfolgte der Wiederaufstieg in die Bezirksliga<br />

(ehemals A-Klasse). Nach erneutem Abstieg 1984, konnte man aber aufgrund der guten<br />

Jugendarbeit im Spieljahr 1989/90 wiederum in die Bezirksliga Böblingen/Calw aufsteigen.<br />

Seither haben.die Sportfreunde sich dort behauptet.<br />

1981 feierte der Verein sein 60-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlaß führte die<br />

Fußballabteilung vom 19. bis 20.Juni 1981 ein Pokalturnier durch. Durch Siege über<br />

Walddorf, Unterjettingen, Mötzingen, Neubulach und Sulz gelangte die Mannschaft ins<br />

Endspiel.<br />

1982 begann der Verein, die Voraussetzungen für den Bau eines neuen Rasenplatzes zu<br />

schaffen. In vielen freiwilligen Arbeitsstunden, unterstützt durch Verband und Gemeinde,<br />

konnte 1986 der neue Rasenplatz eingeweiht werden, welcher hoffentlich recht lange allen<br />

Anforderungen genügen wird. Im Jahre 1994 wurde der Mitte der 70-er Jahre erstellte<br />

Hartplatz von der Gemeinde zu einem schönen Rasenplatz umgebaut.<br />

Inzwischen kamen zu den Fußballern noch zahlreiche andere Abteilungen und die<br />

Sportfreunde Gechingen präsentieren sich als ein lebendiger Verein mit schönen Sportanlagen<br />

und einem breiten Sportangebot. 1996 feiert der Verein sein 75. Jubiläum.<br />

Turnabteilung<br />

173


Anfang 1957 wurde durch Sebastian Herm eine Turnabteilung gegründet. Frau Geppert<br />

übernahm die Frauenabteilung. Die folgenden Jahre waren angefüllt mit hartem Training.<br />

Trotzdem hatte es während dieser Zeit bis zum Jahr 1961 gar manches Mal den Anschein, als<br />

ob die gestellten Anforderungen zu hoch wären oder das Interesse nachgelassen hätte. Erst<br />

1965 konnte Herms Nachfolger Klaus Schwarz wieder von einer Interessenzunahme<br />

berichten, was zu Hoffnungen Anlaß gab. 1967 übernahm Manfred Kawlowski die Leitung<br />

der Turnabteilung und nahm sich in der Folgezeit besonders der Jugendarbeit an. Aber auch er<br />

hatte Mühe und Sorge, das Interesse wachzuhalten und den Leistungsstand durch<br />

konsequentes Training zu verbessern. Im Jahre 1970 zählte die Turnabteilung 40 Mädchen<br />

und 40 Jungen. Dank der Mitarbeit weiterer ehrenamtlicher Übungsleiter gewann die<br />

Turnabteilung in an Format. Ein schöner Erfolg war die Teilnahme einer Jungenmannschaft<br />

an den Württ. Meisterschaften 1973. Seither waren <strong>Gechinger</strong> TurnerInnen auch bei den<br />

verschiedensten Turnfesten vertreten, so 1973 in Stuttgart, 1978 in Hannover, 1983 in<br />

Frankfurt oder 1987 in Berlin. In Vorschul-, Kinder- und Jugendgruppen werden zur Zeit ca.<br />

200 Jungen und Mädchen betreut. Seit 1985 bietet der Verein auch Mutter- und Kind-Turnen<br />

an.<br />

Die Faustballabteilung<br />

Die Faustballabteilung besteht seit 1959. Gegründet wurde sie ebenfalls von Sebastian Herm.<br />

Der jungen Abteilung gelang es, mehrmals Meister in verschiedenen Klassen zu werden, 1970<br />

zum Beispiel Gauklassenmeister. Die Mannschaft Männerklasse 2 stieg in die Landesklasse<br />

Nord bei der Hallenrunde auf. Seit 1970 besteht auch eine Jugendabteilung, die getrennt<br />

trainiert. Besonders erfolgreich war in den 80-er Jahren die Damenfaustballmannschaft, sie<br />

errang die Süddeutsche Vizemeisterschaft! Eine kurze Zeit über konnte die Faustballabteilung<br />

auch bei den Kämpfen um die deutsche Meisterschaft teilnehmen, aber durch Überalterung,<br />

Wegzug von Mitgliedern u.ä. fiel die Abteilung wieder in die Landesklasse zurück. Auch das<br />

Fehlen einer geeigneten Trainingsmöglichkeit trug zum Abstieg bei, da die Faustballer auf<br />

ständig wechselnde Hallenplätze angewiesen waren. Mit der Einweihung der neuen Sporthalle<br />

erhielt die Faustballabteilung neuen Auftrieb. 1995 konnte das 35jähriges Jubiläum gefeiert<br />

werden.<br />

Die Schwimmabteilung<br />

Als im Herbst 1975 das <strong>Gechinger</strong> Hallenbad eingeweiht wurde, war es nur noch ein kurzer<br />

Weg zur Gründung einer Schwimmabteilung innerhalb der Sportfreunde Gechingen. 1976<br />

fand dann die Gründungsversammlung statt. Großen Anklang finden bei den <strong>Gechinger</strong><br />

Bürgern und auch bei Bürgern der Nachbarorte die von der Schwimmabteilung angebotenen<br />

Kinderschwimmkurse. Die <strong>Gechinger</strong> SchwimmerInnen nehmen auch an Wettkämpfen teil<br />

und erreichten dort viele gute Plätze.<br />

Die Sportschützenabteilung<br />

Vorläufer der heutigen Sportschützenabteilung innerhalb der Sportfreunde Gechingen war der<br />

1950 gegründete Schützenverein Gechingen. Die Mitglieder dieses Vereins renovierten die<br />

aus dem Jahre 1925 stammende Schießanlage im Bergwald, wo die Kleinkaliberanlage bis zur<br />

Auflösung des Vereins im Jahr 1962 in Betrieb war. 1967 wurde dann die<br />

Sportschützenabteilung der Sportfreunde Gechingen gegründet. Zunächst wurde im Keller des<br />

Sportheimes geschossen. Noch im gleichen Jahr wurde ein Anbau an das Sportheim<br />

genehmigt, in welchem sechs Luft-gewehrbahnen untergebracht sind. Im September 1967<br />

konnte neben den Gewehrschützen eine weitere Disziplin aufgenommen werden, nämlich<br />

Bogenschießen. Trainiert wurde zuerst auf dem Fußball-Rasenplatz. 1981 wurde an der<br />

174


Ostelsheimer Straße ein geeigneter Bogenschießplatz gefunden. Die guten Leistungen der<br />

Bogenschützen sind weitbekannt.<br />

Im Kreis Calw gehört die Sportschützenabteilung Gechingen zu den leistungsstärksten<br />

Vereinen. Bei Bezirks-, Landes - und Deutschen Meisterschaften sind die <strong>Gechinger</strong> Schützen<br />

vertreten. Mit dem Bau der neuen Sporthalle 1990 bekamen auch die Sportschützen eine neue<br />

Schießanlage. Mehr als 7000 freiwillige Arbeitsstunden investierten die Sportschützen in die<br />

Errichtung der modernen Schießanlage für Luftgewehr und Kleinkaliber.<br />

Tennisabteilung<br />

68 Interessenten fanden sich im September 1973 zur Gründung einer Tennisabteilung<br />

zusammen. Die Mitgliederzahl nahm stetig zu, so daß dem Ziel, zwei Tennisplätze mit<br />

Clubhaus zu errichten, nichts mehr im Wege stand und bereits im Frühjahr 1974 mit dem Bau<br />

begonnen wurde. Da die Nachfrage unvermindert anhielt, mußte bereits im nächsten Jahr eine<br />

Platzerweiterung in Angriff genommen werden. Im zehnten Jahr des Bestehens der Abteilung<br />

wurden Außenanlagen und Clubräume grundlegend renoviert. An den Arbeitseinsätzen<br />

beteiligten sich viele der fast 300 Mitglieder. Im Jahr 1985 konnten in Gechingen die<br />

Bezirksmeisterschaften der Jungsenioren stattfinden. Auch bei den Kindern und Jugendlichen<br />

steigt das Interesse am Tennis, deshalb bietet der Verein ein kostenloses "Schnupperjahr" für<br />

Jugendliche an.<br />

Tischtennisabteilung<br />

1967 gründeten rund 20 tischtennisbegeisterte <strong>Gechinger</strong> diese Abteilung innerhalb der<br />

Sportfreunde. 1995 zählte sie ca. 60 Mitglieder und ist damit eine der größten Gruppen im<br />

Bezirk Schwarzwald. Siege in Kreis- und Bezirksklasse waren und sind der Erfolg des großen<br />

Einsatzes der Spieler. Freundschaftsspiele, auch mit ausländischen Mannschaften, fanden<br />

statt. Seit 1975 führt die Abteilung Familienwanderungen, Weihnachtsfeiern und Bergtouren<br />

durch, um das gesellige Leben zu stärken. 1992 feierte die Abteilung ihr 25 jähriges Jubiläum.<br />

Jiu - Jitsu<br />

1985 wurde diese Abteilung der Sportfreunde Gechingen gegründet. Durch Trainerausfall und<br />

andere widrige Umstände ist die Mitgliederzahl leider zurückgegangen, es ist aber auch hier<br />

zu erwarten, daß durch die neue Sporthalle eine Aktivierung stattfindet. Derzeit sind 21<br />

Sportlerinnen und Sportler aktiv in der Abteilung.<br />

Volleyball und Badminton<br />

Im Jahre 1990 konnte dank der neuen Sporthalle das sportliche Angebot in Gechingen noch<br />

erweitert werden. Es kam zur Gründung einer Volleyball- und Badmintonabteilung. Derzeit<br />

spielen etwa 40 Mitglieder Badminton und 60 Mitglieder gehören der Volleyballabteilung an.<br />

Der Reit- und Fahrverein<br />

Das Gründungsjahr des Reit- und Fahrvereins war 1972. Der Verein besitzt vereinseigene<br />

Pferde sowie eine neue Reitanlage mit Reithalle, Sprung- und Dressurplätzen beim Hasenhof.<br />

Er hat eine starke Turniergruppe, die vor allem auf die Military, einem Vielfältigkeitssport,<br />

spezialisiert ist. Erste und zweite Plätze bei Landes- und Kreis-meisterschaften beweisen die<br />

erfolgreiche Arbeit des Reit- und Fahrvereins Gechingen. Mit der Organisation von Turnieren<br />

bis hin zur Landesmeisterschaft wurde der Verein im Land bekannt. Im vereinseigenen<br />

Reiterstüble kommt auch die Geselligkeit nicht zu kurz. Dem Verein unter seinem<br />

Vorsitzenden Otto Mörk ist die Jugendausbildung ein großes Anliegen, was der Erfolg der<br />

jugendlichen Reiter bei vielen Turnieren beweist.<br />

175


Die Modellsportgruppe<br />

Die Modellsportgruppe Gechingen e.V. feierte im Dezember 1985 das 10-jährige Bestehen.<br />

Der Ursprung des Vereins jedoch geht zurück bis ins Jahr 1971 und entstand aus einer<br />

Interessen-gemeinschaft von zunächst 9 Modellbauenden. Heute besteht der Verein aus 35<br />

Mitgliedern, der Anteil der Jugendlichen beträgt 50 %. Der Umgang mit verschiedenen<br />

Materialien und der Bau von Modellen vermittelt handwerkliche Fertigkeiten und die<br />

Erkenntnis physikalischer Zusammenhänge. So entstanden im Laufe der Jahre viele Segler,<br />

Motorflugmodelle und einige Modellschiffe. Die wiederholten Modellbauausstellungen,<br />

zuletzt im Mai 1989 in der <strong>Gechinger</strong> Gemeindehalle, haben den großen Erfolg aller<br />

Vereinsmitglieder nachhaltig bestätigt. Diese und weitere Aktivitäten, wie zum Beispiel die<br />

wöchentlichen Bastelabende und die Flugunterweisungen auf dem gepachteten Fluggelände<br />

der Modellsportgruppe, dienen der Förderung der Jugendarbeit, der Sicherung des<br />

Nachwuchses und dem Fortbestehen des Vereins.<br />

Die DLRG Ortsgruppe Gechingen<br />

Die Ortsgruppe Gechingen des DLRG (Deutsche Lebensrettungsgesellschaft) wurde 1978<br />

gegründet. Erster Vorsitzender war von 1981 bis 1994 Frank Wentsch. Seit 1995 bekleidet<br />

Klaus Böttinger dieses Amt. Die Hauptaufgabe sehen die Trainer darin, aus Schwimmern<br />

Rettungsschwimmer zu machen. Die Übungsabende, die mittwochs stattfinden, sind sehr gut<br />

besucht. Heute hat der Verein 93 Mitglieder, vor allem Jugendliche. Einige<br />

Rettungsschwimmer teilen sich den Wachdienst an der Erzgrube sowie im Hallenbad<br />

Gechingen. Sehr großen Anklang finden immer die Ausflüge, Freizeiten, Weihnachtsfeiern<br />

und andere gesellige Aktivitäten der Ortsgruppe.<br />

Die Tracht<br />

Vielfach wird angenommen, daß die Tracht der Bauern eine Art Uniform war, die immer<br />

gleich blieb. Das ist falsch, die Kleidung der Bauern und Handwerker war immer einem<br />

gewissen Wandel unterworfen. Vergleicht man das Erscheinungsbild eines Bauern aus dem<br />

gleichen Ort von 1690 mit dem von 1850, so hat man zwei ganz verschiedene Trachten vor<br />

sich. Das hat seine Ursache darin, daß die modischen Entwicklungen und Strömungen in der<br />

Stadt stets auch die Kleidung auf dem Land beeinflußten. Ein großer Unterschied bestand<br />

zwischen Sonntags- und Werktagskleidung. Das, was man gemeinhin als "Tracht" bezeichnet,<br />

ist meistens die Kleidung an Fest- bzw. Sonntagen. Die schlichte Werktagskleidung mußte<br />

vor allem strapazierfähig sein, da die Landbevölkerung viel schwere und schmutzige Arbeit<br />

verrichten mußte. Am besten eignete sich Leder oder grobes Leinen dazu.<br />

Vor 1840 trugen die meisten Männer auch sonntags Lederhosen, später Tuchhosen. Bei den<br />

Frauen auf dem Land prägte sich Ende des 17. Jahrhunderts das wichtigste Stück der<br />

weiblichen Tracht aus: Der weite, faltenreiche, schwere, rechteckig geschnittene Rock. ("Gut<br />

betucht" zu sein, zeugte von großem Wohlstand, war doch das Tuch der teuerste aller zur<br />

Rockherstellung verwendeten Stoffe).<br />

Beim Wams der Männer handelt es sich um eine relativ kurze Jacke, im Gegensatz zum<br />

städtischen Rock. Die Hemden waren Leibwäsche, Männer und Frauen trugen sie auf der<br />

Haut, es gab keine Ober- und Unterhemden. Ein Zeitgenosse, Carl Theodor Griesinger (1809-<br />

1884), beschreibt sehr anschaulich den groben, "reisten" Stoff der Hemden, der die Haut<br />

aufritze.."Reist" oder "Reisten" bedeutet Gewebe aus Flachs oder Hanf. Da auch<br />

Nachthemden und Bettwäsche gewöhnlich aus sehr festem, derbem Stoff waren, wie<br />

verschiedene, erhalten gebliebene Stücke im Heimatmuseum beweisen, scheint die Haut<br />

176


unserer Vorfahren nicht sehr empfindlich gewesen zu sein. Die Hemden waren viel länger, als<br />

wir sie heute haben. Sie gehörten zum Weißzeug wie die Bettwäsche, und wie diese waren sie<br />

ursprünglich aus eigenem Flachsanbau selbst gefertigt und Teil der Aussteuer, die ein Leben<br />

lang halten sollte.<br />

Anhand der "Dokumentation über die ländliche Kleidung in Gechingen von 1820 - 1880" von<br />

Joachim Faitsch kann man sich die <strong>Gechinger</strong> Sonntagskleidung etwa so vorstellen :<br />

Die Männer trugen eine schwarzer Samtkappe oder einen schwarzem Dreispitz, weißes Hemd<br />

mit kleinem Stehkragen, gelbe oder schwarze hirschlederne Kniebundhosen mit Hosenträgern,<br />

die Jüngeren eine rote Weste aus Tuch dazu, die Älteren eine Samtweste. Ein Wams aus<br />

schwarzem Samt mit halbkugelförmigen Metallknöpfen, schwarze, gestrickte Wollstrümpfe<br />

und kniehohe Stiefel oder knöchelhohe Schnürstiefel vervollständigten die Tracht. Für den<br />

Winter hatte man außerdem einen blauem, wadenlangen Mantel aus Tuch.<br />

Die Frauen waren bekleidet mit schwarzer Bändelhaube, schwarzem oder schwarz/violett<br />

kariertem waden- bis knöchellangem Tuchrock mit Stehfalten am Bund, blauer, einfarbiger,<br />

baumwollener Schürze und einem schwarzem Kittel in Bolero-Form mit Schinkenärmeln. Für<br />

werktags war er aus Leinen, aus Tuch für Sonntag. Dazu kam ein meist schwarzes, seidenes<br />

Halstuch in quadratischer Form, das beim Gebrauch zum Dreieck gefaltet wurde, ein Leible<br />

aus Litz (feinem Kattun), rot mit schwarzem Karo und ein weißes Leinenhemd. Die Strümpfe<br />

waren für Jüngere aus weißer Baumwolle gestrickt, die der Älteren waren schwarz, werktags<br />

trugen alle schwarze Strümpfe. Das Schuhwerk bestand aus schwarzen Halbschuhen mit oder<br />

ohne Schnalle, teilweise genagelt, mit niederen Absätzen. Im Heimatmuseum ist eine Tracht<br />

vom Anfang des 19. Jahrhunderts ausgestellt.<br />

In Gechingen wurde die Tracht allerdings schon sehr früh aufgegeben (um ca. 1840). In einer<br />

Übergangszeit wurden nur noch Teile davon aufgetragen.<br />

Aus den Inventuren, den amtlichen Verzeichnissen des Erb- oder Hochzeitsguts, können wir<br />

Rückschlüsse auf die zu der jeweiligen Zeit getragenen Kleidungsstücke ziehen. Nachstehend<br />

Auszüge einer Beibrings-Inventur, die aus einer Zeit stammt, in der die Tracht keine große<br />

Rolle mehr spielte. Sie wurde angelegt bei der Hochzeit Samuel Ludwig Wagners 1849 mit<br />

der Marie Katharina Eisenhardt aus Dachtel.<br />

Vom Bräutigam eingebrachte Mannskleider:<br />

1 Hut<br />

1 alter Hut 1 Sammetkappe<br />

1 tücherne Kappe 1 schwarzseidenes Halstuch<br />

1 blautücherner Überrock 1 manchesternes Wams<br />

1 älteres Wams 2 Westen<br />

1 Paar Lederhosen 3 Paar wollene Strümpfe<br />

5 Paar verschiedene Strümpfe 2 Paar Stiefel<br />

12 neue Hemden 16 alte Hemden<br />

Von der Braut eingebrachte Weibskleider<br />

10 Hauben 6 seidene Halstücher<br />

8 halbseidene Halstücher 1 schwarztücherner Kittel<br />

1 schwarztücherner Rock 1 Paar Schuhe<br />

1 Tibet - Schurz 3 tücherne Kittel<br />

15 verschiedene Röcke 15 verschiedene Schürzen<br />

6 Paar wollene Strümpfe 10 Paar baumwollene Strümpfe<br />

1 schöner Hut 12 neue Hemden<br />

177


Manchester: Kräftiger, gerippter Samt (Cord)<br />

Tibet: wollenes Gewebe in Köperbindung, merinoähnlich. Die Schafrasse, von der die Wolle<br />

ursprünglich stammte, war aus Vorderasien und hatte gekräuseltes, feines Vlies. Später auf<br />

besonders feine, weiche Wolle übertragen.<br />

Der Dialekt<br />

Dialekte gab und gibt es in allen Sprachen lange vor der Schriftsprache. Vor allem bäuerliche<br />

Mundart wurde oft als ein Merkmal der Ungebildeten betrachtet, obwohl gerade in<br />

Württemberg auch in den Städten immer schwäbisch gesprochen wurde. In der Literatur<br />

wurde schwäbisch aber erst ab Ende des 19. Jahrhunderts populär.<br />

Früher war es so, daß beinahe jeder Ort seine eigenen speziellen Ausdrücke hatte. Sagten die<br />

<strong>Gechinger</strong> zum Beispiel zu einem Kuchen "Spickling", hieß es in Dachtel "Bäarta" und in<br />

Deckenpfronn "Steckling". Diese sprachlichen Eigenheiten haben sich im Laufe der letzten<br />

Jahre und Jahrzehnte, bedingt vor allem durch die zunehmende Mobilität und den Einfluß der<br />

Medien, abgeschliffen. Jetzt wird fast überall nur noch ein sogenanntes "Honoratioren-<br />

Schwäbisch" gesprochen, nicht zuletzt auch, um von den vielen Nichtschwaben, die bei uns<br />

leben, verstanden zu werden. Auch verschwanden mit landwirtschaftliche Gerätschaften, die<br />

es heute nicht mehr gibt, die dafür üblichen Bezeichnungen ebenso Begriffe aus dem<br />

bäuerlichen Arbeitsbereich. Es war also höchste Zeit, den <strong>Gechinger</strong> Dialekt aufzuschreiben<br />

und der Nachwelt zu erhalten. Die nachstehenden Ausdrücke von A-Z sollen eine Art<br />

Nachschlagewerk sein, in dem jeder nachsehen kann, wenn er auf ihm nicht geläufige<br />

Ausdrücke oder Worte stößt. Es wird jedoch kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.<br />

Es ist schwierig, schwäbisch zu schreiben. Für die vielen Nasale, die für unsern Dialekt<br />

charakteristisch sind, gibt es keine entsprechenden Buchstaben im Alphabet. Auch bestehen<br />

oft Zweifel, ob ein "e" oder ein "a" angezeigt ist. So wird z. B. die Mehrzahl von "Mädle"<br />

hier "Mädla" geschrieben, weil ein deutlicher Unterschied in der Aussprache besteht, obwohl<br />

dieses "a" eine Art Zwischenlaut ist, ebenso wie in "Muader", "Hoamet", "liaga",<br />

"Earn(d)".<br />

Statt ö wird e, statt ü i gesprochen z.B. in Böden-Beda, Köhler-Kehler, fürchten-firch(t)a,<br />

lügen-liaga. Konsonanten verschwinden oft, so z.B. bei Mann-Maa, Bahnhof-Bahof, wobei<br />

zu beachten ist, daß aus einem "a", dem ursprünglich ein "n" nachfolgte, immer ein nasales<br />

"a" wird, wie im Französischen, entsprechend "davo"-davon mit nasalem "o", ebenso<br />

"omeglich"-unmöglich. Reinfall wird zu Reifall, "Raifall" gesprochen. Zum Unterschied<br />

von "au", gesprochen wie in "Bau", wird hier das breite <strong>Gechinger</strong> "au" mit "ao"<br />

wiedergegeben, was der Sprechweise sehr nahe kommt, wie bei haben-hao, gehen-gao, hochhao,<br />

stehen-stao. "U" wird häufig zu "O", aus "Hund" wird "Hon(d)". E wird Ä bei Lehrer-<br />

Lährer, Seele-Säle.<br />

Statt st wird schd und statt sp schb gesprochen: Schulmeister-Schualmoaschder, Most-<br />

Mooschd, Sparkasse-Schbarkass, Bleistift-Bleischdifd-Bleile.<br />

A<br />

A’aale Liebkosung, beim Kleinkind mit der Wange<br />

aa ab, wie es vor allem als Vorsilbe bei Zeitwörtern vorkommt, wird als langes,<br />

offenes „a“ gesprochen wie in „Aal“.<br />

178


aabauza oder<br />

aabause völlig abernten, leerpflücken<br />

aadriggna abtrocknen<br />

aagholzt abgeholzt<br />

aagschlaa abgeschlagen, listig<br />

aaschlabba rüder Umgangston, abkanzeln<br />

Aasl Achsel<br />

Abdridd Abort, W.C.<br />

afdabärga (afterberga) letztes Obst vom Baum holen, auch erlaubte<br />

Nachlese an fremden Bäumen oder auf Kartoffeläckern (nach der<br />

Kirbe allgemein gestattet)<br />

a Goschvool kleine Menge<br />

aheba endlich, jetzt (kurzes „a“ wie in „a Haus“, Betonung auf der<br />

zweiten Silbe)<br />

Ahna Ahne, Großmutter<br />

ai, ais ehe, ehe es<br />

aibrennt eingeheizt<br />

Airn Flur oder Gang<br />

albacha altbacken, unmodern<br />

Aldjohrobed Silvesterabend<br />

agaddama von „angatten“ - anstiften (Streit), bestellen, zuwege bringen<br />

ag´schirra anschirren, bei Zugtieren das Geschirr anlegen, Korsett anziehen<br />

amalla, auch<br />

eimalla warm anziehen, gut umhüllen<br />

aschmiera anschmieren (Schminke), hereinlegen<br />

Awanna zu „anwanden“ - angrenzen, entweder neutraler Grund zwischen zwei Äckern,<br />

auf dem beiden Angrenzern gestattet ist, mit dem Gespann zu fahren, oder auf<br />

eigenem Acker der Platz, der zum Wenden des Gespanns gebraucht wird<br />

anderdhalb,<br />

auch<br />

anerhalb eineinhalb<br />

Andive Endive<br />

Angerscha Feldrüben (Angersen), zu „Anger“ (Nebenform „Angel“), Wiesen- und<br />

Weideland<br />

annaweg trotzdem<br />

Anka Genick<br />

ao auch, auch Grußwort gebraucht<br />

Aohra Ohren<br />

Aohralabba Ohrenlappen<br />

Aohrawaih Ohrenschmerzen<br />

Aoschdra Ostern<br />

aosga jammern, stöhnen<br />

Appel, auch<br />

Dreck- oder<br />

Hoarappel schmutzige Weibsperson, von „Apollonia“<br />

ausbäffa jemanden nachmachen, karikieren<br />

ausbenna ein Kalb großziehen<br />

ausgeiza Triebe entfernen (Tomaten, Wein)<br />

aushausich verschwenderisch<br />

179


außelaufe abendliches Treffen von Frauen zu gemeinsamem Handarbeiten, vor allem im<br />

Winter (z´Liacht ganga)<br />

auszehra an Lungenkrankheit leiden<br />

Ä<br />

Ähne Ahn, Großvater<br />

ällaweil immer<br />

äll bott,<br />

äll häck,<br />

äll faard immer wieder<br />

älls allemal, seinerzeit („so isch´s älls gwäe“)<br />

älsgmach endlich<br />

Äsche Asche<br />

äschdimiera jemand oder etwas achten, schätzen<br />

B<br />

Baaba Stückchen Brot<br />

baadscha,<br />

Baadschere schwätzen,tratschen, Schwatzweib<br />

Baarn Vorratsraum für Heu (Haibaarn) und Stroh in der Scheune<br />

Babb, Bäbb, Klebstoff, Unsinn<br />

ba(ä)bbich klebrig, „babbich rausschwätza“- übertrieben freundlich reden<br />

babbela aus, fertig (Kindersprache)<br />

Babbr Schlotz, wie Schnuller gebraucht<br />

Babbadeggel Karton<br />

Babeier Papier<br />

bacha backen, ohrfeigen<br />

Bachel Dummkopf, Narr (gesteigert Sau-, Granade-, Allmachdsbachel)<br />

Bachets oder<br />

Bächets das, was zusammen auf einmal gebacken wird<br />

badded,<br />

des had das hat sich gelohnt eigentlich: „das hat hingehauen“ (frz. battre - schlagen)<br />

Baddscher Teppichklopfer<br />

Bagerd uneheliches Kind, Bankert („a“ nasal gesprochen)<br />

Bahr Sarg<br />

bäffa schimpfen<br />

Bähmull empfindliche oder langweilige Frau<br />

Bagasch Gesindel, auch Sippschaft (frz. bagages - Gepäck)<br />

Baschloapf Schneeräumer, Schneepflug (Bahnschleife)<br />

bais böse<br />

baislich schlimm<br />

bal bald<br />

Balla Rausch<br />

Balmerschbira bestimmte Birnenart, gutes Mostobst<br />

Balschdr dumme Frau<br />

bamba Kot ausscheiden bei Kindern<br />

Bäradreck Lakritze<br />

Barched Barchent, grober, starker Stoff<br />

barduu unbedingt (frz. partout)<br />

180


Barga verschnittenes, männliches Schwein<br />

Bas Base, Kusine<br />

(fir) bassleda,<br />

auch basseda zum Zeitvertreib (Frz. „passer le temps“)<br />

Beddl Bettel, alles, Verantwortung (I schmeiß de Beddl na)<br />

Beddlad,<br />

Beddfläsch Bettgestell, -flasche<br />

Beddsoacherle Anemone, Buschwindröschen<br />

(Bedd)-Ziach Deckbettbezug<br />

Beem Bäume<br />

Beggahaus Bäckerhaus, Bachhaus ist das (Gemeinde)-Backhaus<br />

begla bügeln<br />

Behna Bühne, Dachboden<br />

Beidsche-<br />

schdägga geräucherte Landjäger-Würste<br />

Beig Stapel (Holzbeig)<br />

bellfra,<br />

bellfera schimpfen<br />

belzich pelzig, gefühllos?<br />

Belzmäarde Nikolaus, eigentlich „Pelzmartin“<br />

Benna Binde<br />

Bensl Pinsel<br />

biaßa, bossa einbüßen (I hao mein Gluschda bossa - ich mag nicht mehr)<br />

b’häb eng, knapp vorbei, sparsam<br />

Biebela Küken<br />

Biffee Büfett (frz. „buffet“), Betonung auf der ersten Silbe<br />

Biggl Spitzhacke, Pickel<br />

Biir, Biira Birne (auch Glühbirne), Birnen<br />

Biirahoga Birnenhaken<br />

Biismugg Bremse (Insekt)<br />

bidschierd angeschmiert, hereingelegt, auch im Stich gelassen<br />

Bläe Wäscheblau<br />

bläderla über den Durst trinken<br />

Blädds (Blätz),<br />

Bläddsbärbl Flicken, Stoff- Flickenpuppe<br />

Bläddsa Wunde<br />

Blädds a(b)<br />

schemma sehr schämen<br />

blärra, auch<br />

bläädscha weinen, plärren<br />

Blaffoo Zimmerdecke (frz. „plafond“), Betonung auf der ersten Silbe<br />

bloa,<br />

bloalechd blau, bläulich<br />

Bleile Bleistift<br />

Blennschlauch Blindschleiche<br />

bliagd blüht<br />

bladra, Blader Blasen werfen ( es bladerd), Blase<br />

Bloama Blumen<br />

181


Blonza Blutwurst (in der Blase)<br />

blotza lao fallen lassen<br />

bludd nackt<br />

Boaepfel bestimmte Apfelsorte<br />

Boa(n)r Knochen<br />

Bobbel Wollknäuel<br />

boda (-lätz,<br />

guat,-bais) steigernd, „von Grund auf“, sehr (schlimm, gut, böse)<br />

Bodschamber Nachttopf (frz. pot de chambre)<br />

Bodda sicherer Platz (z. B. beim Versteckspiel)<br />

Bolezeideaner Polizist<br />

borfeß barfuß<br />

Boschdler,<br />

Boschdhalder Postbeamter, Posthalter<br />

bosga etwas anstellen<br />

Botzel oder<br />

Butzel Schwein, auch schmutziger Mensch, nicht so grob wie „Sau“<br />

Botzela, auch<br />

Butzela Ferkel, schmutzige Kinder<br />

Bowille Baumwolle<br />

Bräam Stechfliege, Bremse<br />

Bräggez Brezel<br />

Bräschdleng Gartenerdbeeren<br />

b´raffla anreden<br />

(´s) braisch-<br />

deled (es) riecht angebrannt<br />

brach,<br />

Brachquadd unangebaut (brach, nasal), Engerling<br />

Braosamma Brosamen<br />

Braoscht Angst,Sorgen<br />

Bredla Kekse, Plätzchen<br />

Breisle Ärmelbund<br />

bressiera beeilen<br />

britscha schlagen, hauen<br />

Brodhanga Hängeregal für Brot im Keller<br />

Brodloab Brotlaib<br />

Bruadere Bruthenne<br />

bruddla schimpfen<br />

bsoffa betrunken, besoffen<br />

Budda Bütte<br />

Bussaasch Liebschaft (frz. „poussage“)<br />

Burra Beule, Höcker<br />

Butzemaa Butzenmann, Vogelscheuche (vermummte Gestalt)<br />

Butze-<br />

meggerle Nasenpopel, kleiner Finger<br />

Buurschd,<br />

Handwerks- freche Burschen, Handwerksburschen<br />

D<br />

182


dabba, adabba tappen, grob anfassen<br />

Däbberla kleine Schritte, Hausschuhe<br />

dachgähl steil (steil wie ein Dach)<br />

däddscha,<br />

zeemedäddscht,<br />

Däddschkabb flachschlagen, eingedrückt, flache Schildmütze<br />

Dadderich Zittern („der hot da Dadderich“)<br />

Däfr getäfelte Wand aus Holz<br />

dai dein<br />

daiba widerkäuen<br />

Daife Taufe<br />

Daisl Deichsel<br />

daisama,<br />

disamla flüstern (disamla?)<br />

Dalla Delle<br />

dalga,<br />

romdalga kneten (abfällig)<br />

danna dran (sell danna - da dran, aber auch doort danna - dort drüben)<br />

Daodagräbr Totengräber<br />

dapfr schnell, „Lauf dapfr!“<br />

daub dumm, ungeschickt, taub<br />

daubedichd gedankenlos (meist „em daubedicht“)<br />

Daursch auch<br />

Dorschich Krautstrunk<br />

Dazapf Tannenzapfen<br />

deane denen<br />

debara toben, schreien<br />

Debbich Teppich, Wolldecke<br />

Deede, auch<br />

Geddle Pate, dazu: Geddlesbas, die Frau des Paten<br />

deega denken<br />

Deerle kleine Tür<br />

Deggle kleines Mädchen (von „Dogg“ = Puppe)<br />

Denger „Du bisch so a Denger (Dengere)!“ Du bist so einer!<br />

dengla dengeln, Sense schärfen<br />

Dezr Kreisel (Tänzer)<br />

diiba drüben<br />

Diiraschnall Türklinke<br />

Dippl oder<br />

Dubbl ungeschickter Mensch<br />

Dipfele Pünktchen<br />

Ditz, Dittele Zitze<br />

doaba ausruhen<br />

Doag Teig<br />

Doal Teil<br />

doara donnern (s´doarad)<br />

doba droben<br />

Doda, auch<br />

Godda Dote, Patin<br />

183


Dogg, Deggle,<br />

doggelich Puppe, Püppchen, auch<br />

kleines, hübsches Mädchen,<br />

Doggaschduab Puppenstube<br />

nadoggeled schön hergerichtet (von „Docke“ Bündel aus Getreide oder Flachs)<br />

dollaohrich schwerhörig<br />

Domma Daumen<br />

donna drunten<br />

Doorda Torte<br />

dosa dösen, schlummern<br />

Dräächdr,<br />

Driichdr Trichter<br />

dragriaga hereinlegen<br />

Draischdr Treber<br />

i drag, du<br />

draisch, er<br />

draid ich trage, du trägst<br />

Drallewadsch ungeschickter Mensch, Dummkopf<br />

drenna drinnen<br />

drebbla treten (Hai drebbla), aber auch trappeln vor Zorn oder Ungeduld („Ward, dir<br />

will i drebbla!“sagt der Vater zum Kind)<br />

Driebel,<br />

driebla Kurbel<br />

Driableng Tagedieb<br />

driala,<br />

Drialer sabbern, Sabberlatz, langweiliger, langsamer Mensch<br />

dribbliira drängen, nötigen<br />

drinii darüber<br />

droaschga schwer atmen<br />

Droddwar Gehweg (frz. trottoir)<br />

dromm darum, auch kurz für: Jetzt geht mir ein Licht auf!<br />

Droom Traum<br />

drugga trocken<br />

Druggaburzler Purzelbaum<br />

i dua, i hao dao,<br />

i dääd ich tue, ich habe getan, ich täte bzw. ich würde tun. Dazu<br />

„Däätsch mr eikaufa?“ (Würdest Du mir einkaufen?), davon scherzhaft „Mai<br />

Däätschmr“<br />

(sich) dugga,<br />

Dugg (sich) ducken,<br />

Duck, dir gei i an<br />

Dugg! dir werd ich´s zeigen!<br />

durranand durcheinander<br />

durmelich schwindlich<br />

dußa draußen<br />

E<br />

Eahma,<br />

Eahmahaus,<br />

Eahmamaa Bienen ( -haus, Imker)<br />

184


Earn(d) Ernte<br />

ebbes etwas<br />

ebbr jemand<br />

ebig ewig<br />

Eeda Enten<br />

Eedrich Enterich<br />

Eeg Egge<br />

ehnder eher<br />

eidao eingetan, eingebracht (Ernte)<br />

eigschobbd eingeschoben<br />

einegäa Vieh füttern (in die Krippe eingeben), eingeben<br />

emder däät e eher würde ich, eher täte ich<br />

Emoasa Ameisen<br />

en d’ Haihne<br />

gao in die Höhe gehen<br />

Epfelbrei Apfelmus<br />

Erbis Erbsen<br />

Ern Hausflur<br />

Eschbr Kleeart (Esparsette)<br />

eddso,<br />

eddaa so,<br />

auch nedda nicht so<br />

ewicher Klaia Luzerne<br />

F<br />

fäaga fegen, kehren<br />

fäärn vergangenes Jahr<br />

Fäaschdr Fenster<br />

Färschl Ferse<br />

Fätz,<br />

Fätzaberger Lump, Spitzbube, auch Granadefätz (steigernd)<br />

faischdr finster, dunkel<br />

falliera fehlschlagen, versagen<br />

Fasned Fasching, Karneval<br />

(aa)fatza (ab)reißen<br />

Fazaneddle Einstecktuch Ziertaschentuch, (lat.-italien. Fazelet)<br />

Feierdich Feiertag<br />

fenna finden<br />

Fiaderle Kleiderfutter<br />

Fiaß Füße (samt Beinen!)<br />

Fiedle Popo, weibliche Geschlechtsteile<br />

Fille Fohlen, aber Fülle (Geflügel)<br />

fiirsche vorwärts<br />

Fiirwitz Neugierde, Vorwitz<br />

Fissamadenda<br />

macha Unsinn treiben<br />

Flaas Flachs<br />

fladdiira schmeicheln, gut zureden<br />

flagga faul herumliegen<br />

185


Flaoh, Flaih Floh, Flöhe<br />

Flaoz Unsinn,<br />

Flärra Fetzen<br />

Fläscha,<br />

Fläschner Flasche, Flaschner<br />

Flegga, Flecken, Ort, dazu Fleggabeas (Person, die im ganzen Ort herumkommt)<br />

foal feil<br />

fobba, föbbla foppen, necken<br />

fraoh froh<br />

Froo Arbeit für die Gemeinde, Fron (mit nasalem o)<br />

Fruuchd Frucht, Getreide<br />

fuadera füttern<br />

fuaßla schnell laufen, rennen<br />

Fuaßned am Bettende, an den Füßen<br />

fugela ausfindig machen „G`fugelet wurd net!“ -so der empörte Ausruf einer sich<br />

belästigt fühlenden Frau<br />

fuggera handeln, feilschen (geht auf die Handelsfamilie der Fugger zurück)<br />

furza einen Wind fahren lassen<br />

G<br />

Gaarda Garten<br />

gaddich,<br />

ogaddich nett, gutartig - sperrig, ungeschlacht<br />

gäa gegeben<br />

gäal ,<br />

Gäalriaba gelb, gelbe Rüben, Karotten<br />

gäddrich locker<br />

Gäädr Handgelenk und Kniekehle (von Ader)<br />

gäa, i gei,<br />

du geisch,<br />

er geit,<br />

er hat gäa geben, ich gebe, du gibst, er gibt, er hat gegeben<br />

gäga schief halten, in eine schiefe Lage kommen<br />

Gäärschda Gerste<br />

gaga viel reden<br />

Gaggele Ei<br />

galabrisch aufregend, unbändig<br />

gamba schwanken, beim Sitzen mit den Beinen Baumeln<br />

Gas,Gäs,<br />

Gäsgr, Gäs-<br />

Oa Gans (a nasal), Gänse, Ganter, Gansei<br />

Gassavogel Gassenjunge<br />

Gaude Spaß (lat. gaudium)<br />

gao lao gehen lassen<br />

Gaulsdadde Pferdenarr<br />

gautscha schaukeln<br />

gazga stottern, aber auch Hühnergackern<br />

Gelta,<br />

Spialgelta Wassergefäß, Spülschüssel<br />

186


ge Felda<br />

ganga die Felder besichtigen gehen (Sonntagsvergnügen)<br />

gemmalich (mir isch´s) mir ist nicht wohl, zum Rumhängen<br />

G´fix schwierige Sache<br />

g’fonna gefunden<br />

G´fräß ungenießbares Essen, Zeug<br />

G´friere Tiefkühltruhe<br />

g´hairich gehörig, viel<br />

g’heegd aufgehängt<br />

g´heia reuen<br />

giggela spickeln, abgucken<br />

gilfa grillen, laut sein<br />

Gilla Gülle, dazu Gillaschapf (Güllenschöpfer)<br />

Gischbl aufgeregte, nervöse Person<br />

Gläaner Geländer<br />

gladd lustig<br />

Glaif (schlechte) Laufart<br />

Glaosmärgd Weihnachtsmarkt<br />

glebbera klappern, dazu Glebberla (Mohnkapseln)<br />

Gleckleng Holzstämmchen für den Schweinestall<br />

Glegg eine Lage Heu oder Getreidegarben auf dem Erntewagen<br />

glemma zwicken, dazu<br />

Glemmer Waldameisen<br />

Gloabwad Lehmfachwerk (a nasal)<br />

Gloach Kettenglied<br />

Globa Pfeifenkopf, Türangel, Grobian, verstärkt Sauglob<br />

G´loddr Gelottere, loses Zeug<br />

G´lomb Gelumpe<br />

glotza gucken, starren, dazu<br />

Glotzer,<br />

Glotzbebbel (Augen)<br />

Glufa, Gliifla Stecknadel, dazu Glufamichel - kleinlicher Mensch<br />

Gluzgr, auch<br />

Gäzgr Schluckauf<br />

G´mäch (von „Gemäch), Unterbauch,<br />

gnabba knappen, hinken<br />

Gneddle Knöchel<br />

Gneisle Brotanschnitt<br />

Gnui Knie<br />

goafra wichtig tun (eifern)<br />

Goaß Geiße, Ziege dazu<br />

goaße herumrennen, nuffgoaße - hochklettern<br />

Goaßl Peitsche<br />

Goascht Geist<br />

Goddsdank Erwiderung auf Grüß Gott<br />

Goggeler Gockel, Hahn<br />

Goggs Hut<br />

Gosch grob für „Mund“, dazu<br />

goscha schimpfen<br />

187


Goschahobl Mundharmonika<br />

gorgsa würgen<br />

gozich einzig<br />

Grabb Rabe, Krähe<br />

Grabloch ausgehobenes Grab<br />

Gradda, auch<br />

Grätta geflochtener Korb<br />

Graddl Stolz<br />

gräa,<br />

gräelechd grün, grünlich<br />

gräädich schlecht gelaunt, mißmutig<br />

Gräb(e)le Platz in der Mitte der Ehebetten<br />

graoß groß<br />

grausich grausig<br />

grawohla sich anschmeicheln<br />

grebsla klettern, dazu Semsagrebsler - saurer Wein<br />

G`rech oberster Scheunenboden<br />

grepfig steif, ungelenk, „krämpfig“<br />

Grezler Radschuh mit scharfen Zähnen, von gretza - kratzen<br />

Griaba Grieben<br />

Griicht Gericht „No net griichtela!“<br />

Griffl- Finger, Schreibstift für<br />

spitzer Mensch, der alles ganz genau nimmt<br />

Gritzger ungezogenes Kind<br />

groa grau<br />

groable herumtasten, dazu Groabl und groablich (ungelenk)<br />

g´rada geraten, gedeihen<br />

Grodd,<br />

Gröddle Kosenamen für Mädchen<br />

groddabroat,<br />

groddafalsch sehr breit bzw. falsch<br />

Grodda-<br />

giegser scherzhaft für Taschenmesser<br />

Grombira Kartoffeln<br />

gruaba ausruhen, dazu<br />

Gruabbaak (Ruhebank)<br />

grubla (Nase)-bohren, em Dreck romgrubla (bei Kindern)<br />

gruschtla,<br />

Gruschd kramen, Kram, steigernd Lombagruschd<br />

g´säahnich „gesehend“, einsichtig<br />

Gsälz Marmelade<br />

g´schäbberd gescheppert (z. B. Gräusch beim Zerbrechen von Porzellan)<br />

Gschäddr,<br />

gschäddere Getöse, Krach (wenn Metallteile aneinanderschlagen), Krach machen<br />

gschdanna stehen, dazu: gschdannene Milch - Sauermilch<br />

Gscheddich Dreschabfall<br />

g´schegged gescheckt, auch sonderbar „Lach net so g´schegget.“<br />

gscheid gescheit<br />

G´schiiß<br />

188


macha Umstände machen<br />

g´schlaachtd geschmeidig, auch umgänglich, freundlich<br />

G´schmoaß Ungeziefer, Geschmeiß, auch asoziale Menschen<br />

G´schnipf Abfall, Schnipsel von Obst und Gemüse, auch Papier<br />

gschwistrige<br />

Kender Vettern und Basen,<br />

gschwistrige<br />

Kendskender Kinder von Vettern und Basen<br />

Gschwulschd Geschwulst<br />

gsonn gesund<br />

guada Rad? Begrüßungsformel, (Haltet ihr guten Rat?)<br />

guad gschirra gut zusammenarbeiten<br />

Gugg Tüte<br />

gugga gucken, schauen<br />

Guggomer Gurke<br />

Gurgl Gurgel, Hals<br />

gwäa gewesen<br />

H<br />

Haad, Heed Hand, Hände<br />

Haadhebets Griff (Handhabe)<br />

Haadwäagele Handwagen<br />

häal hell<br />

haard fast, doch nicht, z.B. „des wurd haard so sei“<br />

Habr, häbera Hafer, Hafer säen<br />

Häddele magere, zierliche Frau (von „Hättel“ - Geiß oder magere Kuh)<br />

Haga Stier<br />

Häga<br />

Hägamarg Hagebutten, Hagebuttenmarmelade<br />

Häggr<br />

Gätzger Schluckauf<br />

Häle kleines Huhn oder kränkliche Person<br />

Häahraug Hühnerauge<br />

Häahrdärm Unkraut mit dünnen, sehr langen Wurzeln, Sternmiere<br />

Häahrloadr Hühnerleiter, Laufmasche<br />

Häs Kleider, Gewand<br />

Hafa Topf,<br />

Hafa- oder<br />

Schüsslabridd Schüsselbrett vor dem Küchenfenster<br />

Haibed Heuernte<br />

haid heute<br />

Hai-Soachr kurzer Regenguß während der Heuernte<br />

Haile Hacke<br />

Hailiacher Heuhaken<br />

Haihne Höhe<br />

Haipfl Kopfkissen (80 x 100)<br />

hairsch? hörst du .<br />

Hamballe Dummkopf<br />

189


i hao, du hasch,<br />

er hat, mir hent,<br />

i hao g´heet ich habe, du hast, er hat, wir haben, ich habe gehabt<br />

haoh doba hoch droben<br />

haohe Gass hohe Gasse<br />

haud(e)ra,<br />

romhaudera hoppeln, schlecht fahren, herumhängen<br />

Hauzich Hochzeit<br />

Haxa Füße<br />

Haziahger Schuhlöffel<br />

Hearzer Busen<br />

heba (fest)halten<br />

Hebgschirr Hebezeug<br />

Heckabeerla wilde Stachelbeeren<br />

hee, auch<br />

heenich kaputt, tot<br />

Heedschich Handschuh<br />

Hefelhafa Topf für Sauerteig<br />

hehlenga heimlich (verhohlen)<br />

heila heulen, weinen<br />

Heiligsblechle Fluch<br />

Heinza Trockengestelle für Heu<br />

Hemmad Hemd<br />

Hemmad-<br />

glonker Einer der im Hemd dasteht oder den Hemdzipfel raushängt<br />

henderliddich kränklich<br />

hendersche rückwärts, auch umgekehrt<br />

henderschefir verkehrt herum<br />

henna hinten<br />

hert hart<br />

herzuas herwärts<br />

hirchla röcheln<br />

h’m? was möchtest du?<br />

Hoah, Häahr Huhn, Hühner<br />

Hoab Haumesser<br />

Hoadlbeer Heidelbeeren<br />

hoala heilen<br />

hoam,<br />

Hoamwaih heim, Heimweh<br />

hoamzuas heimwärts<br />

hoaß heiß<br />

Hommel junger Stier, Farren<br />

hobba,<br />

hobba lao hüpfen, springen lassen<br />

Hobbr Hüpfer<br />

hogga hocken, sitzen<br />

Hohlziagl Firstziegel<br />

Holder Holunder<br />

Honn Hund<br />

190


Hubbl Erhöhung<br />

Huddl schlampige Frau<br />

hudla eilen, überhasten<br />

Hudel,<br />

Hudlawisch Ofenwischer<br />

Hudsch halbgewachsenes Pferd<br />

Hurgler ungeschickter Mensch<br />

hussa draußen<br />

Hutzel gedörrte Birnen, im ganzen oder Birnenschnitze<br />

I<br />

i moa ich meine<br />

ibelsichtich schlecht aussehen<br />

ibersche obendrüber, höher<br />

iberzwerch überzwerch, falsch<br />

Ipser Gipser<br />

isch ist<br />

i(a)tz la(ß)<br />

mi gau ! Ausruf des Erstaunens (Jetzt laß mich gehen !)<br />

J<br />

Jäschd Aufregung<br />

jesesmäßich ganz arg, sehr viel (i hao me jesesmäßich g´ärgeret!)<br />

jamera jammern<br />

juzga jauchzen<br />

K<br />

Kaarsch Kartoffelhacke<br />

Kabb Kappe, Mütze<br />

Kabbadach Kopf<br />

Kachl Schmortopf, dicke Person<br />

Käehla Hohlweg<br />

Kärn Keller<br />

Käsbäbberla Kletten<br />

Kalch Kalk<br />

Kalender-<br />

machr Mensch, der viel nachdenkt<br />

Kammr Kammer, Schlafzimmer<br />

Kandl Kandel, Rinnstein<br />

Karra,<br />

Karrich Wagen<br />

Karrasalb Wagenschmiere<br />

Kaschda Kasten<br />

Kaschdanazga Kastanien<br />

Kazl Kanzel (nasal gesprochen)<br />

Keche Köchin<br />

Keebedd Kindbett, Wochenbett<br />

kecklich herzhaft<br />

Keddem Kette<br />

Kee Kinn<br />

191


Kehlkraut,<br />

Kehl Wirsing<br />

Kemmich Kümmel<br />

kiddera lachen, kichern<br />

Kiddl Kittel, Jacke<br />

Kiibl Kübel<br />

kiifa nagen, kauen<br />

Kiirscha Kirschen<br />

Kirbe Kirchweih<br />

Kirchhof Friedhof<br />

Klaia,<br />

Klaiesoma Klee, Kleesamen<br />

Kload Kleid<br />

Kloaderhaga Kleiderhaken<br />

Knäachd Knecht<br />

knitz verschlagen, schlau, listig<br />

knubla knien<br />

knudscha knutschen, küssen<br />

koa, koar kein, keine, keiner<br />

Koarn Korn<br />

Koas keines, niemand (koas mag me)<br />

Koaz Schlamm<br />

kobba aufstoßen<br />

Kommed Halsgeschirr für Zugtiere<br />

Kommod Kommode<br />

Kompf Wetzsteinbehälter<br />

Kongel Kunkel<br />

Koor,<br />

Rattekoor (Kinder)-Horde<br />

(am) Kopfnet am Kopfende<br />

Kosl Mutterschwein<br />

kotza erbrechen<br />

Kotzer Husten<br />

Kraibl Misthaken<br />

krageela rumschreien<br />

Kraudstanna Krautfaß<br />

Kreepf Krämpfe<br />

Krischboom Christbaum<br />

Krischdag Christtag (Weihnachtstag)<br />

Kraged Krankheit<br />

kuahl kühl, langsam<br />

Kuchea Küche<br />

Kuche-<br />

kämmerle Speiskammer<br />

Kuddl, Kuttel<br />

Kuddla Eingeweide (i hao a guade Kuttel),<br />

Kuddla Gericht aus dem Magen von Schlachttieren, „saure Kuttla“<br />

Kudder Abfall, Müll, dazu Kudderoamer und -schaufel - Kehrschaufel<br />

Kuglfuhr Spaß, Durcheinander, lärmende Possen<br />

192


Kuahfliagets aufsehenerregendes Ereignis<br />

kuppelig flink, beweglich<br />

L<br />

läan lassen „(Jetzt läan no mi gao!)<br />

Läbdag Lebetage, Aufregung, Umstände machen („no koan Läbdag!“)<br />

Läabara,<br />

Läabre-<br />

schbatza Leber, Leberspätzle<br />

läbbera mit Flüssigkeit spielen<br />

Läädsch Mund, Maul<br />

läabich lebendig<br />

Lällabäbbl dummer Mensch<br />

lätz falsch, verkehrt<br />

Laibezegg Zecke<br />

Laifr Jungschwein oder Läufer<br />

Lainich Leintuch<br />

Laisa Linsen<br />

lais(e)la flüstern<br />

lamelich langsam<br />

Lamberi Fußbodenleiste, Vorhangschiene<br />

langlechd länglich<br />

lao, bleiba lao lassen, bleiben lassen<br />

La(n)gwied die lange Verbindungsstange vom vorderen zum hinteren Wagenteil<br />

Lale langsamer Mensch<br />

ladscha latschen, langsam gehen<br />

laudrich unbefruchtet (bei Eiern)<br />

Lavor,Lafor gesprochen Waschschüssel (frz. lavoir)<br />

Legwied Weidenseil<br />

Leich Beerdigung<br />

Leis Läuse<br />

leitschei schüchtern, scheu, (leutscheu)<br />

Lenna Linde<br />

Lennabliads Lindenblüten<br />

Liachdbutz Nachtfalter<br />

Liachtkarz abendlicher Spinntreff im Winter<br />

I liig, du leisch,<br />

er leit,<br />

mir lieget ich liege, du liegst, er liegt, wir liegen<br />

lipfa, auch<br />

lupfa hoch heben<br />

Loable Weißbrotlaib<br />

Loadr Leiter<br />

Loahma Lehm<br />

Loasl, Leisel Verbindungsstück von Achse zum Leiterbaum beim<br />

Leiterwagen<br />

Loaß ausgefahrene Spur<br />

lodderleer ganz leer<br />

193


loddra lao hängenlassen<br />

Lomb,<br />

Lomba der, die Lumpen<br />

Lombadogg Kosenamen für Mädchen (Lumpenpuppe)<br />

Lonna doppelte Deichsel<br />

loschora lauschen<br />

Luag Lüge, dazu Luagabeidel - Lügner<br />

Luggeleskäs Quark<br />

luggs locker (Kuchen)<br />

Luse freie Zeit<br />

M<br />

Maagsoma Mohn(samen)<br />

Märgd Markt, aber auch Betrieb, Umtrieb (Kendsmärgd)<br />

Märschl Axt mit breitem Haupt<br />

mai mir, aber auch mehr<br />

Mallär Probleme, Unheil (frz. malheur)<br />

Malle Maria<br />

mampfa essen, mit vollen Backen kauen<br />

Mannsleid Männer<br />

Manze närrischer Mensch<br />

Maa Mann<br />

Maale kleiner Mann<br />

marod krank, schlecht<br />

Maschee Maschine<br />

maudrich kränklich<br />

maogelesbrao mittelbraun, von undefinierbarer Farbe<br />

Maul Mund<br />

Meahlbeer Mehlbeeren, Weißdornfrüchte<br />

meechd möchte<br />

Meggele,<br />

Mockele Kalb<br />

Meggl Kopf<br />

meira, Meirer mauern, Maurer<br />

meichala nach Verschimmeltem riechen<br />

Männdle kleiner Junge, auch Drohwort („Männdle, Männdle!“), kleiner Mann<br />

Mensch,<br />

Menscher Mädchen (Einzahl), Mädchen (Mehrzahl), abfällig<br />

metzga metzgen, schlachten<br />

migga, Migge bremsen, Bremse<br />

moaschd? meinst du ?<br />

Moaschdr Meister<br />

Moaßl Meißel<br />

Molge Molkerei<br />

Moo Mond<br />

Mooschd Most<br />

Morna morga Morgen früh<br />

morns abed Morgen abend<br />

muaschd? mußt du ?<br />

194


Mugg Fliege, Mücke<br />

muggr munter, lebhaft<br />

Mulle Katze<br />

Muschget-<br />

nuss Muskatnuss<br />

N<br />

naa nach unten, abwärts<br />

Näächde Nacht (bei Näächde)<br />

näamerd niemand<br />

näanich nirgends<br />

Näschd Bett<br />

naagscherrd verscharrt, beerdigt<br />

nai hinein<br />

naidich,<br />

onaidich nötig, unnötig<br />

naischobba,<br />

verschobba hineinschieben, verstecken<br />

naizuas hinein<br />

nagfloga hingefallen<br />

nare gao beeilen, schnell machen<br />

narred verückt, wütend, auch hastig („no nix Narreds“)<br />

naus hinaus<br />

nauszuas hinweg, hinaus<br />

nemme nicht mehr<br />

nii hinüber<br />

noa nein<br />

Nochdoal Nachteil<br />

noddla rütteln<br />

no mai noch mehr<br />

nomm hin zu<br />

nommzuas in die Richtung, die mit „nomm“ bezeichnet wird<br />

noa wäger von wegen, nein, sicher nicht<br />

nuff nach oben, aufwärts<br />

nui neu<br />

O<br />

Oa Ei<br />

Oacha Eichen<br />

Oachhernle Eichhörnchen<br />

Oages Eigenes<br />

oamal einmal<br />

Oamr Eimer<br />

oane, oar,<br />

auch oaner,<br />

oas eine, einer, eines<br />

oanzeln einzeln<br />

oasmich irgendwo<br />

Oas Furunkel<br />

195


Oasaganzr, auch<br />

Oazächdr Einzelgänger<br />

obacha ungeheuer (steigernd:<br />

„obacha kalt“)<br />

Ölmaga Mohn<br />

Ofaschlupfr Auflaufart (aus alten Wecken und Milch)<br />

ofläedich unausstehlich, unflätig<br />

ogfähr ungefähr<br />

ois egal<br />

Ommegänger Hausierer, Händler<br />

omorgla ändern<br />

Omraag Kurve („Umrank“)<br />

oms kenna beinahe<br />

ondersche,<br />

abersche nach unten, unten durch<br />

Oarnong,<br />

auch Oarneng Ordnung<br />

Orschlichd Schwefelschnitte<br />

osr unser<br />

Oziifr Ungeziefer<br />

P<br />

Padr Halskette (mit Nasal)<br />

Paseela Stiefmütterchen (a nasal, von frz. pensée)<br />

Pederleng Petersilie<br />

Pfannadeggl Pfannkuchen<br />

Pfanna-<br />

beischd In viel Fett gebackene Fladen aus gesalzenem Hefeteig<br />

Pfätscha-<br />

kendle Wickelkind<br />

Pfipfes Zungenkrankheit bei Hühnern<br />

pfiza mit der Peitsche oder einer Weidenrute leicht schlagen<br />

pfloatschaa sich hinflegeln<br />

Pflegl Flegel<br />

Pflomma Pflaumen<br />

pfluadra flattern<br />

Pfropfaziahgr Korkenzieher<br />

pfupfera aufgeregt sein, etwas nicht erwarten können<br />

pfuzga blasen<br />

Pratza Pratze, große Hand<br />

pratzla fallen, mit deutlichem Geräusch, z.B. Obst vom Baum, auch „´S hangt<br />

pratzlet vool!“<br />

pritscha schlagen<br />

R<br />

raa, raawärts runter, abwärts<br />

Räachd,<br />

räachd hao Recht, recht haben<br />

räada durchsieben<br />

196


Raah Rahm (nasal)<br />

rackhee total kaputt<br />

raddabutsch ganz und gar<br />

Rädich Rettich<br />

Rälleng Kater<br />

Rabbl Zorn, „den hod dr Rappl packt“<br />

räbbla Rinde schälen<br />

räs sauer (bei Wein und Most)<br />

raffla, Raffel viel schwätzen, großes Mundwerk<br />

Ragalla laute, sich wichtig machende Frau (Betonung auf der zweiten Silbe)<br />

raig´hagled hereingefallen, merke: raag´haglet - heruntergefallen<br />

raig´-<br />

schmeggd nicht von hier, nicht einheimisch<br />

raisch, auch<br />

reesch knusprig, geröstet<br />

Rambass Rowdy<br />

Ranka Stück Brot<br />

Ranzawaih Bauchweh<br />

Rafd Ranft, Brotrinde, Kuchenrand (nasal)<br />

raod rot<br />

Raohr Rohr, dazu Raohrbronna und Raohrschdiefl Gummistiefel<br />

Rauschkugl Betrunkener<br />

reachta lebhaft erzählen, sich verstreiten<br />

Rebbs Raps<br />

rei herein<br />

Reible junges Rind<br />

reng gering<br />

Riabehafa Kopf<br />

Riassel Rüssel, Kopf<br />

Riibl Stück Brot, Kopf<br />

Riibele Brotendstück<br />

Riggene Weihnachtsgebäck (Ausstecher) aus Brotmehl<br />

rii rüber, komm rii, komm rüber<br />

Riaschdr Schimpfwort, Schlampe<br />

roafla, Roafa rennen, Reifen treiben, Reifen<br />

roma (auf)räumen<br />

Rombloch Aufbau auf Vorderachse<br />

(komm)romm herum, komm rüber, dazu „anders romm“<br />

romm-<br />

wuurschdla herumschaffen<br />

romm on<br />

nomm hin und her<br />

Roßbolla Pferdeäpfel<br />

Roßmugga,<br />

Resama Sommersprossen<br />

ruff herauf<br />

ruffzuas heraufwärts<br />

rugg amol<br />

romm rücke mal da rüber<br />

197


Rugga Rücken<br />

ruugla,<br />

Ruugl rollen, Stück Wurst, Stück Holz (Stämmchen)<br />

S<br />

Säag Säge<br />

Säagaz Sense<br />

Saggduach Taschentuch<br />

i sag,<br />

du saisch<br />

er said,<br />

mir saget ich sage, du sagst, er sagt, wir sagen<br />

Sau Schwein, vorangesetzt steigernd, wie Sauleaba, Saug´fräß, Saulabb,<br />

Saulada, Saukerle, saumäßig<br />

saua sausen, rennen<br />

Sei Schweine<br />

Seiher Sieb<br />

seller, selle,<br />

sell dieser, diese, dieses<br />

Sembl,<br />

Huatsembl Dummkopf (simpler Mensch)<br />

Semmere Maßeinheit, Semmereszoane oder -grädda<br />

sengalad riecht angebrannt<br />

Siach,<br />

grommer<br />

Siach derbes Schimpfwort<br />

siadich hoaß siedend heiß<br />

soacha Wasserlassen<br />

Soafa, Soapf Seife<br />

Soal Seil, dazu Soaler<br />

Soma Samen<br />

Sonnawirbl Löwenzahn<br />

Stanna Steingutbehälter<br />

Sudrai Keller, Untergeschoß (frz. souterrain)<br />

Suf(a)raohr Wadenstiefel<br />

suggla, Suggl nuckeln, saugen, Sauger, junges Lamm, dazu „Mammesuggele“<br />

Sch<br />

Schäaf hinterlistige Person, Schlampe<br />

Schälfez,<br />

Schälfeza Hülse der Erbsen und Bohnen, auch allgemein Gemüse- und<br />

Obsthäute, z.B. Zwiebelschalen<br />

Schäar Maulwurf<br />

Schäädl Schädel, Kopf<br />

Schabbel,<br />

Schäbbele Haube, Kranz als Kopfschmuck, mit frz. chapeau verwandt<br />

Schäbberle kleines Mädchen<br />

schäaged schlecht, schief gehen, „d`Schuah verschäaged“<br />

schäbbera rasseln, scheppern<br />

198


schälda schelten, schimpfen<br />

schälla schellen, läuten<br />

Schäpfle Schöpfkelle, auch kleiner Topf mit Ausguß<br />

Schärdela Unkraut, Wiesenbärenklau<br />

schärra scharren, dazu Schärrede<br />

Schaff-<br />

schuarz Arbeitsschürze<br />

schalda schieben<br />

schalluu aufgeregt (frz. jaloux, hier neidisch)<br />

schandlich,<br />

schandlich doa schlecht, über jemanden herziehen<br />

schao schon<br />

Schbatze-<br />

bridd Spätzlesbrett, für handgeschabte Spätzle<br />

Schbeis<br />

(männlich) Mörtel<br />

Schbial-<br />

schdoa Spülstein, Ausguß<br />

Schbbigg-<br />

leng (Kartoffel)-Kuchen, sonst näher bezeichnet z.B. Zwetschgaschbiggleng<br />

Schboacha Speichen<br />

schberrangel-<br />

weit ganz offen stehen<br />

Schbrengerle Springerle (Weihnachtsgebäck)<br />

Schbrezkaad Gießkanne (a in Kaad nasal)<br />

schbreza gießen<br />

schbugga erbrechen<br />

Schbruier Spreu<br />

Schdacheda Staketen<br />

schdäd langsam<br />

Schdäar(n)a Sterne<br />

Schdäarna-<br />

rägele Wunderkerze (Sternenregen)<br />

Schdaffla,<br />

Schdäffela Staffeln<br />

schdao,<br />

schdao lao stehen, stehen lassen<br />

schdeib(e)ra abstützen<br />

schdemmela<br />

(stehlen) heimlich Frucht vom Boden holen<br />

Schdiag Stiege, Treppe<br />

schdiara etwas suchen, stöbern<br />

Schdoa Stein, dazu schdoahard<br />

Schdogghafa Blumentopf<br />

schdräahla kämmen<br />

schdraiba,<br />

Schdraibe streuen, Einstreu<br />

Schdrubfer,<br />

Schrubber Schrupper<br />

199


schdupfa stechen, stupsen (mit Nadel oder Finger)<br />

Schdraoh Stroh<br />

schdrazza stolz sein, strotzen<br />

Schdrempf Strümpfe<br />

Schdriggez Strickzeug<br />

Schdroafala Unkrautart (Ackerwinde)<br />

Schdubbfla Stoppeln<br />

Schduub Stube<br />

schee schön<br />

Scheegl Schenkel<br />

Schees Kutsche (Chaise)<br />

scheicha scheuchen<br />

Scheißerde Durchfall<br />

schempfela,<br />

romdreckla nicht in die Gänge kommen<br />

scheniera,<br />

schenant sich schämen, lästig sein, sich immer genieren<br />

Schendmärr Schimpfname, Schindermähre<br />

scheps schief<br />

Scheißgaß Schwierigkeiten, „en d’ Scheißgaß komma“<br />

Schesslo Liege (frz. chaiselongue“)<br />

Schiaßr Brotschieber, zum Einschießen von Brot beim Backofen<br />

Schiibele Portion, Schübchen<br />

Schisslabridd Schüsselbrett<br />

Schittschdoa Spüle,Ausguß<br />

Schitz Amtsdiener<br />

schläacht schlecht<br />

Schlabbr-<br />

gosch großes Mundwerk<br />

Schlabbaohra Eselsohren am Buch, große Ohren<br />

Schläbbr Pantoffeln<br />

schläggich wählerisch<br />

Schlaiha Schlehen<br />

Schlaoßa Hagelkörner<br />

schleegera schlenkern<br />

Schleifez Schleifbahn<br />

Schlisselbigs hohler Schlüssel, mit Pulver gefüllt, wird zum Böllerschießen<br />

verwendet<br />

schloapfa schleifen<br />

Schloapf-<br />

droog Hemmschuh<br />

schlotza,<br />

Schlotz(er) schlecken, Lutscher<br />

Schludda Schlampe, dazu schluddelich<br />

schlurga beim Gehen Füße nachziehen<br />

Schmär Fett, Schmer<br />

Schmidde Schmiedewerkstatt<br />

Schmotz Fett<br />

Schmotz-<br />

200


lappagschäfd Vetterleswirtschaft<br />

(Luft)schnabba Atem holen, „er duat sein ledschda Schnabber“<br />

Schnai Schnee<br />

Schnauf,<br />

schnaufa Atem, atmen<br />

Schnauzr Schnauzbart, Hund (Schnauzer)<br />

schnee(ai)-<br />

baucha schwer atmen<br />

Schnellkädder Durchfall<br />

schneiza schneuzen<br />

Schnitzbriah Brühe von gekochtem Dörrobst, zu dünne Brühe, schlechter Kaffee<br />

Schnuderde Schnupfen<br />

Schoada Keil<br />

schoare,<br />

Schoarschaufl umgraben, Spaten<br />

Schobba Saugflasche für Kinder, ½ Liter Glas<br />

Schocha,<br />

schocha Heuhaufen, diesen aufsetzen<br />

Schocha<br />

lacha laut lachen<br />

Schual Schule, dazu Schualmoaschder<br />

Schuahmächr Schuhmacher<br />

Schublatz Schuttabladeplatz<br />

schugga stoßen<br />

Schui(e)r Scheuer<br />

Schuldes Schultheiß<br />

Schuß Aufregung, „em Schuß“ - überhastet, dazu schusselich, Schussel<br />

Schwäh(e)r Schwiegervater<br />

schwätza schwätzen,sprechen<br />

schwanza ausgehen, schwänzen<br />

Schweda-<br />

gnöpfla Grießklöße<br />

Schwen-<br />

suuchd Schwindsucht<br />

Schwiigr Schwiegermutter<br />

schwiddisiera sich herumtreiben<br />

Schwoaß Schweiß<br />

U<br />

uff auf<br />

uff dr Gaard dauernd unterwegs<br />

Uffamärga-<br />

leida Abendglockenläuten<br />

uffbäha aufblähen, aufbacken<br />

uffbäbbla aufpäppeln<br />

uff de Obed am Abend<br />

ufflease (Obst) auflesen, heruntergefallenes Obst einsammeln<br />

Uffgsedsde Weihnachtsgebäck, „Aufgesetzte“<br />

uffhipfich oder<br />

201


hepfich aufgeregt<br />

uffpfiisa aufgeblasen, aufgeschwemmt<br />

uffstao aufstehen<br />

Ureisele Hornisse<br />

V<br />

vagiera umherschweifen<br />

Veigala Veilchen<br />

Veranda Balkon<br />

verbobbra ungeduldig sein<br />

verdao vertan, einen Fehler gemacht<br />

verdloffa davongelaufen<br />

verganda versteigern<br />

vergrada mißraten<br />

verhudla schlecht machen, durcheinander bringen<br />

verhonza verderben<br />

verkiddscha unter Wert verkaufen<br />

verkirnd verschluckt<br />

verkuddla verhandeln<br />

(net) vermugga nicht rühren, ruhig sein, nur in verneinter Form gebraucht<br />

verschißa in Ungnade gefallen, du hast es bei mir verschißen<br />

verschlupft versteckt, dazu Verschlupferles (Versteckspiel)<br />

versoffa ertrunken, auch trunksüchtig<br />

vertlaihna verleihen, auch entlehnen<br />

verwedd(e)red traurig, betrübt, verwettert<br />

verwiisla verwechseln<br />

verzwazzla verzweifeln<br />

Viarleng 125 Gramm, Viertelpfund<br />

vo dr Datz<br />

gao von der Stelle gehen, „der gaht mir net vo dr Datz!“<br />

Voord(e)l Vorteil „der hot de Vordl hussa!“ der arbeitet richtig, überlegt<br />

Voressa Schlachtplatte, Essen vor dem Hochzeitsmahl, vor der Trauung<br />

vuurza einen Wind lassen<br />

W<br />

wawitt?,<br />

wa hasch dao? was willst du? was hast du getan?<br />

wahla (sich) herumwälzen<br />

Waih, Waihle Weh<br />

Waihadag Tunichtgut<br />

Waibeerla wilde Stachelbeeren<br />

waischa wünschen<br />

wanääs krank, angegriffen, verschlissen (Kleid), betont auf der zweiten Silbe<br />

waanig abgerundet, nicht eckig<br />

Wad Wand (nasal)<br />

währle wirklich, wahr,<br />

Wärdich Werktag<br />

Wärgala Schupfnudeln, Buabaschbitzla, von wärgeln, Wargel - wälzen, Rolle<br />

Wäschlomba Waschlappen<br />

202


Wäschsoal Wäscheseil<br />

Waschd Bauch, Körper (nasal gesprochen), Wanst<br />

warba gemähtes Gras verteilen<br />

Weagsoacher kleines Geschwürchen am Auge, auch Anemone<br />

Wecholder Wacholder<br />

Weed Wind<br />

Weedfuchdl Getreidesense<br />

Wefzg,<br />

Wefzga Wespe, Wespen<br />

wega was weswegen<br />

wehle welche<br />

wehler welcher<br />

Weib, Weible Frau, kleine Frau, Mädchen<br />

Weißzeigkasta Wäscheschrank für weiße Wäsche<br />

wella, i will,<br />

mir wellet,<br />

i hao wella wollen, ich will, wir wollen, ich habe gewollt<br />

(aus)wella,<br />

Wellholz ausrollen, Nudelrolle<br />

wenna wenden<br />

Wennreng Gerät zum Stämme drehen<br />

Wetzschdoa Wetzstein<br />

wia da witt wie du willst<br />

wiadich wütend<br />

wiif schlau<br />

Widerschei Schatten<br />

wiifla (Weißzeug) stopfen<br />

wisawi gegenüber, (frz. vis-à-vis)<br />

Wiisboom Spannbalken beim Heuwagen<br />

wischa wischen<br />

Wischbl Baumgipfel oder Reisigbesen<br />

Woad (Vieh)-Weide<br />

Wagscheit Querholz hinten an der Deichsel zum Einhängen der Zugstränge<br />

woasch(t) weißt du ?<br />

Woaza Weizen<br />

Wochadibbl Mumps, Ziegenpeter<br />

wondrfizich neugierig<br />

Wuard’s ball? Wird’s bald ?<br />

wuarschda Wurst machen, metzgen<br />

wuahla schaffen, wühlen<br />

wuselich flink<br />

Wuurscht Wurst<br />

Wuurschd<br />

schao säa Du wirst es schon sehen !<br />

Z<br />

Zäahda Markung, (ursprünglich zehntpflichtiges, angebautes Gebiet außerhalb des<br />

bewohnten Dorfes, später übertragen auf die ganze Markung)<br />

Zäadl Zettel<br />

203


zäpfich Tbc. krank<br />

Zäsamle Fäserchen<br />

zärfa streiten<br />

Zaiha Zehen<br />

Zaigoaßl lange Peitsche<br />

Zais Zins<br />

Zao Zaun<br />

zearschd zuerst<br />

zeega,<br />

zä(n)ga (andere) ärgern<br />

Zelg Gewann<br />

zemma zusammen<br />

zenderla zündeln<br />

Zenga Zinken, Nase<br />

Zengessla Brennesseln, dazu (ver)zengd - an Brennesseln gebrannt<br />

z’ gron gau zu Grunde gehen<br />

Zibärdla Mirabellen<br />

Zibeba Zibeben, Rosinen<br />

Zicherd ein Wurf Schweine<br />

Zidderla Zittergras<br />

Ziefr Viehzeug<br />

Ziorgl Handharmonika<br />

Zirenga Flieder<br />

Zoana Flechtkorb (großer, aus Weide geflochtener Korb ohne Deckel mit zwei<br />

Handhaben, für Grünfutter, Kartoffeln, Holz und drgl.)<br />

Zoarn Zorn<br />

zobbfa pflücken, Hobfa zobbfa<br />

Zondlschdog Zunder<br />

Zong Zunge<br />

Zoom Zaum<br />

Zuber (Wasch)-Wanne<br />

Zuddl schlampige Frau<br />

Zuggerla Bonbons<br />

zwärga mit Gewalt hineinpressen<br />

Zwedr Pullover (engl. Sweater)<br />

Zwehle langes, schmales Handtuch<br />

zwozga zwicken<br />

Zwetschga-<br />

Derre Vorrichtung, um Obst zu dörren, dritter Rang im Theater<br />

Zahlen<br />

oas, zwoa, drui, viir, faif, segs, siiba, achd, nai, zeah, olf, zwelf, dreizeah, viirzeah,<br />

fuffzeah, zwanzg, fuffzg, hondert, daused<br />

Verschiedene „zwei“<br />

Zwee Wäag zwei Wege,<br />

zwua Flascha<br />

Wai zwei Flaschen Wein,<br />

zwoa Kendr zwei Kinder<br />

204


zwoarloa zweierlei<br />

Wochentage<br />

Meedich, Daischdich, Middwoch, Dorschdich, Freidich, Samschdich, Sonndich<br />

Monate<br />

Janner oder Jänner, Febbr, Mäarz, Abril, Mai, Juni, Juli, Auguschd, Sebdembr,<br />

Oggdobr, Novembr, Dezembr<br />

Lenkbefehle für Zugtiere<br />

Hü geh,<br />

hischd, nach links,<br />

hodd nach rechts,<br />

ooha (das „h“ wird gesprochen,<br />

kein Dehnungs-h!),halt<br />

zrugg oder<br />

hauff zurück<br />

Beugung von „sein“<br />

I bee, du bisch, er isch, mir ihr dia sen(d), i be gwäa, du bisch gwäa, u.s.w.<br />

Möglichkeitsform:<br />

i wär, du wärsch, er wär, mir, ihr, dia wäret<br />

Bauernregeln<br />

Die 12 Monate im Bauernspruch<br />

Wächst das Gras im Januar,/ wächst es schlecht das ganze Jahr.<br />

Im Jänner viel Regen und Schnee/ tut Saaten, Wiesen und Bäumen weh.<br />

Lichtmeß im Klee,/ Ostern im Schnee.<br />

Heftige Nordwind im Februar/ vermelden ein fruchtbares Jahr;<br />

wenn der Nordwind aber im Februar nicht will,/ so kommt er sicher im April.<br />

Feuchter, fauler März/ ist des Bauern Schmerz.<br />

Märzenschnee tut Frucht und Weinstock weh,<br />

Märzenregen bringt wenig Segen.<br />

Wenn der April Spektakel macht,/ gibt 's Heu und Korn in großer Pracht.<br />

Je früher im April der Schlehdorn blüht,/desto früher der Schnitter zur Ernte zieht.<br />

Der Maien kühl, der Brachmonat naß,/ füllen uns Scheunen und Faß.<br />

Regen im Mai/ gibt für das ganze Jahr Brot und Heu.<br />

Gibt 's im Juni Donnerwetter,/ wird 's Getreide immer fetter.<br />

Juni trocken mehr als naß,/ füllt mit gutem Wein das Faß.<br />

Was der Juli und August nicht kocht, läßt der September ungebraten.<br />

Wenn die Ameisen ihre Haufen im Juli höher machen, so folgt ein strenger Winter.<br />

205


Wenn 's im August stark tauen tut,/ dann bleibt das Wetter meistens gut.<br />

Der Tau tut im August so not,/ wie jedermann das täglich Brot.<br />

Am Septemberregen/ ist dem Bauern viel gelegen.<br />

Bringt der Oktober viel Frost und Wind,/ werden Januar und Februar gelind.<br />

Warmer Oktober bringt fürwahr/ uns sehr kalten Februar.<br />

Blühen im November die Bäume neu,/ hält der Winter bis zum Mai.<br />

Viel und lange Schnee/ gibt viel Frucht und Klee.<br />

Dezember kalt mit Schnee,/ gibt Korn auf jeder Höh.<br />

Hängt zu Weihnachten Eis in den Weiden,/ kannst du zu Ostern die Palmen schneiden.<br />

Lostage im Bauernjahr und Wetterregeln<br />

6. 1. Nach Dreikönigstag wächst jeder Tag um einen Hahnenschrei.<br />

20. 1. Fabian, Sebastian fängt der rechte Winter an.<br />

2. 2. Lichtmeß, Spinnen vergeß, bei Tag zu Nacht eß.<br />

14. 2. Valentins Eier müssen schnell ans Feuer.<br />

12. 3. Um Gregor kommt die Schwalbe vor.<br />

19. 3. Lein gesät am Marientag, wohl dem Nachtfrost trotzen mag.<br />

3. 4. Christian fängt zu säen an.<br />

16. 4. Daniel zum Erbsensäen wähl.<br />

1. 5. Wer am Maienabend setzt Bohnen, dem wirds lohnen.<br />

24. 5. Lein, gesät an Esther, wächst am allerbesten.<br />

8. 6. Wer auf Medardus baut, kriegt viel Flachs und Kraut.<br />

27. 6. Ist Siebenschläfer ein Regentag, regnets sieben Wochen noch danach.<br />

8. 7. Sankt Kilian stellt Schnitter an.<br />

20. 7. Margarete bringt den Flachs aufs Beete.<br />

10. 8. An Laurentius man pflügen muß.<br />

24. 8. Bartholomai schüttet Äpfel und Birnen ei.<br />

Nach Bartholomai geltet koane Wetterregla mai.<br />

8. 9. Maria Geburt, ziehen die Schwalben furt.<br />

29. 9. Michel steckt das Licht an, das Gesind muß zum Spinnen ran.<br />

15.10. Hedwige gibt Zucker in die Rübe.<br />

21.10. An Ursula muß das Kraut herein, sonst schneit es ein.<br />

10.11. Sankt Martin, macht Feuer im Kamin, dann, o Mädel, greif zum Rädel.<br />

25.11. Sankt Kathrein, stellt den Tanz ein.<br />

13.12. Sankt Luzia, kürzt den Tag, soviel sie ihn kürzen mag.<br />

24.12. Der Tag nimmt an Weihnachten einen Hahnenschrei, Heilige Drei Könige einen Hirschsprung,<br />

Lichtmeß eine ganze Stund zu.<br />

Räanget´s vor dr Glock (sonntags, vor dem Kirchgang), no räanget´s de ganz Woch.<br />

Wia dr Freidich am Schwanz (am Abend), so dr Sonndich ganz.<br />

Sprichwörter und Redensarten<br />

Was a scheener Hafa gwäa isch, siehd mr no a de Scherba.<br />

'S beschd Almosa isch dees, wo oa Beddlr am andere geit.<br />

Wia 's Häahle, so 's Oa.<br />

´S isch koa Amd, wo mr ned ka d' Hell dra verdeana.<br />

Mr ka ned älle Bergela eba macha.<br />

Wenn d' Hos verrissa isch, no flickt mr 's mit dr Weschd.<br />

Bessr äbbes als nix, had der Deifl gsaid on had Rihrmilch mit dr Heigabl gfressa. ("Rihrmilch" - Buttermilch)<br />

Mr moad oft vo oam, er sei fedd, on drbei isch er bloß gschwolla.<br />

Frag me ned, no liag i ned.<br />

Liabr z´ viel essa als z' wenig drenka.<br />

Dees isch besser als a Maul voll Glufa.<br />

206


Wer als Kalb en d' Fremde gahd, kommd als Kuah hoam.<br />

Kender on Narra saged d´Wahred.<br />

Märzeschnai on Jungfrebrachd daured ofd kaum iiber d' Nachd.<br />

Der erschde Honn fangd de Has.<br />

Kloane Häfela laufed bald iiber.<br />

Dees isch ned uff deira Mischde gwasa.<br />

Jedes Häsle fend sei Gräsle.<br />

Der beschd Bauer aggerd amal a gromme Furch.<br />

Wäga ma dirra Aschd haud mr de Boom ned om.<br />

Mer muaß zum Schmied gao on ned zum Schmiedle.<br />

Viel Wässerla gean au an Bach.<br />

Frei de, Girgele, 's kommd a Blatzreaga.<br />

Der Deifl scheißd bloß uff dongde Ägger.<br />

Mid ama "Vergelds Gott" ka mr d' Geil ned fuadera.<br />

'S Aldr isch a Kraged, a dere gahsch z´gron.<br />

Elend gläbd isch emmer no ned gschdorba.<br />

Wenn i morgeds mai Hos azoge hao, hao-n-i schao gnuag gschaffd.<br />

Wenn mr no reich wäred, arm senn mr glei wieder.<br />

Äschdemiersch du mi, na äschdemier i di.<br />

Do hod mei Vaddr gmiggd on da migg i ao on wenn 's dr Buggl nuff gahd!<br />

A alte Kuah schleggd ao no gern Salz.<br />

Alde Schuire brenned am leichdeschda.<br />

Do isch dr Sagg de Bändel ned werd.<br />

O, wenn mai Buggl no mai Bauch wär!<br />

Beißa kennt e 's no, bloß nemme schlugga.<br />

Laß se no schreia, morga wuurd wieder a andre Sau durch d' Gaß trieba!<br />

Heid hao-n-i an schleachda Dag, i muaß ´s Wasser mid dr Gabl essa.<br />

Häd mr 's ned, no däd mr 's ned.<br />

Was nudzd dr Kuah Muskaad, wenn se Haberschdraoh gwehnd isch.<br />

Vo de z' enge Schuah had der sei raode Nas ned.<br />

Mr lärned anander erschd kenna, wenn mr aus oara Schüssel frißd.<br />

Wo koa Gläbbr isch, isch ao koa Gsöff.<br />

A verschroggener Maa isch em Hemmel net sicher.<br />

Essa on Drenka verhäld oan, net 's Schaffa.<br />

´S scheeschd Fedd wurd ao amal ranzich.<br />

En ällem isch Bedruag, bloß en dr Milch isch Wasser.<br />

Kinderreime und -spiele<br />

Heute weiß man wieder, daß schon die kleinsten Kinder "Ansprache" brauchen und sich gerne vorsingen lassen.<br />

Viele Kinderverse und -lieder sind Überlieferungen aus ferner Zeit und gerade sie kommen immer mehr aus der<br />

Mode, ebenso die einst typischen Kinderspiele, für die auch die Voraussetzungen immer mehr verschwinden.<br />

Man braucht "Freiräume" dazu, ob "auf dr Gaß" oder in den Höfen, sowohl zu den Geschicklichkeitsspielen als<br />

auch zu "Fangerles" und "Verschlupferles", zu den Rollenspielen, in denen das Leben der Erwachsenen<br />

nachgeahmt wird, ("Vadderles ond Muaderles"), und zu den Singspielen und Reigen. Auch gab es früher draußen<br />

mehr Spielkamerädla als heute. Viele Spiele sind darauf abgestimmt.<br />

Zu den Geschicklichkeitsspielen gehören der "Deezer" (Tänzer, Kreisel), der mit einer kleinen Peitsche getrieben<br />

wurde, das Reifentreiben, das Kästchenhüpfen, das Stelzenlaufen und verschiedene Ballspiele, bei denen ein<br />

kleiner Ball nach festen Regeln gegen eine Wand geworfen und wieder aufgefangen wurde. Wer einen Fehler<br />

machte, mußte an das nächste Kind abgeben. Als Reigen waren, wie wohl überall "Ist die schwarze Köchin da . ."<br />

- "Hier ist grün, dort ist grün . ." oder "Rote Kirschen eß ich gern . . ." usw. beliebt. Einige Reime, Spiele und<br />

Lieder, aus dem bäuerlichen Milieu stammen, sind hier festgehalten. Sie drohen, für immer verloren zu gehen.<br />

Kinderlieder<br />

Herrgottskäferle, ( auch "Maiakäafer"), fliag,<br />

Dai Vaddr isch em Kriag,<br />

Dai Muadr isch em Bommerland, (Pommerland)<br />

Bommerland isch abgebrannd.<br />

Herrgottskäferle,(Maiakäafer) fliag !<br />

Aus dem Dreißigjährigen Krieg.<br />

207


Fahr mr net iiber mai Äggerle/ Äggerle<br />

Fahr mr net iiber mai Wies<br />

Oder i priigl de wedderlich/ wedderlich<br />

Oder i priigl de gwiiß!<br />

Das Kind soll einem Bedürftigen eine Gabe bringen und plaudert in aller Unschuld den Grund für die<br />

Mildtätigkeit aus:<br />

En scheena Gruaß vo maira Muader<br />

On da hao-n-e a Milch/ on da hao-n-e a Milch,<br />

On mir kenned se net braucha,<br />

Weil a Maus naig´falla isch/ en die Milch!<br />

Eia, popeia, dia Bredla senn guad<br />

Wenn mr brav Budder on Zugger nai duad!<br />

Budder on Zugger on Mandeleskern<br />

Essed dia kloane Kender so gern.<br />

Eia, popeia, dia Bredla senn guad<br />

Wenn mr brav Budder on Zugger nai duad!<br />

Dorle, Dorle danz,<br />

No kauf i dir an Kranz<br />

Mit Silber ond Berleggla dra,<br />

Daß mai Dorle danza ka!<br />

Tanzliedchen. "Berlocken" sind Schmuckanhänger - früher besonders an Uhrenketten.<br />

Reime und Sprüche<br />

Vier ganged, vier hanged,<br />

Zwoa spidziche, zwoa glidzriche,<br />

On oaner zoddled hennadrei.<br />

Rätsel. Lösung: Die Kuh mit vier Füßen, vier Strichen am Euter, zwei Hörnern, zwei Augen und einem Schwanz)<br />

Heil a bissle, lach a bissle<br />

Morga kommt dai Deede<br />

Hat a graoße Wuurschd em Säckle<br />

Ond a zuggrichs Bredle.<br />

Bärbele danz, Bärbele danz<br />

Morga griagsch en Hefakranz!<br />

Herrgottsmoggele fliag uff,<br />

fliag mr en de Hemmel nuff,<br />

breng mr a goldichs Schissele ronder<br />

on a goldichs Wiggele dronter.<br />

Sechzehn Kinder hab ich,<br />

Fünf will ich verkaufen,<br />

Fünf will ich nach Holland schicken,<br />

Fünf will ich ersaufen.<br />

Und das eine, das ich hab,<br />

Macht mir soviel Kummer,<br />

Sperr es in den Kleiderschrank,<br />

laß es dort verhungern.<br />

'´S hangd a Kendle a der Wad,<br />

Hadd a Gaggele en der Had,<br />

Mechd 's gern essa,<br />

Hadd koa Messer.<br />

Fälld a Messer vom Hemmel ra,<br />

Haud em Kendle 's Ärmle a.<br />

Dapfer ens Balbierers Haus,<br />

208


´S isch näamerd drhoam,<br />

Bloß Katz on Maus.<br />

D´Katz fäagd aus,<br />

D´Maus draids naus.<br />

Sidzd a Vegele (Biebele) uff em Dach,<br />

Hadd sich halba z´gropfed g´lacht.<br />

(Hat so gelacht, daß es fast einen Kropf bekommen hätte)<br />

Wenn das Kind ein "Wehwehle" hat:<br />

Heila, heila Sega<br />

Drei Dag Rega<br />

Drei Dag Schnee<br />

Duad maim Kendle nemme weh!<br />

Wenn man annimmt, das Kind mache zuviel Wesens um eine Bagatelle, heißt es wohl auch:<br />

Des vergaht, eb de heiradesch!<br />

Wenn man das Kind auf den Knien reiten läßt<br />

Hodde, hodde, Hääre, so reided d´Fräle,<br />

So reided kloane Kend, die no nia g`ridda sen,<br />

Wenn se greeßer wachsed, reided se nach Sachsa,<br />

Wenn se greeßer werden, reidet se uff Pferden.<br />

Reided dr Bauer iiber de Graba<br />

Wenn er naifälld, muß er's haba.<br />

Fällt er en die Hecka,<br />

Fressed ehn die Schnecka.<br />

Fälld er en da diafa Klai<br />

schreid er laud: O wai,o wai!<br />

Der isch ens Wasser g´falla,<br />

Der hot en rauszoga,<br />

Der hot en hoamtraga,<br />

Der hot en ens Bett neig´legt<br />

On des kloa Butzamäggerle had en wieder uffgweckt.<br />

(Fingerspiel)<br />

Storch, Storch, Schnibel - Schnabel,<br />

mit der langa Heugabel.<br />

Fliag in maira Ahna Haus,<br />

Hol mr a baar Wegga raus.<br />

Mir oan, dir oan<br />

On meiner Muadr au oan.<br />

Eieiei ond auauau<br />

Was hasch du meim Kätzle dao!<br />

D´ Haar rausg´rissa,<br />

D´ Schdiag na g´schmissa,<br />

Dees sodd ja mai Vadder wissa!<br />

Jedz isch`s ganga, sechs hend sieba gfanga!<br />

Wenn dem Kind etwas gelungen ist.<br />

Wenn Kirbe isch, wenn Kirbe isch,<br />

No schtichd mai Vadder an Bock.<br />

No danzd mai Muadr, no danzd mai Vadder,<br />

No waggeld dr Muadr ihr Rock.<br />

Bi- ba- Bäbele,<br />

Kommt der Herr von Schäbele,<br />

Kommt der Herr von Witzemaa,<br />

209


Fang noamal vo voarna a!<br />

Antworten auf Kinderfragen<br />

Auf die Frage: "Wo isch dr Hans?" oder sonst ein Spielkamerad<br />

"En dr Haut bis iiber d´Aohra<br />

On wenn er da net isch, no isch er verlaora!"<br />

Auf die Frage: "Was hasch midbrachd?"<br />

"A Nixle (ein kleines Nichts) en ame Bichsle on a goldichs Wartaweile!"<br />

Auf die Frage: "Was geit´s hait z´essa?"<br />

"Fiirwitz on Frägela ond henderdrei bradene Kellerschdaffla!"<br />

Spiele im Freien.<br />

Gitterle, Gätterle,<br />

Vögele, Fisch,<br />

Büble, du bisch.<br />

(ca. 400 Jahre alter Abzählvers)<br />

Fähnele, Weckele,<br />

Male, Fisch<br />

On du bisch !<br />

(Zwei alte Abzählverse, auf das württembergische Wappen bezogen. Die Hirschhörnle und die Rauten daneben,<br />

der Adler auf der Reichssturmfahne und die Mömpelgarder Fische werden beschrieben, im zweiten Versle auch<br />

die Wecken von Teck)<br />

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben,<br />

Auf der Landschdraß Nummer sieben,<br />

Auf der Landschdraß Nummer acht,<br />

Hat der Storch ein Kind gebracht.<br />

Wie soll´s heißen?<br />

Anna, Emma, Rombeleskaschda,<br />

Wer soll meine Wendla wascha?<br />

Ich oder du<br />

Oder Müllers Kuh<br />

Oder Müllers Esel<br />

Der bisch du!<br />

Abzählvers<br />

Rengel, rengel, raiha,<br />

´S Kätzle gaht en d'Schlaiha,<br />

´S Kätzle gaht en Holderbusch,<br />

Mached älle husch,husch husch.<br />

Ade, Mama, ade, Baba,<br />

Rengele, rengele hopsassa.<br />

Reigen<br />

Frager:Muadr, verkaufsch dai Kend?<br />

"Mutter":Noa, noa, mai Kend verkauf i net!<br />

Liaber will e beddla laufa<br />

Als mai liabs, guads Kend verkaufa!<br />

Beddla laufa mag i net<br />

Ond mai Kend verkauf i net.<br />

(Von einer ungeraden Anzahl Kinder stellen sich die Mitspielenden paarweise im Kreis auf. Bei den Paaren ist<br />

ein Kind die Mutter, das andere das Kind. Wer keinen Gefährten hat, kommt als Frager in die Mitte und richtet<br />

das Wort an eine "Mutter". Während des obigen Dialogs versuchen jeweils zwei "Mütter", ihre Plätze möglichst<br />

unauffällig zu tauschen. Gelingt es dem Frager, während des Tauschs den Platz einer "Mutter" bei einem allein<br />

stehenden Kind einzunehmen, darf er ihn behalten, und die seitherige Mutter muß als Frager in die Mitte)<br />

210


Recha, Recha, Scheifele<br />

Wer lachd, der isch a Deifele<br />

Wer net lacht, isch a Engele<br />

Ond kommt ens goldich Hemmele!<br />

Die Kinder stellen sich in einer Reihe auf. Der Spielführer ruft das erste Kind zu sich und hält ihm einen<br />

Zeigefinger auf den Kopf, wobei das Kind sich langsam dreht. Während der Spielführer den Vers rezitiert,<br />

beobachten alle Kinder gespannt das sich drehende Kind. Wenn es das Lachen nicht verbeißen kann, ist es ein<br />

"Teufele", im andern Fall ein "Engele". Alle Kinder kommen dran, bis sie in Engela und Deifela geschieden sind.<br />

Die Deifela werden verspottet, für die Engela reichen sich zwei einander gegenüberstehende Kinder die Hände,<br />

auf dieser improvisierten Schaukel darf jeweils ein Engele Platz nehmen und wird gegautscht, während das<br />

folgende Versle von allen aufgesagt wird. Zum Schluß geht es mit Schwung "en de Hemmel nei"!<br />

Engela werded draga, Deifela werded g´schlaga, Eins, zwei drei en de Hemmel nai!<br />

Aus Gechingen<br />

Einzelne Persönlichkeiten<br />

Karl Friedrich Essig<br />

Am 13. Dezember 1902 wurde Karl Friedrich Essig in Gechingen als Sohn des Buchhändlers Friedrich Christian<br />

Essig und der Marie Heinerike geb. Maier geboren. Beide stammten aus Gechingen, die Familie lebte aber in<br />

Stuttgart. Im ersten Weltkrieg verlor Karl Friedrich Essig seinen Vater. Die Mutter mußte die Wohnung in<br />

Stuttgart aufgeben und zog wieder nach Gechingen. An den Zukunftsplänen für ihren Sohn - die Eltern hatten<br />

gewünscht, daß er Pfarrer werde - konnte sie nicht länger festhalten. Im Internat in Nagold wurde Karl Friedrich<br />

Essig zum Volksschullehrer ausgebildet. 1930 kam es zu einer Anstellung in Gechingen, 1930 - 1937<br />

unterrichtete er dort. 1932 heiratete er Hedwig Eberhardt aus Stuttgart.<br />

Später baute Essig in Sucha/Ost-Oberschlesien eine deutsche Schule auf und holte seine Familie sowie seine<br />

Mutter.nach. Gegen Ende des Krieges wurde er noch zur Wehrmacht eingezogen und nach amerikanischer<br />

Kriegsgefangenschaft im September 1945 nach Stuttgart entlassen. Seine Familie war inzwischen nach<br />

Württemberg geflüchtet. Zwar war alles Hab und Gut verloren, aber die Familie war wieder vereinigt, und alle<br />

waren am Leben.<br />

Die nächsten Jahre verbrachte die Familie in Hedwig Essigs elterlichem Haus in Stuttgart. 1950 erhielt K. F.<br />

Essig eine Stelle als Lehrer in Dagersheim. Dort wirkte er, zunehmend durch eine schwere Krankheit behindert,<br />

bis zu seinem Tode am 3. August 1956.<br />

Schon seit frühester Jugend notierte sich Karl Friedrich Essig alles Wichtige und Wissenswerte aus seinem<br />

Heimatdorf und über die Menschen, die dort lebten. Je älter er wurde, desto intensiver beschäftigte er sich mit<br />

der Heimat und der Familienkunde Gechingens. Leider gingen bei der Flucht aus Oberschlesien alle schriftlichen<br />

Unterlagen verloren. So war K. F. Essig nach dem Krieg gezwungen, vieles mühsam wieder neu zu erarbeiten.<br />

In Dagersheim entstand eine ausführliche Heimatgeschichte für Gechingen, die aber erst nach seinem Tod in<br />

Buchform herausgegeben werden konnte. In dem 1963 erschienenen Buch "Heimat Gechingen" ist ein Teil seiner<br />

umfangreichen Arbeiten enthalten. Als Dank für sein langjähriges Bemühen für das Leben der Vorväter und die<br />

wechselvolle Geschichte des Dorfes verlieh ihm die Gemeinde an seinem Grabe das Ehrenbürgerrecht.<br />

Dr. Otto Stein<br />

1891 in dem Odenwaldstädtchen Beerfelden geboren, meldete sich der Student der Naturwissenschaften Otto<br />

Stein als Kriegsfreiwilliger im ersten Weltkrieg. 1917 wurde er schwer verwundet. Nach Kriegsende wechselte er<br />

Studienort und Studienfach und schrieb sich als Student der Medizin in Tübingen ein, legte dort sein<br />

Staatsexamen ab und promovierte anschließend. Seine ärztliche Tätigkeit begann in Winzeln bei Schramberg.<br />

Anfang der dreißiger Jahre übernahm er die Leitung des Homöopathischen Krankenhauses in München. Eine<br />

Herzerkrankung zwang ihn, die Tätigkeit als Chefarzt aufzugeben. Er wählte dann Gechingen, die Heimat seiner<br />

Frau Anna, geborene Wurst zum Wohnsitz. Hier konnte Otto Stein für die damals etwa tausend Einwohner eine<br />

kleine Praxis weiterführen. Zu der Bevölkerung entwickelte sich bald eine von gegenseitiger Achtung und<br />

verhaltener Zuneigung geprägte Beziehung, welche es ihm ermöglichte, seinem ärztlichen Auftrag auch dort<br />

211


nachzukommen, wo es die Willkürherrschaft des Dritten Reiches untersagte. So versorgte Dr. Otto Stein eine<br />

schwerkranke Jüdin in Dachtel trotz Verbotes mit Medikamenten.<br />

Als sich 1945 die Franzosen dem Ort näherten, ging er, der geläufig französisch sprach, ihnen mit der weißen<br />

Fahne entgegen und konnte den kommandierenden französischen Offizier davon überzeugen, daß Gechingen<br />

nicht verteidigt würde. Durch sein couragiertes Dazwischentreten blieb Gechingen von Kämpfen verschont.<br />

Dr. Otto Stein malte in seiner freien Zeit nach der Natur. Als Atelier diente das Sprechzimmer mit zwei großen<br />

Fenstern. Blumenbilder entstanden als Ergebnis genauer Betrachtung und Liebe zur Einzelheit. Bei seinen<br />

Landschaftsbildern versuchte er, die Schönheit der Gäulandschaft so wiederzugeben, wie sie sich dem Betrachter<br />

darbot. Bewußt beschönigte er nichts, auf bildnerische Komposition verzichtete er absichtlich. Dr. Otto Stein<br />

starb am 25.1.1969. Eine Gedächtnisausstellung mit seinen Bildern erinnerte 1989 an sein Leben und Wirken.<br />

Adolf Kielwein<br />

wurde geboren am 6.9.1869 in Ulm, aber seine Vorfahren stammen aus Gechingen. Seine Jugend erlebte er in<br />

Tübingen. Wie sein Bruder, der bekannte Maler Ernst Kielwein, wandte er sich der Malerei zu, vor allem schuf<br />

er Landschaften, Ortsbilder und Stilleben.<br />

1897 heiratete Adolf Kielwein die <strong>Gechinger</strong>in Luise Weiß, eine Schwester von Ludwig Weiß (Hohe Gasse).<br />

Das Ehepaar wohnte lange Jahre in Stuttgart, zog 1933 nach Gechingen und kaufte das Haus Lutz im Mühlweg<br />

(heute Engler). Dort arbeitete Adolf Kielwein noch viele Jahre an Bildern unserer Heimat.<br />

Als Kielweins Frau im Jahre 1939 starb, zog seine Schwester, Frau Anni Kraft, zu ihm und führte den Haushalt.<br />

Viele ältere <strong>Gechinger</strong> werden sie noch in Erinnerung haben, wie sie an schönen Sommersonntagen in Kleidung<br />

aus einer längst vergangenen Mode mit korrekten weißen Handschuhen und einem zierlichen Sonnenschirmchen<br />

zur Kirche ging.<br />

Kielwein verließ Gechingen 1961 und zog ins Altersheim in Tübingen. Dort starb er am 20. 12. 1962. Viele<br />

seiner Bilder sowie zahlreiche Gemälde seines Bruders Ernst befinden sich im Besitz der Stadt Tübingen.<br />

1987, 25 Jahre nach dem Tode Adolf Kielweins gedachte die Gemeinde Gechingen mit einer<br />

Gemäldeausstellung, der beiden malenden Brüder.<br />

Willy F. Kübler<br />

wurde am 27. Oktober 1911 in Höfen/Enz geboren. Schon in der Schule erkannten die Lehrer seine künstlerische<br />

Begabung und als in der Inflationszeit nach dem ersten Weltkrieg das Papier knapp wurde, sorgte der Schulrat<br />

persönlich dafür, daß ihm immer welches zur Verfügung stand. Nach der Schulzeit setzte Willy F. Kübler seine<br />

Ausbildung mit einem Fernstudium fort, Lehrgäng und Kurse, so an der "Deutschen Kunstschule" in Berlin,<br />

schlossen sich an. Zahlreiche Ausstellungen, u.a. in Berlin und Stuttgart, die gute Resonanz fanden, machten ihn<br />

bekannt. In Privatkursen gab er Schülern aller Altersklassen Unterricht in Zeichnen und Malen. Einige brachten<br />

es zu beachtlichen Leistungen.<br />

Willy F. Küblers künstlerische Fähigkeiten zeigten sich besonders in Federzeichnungen, Öl- und Aquarellbildern.<br />

Er war auch ein guter Fotograf; sein Hobby brachte ihm Freude und Ausgleich zu seiner schöpferischen Arbeit.<br />

Er hinterließ Hunderte reizvoller Aufnahmen, die die Besonderheiten der Landschaft, des Ortes und seiner<br />

Bewohner zeigen.<br />

Am 3. 6. 1933 heiratete er Emma Wagner aus Gechingen. Im September 1933 zog das junge Paar hierher. Bis zu<br />

seinem Tode im Jahre 1987 lebte und arbeitete Willy F. Kübler in unserem Ort.<br />

0tto Weiß, Fotograf<br />

Am 28. 10. 1876 wurde Otto Weiß in Gechingen geboren und ging 1901 mit 24 Jahren nach Stuttgart. Dort<br />

erlernte er beim Königlichen Hoffotografen Andersen das Fotografieren, wofür er sich daheim durch jahrelanges<br />

Selbststudium die notwendigen Grundkenntnisse angeeignet hatte.<br />

1905 heiratete er Luise Schneider aus Gechingen und richtete im schwiegerelterlichen Haus ein Foto-Atelier mit<br />

einer selbstgebauten Kamera ein. Neben der Landwirtschaft übte er seinen Beruf bis zu seinem Tod am 26. 8.<br />

1957 aus. Wir verdanken ihm zahlreiche Fotos unseres Ortes und seiner Umgebung. Ganze Generationen von<br />

<strong>Gechinger</strong>n, aber auch viele Leute aus den Nachbargemeinden ließen sich von ihm ablichten. Kaum eine andere<br />

Gemeinde besitzt eine so große Anzahl von Fotografien aus aus den Anfängen dieses Jahrhunderts. Im Jahre<br />

1989 erinnerte eine Gedächtnisausstellung an ihn und seine Arbeiten.<br />

Gottlieb Heinrich Schwarzmaier<br />

erblickte am 9. 12. 1843 in Gechingen das Licht der Welt. Er lebte das schlichte Leben des schwäbischen<br />

Kleinbauern. Er hatte keine besondere literarische Schulung und war nur im Besitz eines bescheidenen<br />

Bücherschatzes, doch waren seine Verse voller Poesie sowie in Metrik und Reim sehr genau. Leider sind nur<br />

wenige davon erhalten geblieben; er wußte sie alle auswendig und hat kaum einen aufgeschrieben. Heinrich<br />

212


Schwarzmaier, eines seiner acht Kinder, hatte die dichterische Neigung vom Vater geerbt, aber leider auch nichts<br />

Schriftliches hinterlassen. Gottlieb Heinrich Schwarzmaier starb 1917 im Alter von 73 Jahren.<br />

Karl Friedrich Brackenhammer<br />

war der zweite Sohn des <strong>Gechinger</strong> Müllers Johann Jakob Brackenhammer und wurde am 13. 1. 1810 geboren.<br />

Der damalige Ortspfarrer, Christoph Heinrich Klinger, machte die Eltern auf die Begabung ihres Sohnes<br />

aufmerksam. Nach dem Besuch der Lateinschule in Herrenberg und des Stuttgarter 0bergymnasiums bestand er<br />

die Aufnahmeprüfung zum Theologischen Stift Tübingen. 1832 legte er dort die Kandidatenprüfung ab und<br />

bereitete sich dann in Aich bei Nürtingen auf das Pfarramt vor. Seine erste Pfarrstelle trat er 1838 in Sulz am<br />

Neckar an und verheiratete sich in dieser Zeit mit Rosine Katharina Hennenhofer aus Tübingen. Ab 1844 wirkte<br />

er in Nürtingen, ab 1853 als Stadtpfarrer in Brackenheim und von 1866-1871 war er Dekan in Schorndorf.<br />

Während seiner Amtszeit in Schorndorf wurde er zum Abgeordneten der ersten Landessynode gewählt.<br />

Nacheinander wurden ihm das Dekanat in Tübingen und die Prälatur in Ulm angeboten, er mußte aber aus<br />

gesundheitlichen Gründen ablehnen. Trotzdem bat das Consistorium (zuständiger Ausschuß für Kirchenfragen<br />

bei der Königlichen Regierung) den König, ihn zum Prälaten von Heilbronn zu ernennen. Brackenhammers<br />

Gesundheitszustand hatte sich inzwischen stabilisiert, so trat er dieses Amt 1871 an, mit dem ihm ein großes<br />

Arbeitsgebiet anvertraut wurde. Für seine verdienstvolle Tätigkeit erhielt er am 17. 9. 1873 vom König das<br />

Ritterkreuz I. Klasse des Ordens der Württembergischen Krone verbunden mit dem persönlichen Adel.<br />

Als Prälat trat Karl Friedrich Brackenhammer entschieden für die Selbständigkeit des kirchlichen<br />

Gemeindelebens ein, auch zeigte er sich immer als Mann des Friedens und der Versöhnung. Er war Mitglied der<br />

kirchenrechtlichen Kommission und 1874 Abgeordneter der 2. Landessynode. Kurz vor seiner Pensionierung<br />

erhielt er den Orden "Komenthur II. Klasse des Fr. Ordens".<br />

Im Jahr 1880 setzte Prälat Brackenhammer sich zur Ruhe und zog nach Tübingen, wo er am 29. 10. 1889<br />

verstarb. Die Gemeinde Gechingen ehrte ihn 1990 mit einer großen Gedächtnisausstellung<br />

Otto Weiß, Bürgermeister<br />

Otto Weiß wurde als viertes Kind des Landwirts und Fotografen Otto Weiß am 27. 1. 1916 in Gechingen<br />

geboren. Er besuchte die Volksschule und anschließend das Progymnasium in Calw. Nach einer kaufmännischen<br />

Lehre hatte er eine Stelle als Kontorist und Vertreter in Sulzbach an der Murr inne, bis er 1937, erst zum<br />

Arbeitsdienst, dann zur Wehrmacht eingezogen wurde. Nach Kriegsende kehrte er nach Gechingen zurück. Für<br />

Otto Weiß völlig überraschend bat ihn der im September 1945 neugewählte Gemeinderat, das Amt des<br />

Bürgermeisters zu übernehmen. Nach einer Bedenkzeit entschloß er sich, das Amt anzunehmen. Bei der Wahl am<br />

15. 9. 1946 erhielt Otto Weiß die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und zog als Dreißigjähriger ohne<br />

Erfahrung in der Kommunalpolitik als Bürgermeister in das <strong>Gechinger</strong> Rathaus ein. In den Jahren 1948, 1954<br />

und zuletzt 1966 wurde Otto Weiß mit jeweils großer Zustimmung der Bevölkerung wiedergewählt. Am 12. 9.<br />

1953 heiratete er Lotte Gehring.<br />

Während seiner Amtszeit stieg die Einwohnerzahl unseres Ortes von 926 auf fast 3.000 Personen an. Viele<br />

kommunale Einrichtungen wurden in diesem Zeitraum geschaffen (Siehe "Nachkriegszeit bis heute" unter<br />

"Gechingen in geschichtlicher Zeit"). Besonders hervor-zuheben ist, wie sparsam Otto Weiß wirtschaftete,<br />

Gechingen hatte 1978 eine Pro-Kopf-Verschuldung von nur 52.- DM.<br />

Am 8. 12. 1978 wurde er im Rahmen einer großen Feier in den Ruhestand verabschiedet. Aus der Hand des<br />

damaligen Landrats Pfeiffer erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Wegen seiner Verdienste um die Gemeinde<br />

Gechingen ernannte ihn der Gemeinderat zum Ehrenbürger.<br />

Otto Weiß sang auch aktiv im Liederkranz, war lange Jahre Vorstandsvorsitzender der <strong>Gechinger</strong> Bank und<br />

Mitglied des Kreistages.<br />

Emma Wuchter<br />

wurde geboren am 15. 6. 1885 in Gechingen. Sie besuchte in den Jahren 1924/25 die Hebammenschule in<br />

Stuttgart und war dann in Gechingen und Umgebung bis zum Jahre 1952 als Hebamme tätig. Während dieser Zeit<br />

half sie ca. 400 Kindern auf die Welt. Unter welch beschwerlichen Umständen der Hebammenberuf früher<br />

ausgeübt wurde, ist heute kaum vorstellbar. Meist war Emma Wuchter zu Fuß unterwegs. Manchmal wurde sie<br />

auch mit dem Fahrrad abgeholt, auf die Lenkstange oder den Gepäckträger gesetzt und zur Wöchnerin gebracht.<br />

Dort sprang sie dann oft bei Haus- und Stallarbeiten ein, besonders, wenn schon einige Kinder da waren. Sie<br />

kochte, versah den Haushalt und scheute sich nicht, das Vieh zu füttern und die Kühe zu melken. Um ihr<br />

kärgliches Gehalt aufzubessern, bewirtschaftete sie noch ein paar Felder und hielt zwei, drei Geißen und ein<br />

Schwein. Für die <strong>Gechinger</strong> Bevölkerung war Emma Wuchter nicht nur "d'Hebamm", in vielen Familien war sie<br />

"d'Tante Emma". Sie verstand auch viel von Krankenpflege, weshalb ihr Rat im Krankheitsfall stets geschätzt<br />

war.<br />

213


Auch im Ruhestand versorgte Emma Wuchter weiterhin ihre kleine Landwirtschaft. Ihren 80. Geburtstag feierte<br />

sie noch bei relativ guter Gesundheit mit vielen Freunden und Bekannten in der Festhalle. Sie starb am 11.<br />

12.1966.<br />

Tillie Jäger<br />

Die wohl bekannteste Heimatdichterin unseres Ortes wurde am 2. 10. 1898 als Tochter des Heinrich Jäger und<br />

der Ottilie geb. Böttinger, aus Gechingen, geboren. Als ihr Vater 1912 starb, zogen Mutter und Tochter hierher.<br />

Die literarischen Neigungen Tillie Jägers traten sehr bald hervor. Schon 1918 beschrieb sie die Trauer um die<br />

Gefallenen und machte sich Gedanken über die Zukunft unseres Landes. Sie hat zahlreiche handschriftliche<br />

Gedichtbände verfaßt und zwei ihrer großen Heimatspiele "Furchtlos und treu" und "Der letzte seines Stammes"<br />

sind in Gechingen aufgeführt worden. Zu erwähnen sind auch ihre Forschungen über verschiedene <strong>Gechinger</strong><br />

Familien und die Geschichte Gechingens. Verschiedene Zeitungen veröffentlichten ihre Artikel und Gedichte.<br />

Auch Klavierunterricht erteilte sie jahrzehntelang..<br />

Am 4. 10. 1976 verstarb Tillie Jäger in Hirsau.<br />

Johannes Böttinger<br />

wurde am 27. 5. 1874 in Gechingen geboren und arbeitete nach seiner Schulzeit in der väterlichen<br />

Landwirtschaft. Als er sich mit 21 Jahren beim Militärdienst eine Verletzung zuzog und ins Lazarett mußte, fing<br />

er an, Gedichte zu schreiben. Im Jahr 1900 kehrte er nach Gechingen zurück, denn sein Vater war inzwischen<br />

gestorben und er betrieb mit seiner Mutter die Landwirtschaft weiter. 1902 heiratete er Luise Friederike Gehring<br />

aus Gechingen.<br />

Johannes Böttinger schrieb zahlreiche Gedichte, die er in einem handgeschriebenen Buch mit dem Titel<br />

"Knospen und Blüten" sammelte. Trotz fehlender literarischer Schulung sind seine Verse poetisch und klangvoll.<br />

Er stand auch in Verbindung mit dem bekannten Bauern- und Heimatdichter Christian Wagner aus Warmbronn.<br />

Leider verstarb er schon am 5. 11. 1921 mit 47 Jahren.<br />

Rudolf Unger,<br />

Mit Rudolf Unger erblickte 1884 ein weiterer zukünftiger Ehrenbürger der Gemeinde Gechingen das Licht der<br />

Welt. Sein Vater Ernst betrieb hier einen Gemischtwarenhandel. Rudolf Unger wurde Lehrer und später Rektor<br />

an einer Stuttgarter Schule. Jahrelang leitete er als Chormeister den Liederkranz Gechingen, der in dieser Periode<br />

durch seine unermüdlichen Bemühungen besonders gute Leistungen vollbrachte. Seine Arbeit wirkt bis heute<br />

weiter.<br />

In seiner Freizeit erinnerte er sich in Gedichten seiner in Gechingen verbrachten Jugend. Am 25. 5. 1951 wurde<br />

er wegen seiner Verdienste um die Gemeinde Gechingen zum Ehrenbürger ernannt. Rudolf Unger starb im Jahre<br />

1956.<br />

Anekdoten<br />

Wahre und gut erfundene Geschichten.<br />

Ein Bauernoriginal aus Gechingen, der "Hasensemme", war im ganzen Gäu bekannt. Die vier folgenden<br />

Geschichten über ihn sind frei nach Karl Friedrich Essig erzählt.<br />

Der Hasensemme, ein gehöriger Schalk und Spitzbube oben heraus, war in vielen Dörfern eine wohlbekannte<br />

Erscheinung. Er traf er den Nagel immer auf den Kopf. Schon als junger Kerle war er für Späße zu haben.<br />

Einmal fuhr er mit der Eisenbahn nach Ulm, um seine Schwester zu besuchen, die dort bei einem Hauptmann in<br />

Dienst stand und immer schrieb, sie wäre so froh, wenn ihr jemand über die Mutter, den Vater und die neuesten<br />

Dorfereignisse berichtete. So langte der Vater eines Abends ein Goldstücklein aus der Kommode und sagte zu<br />

Hasensemme: "Also, baß uff! Du fährsch moarn nach Ulm on bsuachsch dei Schweschter. Verschtanda! Do<br />

hosch a Goldschdiggle, kasch dr zwoa schene Däg macha!" Hasensemme kniff die knitzen Äuglein zusammen<br />

und sagte: "Vaddr, des mach i, do wurd d´Marie a Fraid hao."<br />

In Stuttgart stieg der Hasensemme, obwohl er eine Fahrkarte der vierten Klasse gelöst hatte, in einen<br />

Polsterwagen der zweiten Klasse des nach Ulm fahrenden Zuges. Er hatte die Brille seiner Ahne dabei, setzte sie<br />

auf und sah mit ihr, wie er es bezweckt hatte, einem Verrückten sehr ähnlich.<br />

Im Abteil setzte er sich gleich breitspurig zwischen zwei junge Damen, schnitt ein paar Grimassen, musterte die<br />

Frauen von Kopf bis Fuß, langte die mit zwei Rehen bemalte Tabakspfeife und den "Knastersack" aus der<br />

Manteltasche und stopfte in aller Seelenruhe den großen Porzellankopf bis an den Rand. Dann blies er den<br />

beiden dicke Rauchwolken vor die Nasen und führte sich auf, als sei er allein im Abteil. Als er Hunger verspürte,<br />

holte er sein Vesper, ein großes Stück Brot und ein Stück Schwarzwälder Speck, aus der Manteltasche hervor,<br />

214


und legte diese Dinge, mir nichts, dir nichts, auf den gegenüberliegenden leeren Polstersitz. Dann begann er zu<br />

essen und schmatzte gehörig dazu. Plötzlich erhob sich eine der beiden Frauen, huschte mit wutverzerrtem<br />

Gesicht den Gang entlang und holte den Schaffner herbei. Während sie dem Schaffner Hasensemmes<br />

ungebührliches Betragen darlegte, spielte der den Verrückten. Er verzerrte das Gesicht, schnitt unglaubliche<br />

Grimassen, schlug wild um sich und rannte auf das offene Abteilfenster zu, als wolle er sich hinausstürzen. Mit<br />

Mühe und Not konnten die beiden Frauen und der Schaffner den "Irrsinnigen" nach einer geraumen Zeit<br />

beschwichtigen. Sie legten ihn auf die Polster und deckten ihn mit dem Mantel zu. Dann nahmen die Damen<br />

schleunigst ihre Koffer und suchten sich unter dem Schutze des Schaffners im nächsten Wagen zwei freie Plätze.<br />

Der Schaffner kehrte zu Hasensemme zurück, fragte ihn nach der Fahrkarte und sagte: "Kerle, wenn du en Ulm<br />

bischt, ben i froh ! Was duasch iberhaubt en dr zwoate Klass mit daira Vierte-Klass-Fahrkart? Schdrafa ka mr ja<br />

so an Depp net. Jetz bleibsch liega, bis i de hol !"<br />

Hasensemme schmunzelte bei den Worten des Schaffners in sich hinein. Nun hatte er erreicht, was er erreichen<br />

wollte. Er fuhr um billiges Geld in der zweiten Klasse. Als ihn der Schaffner in Ulm an die Bahnsteigsperre<br />

geleitete, begegneten ihnen die beiden Frauen. Da lachte Hasensemme, steckte die Brille in die Tasche und rief<br />

laut: "So, ihr drei, jetzt ben e wieder reacht!"<br />

Einmal saß der Witzbold im "Lamm" und führte das große Wort. Unter den wenigen auswärtigen Gästen befand<br />

sich ein Metzgermeister, dem er ein Schnippchen schlagen wollte. Als der biedere Metzgermeister den<br />

Anwesenden erzählte, daß er für den kommenden Schlachttag zwei Schweine brauche, drückte der Hasensemme<br />

ein wenig die Äuglein zu, rückte an den Sprecher heran und sagte: "Metzger, i hao zwua Sei, dia kasch hao."<br />

Da der fremde Metzgermeister den ganzen Nachmittag über erfolglos bei einigen Bauern der zwei Schweine<br />

wegen vorgesprochen hatte, war ihm eine günstige Kaufgelegenheit recht, auch weil er wußte, daß der<br />

Hasensemme ein tüchtiger Schweinezüchter war. Hasensemme fuhr fort: "Du kriagsch meine zwua Sei om<br />

billichs Geld, i hao se jetzt anderthalb Johr, se senn allerdengs no net arg g´rata; manchmol moan e, se seied<br />

gleich blieba. Aber, wia gsait, billich senn se."<br />

Da der Metzgermeister wegen des unglaublich niederen Preises der Schweine, über den die Anwesenden nicht<br />

schlecht staunten, auf den Handel sehr erpicht war, ging er ohne weiteres darauf ein. Weil er Angst hatte,<br />

Hasensemme könne den Verkauf rückgängig machen, griff er sofort, nachdem das Abholen vereinbart war, nach<br />

der Geldtasche und zahlte die geforderten Silberstücke auf den Tisch. Da jedoch Hasensemme keinerlei Miene<br />

machte, sie einzustecken, sagte der Metzgermeister: "Wia! Lang doch zua!" Nun konnte der Semme seine<br />

Spitzbüberei nicht mehr länger für sich behalten. Er, gab die Silberstücke dem verdutzt dreinschauenden<br />

Metzgermeister zurück, kniff die verschmitzten Äuglein ein wenig zusammen und sagte: "B´hald dei Geld! I ka<br />

dr koane Sei gäa. I hao gar koane. Dia zwua, wo i moa, des senn zwua ausgschniddene aus em Kalender. Dia<br />

wuurschd om dees Geld net wella!" Der hereingefallene Metzgermeister sei fortan, auf den Hasensemme böse<br />

gewesen und habe sich auf keine Unterhaltung mehr mit ihm eingelassen.<br />

Einmal wollte Hasensemme einen Ballen Zwillich auf dem Calwer Markt verkaufen. Obwohl die Leute sich<br />

haufenweise um seinen Stand scharten, um seinen Späßen zuzuhören, wurde er seine Ware nicht los. So machte<br />

Hasensemme nach einiger Zeit den "Laden" dicht und schickte die zahlreichen Zuschauer nach Hause. Dann<br />

nahm er den Ballen Zwillich unter den Arm, trug ihn ins "Rößle" und genehmigte sich trotz des Mißerfolges ein<br />

paar Schoppen und ein kräftiges Vesper. Zum Schluß wollte er noch einen Rundgang durch die vielen<br />

Kramstände und Schaubuden auf dem Marktplatz machen und deponierte seinen Stoff im "Rößle". Er schlenderte<br />

müßig herum, blieb dabei da und dort vor den Buden stehen und gab seine Meinung über die angepriesenen<br />

Waren in launigen Worten kund.<br />

Der Bauer B. von G., der den Markt ebenfalls mit einem Ballen Zwillich besucht und den gleichen Mißerfolg<br />

beim Verkauf aufzuweisen hatte, fragte den Hasensemme, als er ihn so frohgestimmt daherkommen sah, ob er<br />

seinen Zwillich schon verkauft habe. Weil Hasensemme schon lange danach trachtete, dem B., den er nicht leiden<br />

konnte, einen Bären aufzubinden, dachte er, die Gelegenheit dazu sei jetzt günstig. Er trat ganz nahe an den<br />

Bauern heran und flüsterte ihm leise ins Ohr: "Was i dir jetzt sag, derfscht näamerd saga, verschtanda! Em<br />

Calwer Rathaus droba, em Zemmer Nommer 8, kaufet se Zwillich zua Soldadasäggle. Deane hao i mein ao<br />

verkauft. I hao`s onder dr Hand erfahra. Wenn de schnell machschd, kaschd dein no laoskriaga." Über das Antlitz<br />

von B. huschte bei diesen Worten ein freudiges Lächeln. Er nahm den Zwillichballen möglichst unauffällig unter<br />

den Arm und ging weg, in Gedanken bereits im Besitz klingender Silberstücke. Während der Hasensemme sich<br />

auf und davon machte, suchte der Bauer im Rathaus das Zimmer Nummer 8. Nachdem der Ratschreiber und<br />

seine Gehilfen sich am Ansinnen des Bauern ausgiebig ergötzt hatten, soll, wie der Ratschreiber nachher erzählte,<br />

B. heimlich durch eine Hintertür aus dem Rathaus entwichen sein.<br />

An einem Sonntagnachmittag saß der Hasensemme im "Hirsch", kniff die verschmitzten Äuglein zusammen,<br />

lobte den Wein über die Maßen und unterhielt die vielen auswärtigen Gäste, die das schöne Wetter zu einem<br />

Spaziergang nach Gechingen genutzt hatten, auf das vortrefflichste. Nachdem verschiedene Dinge ausgiebig und<br />

215


eifrig besprochen worden waren, lenkte Hasensemme, weil er ein leidenschaftlicher Jäger war, das Gespräch auf<br />

die Jagd und sagte, prächtigere Hasen als hier könne es weit und breit nicht geben. Die fremden Bauern<br />

widersprachen energisch. Da sich der Hasensemme jedoch auf seine Meinung versteifte und sich sogar zu der<br />

kühnen Behauptung verstieg, die Hasen seiner Heimatgemeinde seien so liebe Tiere, daß er jedes von ihnen auf<br />

dem Wägele führen könne, kannte die Heiterkeit der Anwesenden keine Grenzen, ja, einige Bauern glaubten, der<br />

Wein habe seine Sinne so verwirrt, daß er, wie man im Volksmund sagt, geistweise daherredete. Dies war, weil<br />

Hasensemme erst zwei Viertele getrunken hatte, durchaus nicht der Fall.<br />

"Was i sag, isch wahr, i mach a Wett, en de nächste Däg setz i an Has uff mai Baurawägele nuff on zeig uich de<br />

Kerle. Was gilt´s? I wett a Goldstückle", rief der Hasensemme, als sich das Gelächter über die lose Behauptung<br />

einigermaßen gelegt hatte. Mit der Wette und ihrer Höhe waren die Fremden einverstanden, weil sie der festen<br />

Überzeugung waren, der Prahlhans, wie sie Hasensemme nannten, müsse verlieren. Nachdem die Wette sogleich<br />

schriftlich niedergelegt und vor sämtlichen anwesenden Bauern unterzeichnet worden war, tischte Hasensemme<br />

ein paar Witze auf, bezahlte seine Zeche und ging bedächtigen Schrittes nach Hause.<br />

An einem der darauf folgenden Tage hängte sich der Hasensemme das Jagdgewehr um und schoß einen alten<br />

Feldhasen. Er bettete ihn auf ein Bündel Stroh, band ihm einen rosaroten Bändel um den Hals, legte ihn in das<br />

Bernerwägele, spannte den Hans ein und zeigte den Hasen reihum bei den Wetteilnehmern. Da in dem schriftlich<br />

niedergelegten "Vertrag" nicht zu lesen war, daß der Witzbold die Wette mit einem toten Hasen verliere, mußten<br />

die auswärtigen Bauern, zehn an der Zahl, mit den Goldstücken herausrücken.<br />

'S Rickele erzählt aus ihrer Jugendzeit:<br />

"Als ich noch in die Schule ging - ich war ein bildsauberes Mädle - liefen mir einige Klassenkameraden immer<br />

hinterher. Einer davon hatte mich besonders gern und wollte mir eine Tafel Schokolade schenken. Das war<br />

damals etwas ganz Besonderes und Wertvolles. Da er nicht den Mut hatte, mir die Schokolade direkt in die Hand<br />

zu geben, steckte er sie in meinen Schulranzen. Als ich sie dort fand, gab ich sie ihm wieder zurück, weil ich so<br />

ein teures Geschenk nicht annehmen konnte. Mein Schulkamerad nahm die Schokolade zwar wieder an, aber auf<br />

dem Heimweg bekam ich von ihm aus lauter Enttäuschung über die Zurückweisung eine Tracht Prügel.<br />

Meine Ahne ist einmal nach Calw auf den Markt gegangen, um Eier zu verkaufen, natürlich zu Fuß, denn<br />

Postomnibusse fuhren damals noch nicht. Als sie den Heimweg antrat, verspürte sie ein menschliches Bedürfnis.<br />

"I bronz net en Calw, sondern uf mein Acker z' Gechenga", sagte sie zu sich selber. Der Drang wurde aber immer<br />

stärker, trotzdem schaffte sie es noch bis zur Markungsgrenze. Dann aber pressierte es arg und sie verschaffte<br />

sich Erleichterung. Wie groß war ihre Enttäuschung, als sie später feststellte, daß sie in der Eile nicht den<br />

eigenen, sondern den Nachbaracker bedacht hatte!<br />

Zum Polterabend hatten meine Schulkameraden ein großes, verpacktes Geschenk mitgebracht. Nach dem<br />

Auspacken stellten wir fest, daß es ein schöner Nachttopf mit roten Würsten und Senf gefüllt war. Es hat aber<br />

allen geschmeckt, als wir den Topf später zusammen geleert haben.<br />

Meine Freundin kam nach der Schule als Dienstmädchen nach Stuttgart, wo sie auch ihren späteren Mann<br />

kennenlernte. Als sie wieder auf Besuch nach Gechingen kam, erzählte sie voll Stolz: "I heirad koan vo<br />

Deitschland, sondern vo Hoalohe!" Kaum hatte ich mich von meinem Staunen erholt, erzählte sie schon weiter:<br />

"Der isch koa Gwöhnlicher, der had europäische Schuah a !" Erst nach längerer Befragung wurde mir klar, daß<br />

meine Freundin "orthopädische Schuhe" gemeint hatte.<br />

Meine Urahne erzählte mir folgende Geschichte:<br />

Am Tag nach ihrer Hochzeit gingen sie und ihr Mann zum Mähen auf den Acker. Mittags lief sie schnell nach<br />

Hause, um das Essen zu kochen. Es war das erste Mal, daß sie für ihren Mann kochte und sie wußte vor lauter<br />

Aufregung nicht, was sie ihm Gutes machen sollte. Da fiel ihr etwas ein, das sie selber gerne aß:<br />

Schwedenknöpfle (Siehe: "Kochen und Backen"). Voll Freude kehrte sie zu ihrem Christian auf das Feld zurück<br />

und stellte ihm die Schwedenknöpfle zum Essen hin. Christian nahm den Topfdeckel ab, schaute hinein und sagte<br />

zu seiner jungen Frau: "Siehsch, Rickele, so schmeißd der Maurer de Schbeis (Mörtel) an d' Wad !" Mit<br />

Schwung landeten die liebevoll zubereiteten Schwedenknöpfle auf dem Acker. Da wäre sie am liebsten gleich<br />

wieder zu ihrer Mutter nach Dachtel zurückgelaufen.<br />

Der Nachbar hatte wegen einer Kleinigkeit mit seinem Sohn Streit bekommen, und sie sprachen an diesem Tag<br />

kein Wort mehr miteinander. Weil aber Gülle geführt werden mußte richtete der Vater das Faß und der Sohn<br />

spannte vier Kühe an.. Als sie endlich mit viel "Hü" und "Hott" auf dem Acker angelangt waren und den Hahn<br />

am Güllefaß aufdrehten, merkten sie, daß das Faß leer war. Jeder hatte vom anderen gedacht, er hätte die Gülle<br />

eingefüllt.<br />

216


Der Salomo war ein witziger, heller Kopf und verblüffte die Lehrer und den Pfarrer oft mit seinen Bemerkungen.<br />

Der Pfarrer wollte es nun genau wissen, wo der Salomo seine Gescheitheit her habe und fragte ihn, ob er auch<br />

fleißig lese. "O ja", nickte der alte Salomo. Der Pfarrer forschte nach: "Ja, was leset Ihr denn ?" - "Erbsen und<br />

Linsen, Herr Pfarrer !" war die lachende Antwort des Alten.<br />

Schultheiß und Pfarrer waren an einem Sonntag mit der Kutsche auf dem Weg nach Deckenpfronn, als sie an<br />

einem Acker vorbeikamen, auf dem der Maier-Adam arbeitete. Der Pfarrer ließ die Kutsche anhalten und rief<br />

ihm zu: "Du sollst den Feiertag heiligen!" Der Maier-Adam, bekannt durch seine Schlagfertigkeit, schrie zurück:<br />

"En dr Bibel schdaht ao: Gehet hin in alle Welt! - on net "Fahret on versaufet ´s Geld!"<br />

Der Frieder war einem guten Schluck nicht abgeneigt und auch der Herr Pfarrer war kein Kostverächter. Einmal<br />

gingen sie zusammen nachts nach Hause und vor seinem Haus sagte der Frieder recht laut: "Also, gut Nacht, Herr<br />

Pfarrer!". Das hörte das Mariele, Frieders Frau, und sie getraute sich nicht mehr, mit dem Frieder zu schelten,<br />

weil doch der Herr Pfarrer auch so spät heimging. Der Frieder merkte sich dies natürlich für die Zukunft und<br />

sagte von da ab jedes Mal, wenn es wieder spät geworden war, vor der Haustür recht laut: "Also, gut Nacht, Herr<br />

Pfarrer!"<br />

Als der Jakoble und seine Lisbeth einmal in der Erntezeit auf dem Feld waren, hörten sie die Nachbarn von<br />

einem andern Feld rufen: "Es brennt, es brennt !" Darauf sagte Lisbeth ängstlich zu ihrem Mann: "Hotz, des wurd<br />

doch net oser Heisle sai !" Der Jakoble beruhigte sie: "Schwätz doch koan Babb, bei os ka 's net brenna, i hao ja<br />

de Schlissel em Sack!"<br />

Als mein Vetter Karle zum ersten Mal bei den Eltern seiner Braut war, fragte ich ihn nachher, wie es denn<br />

gewesen sei. "O," sagte der Karle, "i be scho ganz oaga mit meim Schwäher (Schwiegervater). Wia mr an da<br />

Tisch naghoggd senn, had er gsaid, "Friß, du Daggel!"<br />

Die neu eingeheiratete Schwiegertochter meiner Nachbarin kochte zum ersten Mal das Essen und brachte die<br />

Suppe in einer schönen, blauen Schüssel auf den Tisch. Die am Tisch Sitzenden schauten sie mit großen Augen<br />

an. Sie merkte, daß etwas nicht in 0rdnung war und fragte: "Was isch, hao i nix Reachds kocht ?" "Doch, des<br />

schao, aber en dere Schüssel wäschd d' Ahna emmer ihre Fiaß !"<br />

Die alte Ahne war schon nicht mehr ganz richtig im Kopf, versorgte aber ihren kleinen Haushalt noch selber.<br />

Unter der Kellertreppe hatte sie ihren Milchtopf stehen, und als sie eines Morgen nach der gestandenen Milch<br />

sah, schwamm eine Maus darin. Sie nahm sie heraus und sagte streng: "Aagschleckt wursch, on wenn d´ no so<br />

zappelsch!"<br />

Der Ludwig war bekanntlich ein ruhiger, schweigsamer Mensch. Als es ans Heiraten ging, machte er sich auf den<br />

Weg zu seinem zukünftigen Schwiegervater, um alles zu besprechen. In der Stube setzten sich die beiden<br />

zusammen, und der Brautvater wartete, was der Ludwig zu sagen habe. Doch der schwieg und schwieg und um<br />

ihm zu helfen, sagte endlich der Vater: "Ihr werdet heirade wella? " "Jo", lautete die knappe Antwort. Es folgte<br />

wieder langes Schweigen. Der Vater unterbrach die Stille mit den Worten: "Ihr werdet miassa !" - "Jo", sagte der<br />

Ludwig erleichtert und verschwand.<br />

Als 1922 das Kriegerdenkmal, das auf einem Sockel einen sterbenden Hirsch zeigt, aufgestellt und eingeweiht<br />

wurde, fragte der Pfarrer ein altes Weible, das dabeistand, ob sie wohl wisse, was denn das Denkmal bedeuten<br />

solle. "Hei jo, Herr Pfarrer, weil osre Soldate gschbronga senn wia d' Hirsch", lautete die Antwort.<br />

Der Karle war im ersten Weltkrieg als Soldat in Frankreich. Eines Tages ging er in ein Haus und wollte von der<br />

Bäuerin Käse haben. "Käs, Käs!" rief der Karle immer wieder. Aber die Bäuerin verstand ihn nicht, so daß er in<br />

Zorn geriet und schrie: "Leck me em Arsch!" Da glitt ein Lächeln des Verstehens über das Gesicht der Französin:<br />

"Ah, Fromage", sagte sie und gab ihm den gewünschten Käse.<br />

Auch in Gechingen zog um die Jahrhundertwende das technische Zeitalter herauf. Anfangs hatten die Bewohner<br />

einige Probleme mit den Neuerungen. Als zum Beispiel 1906 in unserer Gemeinde die Wasserleitung verlegt<br />

wurde, wollte der Frieder, der auf dem Hohen Angel wohnte, nicht glauben, daß das Wasser "de Berg nuff gao<br />

ka". So ließ er den Wasserhahn in der Küche offen. Eine Überschwemmung in Küche und Wohnstube war die<br />

Folge. Nicht viel besser erging es seiner Nachbarin. In der Nacht bekam diese Durst, drehte in der Küche den<br />

Wasserhahn auf und brachte ihn dann nicht mehr zu. Der Heimatdichter Johannes Böttinger berichtete in Versen<br />

über diese Begebenheit: "Se schreit on lärmt;/ aus seiner Ruah/ muaß se ihrn arma Maa no brenga,/ em Hemmed<br />

däan äll zwoa romschbrenga . . "<br />

217


Daß die Gänse einst Roms Kapitol durch ihr Geschrei gerettet haben, ist allgemein bekannt, daß sie auch den<br />

Sonntagsgottesdienst stören können, erlebten die <strong>Gechinger</strong> im Dezember 1894. Damals gab es als großartige<br />

technische Errungenschaft ein batteriebetriebenes Telefon zwischen dem Rathaus und dem Schultheißenhaus<br />

sowie ein Läutwerk am Rathaus. Dieses elektrische Läutwerk ertönte plötzlich während des<br />

Vormittagsgottesdienstes, als fast das ganze Dorf in der Kirche war. Eine Anzahl Gänse hatte sich in die Luft<br />

erhoben und wollte mit raschem Flügelschlag an Kirche, Rathaus und Schulhaus vorbei, um zum Ursprung der<br />

Irm zu fliegen. Doch zwischen diesen Gebäuden waren sechs Drähte für Läutwerk und Telefon sowie die Kette<br />

der Straßenlaterne gespannt. Diese Hindernisse suchten nun die Gänse im kühnen Schwung zu nehmen, aber das<br />

Drahtgewirr kam dabei in heftige Schwingungen und zwei Drähte verschlangen sich so, daß das Läutwerk im<br />

Rathaus nicht mehr aufhörte, zu läuten. Der Pfarrer mußte seine Predigt unterbrechen und mit ein paar beherzten<br />

Männern die Drähte entwirren, damit der Gottesdienst weitergehen konnte. Den Gänsen ist außer einigen<br />

ausgerupften Federn nichts geschehen.<br />

Als es im Jahr 1910 auch bei uns in Gechingen elektrischen Strom geben sollte, beriet der Gemeinderat das Für<br />

und Wider dieser Neueinrichtung. Zuletzt wurden sich dann alle einig, nur, wo sollte der Transformator<br />

hinkommen ? Da meldete sich der Ludwig und meinte: "I hao no a Bedd frei, der ka bei mir loschiera!"<br />

Auf dem Rathaus war ein junger Schreiber eingestellt worden, der immer geschniegelt und gebügelt daherkam<br />

und bald zum Schwarm der jungen Mädchen wurde. Das war Anlaß für unseren Heimatdichter Böttinger, einige<br />

Verse zu verfassen, in denen er sich weidlich über den Schönling und die Mädchen, die sich so leicht von ihm<br />

betören ließen, lustig machte. Aber die Herrlichkeit dauerte nicht lange, denn um seine Liebesabenteuer zu<br />

finanzieren, borgte sich der Schreiber da und dort Geld aus. Als ihm keiner mehr was leihen wollte, nahm er die<br />

Gemeindekasse und versteckte sich im Stroh einer Scheuer auf dem Geißbiegel. Dort wollte er die Nacht<br />

abwarten und dann verschwinden. Zufällig sollte ein Junge aus dieser Scheuer Stroh holen. Als er ein Büschel<br />

herauszog, streckte sich ihm ein Paar Männerfüße entgegen. Er erschrak nicht schlecht und schrie, worauf alle<br />

Leute vom Geißbiegel herbeirannten. Sie verfolgten den davoneilenden Schreiber. Der aber konnte den Wald<br />

erreichen und entkommen. Später hat ihn dann die Polizei festgenommen. Für die verlassenen Mädchen hatte der<br />

Dichter auch gleich einen Spottvers bereit: "Ist doch heut der Herr Schreiber fort, /ganz unerwartet schnelle,/<br />

ohne nur ein Abschiedswort/ seinen Liebchen zu bestellen./ Wie wird da weinen manches Mädchen klein . . "/<br />

Mein Schwiegervater, der Frieder, war ein gutmütiger Mann, der mit einer eifrigen und schaffigen Frau<br />

verheiratet war. Auch die Töchter schlugen ihrer Mutter nach. In der Erntezeit beim Beladen des Garbenwagens<br />

war der Frieder oben und setzte die Garben reihenweise auf. Die Frauen deckten ihn so ein, daß er nicht mehr<br />

nachkam und sich kaum mehr zu helfen wußte. Er sprang vom Wagen herunter und auf die Frage seiner Frau<br />

"Was isch, wo willsch denn na ?" sagte er nur: "Ao no gabla !"<br />

Als er älter wurde und seine Enkel ins heiratsfähige Alter kamen, war der Alte über die zukünftigen Frauen der<br />

Enkel sehr enttäuscht. Er meinte: "Dia brenged Menscher mit, dia fressed bloß Banana on Schogglad !"<br />

Auch vom Gottlob läßt sich so manches Schwänklein berichten. Er liebte den Most sehr und trank öfters mal<br />

einen über den Durst. Seine Frau versuchte das mit allen Mitteln zu verhindern und versteckte deshalb oft den<br />

Kellerschlüssel. Doch der Gottlob wußte Rat. Heimlich füllte er die Bettflasche jeden Abend mit Most, so hatte<br />

er seinen Trank immer griffbereit.<br />

Als er den Geometern beim Marksteinsetzen helfen mußte, kam er auf eine Idee, um sich das nötige Kleingeld<br />

zum Trinken zu beschaffen. Nach Fertigstellung der Arbeiten meldete er sich in Calw beim Amt und sagte: "Ein<br />

Geometer hat meine Schippe mitgenommen und die kostet 5 Mark." Der Amtsvorstand glaubte ihm, bezahlte,<br />

und Gottlob machte sich wieder auf den Heimweg. Sein erster Weg führte in die Molkerei, wo er sich auf seine<br />

Milchlieferung weitere 5 Mark Vorschuß geben ließ. Dann ging er in den Laden, kaufte sich eine neue Schippe<br />

und sagte zum Verkäufer: "Schreib 's uff, mei Alte zahlt 's!" Diese war auch eine große Schafferin, sie war sehr<br />

fleißig und trieb ihren Mann oft an, er solle dies und das noch machen. Eines Tages wurde es dem Gottlob zu<br />

bunt, und er sagte zu ihr: "Ja, bei Nacht soll e siebezich und bei Tag dreißich sei!"<br />

Der Gottlob fuhr mit dem vollgeladenen Mistwagen die Schafgasse hoch. Plötzlich blieb eine seiner Kühe stehen,<br />

und bald darauf natürlich auch die zweite. Der Gottlob schimpfte, schrie "Hü" und "Hott", doch die Kühe rührten<br />

sich nicht. Er nahm die Peitsche und traf zufällig die eine Kuh leicht am Auge, worauf diese damit zuckte. "Du<br />

brauchsch dr andre gar net zuablenzla, daß se au ned ziaga soll !" schrie da der Gottlob aufgebracht.<br />

Der Gottlob saß im "Hirsch" beim wohlverdienten Vesper, Schwartenmagen und eine große Portion Senf.<br />

Zufällig kam ein Ehepaar aus Hannover in die Gaststube. Die beiden schauten neugierig auf Gottlobs Vesper und<br />

schließlich fragte der Mann: "Guter Mann, was essen Sie denn da?"-"Schwaartamaga on Senf", gab Gottlob<br />

freundlich Auskunft. Das Ehepaar konnte damit nichts anfangen, der Mann fragte trotz dem weiter: "Ja, schmeckt<br />

218


denn das?"-"Dees isch besser als an Arsch voll Schpreißa!" war die Antwort. "Ja, wir sind Preußen", erwiderte<br />

die Frau, die kein Wort verstanden hatte.<br />

Der Maurer Ferdinand war ein flinker und fleißiger Arbeiter, bekannt waren auch seine turnerischen Fähigkeiten,<br />

wenn er auf dem Dach arbeitete. Hatte er zum Beispiel einen Kamin von außen zu verputzen, bastelte er sich<br />

schnell mit zwei Balken und einem Brett ein sogenanntes "Fluggerüst", auf dem er dann unbesorgt seiner Arbeit<br />

nachging.<br />

Eines Tages ging der Herr Pfarrer an dem Haus vorüber, auf dem der "Ferde" mit seinem Fluggerüst bei der<br />

Arbeit war. "Paß Er auf, daß Ihm nicht schwindelig wird!" rief der besorgte Pfarrer hinauf. "O Herr Pfarrer, i be<br />

no nia a Schwendler gwäa!" gab der Ferde lachend zurück.<br />

Nach der Heuernte sagte der Nachbar zu einem Bauern: "Dei Hai hot aber koa scheene Farb, dees isch jo ganz<br />

gäa!l" - "Was du net saisch! Wäga dr Farb henn meine Kiah no nia gschria, bloß nach no mai."<br />

Früher, als es noch nicht in jedem Haus ein Bad gab, war es üblich, in der Bäckerei Rex an der Hauptstraße zu<br />

baden. Der Bäcker hatte extra ein Badezimmer eingerichtet und durch den großen Backofen stand meistens<br />

genügend heißes Wasser zur Verfügung. Als eines Tages spät am Abend noch zwei Männer kamen, um zu baden,<br />

reichte das Wasser aber nur noch für einen. Die beiden fingen an zu streiten, wer nun baden dürfe. Das Nanele,<br />

das am warmen Ofen saß, hörte sich den Streit eine Weile mit an, dann sagte sie: "I woaß gar net, was ihr hent!<br />

Jetz ben i schao siebezich Jahr alt on hao no nia badet on leb emmer no."<br />

Eine gut erfundene Geschichte erzählt man sich über einen Ochsenbauern aus unserem Ort. Der pflügte eines<br />

schönen Tages mit seinen beiden Ochsen. Nachmittags um vier Uhr blieb einer der Ochsen plötzlich stehen und<br />

war auch durch Schreien und Peitschenhiebe nicht mehr zum Weitermachen zu bewegen Zuletzt schrie der<br />

Bauer: "I mecht bloß wissa, was mit dem los isch"! - "Ha",sagte da der Ochse, "i be en dr Gwerkschaft on jetz<br />

isch Feierobed." Dem Bauern blieb nichts anderes übrig, als den Ochsen auszuspannen und mit dem anderen<br />

allein weiter zu pflügen, während der erste nach Hause trottete und im Stall sein Heu fraß. Als es dunkel wurde,<br />

zogen Bauer und Ochse auch nach Hause und als der zweite Ochse in den Stall kam, fragte der erste: "Was hot er<br />

jetz da drzua gsaid?" - "Nix," kam die Antwort, "aber uff em Hoamweag isch er beim Metzger vorbei".<br />

Von unserer Hebamme Emma Wurster, kursieren auch viele Geschichten. Als sie einmal nach Althengstett<br />

gerufen wurde, kaufte sie anschließend bei einem Bauern ein Ferkel. Aber wie sollte sie das Tier nach Gechingen<br />

bringen? Kurzentschlossen entlehnte sie bei einer Bekannten den Kinderwagen, packte das Ferkel hinein und<br />

deckte es zu. Dann machte sie sich auf den Heimweg. Unterwegs traf sie ein altes Weiblein, das unbedingt das<br />

"Kendle" sehen wollte. Sie nahm an, es sei das letzte Neugeborene aus Hengstett. "Dees sieht aber ganz seim<br />

Vadder gleich", lobte die Alte. Unsere Hebamme machte keinen Versuch, den Irrtum aufzuklären und schob den<br />

Kinderwagen weiter.<br />

Zusammen mit ihrer Schwester hielt sie ein paar Geißen. Da es im Laufe der Zeit in unserem Ort keinen Bock<br />

mehr gab, führte sie ihre Geiß in einem alten Kinderwagen nach Althengstett, später auch nach Stammheim oder<br />

Aidlingen zum Bock. Doch auch dort verschwanden mit der Geißenhaltung die Böcke, nur in Dagersheim war<br />

noch einer zu finden. Unsere Hebamme packte resolut zu gegebener Zeit die Geiß in den Seitenwagen des<br />

Motorrades eines freundlichen Helfers, setzte sich auf den Rücksitz, und los ging die Fahrt!<br />

Schon in ihrer Jugendzeit hatten Emma und ihr Bruder eine, wie man in Gechingen sagt, "süße Gosch", das heißt,<br />

beide waren auf Süßigkeiten versessen. In der Frühe tranken sie ihren Kaffee getrennt, damit der andere nicht<br />

sehen sollte, wieviel Zucker jedes nahm. Um zu verhindern, daß eines von ihnen zuviel Zucker nehme, drohten<br />

sie sich gegenseitig: "Wenn des dr Vaddr sieht, wieviel du nemmsch, no geit´s Krach!"<br />

Später, als ihr Bruder einen eigenen Hausstand gründete, hatte dessen Frau ihre liebe Not damit, die Ausstecherle<br />

und Gutsle zu verstecken, sonst hätte er alle vor Weihnachten aufgegessen. Meistens fand er die Brötle, aber<br />

einmal hatte seine Frau sie so gut versteckt, daß er sie trotz eifrigen Suchens nicht finden konnte. Als seine Frau<br />

nicht zu Hause war, nahm er sich Zeit und durchstöberte das ganze Haus, wobei er das Gesuchte dann auch<br />

tatsächlich fand. Voller Grimm, daß er solange hatte suchen müssen, verschlang er Brötle um Brötle, bis er nicht<br />

mehr konnte, den Rest warf er den Kühen in den Trog! Als seine Frau zu Weihnachten die versteckten Brötle<br />

holen wollte, gab es lange Gesichter.<br />

1945 - 46 führten die Franzosen beim "doppelten Wald" große Holzeinschläge, die sogenannten<br />

"Franzosenschläge" durch. Dabei wurde das Holz über Frieders Acker abgefahren, der dementsprechend aussah.<br />

Der Frieder beschwerte sich deshalb beim elsässischen Kommandanten. Der sagte zu ihm: "Du kannst dir dafür<br />

einen Festmeter Holz im Wald aufladen." Das ließ sich der Frieder nicht zweimal sagen, lief so schnell er konnte<br />

zu seinem Nachbarn, der ein Holzfuhrwerk besaß und fuhr mit diesem gleich los. Zusammen beluden sie das<br />

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Fuhrwerk mit Stämmen von 15-20 Meter Länge, aber so, daß der Querschnitt aller Stämme zusammen nicht mehr<br />

als ein Meter im Quadrat betrug. Zufällig kam der Kommandant dazu und fragte verwundert, was das solle, das<br />

sei doch kein Festmeter. "Doch," sagte der Frieder verschmitzt, "das ist ein deutscher Festmeter". Ob dieser<br />

Frechheit verschlug es dem Kommandanten die Sprache, und er ließ den Frieder mit seinem voll beladenen<br />

Fuhrwerk abziehen.<br />

Etwa in der gleichen Zeit wollte der Frieder ein nicht gemeldetes Schwein "schwarz" schlachten. Das mußte<br />

natürlich heimlich geschehen, am besten in der Scheuer bei geschlossener Tür, dachte der Frieder. Er band das<br />

Schwein mit dem Fuß an der Putzmühle fest und holte die große Axt, um der Sau aufs Hirn zu schlagen. Die aber<br />

zuckte zurück und versteckte sich hinter der Putzmühle. "Gahsch her, du Luader!" schrie der Frieder voll Wut<br />

und zerrte das Schwein am Strick wieder vor. Dann holte er mächtig aus und traf mit einem gewaltigen Hieb die<br />

Putzmühle, die mit lautem Krachen in sich zusammensank. Die Sau aber rannte befreit davon. Mit dem<br />

heimlichen Schlachten war es an diesem Tage aus.<br />

Bei einem Jahrgangstreffen der älteren Generation sollten sich alle zu einem Foto aufstellen. Es gab ein kleines<br />

Gedränge, denn keines wollte sich in die erste Reihe stellen. Da sagte der Ludwig zu einer Schulkameradin, die<br />

aus der Stadt gekommen war: "Gang du no vorna na, du schtellsch am meischta vor, mir andere säahn älle so<br />

aa´gschossa aus."<br />

Der als Totengräber tätige Fritz hatte viel Humor. Im "Adler", seinem Stammlokal, spöttelte ein Ostelsheimer:<br />

"Mi kasch du amol net vergraba, i laß me verbrenna." - "Ha," sagte der Fritz, "des macht nix, no brengsch halt<br />

dei Äscha rii".<br />

Als er eine Kuh auf Kredit kaufen wollte, fragte der Verkäufer nach Sicherheiten. "Hano, dees isch koa Problem,<br />

i han fir daused Mark alte Leit em Ort."<br />

Einen Fehler hatte der Fritz, er machte die Gräber immer zu klein. Bei einem korpulenten Verstorbenen sah er<br />

den Sarg und bemerkte: "Herrgott, brenget dia wieder a Saukischt!" Er wuselte während des Gottesdienstes mit<br />

dem Meterstab in der Hand herum, um Länge und Breite des Sarges auszumessen. Obwohl er an der Grube<br />

nachbesserte, verkeilte sich der Sarg beim Hinablassen und die Lage ließ sich nur dadurch retten, daß der Fritz<br />

beherzt auf den Sarg sprang.<br />

Als ein Mitglied des Stammtisches starb, erwiesen die Kameraden ihm die letzte Ehre. Einer nahm ein Stück<br />

Leberkäs mit und warf es statt Blumen ins Grab. Sein Freund, der Blumen dabei hatte, fragte ihn nachher:<br />

"Worom hasch dees dao? Der ka doch nix mai essa!" - "Ha, deine Bluma ka er ao nemme en a Vas neido!"<br />

Unsere Gretl verkaufte in ihrem Lädle alles mögliche, unter anderem auch Sterbehemden. "Dees da koschd<br />

feifazwanzich Mark on dees fuffzich."-"Jo, wo isch denn do dr Onderschied?" will die Kundin wissen. "Dees om<br />

fuffzich Mark isch biglfrei".<br />

Zu verstehen ist auch die Klage einer Frau, die zum ersten Mal bei einer Urnenbestattung dabei war. Zu Hause<br />

meinte sie entäuscht: "So schnell kasch gar net heila, wia da vergraba wuurscht!".<br />

Als der Karle seine Frau wegen eines Schlaganfalls ins Krankenhaus hatte einliefern müssen, erkundigte sich die<br />

Nachbarin nach deren Befinden. "Wie gaht`s denn deiner Frau?" Der Karle antwortete: "Noamal so, on se legt d´<br />

Aohra nom."<br />

Das Haus Maier in der Gartenstraße hatte als erstes Haus in Gechingen einen Balkon, der natürlich Aufsehen<br />

erregte. Der Besitzer hieß deshalb "Veranda-Maier". Eines Tages ging eine Mutter mit ihrem Jüngsten dort<br />

vorbei. Der fragte: "Du, Muadr, worom hen mir net ao so a graoß Hafabritt?"<br />

Des Annameile had en Suddakruag (Sutte(r)krug = langer, enghalsiger, irdener Krug) ghet, so oan, wo mr friher<br />

de Mooschd mid uffs Feld g´nomma hot. Se hot en aber fir an andra Zweck brauchd. Bei dr Naachd, wenn se älls<br />

hat miassa, no hat se en sella Kruag neibronzt, ohne daß oa Tropfa daneba ganga isch, so guad hot se ziela kenna.<br />

Da isch se ao obache schdolz druff gwäa!<br />

Bei einer Hochzeit im "Adler" durfte auch der kleine Karle mit. Schon bald wollte er eine Bratwurst haben, aber<br />

seine Mutter vertröstete ihn auf später. Das ging so eine ganze Weile hin und her, bis dem Karle der<br />

Geduldsfaden riß und er schrie: "Wenn de jetz koa Bradwuurschd kaufsch, no scheiß e grad en d' Hos"!<br />

Der Lammwirt hatte einen Knecht eingestellt, der von auswärts kam und dadurch einige Schwierigkeiten mit dem<br />

Schwäbischen hatte. Umgekehrt verstanden auch die Pferde des Wirts die Zurufe des Knechtes nicht und so kam<br />

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es zu mancherlei Mißverständnissen. Das regte den Lammwirt auf. Er wollte seinen Knecht ganz schnell<br />

aufklären und schrie: "Narr, hischt isch hott on lenks isch reachts!"<br />

Im "Adler" brüstet sich der Christian: "I rauch emmer em Stall mai Pfeif, des laß i mir net vom Landjäger<br />

verbiata!" Der aber sitzt still in einer Ecke und denkt sich: "Den werd i scho kriaga!" Als der Christian heimgeht,<br />

folgt ihm der Landjäger verstohlen. Christian geht mit der brennenden Pfeife tatsächlich nochmal in den Stall, um<br />

nach dem Rechten zu sehen. Er hat aber seinen Verfolger bemerkt und will ihm eins auswischen, macht seine<br />

Pfeife schnell aus und schiebt sie in den Hosensack. Dann nimmt er eine andere Pfeife, füllt sie mit Gülle und<br />

stellt sie auf die Fensterbank. "Hab i di verwischt", stellt der Landjäger den Christian. "Was denn, i rauch doch<br />

gar net, dort liegt mai Pfeif!" Der Beamte greift schnell nach ihr. Über das Ende will ich nicht berichten!<br />

Der Gottfried, ein Mann wie ein Baum und nicht eben redselig, hatte von einer alten Frau einen Acker gekauft.<br />

Als der Handel perfekt war, sagte die Frau zum Gottfried, er müsse aufpassen, der Anrainer an diesen Acker sei<br />

ein Fetz - statt zum Abernten mit einem Rad auf seinem und mit dem andern Rad auf ihrem Acker anzufahren,<br />

wie es unter Nachbarn der Brauch sei, nehme er gern den Weg nur über ihren Acker. Der Gottfried antwortete<br />

lakonisch: "Er duats nemme. I hao-n-em de Ranza verschla."<br />

Der Galoppschuahmächer war einer, der immer pressant war und schnell fertig werden wollte. Einmal wollte er<br />

abends die Säue füttern und hatte in der Küche, wo das Säufutter fertiggemacht wurde, zwei Eimer gefüllt sowie<br />

ein hölzernes Kübele. Er hatte einen Eimer in jeder Hand, das Kübele auf dem Kopf und die Stallaterne zwischen<br />

den Zähnen, als er die Stiege in den Stall hinuntereilte. Auf einmal brach der Boden vom Kübele raus und der<br />

Außenmantel vom Kübele rutschte ihm über den Kopf, so daß er nichts mehr sah, und das Säufutter bekleckerte<br />

ihn von oben bis unten. Er stellte die Eimer ab, drehte um und während er nach der Laterne grabschte und sein<br />

Gesicht freizukriegen versuchte, stob er zurück in die Küche, wo seine Frau gerade die Kinder wusch vor dem<br />

Zubettgehen. Da gackste er unter dem Kübele und dem Säufutter vor: "Weib, mi z'erschta, Weib, mi z'erschta!"<br />

Ein andermal mistete er gerade den Hühnerstall, als der Schütz schellte. Im Stall war ein kleines Schiebetürchen,<br />

durch das die Hennen raus- und reinkonnten. Wie nun der Galoppschuahmächer den Schütz hörte, nahm er sich<br />

nicht die Zeit, nach draußen zu gehen, sondern fuhr hastig mit dem Kopf durch das Hühnertürchen, um ja nichts<br />

zu verpassen. Im gleichen Augenblick kam das Schiebetürchen herunter und klemmte ihn ein. Der Kopf war<br />

draußen und das Türle saß ihm im Genick, so daß er sich nicht mehr befreien konnte. Es dauerte eine ganze Zeit,<br />

bis ihn einer hörte und losmachte.<br />

Einmal ließ er den Boden in seinem Stall neu betonieren. Als der Maurer damit fertig war, riet er ihm, die Stalltür<br />

offen zu lassen, damit der Zement schneller trockne. Er solle aber aufpassen, daß keine Hühner reinkämen,<br />

solange der Boden noch weich sei, es gäbe sonst "Dapper". Also stellte sich der Galoppschuahmächer mit der<br />

Peitsche unter die offene Stalltüre und scheuchte damit die Hühner. Wenn ein Huhn in die Nähe kam, fuchtelte<br />

mit seiner Peitsche und schrie: "Hopp, Alte, gang ane em Schatte!" oder: "Dir will e helfe!" Nach einiger Zeit<br />

bekam er von dieser anstrengenden Arbeit Hunger und Durst und ging zum Vespern. Er nahm an, daß die<br />

Hennen inzwischen auch vor der Peitsche allein Respekt hätten und lehnte sie neben die offene Stalltür. Als er<br />

sich gestärkt hatte und zurückkam, tummelten sich drei Hühner auf dem neuen Betonboden! Da langte er nach<br />

der Peitsche, stürzte hinein in den Stall und vertrieb das unbotmäßige Viehzeug! Etwas weniger eilig wird er<br />

dann nochmal zum Maurer gegangen sein.<br />

Von Paul Maier stammt folgendes Gedicht: "Em Adler dren, am ronda Disch - do sitzt a Haufa Manna. Se<br />

schwätzat iber des on sell - on sonscht no ällerhand. Bloß, wenn se na älls drenga deant - no isch a Weile Ruah -<br />

sonscht aber gaht's em Adler dren - wia uff em Jahrmärkt zua. Mer schwätzt vom Weddr, iber d'Leit - on vo dr<br />

Bolidig - on z'letschta kommed d´Gmeindräd dra, - a jeder Schtick fir Schtick! Bis oaner zu de Baura sait, se<br />

kenned zfrieda sai - mit deam, was des Jahr gwasa sei: - D' Grombira seiat riesagraoß - fascht gar wia<br />

Kenderkepf, - on wenn en des net langa dä - no seied s´ arme Trepf! Do schreit dr Schorsch - mr kennt en ja:<br />

"Dees isch dia Lomberei - graoße, des geid´s haufaweis - bloß kloine net fir d ´Sei!"<br />

Fritzle schaut mit seiner Oma den Festzug an. Nebenbei sieht er auf dem Misthaufen einen Hahn, der gerade eine<br />

Henne besteigt. "Oma, worum sitzt denn der Gockeler uff dui Henna nuff?"-"Hano, daß er da Feschtzug besser<br />

sieht!"<br />

Als es keinen fest angestellten Bleicher mehr gab, legten die Frauen in der Frühe ihre Tücher selbst aus und<br />

holten sie abends wieder ab. Dabei passierte folgende Geschichte: Als Frau Schwarz sich nach einem langen<br />

Arbeitstag abends müde ins Bett legen wollte, fiel ihr voll Schrecken ein, daß das Tuch noch zum Bleichen<br />

auslag. Sie weckte ihre bereits schlafende Tochter: "Schnell, Emma, schdand uff!" Beide liefen in ihren<br />

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Nachthemden in stockdunkler Nacht den Rumpelweg hoch zum Festplatz und packten ihr Tuch zusammen. Mit<br />

den Bündeln auf dem Kopf machten sie sich auf den Heimweg. Plötzlich hörten sie Schritte und trauten sich<br />

nimmer weiter. Doch auch der nächtliche Wanderer war wie erstarrt stehengeblieben. Dann rannten alle in<br />

gegenseitiger Furcht davon. Einige Tage später konnte man am Stammtisch die Geschichte von zwei Gespenstern<br />

hören. Die beiden Frauen, die es besser wußten, behielten ihr Wissen aber hübsch für sich.<br />

Eine ältere Frau von hier versorgte sich mit den verschiedensten Arzneien und verkaufte sie den Leuten bei<br />

Bedarf. Fehlende Medikamente holte sie zu Fuß aus der Apotheke in Weil der Stadt. Sie unterhielt, was nicht<br />

zulässig war, eine kleine Apotheke und versteckte die Arzneimittel vor den verschiedenen Kontrollen in einem<br />

alten Klavier. So blieb diese "Apotheke" unentdeckt und lange Zeit ein Geheimnis unter den Dorfbewohnern.<br />

Um die Jahrhundertwende wurde zum letztenmal von den <strong>Gechinger</strong> Frauen der "Rosinentag" am 11. März, dem<br />

Namenstag der Rosine, gefeiert. Das "Calwer Wochenblatt" berichtet: "Laut letztwilliger Verfügung einer Rosine<br />

Weller aus dem Jahr 1692 hat ein hiesiger Hausbesitzer jährlich einen Gulden an die Gemeindekasse zu<br />

bezahlen. Sobald die Summe genügend groß, soll jede verheiratete Frau und Wittfrau einen Schoppen Wein<br />

trinken zum Andenken an die Stifterin. Da jetzt aber mehr Frauen am Ort sind als vor 200 Jahren und der Wein<br />

auch viel teurer ist als damals, so erlebt manche Frau dieses seltsame Fest gar nicht, denn volle zweiunddreißig<br />

Jahre hat es gedauert, bis etwas zu verteilen war und dennoch fielen auf jede Frau nur 36 Pfennig."<br />

Backen und Kochen<br />

Wie überall auf dem Lande verwendete man in der Küche möglichst selbst erzeugte Lebensmittel. Traditionell<br />

brachte man hauptsächlich Mehlspeisen auf den Tisch, vor allem Spätzla oder Knöpfla. Gemüse und Salat kamen<br />

im Sommer aus dem Garten, im Winter gab´s vor allem das selbst eingemachte Sauerkraut, auch Wurzelgemüse<br />

und Hülsenfrüchte. Milch, Eier, Schmalz und Rahm rundeten das Nahrungsangebot ab, Fleisch und Wurst gab es<br />

selten. Sonntags vor allem kam ein Stück Fleisch oder Rauchfleisch ins Sauerkraut. Nur wenn frisch geschlachtet<br />

worden war, verzehrte man Fleisch und Wurst in Unmengen. Die Brühe, in der die Würste gekocht worden<br />

waren, die "Metzelsupp", wurde in der Freundschaft ausgetragen, zusammen mit reichlich bemessenen Portionen<br />

von Fleisch, Wurst und Kraut.<br />

Zuerst kannte man nur das Haltbarmachen von Fleisch und Wurst durch Räuchern, später wurden vor allem die<br />

Würste auch durch Eindosen konserviert.<br />

Was früher auf den Tisch kam (ohne Anspruch auf Vollständigkeit!):<br />

Suppen, als Vorsuppen oder Hauptgericht, vor allem abends: Riebelessupp, G´schmälzte Brotsupp, Brennte<br />

Supp, Milchsupp, Nudelsupp, Flädlessupp, Habersupp, Grießsupp, Brennte Grießsupp, Kartoffelsupp,<br />

Einlaufsupp.<br />

Suppeneinlagen: Eierstich, gebackene Suppenklößchen, Grieß- und Markklößchen, Suppennudeln.<br />

Hauptgerichte und Eintöpfe: Kartoffeln und Gemüse, Gestandene Milch mit Kartoffeln aus der Hand oder<br />

eingebrocktem Brot, Sauerkraut mit Spätzla, Eierhaber, Flädla, Maultaschen, Saure Kutteln mit gerösteten<br />

Kartoffeln, Saure Nierla und Spätzla, Wergela (Buabaspitzla) mit Sauerkraut oder auch in der Pfanne mit Ei<br />

abgeröstet, Kartoffelschnitz und Spätzla (Gaisburger Marsch), Linsen mit Spätzla, Saure Kartoffelrädla,<br />

Luckeleskäs (Quark) mit gerösteten Kartoffeln, Ofenschlupfer, Waffeln, Apfelküchla, Pfitzauf. Zu den süßen<br />

Gerichten gab es Kompott, je nach Jahreszeit von frischem Obst oder Dörrobst. Spätzla oder Knöpfla ließen sich<br />

vielseitig abwandeln: Bratwurstknöpfla waren handgeschabte Spätzla mit feingeschnittener, gerauchter Bratwurst<br />

im Teig, entsprechend bereitete man Wurst- und Leberspätzla zu. Auch Kässpätzla waren beliebt. Hefeteig war<br />

die Grundlage für eine ganze Reihe von Gerichten, süß oder gesalzen, die es zum Mittagessen gab, wie<br />

Dampfnudeln (aufgezogen oder im Backofen gebacken) oder Hafeknöpfla (Müllerspeck - Hefeteig über<br />

Sauerkraut als großer Kloß im Dampf gegart). In schwimmendem Fett gebacken wurden Fasnetsküchla und<br />

Pfannabäuschd. Bei letzteren wurde die Teigportionen der Größe der Pfanne entsprechend mit den Händen<br />

ausgezogen. Pfannabäuschd paßten zu Gemüse und auch zu Kompott. Öfters gab es auch Schwedenklöße oder -<br />

knöpfla, für die das Rezept folgen soll: Man bringt 1 l Milch zum Kochen, gibt unter Rühren vier in dünne<br />

Scheiben geschnittene Wecken hinein und soviel Grieß, daß ein sehr fester Brei entsteht, der sich von der Pfanne<br />

löst. Man kann entweder Klöße davon abstechen, abschmälzen und mit Kompott zu Tisch geben oder die etwas<br />

abgekühlte Masse zu einer Rolle formen, in Scheiben schneiden und in einer Kasserole auf beiden Seiten backen.<br />

Dann kommt eine Soße aus mit Rahm verquirlten Eiern darüber, die man noch kurz mitziehen läßt.<br />

Kuchen und Gebäck: Natürlich wurde in den bäuerlichen Haushalten das Brot selber gebacken. Als Backtrieb<br />

diente Sauerteig (Hefel). Brotmehl war früher ausschließlich Dinkelmehl. Zusätzlich wurden manchmal weiße<br />

Laible, Hefenkranz oder Gugelhopf (Guglopf), als Kleingebäck vielleicht auch mal Flachswickel, mitgebacken,<br />

immer aber machte man Spickleng (Kartoffelspickleng, das traditionelle Essen am Backtag). Jede Familie hatte<br />

da ihre eigenen Vorschrift, die sich nach dem persönlichen Geschmack richtete. Auch nahm man mehr oder<br />

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weniger Rahm, je nachdem, welche Menge verfügbar war. Eventuell wurde dem Belag durch Zufügen von etwas<br />

Milch die gewünschte, noch gut streichbare Konsistenz gegeben. Das Grundrezept sei hier angefügt: Zu einem<br />

Kuchenboden von 1/2 Pfund Mehl (Hefeteig) braucht man 1 Pfund durchgedrückte Kartoffeln vom Tag vorher.<br />

Feiner. wird die Masse, wenn man die Kartoffeln reibt. Man kann auch etwas weniger Kartoffeln nehmen und<br />

dann zwei Eßlöffel Mehl zugeben. Kartoffelmasse und evtll. Mehl werden mit 1 1/2 - 2 Bechern saurem Rahm<br />

(es kann auch zur Hälfte süßer und saurer Rahm sein) und 2-3 Eiern gut verrührt und mit Salz und Pfeffer<br />

abgeschmeckt, evtll. mit Butterflöckchen belegt und gebacken.<br />

Als weitere Zutaten für den Belag eignen sich feingeschnittene Zwiebeln, würfelig geschnittenes Rauchfleisch,<br />

Kümmel und Schnittlauch.<br />

Zu allen Festen gehörten und gehören viele selbstgebackene Kuchen. Ottilie Steimle schildert 1980 die Auswahl<br />

an Kirbekuchen so:<br />

" . . Zwetschga-, Epfel - Zuckerspickleng,<br />

Schneckanudla, Hefareng,<br />

Ziegerspickleng mit Zibeba,<br />

Ond sogar ao no Pasteta,<br />

Zwiebelspickleng mit Kemmich ond Speck,<br />

Älles draid mr na zom Bäck. . . "<br />

"Ziegerspickleng" ist ein Kuchen mit Hefeboden und einem Quarkbelag, also eine Art Käskuchen.<br />

Zu Weihnachten gab´s Hutzelbrot und Breedla, wie Ausstecherla, "Riggene" (aus Brotteig), Zimtsterne,<br />

Springerla, Anisbreedla usw.<br />

Eine Inventurliste<br />

Die Inventuren sind Listen, die bei Hochzeiten (Beibringsinventarien), Sterbefällen (Nachlaßinventarien) und<br />

Teilungen zwingend vorgeschrieben waren, und in denen alles aufgeführt wurde, was zum Haushalt, zu Haus-<br />

und Grundbesitz und zur Landwirtschaft des Betreffenden gehörte. Im <strong>Gechinger</strong> Rathaus lagern Hunderte<br />

solcher Dokumente. Sie können uns einen guten Einblick in die damalige Zeit verschaffen. Hier sei eine als<br />

Beispiel abgedruckt:<br />

„Inventarium und Eventualteilung vom 22. 8. 1763 von Michael Ziegerer *1.1.1717 +März 1763, Taglöhner und<br />

Kuhhirt oo am 3.11.1744 mit Brigitte Dreichler *1712 +5.4.1782<br />

Die Erben: Ehefrau, Tochter Magdalena *15.1.1744, Tochter Brigitte *13.2.1746<br />

Aufstellung: Der 4.Teil einer Behausung, der 8. Teil der Hofraite, Äcker: 16 Ruten in der Riederleshalde und 12<br />

eben dort<br />

Krautländer: 14 1/2 Ruten in Birklin, 7 3/4 in der unteren Gasse<br />

Bücher: 1 Gesangbuch.<br />

Mannskleider: 1 alter blauer Camisol (Sonntagsrock), 1 rotes Brusttuch, 1 Paar Strümpfe, 1 Mantel.<br />

Weibskleider: 1 schwarzer Rock, 2 Wiflingröcke (Wifling ist ein grobes Gewebe aus leinenem Zettel und<br />

wollenem Einschlag, meist schwarz. Es wurde zu dieser Zeit von den Bauern selbst hergestellt), 2 schwarze<br />

Schürzen, 1 Schal, 1 Schleier, 2 Hauben, 1 Brusttuch, 1 Goller (Mieder oder Leibchen), 4 Hemden, 1 Paar<br />

Ärmel, 3 Paar Strümpfe, 1 Paar Schuhe.<br />

Bettgewand: 2 Oberbetten, 2 Unterbetten, 2 Haipfel, 3 Kissen, 1 Strohsack.<br />

Leinwand: 20 verschiedene Leintücher und Ziechen.<br />

Eisengeschirr: 2 Pfannen, 1 Schmalzpfanne zweifüßig, 1 Schaumlöffel, 1 Schöpflöffel, 1 Backgabel, 1<br />

Ofengabel.<br />

Blechgeschirr: 1 Ampel.<br />

Holzgeschirr: 2 Wasserzuber, 3 Wasserkübel, 1 kleiner Zuber, 4 Kuchenschüsseln, 2 Rührlöffel.<br />

Schreinerwerk: 2 Betten, 1 Tisch, 1 Stuhl, 2 Truhen, 1 Kopfhaus (kleiner Kasten oder Schrank in der Küche oder<br />

neben dem Bett), 1 kleiner Trog, 1 Backmulde, 1 Krautstande, 1 Fäßchen.<br />

Werkzeug: 1 Holzhape, 1 Holzmesser, 1 Schälmesser, 2 Sicheln, 1 Sense, 1 Dunggabel, 2 Rechen, 2<br />

Haberrechen, 1 Wetzstein, 3 Siebe, 2 Flegel, 1 Grastuch, 1 Schaufel, 2 Körbe, 2 Wannen, 4 Säcke, 1 Schere, 1<br />

Hammer, 1 Beißzange.<br />

Vieh: 2 Geißen, 1 Bock, 2 Gänse, 1 Henne.<br />

Vorrat: 3 Scheffel Dinkel, 20 Büschel Stroh, 4 Wannen Heu, 1 Karren voll Dung, 1 Stapel Holz.<br />

All das hat einen Wert von 230 Gulden, Verpflichtungen 52 Gulden, Rest 178 Gulden.“<br />

Man sieht, daß auch die persönliche Habe der Frau erfaßt wurde. Nichts deutet darauf hin, daß die Töchter<br />

Michael Ziegerers im Hause lebten, als er starb, sie dürften beide "in Stellung" gewesen sein. Es gibt nur zwei<br />

Betten samt Bettzeug, auch die Ausstattung mit Mobiliar spricht nicht dafür, daß hier vier Personen hausten.<br />

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Etwas Haus- und Grundbesitz war da. Die Maßeinheit Rute, entspricht 2,86 m, gemeint sind hier Quadratruten.<br />

Das Ackerland betrug also ca. 2,3 a, das Krautland ca. 1,8 a . Das reichte auch bei sorgsamster Bewirtschaftung<br />

für den Unterhalt einer Familie nicht aus. Aber, wie auch in der Oberamtsbeschreibung von 1860 ausgeführt, nur<br />

die Allerwenigsten waren ganz ohne Grundbesitz.<br />

Gerätschaften für den Anbau von Getreide waren vorhanden, ebenso Dreschflegel. Säcke, sowie ein Vorrat an<br />

Getreide (1 Scheffel = 177.l) und Stroh fehlten nicht. Es gab aber keine Zugtiere und auch keine größeren<br />

Ackergeräte, wie Egge und Pflug. Vielleicht bestand ein Teil der Entlohnung Michael Ziegerers als Taglöhner in<br />

der Mitbenutzung von Gespann, Fuhrwerk und Ackergeräten.<br />

Wiesen- und Weideland ist im Grundbesitz nicht ausgewiesen, die Familie besaß aber zwei Ziegen und einen<br />

Bock sowie einen Vorrat an Heu, auch war ein Grastuch vorhanden, in dem die Frauen Grünfutter für die Tiere<br />

auf dem Kopf heimtrugen. Auch eine Sense findet sich unter den Gerätschaften. Sie diente zu dieser Zeit<br />

ausschließlich zum Grasmähen, für Getreide benutzte man die Sichel. Es wäre denkbar, daß Waldgras wenigstens<br />

zum Teil als Futter für die Tiere diente, auch mag ein Teil der Besoldung Michael Ziegerers als Kuhhirt der<br />

Gemeinde im Nießnutz von Grasland bestanden haben.<br />

Bei dem Huhn könnte es sich um eine "Leibhenne" handeln, die die Frau als Abgabe zu leisten schuldig war, die<br />

Gänse hielt man möglicherweise vor allem der Federn wegen für die Aussteuern der Töchter.<br />

Da das hierzu nötige Handwerkszeug vorhanden war ist es möglich, daß Michael Ziegerer nebenbei auch Körbe<br />

flocht oder Besen band, wenn auch nur für den Hausgebrauch.<br />

Die Kleidung war dürftig, aber mit 20 Leintüchern und Ziechen (Bettbezügen) war ausreichend Weißzeug da. In<br />

diesem Zusammenhang fällt auf, daß weder Spinnrad noch Kunkel im Hausrat angeführt sind. Das ist eigentlich<br />

ungewöhnlich, zumal in Gechingen, wo Spinnen und Weben eine große Tradition hat und außerdem zwei<br />

Töchter da waren.<br />

Brigitte Ziegerer hat sicherlich auf offenem Feuer gekocht. In dem Schmälzpfännle wurde Fett, eventuell mit<br />

Zwiebeln oder Brosamen, gebräunt und die Suppe oder das Mus damit abgeschmälzt. Eiserne Pfannen mit langen<br />

Stielen waren beim Kochen auf offenem Feuer vielseitig zu verwenden. Von irgendwelchem Geschirr oder<br />

Besteck ist nicht die Rede, aber Eß- und Trinknäpfe, Milchhäfen und vielleicht auch einen irdenen Hafen zum<br />

Kochen und zumindest hölzerne Löffel muß es gegeben haben, diese Dinge galten wohl als von zu geringem<br />

Wert für das offizielle Inventar. Gerätschaften zum Teigbereiten waren da, aber ganz offensichtlich hat Brigitte<br />

Ziegerer daheim weder gebacken noch Wäsche gewaschen, es fehlen alle hierfür nötigen Utensilien. Sie hat<br />

sicher, wie vorgeschrieben, das Back- bzw. Waschhaus benutzt. Die vielen Wasserkübel und -zuber waren nötig,<br />

weil alles Wasser vom Brunnen geholt werden mußte.<br />

Eine interessante Ergänzung zu diesem Inventarium liefert das Ortssippenbuch. Von Tochter Brigitta wissen wir<br />

nichts über ihr ferneres Schicksal, aber Tochter Magdalena hat 1782, mit 38 Jahren, einen um acht Jahre jüngeren<br />

Mann geheiratet, unmittelbar nach dem Tod der Mutter. Ihr Mann war Leineweber, zusammen hatten sie wohl<br />

gerade ihr Auskommen.<br />

Es ließe sich noch vieles aus diesen Inventarien erschließen, was aber Arbeit über einen sehr langen Zeitraum<br />

bedeutet und künftigen Forschungen vorbehalten bleiben soll!<br />

Anhang<br />

Familiensiegel oder Petschaften<br />

Das Siegel ist der reliefartige Abdruck eines Stempels in einer weichen, leicht erhärtenden Masse, seit dem 16.<br />

Jahrhundert wird im allgemeinen der rote Siegellack dazu verwendet. Siegel dienten zur Beglaubigung einer<br />

Urkunde oder zum Verschluß eines Schriftstückes oder eines Behältnisses (versiegeln). Sie bestehen meistens aus<br />

einem Siegelbild und der Umschrift, die den Namen des Sieglers angibt. Bei unseren <strong>Gechinger</strong> Bauern und<br />

deren Familiensiegeln handelt es sich um Siegel, die teilweise auch als Hauszeichen benützt wurden. Man findet<br />

diese Siegel auf Urkunden im Staatsarchiv oder auch auf Briefen und Umschlägen im Gemeindearchiv. Leider<br />

sind fast alle im Lauf der Zeit brüchig geworden, so daß sie oft schlecht zu deuten sind. Außer den<br />

Familiensiegeln wurden als Ersatz auch Gemeindesiegel verwendet. Es kam auch vor, daß Siegel von anderen<br />

Familien entlehnt wurden, sei es, weil es kein eigenes gab oder weil es im Moment nicht greifbar war. Karl<br />

Friedrich Essig, der Autor des ersten <strong>Gechinger</strong> Heimatbuches, hat 1949 eine Zusammenstellung der Siegel<br />

vorgenommen, die, mit verschiedenen Ergänzungen, in alphabetischer Reihenfolge hier aufgelistet sind.<br />

Fam. Brackenhammer<br />

Johann Jakob Brackenhammer, geb. 3. 12. 1719, gest. 10. 6. 1796, war Bäcker, Lammwirt und Schultheiß (1768<br />

- 1796). Er führte in seinem Siegel (Bild 1) einen Doppelweck mit Brezel unter der fünfzackigen Volkskrone. Es<br />

findet sich auf der Vermögungsübergabe von Jakob Röckle, Bürger und Barbier vom 1. 11. 1770 sowie auf dem<br />

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Testament der Barbara Bock, ledige Bürgertochter, vom 9. 1. 1782. Auch auf dem Testament der Dorothea<br />

Döttinger geb. Wagner, Ehefrau des Andreas Döttinger, vom 22. 1. 1783 und dem Testament der Margareta<br />

Breitling, Ehefrau des Zeugmachers Jakob Breitling, vom 8. 1. 1788 und auf dem Testament der Margareta<br />

Grimm, Ehefrau des Leonhardt Grimm, Schuhmacher, ist dieses Siegel zu sehen.<br />

Der Sohn Johann Jakob Brackenhammer, geb. 17. 11. 1743, gest. 17. 11. 1820 war Müller auf der <strong>Gechinger</strong><br />

Mühle und siegelte auf dem letztgenannten Testament, um sich von seinem Vater zu unterscheiden, mit dem<br />

Steuersiegel der Gemeinde. (Bild 2) Dieses zeigt einen Schild mit drei Hirschgeweihen und der Umschrift<br />

"Gemeinde Accise" ("Accise" oder "Akzise" war eine Bezeichnung für steuerliche Abgaben).<br />

Fam. Böttinger<br />

Mit dem gleichen Steuerstempel versah Johann Jakob Böttinger, geb. 7. 4. 1738, gest. 11. 6. 1811, Bäcker und<br />

Gemeinderat, seine Unterschrift.<br />

Fam. Breitling<br />

Als erster Breitling erscheint Johannes Breitling, geb. 26. 6. 1717, gest. 13. 7. 1769, Zeugmacher, Waisenrichter<br />

und Bürgermeister auf dem Testament von Ulrich Johann Kotz vom 12. 12. 1763. Er siegelte (Bild 3) mit einem<br />

Weberschiffchen, umgeben von einem Kranz, der oben mit einem Stern abschließt und den Buchstaben J. B.<br />

Der nächste Breitling, Hans Martin Breitling, geb. 5. 2. 1719, gest. 28. 12. 1793, Bauer und Zeugmacher, siegelte<br />

auf dem Testament der Margareta Breitling, Ehefrau des Zeugmachers Jakob Breitling vom 8. 1. 1788 (Bild 4)<br />

mit zwei gekreuzten Reffen mit den Spitzen nach oben und den Buchstaben M. B. Sein Siegel erscheint auch auf<br />

dem Testament des Johann Georg Gehring vom 2. 8. 1788.<br />

Es folgt Johann Melchior Breitling, geb. 12. 2. 1742, gest. 9. 2. 1818, Bauer. Er siegelte (Bild 5) mit einer Kugel<br />

am Stiel und 2 Ähren und den Buchstaben H. B. K. auf dem Testament der Margareta Grimm, Ehefrau des<br />

Leonhardt Grimm, Schuhmacher, vom 20. 5. 1796.<br />

Fam. Gräber<br />

Christoph Albrecht Gräber, geb. 22. 7. 1709, gest. 14. 12. 1784, Zeugmacher und Gemeinderat, siegelte das<br />

Testament der Maria Kunigunde Gehring, Witwe des Hans Leonhardt Gehring, Zeugmacher, vom 4. 3. 1762 und<br />

das Testament des Ulrich Johann Kotz vom 12. 12. 1763 (Bild 6) mit zwei gekreuzten Reffen, Zinken nach oben,<br />

Weberschiffchen und zwei Sternen und den Buchstaben C G. Außerdem finden wir sein Siegel auf dem<br />

Testament der Maria Eva Ederle, Witwe des Jerg Ederle, Wagner, vom 1. 6. 1764 und dem Testament von Hans<br />

Jerg Roller, Bauer, und seiner Ehefrau Anna Barbara geb. Wagner vom 3. 7. 1761 sowie auf der<br />

Vermögungsübergabe des Jakob Röckle, Barbier, vom 1. 11. 1770, des weiteren auf dem Testament der<br />

Dorothea Döttinger geb. Wagner, Ehefrau des Andreas Döttinger, vom 11. 4. 1812.<br />

Sein Sohn Johann Georg Gräber, geb. 2. 9. 1748, gest. 11. 4. 1812, Zeugmacher und Gemeinderat, siegelte auf<br />

dem Testament der Margareta Breitling, Ehefrau des Jakob Breitling Zeugmacher, vom 8. 1. 1788, mit dem<br />

gleichen Zeichen wie sein Vater.<br />

Fam. Hartmann<br />

Der Schulmeister Karl Gotthilf August Hartmann, geb. 18. 12. 1800, gest. 4. 4. 1838, der in Gechingen um 1830<br />

lebte, setzte sein Siegel, eine nicht genau zu bestimmende Figurengruppe, auf das Testament der Agnes Christina<br />

Wochele, Ehefrau des Georg Achatius Wochele, Hirschwirt, von 1831.<br />

Fam. Kappis<br />

Johann Friedrich Kappis, Zeugmacher und Heiligenpfleger, geb. 2. 11. 1738, gest. 5. 3. 1815, siegelte 1781 (Bild<br />

7) mit dem Umgeldstempel (Umgeld = Biersteuer) der Gemeinde, der drei Hirschgeweihe im Schild zeigt. Das<br />

Testament der Dorothea Döttinger geb. Wagner vom 22. 1. 1783 und das Testament der Margareta Breitling vom<br />

8. 1. 1788, (Bild 8) siegelte er mit Pflugschar und zwei gekreuzten Pfeilen und den Buchstaben H F K.<br />

Fam. Krafft<br />

Der Vater, Johann Georg Krafft, Küfer und Gemeinderat, geb. 21. 2. 1717, gest. 11. 9. 1783, verwendete seine<br />

Petschaft für das Testament der Maria Eva Ederle vom 1. 6. 1764. Es zeigt (Bild 9) eine große offene Zange, ein<br />

Fäßchen und einen Hammer sowie die Buchstaben H J K.<br />

Der Sohn Johann Georg Krafft, Küfer, geb. 22. 5. 1744, gest. 28. 3. 1818, siegelte mit dem gleichen Zeichen das<br />

Testament der Brigitte Blum, Witwe des Christian Blum, Zimmermann, vom 10. 11. 1801.<br />

Fam. Kühnle<br />

225


(Bild 10) Zwei gekreuzte Reffen, die Zinken nach oben, Weberschiffchen mit Umrandung und den Buchstaben J<br />

F N waren das Siegel des Bäckers, Waldmeister und Gemeinderates Johann Georg Kühnle, geb. 6. 1. 1736, gest.<br />

23. 1. 1818. Er verwendete es beim Testament der Barbara Bock, ledige Bürgerstochter, vom 9. 1. 1782.<br />

Sein Sohn Johannes Kühnle, Maurer, geb. 1. 10. 1760, gest. 8. 11. 1820, hatte in seiner Petschaft (Bild 11) einen<br />

Doppelweck unter einer Brezel, zwei Sterne und die Buchstaben J G K. Es befindet sich unter dem Testament der<br />

Brigitte Blum vom 10. 11. 1801.<br />

Fam. Quinzler<br />

Johann Georg Quinzler, Schultheiß von 1748 - 1768, geb. 13. 4. 1707, gest. 6. 5. 1778, setzte sein Siegel unter<br />

das Testament der Maria Kunigunde Gehring vom 4. 3. 1762. Es zeigt (Bild 12) eine Pflugschar mit zwei<br />

Pfeilspitzen und den Buchstaben H Q.<br />

Sein Enkel, Johann Georg Quinzler, Bier- und Lammwirt, Schultheiß von 1832 - 1841, geb. 17. 7. 1778, gest. 5.<br />

8. 1848, machte sein Zeichen (Bild 13) ein Schaf mit einer Fahne und den Buchstaben J G Q unter das Testament<br />

der Katharina Vellnagel geb. Wagner, Witwe des Johann Vellnagel, Bauer, vom 28. 1. 1820.<br />

Fam. Riehm<br />

Hier sind zwei verschiedene Siegel bekannt, das eine zeigt einen Steinhammer, das andere ein Weberschiffchen.<br />

Auf welchen Dokumenten sie im einzelnen zu finden sind, muß noch untersucht werden. Ein Johann Georg<br />

Riehm, Wagner, geb. 19. 10. 1783, gest. 30. 8. 1842, siegelte das Testament der Agnes Christina Wochele von<br />

1831, mit einem entlehnten Siegel. Es zeigt einen Wappenschild, 5 Sterne, Helm und zwei Hörner.<br />

Fam. Röckle<br />

Der Barbier und Chirurgus Johann Jakob Röckle, geb. 20. 7. 1704 , gest. 9. 12. 1770, drückte seine Petschaft,<br />

(Bild 14) ein dreifach durchbohrtes Herz und die Buchstaben J R, unter seine Vermögungsübergabe vom 1. 11.<br />

1770.<br />

Fam. Rüffle<br />

Auf dem Testament von Ulrich Johann Kotz vom 12. 12. 1763 erscheint die Petschaft von Johann Michael<br />

Rüffle, Metzger, geb. 10. 10. 1722, gestorben in Westpreußen. Auf dem Siegel (Bild 15) ist ein Ochsenkopf mit<br />

Doppelbeil und den Buchstaben J M R zu sehen.<br />

Fam. Schneider<br />

Diese Familie hat mit vier verschiedenen Zeichen gesiegelt. Beginnen wir mit Johann Michael Schneider,<br />

Zeugmacher, geb. 25. 1. 1709, gest. 1. 1. 1771. Er siegelte (Bild 16) mit zwei gekreuzten Reffen, Spitzen nach<br />

unten, Weberschiffchen, Stern und den Buchstaben M S, das Testament der Maria Kunigunda Gehring vom 4. 3.<br />

1762 und das Testament der Maria Eva Ederle vom 1. 6. 1764.<br />

Johann Michael Schneider, Chirurgus und Schultheiß von 1796 - 1828, geb. 11. 3. 1757, gest. 31. 7. 1836, führte<br />

(Bild 17) einen Pelikan, der seine Jungen mit seinem Blute füttert, darüber eine männliche Figur, in seinem<br />

Siegel. Er drückte es unter das Testament der Margareta Grimm vom 20. 5. 1796. Hier könnte es sich auch um<br />

ein Gemeindesiegel handeln, wenigstens wurde einmal ein solches verwendet. Auch unter dem Testament der<br />

Brigitte Blum vom 10. 11. 1801 ist dieses Zeichen zu sehen.<br />

Der nächste ist Johann Michael Schneider, Zeugmacher, geb. 20. 10. 1782, gest. 25. 12. 1862. Er hatte im Siegel<br />

(Bild 18) einen Wappenschild mit drei Hirschstangen und Umschrift, wie auf dem Testament der Katharina<br />

Vellnagel vom 28. 1. 1829 zu erkennen ist.<br />

Der letzte in der Reihe, Johann Michael Schneider, von Beruf Schneider, geb. 14. 2. 1782, gest. 16. 12. 1848,<br />

hatte sich schon ein etwas moderneres Siegel zugelegt (Bild 19). Unter einer Krone sind die verschlungenen<br />

Buchstaben J M S auf dem Testament der Agnes Christina Wochele zu sehen.<br />

Fam. Schraishahn<br />

Der Hirschwirt und Ratschreiber Christian Friedrich Schraishahn geb. 3. 4. 1810 in Calw, gest. 17. 12. 1839,<br />

leistete seine Unterschrift mit Siegel auf dem Testament des Georg Achatius Wochele vom 25. 3. 1833 (Bild 20).<br />

Es zeigt zwei unbestimmbare Tiere auf einem Sockel.<br />

Fam. Schwarzmaier<br />

Bernhardt Schwarzmaier, Zimmermann, siegelte 1792 einen Brief an den Amtmann in Merklingen, in dem er um<br />

Genehmigung zum Bau einer Öl-, Reib- und Schleifmühle bittet (Bild 26). Das Siegel zeigt in ovaler Form eine<br />

Gestalt mit Lanze und Schild. 1803 erhält Schwarzmaier die Genehmigung, gegen den Widerstand der Gemeinde<br />

und der Anlieger.<br />

226


Das Schreiben an den Schultheißen von Gechingen war mit dem Oberamtssiegel des Amtmanns von Merklingen<br />

versehen (Bild 27). Man sieht unter der Herzogskrone die drei Hirschstangen von Württemberg.<br />

Fam. Spöhr<br />

Georg Adam Spöhr, Maurer, Steinhauer und Gemeinderat, geb. 5. 9. 1724, gest. 21. 7. 1814, führte (Bild 21)<br />

gekreuzte Handwerkszeuge und die Buchstaben G A S in seinem Zeichen, das unter dem Testament der Barbara<br />

Bock vom 9. 1. 1782 steht. Außerdem finden wir es unter dem Testament der Dorothea Döttinger vom 22. 1.<br />

1783 und dem letzten Willen der Margareta Breitling vom 8. 1. 1788, sowie bei Johann Georg Gehring vom 2. 8.<br />

1788 und bei der Brigitte Blum vom 10. 11. 1801.<br />

Sein Enkel Georg Adam Spöhr, Bauer, geb. 13. 5. 1772, gest. 24. 2. 1857, hatte die Petschaft (Bild 22) mit einem<br />

Weberschiffchen, das von zwei Zweigen eingefaßt ist, und den Buchstaben A S. Er siegelte damit das Testament<br />

der Katharina Vellnagel vom 28. 1. 1820, das der Agnes Christina Wochele von 1831 und von Georg Achatius<br />

Wochele vom 25. 3. 1833.<br />

Fam. Wochele<br />

Der Hirschwirt, Metzger und badische Unterschaffner (Verwalter) Johann Georg Wochele, geb. 30. 10. 1720,<br />

gest. 22. 3. 1798, unterschrieb und siegelte das Testament von Ulrich Johann Kotz vom 12. 12. 1763 und den<br />

letzten Willen der Maria Eva Ederle vom 1. 6. 1764, außerdem die Vermögungsübergabe von Jakob Röckle vom<br />

1. 11. 1770 und die Testamente der Barbara Bock vom 9. 1. 1782, der Dorothea Döttinger vom 22. 1. 1783 und<br />

der Margareta Grimm vom 20. 5. 1796. Das Siegel (Bild 23) zeigt einen Ochsenkopf mit Schlächterbeil und die<br />

Buchstaben J G W.<br />

Sein Sohn Georg Achatius Wochele, Hirschwirt, geb. 27. 4. 1750, gest. 1. 4. 1833, siegelte (Bild 24) mit einem<br />

nach links springenden Hirsch und den Buchstaben G A W auf dem Testamentsnachtrag der Agnes Christina<br />

Wochele vom 19. 5. 1824.<br />

Fam. Ziegler<br />

Friedrich Christoph Ziegler, Hirschwirt und Schultheiß von 1831 - 1832, hatte in seiner Petschaft (Bild 25) einen<br />

Helm mit zwei Hörnern und Zierat. Sie ist auf dem Testament der Katharina Vellnagel vom 28. 1. 1820 zu sehen.<br />

Leider ist von den Siegelstempeln oder Siegelringen keiner erhalten geblieben. Sie sind im Laufe der Zeit in<br />

Vergessenheit geraten oder verloren gegangen.<br />

(Zeichnungen:Walter Jung)<br />

Zeugnisse der Vergangenheit<br />

Frühe urkundliche Hinweise auf den Ort Gechingen<br />

Bei der Suche nach den ältesten Hinweisen auf den Ort Gechingen führt eine Spur zum Kloster Reichenau. Das<br />

Kloster wurde im Jahre 724 gegründet und erhielt durch namhafte Förderer schnell eine besondere Bedeutung<br />

unter den frühen Klöstern. Der Mönch Gallus Öhem berichtet in seiner um das Jahr 1500 gefertigten Reichenauer<br />

<strong>Chronik</strong>, der alte Dokumente zugrunde lagen, von umfangreichen alten Schenkungen. Als Stifter zählt er Kaiser,<br />

Könige und Fürsten auf und die Orte, die von diesen dem Kloster geschenkt wurden. In dieser Aufzählung finden<br />

wir folgende Eintragung:<br />

Nottingus:<br />

Hirsowe - ains tails Almusdingen<br />

Stameheim Ysingen<br />

Frumare Oberstatt<br />

Gaichingen Nortstettin<br />

Metelingen Witingen<br />

Nettingen Grezzingen<br />

Singen Diefurt<br />

Theotelenhusen Wingarten<br />

227


Der Ort "Gaichingen" = Gechingen ist also von dem Stifter "Noting", zusammen mit 15 weiteren Orten, an das<br />

Kloster Reichenau gestiftet worden. Leider hat der Chronist kein Datum zu der Schenkung mitgeliefert. Das war<br />

für diese Zeit zweitrangig. Die Stifter waren damals bekannte Persönlichkeiten, man wußte, wer Noting war und<br />

wann er lebte.<br />

Wer war nun Noting? Aus Hirsauer Urkunden geht hervor, dass Noting ein Sohn des Grafen Erlafried von Calw<br />

war und das Amt des Bischofs von Vercelli (Oberitalien) inne hatte. Andere Quellen berichten, dass dieser<br />

Noting von Vercelli im Jahre 830 die Gebeine des Hl. Aurelius von Mailand nach Hirsau brachte. Es ist heute<br />

nicht mehr umstritten, daß Bischof Noting von Vercelli aus dem Calwer Grafen-Geschlecht stammt.<br />

Wann hat Noting seine Stiftung getätigt? Dies ist die zentrale Frage für das Datum der ersten historischen<br />

Nennung Gechingens. Wir wissen, dass Noting von Kaiser Ludwig dem Frommen (Regierungszeit 814 - 840) auf<br />

den Bischofssitz in Vercelli berufen wurde. Nachrichten über die Zeit Notings in Vercelli gibt es ab 830. Ab<br />

dem Jahre 840 amtete Noting bereits als Bischof in Verona. Der Stiftungszeitraum verengt sich also bereits auf<br />

die Zeit zwischen 830 und 840. Wir wissen, daß der Reichenauer Mönch Walahfried (Strabo) in der Zeit von 829<br />

bis 838 als Erzieher am Aachener Hof des Kaisers Ludwig d.Fr. tätig war und dort seinen großen Einfluss zu<br />

Gunsten Reichenaus (und Notings?) nutzen konnte. Schliesslich findet sich im Reichenauer Gedenkbuch ein<br />

Eintrag über Bischof Noting, der auf die Zeit "um 830" datiert wird. Für im Gedenkbuch (auch<br />

Verbrüderungsbuch genannt) eingetragene Personen wurde bei den täglichen Konvents-Gottesdiensten gebetet.<br />

Aus diesen Informationen kann gefolgert werden::<br />

- "Um das Jahr 830" wurde der Calwer Noting zum Reichsbischof von Vercelli ernannt.<br />

- In solchen Fällen reisten Familienangehörige meist an den neuen Wohnsitz mit, so daß Noting<br />

vermutlich bereits "um 830" auf seinen Calwer Erbteil verzichtete und diese 16 Ortschaften an das<br />

Kloster Reichenau stiftete.<br />

- Als Dank des Klosters erfolgte "um 830" seine Eintragung im Reichenauer Gedenkbuch.<br />

Ein genaues Datum der Noting-Stiftung wird sich nicht mehr feststellen lassen, aber man kann sagen:<br />

- die erste urkundliche Nennung Gechingens erfolgte "um das Jahr 830"!<br />

Karl-Heinz Schorpp, Gechingen<br />

Weitere Urkunden und Inschriften<br />

Die wichtigsten Urkunden und Nachweise für das historische Gerüst des Buches sind hier verzeichnet. Vielleicht<br />

mag doch das eine oder andere einer Einzelheit weiter nachgehen oder selbst Einblick nehmen wollen in die<br />

faszinierende Welt der schriftlichen Überlieferung aus sehr ferner Zeit.<br />

Die Urkunden und Unterlagen, die unter "Kirche und Pfarrer" angeführt sind, liegen, soweit nicht anders<br />

angegeben, im Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart.<br />

Codex Hirsaugiensis ca 1100-1200, Ss. 29, Nr 30b: "Marquardus de Gechingen duas hubas in eodem loco<br />

dedit. . .." (Marquardt von Gechingen schenkt dem Kloster Hirsau 2 Huben. Hube = altes Feldmaß, 12-14 ha)<br />

Codex Hirsaugiensis um 1145, Ss. 41, Nr 47a: "Sigibolt dedit hubam unam in Gechingen." (Sigibolt schenkt eine<br />

Hube in Gechingen.)<br />

Heimatbuch Gechingen, Aufzeichnungen K.F. Eßig: 1263 stirbt mit Graf Gottfried von Calw das Geschlecht<br />

aus. Gechingen kommt an seinen Schwiegersohn, den Pfalzgrafen von Tübingen. Auch Waldeck hatte oder<br />

erwarb Rechte, ihre Aufteilung ist ungeklärt.<br />

L. Schmid um 1853, Geschichte der Pfalzgrafen von Tübingen, Ss. 308: Gottfried v. Tübingen verschreibt<br />

seiner Frau Elisabeth 1295 im Tausch gegen Möhringen Gechingen und Schönaich. Möhringen verkauft er.<br />

Württbg. Urkundenbuch Nr. 4952: Die Brüder Heinrich und Otto, Grafen von Zweibrücken, verkaufen 1297<br />

Merklingen an das Kloster Herrenalb. Merklingen wurde später Sitz des für Gechingen zuständigen<br />

Klosteramts.<br />

228


Württbg. Urkundenbuch Ss. 114, Nr. 101 und L. Schmid um 1853, Geschichte der Pfalzgrafen zu Tübingen<br />

Ss. 316: Graf Gottfried von Tübingen verkauft am 1.1.1303 das Dorf Gechingen um 800 Pfund Heller an<br />

den Schultheißen Konrad Roth von Weilderstadt.<br />

Mone, Zeitung für Geschichte des Oberrheins Bd. 5, Ss. 332-333: Abdruck der Verkaufsurkunde von<br />

Gottfried von Tübingen an das Kloster Herrenalb vom 1.1.1303. Seine Frau Elisabeth verweist er auf die<br />

Dörfer Dagersheim und Darmsheim. Die Urkunde ist, bis auf die Käufer, gleichlautend wie die<br />

Weilderstädter und gleichen Datums.<br />

Bei dieser Lage der Dinge muß es Auseinandersetzungen gegeben haben, die nach Mone, Zeitung für<br />

Geschichte des Oberrheins Bd. 5 Ss. 339 im Jahr 1308, am 4. Dez., dadurch beendet wurden, daß einige<br />

Bürger genau beschriebene Anteile an Gechingen an Herrenalb verkaufen. Lt. Mone Bd 5. Ss. 342-43<br />

verkauft Gottfried von Tübingen am 30. April 1309 alle Rechte, die ihm in Gechingen noch geblieben<br />

waren, an das Kloster Herrenalb<br />

In Repertorien (Verzeichnissen) des Klosters Herrenalb wird Gechingen zwischen 1315 und 1323 noch<br />

zweimal erwähnt, das Kloster erwirbt noch kleinere Besitztümer in Gechingen dazu.<br />

Alberti, Otto von, Adels- und Wappenbuch: Württbg Ss. 217: Judela, Hartwigs von Gechingen<br />

Tochter zu Weilderstadt, schenkte 1326 all ihr Gut in Gechingen an das Kloster Bebenhausen.<br />

Immer wieder werden kleinere Besitztümer in Gechingen veräußert, verschenkt, gestiftet, so an die Klöster<br />

Hirsau und Bebenhausen, auch an das Chorherrenstift Sindelfingen. Mühlenanteile wechseln mehrmals den<br />

Besitzer.<br />

L. Schmid, Geschichte der Grafen von Zollern-Hohenberg, Ss. 297: Am 23.8.1401 siegelte Graf Hugo v.<br />

Hohenberg eine Urkunde, in der Werner von Döffingen eine Gült an Hugo von Gechingen verkauft. 1423<br />

wird Hugo von Gechingen im Urkundenbuch des Staatsarchivs (Vaihingen, Ss. 571, Nr. 14266) noch einmal<br />

erwähnt, als er von Benzlin Rübsam von Sersheim eine Wiese erwirbt.<br />

Mack, Christa-Maria 1975, Die Geschichte des Klosters Lichtenstern Ss. 79/ 152 und <strong>Gechinger</strong> Heimatbuch Ss.<br />

40: Ein Teil des Zehnten von Gechingen kommt 1460 an das Kloster Lichtenstern durch die Klosterfrau Agnes<br />

von Gültlingen (Vergleiche unter "Pfarrer" Balthasar Wagner 1562-1566).<br />

1473 verkauft Kloster Lichtenstern seine Zehntenanteile in Gechingen an das Kloster Hirsau um 300 Gulden.<br />

Rathausarchiv in Gechingen Heiligen Lagerbuch von 1701: Hier ist die Abschrift einer Kaufurkunde aus dem<br />

Jahr 1497 zu finden. Damals kaufte die Gemeinde Gechingen das "Gefälle des Heiligen Martin" (die Abgaben,<br />

die der Kirche zustanden, um ihren Unterhalt zu sichern) vom Schwarzen Predigerorden in Pforzheim.<br />

Rathausarchiv Gechingen: Schäferstreit, Pergamenturkunde 1498<br />

<strong>Gechinger</strong> Heimatbuch Ss. 40, Aufzeichnungen K. F. Eßig: 1535 werden die Klöster Herrenalb, Hirsau,<br />

Sindelfingen und Bebenhausen säkularisiert, ihre Rechte und Besitztümer gehen an die Württemberger.<br />

Herrenalb wird gewaltsam reformiert.<br />

Karte von Georg Gadner 1592: Ortsbezeichnung Geching.<br />

Rathausarchiv Gechingen: Kaufbrief vom 12.3.1652 über Rückkauf von Fischwasser und Schafweide (zuvor<br />

wegen Finanzlasten aufgrund des 30-jährigen Kriegs veräußert) von den Herren von Buwinghausen.<br />

Karte von Johann Majer 1710: Ortsbezeichnung Gechingen<br />

Rathausarchiv Gechingen: Lagerbuch von 1547 und 1559, Zinsbuch von 1603, 1701, 1729, 1746 und 1759<br />

Pfarrarchiv Gechingen: Eheregister von 1566, Taufregister von 1574, Totenregister von 1577<br />

Die Inschriften in der Kirche sind im wesentlichen aus dem Buch "Die Inschriften des Landkreises Calw" (Aus<br />

der Reihe "Die deutschen Inschriften", Band 30) von Renate Neumüllers-Klauser übernommen worden, bis auf<br />

ihre Deutung der lateinischen Inschrift am Turm der Martinskirche. Bei Neumüllers-Klauser ist die Inschrift (Ss.<br />

123) folgendermaßen wiedergegeben: "A(nn)o 1561 mense apri(lis) turris hec fulmine col/lit(a) delapso tacta et<br />

usque ad imum scissa est/ et tandem 1568 a(nn)o reaedificari cepta eode(m)q(ue) absoluta". Sie gibt ferner an,<br />

229


daß bei "col/lit(a)" eine us-Kürzung statt einer "a"Kürzung verwendet worden sei, und daß die zweimal<br />

verschiedenartig ausgeführte "OL" Verbindung ungewöhnlich sei.<br />

Das ist falsch gelesen worden. Das Wort collita ist im Lateinischen nicht vorhanden. Es handelt sich um das in<br />

diesem Zusammenhang sehr übliche "coelitus" - vom Himmel (die us-Kürzung hat Neumüllers-Klauser richtig<br />

erkannt) und eine O-E Ligatur (die sich natürlich deshalb von der O-L Ligatur unterscheidet, worüber<br />

Neumüllers-Klauser sich wundert). Anstelle von "collita" müßte richtig "coelitus" stehen. Deshalb ist in diesem<br />

Buch die Inschrift wie folgt übersetzt: "Im Jahre 1561 im Monat April wurde dieser Turm durch einen Blitz vom<br />

Himmel getroffen, bis unten hin gespalten; und schließlich im Jahre 1568 begann man, ihn wieder aufzubauen;<br />

im selben Jahr wurde man damit fertig." (Nach Renate Vogeler). Diese Übersetzung entspricht auch der von<br />

Pfarrer Andler im Heimatbuch von K.F.Essig Ss. 23.<br />

Steine und Gebäude<br />

Ruhbänke<br />

Auf den Höhen oder an Kreuzungen stehen sogenannte "Ruhbänke". Das waren früher Abstellplätze für<br />

Rückenkörbe und Körbe, die auf dem Kopf getragen wurden. Von den vier einst vorhandenen Ruhbänken auf<br />

unserer Markung sind noch drei erhalten. Die eine steht an der Straße nach Dachtel, kurz vor der<br />

Bergwaldsiedlung rechts, die zweite oben auf dem Zimmerplatz am Wegekreuz Wochenendhäuser, Röserhütten<br />

und Masenwald. Die dritte finden wir rechts des Weges zum Wasserturm. Die abgegangene vierte Ruhebank<br />

stand an der Straße nach Calw, beim Steinbruch (Hirschgehege). Die Ruhebänke stehen wie alle Steinzeugen<br />

unter Denkmalschutz. Sie wurden 1845 aufgestellt.<br />

Gedenksteine<br />

Gedenkstein Graskunz:<br />

Am 6. Juli 1827 verunglückte ein Mann namens Graskunz aus Gechingen im Wald beim Hülsental. Er war mit<br />

anderen beim Tannenfällen. Plötzlich löste sich ein großer dürrer Ast und erschlug den Dreißigjährigen. Zum<br />

Andenken setzte sein Vater ihm an der Unglücksstelle einen Stein. Auf ihm heißt es: "Hier büßte Jakob Friedrich<br />

Graskunz sein Leben ein durch Herabstürzung eines Astes von einer Tanne auf sein Haupt und ist plötzlich tot<br />

gewesen. Den 6. Juli 1827, seines Alters 30 Jahre. Diesen Stein hat ihm sein Vater, Jakob Graskunz, zum<br />

Andenken hierhergebracht, daß sich ein jeder erinnern kann und diese Worte ihm zurufen: Gedenke, wie kurz<br />

mein Leben ist !" Der Verunglückte hinterließ eine fünfjährige Tochter, seine Frau war Margarete geb. Heim.<br />

Gedenkstein Johann Michael Gehring auf dem Friedhof:<br />

Auf dem Friedhof erinnert ein großer Gedenkstein an den jähen Tod des Johann Michael Gehring 1827. Der<br />

Stein ist unter "Friedhof" genau beschrieben, siehe dort.<br />

Gedenkstein Richard Gehring:<br />

Dieser Gedenkstein steht an der steinigen Planie im Masenwald. Dort kam Paul Richard Gehring ums Leben. Er<br />

holte mit seinem Schwager, Christian Vetter, Baumholz aus dem noch winterlichen Wald. Der steile Abfuhrweg<br />

war teilweise vereist. Richard Gehring führte die Pferde vorne am Zügel, sein Schwager Christian Vetter<br />

betätigte die Bremse. Obwohl zusätzlich ein Radschuh eingelegt war, konnten die Pferde den Wagen auf dem<br />

glatten und abschüssigen Weg nicht mehr halten. Der hintere Wagenteil stellte sich schräg, Richard Gehring<br />

rutschte aus und kam unter den Wagen. Die Nabe der hinteren Wagenachse brach ihm das Genick, er war sofort<br />

tot. Der Text auf dem Gedenkstein lautet: "Richard Gehring ist hier am 15. März 1924 im Alter von 22 Jahren<br />

mit seinem Fuhrwerk tödlich verunglückt. 0, Mensch, gedenk bei diesem Stein, wie schnell Du kannst des Todes<br />

sein. Gewidmet von seinen Eltern."<br />

Gedenkstein Breitling:<br />

Am 24. Februar 1936 starb der 32jährige Landwirt Ferdinand Breitling. Er war zum Tannenzapfensammeln für<br />

eine Nagolder Firma unterwegs. Waghalsig und gewandt wußte Ferdinand Breitling sich in den höchsten Wipfeln<br />

der Tannen herumzuschwingen. Doch an diesem Tage fand ihn seine Braut, die ihm nach getaner Arbeit beim<br />

Zapfensammeln helfen wollte, regungslos unter einer mächtigen Tanne liegen, an der noch die Leiter lehnte. Von<br />

einem vorbeifahrenden Auto wurde Breitling noch ins Calwer Krankenhaus gebracht, starb aber, ohne nochmals<br />

das Bewußtsein erlangt zu haben, am gleichen Abend.<br />

Zum Andenken wurde ihm im doppelten Wald an der Unglücksstelle ein Denkstein gesetzt. Der Haken, den<br />

Breitling dabei hatte, blieb bis 1970, als die Tanne gefällt wurde, im Geäst des Baumes in 25 m Höhe hängen.<br />

Folgender Text steht auf dem Gedenkstein: "Ferdinand Breitling aus Gechingen, geboren 1903, tödlich<br />

verunglückt am 24. 2. 1936 durch Absturz von einer 32m hohen Tanne. Rasch tritt der Tod den Menschen an, es<br />

ist ihm keine Frist gegeben."<br />

230


Gedenkstein Zech:<br />

An einer leichten Linkskurve am Rand der Straße nach Deufringen steht dieser Gedenkstein. Am 10. 6. 1959<br />

verunglückte hier der 25-jährige Eberhard Zech tödlich. Er war mit seinem Motorrad morgens nach Sindelfingen<br />

zur Arbeit unterwegs und wich einem die Straße überquerenden Reh aus. Dabei stürzte er und prallte so schwer<br />

auf der Straße auf, daß er noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen erlag. Er hinterließ eine Frau und zwei<br />

kleine Kinder. Die Eltern des Verunglückten ließen den Gedenkstein aufstellen.<br />

Gedenkstein Marienlinde:<br />

Im Jahr 1881 zerstörte ein verheerender Brand den halben Ort. Zum 100. Jahrestag dieses Unglücks setzte die<br />

Gemeinde 1981 einen Gedenkstein bei der Marienlinde. Ehrenbürger Otto Weiß verlas bei der Einweihung ein<br />

Protokoll jener Schreckensnacht, in der hoher Sachschaden, zum Glück aber kein Menschenleben, zu beklagen<br />

war. Die Marienlinde wurde zum Andenken an die Prinzessin Marie von Neipperg gepflanzt, die die damals<br />

Geschädigten großzügig mit Geld unterstützte.<br />

Kriegerdenkmal bei der Kirche:<br />

Im Herbst 1920 faßte der Gemeinderat den Beschluß, für die Gefallenen des I. Weltkriegs ein Ehrenmal zu<br />

erstellen. Kunstbildhauer Karl Gläser bekam den Auftrag dafür. Zunächst war ein Standort bei der Marienlinde<br />

vorgesehen, dann wurde aber ein Platz bei der Kirche gewählt. Am 2. Juli 1922 konnte das Ehrenmal eingeweiht<br />

werden. Schüler, Musikverein, Gemeinderat, Kirchengemeinderat, Familienangehörige der Gefallenen,<br />

Veteranenverein, Liederkranz und die Feuerwehr zogen in einem Festzug zum Ehrenmal. Lange Zeit stand das<br />

Denkmal an seinem angestammten Platz. Vor einigen Jahren wurde es um ein paar Meter in Richtung Kirche<br />

versetzt, um mehr Platz im Kirchhof zu gewinnen.<br />

Marksteine<br />

Mit Marksteinen wurde und wird die Markungsgrenze einer Gemeinde, Stadt oder die Grenze eines Landes<br />

angezeigt. Des weiteren finden wir Marksteine zur Begrenzung von privaten Flächen. Die Steine werden auch<br />

Zehentsteine oder Zehntsteine genannt, wegen ihrer früherer Bedeutung beim Abliefern des Zehnten an die<br />

jeweilige Herrschaft, sei es die weltlicher oder die geistliche Obrigkeit. In der Regel ist und war der Markstein<br />

ein viereckig zugehauener Block mit rechteckigem Grundriß, oben teils abgerundet oder gradlinig abgeschlossen.<br />

Früher wurden in unserer Gegend Sand- und Kalksteine verwendet, heute sind sie aus Granit. Man unterscheidet<br />

zwischen größeren Hauptsteinen und den sogenannten Läufern, die zwischen zwei Hauptsteinen stehen. Oben ist<br />

meist eine Steinrille gezogen, die in der Richtung der Grenze verläuft. Wenn die Grenze einen Winkel bildet, ist<br />

dementsprechend auch die Steinrinne abgewinkelt.<br />

Als Wahrzeichen lagen unter den Marksteinen die sogenannten Zeugen, bestimmte Gegenstände oder Zeichen,<br />

die in jeder Gemeinde verschieden waren. So wurden Münzen, Kieselsteine, Glasscherben, Kohlen oder<br />

Tonscheiben mit Wappen verlegt. In Gechingen geschah dies bis in die Fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts mit<br />

Tonscheiben oder spitz zulaufenden Tonkegeln, die mit einem "G "versahen waren. Verschwiegene Männer, die<br />

sogenannten Untergänger, überwachten die Marksteine (Siehe: "Der Untergänger", unter "Berufe"). Hohe Strafen<br />

wurden über die verhängt, die sie absichtlich versetzten.<br />

1986 - 1993 führte der Verfasser gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Arbeitskreises Heimatgeschichte<br />

Gechingen eine Markungsumwanderung durch mit dem Ziel, Marksteine zu suchen, evtl. zu zählen und in Fotos<br />

festzuhalten. Es war schwierig, an Hand der vorliegenden Berichte zurechtzukommen, da im Laufe der Zeit<br />

verschiedene Steine verschwunden waren, zum Teil waren sie auch versetzt oder umgefahren worden. Die noch<br />

vorhandenen Steine wurden in einer Auflistung erfaßt und eingehend beschrieben. Diese Dokumentation ist das<br />

Ergebnis siebenjähriger, zeitraubender Forschung und hält die Zahl und den Zustand der Marksteine nach über<br />

300 Jahren fest. Einige Marksteine waren so gefährdet, daß sich die Gemeindeverwaltung entschloß, sie<br />

sicherzustellen und im Heimatmuseum unterzubringen.<br />

Häuser<br />

In der Gesetzessammlung "Lex Alamannorum", entstanden zwischen 720 und 730 n. Christus, wird das<br />

alamannische Bauerngehöft als vielgliederige Anlage beschrieben. Um das Wohnhaus als Mittelpunkt gruppiert<br />

sich eine Vielzahl von Gebäuden mit eigenen Funktionen. Das Wohnhaus ist ein Einraum mit offenen Dachstuhl,<br />

daneben befindet sich die Scheuer mit Stall, ein freistehender Speicher, eine Fruchtschütte sowie der Schaf- und<br />

Schweinestall. Die Umwandlung zum "Eindachhof" geschah in den letzten vier Jahrhunderten des Mittelalters.<br />

Wie Gechingen früher ausgesehen hat ist nur in etwa nachzuvollziehen. Von den Gebäuden hat sich allein die<br />

Kirche weitgehend erhalten. Wie stark die Kirche zur Zeit ihrer Erbauung das Dorfbild beherrscht hat, läßt sich<br />

aus der ersten württembergischen Landesverordnung von 1495 erahnen. Dort wurde vorgeschrieben, daß nur<br />

Pfarrhäuser und Wirtshäuser zwei Stockwerke haben durften, alle anderen Gebäude waren einstöckig. Als die<br />

Bevölkerungszahl wuchs, ohne daß das Dorf sich nach außen hin vergrößerte, mußten neue Hausformen<br />

gefunden werden. In unserer Heimat entstand das sogenannte "gestelzte Einhaus" oder "gestelzte<br />

231


Wohnstallhaus". Die Wohnräume lagen zum größten Teil im ersten Stock. Im Erdgeschoß war der Viehstall, der<br />

gleichzeitig eine Art Fußbodenheizung war. Besonders verbreitet war das Dreiseitengehöft, das einen zur Straße<br />

offenen Hof auf drei Seiten umschloß, wobei das Wohngebäude mit dem Giebel zur Straße stand. Beim<br />

Hakengehöft stand das Wohnhaus auch mit dem Giebel zur Straße, die Scheuer war rechtwinkelig angebaut,<br />

wodurch ein Hof entstand, in dem die von der Straße kommenden Heu- und Fruchtwagen entladen werden<br />

konnten. Manchmal war die Scheuer größer als das Wohnhaus und gehörte, wie der Hofraum, zwei Nachbarn<br />

zusammen. Im Wohnstallhaus waren Wohnung, Stall und Scheuer unter einem Dach vereint, teilweise standen sie<br />

mit mit der Traufe zur Straße.<br />

Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Mehrheit aller Häuser als Skelettbauten in Fachwerk<br />

errichtet, bei dem alle tragenden Teile aus Holz waren. Das Wandgefüge bestand aus senkrecht stehenden<br />

Kanthölzern oder Pfosten, die unten auf der waagerechten Schwelle aufsaßen und oben durch den waagerechten<br />

Rahmen zusammengeschlossen wurden. Rechtecke aus Ständern, Schwelle und Rahmen bildeten das Grundraster<br />

des Fachwerkbaus, durch waagerechte Riegel und schräge Streben wurden sie ausgesteift. Die enstehenden<br />

Gefache wurden mit Flechtwerk ausgefüllt und mit Lehm beworfen, später auch mit Feldsteinen vermauert. Ganz<br />

typisch waren die Geschoßvorkragungen, jedes Stockwerk sprang etwa 20 cm über das darunterliegende vor. In<br />

engen Gassen konnte so mehr Raum gewonnen werden.<br />

Das nachweisbar älteste Haus in unserer Gemeinde ist das sogenannte "Schulzenhaus" in der Kirchstraße, erbaut<br />

von Eberlin und Martin Weiß im Jahre 1620. Im Kellerhals unter der Scheuer steht die Jahreszahl 1573, die<br />

älteste Zahl, die bisher, außer in der Kirche, im Ort gefunden wurde. Das Baujahr des alten Hauses, das vorher<br />

dort stand, ist unbekannt, aber es bestand schon zur Zeit des ältesten namentlich bekannten Schultheißen Konrad<br />

Schneider um 1475 - 1505.<br />

An der Hauptstraße steht das "Sameels"/Haus der Familie Wagner/ Schwarz. Es wurde 1799 erbaut und 1985<br />

renoviert. Auf einem senkrechten Balken steht: "Vor Pest, Krieg, Feuer und aller Not bewahr dies Haus, o treuer<br />

Gott. Dieses Haus wurde gebaut von Bernhard Kappis und seiner Ehefrau Barbara geb. Breitling und dem<br />

Zimmermann Schwarzmaier 1799." Benannt wurde das Haus nach Samuel Wagner (1823-1908). Er hat das Haus<br />

geerbt, die Erbauer waren seine Großeltern mütterlicherseits.<br />

1750 ist das Baujahr des Hauses Bühler gegenüber dem alten Rathaus. Hier ist folgende Inschrift erhalten: "1750<br />

erbaut und 1842 renoviert. Jakob Martin Gehring und seine Hausfrau Christina Katharina. Ach Gott, bewahre<br />

dieses Haus und alle, die gehn ein und aus." Darunter kann man ein Pflugscharsymbol erkennen.<br />

Aus dem Jahr 1788 stammt das Haus von Anneliese Gehring in der Brunnenstraße, das von Michael Aichele<br />

erbaut wurde. Die heute leider nicht mehr vorhandene Inschrift lautete: "Ich achte meine Hasser gleich dem<br />

Regenwasser. Johann Michael Aichele. Wie man liest in der Bibel, so steht mein Haus im Giebel."<br />

An der Scheuer der Familie Breitling in der Dachteler Straße steht folgendes "Johann Georg Kühnle,<br />

Waldmeister, und seine Ehefrau Elisabetha Breitling." Die beiden heirateten im Jahr 1837, das dürfte wohl auch<br />

das Baujahr der Scheuer sein.<br />

An der Scheuer von Georg Kappis, heute Haus Wittel, Kirchstraße, war ein schön verzierter Balken angebracht<br />

mit der Inschrift: "Georg Ludwig Kappis und seine Hausfrau Katharina 1756". (Der Balken befindet sich jetzt im<br />

Heimatmuseum).<br />

An dem früheren Gemeindegebäude Calwer Straße 22, lesen wir die Jahreszahl 1846. Um diese Zeit erbaute der<br />

königliche Notar, Wilhelm Pregizer, dieses Haus. Von 1844 - 1848 war er Schultheiß von Gechingen. 1866<br />

verkauften seine Erben das Haus an die Gemeinde. Damals wurde an der <strong>Gechinger</strong> Schule ein Mittelschulzug<br />

gegründet und der erste Mittelschullehrer, Büttner, zog in das Haus ein. Im Laufe der Jahre wurde es um- und<br />

ausgebaut. Lehrer, Förster, Postschaffner und eine Ärztin wechselten als Mieter oder Bewohner ab. Als Anfang<br />

der 60er Jahre das Haus Zuber/Vetter in der Kunzengasse (heute Fleckenparkplatz) abgebrochen wurde, erhielt<br />

die Familie Zuber dieses Gebäude als Ersatz. Die heutigen Besitzer, Familie Kühnle, haben das alte Haus wieder<br />

instandgesetzt.<br />

Das Haus Hauptstr. 13 („Kathrins Haus“) hatte ein im Giebel sichtbares Fachwerk aus der Zeit um 1500. Nach<br />

Aussage des Denkmalamtes gibt es im Kreis Calw nur noch wenige solcher Häuser. Man erkennt diese Art des<br />

Fachwerks an der Verplattung, d.h. die Balken sind eingeschnitten und laufen deshalb übereinander. Aus<br />

bautechnischen Gründen wurde die Verplattung später verboten. Das Haus wurde leider beim Bau des Supermarktes<br />

abgerissen.<br />

An der abgebrochenen Scheuer von Kaufmann Schwarz Dachtlerstr. befand sich ein Torbalken mit der Inschrift:<br />

“alt Johann Görg und jung Johann Görg Quintzler und Christoph Schneider.1770.”<br />

Ein Ziegel auf dem Dach trug die Inschrift: “Michel Johann Schwarz (oder ähnlich) 1738.“<br />

Dahinter stand die abgebrochene Scheuer Böttinger/Krauss mit einem Torbalken, auf dem stand:<br />

“Johann Georg Quintzler, Schultheiß und seine Hausfrau Agathe. 1753.“<br />

Unter dem Verputz alter Häuser schlummert noch mancher Fachwerkbau.<br />

232


Der Schloßberg<br />

Wie schon an anderer Stelle erwähnt, geht der Ursprung der <strong>Gechinger</strong> Burg wohl auf eine keltische Fliehburg<br />

zurück. Im 11. oder 12. Jahrhundert wurde an der alten Stelle wieder eine Burg erbaut, die aber schon nach 100<br />

bis 200 Jahren zerstört wurde. Der in der Burg wohnende Ortsadel von Gechingen könnte im 14. Jahrhundert<br />

nach der Reichstadt Weil gezogen sein.Verschiedene urkundliche Belege deuten darauf hin. So wird Judela von<br />

Gechingen 1326 und 1357 als Bürgerin Weilderstadts genannt (Siehe auch: Weitere Urkunden und Inschriften).<br />

Nachdem sie schon 1326 ihre Habe in Gechingen dem Kloster Bebenhausen gestiftet hat, hinterlließ sie ihm auch<br />

ihr restliches Vermögen.<br />

1929 machte ein <strong>Gechinger</strong> - er fiel später in Rußland - den Burgenforscher K. A. Koch auf unsere Burg<br />

aufmerksam. Koch hat daraufhin die Burg genau beschrieben, wie im Heimatbuch von 1963 nachzulesen ist (Ss.<br />

18-20). In der Oberamtsbeschreibung von 1860 wird von Ausgrabungen am Schloßberg berichtet, wobei ein<br />

viereckiger Torturm mit 5 Schuh starken Mauern, jede Seite 15 Schuh lang, zum Vorschein kam.<br />

Von diesem Torturm war schon zu Kochs Zeiten nichts mehr zu sehen. Seine Ausgrabungen förderten die Reste<br />

eines Rundturms mit 10 m Durchmesser und 2,70 m starken Mauern zutage. Seither hält sich auch die Legende<br />

von den geheimen Gängen, die vom Schloß Deufringen zur Burg führen sollen. Noch in den 50er Jahren wurde<br />

von Deufringen her ein Vorstoß unternommen, wobei man tatsächlich einen unterirdischen Gang fand, der aber<br />

zusammengestürzt war. Ein Problem wäre sicher die Unterführung des Bachlaufes gewesen.<br />

Wenn man den Weg von der Burg aus über die obere Riedhalde nimmt, kommt man zu einer Mauer von roh<br />

behauenen Steinen. Es ist anzunehmen, daß hier einige Wirtschaftsgebäude standen, die zur Unterbringung von<br />

Pferden und Vorräten dienten, welche nur im Falle einer Belagerung in den engen Raum der Burg genommen<br />

wurden.<br />

1925 machte unsere Heimatdichterin Tillie Jäger den <strong>Gechinger</strong> Schloßberg zum Schauplatz ihres Spieles "Der<br />

Letzte seines Stammes."<br />

Mitglieder des Arbeitskreises Heimatgeschichte haben auf Anregung des Denkmalamtes 1993 den Turmschaft<br />

zuschütten lassen, um weitere Verwitterungen und Zerstörungen zu verhindern. Sie errichteten an dieser Stelle<br />

einen ca. 50 cm hohen Steinring , der dem Durchmesser des Turmes entspricht.<br />

Schriftliche und mündliche Quellen, Literaturverzeichnis<br />

Will man ein Heimatbuch über ein Dorf wie Gechingen schreiben, ist man auf mündliche Berichte angewiesen,<br />

die die bäuerliche Vergangenheit des Dorfes anschaulich machen, so daß den nachfolgenden Generationen das<br />

Leben ihrer Vorfahren verständlich bleibt - schon heute können sich viele junge Leute nicht mehr vorstellen, wie<br />

ihre Großeltern gelebt haben. Viele, vor allem alte und ältere Mitbürger, nicht nur aus dem Arbeitskreis<br />

Heimatgeschichte, haben durch Hinweise, Berichte, und Geschichten wertvolle Beiträge geleistet. Sie können<br />

nicht alle aufgezählt werden, haben aber mitgeholfen, daß das Heimatbuch nicht nur ein Buch für die <strong>Gechinger</strong>,<br />

sondern auch von den <strong>Gechinger</strong>n geworden ist. Ihnen und allen Genannten und Ungenannten, die uns mit Rat<br />

und Hilfe beistanden, sei hier noch einmal herzlich Dank gesagt!<br />

Albert, Dieter, Rutesheim, Quellenforschung im Staatsarchiv und Landesbibliothek Stgt.<br />

Beck, Alfred, Darmsheimer Heimatbuch<br />

Böttinger, Johannes, Heimatdichter<br />

Bunz, Christian Gottlob Erhard, Der Franzosenfeiertag, Reutlingen, 1891<br />

Christlein, Rainer, Theiss Verlag 1979 Die Alamannen<br />

Dannemann, Rainer, Jahresberichte<br />

Der Kreis Calw, Konrad Theiss Verlag 1979<br />

Deutsche Feuerwehrzeitung 1874 - 80<br />

Die <strong>Gechinger</strong> Schultheißen und ihre Zeit, Dokumentation der Ausstellung des AKH 1994<br />

Eisenhardt, Martha, Gechingen, Beratung bei Dialekt, Leben der Frauen, Landwirtschaft<br />

Ernst, Gottlob, Deckenpfronn 1956<br />

Essig, Christa, Gechingen, Kirchengeschichte<br />

Essig, Karl Friedrich, <strong>Gechinger</strong> Heimatbuch 1963, Aufzeichnungen<br />

Essig, Willy, Gechingen, Mr nemmt´s wia´s kommt, 1994, mündliche Berichte<br />

Faitsch, Joachim, Trachten in Gechingen<br />

Fischer, Hermann, Schwäbisches Wörterbuch, Tübingen 1904<br />

Frommer Max, Vom Leben auf dem Lande, Theiss Verlag 1983<br />

Geschichtsverein Schönbuch und Gäu<br />

233


Geschichte des Bäckerhandwerks<br />

Griesinger, Carl Theodor, Schwäbische Arche Noah, M. Blümcke, Theiss Verlag 1979<br />

Grube Prof., Ludwigsburg<br />

Heimberger, Fritz, Kreisarchivar Böblingen<br />

Heinrich, Ingrid, Leben der E. Wuchter<br />

Jäger, Tillie, Heimatdichterin<br />

Jahrbuch Kreis Calw, l985 und folgende<br />

Jourdan, Eugen, Neuhengstett<br />

Kataloge und Begleitbücher des Hohenloher Freilandmuseums Schwb. Hall-Wackershofen, insbesondere:<br />

Tiere und Pflanzen im alten Dorf 1988<br />

Ländliche Bauten aus dem fränkischen Württemberg 1991<br />

So war´s im Winter 1994<br />

Fast alle Tage Kraut 1995<br />

Frauen im Dorf 1996<br />

Kreisnachrichten Calw<br />

Kurz, Gabriele, Gräber u. Siedlungen beim Viesenhäuser Hof, Amtsblatt Juni 1995<br />

Lämmle, August, Die Reise ins Schwabenland, Stuttgart 1937<br />

Löffler J., Forstdirektor<br />

Mitteilungsblatt Gechingen<br />

Mönch, Wilhelm, Heimatkunde O.A. Calw<br />

Neumüllers-Klauser, Renate, Die Inschriften des Landkreises Calw, Reichert Verlag 1992<br />

Ortssippenbuch Gechingen 1994<br />

Sabean, David Warren, Property, production, and family in Neckarhausen, 1700-1870<br />

Sattler, Topographische Geschichte des Herzogtums Württemberg, Stuttgart 1784<br />

Schlehengäuschule Gechingen<br />

Schmid, Hermann, Tagebuch<br />

Schmidt Dr., Ebhausen<br />

Schorpp, Karl Heinz, Gechingen, Frühe urkundliche Nennung des Ortes Gechingen, 1989<br />

Schul - und Kirchenblatt Württemberg<br />

Schwarz, Tilmann, Kirchengeschichte<br />

Schwarzwälder Bote<br />

Stein, Otto, Dr., Lebenslauf<br />

Steimle, 0ttilie, Heimatdichterin<br />

Seytter, Wilhelm, Unser Stuttgart<br />

Strzempek, Josef, Gechingen, Frühgeschichte<br />

Unger, Ernst, Chorleiter u. Dichter<br />

Vereinsberichte<br />

Vogeler, Renate, Fachkundige historische Beratung und Unterstützung<br />

Weiß, 0tto, Altbürgermeister<br />

Weller, Karl und Arnold, Württembergische Geschichte im südwestdeutschen Raum, Theiss Verlag, 1972<br />

Die Archive des Rathauses, des Pfarrhauses und der "Heimatstuben"<br />

Fotos: Weiß, 0tto, Fotograf<br />

Heinrich, Chris, Rektor<br />

Rathaus Bilderarchiv<br />

"Heimatstuben" Bilderarchiv<br />

Mörk, Karl Friedrich, Reporter<br />

Privat<br />

234


Bilder zum Buch<br />

235

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