aktuell - Evangelische Kirche Schriesheim
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Lebensrecht<br />
"Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind." Sprüche 31,8<br />
Werden solche Menschen immer seltener<br />
Als kleiner Junge im Dritten Reich war ich stolz auf ihn.<br />
Er spielte mit mir! Der starke, lustige, etwas komische<br />
Bursche. Plötzlich war er verschwunden. Weggebracht in<br />
eine Heilanstalt. Ab und an kam eine Postkarte. Auf der<br />
letzten stand in ungelenken Buchstaben: "Liebe Mutti, ich<br />
komme bald, im Suppentopf." So war es. Sie bekam ihn<br />
zurück - in einer Urne. Mir ist das furchtbar nahegegangen.<br />
Bis heute (wenn ich eine Urne sehe...). Die<br />
Erwachsenen sprachen im Nazi-Jargon von "Euthanasie".<br />
Heute weiss ich, was das übersetzt heisst: "Schönes<br />
Sterben". Für mich verbanden sich damit alle Schrecken:<br />
Vernichtung "lebensunwerten Lebens". Meine Mutter<br />
versuchte mich zu beruhigen. Sie wurde selbst kaum<br />
damit fertig. Weil in der Gemeinde der frommen Christen ahnungsvoll dazu geschwiegen<br />
wurde!<br />
Wer so etwas erlebt - und später bewusst "verarbeitet" hat -, kann nicht mehr<br />
schweigen. Selbst wenn es riskant wird. Wie einige Jahre nach dieser dunklen<br />
Zeit. Als Dietrich Bonhoeffer - wir denken gerade an seinen 100. Geburtstag -<br />
hoch verehrt wurde. Als unbestechlicher Zeuge und mutiger Märtyrer. Und wieder<br />
haben (in der zweiten Diktatur im letzten Jahrhundert) viele geschwiegen, verharmlost,<br />
weggesehen.<br />
Obwohl schon längst der Tod im Topf war. Den die SED, die Partei, die "immer<br />
recht hatte", dem ganzen Volk mit List und Tücke "servierte". Auch unter Frommen<br />
kann einer sehr einsam werden, wenn er den Mund aufmacht. Gegen das Unrecht,<br />
für die Stummen. Werden solche Menschen immer seltener Die noch klar<br />
sehen, deutlich reden, konsequent handeln Sie werden gebraucht. Auch in unserer<br />
„schönen, neuen Welt“. In der so viele sterben müssen. Weil ihr tausendfacher<br />
stiller Schrei überhört wird. Wir dürfen nicht erst schreien, wenn wir an den Urnen<br />
stehen.<br />
Heute sind wir gefragt. Vom Herrn des Lebens, von Christus. Bevor es zu spät ist.<br />
Der Tod im Topf beginnt mit dem Tod im Kopf. Wenn wir das Denken vergessen,<br />
uns an das Unheil gewöhnen, von schönen Worten blenden lassen. Nein, es reicht<br />
nicht, später schuldbewusst Asche auf unser Haupt zu streuen. Ja, wir gehen gegen<br />
die Unkultur des Todes an. In welcher Spielart sie sich zeigt. Mit unserer Ruhe ist<br />
es dann vorbei. Selig aber, die sich beunruhigen lassen.<br />
Pfr. Hans Joachim Martens, Woltersdorf b. Berlin aus idea Spektrum 5/2006<br />
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