Habe die Ehre, Premiere! - E&W

6 HINTERGRUND E&W 6/09
„ELEKTROFIX“ HÄLT DER BRANCHE EINEN SPIEGEL VORS GESICHT
High Noon in
Transdanubia
Wir schreiben das Jahr 2009. Wenn man den Zeitungen Glauben
schenken darf, blieb unsere Branche von der großen Krise bis
dato verschont. Wenn man die Fachhändler fragt, auch. In Industriekreisen
allerdings färben sich die Brillen seit einigen Wochen
eher „dunkelrosa“. Wenn man dann noch berücksichtigt, was sich
dort oben im Norden Wiens zusammenbrodelt, dann sind sich in
einem Punkt alle einig: Ende des Jahres wird in „Good old Austria“
nur wenig so sein, wie es heute noch ist…
Für eine Handvoll Dollar
Er kam aus Kärnten, um die Welt zu erobern, und an seinen Stiefeln
klebt die Spanne… Hannes Majdic ist sicher der Paradeunternehmer
in unserer Branche, der in Arbeitseinsatz, Umtriebigkeit
und Schlauheit kaum zu überbieten ist. Mut hat er noch dazu
allemal bewiesen. Bedenkt man zusätzlich, dass Majdic als Bankkaufmann
sein Hobby zum Beruf machte, einen Orden extra,
bitte.
Frechheit siegt, denn Hannes Majdic setzt sich mit seinem electronic4you-Abholshop
und Wien-Lager ausgerechnet in das ehemalige
Nest der Media Nord-Filiale, die sich vis à vis auf der Brünner
Straße ihr neues Bettchen gemacht hat. Abgesehen davon, dass
viele Kunden in Unwissenheit über den Umzug noch immer den
Parkplatz vor dem ehemaligen Medianer Standort wählen, wird
auch die Sichtbarkeit des neuen Majdic-Shops die der Media-
Niederlassung bei Weitem übertreffen.
Mit Dynamit und frommen Sprüchen
Dem Säbelrasseln der Großen in Richtung Onlinehandel folgte
kürzlich diese Meldung: „Media-Saturn plant mit Ende 2009 den
Wiedereinstieg ins Onlinegeschäft. Dabei soll der Preis nicht im
Vordergrund stehen…“ Nanonaned!
Wenngleich ich verstehe, dass sich das Krokodil nicht endlos vom
Kasperl auf die Schnauze hauen lässt, frage ich mich, was diese
Zwitterlösung soll? Glaubt man wirklich, die „mannigfaltigen
Dienstleistungen“ der Großfläche über Geizhals & Co besser vermarkten
zu können? Ich stelle mir gerade die vielen Kunden vor,
die in Anbetracht der höheren Preise als bei Redcoon/Majdic
(Anm.: Redcoon aus dem Englischen frei übersetzt steht für „Roter
Waschbär“! Was oder wer wird da eigentlich gewaschen? Egal.) vor
Lachkrämpfen windend vor den Computerschirmen sitzen.
Was aber, wenn die Einkaufsmacht Großfläche „Aktion scharf“
macht und für zwölf Monate einmal ordentlich Luft holt? Dann
wird’s finster am E-Firmament, denn aus dem Zündeln wurde ein
Flächenbrand, dessen Rauchschwaden weit über die Bundeshauptstadt
hinaus sichtbar sein werden. Egal, ob traditioneller
Fachhandel, Online-Küchenkastl-Shop oder Waschbär: Diesen
Atem hat keiner!
Enttäuschend finde ich, dass sich bei den hochdotierten Managern
in der Großfläche bisher keiner gefunden hat, neue Konzepte
zu entwickeln, wie man aus dem Image-Defizit rauskommt
und den anderen Kanälen Paroli bieten kann. Im Sog der „um-
satzgeilen“ und „quartalsgelenkten“ Industrie blieb ihnen vielleicht
aber auch nichts anderes übrig, als zu folgen. Klug finde ich
auch nicht den Zeitpunkt. Schließlich sollte sich bis dahin die
Wirtschaftskrise bereits vertschüsst haben und die Konjunktur
wieder im Aufwind befinden. Oder wissen die Großen mehr?
Vierzig Wagen westwärts
Habt Ihr schon einmal die Händlerliste samt Impressum bei Geizhals.at
durchleuchtet? Neben den unzähligen „Händlern im
Schafspelz“, dem „Waschbär“ und „den Glorreichen Sieben“ finden
sich dort auch inzwischen von der Industrie in den Olymp
gehievte „Supra-Onlinehändler“. Sie haben bei manchen Herstellern
mittlerweile die Großhandelsfunktion übernommen und beliefern
so ziemlich alles, was die Größe einer Schuhschachtel hat,
solange „KASSA“ draufsteht.
Ich frage mich, wie lange uns GfK und Industrie noch verschaukeln
wollen? Da fahren die Lastzüge quer durchs Land, manchmal
auch weiter, und verzerren jegliche Vertriebsstruktur bis zur Unkenntlichkeit.
Doch auch diesen Verschiebern könnte das Gas bald
ausgehen, machen die Großen erst einmal ernst und somit jedes
Marktangebot uninteressant.
Spiel mir das Lied vom Tod
Gott behüte, aber angenommen, die wenigen Industrie-Ansprechpartner
– Verzeihung, genauer gesagt: „ansprechbaren Partner“
– würden nun von ihren Zentralen gecancelt? Bei ein paar
bewusst unbewaffneten Zahnlosen eine Frage von zehn Minuten:
Schnell sind die eMails umgeleitet und das Call-Center eingerichtet
sowie die jetzt schon demotivierten und hilflosen Betreuer
vor Ort abgefertigt. Und tschüss!
Was ist mit den Kooperationszentralen, wenn der Einkauf im benachbarten
„Geil-Markt“ oder „Geiz-Shop“ für jeden Händler
die einzig kalkulierbare Chance im Warenbezug darstellt? Was,
wenn wir uns alle auf das kurzfristige Zielsetzen der Industrie einstellen…?
Wer jetzt noch immer nicht begriffen hat, wer seine Partner für
die Zukunft sind, der darf sich spätestens mit einfallendem Winter
nicht wundern, wenn für ihn das Eis sehr dünn ausfallen wird.
Einen jedoch gibt es, der schon jetzt die Mundharmonika feucht
hält: Nach dem Prinzip „Jeder Schuss ein Treffer“ zählen Online-
Plattformen wie Geizhals zu den sicheren Gewinnern.
Ein letzter Gedanke: Frieder C. Löhrer, Visionär und Vorstandsvorsitzender
der Loewe AG, hat es anlässlich seiner Bilanz-Pressekonferenz
für unsere Branche als große Chance bezeichnet: das „Cocooning“.
Auch wenn dieser Begriff inzwischen mächtig abgelutscht
ist, glaube ich, dass sich unsere Branche noch nicht im Geringsten
über die Möglichkeiten dieser Entwicklung bewusst ist
und diese nutzt. Was meint Ihr?
Euer Elektrofix
elektrofix@gmx.net