Journal 01 2014.pdf - Weissensee
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<strong>Weissensee</strong> Reportage<br />
Gesundheit aus der Wildnis<br />
Wildlebende Tiere kennen die unterschiedlichsten Wege um gesund zu bleiben, bei Krankheiten zu werden<br />
und Verletzungen zu heilen. Urvölker haben es weltweit den Tieren abgeschaut, und das was man<br />
heute als Alternativmedizin bezeichnet, ist weitgehend das Resultat daraus.<br />
Text: Hans Peter Sorger<br />
Als ich Mitte der siebziger<br />
Jahre gemeinsam<br />
mit Werner Fend,<br />
Tierfilmer, Buchautor und Tigerspezialist,<br />
geraume Zeit in<br />
Berg-Dschungelgebieten Indiens<br />
verbrachte, fiel mir auf, dass<br />
Mahouts (Arbeits-Elefantenführer,<br />
zumeist auch Besitzer),<br />
mit kränkelnden Tieren in den<br />
Dschungel wanderten. Informationen<br />
zufolge tun sie das, um<br />
ihren Elefanten die Möglichkeit<br />
zu geben, jene Pflanzen und<br />
Gräser zu fressen, welche ihren<br />
Gesundheitszustand positiv beeinflussen.<br />
Tiger sind Carnivoren,<br />
also Fleischfresser, fressen<br />
aber - bei Befall mit Darmparasiten<br />
– abführende Früchte,<br />
wie die süße, dattelähnliche Ziziphus<br />
jujuba oder die goldenen<br />
Beeren der Bergmyrte (Careya<br />
arborea).<br />
Schakale und Wildhunde fressen<br />
aus denselben Gründen die<br />
gleichen Früchte, und nicht zuletzt<br />
verzehren die Einheimischen<br />
bei Verstopfung dasselbe<br />
Angebot. Ebenso, wie in diesem<br />
Land, beobachtete ich im<br />
kanadischen Yukon Säugetiere,<br />
vor allem Grizzleys, wie sie<br />
sich bei Verletzungen mit streng<br />
riechendem Harz einrieben.<br />
Die antiseptische Wirkung von<br />
Harz ist heute hinlänglich bekannt,<br />
dass es aber den Insekten<br />
den Anflug verleidet weniger.<br />
Mahouts mit ihren Elefanten<br />
im Dschungel<br />
© King‘s Cup<br />
Die Rote Waldameise<br />
Beim Langzeitstudium unserer<br />
heimischen Roten Waldameise<br />
Formica rufa, konnte ich bei<br />
ihren Burgen feststellen, dass<br />
sie hunderte 4 bis 6 mm große<br />
Harzstückchen darauf verteilen.<br />
Arbeiterinnen auf der Futtersuche<br />
und Soldaten zum Schutz<br />
legen große Strecken rund um<br />
die Burg zurück. Bakterien und<br />
Keime sammeln sich auf ihren<br />
Beinchen, zwangsläufig aber<br />
krabbeln sie mehrmals über das<br />
Harz und desinfizieren sich, ehe<br />
sie sich in den Bau begeben. Andererseits<br />
nutzen Rabenvögel,<br />
aber auch Raufußhühner die<br />
von Ameisen zur Verteidigung<br />
abgegebene Ameisensäure, in<br />
dem sie auf der höchsten Burgerhebung<br />
ein Bad nehmen. Lästige<br />
Gefieder-Parasiten fallen<br />
zum Großteil ab und bescheren<br />
den Vögeln ein besseres Lebensgefühl.<br />
Weltweit sind Bienen-<br />
Züchter auf die medizinischen<br />
Eigenschaften von Ameisensäure<br />
aufmerksam geworden, um<br />
den Befall von Parasiten, vor allem<br />
der Varroa- und Tracheenmilben<br />
in den Griff zu bekommen.<br />
Zusätzlich geben Ameisen<br />
eine ganze Reihe von anderen<br />
komplexen Substanzen ab, wie<br />
Auxine und beta-Hydroxylfettsäuren,<br />
die effizient Bakterien<br />
und Pilze abtöten.<br />
Bei Dünnpfiff<br />
Brombeerblättertee<br />
Als Kind und Jugendlicher hielt<br />
ich sechs griechische Landschildkröten<br />
in unserem Garten.<br />
In bestimmten Abständen,<br />
aber beinahe zeitgleich konnte<br />
man ihnen zusehen, wie sie<br />
an der Hausmauer knabberten.<br />
Erst Jahre später bekam ich dafür<br />
die Erklärung. Landschildkröten<br />
brauchen Calcium, um<br />
Grizzlys lehren ihren Jungen die Medizin der Wildnis<br />
ihren Panzer hart zu halten, und<br />
das fanden sie im Verputz. Ähnlich<br />
verhalten sich Kleinkinder<br />
bei Kalkmangel während der<br />
Zahn-Wachstumszeit. Aufgewachsen<br />
mit Hunden und heute<br />
immer noch Hundehalter entging<br />
mir nicht, dass unsere besten<br />
Freunde nicht immer das<br />
gleiche Gras fraßen. Grasfressen<br />
ist völlig normal. Im Magen umwickeln<br />
die Halme spitze Knochenteile,<br />
die dann, ohne den<br />
Darm zu verletzen den Verdauungstrakt<br />
verlassen. Verschlucken<br />
sie bei der Körperpflege<br />
Haare, fressen sie ebenfalls Gras,<br />
welches mit den Haaren herausgewürgt<br />
wird. Unter Darmparasiten<br />
leidende Hunde selektieren<br />
und fressen vermehrt die<br />
Kriech-Quecke, Elymus repens,<br />
eine nahezu weltweit verbreitete<br />
Pflanze, welche regulierend<br />
wirkt. Leidet ein Hund unter<br />
Durchfall, zieht es ihn hin zum<br />
Brombeerstrauch Rubus fruticosus<br />
und verzehrt dessen Blätter.<br />
Selbst Schalenwild konsumiert<br />
bei Dünnpfiff dieses Gerbstoff<br />
hältige Laubwerk. Wir Menschen<br />
trinken dagegen - den<br />
Tieren abgekupfert - Brombeerblättertee!<br />
Bärenmedizin<br />
Während meines zweijährigen<br />
Aufenthalts im kanadischen<br />
Yukon lehrte mich mein indianischer<br />
Freund Tom Saskat,<br />
Häuptling und Schamane der<br />
Tsimshian Natives, die Heilkraft<br />
der Canadian Süßholz-Wurzel<br />
Ligusticum canadense. Sie<br />
wirkt entzündungshemmend<br />
und schmerzstillend. Die Natives<br />
nannten es schlichtweg<br />
„Bärenmedizin“, denn sie hatten<br />
es diesen Tieren schon vor<br />
Urzeiten abgeschaut. Wie aber,<br />
stellt sich hier die Frage, konnte<br />
man wissen, wogegen Bären<br />
diese Wurzeln ausgruben. Die<br />
Beobachtungen resultierten aus<br />
dem Verhalten verletzter Tiere.<br />
Das Apocynum androsaemifolium,<br />
eine zu der Hundsgift-<br />
Familie gehörende Pflanzenart,<br />
zählt heute noch zur obersten<br />
„Bärenmedizin“ vieler indigener<br />
Stämme. Es wirkt gegen Herzbeschwerden,<br />
ist ein hochwirksames<br />
Sedativ und wird heute<br />
noch gegen Hypertonie (Blut-<br />
© Hans Peter Sorger<br />
20 powerd by<br />
<strong>Weissensee</strong> <strong>Journal</strong> <strong>01</strong>/2<strong>01</strong>4