„Gib mir ein Feuerzeug!“ Michael Saager Befriedige mich, sagt das Es, und zwar augenblicklich. Tust du es nicht, leidest du bis auf weiteres an höchst unangenehmen Triebspannungen – und das willst du doch nicht, oder? So ähnlich dachte sich das vor gut hundert Jahren Freud, die alte Koksnase. Und obwohl die psychoanalytische Lustprinziptheorie derweil einen mächtigen Bart hat, geistert das Wort Lustprinzip bis heute mordsmunter durch die Welt. Und hat, wie es scheint, ein besonders warmes Plätzchen im Pop gefunden. Weil es dort, na klar, um die ganz schnelle, unverblümt direkte Befriedigung eher einfacher Bedürfnisse geht. Das ist weniger schlimm als bezeichnend. Und nicht minder bezeichnend ist es, wenn die Berliner Electropunks Egotronic ihr jüngstes Album „Lustprinzip“ nennen. Weil sich hier musikalisch alles um hedonistische Prinzipien des Ravens dreht: Raven wie Rummelplatz. Deshalb skandieren Egotronic: „Wir haben euch was mitgebracht: Bass, Bass, Bass!“ Tanzen sollen wir also. Und sofern wir Konzert Egotronic nicht Egotronics quietschenden C-64-Sounds früherer Stunden hinterher trauern und es stattdessen mit stampfenden Beats, wie sie aus den primitiveren Unterströmungen von Techno und Electro hinlänglich bekannt sind, aufnehmen wollen – klappt das sogar ganz gut. Dank Justice, Ed Banger und englischem New Rave vielleicht sogar besser denn je. Und die politische Gesinnung muss auch nicht auf der Strecke bleiben. Prima. Egotronics Tracks laufen schon deshalb nicht Gefahr, versehentlich mit denen von Scooter verwechselt zu werden, weil die Gruppe ihren Ballermannsound in handliche, linksradikale Parolen gepackt hat. Womit hier nichts gegen linksradikale Politik an sich gesagt sein soll, eher schon gegen ihren ausgesucht platten Zuschnitt in einigen Texten: „Gib mir ein Feuerzeug, dann brennt erst Mügeln und danach die ganze Zone!“ Zu ernst nehmen sollte man solche Statements, die sich vermutlich weniger gegen die Gesamtheit der Bewohner Ostdeutschlands richten als gegen den grassierenden Rassismus dort, indessen nicht. Weil man der Band sonst auf den provokativen Leim ginge, den sie mit spürbarer Lust, mitunter auch ziemlich zornig, auf allem verteilen, wo Deutschland drauf steht oder drin steckt. Egotronic spielen am 1.12.07 im Rahmen der Party- Veranstaltung „Electro Riot“ im EinsB (Beginn: 22.00 Uhr). Das Album „Lustprinzip“ ist bei Audiolith erschienen. Glamour, Zweifel, Reflexion Ella Jaspers „Das Museum ist ein Ort der Reflexion schlechthin, die Kunst ein Ort, wo Wahrheit in Frage gestellt wird. Falls die Kunst der letzten hundert Jahre eines klar gemacht hat, ist es wohl, dass fast nichts so ist, wie es ist und scheint, dass die Wahrheit als solche nicht existiert und die Wahrnehmung und die Perspektive entscheidend für das Sein der Dinge sind. Obwohl im Museum üblicherweise eine klare kunsthistorische Linie als das Maß aller Dinge angesehen wird, ist das aktuelle Museum gleichzeitig ein Ort, wo der Zweifel, die Relativität und die kritische Hinterfragung zelebriert werden“, schreibt Rein Wolfs in seinem Text „Von einem Solarphantom“ im Katalog „Day after Day – Kunsthalle Fri-Art 2003-2007“. Kurzportrait Rein Wolfs Ab dem ersten Januar 2008 übernimmt der Ausstellungsmacher als künstlerischer Leiter das Museum Kunsthalle Fridericianum in Kassel. Geboren 1960 in Hoorn in den Niederlanden, Nachfolger von René Block, der von 1997 bis Ende 2006 diesen Posten innehatte, hat Wolfs in Amsterdam Kunstgeschichte studiert. Von 1996 bis 2001 war er Mitgründer und erster Leiter des Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich. Bis jetzt ist er als Ausstellungsleiter im Rotterdamer Museum Bojmans van Beuningen tätig. 2003 kuratierte Wolfs außerdem den niederländischen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Sein Vertrag in Kassel ist zunächst für vier Jahre gedacht – bis die Vorbereitungen für die nächste Documenta beginnen. Wolfs steht in dem Ruf, der Kunsthalle eine neue Portion Glamour einhauchen zu können und bei aller Grandezza das Inhaltliche nicht zu kurz kommen zu lassen. Kein leichter Spagat für ein Museum zwischen Aufbruch und Zweifel. Sylvie Fleury, mit der er bereits zusammenarbeitete, könnte in diese Richtung weisen: In einer Videoarbeit zertreten Füße in zartgrauen Strümpfen und glänzenden High-Heels silberne Weihnachtsbaumkugeln auf einem dunkelroten Teppich. Wolfs hat außerdem mit Maurizio Cattelan, Steve McQueen, Aernout Mik und Marjoleine Boonstra, Daniele Buetti, Edwin Janssen/Tracy Mackenna und Piotr Uklanski wie auch Douglas Gordon gearbeitet. Mit wem, wann, wie oder womit er seine erste Ausstellung in Kassel erarbeitet, bleibt abzuwarten. 4 Kleine Texte Kleine Texte 5