und zu einem Arbeitstherapie-Projekt in der ... - Schwarzerden
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Ausbildung ■
Aufgespürt – Nach-Sinnen und Mit-Schwingen
Refl exionen zur Bedeutung von sinnlichen Erfahrungen, zu den Konzepten
Hugo Kükelhaus’ und zu einem Arbeitstherapie-Projekt in der Ergotherapieausbildung
von den „Gueltas“ 1 (Ergotherapieklasse im 3. Ausbildungsjahr)
Zu Hugo Kükelhaus’ Ideen und ihrer Bedeutung für Pädagogik und Ergotherapie
von Henriette Schmitz, Diplompädagogin
Die Pädagogik – zumindest die praxisorientierte – hat Hugo Kükelhaus und seine
Ideen schon vor längerer Zeit entdeckt. Noch zu Kükelhaus’ Lebzeiten besuchten
neben Architekten und Handwerkern auch immer Pädagogen seine Vorträge. Dies
erscheint nur im ersten Moment verwunderlich, denn lässt man sich auf die Gedankenwelt
Hugo Kükelhaus’ ein, fi nden sich viele pädagogische Anknüpfungspunkte,
insbesondere zu den Themenbereichen „menschliche Entwicklung und Entfaltung“ sowie
„Sinne und Wahrnehmung“.
In dem praxisorientierten Buch von Thomas Hülshoff (2001) „Sinneswelten“, fi ndet
Kükelhaus seinen Platz neben dem Snoezelen und Maria Montessori. Wie sich zeigt,
haben die von Kükelhaus entwickelten Erfahrungsfelder zur Entfaltung der Sinne in
Montessori-Schulen eine eigene Umsetzung gefunden. (An dieser Stelle soll auf eine
kleine Auswahl von Literatur verwiesen werden, die sich am Ende des Artikels befi
ndet.)
Doch fi nden Kükelhaus’ Vorstellungen bis heute leider kaum Aufmerksamkeit in der
theoretischen Auseinandersetzung in der Pädagogik und den angrenzenden Disziplinen,
geschweige denn einen Platz als eigenständiges Thema in den Lehrplänen pädagogischer
Berufsausbildungen.
Von Kükelhaus und seinen Ideen erfuhr ich in den frühen 90er Jahren in Vorlesungen im Fachbereich Erziehungswissenschaften
an der J.W. Goethe Universität in Frankfurt am Main und seitdem hat mich die Faszination seiner Ansichten nicht mehr losgelassen.
Neben der theoretischen Auseinandersetzung in der Hochschule suchte ich das aktive Erleben im Erfahrungsfeld der Sinne in
Schloss Freudenberg bei Wiesbaden und kam zu dem Schluss, diese Erfahrungen in meine pädagogische Arbeit mit einfl ießen zu
lassen. So nahm ich Kükelhaus’ Entwicklungsansätze, sein ökologisches Bewusstsein, seine Vorstellungen zum Bedeutungsgehalt
sinnlicher Wahrnehmungen für den Einzelnen und auch seine Ideen zur kreativen Umsetzungen seiner Wahrnehmungsobjekte mit
in meinen sozialwissenschaftlichen Unterricht in der Ausbildung zum/zur ErgotherapeutIn auf.
Kükelhaus’ Begeisterung für die Phänomene in uns und um uns herum, die mich und dann auch die SchülerInnen erfasste, mündete
im vergangenen Sommer in einem eigenständigen Projekt: die Umsetzung und Gestaltung eines kleinen Erfahrungsfeldes auf
dem Schulgelände. Dabei entwickelten die SchülerInnen eine begeisterte und begeisternde Arbeitslust, die in eine selbstbestimmte
Aneignung theoretischer Inhalte und in vielfältiges kreatives Tun mündete und wesentlich zur Entdeckung und Refl exion eigener
Sinnlichkeit beitrug. Um die Ideen Kükelhaus’, die sich Sinn-Voller-Weise in die Arbeit von ErgotherapeutInnen einbinden lassen,
soll es im Folgenden gehen. So geht es unter anderem um die Klärung der Fragen:
Weshalb interessieren sich Ergotherapie-SchülerInnen für die Gedanken und Konzepte von Hugo Kükelhaus?
Wer war Hugo Kükelhaus?
Welche Möglichkeiten bieten die Ideen und Ansätze Hugo Kükelhaus’ in der pädagogischen Arbeit bzw. der Ergotherapie?
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1 An der Schule Schwarzerden existiert seit den Anfängen der Schule die Tradition, während einer feierlichen Taufe den jeweils neuen Klassen einen
Namen zu geben. Der Klassenname „Gueltas“ hat die Bedeutung „Wasserstellen in der Wüste“ und soll den SchülerInnen symbolisch aufzeigen, welche
Bedeutung die therapeutische Arbeit haben kann.
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■ Ausbildung
„RückbeSINNung“
von den „Gueltas“ – Schule Schwarzerden/Rhön
Auf den Weg der „Rückbesinnung“ gelangten wir – die Gueltas,
eine Ergotherapieklasse – durch unseren sozialwissenschaftlichen
Unterricht, in dessen Rahmen wir u. a. auch das Erfahrungsfeld
der Sinne nach Hugo Kükelhaus im Schloss Freudenberg in Wiesbaden
besichtigten.
Die verschiedenen Erfahrungsfelder regten unsere Sinne auf eine
ganz neue, spielerische Art und Weise an. Wir fi ngen an zu
schwingen, zu lauschen, zu schnuppern, zu staunen und zu entdecken.
Und wir machten die bewegende Erfahrung:
So erfuhren wir am eigenen Leib, dass durch
das Experimentieren im Erfahrungsfeld der
Sinne die “Möglichkeit geschaffen [wird],
Wissen über die Natur, über sich selbst und
über die Zusammenhänge zwischen Natur
und Mensch kennen zu lernen.“ (Zimmer:
1995: 181)
Die Stationen orientieren sich an physikalischen
Erscheinungen und Phänomenen und
versuchen Zusammenhänge – insbesondere
die zwischen unserem Organismus und den
Naturgesetzen – zu verdeutlichen, die in der heutigen schnelllebigen
Gesellschaft immer mehr zu verschütten drohen.
Die einzelnen Erfahrungsfelder sind nicht spektakulär oder sensationell,
viele zeigen ihren Sinn nicht bei oberfl ächlicher Betrachtung.
Wir müssen uns einlassen, entdecken, zulassen.
So schildert die Schülerin Nina: „Zwei für mich bleibende Erfahrungen
waren zum einen das Sitzen in einer großen Klangschale,
welche dann von einer Freundin angeschlagen wurde. Die
Schwingung bahnte sich ihren Weg durch meinen ganzen Körper,
bis sie langsam verhallte. Zum anderen das Begehen eines
Dunkellabyrinths, in dem ich das Gefühl entwickelte, mich in einer
Höhle zu befi nden und mich nur auf meinen Hör- und Tastsinn
verlassen konnte.“
Alle empfanden wir den Besuch als Bereicherung und gleichwohl
als Anstoß, selber intensiver unseren Sinnen nachzuspüren.
Eine Idee nimmt Formen an
Im Rahmen unserer Ausbildung gibt es für jede Klasse ein so genanntes
Arbeitstherapieprojekt, welches uns die Möglichkeit gibt,
16
„Nicht das Auge sieht,
nicht das Ohr hört,
nicht die Hand handelt,
nicht das Gehirn denkt und lernt,
sondern der ganze Mensch ist es,
der jeweils durch das entsprechende Organ
sieht, hört, handelt, denkt, lernt.“
(Kükelhaus in Barth: 1997: 36)
Erfahrungen in Gruppenarbeiten zu sammeln, Eigeninitiative zu
entfalten und berufsbezogene Fähigkeiten zu entwickeln.
Vor allem im Bezug zu den vielfältigen Bereichen der Arbeitstherapie,
z.B. AT-Sucht in der Langzeitbehandlung, AT-Psychiatrie,
insbesondere mit chronisch psychiatrischen Langzeitpatienten, im
Heimbereich mit Jugendlichen oder behinderten Menschen als
Hinführung zur Arbeitswelt, erscheint ein Arbeitstherapie-Projekt
als eine sinnvolle Möglichkeit, noch im Rahmen der schulischen
Ausbildung und mit Unterstützung, adäquate Erfahrungen bezüglich
einer Projektplanung zu sammeln. Dies beinhaltet u.a. Ideenentwicklung
und Ablaufplanung sowie den Umgang mit einem
festgelegten Zeitrahmen und mit einem vorgegebenen Budget.
Außerdem dient es der Auseinandersetzung mit Dokumentations-
und Organisationsarbeiten sowie der Selbst- und Fremdeinschätzung.
Nach dem Besuch des Erfahrungsfeldes kamen wir auf die Idee,
unser Projekt von Hugo Kükelhaus und unseren eigenen Erfahrungen
inspirieren zu lassen. So führten wir den Weg der „Rückbesinnung“
fort und beschäftigten uns intensiver mit dem Leben von
Hugo Kükelhaus. Ein biografi sches Video, viel Lektüre und Internetrecherche
sowie die Kontaktaufnahme zu Jürgen Münch, dem
Vorsitzenden der Hugo-Kükelhaus-Gesellschaft in Soest, ließen
unsere Ideen weiter wachsen.
Wer war Hugo Kükelhaus?
Hugo Kükelhaus vereinte viele Fähigkeiten in sich:
Er war „…Seher, Schreiner, Embryologe, Astrophysiker,
Boxfan, Goethevollstrecker, Maler, Entsicherer,
Pädagoge, […] Architekt, Methodiker der
Leibwerdung des Menschen, Zirkusdirektor, der
Einblick gibt in die großen geistigen Zusammenhänge,
Wiederentdecker der Sinne und Sinnesorgane
[…]. MENSCH.“ (Broschüre Freudenberg:
2001: 14)
Er wurde am 24. März 1900 in Essen geboren, übte eine Vielzahl
freiberufl icher Tätigkeiten als Bildhauer, Grafi ker und Maler aus
und war Berater und Planer für eine organgerechte Bauweise bei
Klinik-, Heim- und Schulbauten.
Zur Weltausstellung 1967 in Montreal installierte er erstmals naturkundliche
Erfahrungs- und Spielstationen - die ersten Bausteine
für alle folgenden Erfahrungsfelder der Sinne.
„Wie kann der Mensch wieder leibhaftig zur bewussten Wahrnehmung
seiner Organe fähig werden und zum Einklang mit seinem
ganzen Körper fi nden?“ (Broschüre Freudenberg: 2001: 15)
Diese Frage, insbesondere aber auch die Suche nach Antworten
darauf , zog sich wie ein roter Faden durch Kükelhaus’ Leben in
Wort, Schrift und praktischer Gestaltung. Hugo Kükelhaus starb
am 5. Oktober 1984 in Herrischried im Schwarzwald.
Umsetzungen und Wirkungen
Wir wollten einzelne Stationen in Anlehnung an Kükelhaus’ Erfahrungsfelder
der Sinne bauen und damit etwas schaffen, das den
Besucher dazu einlädt, seine sinnlichen Wahrnehmungen (neu) zu
entdecken und auszuprobieren und sich dabei auf Riechen, Füh-
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len, Schmecken, Sehen, Hören und die dabei entstehenden
Empfi ndungen einzulassen. Das Schulgelände
mit seinen Wiesen und Bäumen bietet das
ideale Umfeld für eine Einbindung der einzelnen
Erfahrungsfelder in die Natur, passend zum Ambiente
unserer Schule.
Bei entsprechender Pfl ege können noch viele Schüler,
Gäste und Lehrkräfte über Generationen hinweg
auf sinnliche Entdeckungsreisen gehen.
So ließen wir dann bei der Umsetzung unserer Energie
und Phantasie freien Lauf. Was wurde da gehämmert
gebohrt, gesägt, gefeilt, geschnitten, genäht,
gegraben, betoniert, gelesen, geschrieben, interviewt, gedüngt,
gesägt, geschraubt, geschwitzt, getrunken, gescherzt und
gelacht. Jeder von uns war mit ungeheurem Eifer bei der Sache
und alle haben zusammen gearbeitet und mitgeholfen.
Eine Kräuterschnecke wurde beim Haupteingang der Schule mit
schweren Steinen in den Boden installiert und dann mit unzähligen,
zum Teil unbekannten Kräutern bepfl anzt, um durch das Jahr
mit dem Auge zu sehen, der Nase zu riechen, den Händen zu
fühlen und dem Mund zu schmecken.
So ganz nebenbei bietet die Kräuterschnecke die angenehme
Möglichkeit für die schuleigene Küche, mit selbst geernteten Kräutern
das Essen geschmacklich noch zu verfeinern. Die Kräuterschnecke
regt den Besucher zum Schauen, Fühlen, Riechen und
Schmecken an. Da sie jahreszeitlichen Veränderungen ausgesetzt
ist, bedarf die Kräuterschnecke Pfl ege und Aufmerksamkeit, damit
die Kräuter wachsen und gedeihen. So kann die Beschäftigung
mit Erde und Pfl anzen z.B. psychomotorisch aufl ockernd wirken
und auch das Verantwortungsbewusstsein schulen.
Die optischen Drehscheiben wurden mühsam ausgeschnitten und
lackiert, um – einmal in Drehung gebracht – durch Täuschung
des Sehsinns den einen oder anderen wegen der sich drehenden
Wand- oder Gesichtsstruktur zur Verzweifl ung zu bringen.
Ausbildung ■
Durch Drehen der optischen Scheiben erfasst das
menschliche Auge das dreidimensionale Sehen. Je
schneller man dreht, desto intensiver die Wirkung
und die Faszination auf den Betrachter. Der Gegensatz
von Tiefe und Nähe wird hierdurch hervorgehoben.
Der „Sensi“-Pfad existierte schon etliche Zeit auf dem
Schulgelände, war aber mangels Pfl ege Jahre nach
seiner Erstentstehung nahezu unsichtbar geworden
und erstrahlte nun durch intensive Ausgrabungen
und Neubestückung wieder in altem Glanz, damit
Benutzer auf eigenen Füßen die Welt erfahren.
Beim Begehen des Pfades wird das Empfi nden und Spüren über
die Fußsohle angeregt. Wer sich mit verbundenen Augen auf den
Pfad einlässt, schenkt seinem führenden Partner viel Vertrauen
und besinnt sich auf sein Gefühl und Gleichgewicht. Das Fühlen
der unterschiedlichen Untergründe (Tannenzapfen, Steine, Holz,
Sand, Wasser etc.) mit den Füßen erscheint heutzutage dem ein
oder anderen ungewohnt. Taktil, propriozeptiv und vestibulär
kann der Benutzer sehr intensive Reize erfahren und wird zum
Ausprobieren motiviert.
Die Klangspiele wurden unter mühsamen
Baum erstbesteigungen ins Geäst zweier uralter
Buchen auf dem Gelände gehängt, um
durch Anschlagen mit den Klöppeln zu erfahren,
dass nicht das Ohr, sondern der Mensch
hört. Die Klangspiele wirken sowohl antriebsanregend
als auch beruhigend, je nach den
Klängen, die den Stäben entlockt werden. Jeder
kann sich hier ausprobieren, Neues schaffen
und sich möglicherweise zu eigenen Melodien
inspirieren lassen.
Das Schwungseil, das nun am Ast einer ebenfalls
erstmals bestiegenen Tanne hängt, soll
nicht als Kletterseil dienen, sondern vielmehr
zeigen, dass, durch Handkraft in Bewegung
versetzt, das Leben Schwingung ist. Schulter
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■ Ausbildung
und Arm leiten die Bewegung des Seils ein, bringen das Seil in
Schwingung, gleichzeitig empfangen Schulter und Arm wiederum
den Schwung und leiten ihn in den ganzen Körper weiter. So bewegt
der Mensch und wird wiederum bewegt.
Die Sammeltasche, die zusammengenäht im Foyer des Hauptgebäudes
der Schule liegt, kann von bis zu acht Personen benutzt
werden, um Erfahrungen und andere Dinge zu sammeln. Auf der
Entdeckungsreise mit der Sammeltasche wird vor allem die Kommunikation
und Gruppeninteraktion zwischen den Teilnehmern
angesprochen. Jeder der Teilnehmer hält einen Taschengriff fest,
doch kann er sich nur bewegen, um Naturmaterialien zu sammeln,
wenn sich die ganze Gruppe bewegt, da viele einzelne Taschen
eine große Tasche bilden. Es kommt hier auf eine gemeinsame
Bewegung an; der Einzelne ist auf die Gruppe angewiesen.
Durch das Sammeln von Naturmaterialien werden auch der taktile
Sinn, die Wahrnehmung der Natur und die Gruppeninteraktion in
Bewegung gebracht.
Die einzelnen Erfahrungsfelder lassen sich durchaus alleine entdecken.
Intensiv wird das Erleben jeder einzelnen Station jedoch erst
durch das gemeinsame Tun in der Gruppe.
Generell wirken die Erfahrungsfelder auf den Besucher sensorisch
stimulierend, die Sinne anregend. Jedem wird die Möglichkeit gegeben,
die Dinge auf seine eigene individuelle Art und Weise zu
entdecken und je nach Bedürfnis sich mehr oder weniger mit den
Stationen auseinander zu setzen.
Bei Auswahl und Umsetzung der einzelnen Stationen stand für uns
jedoch der Aspekt des Entdeckens und Spürens im Vordergrund.
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Erprobung der Erfahrungsfelder
Nach Fertigstellung unseres Projekts waren wir
sehr gespannt, wie die einzelnen Erfahrungsfelder
auf Besucher wirken würden. So nutzten wir die
Gelegenheit und luden zwei völlig unterschiedliche
Gruppen zum Entdecken und Experimentieren
unserer Installationen ein.
Für die erste Erprobung bot sich eine Besuchergruppe
von Seniorinnen 2 an, die einen Aktiv-Urlaub
auf dem Gelände verbrachten. Da es sich um
unsere erste offi zielle Begehung mit Publikum handelte,
waren wir entsprechend aufgeregt.
Der Tag der Begehung war ein wunderschöner
Sommertag. Die Alten und die Jungen beäugten
sich zunächst neugierig und wohlwollend.
An der ersten Station, der Kräuterschnecke, ergriff
eine Schülerin mutig die Initiative, stellte die
Schnecke ausführlich vor und lud zum Riechen,
Fühlen und Kosten ein. Damit war der Bann zwischen
den Generationen gebrochen.
Einige Damen waren auf unserem teilweise unwegsamen
Schulgelände nicht mehr so gut zu
Fuß, und so hakte man sich ohne Berührungsängste
bei der einen oder anderen Schülerin ein und ließ sich
über das Gelände führen.
Die optischen Drehscheiben übten eine große Faszination aus,
bewirkten jedoch bei einigen der Urlauberinnen ein leichtes
Schwindelgefühl. Doch legten die Damen eine unerwartete Experimentierfreude
an den Tag und belohnten unsere Arbeit mit
echter Begeisterung.
Als nächste Station lag der „Sensi“-Pfad auf unserem Weg durch
die Welt der Sinne. Fast alle Frauen zogen sich spontan die Schuhe
aus, um auf „eigenen Füßen“ die Welt zu erfahren. Einige liefen
mit geschlossenen Augen, andere ließen sich von uns führen.
In Anbetracht des Alters und dem ein oder anderen Gebrechen
überraschten uns der Mut und die Lust am Mitmachen und Entdecken.
Richtig abenteuerlich wurde es dann, als sich die Damen beim Besuch
unseres Weltenbaumprojekts „Yggdrasil“ (von uns wurde ein
Baum durch verschiedenste
Tongebilde – hängend,
stehend, liegend, schmückend
– frei nach dem keltischen
Mythos der Weltenesche
„Yggdrasil“ gestaltet),
durchs Unterholz schlugen
und unwegsame Hänge erklommen.
Hier stockte uns
manchmal der Atem, aber
die Damen wirkten übermü-
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2 Regelmäßig trifft sich in diesem Rahmen eine Gruppe älterer Damen (die Älteste war über 90! Jahre) in der Rhönakademie, die der Schule angegliedert
ist. Einige der Damen kennen sich bereits seit ihrer eigenen Schulzeit in Schwarzerden. Die Schule Schwarzerden bildete von 1927 bis Mitte
der 90er Jahre Gymnastiklehrerinnen aus. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Schule zu einer Ausbildungsstätte für Ergotherapie, Physiotherapie
und Motopädie weiterentwickelt.
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tig und geradezu verjüngt. Danach legten wir eine Pause ein und
es entwickelten sich anregende Gespräche zwischen SchülerInnen
und Urlauberinnen über alte und neue Zeiten.
Vom Riechen, Schmecken, Sehen und Fühlen ging es nun zum
Hören in Form von in Bäumen installierten Klangspielen. Hier entlockten
die Damen den metallenen Konstrukten ungeahnte Tonvariationen.
Wo wir mehr oder weniger unmusikalisch herumgeklimpert
hatten, versuchten sie die Klänge in Noten zu fassen und
Melodien daraus entstehen zu lassen.
Am Schwungseil mussten wir uns dann eingestehen, dass Leben
nicht nur Schwingung, sondern auch gefährdet sein kann.
Wir hatten bei der Installation
des Schwungseils den kleinen
Abhang nicht bedacht. Dieser
kleine Abhang erwies sich als
problematisch, insbesondere
als das Seil – erstmal in Schwingung
gebracht – seine Bewegung
wieder zurückgab an den
Menschen. Hier stießen eine
glorreiche Idee und die harte
Realität, die eben nicht nur aus
kräftigen Menschen in Wanderschuhen
besteht, aufeinander.
Während unserer gemeinsamen
Wanderung durch die SINNES-
Installationen hatten sich einige
Schülerinnen in aller Stille davongeschlichen,
um eine wirklich wunderschöne Kaffeetafel herzurichten.
Hier fand die erste Erprobung unseres
Projekts ein angeregtes und lebhaftes Ende. Die
Begegnungen waren ungemein intensiv und ließen
Platz für einen echten Austausch zwischen
den Generationen, getragen von Respekt und
ehrlichem Interesse, ohne klischeehafte Vorstellungen
und Vorurteile. Insgesamt wirkte der Tag
auf alle Beteiligten inspirierend und berührend.
Abschließend ist zu sagen, dass dieses Zusammentreffen
sämtliche Grenzen verschwimmen
ließ und wir SchülerInnen im Zusammensein mit
den Seniorinnen ein äußerst positives Gefühl
zum Älter- und Altwerden entwickeln konnten.
Die zweite Gruppe, die unsere Erfahrungsfelder
besuchte, waren geistig- und körperbehinderte
Menschen aus dem Antoniusheim 3 in Fulda. Es
war für uns äußerst interessant zu beobachten,
wie die beiden unterschiedlichen Besuchergruppen
auf unser Projekt reagierten. Schon zu Beginn
wurde deutlich, dass beide Gruppen im
Umgang mit den Erfahrungsfeldern unterschied-
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liche Schwerpunkte setzten.
Die behinderten Menschen sprachen vor allem auf direkte sinnliche
Erfahrungen an, während die Seniorinnen vielfach einen intellektuellen
Zugang zu dem Projekt suchten und auch fanden.
Die große Sammeltasche, die für die Seniorinnen weitgehend uninteressant
waren, regte die behinderten Menschen an, auf Entdeckungstour
zu gehen. Der von uns initiierte Sinn dieses Projektteils,
nämlich gemeinsam eine Tasche zu tragen bzw. an einer Tasche
zu ziehen, wurde von den behinderten Menschen zu Beginn zunächst
einfach ignoriert. Der eine zog nach links, der andere nach
rechts, ein weiterer blieb einfach stehen. Dies strapazierte unsere
Sammeltasche erheblich. Am
Schluss wurde dennoch ein erstaunliches
Sammelsurium an
Blumen, Steinen, Blättern, Ästen
und allerlei anderen Schätzen
zusammengetragen. Da die
Besucher MitarbeiterInnen des
Arbeitsbereichs Garten waren,
wurden an der Kräuterschnecke
fachkundig die einzelnen Kräuter
bestimmt und Rezeptideen
entworfen.
Ein echtes Highlight der Begehung
stellte der „Sensi“-Pfad
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3 Das Antoniusheim ist eine Einrichtung für behinderte Menschen in Fulda. Hier fi nden Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen in Wohngruppen
ein Zuhause und in den Förder- und Arbeitsbereichen eine Tätigkeit, die ihren Fähigkeiten entspricht.
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■ Ausbildung
dar. Mit viel Vertrauen ließen sich einige Besucher von uns mit geschlossenen
Augen über den Pfad führen und spürten ihren Empfi
ndungen nach. Dabei gab es hier und da nasse Socken und für
uns eine außergewöhnliche Erfahrung, als ein körperbehinderter
Mensch mit Unterstützung von zwei Helfern aus seinem Rollstuhl
aufstand um sich mittels seiner äußerst empfi ndsamen Füße im
Wasserbecken sinnlich berauschen zu lassen.
Im Anschluss an die gemeinsame Entdeckungstour nahmen einige
der behinderten Besucher die Gelegenheit wahr, um ihre vielfältigen
Eindrücke gestalterisch zu verarbeiten.
Abschließend ist zu sagen, dass die von uns ausgewählten
und in unserem Projekt realisierten Erfahrungsfelder sehr
direkt vielfältigste sinnliche Erfahrungen ermöglichen, die
letztendlich jeden – ganz gleich ob jung oder alt, ob behindert
oder nicht – ansprechen können, wenn der Mensch
nur bereit ist, sich auf sinnliche Erlebnisse einzulassen. Außerdem
konnten wir die aufschlussreiche Erfahrung machen,
dass unsere Stationen sehr kommunikationsfördernde,
inspirierende und neugierig machende Wirkungen auf
die unterschiedlichsten Besuchergruppen haben.
Für uns war die Umsetzung des Projekts sowie die Auseinandersetzung
mit den Besuchern eine bedeutsame Erfahrung
und gleichzeitig eine viel versprechende Bereicherung
auf unserem Weg zum/zur ErgotherapeutIn.
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„Was uns
erschöpft ist die Nichtinanspruchnahme
der Möglichkeiten
unserer Organe und unserer Sinne, ist ihre
Ausschaltung, Unterdrückung... Was aufbaut,
ist Entfaltung. Entfaltung durch die Auseinandersetzung
mit einer mich im Ganzen
herausfordernden Welt.“
(Hugo Kükelhaus)
______________________________________________________________
Literatur:
Barth, Anne: Hugo Kükelhaus (1900-1984) – Essen: Organismus und
Technik, Neuaufl . 1997
Ges. Natur und Kunst Gemeinnütziger e.V. Schloss Freudenberg: Broschüre
Freudenberg: Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne und des Denkens
– Wiesbaden, 2001
Hülshoff, Thomas (Hg.): Sinneswelten: Die Förderung sensorischer Wahrnehmung
im Wohn- und Freizeitbereich von Menschen mit Sinnes-
und geistiger Behinderung – Freiburg: Lambertus-Verlag, 2001
Kükelhaus, Hugo: Organ und Bewusstsein: Vom Sehen zum Schauen
– Stuttgart: Verlag Reiner Brouwer, 2000
Kükelhaus, Hugo/zur Lippe, Rudolf: Entfaltung der Sinne: Ein „Erfahrungsfeld“
zur Bewegung und Besinnung – Frankfurt: Fischer, 1982
Rappe, Andreas: Fassen, Fühlen und Erfahren: Zur Bedeutung des Konzeptes
von Hugo Kükelhaus, der Pädagogik Maria Montessoris und
des Snoezelen in der Sinnespädagogik für Menschen mit Behinderung.
In: Thomas Hülsoff (Hg.): Sinneswelten: Die Förderung sensorischer
Wahrnehmung im Wohn- und Freizeitbereich von Menschen
mit Sinnes- und geistiger Behinderung – Freiburg: Lambertus-Verlag,
2001
Rupp, Heinz-Georg/Thyssen, Wolfgang (Hg.): Sinne schulen – Kinder
stärken - Kleve: Wotys Verlag, 2002
Schärli, Otto: Begegnungen mit Hugo Kükelhaus – Stuttgart; Berlin: Mayer,
2001
Zimmer, R: Handbuch der Sinneswahrnehmung – Freiburg: Herder, 1995
_____________________________________________________________
AutorInnen:
Die „Gueltas“: Melanie Auth, Stefanie Beyer, Sabine Fritsch, Ellen Gerk,
Susanne Hoffmann, Nina Lorenz, Isabelle Mihm, Monika Mück, Sebastian
Reuss, Ina Rüthlein, Iris Schuppelius, Kerstin Tränker, Anja Umbsen,
Michael Weinmann und Henriette Schmitz, Dozentin an der Schule
Schwarzerden/Rhön und Lehrbeauftragte an der J.W. Goethe Universität
in Frankfurt am Main
Korrespondenzanschriften:
Henriette Schmitz,
Langebrückenstr. 21
36037 Fulda
E-Mail:
H.Schmitz@em.uni-frankfurt.de
Michael Weinmann,
Raggen 1
88299 Leutkirch
E-Mail: eswaramoi@web.de
Nina Lorenz,
Friedrich-Ebert-Str. 16
61130 Nidderau
E-Mail: ni-lo@gmx.net
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Zusammenfassung
AUFGESPÜRT – NACH-SINNEN UND MIT-SCHWINGEN
„Wahrnehmung“ und „sinnliche Erfahrungen“ sind
für Menschen in sozialen bzw. pädagogischen Berufsfeldern
zentrale Themen, Zugänge lassen sich auf
vielfache Weise herstellen. Einen interessanten und
spannenden Weg hat eine Ergotherapie-Klasse in und
mit ihrem Arbeitstherapie-Projekt gewählt. Die Auseinandersetzung
mit den Ideen und Konzepten Hugo
Kükelhaus’ mündete in eine praktische Gestaltung ausgewählter
sinnlicher Erfahrungsfelder auf dem Schulgelände
und dessen Erprobung mit unterschiedlichen
Klientengruppen.
SCHLÜSSELWÖRTER: Kükelhaus Wahrnehmung
Sinne Erfahrungsfeld Ergotherapie Pädagogik
Summary
SENSORY DISCOVERY
„Perception“ and „sensory experiences“ are central
themes for those who work in the social and educational
professions. It is possible to approach these in
many different ways. One occupational therapy class
chose an interesting and exciting angle for their work
therapy project. They allowed their study of the ideas
Nick und die Ergotherapie
von Tina Barnhöfer, Sybille Knodt, Ulrike Weise
20 Seiten, 17 Abb., 1. Aufl age 2004
ISBN 3-8248-0436-0, € 4,00 [D] / sFr 7,20
Bei der Abnahme von größeren Mengen gelten folgende Preise:
ab 10 Exemplare: € 3,20 pro Exemplar
ab 50 Exemplare: € 3,00 pro Exemplar
ab 100 Exemplare: € 2,50 pro Exemplar
Ausbildung ■
and concepts of Hugo Kükelhaus to assume concrete
form by setting up selected areas of sensory encounter
on their school grounds and trying them out on a variety
of client groups.
KEY WORDS: Kükelhaus perception sense area
of sensory encounter occupational therapy education
Résumé
Im Kinderbuch „Nick und die Ergotherapie“ erzählt der sechsjährige Nick
rückblickend von seinem ergotherapeutischen Behandlungsverlauf.
Nick geht in Begleitung seiner Mutter zur Ergotherapie, da er im Gegensatz zu
seinen gleichaltrigen Freunden noch nicht Fahrrad fahren kann. Außerdem hat
er zu Hause und in der Schule Schwierigkeiten in der Handlungsplanung und
-durchführung (Somatodyspraxie), wie zum Beispiel beim Basteln.
Die Therapeutin Beate erklärt auf kindgerechte Art und Weise, was Ergotherapie
ist. Nick berichtet von seinen Erlebnissen in einzelnen Therapiesequenzen mit
typisch ergotherapeutischen Medien.
Und Nick hat am Schluss für alle eine Überraschung...
Bücher...
... die Sie weiterbringen!
A LA DÉCOUVERTE D’UNE PISTE – „RÉLEXIONS“ ET
„VIBRATIONS EN COMMUN“
La perception, l’expérience des sens sont des sujets
centraux pour les personnes travaillant en milieux
professionnels pédagogiques ou sociaux. L’approche
peut se faire de facon très diverse. Une classe
d’ergothérapie a opté, dans le cadre d’un projet de
thérapie du travail, pour une voie d’accès à la fois
interessante et passionante. L’analyse des idées et des
concepts d’Hugo Kükelhaus a abouti à l’élaboration
pratique et à la construction dans le terrain de l’école,
de champs d’expériences des sens choisis. Différents
groupes de clients ont pu en faire l’essai.
MOTS CLEFS: Kükelhaus perception sens
champ d’expérience ergothérapie pédagogie
Für Ihre
kleinen
Klienten!
www.schulz-kirchner.de
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