GO-Magazin 2010 - Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl
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<strong>GO</strong> # 05/10 raus >>><br />
>>> Aus der Wohnung von Else Huber kann er nur wenig verwerten:<br />
Rüber in die Küche, Schublade auf. Lavetti grapscht Schneebesen,<br />
Fleischgabel, einen Strauß Besteck, leert die Hand wie einen Bagger<br />
über der Kiste. Der Sohn der früheren Bewohnerin bietet ihm Zeitungspapier<br />
zum Einpacken an. Lavetti winkt ab: „Das lohnt den<br />
Aufwand nicht, wenn was kaputt geht, geht’s kaputt.“ Im Küchenschrank<br />
stehen noch eine Packung Kakao und Vorratsgläser mit<br />
Mehl und Zucker beieinander. An der Wand hängt über der Küchenschürze<br />
der Kalender, stehen geblieben im Oktober 2009,<br />
beim Foto eines blühenden Bauerngartens.<br />
Zu der Zeit musste die 87-jährige Else Huber ins Krankenhaus,<br />
Nierenversagen und Herzinfarkt. Dass sie ihre Wohnung<br />
nicht mehr betreten und gegen ein Zimmer im Pflegeheim tauschen<br />
würde, wusste sie da noch nicht. Über vierzig Jahre war es<br />
her, dass sie mit ihrem Mann hier einzog. Was sich in vier Jahrzehnten<br />
angesammelt hat, schafft Lavetti in vier Stunden raus.<br />
„Da täten meiner Mutter die Tränen hinunter laufen, wenn<br />
sie dabei wär’“, sagt der Sohn, als der Krach nach gut zwei Stunden<br />
abflaut. „Das würden wir auch nicht machen, sie zuschauen lassen“,<br />
antwortet Lavetti. Trotz aller Routine im Umgang mit den<br />
Habseligkeiten anderer weiß er, wie solch eine Situation für die<br />
Angehörigen ist. Als seine Großmutter gestorben war, wollte er<br />
selbst keinen Schritt über die Schwelle ihrer Wohnung tun – schon<br />
gar nicht ihre Sachen anrühren. Für Hubers Hausrat waren acht<br />
Stunden veranschlagt, aber schon nach drei Stunden ist fast alles<br />
weg. Je nachdem, wie lange die Männer arbeiten und wie viele Container<br />
sie bestellen müssen, kostet ein Einsatz in der Regel 1000<br />
bis 3 000 Euro. Wenn viele wertvolle Sachen dabei sind, nimmt<br />
0<br />
Spaß am Sammeln Um sich herum mag Lavetti<br />
gern viele Dinge. Seine Leidenschaft für Trödel hat er<br />
früh entdeckt. Schon als Kind ging er in der Deponie<br />
auf Schatzsuche<br />
Lavetti kein Geld. Das ist bei Huber nicht der Fall. Im Wohnzimmer<br />
hängt nur noch das Metallgestänge des Regalsystems wie ein<br />
entfleischtes Gerippe. Von Büchern wie „Jakob und Adele“ und dem<br />
Istanbul-Führer, dem Sofa, Kommoden und Wandteppichen zeugen<br />
nur noch blasse Vierecke mit Staubkante auf der Tapete. Ein<br />
Schattenbild der Wohnung. Als auch das Gerippe draußen ist, fe-<br />
Trödeltreff Bis unter<br />
die Decke hängen die<br />
Prunkstücke im „Krem-<br />
peltempel“. Die Kunden<br />
kommen oft nicht nur<br />
zum Einkaufen, sondern<br />
auch zum Stöbern oder<br />
um sich bei einem Kaf-<br />
fee zu unterhalten<br />
Als ein Müllsack platzt,<br />
findet Lavetti ein handsigniertes<br />
Foto von Friedrich August,<br />
dem letzten König von sachsen<br />
gen Lavetti und seine Männer die letzten Papierschnipsel, Hustenbonbons<br />
und Staubflocken zusammen. Das Einzige, was im Schutz<br />
der Wohnungstür seinen Platz behalten hat, ist das Foto einer Distel.<br />
Lavetti schwingt sich in den Laster. Hinten drin Herd, Kühlschrank<br />
und Waschmaschine, ein bisschen Geschirr und Klein-<br />
möbel, außerdem eine Kiste mit einer Tischlampe, einer zerbeulten<br />
Wärmflasche aus Zinn und einem alten Märklin-Baukasten.<br />
Elektrogeräte zur Deponie, Schatzkiste zum Laden, der Rest ins<br />
Lager nach Sachsen.<br />
Wie immer fährt er auf dem Weg zur Deponie an einem<br />
Häuschen am Wald vorbei. Da hatte er seinen bisher heftigsten<br />
Einsatz. Die Räumung dauerte mehrere Wochen. „Im Garten haben<br />
wir unter Abfall zwei Autos entdeckt und den vergessenen<br />
Keller einer ehemaligen Brauerei“, erinnert er sich. Ergebnis: 25<br />
Container Müll. So etwas haben sie immer mal wieder – einen<br />
Menschen, der seinen Teller zum Essen in der Schublade des Küchentischs<br />
abstellen muss, weil alle anderen Flächen voll sind oder<br />
einen, der nicht mal Klopapier wegwirft. Da war ihm die Hohenzollern-Prinzessin<br />
Ende der achtziger Jahre schon lieber: „Sie hat-<br />
te die Müllsäcke selbst gepackt, und wie ich die an der Deponie<br />
heraushole, platzt einer, und ich sehe ein handsigniertes Foto von<br />
Friedrich August, dem letzten König von Sachsen. So was passiert<br />
heute nicht mehr.“<br />
Auf der Vitrine im Laden steht die Tischlampe von Else Huber,<br />
die Wärmflasche findet sich in der bäuerlichen Szene des<br />
Schaufensters wieder. Früher hätte Lavetti versucht, 100 oder 150<br />
Mark dafür zu bekommen. Jetzt hofft er auf 25 Euro und klebt ein<br />
Etikett mit 30 drauf. Der große Metallbaukasten von Märklin liegt<br />
auf dem Stehtisch, ihn braucht Lavetti gar nicht einzuräumen. Ein<br />
Spielzeugrestaurator, den er noch aus Flohmarkt-Zeiten kennt, hat<br />
schon Interesse angemeldet. Vorsichtig nimmt der Sammler den<br />
Pappdeckel ab und geht mit dem Finger über die Metallstreifen<br />
und Zahnräder, die noch mit Klammern festgeheftet sind. Das Set<br />
scheint vollständig und fast unberührt, alle Baupläne sind da. Vor<br />
fünfzig Jahren war es ein teures Geschenk für Kinder, jetzt ist es<br />
ein teures Geschenk für alte Männer. 130 Euro legt der Sammler<br />
auf den Tisch.<br />
Um zehn vor fünf räumt Ivo Lavetti die Schilder vom Bürgersteig:<br />
„Ich arbeite unheimlich gern, ich hör aber auch unheimlich<br />
gern auf, wenn ich will.“ Er nimmt die roten „offen“-Wimpel aus<br />
dem Halter und legt sie in den Laden. Die Holzbank und den altmodischen<br />
Gartenklappstuhl lässt er draußen. Beide hat er mit<br />
einem Schloss gesichert: „Mit unserem Lager im ‚Französischen<br />
Viertel‘ waren wir noch gar nicht richtig eingezogen, da haben<br />
sie uns schon die Bude aufgebrochen.“ Was die einen wegwerfen,<br />
klauen die anderen.