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Internate - Patentlösung bei Schulproblemen?

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<strong>Internate</strong> - Patentlösung <strong>bei</strong><br />

<strong>Schulproblemen</strong><br />

<strong>Internate</strong> werden zumeist<br />

in Anspruch genommen,<br />

wenn Kinder und Jugendliche<br />

in der Schule zu<br />

scheitern drohen. Doch oft<br />

bleiben die erhofften Erfolge<br />

aus, weil Eltern die<br />

pädagogischen Möglichkeiten<br />

der <strong>Internate</strong> oder<br />

das Potenzial ihres Nachwuchses<br />

überschätzen.<br />

Wer teure Flops vermeiden<br />

will, sollte sich um eine<br />

differenzierte Wahrnehmung<br />

bestehender Lernschwierigkeiten<br />

bemühen<br />

und <strong>bei</strong> der Auswahl eines<br />

Instituts sehr genau darauf<br />

achten, dass die angebotenen<br />

Fördermaßnahmen<br />

dem Betreuungsbedarf des<br />

Kindes entsprechen.<br />

Das Märchen von der<br />

„schlechten Staatsschule“,<br />

den intelligenten Schulversagern<br />

und den guten<br />

Privatschulinternaten<br />

Probleme lassen sich nur bewältigen,<br />

wenn ihre Ursachen<br />

richtig erkannt und das Geeignete<br />

getan wird, um im konkreten<br />

Einzelfall Abhilfe schaffen.<br />

Diese schlichte Einsicht<br />

scheint allerdings häufig zu<br />

versagen, wenn die Schulleistungen<br />

des Nachwuchses<br />

hinter den elterlichen Erwartungen<br />

zurückbleiben.<br />

Viele Eltern verfügen offensichtlich<br />

nicht über geeignete<br />

Problemlösungsstrategien. Sie<br />

suchen die Schuld für den<br />

mangelnden Lernerfolg ihrer<br />

Kinder grundsätzlich <strong>bei</strong> anderen<br />

(z.B. ungerechten bzw. unengagierten<br />

Lehrern, zu großen<br />

Klassen, falschen Freunden<br />

o.ä.) und neigen zu einer undifferenzierten<br />

Betrachtungsweise,<br />

die an den wahren Zusammenhängen<br />

oft vor<strong>bei</strong> geht.<br />

Zum absoluten Hit unter den<br />

oberflächlichen Erklärungsmustern<br />

hat sich in den letzten<br />

Jahren die Theorie vom intelligenten<br />

(wenn nicht sogar hochbegabten!)<br />

Kind entwickelt,<br />

das sein Leistungspotenzial an<br />

der Staatsschule nicht entfalten<br />

könne, weil es „ein bisschen<br />

faul“ sei und die Lehrer nicht<br />

genug „auf es eingingen“.<br />

Was von elterlichen Vermutungen<br />

dieser Art zu halten ist,<br />

wird allein dadurch deutlich,<br />

dass ihnen in der Regel keinerlei<br />

intelligenzdiagnostische<br />

Belege zugrunde liegen.<br />

Ein Kind, das „könnte, wenn es<br />

nur wollte“ oder trotz guter<br />

Intelligenz schlechte Noten bekommt,<br />

ist eben nicht nur „ein<br />

bisschen faul“, sondern hat<br />

zumeist elementare Defizite in<br />

seiner Persönlichkeitsstruktur<br />

bzw. seinem Lern-, Ar<strong>bei</strong>tsund<br />

Sozialverhalten.<br />

Oft bedürfen auch die aktuellen<br />

Lebensumstände bzw. die<br />

Lebensführung dringend der<br />

Korrektur. Dies ist z.B. dann<br />

angezeigt, wenn das Kind zu<br />

sehr mit familiären Konflikten<br />

belastet ist, um sich auf das<br />

Lernen konzentrieren zu können,<br />

wenn Schule zur Nebensache<br />

geworden ist, weil eine<br />

Liebhaberei, ein Job, eine frühe<br />

Beziehung oder exzessive Vergnügungssucht<br />

alle Kräfte absorbieren,<br />

wenn permanente<br />

Reizüberflutung ( z.B. Dauerfernsehen,<br />

ständige Musikberieselung,<br />

suchtartig betriebene<br />

Computerspiele usw.) die geistige<br />

Leistungsfähigkeit beeinträchtigt<br />

oder wenn Verwöhnung<br />

und Vernachlässigung zu<br />

Lethargie und „Null Bock“<br />

oder schlimmer noch zu einer<br />

„asthenischen“(schwächlichen)<br />

Persönlichkeitsstruktur geführt<br />

haben, so dass der Nachwuchs<br />

sich in Krankheiten flüchtet,<br />

neurotische Depressionen,<br />

(Schul-)Ängste oder Süchte<br />

entwickelt bzw. sich durch<br />

Schulschwänzen den als unangenehm<br />

empfundenen Leistungsanforderungen<br />

entzieht.<br />

Gerade solche Eltern und<br />

Jugendliche, die in der beschriebenen<br />

Weise zur Verleugnung,<br />

Verharmlosung und<br />

Vereinfachung bestehender<br />

Probleme neigen, sind un<strong>bei</strong>rrbar<br />

auf die „Privatschule“<br />

fixiert. Alle Hoffnungen und<br />

Illusionen konzentrieren sich<br />

darauf, dass der Schulerfolg<br />

sich aufgrund „kleinerer<br />

Klassen“ und „engagierterer<br />

Lehrkräfte“ praktisch von allein<br />

einstellen werde.<br />

Aber sie irren sich. Denn die<br />

kleinen Klassen privater<br />

Heimschulen bieten oft keine<br />

besseren Lernbedingungen; vor<br />

allem dann nicht, wenn sich in<br />

ihnen - wie vielfach nachweisbar<br />

- überwiegend SchülerInnen<br />

mit schweren Verhaltens-,<br />

Motivations- und Leistungsstörungen<br />

sammeln.<br />

Die folgende Beurteilung eines<br />

der teuersten Internatsgym-<br />

1


nasien der Bundesrepublik aus<br />

dem Internet (www.dooyoo.de,<br />

geschrieben am 23.04.2002),<br />

umreißt die Problematik in voller<br />

Schärfe:<br />

"Die Lehrer mit ihren individuellen<br />

Methoden wechseln<br />

häufig. Die Urspringschule<br />

bleibt eine schlechte Schule.<br />

(...) Die Noten sind oft besser<br />

als in der Heimatschule. Das<br />

gilt aber nicht für die schulischen<br />

Leistungen. Ein großer<br />

Teil der Mitschüler ist ständig<br />

versetzungsgefährdet. Im Notfall<br />

werden auch mal Zeugnisse<br />

zum Guten ‚berichtigt’.<br />

Paragrafenversetzungen gibt es<br />

jedes Jahr bis zur Schmerzgrenze.<br />

Ehemalige Lehrer beschweren<br />

sich schon <strong>bei</strong>m<br />

Oberschulamt in Tübingen.<br />

Bei der Abi-Prüfung fallen ca.<br />

10% der Schüler durch.<br />

Das Klima Wenn die externen<br />

Abi-Prüfer aufs Gelände<br />

kommen, werden alle anderen<br />

Schüler zum Ausflug geschickt,<br />

damit bloß keiner den<br />

Abi-Prüfern frech kommt. Das<br />

könnte die Prüfer ungnädig<br />

stimmen.<br />

Schlägereien gibt es noch, aber<br />

Angriffe auf Lehrer sind seltener<br />

geworden, seit der neue<br />

Heimleiter Hr. W. die Jugendhilfeeinrichtung<br />

bewacht und<br />

führt."<br />

Nicht nur die schlechte Schülerauswahl<br />

verdirbt das Leistungsniveau.<br />

Auch die sogenannten<br />

„Lernhilfen“ der <strong>Internate</strong><br />

halten oft nicht, was die<br />

Prospekte versprechen.<br />

Von der angepriesenen „regelmäßigen<br />

Hausaufgabenbetreuung“<br />

etwa darf man nicht<br />

zu viel erwarten. Oft ist sie<br />

schlecht organisiert und kaum<br />

geeignet, bestehende Kenntnislücken<br />

aufzuar<strong>bei</strong>ten und fehlende<br />

Ar<strong>bei</strong>tstechniken zu vermitteln.<br />

Doch selbst das größte Bemühen<br />

um optimale Fördermaßnahmen<br />

kann gegen eine<br />

„Null-Bock-Haltung“, neurotische<br />

Vermeidungsstrategien<br />

oder eine „spaßorientierte“ Lebensführung<br />

(Drogen, Vergnügungssucht,<br />

Schlafmangel) der<br />

SchülerInnen wenig ausrichten.<br />

Hierzu bedürfte es eines erzieherischen<br />

Gesamtkonzepts, das<br />

auf grundlegende Einstellungsund<br />

Verhaltensänderungen zielen<br />

müsste, nicht zuletzt die<br />

Rückkehr zu den guten alten<br />

„Sekundärtugenden“.<br />

Doch selbst die teuersten Institute<br />

mit den kleinsten Klassen<br />

und den individuellsten Erziehungsmöglichkeiten<br />

tragen<br />

hierzu wenig <strong>bei</strong>. Im Gegenteil:<br />

So berichtet etwa die<br />

ehemalige Louisenlunderin<br />

Dagmar von Taube über ihre<br />

Schulzeit in dem norddeutschen<br />

Nobelinstitut :<br />

„Zugegeben, ich habe dort<br />

nicht das beste Abitur gemacht.<br />

(...) Habe sicher viel zu<br />

wenig kluge Bücher gelesen,<br />

weil Segeln so viel schöner<br />

war. (...) Überhaupt gewöhnte<br />

man sich in vielen Dingen eine<br />

sehr lässige Art an, mit der<br />

man sich im späteren Leben<br />

nicht unbedingt sofort Freunde<br />

machte. Als Internatler sah<br />

man halt so manches wie auch<br />

zum Beispiel Pünktlichkeit,<br />

Disziplin, Fleiß sehr, sehr<br />

großzügig“.<br />

(D. v. Taube: Das Geheimnis<br />

Internat. In: Welt am Sonntag<br />

vom 4.6.2000, S. 37).<br />

2<br />

In der ARD-Talkshow „Fliege“<br />

vom 11.1.2000 begründete<br />

die Tochter des Berliner<br />

SPD-Politikers Walter Momper,<br />

Friederike Momper, ihre<br />

Entscheidung, nach Probeaufenthalten<br />

in mehreren Landerziehungsheimen<br />

lieber wieder<br />

nach Berlin zurückzukehren<br />

und ein öffentliches Gymnasium<br />

zu besuchen:<br />

„...weil es nicht so war, wie<br />

ich mir das vorgestellt hatte,<br />

also dieses Sich-auf-die-Schule-Konzentrieren<br />

und dieses<br />

Dafür-Ar<strong>bei</strong>ten, das war da<br />

nicht...“<br />

Fliege: „Da war Party angesagt...“<br />

„Ja, eher das. Und dann haben<br />

alle gesagt, ja, das vergisst du<br />

hinterher... Erfolgsorientiert<br />

waren die an diesen Schulen<br />

nicht.“<br />

Schrifteinblendung während<br />

des Interviews:<br />

Friederike Momper:<br />

„Im Internat wird man nicht<br />

zum Lernen motiviert.“<br />

Eltern glauben häufig, dass bereits<br />

die Festsetzung einer geregelten<br />

Studierzeit und die<br />

ständige Beaufsichtigung ihrer<br />

Kinder durch Lehrer und Erzieher<br />

ausreichten, um alle Ablenkungen<br />

fernzuhalten und die<br />

SchülerInnen zu zwingen, sich<br />

ganz auf die Schule zu konzentrieren.<br />

Das folgende Spottgedicht<br />

eines enttäuschten Internatsschülers<br />

spricht die erhebliche<br />

Diskrepanz an zwischen dem<br />

naiven Glauben an die Segnungen<br />

der täglichen Studierzeit<br />

und der ernüchternden<br />

Wirklichkeit:<br />

Das Studium, voll Zuversicht /<br />

wollte ich zum Lernen nützen.<br />

/ Doch leider, es gelang mir<br />

nicht! / Möglich war nur ödes<br />

Sitzen / gepaart mit blödem<br />

Schabernack. / Genervt von<br />

pubertären Witzen / hatte ich<br />

das Treiben satt / und zog<br />

daraus die Konsequenzen: /<br />

Nach Hause zog es mich<br />

zurück - / Dort konnt‘ ich mich<br />

gut verschanzen / zu lernen für<br />

mein eig’nes Glück. / [...]<br />

Dieses Werkes schließend<br />

Wort / sollte im Gedächtnis<br />

bleiben. / Denn es gilt an<br />

jedem Ort, / mag’s auch ein<br />

wenig übertreiben: / Der höchste<br />

Zweck vom <strong>Internate</strong> / ist<br />

nicht, den Geist zu exerzieren,<br />

/ sondern mit gewitztem Mute /


den Lachmuskel sich zu trainieren.<br />

Quelle:<br />

www.vhs-ge.gelsen-net.de<br />

Dass auch die Vorstellung vom<br />

insgesamt ablenkungsfreieren<br />

Internatsleben nicht mehr sein<br />

kann als Wunschdenken, müsste<br />

den Eltern schon der gesunde<br />

Menschenverstand eingeben.<br />

Denn wer die Schulprobleme<br />

seines Kindes vor allem<br />

auf negative Einflüsse des<br />

Freundeskreises oder einfach<br />

auf ein Übermaß an sozialen<br />

Kontakten zurückführt, sollte<br />

sich eigentlich vorstellen können,<br />

welche Wirkung das<br />

Milieu eines Internats mit Dutzenden<br />

oder sogar Hunderten<br />

von Belegplätzen hat.<br />

Das Leben Vieler auf engstem<br />

Raum, besonders auch von<br />

Mädchen und Jungen unter<br />

einem Dach, oft sogar in<br />

gemischten Gruppen, bedeutet<br />

einfach permanente Anspannung,<br />

im Fachjargon als „Dichtestress“<br />

bezeichnet, und permanente<br />

Aufregung. Das eigentliche<br />

Internatsleben findet<br />

– wie Insider wissen – grundsätzlich<br />

nachts statt, wenn die<br />

überanstrengten Erzieher schlafen.<br />

Dass ein Internatsaufenthalt die<br />

Entwicklung der Leistungsbereitschaft<br />

massiv beeinträchtigen<br />

kann, räumt der Leiter des<br />

Salem-Collegs, Otto Seydel, in<br />

einer bemerkenswert selbstkrischen<br />

Betrachtung zur „Marginalisierung<br />

des Unterrichts in<br />

der Oberstufe“ offen ein:<br />

„Meine Generalthese lautet:<br />

Der reale Stellenwert des Unterrichts<br />

in der Oberstufe ist<br />

<strong>bei</strong> großen Gruppen unserer<br />

Schüler von Jahr zu Jahr immer<br />

stärker gesunken. Symptome<br />

dieser Marginalisierung<br />

sind:<br />

• Eine ganze Reihe von Schülern,<br />

die eine ausgeprägte Begabung<br />

für bestimmte Fächer<br />

mitgebracht hatten, ”wucherten<br />

nicht mit ihren Pfunden”. Sie<br />

versanken in einer minimalistischen<br />

Mittelmäßigkeit, weil<br />

sie sich weder auf Unterricht<br />

noch auf Internatsaktivitäten<br />

wirklich einlassen wollten.<br />

• Trotz schulischer Gefährdung,<br />

trotz bevorstehender<br />

Examina wurde die Nacht zum<br />

Tag gemacht, wurde geredet,<br />

gefeiert, als wären ewig Ferien:<br />

das Landerziehungsheim als<br />

exklusiver Club Mediterrané.<br />

Das sichtbare Verhalten der<br />

Schüler war <strong>bei</strong> alledem selten<br />

laut, exzessiv oder rebellierend<br />

- in der Regel erschien es an<br />

der Oberfläche eher ”freundlich”,<br />

sympathisch, harmlos.<br />

Für diesen Prozess der schleichenden<br />

Marginalisierung der<br />

Schule in der Oberstufe gibt es<br />

keine einfachen Erklärungen.<br />

Offensichtlich verstärken sich<br />

Prozesse auf Seiten der Schüler<br />

und Prozesse auf Seiten der<br />

Institution gegenseitig. Ich beschränke<br />

mich auf Stichworte,<br />

man kennt diese Klagemauern:<br />

• Die Jugendkulturen spielen<br />

mit einem ungebremsten Narzissmus:<br />

”Ich. Alles. Gleich”.<br />

”Das Leben ist eine Party”. Die<br />

Berliner Love Parade ist irritierendes<br />

Sinnbild der modernen<br />

Jugend, die Erlebnis will,<br />

aber keine Pädagogik.<br />

• Die coole Oberfläche der<br />

jungen Leute verbirgt eine<br />

große, angstmachende Ratlosigkeit,<br />

was das ganze denn<br />

überhaupt soll. Lebensplanung,<br />

vor allem die in der Oberstufe<br />

doch eigentlich anstehende<br />

Vorentscheidung zur Berufswahl,<br />

wird systematisch verdrängt.<br />

Die Antwort auf die<br />

Frage ”Wozu soll das Abitur<br />

mir eigentlich nützen” verschwindet<br />

in einer diffusen<br />

Perspektivlosigkeit.<br />

3<br />

Die Schülersicht ist nicht<br />

landerziehungsheimspezifisch,<br />

sie spiegelt den allgemeinen<br />

Trend - vielleicht <strong>bei</strong> uns etwas<br />

fokussiert - und gilt im Prinzip<br />

für alle Schulen. Aber es gibt<br />

auf Seiten des Internats auch<br />

hausgemachte Verstärker für<br />

diesen Prozess der Marginalisierung<br />

der Schule:<br />

• Die Landerziehungsheime<br />

pflegen traditionell den Primat<br />

des Internats vor dem Unterricht:<br />

Kurt Hahn sah die Chance<br />

für die Charakterbildung vor<br />

allem in den außerunterrichtlichen<br />

Aktivitäten. Diese<br />

Einseitigkeit konnten Hahn<br />

und die anderen Gründer der<br />

Landerziehungsheime sich leisten,<br />

als der Unterricht eine - im<br />

Vergleich zu heute - zunächst<br />

einmal völlig unangefochtene<br />

Stellung hatte.<br />

Das Hidden Curriculum der<br />

Verwahrlosung der Unterrichtskultur<br />

hätte auch Kurt<br />

Hahn kaum fördern wollen!<br />

Und ein weiteres Argument<br />

kommt hinzu: Damals gab es<br />

keinen Numerus Clausus und<br />

keine Jugendar<strong>bei</strong>tslosigkeit im<br />

heutigen Stil.<br />

Heute können wir uns in der<br />

Oberstufe - und ich spreche im<br />

Augenblick ausschließlich von<br />

der Oberstufe - die Entwertung<br />

des Unterrichts und auch der<br />

”messbaren” Leistung schlicht<br />

nicht “leisten” - egal, ob wir<br />

das gut finden oder nicht!<br />

• Es gibt in jedem Internat<br />

neben diesen ”ideologischen”<br />

auch strukturellem Gründe, die<br />

die Abwertung des Unterrichts<br />

erheblich verstärken: das primäre<br />

Lebensthema der Jugendlichen<br />

sind die Beziehungen<br />

zu den Gleichaltrigen.<br />

Und für dessen Entfaltung<br />

bietet das Internat<br />

(mit seinen offiziellen wie<br />

inoffiziellen Aktionsfeldern)<br />

einen geradezu idealen Ort.<br />

Nicht aber der Unterricht.


Noch glauben wir, in den<br />

Landerziehungsheimen mit unseren<br />

reformpädagogischen<br />

Schwimmwesten in einem<br />

sicheren Boot zu sitzen. Ich<br />

möchte mich nicht an dem<br />

allgemeinen Ausverkauf der<br />

Reformpädagogik durch Hermann<br />

Giesecke und durch die<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

beteiligen. Im Gegenteil.<br />

Aber mich beschleicht ein<br />

schlimmer Verdacht:<br />

Möglicherweise tragen unsere<br />

Schwimmwesten gar nicht<br />

mehr. Vielleicht ist die Luft<br />

längst raus [...] Wurde vielleicht<br />

aus dem umfassenden,<br />

den ganzen Menschen betreffenden<br />

“Lernen mit Kopf,<br />

Herz und Hand” ein Prinzip<br />

des "Alles mögliche, aber<br />

nichts richtig" Wurde vielleicht<br />

mit dem Anspruch "die<br />

Schule dem Leben öffnen",<br />

dessen Unübersichtlichkeit für<br />

die Kinder nur verstärkt, nicht<br />

aber aushaltbar gemacht<br />

Wurde vielleicht das für uns so<br />

kostbare pädagogische Prinzip<br />

der "Nähe" mit Kumpanei<br />

verwechselt“<br />

Die hier für die Oberstufe von<br />

Salem beschriebenen Probleme<br />

dürften auf alle Altersstufen<br />

und alle <strong>Internate</strong> übertragbar<br />

sein. Viele Berichte belegen,<br />

dass die Schule im Internat<br />

leicht zur Nebensache wird.<br />

Insbesondere die Auswirkungen<br />

des internatstypischen<br />

„Nachtlebens“ auf die Schulleistungen<br />

sind nicht zu leugnen.<br />

Es führt zu einer Spirale<br />

von immer größeren Schlafdefiziten<br />

zu immer neuen Leistungsstörungen.<br />

Hirnforscher können eindeutig<br />

belegen, dass Schlafmangel,<br />

wie er vor allem durch die<br />

nächtlichen Aktivitäten in den<br />

<strong>Internate</strong>n entsteht (z.B. durch<br />

das gemeinsame „Aussteigen“,<br />

Besuche in den Schlafräumen<br />

des jeweils anderen Geschlechts,<br />

endlose Unterhaltungen<br />

und gegenseitige Streiche<br />

in Mehrbettzimmern, verbunden<br />

zumeist mit Alkoholkonsum<br />

oder Genuss illegaler<br />

Drogen), die geistige Leistungsfähigkeit<br />

erheblich vermindert.<br />

Die Lehrinhalte werden<br />

schon vormittags kaum<br />

wahrgenommen, denn die<br />

„Nachtschwärmer“ sitzen übermüdet<br />

und mit Restalkohol im<br />

Unterricht. Der „tote Punkt“<br />

kommt dann in der Hausaufgabenzeit<br />

am Nachmittag. Auch<br />

hier findet das „konzentrierte<br />

Lernen“ also nicht statt. Nachts<br />

wird dann wieder gefeiert,<br />

usw.... Hirnphysiologisch betrachtet,<br />

geschieht folgendes:<br />

Das frisch erworbene Wissen,<br />

wenn es denn überhaupt erworben<br />

wurde, kann infolge des<br />

Fehlens nächtlicher Tiefschlafphasen<br />

nicht aus dem „Pufferspeicher“<br />

in die Gehirnrinde<br />

geschickt werden, sondern geht<br />

wieder verloren. Das Langzeitgedächtnis<br />

fällt aus.<br />

Da kaum ersichtlich ist, was<br />

Internatsschulen eigentlich zur<br />

Leistungssteigerung ihrer Eleven<br />

konkret <strong>bei</strong>tragen, geraten<br />

sie zunehmend in Erklärungsnöte<br />

hinsichtlich der z.T. erstaunlichen<br />

Schulkarrieren ihrer<br />

Zöglinge, mit denen sich<br />

noch immer trefflich werben<br />

lässt.<br />

So meldete etwa das Landerziehungsheim<br />

Marienau unter<br />

dem Titel „Auf einmal Überflieger“<br />

(in: Welt am Sonntag<br />

v. 28.12.2003, S. 47), wie aus<br />

einem früheren Sitzenbleiber<br />

plötzlich ein hochmotivierter<br />

Leistungsträger wurde, der bereits<br />

zwei Jahre später sogar<br />

eine Klasse überspringen konnte.<br />

Verblüffende Erklärung:<br />

Die „guten Noten“ hätten<br />

„Wunder gewirkt“.<br />

4<br />

Verschwiegen wird <strong>bei</strong> solchen<br />

Wundermärchen, was passiert,<br />

wenn solche „Überflieger“ aus<br />

irgendwelchen Gründen an<br />

eine öffentliche Schule zurückkehren<br />

wollen oder müssen,<br />

z.B. weil sie des Internatslebens<br />

überdrüssig sind, sie<br />

hinausgeworfen werden oder<br />

den Eltern das Geld ausgeht.<br />

Dann nämlich entpuppt sich<br />

die angebliche Leistungsexplosion<br />

leicht als Seifenblase,<br />

die auf einer „vermeintlich<br />

humanen Korruption nachsichtiger<br />

Zensuren“ (Prof. Walter<br />

Schäfer, ehemaliger Leiter der<br />

Odenwaldschule) beruht, für<br />

die private Internatsschulen in<br />

Deutschland (und nicht nur<br />

dort) seit je her berühmt-berüchtigt<br />

sind: Gut zwei bis drei<br />

Notenschritte liegen die Bewertungen<br />

privater <strong>Internate</strong><br />

häufig oft über denjenigen vergleichbarer<br />

staatlicher Lehranstalten.<br />

Diese „menschliche“ Mogelei,<br />

hinter der sich natürlich auch<br />

massives Eigeninteresse der<br />

privaten Träger am Erhalt ihrer<br />

Einrichtungen verbirgt, scheint<br />

vor dem Hintergrund der notwendigen<br />

Durchsetzung einheitlicher<br />

Bildungsstandards<br />

zunehmend riskant zu werden<br />

– zumindest in den als „schulstreng“<br />

geltenden Bundesländern<br />

mit konservativen Regierungen.<br />

Denn die SchülerInnen,<br />

die in private Internatsschulen<br />

streben, werden immer<br />

leistungsschwächer und verhaltensschwieriger!<br />

Kaum eine der in den letzten<br />

Jahren neugegründeten privaten<br />

Internatsschulen hat daher<br />

bislang die staatliche Anerkennung<br />

geschafft. Und auch<br />

für die bereits etablierten<br />

Institute, die sich seit Jahrzehnten<br />

mit der Bezeichnung<br />

„staatlich anerkannte private<br />

Ersatzschule“ schmücken dürfen,<br />

scheinen die staatlichen<br />

Aufnahme- und Versetzungsbestimmungen<br />

zum Problem<br />

zu werden. Schon kündigte das<br />

bayrische „Landheim Schondorf<br />

am Ammersee“ die Eröffnung<br />

eines lediglich staatlich<br />

genehmigten Gymnasial-


zweigs zu Schuljahresbeginn<br />

2004/2005 an, zugänglich auch<br />

ohne die in Bayern obligatorische<br />

Aufnahmeprüfung!<br />

Geht nun - so darf man wohl<br />

mit Recht fragen - <strong>bei</strong> den <strong>Internate</strong>n<br />

der Trend zur „Schule<br />

eines minderen Rechtsstatus“,<br />

weil ihre Schülerinnen den<br />

staatlichen Aufnahmebestimmungen<br />

kaum mehr entsprechen<br />

Warum sehen Eltern im<br />

Internat noch immer die<br />

letzte Rettung <strong>bei</strong> Schulversagen<br />

Es gibt immer mehr Schulversager<br />

unter den Kindern und<br />

Jugendlichen. Diese Entwicklung<br />

steht in direktem Zusammenhang<br />

mit der Auflösung<br />

der Familienstrukturen (immer<br />

mehr chaotische „Patchwork-<br />

Familien), der Ausbreitung erzieherischen<br />

Unvermögens unter<br />

den Eltern und dem Anstieg<br />

des Drogenkonsums sowohl<br />

<strong>bei</strong> den Müttern während der<br />

Schwangerschaft als auch <strong>bei</strong><br />

den Kindern und Jugendlichen,<br />

wo<strong>bei</strong> das Einstiegsalter <strong>bei</strong><br />

Nikotin, Alkohol und Haschisch<br />

immer mehr sinkt.<br />

Cannabiskonsum z.B. vermindert<br />

die Gedächtnisleistung erheblich,<br />

führt also direkt zu<br />

Lernproblemen in der Schule.<br />

Zunehmend entgleiten Kinder<br />

und Jugendliche zudem der<br />

erzieherischen Einflussnahme<br />

von Eltern und Lehrern. Dies<br />

betrifft nicht nur das Heer von<br />

ADS- und ADHS-Kindern, die<br />

infolge von Aufmerksamkeitsstörungen<br />

übermäßigem Bewegungsdrang,<br />

Norm- und Regelschwäche,<br />

fehlender Selbstorganisation<br />

usw. kaum in den<br />

Lernprozess einer Schulklasse<br />

integrierbar sind. Auch viele<br />

Mädchen und Jungen, die nicht<br />

als „krank“ einzustufen sind,<br />

haben aufgrund erzieherischer<br />

Defizite größte Schwierigkeiten,<br />

sich in eine Klassengemeinschaft<br />

einzufügen, geschweige<br />

mit konstruktiven<br />

Beiträgen einzubringen. Immer<br />

größer wird die Zahl der notorischen<br />

Störer, der Leistungsverweigerer,<br />

Schulschwänzer<br />

usw.<br />

Sie alle sind irgendwann in der<br />

öffentlichen Schule nicht mehr<br />

tragbar, müssen ausgesondert<br />

werden, landen schließlich in<br />

<strong>Internate</strong>n, wenn alle anderen<br />

Maßnahmen versagt haben.<br />

Das Internat rückt immer mehr<br />

an das Ende der Hilfe-Kette,<br />

soll die „Dropouts“ noch auffangen,<br />

wenn Schulpsychologen,<br />

Familientherapeuten und<br />

Erziehungs<strong>bei</strong>ständen nichts<br />

anderes mehr einfällt. „Wenn<br />

nichts mehr hilft, hilf Internat!“<br />

Je größer die Not, um so<br />

stärker der Glaube an irgendwelche<br />

Wunder. Man kennt die<br />

vielen Fälle, in denen sich unheilbar<br />

Kranke irgendwelchen<br />

Scharlatanen ausliefern, nach<br />

jedem Strohhalm greifen.<br />

Die Erwartungen verzweifelter<br />

Eltern vor allem gegenüber den<br />

privaten Internatsschulen sind<br />

oft vollkommen irrational,<br />

nicht selten sogar ausgesprochen<br />

unseriös. Meistens wird<br />

man viel zu spät im Internat<br />

vorstellig, hat viel zu lange<br />

gewartet, als dass die aufgelaufenen<br />

Kenntnisdefizite noch<br />

in angemessener Zeit und mit<br />

verantwortbaren Methoden<br />

aufzuar<strong>bei</strong>ten wären.<br />

Da hilft eben nur noch „Notenkosmetik“<br />

in der oben bereits<br />

beschriebenen Form, zumal die<br />

Bereitschaft zu grundlegenden<br />

Einstellungs- und Verhaltensänderungen<br />

oft nur gering ist.<br />

Man hofft im Grunde auf Hilfe<br />

nach dem Motto: „Wasch’ mir<br />

den Pelz, aber mach’ mich<br />

nicht nass!“ – Im Klartext:<br />

„Alles soll besser werden, aber<br />

nichts soll sich ändern!“<br />

Ein weiterer Grund dafür, dass<br />

man den „Förderkonzepten“<br />

5<br />

privater Internatsschulen eher<br />

unkritisch oder mit einem gewissen<br />

Zynismus begegnet,<br />

liegt darin, dass man sich im<br />

Hinblick auf das Begabungspotenzial<br />

seines Kindes gern<br />

Selbsttäuschungen hingibt. Die<br />

Zahl von Eltern, die ihr Kind in<br />

dieser Hinsicht maßlos überschätzen<br />

und keinerlei Interesse<br />

daran haben, über die<br />

Grenzen des Erreichbaren<br />

nüchtern aufgeklärt zu werden,<br />

ist unter „Internatseltern“ besonders<br />

groß. Sie zahlen gern<br />

viel Geld dafür, dass man sie in<br />

ihrem Optimismus bestätigt<br />

und die vermeintlich verborgenen<br />

Talente ihres Kindes<br />

nach allen Regeln der Kunst<br />

entdeckt und gefördert werden.<br />

Notfalls sorgt ein Griff<br />

zum Scheckbuch dafür, dass<br />

die stets spendenhungrigen Privatinstitute<br />

auch das aus dem<br />

Kind „herauskitzeln“, was vielleicht<br />

gar nicht vorhanden ist.<br />

Wie steht es überhaupt um<br />

die Seriosität der schulischen<br />

Förderung in deutschen<br />

<strong>Internate</strong>n<br />

Kapital ist ein scheues Reh.<br />

Dies gilt nicht nur für die Börse,<br />

sondern für jeden Bereich,<br />

der von privatem Geld unterhalten<br />

wird. Insofern sind gerade<br />

Privatschulen und ganz<br />

besonders <strong>Internate</strong> mit privaten<br />

Unterrichtseinrichtungen in<br />

einer wenig beneidenswerten<br />

Lage. Die Erwartungen der<br />

Eltern hinsichtlich einer<br />

schnellen Verbesserung der<br />

Zensuren steigen proportional<br />

zur Höhe der Internatskosten.<br />

Wer viel Geld investiert, will<br />

rasch Erfolge sehen. Bleiben<br />

diese aus, wird der Internatsvertrag<br />

in der Probezeit gekündigt<br />

und man versucht es<br />

andernorts. Erst kürzlich sorgten<br />

Presseberichte über den<br />

Freitod des Bogner-Sohnes<br />

Bernhard für Einblicke in die<br />

Mentalität der Internatskund-


schaft. Der „STERN“ (Nr.<br />

42/05, S. 220 ff.) berichtete:<br />

„Die Bogners wollten nur das<br />

beste für ihren Sohn: So<br />

kommt er auf die Munich International<br />

School am Starnberger<br />

See. Mit zwölf, dreizehn<br />

geraten seine schulischen Leistungen<br />

ins Wanken. Die Eltern<br />

versuchen, die Defizite mit<br />

Schulwechseln zu lösen. Innerhalb<br />

von vier Jahren wird er<br />

auf fünf verschiedene Schulen<br />

geschickt. Im Juli 2002 findet<br />

sich Bernhard im Institut auf<br />

dem Rosenberg in St. Gallen<br />

ein. Traumblick auf Alpen und<br />

Bodensee, die Schüler speisen<br />

unter Kronleuchtern. Dann, im<br />

Januar 2004, das Lyceum Alpinum<br />

in Zuoz Es hätte für den<br />

sportiven Bogner die richtige<br />

Adresse sein können. Der<br />

nächste Skilift ist fünf Minuten<br />

entfernt. Der Schweizer Pädagoge<br />

Gerorges Fäh erinnert<br />

sich an einen freundlichen Jungen.<br />

Doch: ‚Grundsätzlich ist<br />

die Erwartungshaltung sehr<br />

hoch, besonders <strong>bei</strong> prominenten<br />

Eltern. Viele denken,<br />

mein Kind muss Abitur machen,<br />

wir sind doch wer.’<br />

Bernhard hält sich nur sieben<br />

Monate auf der Schule. Danach<br />

soll es ein Erziehungscamp in<br />

den USA richten. Im Januar<br />

2005 taucht er am nächsten,<br />

diesmal sehr kleinen Internat<br />

auf, dem Monte Rosa am<br />

Genfer See <strong>bei</strong> Montreux...“<br />

Wie sehr private Internatsschulen<br />

dem irrationalen Erwartungsdruck<br />

ihrer Kundschaft<br />

ausgeliefert sind und wie<br />

schwer es zu sein scheint, vor<br />

diesem Hintergrund seriöse<br />

Ar<strong>bei</strong>t zu leisten bzw. den Eltern<br />

eine realistische Einschätzung<br />

auch der Grenzen pädagogischer<br />

Ar<strong>bei</strong>t zu vermitteln,<br />

belegt eine Studie der Psychologen<br />

Michael Ley und Herbert<br />

Fitzek („Alltag im Wunschformat“,<br />

Bonn 2003). Dort heißt<br />

es unter anderem:<br />

6<br />

„Wo Änderungen zum Besseren<br />

ausbleiben, wird das in der<br />

Regel nicht mit eigenen Erziehungsfehlern<br />

zusammengebracht,<br />

sondern den <strong>Internate</strong>n<br />

als Versagen angekreidet. [...]<br />

Was die Eltern äußern, das sind<br />

offenbar alles andere als vernünftige<br />

Überlegungen oder<br />

Erwartungen. Statt dessen stellen<br />

wir fest, dass die Eltern den<br />

<strong>Internate</strong>n sehr wirkmächtige<br />

Einflussnahmen zutrauen. Sie<br />

haben mit Steigerungen von<br />

Lebensmöglichkeiten zu tun,<br />

die über die Begrenzungen,<br />

wie sie sich in den eigenen<br />

Familien finden, teilweise weit<br />

hinausgehen. [...] Die Eltern<br />

stellen zwar einerseits große<br />

Erwartungen an die <strong>Internate</strong><br />

und sie sind auch schnell<br />

bereit, die Einlösung dieser<br />

Erwartungen genauestens zu<br />

überprüfen, aber gleichzeitig<br />

bleibt ihr Interesse am Alltag<br />

der <strong>Internate</strong> oder an einer<br />

konkreten Begegnung mit dem<br />

Internatsleben eher gering: In<br />

vielen Fällen können sie nicht<br />

einmal den Namen der <strong>Internate</strong><br />

angeben, und vom Internatsleben<br />

ihrer Kinder wissen<br />

sie selten mehr zu berichten als<br />

das, was im Programmheft<br />

steht.<br />

[...] Obwohl es sich hier also<br />

um eine eher gefährliche Komponente<br />

in den Erwartungen an<br />

die <strong>Internate</strong> handelt, waren<br />

wir überrascht, dass die Werbung<br />

solche Erwartungen relativ<br />

ungebrochen übernimmt:<br />

Die Abbildungen in Werbeprospekten<br />

drehen sich fast<br />

ausschließlich um Hochbegabungen<br />

und Extremleistungen,<br />

während sowohl die Schwierigkeiten<br />

in den Familien als<br />

auch der Alltag in den <strong>Internate</strong>n<br />

nahezu vollständig weggeblendet<br />

werden. [...]<br />

Anhand von Werbebroschüren<br />

lässt sich [...] zeigen, dass die<br />

<strong>Internate</strong> die Erwartungen der<br />

Eltern offenbar sehr stark im<br />

Sinne dieser Drehpunkte [ „Beäugen<br />

und Wegblenden“, „Verwahren<br />

und Entfernen“, „Harmonisieren<br />

und Stillegen“;<br />

Anm. d. Verf.] aufgreifen. Das<br />

bestätigt zum einen die Ergebnisse<br />

unserer Analyse, das<br />

lässt anderseits aber auch<br />

ahnen, wie sehr das Selbstverständnis<br />

und die erzieherische<br />

Ar<strong>bei</strong>t der <strong>Internate</strong> durch die<br />

Erwartungen der Eltern eingeschränkt<br />

werden.“<br />

Natürlich gibt es unter den<br />

<strong>Internate</strong>n auch Institute, die<br />

ihrer Kundschaft nur das versprechen,<br />

was sie halten können,<br />

die klar sagen, welchen<br />

schulischen oder erzieherischen<br />

Defiziten sie gerecht<br />

werden können und welchen<br />

nicht. Doch dies nützt wenig,<br />

wenn Eltern bestehende Probleme<br />

nicht sehen können oder<br />

<strong>bei</strong> der Anmeldung bewusst<br />

verschweigen. Und sehr häufig<br />

sind die <strong>Internate</strong> selbst wohl<br />

eher bestrebt, leerstehende<br />

Plätze zu besetzen als eine<br />

strenge Bewerberauswahl nach<br />

Leistung und charakterlicher<br />

Eignung durchzuführen.<br />

Wer wirklich eine seriöse Lösung<br />

für bestehende Schulprobleme<br />

sucht, sollte eines bedenken:<br />

Die besten Fördermaßnahmen<br />

bleiben wirkungslos<br />

ohne ein erzieherisches Gesamtkonzept,<br />

das die Einstellung<br />

der SchülerInnen zum<br />

Lernen positiv verändert und<br />

Rahmenbedingungen schafft,<br />

die den Lernerfolg unterstützen.<br />

Hierzu gehören: absolute<br />

Drogenfreiheit im Internat,<br />

ausreichend lange und intensiv<br />

betreute Lernzeiten am Nachmittag,<br />

Vermeidung von Dichtestress,<br />

genügend Rückzugsmöglichkeiten<br />

(Einzelzimmer),<br />

gute Disziplin, vor allem unbedingte<br />

Einhaltung der Nachtruhe,<br />

und ein guter Kontakt<br />

zwischen Schule und Internat<br />

(Lehrern und Erziehern).<br />

U. Lange

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