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Frauen, denn sie erkennen nicht die Nutznießer<br />
hinter Forderungen, die ihnen die kostbarste<br />
Zeit und Lebensfreude rauben.<br />
Auch ohne Blick auf diese Extreme und Abschweifungen<br />
wurden weiblicher Körper und<br />
weibliches Verhalten nach dem Ersten Weltkrieg<br />
nie wieder wie früher. Versuche, den weiblichen<br />
Körper nach dem Zweiten Weltkrieg wieder<br />
zu disziplinieren – wie zum Beispiel durch<br />
Diors „A-Linie“, durch Korsetts, steife Stoffe<br />
und Reifröcke – hatten nur teilweise und nicht<br />
auf der ganzen Welt Erfolg. Als die patriarchale<br />
Struktur nach dem Zweiten Weltkrieg die<br />
grundlegenden Errungenschaften der Frauenrechte,<br />
auch aus der Zeit vor und während<br />
des Ersten Weltkriegs, offensichtlich zunichte<br />
machte, schrieb Simone de Beauvoir einen verzweifelten<br />
Aufschrei des Feminismus, Das andere<br />
Geschlecht (1949).<br />
Die vielleicht interessanteste „Ikone“ der<br />
populären Kultur ist der Vamp. In ihm spiegeln<br />
sich Ambivalenz und Verwirrung angesichts des<br />
neuen Frauenkörpers und der neuen Stellung<br />
der Frau in der Gesellschaft wider. Gleichzeitig<br />
jedoch enthält diese Ikone Spuren unterschiedlicher<br />
Strategien, ritueller Narrationen und des<br />
Bedürfnisses, eine solche Frau für den Diskurs<br />
zu nutzen: Der Vamp entspringt dem Film, dem<br />
globalen Medium, das bis heute Verhaltensmodelle<br />
formt.<br />
Der Begriff „Vamp“ ist ein Produkt der<br />
Massenkultur des 20. Jahrhunderts, eine Abkürzung<br />
für „Vampir“, im Übrigen eines der<br />
wenigen Wörter serbokroatischen Ursprungs,<br />
das man in französischen, englischen oder<br />
deutschen Sätzen hört. Die Popularität dieser<br />
Art Phantasiefrau steht in Verbindung mit<br />
dem Trauma des Ersten Weltkriegs: Die Frau<br />
blieb hinter der Front und wartete auf den geschwächten,<br />
verkrüppelten und verängstigten<br />
Mann, fordernd und voller neuer Ideen über<br />
ihre Rechte, mehr an sexuellen Erfahrungen<br />
als an einer monogamen Beziehung interessiert.<br />
Die Angst der Männer vor der Untreue<br />
ihrer Frauen und alle Kastrationsphobien konzentrierten<br />
sich im bedrohlichen Bild einer<br />
Frau, die selbst über ihr Vergnügen bestimmt.<br />
Doch Phantasien lassen immer mehrere Deutungen<br />
zu: Das Bild des Vamps diente auch zur<br />
Disziplinierung der Frauen, als Negativbeispiel,<br />
als drohende Strafe für Regelbruch. In<br />
allen Filmen, Romanen, Comics und Feuilletons<br />
ergeht es den Vamps schlecht, unabhängig<br />
davon, wie viele Männer und Frauen sie in<br />
ihren unheilvollen Liebesabenteuern vernichten.<br />
Während des Zweiten Weltkriegs erfand<br />
man für die amerikanischen Soldaten und<br />
Männer eine vereinfachte Form des Vamps<br />
– das Pin-up-Girl, eine Fotofrau, die man an<br />
die Wand hängen kann: Betty Grable und Rita<br />
Hayworth. Zeitweise leidet das Pin-up-Girl an<br />
der eigenen Attraktivität, doch es ist nicht provokativ<br />
wie der Vamp und erwartet auch keine<br />
umfangreichen Liebeserfahrungen. Seine<br />
Weiblichkeit „geschieht“ ihm, es missbraucht<br />
sie nicht wie der Vamp. Anders gesagt, nach<br />
ungefähr zwanzig Jahren hatte die Zensur den<br />
Vamp eingeholt und jegliches Entwicklungspotential<br />
dieser Figur ausgelöscht.<br />
Wenn man sich mit der Emanzipation der<br />
Frau beschäftigt, darf man den Anteil der Massenkultur<br />
an diesem Prozess nicht vernachlässigen,<br />
die Schlüsselfunktion von Bildern,<br />
Symbolen, narrativen Einheiten, Erfolgsgeschichten,<br />
kurz gesagt die Mythologie einer<br />
bestimmten Zeit und eines bestimmten Ortes.<br />
In der westlichen fortschrittlichen Welt<br />
entdecken Historiker erst jetzt, wie sehr die<br />
Emanzipation durch den Ersten Weltkrieg beschleunigt<br />
und durch den Zweiten Weltkrieg<br />
gebremst wurde – ein Prozess, der in den Ländern<br />
Mitteleuropas unterschiedlich verlief,<br />
von den außereuropäischen Ländern gar nicht<br />
zu sprechen.<br />
Doch trotz der offensichtlichen Unterschiede<br />
sind auf der Weltkarte der Vamps einige<br />
Eigenschaften in allen Kulturen gleich:<br />
Der Vamp entspricht dem Bild einer Welt, in<br />
der die Geschlechter einander unversöhnlich<br />
gegenüberstehen und in der der ständige Konflikt<br />
immer wieder von Neuem die Macht des<br />
Mannes sichert. Ohne Herausforderung wäre<br />
diese Macht langweilig, deshalb wird hier ein<br />
Raum der „Ungewissheit“ umrissen, den der<br />
Vamp symbolisiert. Anders gesagt dient die<br />
Vampfrau einer weiteren absehbaren männlichen<br />
Strategie. Eine starke Männerhand ist<br />
auch deshalb erforderlich, weil Frauen ohne<br />
Kontrolle zum Vamp werden könnten und<br />
dann Männern zur Unterhaltung dienen würden.<br />
Die Möglichkeit, dass ein Mann einem<br />
Vamp „verfällt“, ist nicht weniger attraktiv als<br />
andere Verführungstechniken. In den meisten<br />
Geschichten über Vamps kann sich der<br />
Mann „retten“. Seine Sexualität wird dadurch<br />
nur bestätigt und gestärkt, während die der<br />
Frau bei intensivem Einsatz „geschwächt“<br />
wird. Tatsächlich ist es nahezu umgekehrt.<br />
Deshalb kann man die sinkende männliche<br />
Selbstsicherheit an der Veränderung des Bildes<br />
von Phantasiefrauen beobachten. Nach<br />
der Vampfrau, die über emanzipatorische Energie<br />
verfügte, und dem passiven Pin-up-Girl<br />
kam in Filmen und Populärkultur die Variante<br />
der Verführerin der 60er und 70er Jahre, die<br />
„Nymphe“, eine übertrieben junge, aber sexuell<br />
verführerische Kindfrau. Diese Tendenz<br />
zur Infantilisierung weiblicher Sexualität setzt<br />
sich bis heute fort. Daraus entwickelte sich<br />
auch ein interessanter Strang: Im amerikanischen<br />
Film als dem kulturellen Ursprungsraum<br />
des Vamps entstand durch Parodie der<br />
Vamp-Filme die Gestalt einer selbständigen,<br />
klugen und ein wenig übergeschnappten Frau<br />
in den Komödien der dreißiger Jahre (screwball<br />
comedy) - eine moderne Protagonistin, die<br />
in der Zeit der Wirtschaftskrise den erniedrigten<br />
und verunsicherten Mann rettet.<br />
Das hundertjährige Jubiläum des Ersten<br />
Weltkriegs müsste diesen Kanal öffnen und uns<br />
mit allzu lange verborgenen und vernachlässigten<br />
Informationen aus der Geschichte der<br />
Frauen versorgen. Ich fürchte allerdings, dass<br />
viele Hundertjahrfeiern sich darauf beschränken<br />
werden, Orden um Denkmäler, Friedhöfe<br />
und Bilder von schnauzbärtigen Offizieren,<br />
Fahnen, Uniformen, Waffen und Ähnlichem<br />
herum zu tragen. Auf allen Seiten gibt es ausreichend<br />
Daten, Erinnerungen, literarische<br />
und künstlerische Bearbeitungen, um die große<br />
Revolution der Frauen zu rekonstruieren, die<br />
während des Ersten Weltkriegs stattfand. Im<br />
besten Fall wird es eine Erinnerung an die feministische<br />
Bewegung geben, die nach dem Ersten<br />
Weltkrieg überall in Europa neuen Schwung bekam<br />
und neue Formen annahm.<br />
Doch diese neue Frau, die die Universitäten,<br />
die Wissenschaft und Technik eroberte,<br />
die ihre neue Sensibilität im Jazz äußerte, eine<br />
neue Sexualethik, Verhütung und bewusste<br />
Mutterschaft einforderte, unterstützt durch<br />
Psychoanalyse und Reformpädagogik, wurde<br />
zum wichtigsten Erkennungszeichen der neuen<br />
Zeit.<br />
Die Parallele zwischen einer Zeit des Wohlstands<br />
und einer voller sozialer Spannungen,<br />
einer noch nie dagewesenen Entwicklungsgeschwindigkeit<br />
der Medien und der Technik<br />
und gleichzeitig einer Zeit der schmerzlichen<br />
Blindheit gegenüber den Gefahren solcher<br />
Spannungen heute, wie es auch vor dem Ersten<br />
Weltkrieg gewesen ist, ist offensichtlich. An<br />
der Geschichte der Frauen erkennt man, dass<br />
der Erste Weltkrieg nicht „beendet“ ist und<br />
nicht zu Versöhnung und gegenseitigem Verständnis<br />
geführt hat. Was soll man da erst zu<br />
dem noch nicht beendeten Zweiten Weltkrieg<br />
sagen Die sozialen Spannungen und Probleme<br />
im neuen Finanzkapitalismus, begleitet<br />
von der globalen Rückkehr in die Sklavenhaltergesellschaft,<br />
versprechen nichts Gutes: Im<br />
Gegenteil, es ist genau die explosive Mischung,<br />
die bei der harmlosesten Ursache hochgehen<br />
kann, bei irgendeinem Vorfall irgendwo auf<br />
der Welt. Die Rechte der Frauen wurden mit<br />
dem Fall der sozialistischen Staaten zurückgedrängt<br />
und erlebten einen backlash, den<br />
man nun wirklich nicht mit der Einführung<br />
der Demokratie begründen kann. Aber genau<br />
das passiert schon seit zwanzig Jahren in den<br />
postsozialistischen Gesellschaften. Ein globales<br />
weibliches Gebet würde heute darauf gerichtet<br />
sein, dass wir verschont bleiben mögen<br />
davor, dass erst ein neuer Weltkrieg uns Frauen<br />
unsere alten Rechte zurückgibt und neue<br />
hinzufügt.<br />
1913 erschien den Hochgebildeten Europas<br />
ein wahnsinniger Krieg unvorstellbar. Uns<br />
bleibt noch etwas Zeit, das heute Unvorstellbare<br />
zu bedenken.<br />
Aus dem Serbischen von<br />
Blanka Stipetić<br />
Svetlana Slapšak<br />
Geboren 1948 in Belgrad. Zusammen mit der<br />
Gruppe 1000 Frauen für den Frieden wurde sie<br />
2005 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.<br />
Gastdozentin an zahlreichen europäischen<br />
und amerikanischen Universitäten. Professur<br />
für Anthropologie antiker Welten, Gender Studies<br />
und Balkanologie (seit 2003), Dekanin des<br />
ISH (Institutum Studiorum Humanitatis) in<br />
Ljubljana. Sie veröffentlichte über 40 Bücher<br />
und Sammelschriften und über 400 Studien,<br />
über 100 Essays, einen Roman, Übersetzungen<br />
aus dem Alt- und Neugriechischen, Lateinischen,<br />
Französischen, Englischen und Slowenischen.<br />
Beton International März 2014 5