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KULTURWELTSTADT GRAZ Essay von Andrea Schurian Graz ...

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<strong>KULTURWELTSTADT</strong> <strong>GRAZ</strong><br />

<strong>Essay</strong> <strong>von</strong> <strong>Andrea</strong> <strong>Schurian</strong><br />

<strong>Graz</strong>? Naja, glauben Sie nicht alles, was Sie hören. Obwohl: Hier schwimmen<br />

Muscheln auf der Mur statt unter Wasser. Und hier gehen die Uhren tatsächlich<br />

anders, zumindest die auf dem Uhrturm: Minutenzeiger kurz, Stundenzeiger lang<br />

und das seit vielen Jahrhunderten. Angeblich, damit man aus der Ferne die Zeit<br />

besser ablesen kann. Stimmt so nicht ganz. Wahr ist vielmehr, dass es<br />

ursprünglich nur die (langen) Stundenzeiger gab, die (kürzeren) Minutenzeiger<br />

kamen erst später dazu.<br />

Dass die weltweit älteste Amadeus-Gedenkstätte, ein kleiner Mozarttempel,<br />

ausgerechnet in der <strong>Graz</strong>er Schubert-Straße steht, obwohl Mozart nie in <strong>Graz</strong><br />

war, ist da eigentlich nur logisch. Ja, und dann stimmt auch nicht, was ein<br />

Dichter einmal über <strong>Graz</strong> gesagt haben soll, nämlich: dass man hier nicht<br />

gewesen sein muss. Sicher, gemessen an europäischen Großstädten ist <strong>Graz</strong><br />

höchstens eine urbane Kleinigkeit (dabei ist die steirische Landeshauptstadt mit<br />

250.000 Einwohnern immerhin die zweitgrößte Stadt Österreichs!). Aber in<br />

Sachen Kunst und Kultur, Savoir Vivre und Flair hat die Murmetropole<br />

Europaniveau. Das beginnt am Airport mit seiner kühnen Architektur und der<br />

„Galerie am Flughafen“ für zeitgenössische Kunst und endet am Hauptbahnhof,<br />

dessen Wände der österreichische Künstler Peter Kogler gestaltet hat. Und<br />

zwischen Airport und Bahnhof liegt also <strong>Graz</strong>.<br />

Schillernd, bunt, melancholisch, urban, südländlich entspannt, ein bisschen<br />

verschrammt und unverschämt schön – das Stadtbild gleicht einem über die<br />

Jahrhunderte entstandenen Gemälde: hier ein Hauch Mittelalter, da romanische<br />

Tupfer, dort gotische Pinselstriche, immer wieder barocke Farbakzente,<br />

historistische Einsprengsel, Jugendstil, und, natürlich! Gegenwart und Zukunft.<br />

Italienisch anmutende Palazzi und stolze Bürgerhäuser, Durchgänge, Passagen,<br />

Renaissance-Arkaden, mittelalterliche Relikte. Verwinkelte Gässchen, stille<br />

Plätze voller denkmalgeschützter Baujuwelen, ziellos lasse ich mich durch die<br />

Altstadt treiben, kein Wunder, dass dieses Areal <strong>von</strong> der UNESCO 1999 zum<br />

erhaltenswerten Weltkulturerbe erklärt wurde.<br />

Eng an eng Boutiquen, Antiquitätenläden, Designshops - und, selbstverständlich,<br />

Haubenrestaurants und Studentenkneipen, Szenelokale, Weinbars und<br />

Kaffeehäuser. Hier ein Bierchen, da ein Gläschen; und der Fremde ist ganz<br />

unversehens nicht mehr fremd, das „Du“ sitzt den <strong>Graz</strong>erInnen locker auf den<br />

Lippen, du gehörst dazu, für einen Drink, für eine Nacht. Das, ja das macht <strong>Graz</strong><br />

so leichtfüßig (auch wenn ich bereits zum dritten Mal so gar nicht leichtfüßig mit<br />

meinen Absätzen hängenbleibe im Kopfsteinpflaster, mit dem die <strong>Graz</strong>er<br />

Innenstadt fast flächendeckend bepflastert ist) Und morgen, sagen die neuen<br />

Freunde zum Abschied, musst du unbedingt das Kunsthaus anschauen. Und


vergiss die Murinsel nicht. Und die Burg. Und rauf auf den Schlossberg in einer<br />

Panoramagondel. Und Stadtpark. Und Glockenspiel. Und und und. Keine Frage,<br />

die <strong>Graz</strong>er sind stolz auf ihre Stadt. Und womit? Mit Recht!<br />

„Lebensqualität, Intimität der Stadt, Dynamik, eine bestimmte Kleinteiligkeit mit<br />

dem Hang zur Größe, der Markt am Kaiser Josephplatz, das Café Promenade und<br />

der Mohrenwirt“, zählt Peter Pakesch die angenehmsten Seiten seiner<br />

Geburtsstadt auf. Vor drei Jahren ist er hierher zurückgekehrt, um als Intendant<br />

und künstlerischer Geschäftsführer des Landesmuseums Joanneum den<br />

intellektuellen und künstlerischen Diskurs maßgeblich mitzubestimmen. Zu<br />

„seinen“ Häusern zählt unter anderem auch eines der architektonisch<br />

aufregendsten Museen Europas: das Kunsthaus <strong>Graz</strong>. Dieses außerirdische,<br />

biomorphe Flugobjekt ist 2003 am rechten Murufer gelandet. Damals war <strong>Graz</strong><br />

Kulturhauptstadt Europas und hat der Welt gezeigt, was dieser Ehrentitel<br />

bedeutet: aufregendes Fitnessprogramm für Herz, Bauch und Hirn, für Kunst,<br />

Kultur und Lebensfreude, Lust auf Neues, auf Unbekanntes, Provokantes,<br />

Schräges.<br />

„<strong>Graz</strong> hat sich selbst wieder angenommen, ist auf sich selbst neugierig, räumt<br />

sich jede Chance auf eine Zukunft im zukünftigen Europa ein“, lobte <strong>Graz</strong>-03-<br />

Intendant Wolfgang Lorenz damals sein Programm und auch die „prima<br />

<strong>Graz</strong>er“.<br />

Und die mögen ihr neues spektakuläres Wahrzeichen auch. Die britischen<br />

Stararchitekten Peter Cook und Colin Fournier haben diese bläulich<br />

schimmernde, mit Nozzles (also Düseh) übersäte Blase an einen Gusseisenbau<br />

aus dem Jahr 1848 angedockt; der „friendly Alien“ ist eine gelungene Symbiose<br />

aus Vergangenheit und Zukunft und somit typisch fürs <strong>Graz</strong>er Kulturverständnis,<br />

in dem das Alte gehegt und das Neue ebenfalls gepflegt wird. „Das beste<br />

Geschenk, das sich eine Stadt machen kann, ist Schriftstellern, Künstlern,<br />

Musikern, Designern und Architekten die Möglichkeit zu geben, den historischen<br />

Kontext mit spielerischer Respektlosigkeit zu benadlen und bestehende Regeln zu<br />

brechen“, sagt Colin Fournier: „<strong>Graz</strong> hat diesbezüglich seine Sache immer gut<br />

gemacht und leistet sich an vielen Fronten eine lebhafte Stadt“.<br />

Weil’s nämlich wirklich wahr ist: <strong>Graz</strong> war immer heimliche Kultur-, vor allem:<br />

Literaturhauptstadt. Der Stadtpark - perfekte Interpretation eines Englischen<br />

Gartens (die Seitenteile des Stadtparkbrunnens aus dem Jahr 1874 stehen<br />

übrigens an der Place de la Concorde in Paris) – ist Treffpunkt und<br />

Namensgeber für das „Forum Stadtpark“, ein Kreativ-Pool, der seit den 60er<br />

Jahren die österreichsiche Kunst-Szene aufmischt und mit dem genreübergreifenden<br />

Avantgarde-Festival regelmäßig für Skandale sorgt: „DAS Festival<br />

ist eine kulturelle Zukunftswerkstatt, ein pulsierender Ort des Widerstandes<br />

gegen Nivellierung,. Trivialisierung der Gesellschaft“, sagt „herbst“-Intendantin<br />

Vernonica Kaup-Hasler.<br />

Kulturelle Zukunftswerkstatt: klingt gut – und passt auf die ganze Stadt. Mitten<br />

in der Mur schaukelt eine riesige Muschel, ausgesetzt vom New Yorker Künstler<br />

Vito Acconci. Dieser schwimmende, multifunktionale Veranstaltungsort als<br />

künstliches und künstlerisches Verbindungsglied zwischen dem städtischen<br />

Gefüge auf der einen und dem wilden, ungebändigten Stück Natur auf der


anderen Seite der Mur wurde 2003 implantiert, damals, als <strong>Graz</strong><br />

Kulturhauptstadt war: ursprünglich als temporäre Installation gedacht.<br />

Aber <strong>Graz</strong> wollte dieses Konstrukt nicht mehr hergeben. Weil es für immer<br />

Kulturweltstadt bleiben will.<br />

Dr. <strong>Andrea</strong> <strong>Schurian</strong> war langjährige Mitarbeiterin des ORF und<br />

Moderatorin der ZiB1-Kultur und „Kunst-Stücke“. Seit 2002 ist<br />

sie als freie Moderatorin, Autorin und Filmemacherin tätig.<br />

Einige ihrer TV-Dokumentationen, Porträts, Filme: „Rot ist di<br />

Farbe meines Lebens“-Markus Prachensky im Porträt; „Moment<br />

Aufnahmen“-die Fotografin Elfie Semotan; „Gemalte Gefühle“-<br />

Porträt über Maria Lassnig. Zahlreiche Künstlerporträts für die<br />

Kunstzeitschrift Parnass.

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