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Ernährungsethik zwischen Verbraucherschizophrenie ... - ProteinMarkt

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<strong>Ernährungsethik</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>Verbraucherschizophrenie</strong> und Kundensouveränität<br />

Durch die BSE-Krise und Maul- und Klauenseuche sowie verschiedene tatsächliche oder<br />

vermeintliche Lebensmittelskandale rückte die Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren wie<br />

selten zuvor ins Rampenlicht des gesellschaftlichen Interesses. Die breite Berichterstattung in<br />

Fernsehen und Presse führte zu einem öffentlichen Meinungsklima, das ganz plötzlich der<br />

Agrarpolitik eine Schlüsselfunktion gesellschaftlicher Verantwortung zuwies. Aus dem einstigen<br />

Landwirtschaftsministerium ist in<strong>zwischen</strong> ein Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und<br />

Landwirtschaft mit erweiterten Kompetenzen und Zuständigkeiten geworden. Der Verbraucher<br />

mit seinen Rechten, Forderungen und Wünschen steht im Zentrum einer als „Agrarwende“<br />

apostrophierten Agrarpolitik. Zugleich beklagt die Landwirtschaft die Inkonsequenz des<br />

Verbraucherverhaltens: bei Meinungsäußerungen würden Aspekte des Tierschutzes, dem<br />

ökologischen Landbau und der Regionalität agrarischer Erzeugnisse hohe Präferenz eingeräumt,<br />

real sei jedoch der Preis das entscheidende Einkaufskriterium bei Lebensmitteln. Tatsächlich<br />

belegen zahlreiche Studien die Diskrepanz <strong>zwischen</strong> geäußerten Verbraucherpräferenzen<br />

einerseits und praktischem Verbraucherverhalten andererseits, wie sich exemplarisch an der<br />

Umsatzentwicklung der Lebensmitteldiscounter Aldi oder Lidl, dem stagnierenden Anteil von<br />

Öko-Produkten oder der Nachfrageentwicklung bei Eiern aus Boden- bzw. Freilandhaltung<br />

erschließen lässt. So wie von der Landwirtschaft ein besonders wirtschafts- und umweltethisches<br />

Verhalten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gefordert wird, so gilt es auch für das<br />

Verbraucherverhalten danach zu fragen, ob es seiner ethischen Verantwortung gerecht wird.<br />

Ernährungskultur im Wandel<br />

Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und die Nahrungsaufnahme unterlag seit<br />

Beginn des 20. Jahrhunderts in den Industriegesellschaften einem Wandel. Bis Ende des 19.<br />

Jahrhunderts lebte man knapp über dem Nahrungsminimum, in Hunger- und Dürreperioden<br />

sogar darunter. Der Übergang von der Agrargesellschaft zur Industrie- und<br />

Dienstleistungsgesellschaft brachte für die Bevölkerung andere Arbeitswelten und neue<br />

Ernährungsgewohnheiten mit sich. Durch die Verschiebung von schweren körperlichen Arbeiten<br />

hin zu bewegungsärmeren Tätigkeiten gab es auch erhebliche Veränderungen bei der<br />

Zusammensetzung des Speiseplans: von überwiegend pflanzlicher, wenig verarbeiteter<br />

kohlenhydrat- und ballaststoffreicher Nahrung hin zu energiedichter, hohe tierische Anteile<br />

enthaltende, stark verarbeitete, fette und ballaststoffarme Kost. (siehe Abbildung 1)<br />

Abbildung 1<br />

Die wichtigsten Änderungen des Lebensmittelverbrauchs in Deutschland seit der Industrialisierung<br />

In den letzten 200 Jahren ist der Verbrauch folgender Produkte bzw. Inhaltsstoffe wesentlich gesunken:<br />

- Getreide auf unter 30% des früheren Getreideverbrauchs<br />

- Hochausgemahlene Mehle von fast ausschließlichem Anteil auf unter 20% des Getreideverbrauchs<br />

- Ballaststoffe auf unter 25% des früheren Ballaststoffverbrauchs<br />

- Kohlenhydrate von fast 80% auf etwa 45% der Gesamtenergiezufuhr<br />

In den letzten 200 Jahren ist der Verbrauch folgender Produkte bzw. Inhaltsstoffe wesentlich gestiegen:<br />

- Niedrigausgemahlene Mehle von geringem Anteil auf über 80% des Getreideverbrauchs (auf 18% der<br />

Gesamtenergiezufuhr)<br />

- Isolierte Zucker von geringer Menge auf etwa 110 g pro Person und Tag (auf etwa 11% der<br />

Gesamtenergiezufuhr)<br />

- Fett von unter 10% auf etwa 36% der Gesamtenergiezufuhr<br />

- Energie tierischer Herkunft von geringem Anteil auf etwa 45% der Gesamtenergiezufuhr<br />

- Protein tierischer Herkunft von unter 20% auf über 65% der Gesamtproteinzufuhr<br />

- Alkohol auf etwa 5% der Gesamtenergiezufuhr<br />

- Ballaststofffreie Lebensmittel auf das fünffache


Die ernährungsbedingten Krankheiten als Mangelkrankheiten früherer Zeit werden heute durch<br />

die „Zivilisationskrankheiten“ des Überflusses ersetzt: Übergewicht, Diabetes mellitus,<br />

Bluthochdruck, Arteriosklerose und Gicht werden in allen epidemiologischen Ernährungsstudien<br />

immer in Zusammenhang mit falscher und übermäßiger Ernährung genannt. Nicht von ungefähr<br />

konstatiert der jährlich erscheinende Bericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE),<br />

dass die deutsche Bevölkerung sich einseitig ernährt: nämlich zu viel, zu fett, zu salzig und zu<br />

süß isst. Folglich entfallen in Deutschland etwa ein Drittel der Kosten des Gesundheitswesens<br />

auf die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten.<br />

Soziologisch können unterschiedliche sozial-demografische Faktoren wie die Veränderung der<br />

Familien- und Haushaltsstruktur sowie der Erwerbsstruktur für den grundlegenden Wandel der<br />

Ernährungsgewohnheiten angeführt werden. Die Dominanz der Erwerbstätigkeit und die<br />

Bedeutungszunahme des Freizeitverhaltens führen dazu, dass man immer weniger Zeit zum<br />

aufwändigen Einkaufen und Kochen hat bzw. sich nimmt. Das Alltagskochen wird im Gegenteil<br />

zum zeremoniellen Wochenendkochen als Belastung empfunden. Zugleich gibt es immer mehr<br />

Ein- und Zwei-Personen-Haushalte (bald zwei Drittel der Gesellschaft) und die Bedeutung der<br />

Außer-Haus-Verpflegung durch Kantinen, Fastfood oder Gaststätten nimmt zu. Selbst innerhalb<br />

der Familie wird die gemeinsame Mahlzeit zunehmend zur Seltenheit, da <strong>zwischen</strong><br />

Pflichtterminen und Freizeitaktivitäten durch Mikrowelle, „Fünf-Minuten-Terrine“ oder „Snacks“<br />

der Hunger gestillt wird. Auch das Wissen um die Zubereitung der Ernährung, der Umgang mit<br />

frischen Lebensmitteln geht verloren. So gibt es nicht wenige Haushalte, in denen man mit<br />

einem Blumenkohl und einem rohen Stück Bratenfleisch gar nichts mehr anzufangen vermag,<br />

teils weil die Kenntnis fehlt, teils weil die Kenntnis aufgrund der Außer-Haus-Verpflegung oder<br />

industrieller Convenience-Produkte gar nicht mehr erforderlich ist.<br />

Rationalisierung der Ernährung<br />

Die heutige Ernährung steht unter einem extremen Rationalisierungsdruck im Alltag. Die reine<br />

Ernährungsfunktion von Lebensmitteln reicht dem Verbraucher in einer schnelllebiger<br />

gewordenen Gesellschaft immer weniger aus. Die Lebensmittel müssen durch ergänzende Sach-<br />

und Dienstleistungen einen Zusatznutzen erfüllen – Anforderungen, die von der<br />

Ernährungsindustrie gerne angeboten werden. Die Rationalisierung der Ernährung ist daher<br />

unmittelbar mit der Rationalisierung des Einkaufens, bei der Haushaltsführung und der<br />

Lebensmittelzubereitung gekoppelt. Konkret heißt das: das Einkaufen wird zeitsparend<br />

organisiert – einmal wöchentlich, alles unter einem Dach, im Supermarkt-Discounter. Das erste<br />

Dilemma einer <strong>Ernährungsethik</strong> offenbart sich bereits beim Einkaufen: einerseits wird der Verlust<br />

von Einkaufsmöglichkeiten vor Ort um die Ecke beklagt, andererseits ist es der Verbraucher, der<br />

den großen Discountern und Einkaufszentren den Weg des Wachstums bereitet und den<br />

sogenannten „Tante-Emma-Läden“ den Todesstoß versetzt hat. Damit wird das Einkaufen<br />

anonymer Warenströme begünstigt, welche die Transparenz des Produktionsverfahrens und der<br />

regionalen Herkunft außer Acht lässt. Auch der Umgang mit Lebensmitteln ist rationellen<br />

Erfordernissen unterworfen: sie müssen handlich, praktisch, leicht transportabel und möglichst<br />

transparent (Klarsichtfolie) zwecks schnellem Warenbegutachten verpackt sein. Lebensmittel<br />

sollen möglichst lange haltbar und in einer nach Haushaltsgröße konsum-gerechten Weise<br />

lagerfähig sein, um die häusliche Vorratshaltung entsprechend flexibel gestalten zu können<br />

(Konserve, Gefriertruhe). Die Waren müssen schließlich konsumfertig sein, um zeitraubende und<br />

arbeitsaufwändige Zubereitung aus Waschen, Schälen, Kochen, Würzen, Abschmecken,<br />

Portionieren, etc. zu reduzieren. Resultat sind Lebensmittel-Fertigerzeugnisse wie bratfertiges<br />

Fleisch, kochfertiges Gemüse, löffelfertige Desserts, trinkfertige Milchmix-Getränke, die zwar<br />

landwirtschaftlichen Ursprungs sind, ihre Endgestaltung jedoch industriellen Verarbeitungs-,<br />

Konservierungs- und Verpackungsverfahren verdanken.


In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft reduziert sich die gemeinsame Mahlzeit auf<br />

Festtage (Familienfeiern) oder gesellschaftliche Erfordernisse (Arbeitsessen). Im Alltag dominiert<br />

die rationalisierte, zeitsparende Ernährung: schnell und wenig arbeitsaufwändig – eben durch<br />

Fertiggerichte oder sogenanntes „Fast- und Finger-Food“. Das Innehalten, Ge- und Bedenken<br />

des Wertes von Lebensmitteln, unserem „täglich Brot“ zur Stärkung von Leib, Geist und Seele<br />

tritt in den Hintergrund. Der Bedeutungsverlust des gemeinsamen Tischgebets ist deutlicher<br />

Ausdruck hiervon.<br />

Veredelung der Agrarerzeugnisse<br />

Anders als früher ist heute nicht mehr die mengenmäßige Sicherstellung der Ernährung ein<br />

Problem, so dass bei physiologischer Sättigung der Bevölkerung neue Qualitätskriterien wie<br />

diversifizierte Geschmackskomponenten und Zubereitungsarten, Lagerfähigkeit, Haltbarkeit und<br />

Gesundheitsfreundlichkeit in den Vordergrund treten. So ist die Kartoffel im Urzustand als<br />

Rohprodukt wenig wert im Gegensatz zu den „verfeinerten“ Kartoffelerzeugnissen, seien es<br />

Rösti, Pommes Frites, Klöße, Puffer, Pürrée oder Chips. Aus der von der Landwirtschaft<br />

erzeugten Rohmilch, entstehen erst „industriell veredelt“ Jogurt, Quark, Buttermilch,<br />

Sahnedesserts in verschiedenen Fettstufen, Geschmacksvariationen, mit Mineralien- und<br />

Vitaminzusätzen. Die Landwirtschaft ist damit nur noch ein Glied einer langen<br />

Verarbeitungskette, deren Wünschen und Erfordernissen sie sich unterwerfen muss.<br />

Eine neue Einkaufsethik muss ein bewusstes und damit auch geplanteres Einkaufen beinhalten.<br />

Landwirte, die Umwelt- und Tierschutzaspekte bei der Erzeugung berücksichtigen wollen, sind<br />

darauf angewiesen, dass der Verbraucher in seinem Verhalten eine verlässliche Größe darstellt.<br />

Multioptionales Verbraucherverhalten<br />

So vielfältig, hoch differenziert und spezialisiert unsere gesamten Lebensvollzüge in der<br />

arbeitsteiligen modernen Gesellschaft geworden sind, so hoch differenziert zeigt sich auch das<br />

Ernährungsverhalten des Verbrauchers: alles ist grundsätzlich möglich, weswegen man auch von<br />

multioptionalem Ernährungsverhalten sprechen kann (siehe Abbildung 2, Ernährungstrends).<br />

Historisch liegt dies in unterschiedlichen Trends, die sich nach dem zweiten Weltkrieg parallel<br />

zur gesellschaftlichen Entwicklung herausgebildet haben:<br />

� In den 50er Jahren stand infolge der nachkriegsbedingten Erfahrungen des „Sichbescheiden-müssens“<br />

das „Satt-essen“ im Vordergrund.<br />

� In den 60er Jahren wurde das „Gut-essen“ zum festen Bestandteil des<br />

Wirtschaftswachstums: fetthaltige Kost gehörte zur Dokumentation von Lebensqualität –<br />

Buttercremetorten, fettes Fleisch, Mayonnaisen, etc., so dass Übergewicht sogar zu einem<br />

Statussymbol des „Otto Normalverbraucher“ wurde.<br />

� In den 70er Jahren unterlag die mengenbezogene Ausrichtung der Ernährung einer Umkehr<br />

hin zur qualitativen Betonung: dem „Fein-essen“ wurde mehr Bedeutung beigemessen,<br />

wobei erstmals Ernährung auch als Event praktiziert wurde (z.B. Fondue)<br />

� Über das „Edel-essen“ in den 80er Jahren erwuchs die Ernährung zu einer Frage des<br />

gepflegten Lebensstils, in dem man sich in Habitus, Ausdruck und Kompetenz gegenüber<br />

anderen Schichten abgrenzen konnte. Zeitgleich setzte die „grüne Bewegung“ auch<br />

innerhalb der Ernährung entsprechende Akzente: Vollwert- und Biokost, welche als<br />

„Müslikultur“ ebenfalls als Ausdruck eines besonderen Lebensstils gepflegt wurde.<br />

� Die 90er Jahre waren gekennzeichnet von „Edel-und-schlicht essen“, wobei ein Kontrast<br />

<strong>zwischen</strong> der edlen Ernährung mit der schlichten klassischen Kost verbunden wurde: so<br />

kamen traditionelle Rezepte aus Großmutter’s Küche und original bäuerliche Kost verfeinert<br />

mit der Edelgastronomie zusammen. Zugleich kündigte sich die Globalisierung an in der<br />

Internationalisierung der Ernährung – italienische Pasta, griechisches Gyros, türkischer<br />

Kebab, japanisches Sushi sowie chinesische und mexikanische, koreanische oder<br />

thailändische Küche. Der kalifornische Chardonnay tritt in Konkurrenz zum Mosel-Riesling<br />

oder württembergischen Trollinger, das argentinische Steak verdrängt den schwäbischen<br />

Rostbraten.


� In<strong>zwischen</strong> zeigt sich eine vielschichtige Verbrauchertypologie, die innerhalb des einzelnen<br />

Verbrauchers ein unterschiedliches und sogar widersprüchliches Ernährungsverhalten<br />

erkennen lässt: heute Bio, morgen Aldi, tags darauf Fertiggericht, <strong>zwischen</strong>durch<br />

Edelgastronomie und Imbiss und immer wieder auch mal ganz urig-rustikal Hausmannskost<br />

– eben multi-optionales Verbraucherverhalten, das <strong>zwischen</strong> unterschiedlichen Einkaufs- und<br />

Ernährungsformen hin und her pendelt, wie es gerade situativ oder zeitlich im jeweiligen<br />

Lebensabschnitt, Wochen- oder Tageszyklus adäquat erscheint.<br />

Abbildung 2: Ernährungstrends – kurz erklärt<br />

Convenience: bezeichnet Lebensmittel, die weitgehend zubereitet sind. Dazu zählen Trocken- und Nassfertiggerichte<br />

sowie Tiefkühlkost.<br />

Ethnic-Food: sind Lebensmittel, die nach Rezepturen aus fremden Kulturkreisen zubereitet wurden. Rezepte aus<br />

Mexiko, China, Japan und dem Mittelmeerraum sind in Deutschland besonders beliebt. Geschätzt werden vor allem<br />

die oft scharfen Gewürze der Speisen. Als Gegentrend gilt die Besinnung auf die traditionelle Regionalküche.<br />

Fastfood: darunter versteht man Speisen in Schnellrestaurants, an Imbissbuden und Ständen, die ohne großen<br />

Zeitaufwand verzehrt werden können. Das Sortiment reicht von der klassischen Currywurst und dem Hamburger über<br />

Pizzen, Kartoffelpuffer, Döner Kebab, Croissants bis hin zu Eintöpfen.<br />

Junk Food: damit werden Speisen bezeichnet, die ernährungsphysiologisch keinen hohen Wert haben, aber den<br />

Magen rasch füllen, z.B. Pommes frites.<br />

Novel-Food: sind hochpreisliche Lebensmittel, mit neuartigen Inhaltsstoffen, Eigenschaften und<br />

Produktionsverfahren, darunter fallen auch gen- oder biotechnisch veränderte Lebensmittel.<br />

Premium-Food: sind Lebensmittel, die im Supermarkt fertig vorbereitet in Regalen liegen, sich scheinbar durch<br />

besonders hohe Qualität auszeichnen (z.B. Pfifferlingcremesuppen, Fertigpasteten oder tiefgefrorene Scampi als<br />

Fertiggerichte für Gourmets.)<br />

Probiotisch: („Lebensstiftend“) gilt als Werbeetikett von Milchprodukten. Im Mittelpunkt steht der Lactobacillus, ein<br />

Bakterium welches die Verdauung von Milchprodukten unterstützt. Durch dessen Anreicherung soll die Verdauung<br />

verbessert werden.<br />

Functional-Food: sind Lebensmittel, denen chemisch hergestellte Vitamine und Mineralstoffpräparate zugesetzt<br />

sind, um spezifische Gesundheitsfunktionen im menschlichen Organismus zu fördern. (z.B. Orangensaft mit Calcium-<br />

Zusatz).<br />

Ernährung und Risikoeinschätzung<br />

So vielfältig unser heutiges Ernährungsverhalten ist, so widersprüchlich zeigt es sich. Man<br />

pendelt <strong>zwischen</strong> preis- und qualitätsbewusstem Einkauf, <strong>zwischen</strong> anonymer Weltmarktware<br />

und Regionalerzeugnissen, <strong>zwischen</strong> billiger Massenstandardware und Premium-Produkten. Die<br />

Inkonsequenz des Ernährungsverhaltens spiegelt sich in der Wahrnehmung und Einschätzung<br />

von Ernährungsrisiken. Die Aufregung infolge tatsächlicher oder vermeintlicher<br />

Lebensmittelskandale ist jedes Mal groß, verschwindet jedoch dann genau so schnell wie sie<br />

entstanden ist. Besonders prägnant konnte dies infolge der BSE-Krise verfolgt werden. Die<br />

Verbraucher reagierten sofort und unerbittlich, die Nachfrage nach Rindfleisch brach zusammen,<br />

man wusste nicht mehr wohin mit den tausenden von Rinderhälften. Selbst verzehren wollte<br />

man sie nicht aus gesundheitlichen Bedenken, vernichten wollte man sie auch nicht aus<br />

ethischen Bedenken (Tierschutz und Welthunger), die eigene Verantwortung als Verbraucher<br />

wurde damit abgeschoben. Stattdessen explodierte die Nachfrage nach Geflügel aus<br />

Massentierhaltung. Die ethischen Bedenken, welche beim Rind zu leidenschaftlich debattiert<br />

wurden, schienen wie weggeblasen. Ein Paradebeispiel für Risikowahrnehmung und individuelles<br />

Risikoverhalten in schizophrener Weise. Die modernen Zivilisationsrisiken Rauchen, Alkohol,<br />

Medikamentenmissbrauch, falsche und einseitige Ernährung, Stressbelastung, Verkehr oder<br />

Extremsportarten werden als alltägliche Begleiterscheinungen akzeptiert, um im Einzelfall eine<br />

Risikobetroffenheit, wie z.B. bei BSE, um so dramatischer ausleben zu können. In ähnlicher<br />

Weise ist unser gesamtes Ernährungsverhalten berührt: man möchte seine<br />

Verzehrgewohnheiten so wenig wie möglich ändern, gleichzeitig aber die Gesundheitsrisiken<br />

reduzieren. Die Tür für „functional food“ aus industrieller Fertigung wird damit geöffnet.


<strong>Ernährungsethik</strong> konkret: mehr Souveränität als König Kunde<br />

Käse aus Italien, Äpfel aus Neuseeland, Spargel aus Griechenland – von den gekauften<br />

Lebensmitteln stammt heute der Großteil gar nicht mehr aus der eigenen Region, sondern aus<br />

dem Ausland oder sogar aus Übersee. Das ist einerseits eine schöne Ergänzung und<br />

Abwechslung auf dem Speiseplan, andererseits jedoch auch mit langen Transportwegen<br />

verbunden. Dies bedeutet mehr Verkehr, mehr Abgase, Lärm und Energieverbrauch, Belastung<br />

für Mensch und Natur. Zugleich gehen durch lange Transportwege Qualität und Inhaltsstoffe<br />

von Gemüse und Obst verloren, die Fleischqualität verschlechtert sich durch lange<br />

Viehtransporte und das Leiden der lebenden Tiere wird erhöht. Saisonfrüchte aus der Region<br />

weisen eine geringere Belastung an Schadstoffen auf, weil sie nicht bestrahlt oder haltbar<br />

gemacht werden und die kurzen Entfernungen vom Erzeuger direkt zum Verbraucher<br />

garantieren nachvollziehbare Herkunft und Frische – eben gesunde und hochwertige<br />

Lebensmittel. Zugleich wird damit ein Beitrag zum Erhalt der heimischen Kulturlandschaft<br />

geleistet, denn nur durch eine naturverträgliche landwirtschaftliche Nutzung können<br />

Lebensräume erhalten und geschaffen werden, auf die viele Tier- und Pflanzenarten angewiesen<br />

sind. Je mehr Lebensmittel verarbeitet werden und über längere Strecken transportiert werden,<br />

um so mehr und aufwändiger wird das Verpackungsmaterial. Regionaler und saisonaler Einkauf<br />

heißt daher auch Vermeidung von überflüssigem Plastik, Folien, Körben und sonstigen<br />

Transportmaterialien.<br />

Solches Wissen um die Folgewirkungen des eigenen Einkaufs- und Ernährungsstils ist der erste<br />

Schritt zu einer praktischen <strong>Ernährungsethik</strong>. Das muss nicht in missionarischen Eifer ausarten,<br />

aber doch die Bereitschaft zur Einsicht beinhalten. Einsicht bedeutet zugleich Weitsicht im<br />

Hinblick auf die Konsequenzen des eigenen Verhaltens, bedeutet aber auch Vorsicht im Wissen<br />

um die Risiken, die das eigene Verhalten nicht nur für die eigene Gesundheit, sondern auch für<br />

Landwirtschaft, Tiere und Umwelt bedeutet und nicht zuletzt auch Rücksicht in Solidarität, die<br />

die eigene unmittelbare Vorteilhaftigkeit des Verbraucherverhaltens in Beziehung zu anderen<br />

Betroffenen setzt. Ohne solche Einsicht wird der vom Schnäppchenfieber befallene Verbraucher,<br />

der bedenkenlos und „Geiz-geil“ nur konsumiert, also Waren verbraucht, nicht gesunden.<br />

Einsicht in die eigene Verantwortung des Ernährungs- und Einkaufsverhaltens lässt aus einem<br />

Verbraucher wieder die Gattung des Kunden entstehen, der um die Folgen des<br />

Verbraucherverhaltens Bescheid weiß, eben „kundig“ ist. Er wird zum wahren Souverän über das<br />

Marktgeschehen, weil er bewusst aus dem Angebot auswählt. Er ist Kunde König, dessen<br />

Wünsche sowohl Landwirtschaft, Ernährungsindustrie und Lebensmitteleinzelhandel Folge<br />

leisten. Unter solchen neuen Voraussetzungen wird dann auch der Anteil, der heute vom<br />

durchschnittlichen Haushalt in Deutschland für Lebensmittel ausgegeben wird, von 12.3%<br />

wieder ansteigen, um die wahre Preis-Wertigkeit unserer Mittel zum Leben anzuerkennen.


Die Wertigkeit von Lebensmitteln – Kleine Begriffserklärung<br />

Der Genusswert eines Lebensmittels umfasst die Eigenschaften, die man beim Verzehr mit seinen Sinnen<br />

wahrnimmt, also Aussehen, Geruch, Geschmack, Konsistenz und Temperatur.<br />

Der Gesundheitswert wird auch als ernährungsphysiologische Qualität bezeichnet. Maßstab sind die wertgebenden<br />

Inhaltsstoffe (Vitamine, Mineralstoffe, gesundheitsfördernde Nährstoffe wie Ballaststoffe und sekundäre<br />

Pflanzenstoffe, die Hauptnährstoffe Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate sowie der Energiegehalt) und wertmindernde<br />

Inhaltsstoffe (Fremd- und Schadstoffe wie Rückstände von Medikamenten und Pflanzenschutzmitteln sowie<br />

pathogene Keime).<br />

Gesundheitswert und Genusswert werden in der Regel durch chemische, physikalische und mikrobiologische<br />

Methoden erfasst. Dabei sind nicht enthalten Messverfahren zur Qualitätsbestimmung von Lebensmitteln im Hinblick<br />

auf ihre Auswirkung auf Umwelt, soziale Gegebenheiten oder auch internationale Verantwortung.<br />

Der psychologische Wert eines Lebensmittels beruht auf der individuellen Beurteilung, ob man Freude empfindet<br />

oder nicht.<br />

Der soziokulturelle Wert von Lebensmitteln erfolgt nicht nach dem persönlichen Lustprinzip, sondern aufgrund<br />

gesellschaftlicher Normen und Werte. Lebensmittel können ein bestimmtes Prestige einnehmen, (z.B. Kaviar,<br />

Champagner, heimische Erzeugnisse aus bäuerlicher Herstellung) oder auch mit Tabus belegt sein (z.B.<br />

Hormonfleisch, tierische Lebensmittel bei Veganern)<br />

Der ökologische Wert von Lebensmitteln wird gemessen am Verbrauch von Energie, Rohstoffen und Wasser, am<br />

Aufwand von Verpackungen, deren Entsorgung sowie an der Menge der Schadstoffemissionen, die bei der<br />

Lebensmittelerzeugung und beim Transport anfallen.<br />

Der ökonomische Wert ist der Marktwert des Lebensmittels aus der Sicht von Erzeugung, Verarbeitung und Handel.<br />

Er wird unter anderem gemessen an Ertrag, Haltbarkeit, Verarbeitungseigenschaften, Transportfähigkeit und nicht<br />

zuletzt am Preis, die die einzelnen Gruppen jeweils erzielen.<br />

Der politische Wert setzt sich aus vielfältigen Aspekten zusammen, welche eine ganzheitliche Erfassung von<br />

Lebensmittelqualität beinhaltet. Import und Export von Lebens- und Futtermitteln (unsere Ernährung und Beziehung<br />

zur Dritten Welt, Vernichtung von Lebensmitteln und gesellschaftlichen Dienstleistungsfunktionen).<br />

Der Eignungswert oder Gebrauchswert bezeichnet die Eignung eines Lebensmittels hinsichtlich der<br />

Verwendungsmöglichkeiten (z.B. Haltbarkeit, Preis- und Zeitaufwand für Einkauf, Zubereitung und Verzehr).<br />

Dr. Clemens Dirscherl ist Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg e.V.<br />

und Ratsbeauftragter der EKD für Landwirtschaft, Ernährung und ländlichen Raum<br />

Dr. Clemens Dirscherl<br />

c/o Evangelisches Bauernwerk in Württemberg<br />

74638 Waldenburg-Hohebuch<br />

� 07942/107-70, Fax: 07942/107-77<br />

E-Mail: C.Dirscherl@ebw.imosnet.de

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