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HIGH NOON # 14 Die elektronische Wandzeitung des Tanzquartier ...

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<strong>HIGH</strong> <strong>NOON</strong> # <strong>14</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>elektronische</strong> <strong>Wandzeitung</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Tanzquartier</strong> Wien<br />

In High Noon reflektieren KünstlerInnen über<br />

KünstlerInnen und deren Performances im<br />

<strong>Tanzquartier</strong> Wien. Wir laden KünstlerInnen<br />

verschiedener Sparten ein, sich mit den<br />

wöchentlichen Premieren im <strong>Tanzquartier</strong> Wien<br />

auseinander zu setzen. Um die Mittagszeit am<br />

darauffolgenden Tag wird diese Annäherung auf<br />

<strong>elektronische</strong>m Weg veröffentlicht. <strong>Die</strong>se Woche<br />

beschäftigt sich die Performerin Barbara Kraus mit<br />

der österreichischen Erstaufführung Magyar<br />

Tàncok (2006) von Eszter Salamon (H/F).<br />

<strong>Die</strong>se Produktion ist im TQW noch bis Samstag,<br />

04. März zu sehen.<br />

Wir hoffen, mit unserer <strong>elektronische</strong>n<br />

<strong>Wandzeitung</strong> eine fruchtbare Basis für<br />

Diskussionen zu schaffen und freuen uns über<br />

Leserbriefe an highnoon@tqw.at.<br />

Barbara Kraus<br />

Unified fiction of identity or what the fuck means „svalamazonkrancs“<br />

In Undine geht schreibt Ingeborg Bachmann Ich habe keine Kinder von euch, weil ich keine Fragen<br />

gekannt habe, keine Forderung, keine Vorsicht, Absicht, keine Zukunft und nicht wußte wie man<br />

Platz nimmt in einem anderen Leben. Und beginnen tut dieser Text mit Ihr Menschen! Ihr<br />

Ungeheuer! Ihr Ungeheuer mit Namen Hans. Mit diesem Namen, den ich nie vergessen kann.<br />

Eszter Salamon hat viele Fragen. Wichtige Fragen. Und sie wundert sich zu Recht darüber, wieso sie<br />

bei ihrer Recherche über die Tradition ungarischer Volkstänze, die zugleich eine Auseinandersetzung<br />

mit dem kulturellen Erbe ihrer Familie und ihrer Geschichte damit ist, nicht eine einzige Person<br />

getroffen hat, dem/der auffiel, dass in diesem Tanz die Rollen unterschiedlich verteilt sind.<br />

<strong>Die</strong> Frauen, die nicht wissen (dürfen) wie man(n) Platz nimmt in einem anderen Leben, weil sie<br />

zuallererst nicht wissen dürfen, wie diese Platznahme im eigenen Leben aussehen könnte und dürfte.<br />

Weil z.B. in Paartänzen ihre einzige Funktion darin besteht Stütze zu sein für Hans (falls sie gerade<br />

mit ihm tanzt und er keinen Stock hat, auf den er sich stützen kann). Eszter gefiel das nicht, obwohl<br />

ihr im Vergleich zu ihrer zeitgleich stattfindenden Ballettausbildung, die Atmosphäre in den Häusern,<br />

wo die traditionellen Volkstänze gelehrt wurden, mehr Spaß machte. I liked the social exchange and<br />

encounters that went along with them...I liked the physical sensations: spinning quickly, floating on<br />

the wooden floor. This pleasure compensated for being dominated by the man´s leading role.<br />

<strong>Die</strong> Rolle der Männer definiert sich im Gegensatz zu der der Frauen über Stärke, Humor und kreative<br />

Gestaltungsmöglichkeiten.<br />

Eszter mochte auch die Kreistänze (die nicht mal als Tanz gelten) nicht, da wo sie als<br />

sechzehnjährige in öffentlichen Auftritten gemeinsam mit den anderen Undines mit Vasen auf dem<br />

Kopf auf der Bühne herumspazieren durfte. Gleichzeitig boten ihr in den 80iger Jahren diese Auftritte<br />

auf Folkfestivals in Ungarn, aber auch im Ausland, die während <strong>des</strong> Kommunismus ansonsten nicht<br />

mögliche Bewegungsfreiheit <strong>des</strong> Reisens.<br />

Der Name Hans ist austauschbar. Das Ungeheuerliche daran nicht. Nehmen wir einmal kurz an, Hans<br />

steht jetzt für die Ballettausbildung- eine andere viel extremere Hin- und Zurichtungsform in Sachen<br />

fetischierter Identitätsbildung. So wie Bachmann den Namen Hans nie mehr vergessen konnte, so<br />

erinnert sich Eszter´s Körper auch jetzt noch (15 Jahre danach) an die schmerzhafte, rigide,<br />

militärisch organisierte Überwindung der Schwerkraft. (Drei kaputte Bandscheiben machen das


Vergessen unmöglich).<br />

Das alles klingt jetzt möglicherweise so, als ob dieser Abend eine Form von Opfererzählung wäre.<br />

Aber Eszter kann schon einen Schritt weitergehen als Undine vor ihr (weil der blieb ja bekanntlich nur<br />

der Gang ins Wasser, als finale Lösung für das Nichtwissen dürfen der Platznahme). Nicht nur ist es<br />

so, dass sie sich an dieser Arbeit im wahrsten Sinne <strong>des</strong> Wortes ab- und hindurcharbeitet an ihrer<br />

Geschichte- immer in Bezug gesetzt zur Geschichte und Entwicklung der Volkstänze (und dabei<br />

erstaunliches zu Tage fördert). Nein, sie geht auch weit darüber hinaus.<br />

Lädt sich zuallererst ihre Mutter- Erszébet ein, dann den Bruder- Ferenc, der für das musikalische<br />

Konzept <strong>des</strong> Abends zuständig ist und den ehemaligen Tanzpartner aus der Volkstanzzeit- Zoltan,<br />

sowie die Musikgruppe Marton und konfrontiert diese (und das Publikum) nun mit einer klugen,<br />

sachlich herausfordernden Lecture über einerseits ihre persönliche Tanzgeschichte (die unmittelbar<br />

verknüpft ist, mit der anwesenden Familie) und andererseits mit einer messerscharfen Analyse über<br />

die Konstruiertheit <strong>des</strong>sen, welches sie die unified fiction of tradition nennt. Also jenes Erbe, das sich<br />

als naturgegeben und authentisch darstellt. Und dabei außer Acht lässt, dass diese Tänze, verknüpft<br />

sind mit gesellschaftlichem Wandel und deren ursprüngliche Bedeutung und Kontexte in dieser Form<br />

nicht mehr existieren.<br />

Eszter Salamon bringt ihr eigenes Begehren ins Spiel, wenn sie entgegen der anfänglichen Skepsis<br />

ihrer Mutter- das ist zu schwer für dich/das kannst du nicht, die Rollen umkehrt und die männliche<br />

Rolle eines Tanzes aus Transsylvanien zum Besten gibt. Ferenc, der ehemalige Tanzpartner, auf die<br />

Rolle der Frau reduziert, steht still und stützt Eszter, die mit sichtlichem Vergnügen beweist, dass sie<br />

weiß wie Frau sich Raum nimmt im eigenen und fremden Leben und auf den Brettern, die die Welt<br />

bedeuten.<br />

Aber ihre Sehnsucht geht darüber hinaus. Sie kreiert eine neue Fiktion. I am looking for multiple<br />

identies and for these identiies to be more than a chronology, a story to tell, a category, a dance, or<br />

some svalamazonkrancs. Da wo why dance und how to dance nicht mehr die Frage ist und sein<br />

wird. Und hier kommt mein eigenes Begehren ins Spiel. <strong>Die</strong> Fiktion einer nomadischen Identität. Im<br />

Stück repräsentiert durch Tanzbeispiele der Gypsies, welche spontan, überall und nicht hierarchisch<br />

organisiert tanzten. Es gibt da einen Tanz der sich luring nennt- where the partners try to push each<br />

other out of the space in which they dance. <strong>Die</strong>se Form der spielerischen, nicht fixierenden,<br />

temporären Form von Raum nehmen und geben gefällt mir, weil sie frei von Angst ist und dem<br />

Wunsch nach unified identies.<br />

Den Abend mit Eszter Salamon, ihrer Familie und der Marton Band sollten Sie sich auf keinen Fall<br />

entgehen lassen, denn es gibt darin viel mehr zu entdecken, als worüber ich mich aufgrund meines<br />

eingeschränkten Interesses entschieden habe zu schreiben... die Musik ist wunderbar, die Tänze<br />

fulminant, die Videos kleine Kostbarkeiten und Eszter´s Erzählung wichtig. Danke!<br />

Barbara Kraus lebt und arbeitet in Wien. Seit 1994 im freien Fall unterwegs in Sachen Kunst, Text, Musik und<br />

hyperverbalen, multiplen Performancestrukturen. Zusammenarbeit (u.a.) mit Nadia Lauro, Nadja b. Schefzig,<br />

Jennifer Lacey, Robert Steijn, Frans Poelstra, Lloyd Newson-DV8. Seit 2004 Sängerin mit der Band „laut<br />

vereinbarung“.<br />

<strong>Die</strong> in diesem Artikel ausgedrückte Meinung muss nicht mit der <strong>des</strong> <strong>Tanzquartier</strong> Wien übereinstimmen.<br />

Do 02- Sa 04. 03. (20.30 h)<br />

TQW / Halle G<br />

Eszter Salamon (H/F)<br />

Magyar Tàncok (2006)<br />

Am 10. März schreibt Sabina Holzer (A) zu Jennifer Lacey (USA/F) / Nadia Lauro (F) mit<br />

Jonathan Bepler (USA) mhmmmm.<br />

Wir hoffen, mit unserer <strong>elektronische</strong>n <strong>Wandzeitung</strong> eine fruchtbare Basis für Diskussionen zu schaffen und den


Austausch zwischen KünstlerInnen und Publikum zu stimulieren.<br />

Wie kann ich RezensentIn werden<br />

<strong>Die</strong>ses Angebot richtet sich an professionelle KünstlerInnen jeder Sparte.<br />

Bei Interesse bitte eine kurze E-Mail mit Ihren Kontaktdaten an highnoon@tqw.at schicken.<br />

Unsubscribe<br />

Falls Sie/du High Noon nicht mehr zugeschickt bekommen wollen, bitte eine E-Mail mit dem Betreff ‚unsubscribe’<br />

an highnoon@tqw.at.<br />

Impressum<br />

<strong>Tanzquartier</strong> Wien GmbH A-1070 Wien Museumsplatz 1<br />

T +43-1-581 35 91 F +43-1-581 35 91-12<br />

tanzquartier@tqw.at, www.tqw.at

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