Norbert Bolz - Dieter Schnaas
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fivetonine<br />
<strong>Norbert</strong> <strong>Bolz</strong><br />
sozialstaatlichenInterventionen aufden<br />
richtigenWeg zu bringen.<br />
Moment mal. Der Sozialstaat soll nicht die Ungleichheit<br />
beseitigen. Er soll nur denen gesellschaftlicheTeilhabe<br />
ermöglichen, die von den<br />
Segnungen des Kapitalismus nicht profitieren.<br />
Dassagen Sie–undich stimme Ihnenzu.<br />
Nurmöchte ich darauf hinweisen,dasssich<br />
derSozialstaat nichtharmonisch mit dem<br />
Rechtsstaat verträgt. DerSozialstaat kann<br />
nurfunktionieren,wennersich seiner<br />
Grenzen bewusst ist. Historisch gesehen,<br />
war daskein Problem: In der Adenauer-<br />
Zeit hatten dieDeutschen noch andere Probleme,<br />
als sich mit denReichsten undErfolgreichsten<br />
zu vergleichen.Sie verglichen<br />
sich mit ihrereigenen Vergangenheit –und<br />
machtendabei laufenddie Erfahrung,dass<br />
es ihnenständigein bisschenbesserging.<br />
Und heute<br />
Heute können wirdie ewige Aufstiegsgeschichtenicht<br />
weitererzählen undleiden<br />
an „statistischer Depression“, das<br />
heißt:Wir habenuns so sehr an Wachstum<br />
gewöhnt,dass wirbereits seine Verringerungals<br />
Schwundempfinden. Wenn<br />
Solange alle den Vergleich zumAnlass nehmen,<br />
sich zur Decke zu strecken, ist ja wohl nichts<br />
dagegen einzuwenden.<br />
Natürlichnicht.Esgehtimmerdarum,wie<br />
man mit Unterschieden umgeht.Spätestens<br />
seitHesiod wissen wir, dassessoetwas<br />
wieeinengutenNeidgibt,einen<br />
Neid,der unsanstachelt, der unserenEhrgeiz<br />
weckt, der die MenschenimVergleich<br />
mit anderen zu sich selbstemporhebt,<br />
indem er sie sagen lässt: „Das,was der erreicht<br />
hast,das will ichauch erreichen.“<br />
Und Ist doch prima.<br />
Ja.Das Problem istnur,dass wirdiesen<br />
positivenNeidgründlich verlernen.Im<br />
Zeitalter der Massenmedien vergleichen<br />
wiruns ständig mit dem Unvergleichlichen–und<br />
das spornt uns nicht an; das<br />
macht uns neidisch, träge,böse,missgünstig.<br />
Warumsonst zum Beispielwirddie<br />
Frage nach den Managergehältern rein<br />
moralisch gestelltSie lautet: Darf einManager<br />
400-mal so vielverdienen wieein<br />
Angestellter Diese Frage istfür mein persönlichesLeben<br />
undWohlergehen vonabsolut<br />
nachrangiger Bedeutung. Unddoch<br />
kommene Leistungsunabhängigkeiteines<br />
heutigen Superstars istdas Kunstwerk der<br />
Massenmedienselber.Sie suggerieren: Du<br />
kannstesschaffen,ohne etwas zu können.<br />
Überraschenderweisehat sich das bisin<br />
die Führungsetagender Unternehmen<br />
herumgesprochen. Es gibt heute immer<br />
mehr Leute mit wahnsinnigvielGeld, die<br />
vomDienstander kapitalistischen Sache,<br />
vomInvestment in eine bessere Zukunft<br />
nichtsmehrwissen wollen.<br />
Auf solche Menschen kann doch keiner neidisch<br />
sein. Über die ärgert man sich.<br />
Richtig–und zwar zu Recht.Solange erkennbar<br />
ist,dass es eine Korrelation gibt<br />
zwischendem Geld,das jemand hat,und<br />
der Leistung, die er erbringt,ist die<br />
Reichtumstoleranz hoch–und der unproduktiveNeidklein.<br />
Wenn aber das Bewusstseinfür<br />
den Zusammenhang zwischen<br />
Leistungund Bezahlung schwindet,<br />
ist die Reichtumstoleranz überfordert –<br />
undschlägtinEgalitarismusund Destruktivität<br />
um.Eben deshalb täte die Politik<br />
gutdaran, zu einem prononciert positiven<br />
Leistungsethoszurückzukehren.<br />
fragen, warumder eine so viel verdientund<br />
derandere nicht, könnte dasauch mit so<br />
oder so verbrachten Studienjahrenzusammenhängen.Danachfragt<br />
aber niemand,<br />
wenn er vordie Fernsehkamera gezerrt<br />
wird. Niemandfragt diealleinerziehende<br />
Mutter,warum siealleinerziehend ist –und<br />
warumsie beiMcDonald’sarbeitet. Die<br />
Schamverbietet unszufragen: Warum<br />
kannstdunur Hamburgerverkaufen Dabeigibt’sdoch<br />
wunderbare Tellerwäscher-<br />
Karrieren.Schauen Sie sich nurAltkanzler<br />
Gerhard Schröderan. Vonvieltiefer kann<br />
mannichtkommen. Aber er hatesdennoch<br />
geschafft –und seinen hoch dotierten<br />
Moskau-Job 1000-fachverdient.<br />
Sie meinen, Menschen wie Schröder sollten bei<br />
uns zum gesellschaftlichen Leitbild erhoben<br />
werden<br />
Ja,das istjadas Schlimme: dass manin<br />
den Massenmedien nicht aufdie Vita von<br />
so vielenMenschen hinweist,die was aus<br />
ihrem Leben gemacht haben. Mansieht<br />
immer nureinenbegründungslosen Ausschnitt<br />
ausdem Hier undJetzt,von Reichen<br />
undvon Armen –und so nährtman<br />
nur daraufhin, dass es einIrrtum ist, zu<br />
glauben,dass damit einProblem gelöst<br />
wäre –und dasssichdie Probleme durch<br />
staatliche Fürsorgeverschärfen.<br />
Wie kommen Sie darauf<br />
Schuldist das Ressentiment.Denn das<br />
Dumme an ihm ist, dassessichinder sozialen<br />
Frage einnistet –und dassessich<br />
fortanansichselbsternährt,ohne jemals<br />
satt seinzukönnen. In Schweden hat man<br />
vorzweiJahren einGleichstellungsministerium<br />
eingerichtet,weilman erstbei einer<br />
Frauenquote von48:52 angelangtwar.Das<br />
heißt: Je kleinerdie Unterschiede werden,<br />
desto mehr verbeißt sich das Ressentiment<br />
in die noch verbleibenden Restunterschiede.<br />
Erst das letzte Minimum an Differenz<br />
aufdem Wegzur jakobinischenGleichheit<br />
istoffenbar so unerträglich, dass manein<br />
Ministerium einrichten muss. Dasist<br />
nichtsanderes als Fanatismus im Gewand<br />
vonEmanzipationund Aufklärung.<br />
Sehen Sie hier nicht Gespenster Nur die<br />
wenigsten wollen totale Gleichheit.<br />
Dann wundereich mich, warum unsere<br />
Gesellschaft so viele Schwierigkeitendamit<br />
„Das Geheimnis des Erfolgs, egal,worum es ge ht: 10000 Stunden üben. Üben, üben, üben“<br />
nicht treffen würden. Etwa eine spezielle<br />
Berufsentscheidung: Ohne Sozialstaat keine<br />
Philosophen!<br />
Steile These. Nehmenwir siemal beim<br />
Wort:Dannwären vielleichtnur diejenigen<br />
echte Philosophen, diediesesRisikoauch<br />
tatsächlich eingehen–und dieebennicht<br />
darauf vertrauen, insNetz desWohlfahrtsstaates<br />
zu fallen, wenn es nichts wird mit<br />
derProfessur.Das heißt: Wenn wirwirk-<br />
wiraber das Mehr als Wenigerwahrnehmen,<br />
entwertenwir nicht nurdas Erreichte,sonderneröffnen<br />
unsnur noch depressivePerspektiven:<br />
Entweder wirüberholenuns<br />
selbst mit gigantischen Wachstumsraten<br />
undprovozieren dieKritik der<br />
Naturfreunde. Oder wirüberlassen uns<br />
der Depression undvertrauen unsdenen<br />
an, dieden Restwohlstand verteilen. Das<br />
Ergebnisist,dass dieDeutschen nicht<br />
mehr nach dem eigenenBefinden fragen,<br />
sondern nach dem ihres Nachbarn. Sie<br />
fragen nicht:Wie gut geht es mirSie fragen:<br />
Wiegut geht es mir im Vergleichzu<br />
anderen<br />
muss mansie –umder political correctness<br />
willen–mit „Nein“ beantworten.<br />
Aber hier geht’s doch nicht nur um Moral. Sondern<br />
darum, dass Manager ihre Gehälter gerne<br />
mit dem Hinweis auf ihre Leistung rechtfertigen<br />
–obwohl einige von ihnen nur denTraum vom<br />
leistungslosen Einkommen leben, den sie jedem<br />
Arbeitslosen vorenthalten wollen.<br />
Offensichtlich scheint es auch in Unternehmen<br />
ein Rationalisierungsdefizitzugeben,<br />
einen strukturellenLeistungsmangel<br />
an der Spitze.Aber muss mannicht davon<br />
ausgehen, dass dieKrise helfen wird,diesen<br />
Mangelzubeheben Offenbar waren<br />
einige große Unternehmenbisherso<br />
profitabel, dass siesichdie Leistungsunfähigkeit<br />
einiger ihrer Mitarbeiterleisten<br />
konnten –sowie derStaat sich bisher die<br />
Leistungsunfähigkeit einiger Bürger leisten<br />
konnte. Insofern sollteman hier wiedort<br />
mit einem neuenLeistungsethosaus der<br />
Kriseherauskommen. Besondersoptimistisch<br />
bin ich allerdingsnicht.<br />
Warum ist essoschwer geworden, Lohn und<br />
Leistung zusammen zudenken<br />
Dashat mit den Massenmedien zu tun,die<br />
dafür sorgen, dass Status,Prestige undEinkommensichvon<br />
der Leistungemanzipieren.<br />
Celebrities müssen im Gegensatzzu<br />
den früheren Stars nichtsmehrleisten.<br />
Man kann siekünstlichaufbauen. Die voll-<br />
Sie unterstellen, dieses Ethos sei auf breiter<br />
Front verloren gegangen. Aber stimmt das<br />
überhaupt Die meisten Menschen gehen doch<br />
jedenTag arbeiten –und sie tun es seit zehn<br />
Jahren, obwohl ihre Nettolöhne nicht steigen.<br />
Dasmag sein. DasProblem ist, dassdie<br />
Massenmedien nicht diese Mehrheit,sondernständig<br />
Menschenzeigen, bei denen<br />
es schlechterdingsnicht nachvollziehbar<br />
ist, welchenZusammenhang es gibt zwischen<br />
ihrer Leistungund dem, was sie<br />
verdienen. Es werden Leute gezeigt,die<br />
unverdient absahnen –und Leute,die sich<br />
für fast nichtskaputtschuften. Dasheißt:<br />
Nicht die sozialen Unterschiede bedrohen<br />
den Zusammenhaltunserer Gesellschaft,<br />
sondern dieunverhältnismäßige Wahrnehmung<br />
dieser Unterschiede, aufderen<br />
Grundlage die Politik gleichmacherische<br />
Maßnahmen beschließt.Und dabei geht<br />
es der Politik nicht darum, dassGerechtigkeit<br />
geschieht,sonderndarum,dass die<br />
Leute sehen,dass Gerechtigkeit geschieht.<br />
Die Massenmedien verhindern eine ehrliche<br />
Diskussion darüber, was Leistung ist<br />
So istes. Nurein Beispiel:Wer sein Abitur<br />
in derTasche hat,kann entweder sofort<br />
studieren und schuften wieein Teufel–<br />
oder er kann eine Weltreise machen, ein<br />
bisschen jobbenund seinStudiumgenießen.<br />
Wenn Sienun zwei Jahrzehntespäter<br />
FOTOS: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
die Illusion eines Wohlfahrtsstaates,dessen<br />
Hauptaufgabe darin besteht, dem einen zu<br />
nehmen –und dem anderen zu geben.<br />
Die meisten Soziologen kommen zudem Befund,<br />
dass eben dieseAufstiegschancen sehr<br />
ungleich verteilt sind –und dass die Eliten eine<br />
geschlossene Veranstaltung darstellen.<br />
Dashalte ich fürein Gerücht. Ichstreite es<br />
schlichtweg ab, dass, wenn jemand etwas<br />
werdenwill in unsererGesellschaft,ernichts<br />
werdenkann.<br />
Manwirdnichtunbedingt das,<br />
wasman wollte, aber irgendwaskannman<br />
immerwerden.<br />
Ichzum Beispiel wollteFußballprofi<br />
werden–und alsdas<br />
nichtgeklappt hat, wenigstensPhilosoph.<br />
Damitbin ich jämmerlich gescheitert.<br />
Trotzdem binich einbisschenwas geworden.<br />
Der AmerikanerMalcolm Gladwell<br />
hatesauf eine Formelgebracht: DasGeheimnis<br />
desErfolgsist,egal, worumes<br />
geht: 10 000 Stundenüben. Üben, üben,<br />
üben.Soeinfachist das.<br />
Sie kritisieren also nicht den Sozialstaat Bismarck’scher<br />
Prägung, sondern einen Wohlfahrtsstaat,<br />
der Leistung nicht honoriert<br />
Die Erfindungdes Sozialstaatswar eine<br />
politischeMeisterleistung. Undich habe<br />
auch nichts dagegen, dassArbeitslose das<br />
bekommen, was siebekommen. Ich weise<br />
MEHR ZUM THEMA<br />
■ Wiedie Boni-<br />
Bankerweitermachen,<br />
lesenSie auf<br />
Seite 48<br />
hat, die natürliche Ungleichheit anzuerkennen:<br />
zum BeispielSchönheit undIntelligenz.Die<br />
wirkliche Wunde ist nicht das<br />
unterschiedliche Einkommen, dem manin<br />
der Tatdurch eine sozialistischePolitik<br />
beikommenkönnte. Nein:Die wirkliche<br />
Wunde, der wahreSkandal sind diebiologischenUnterschiede<br />
–und die vonElternhauszuElternhausganz<br />
unterschiedlichensozialen<br />
Startbedingungen.<br />
Die Politik kann dieses<br />
Problemnicht lösen...<br />
...und lenkt das Problem der natürlichen<br />
Ungleichheit in Gestalt des<br />
Wohlfahrtsstaates auf das Problem<br />
der sozialen Ungleichheit um<br />
Exakt. DerWohlfahrtsstaat erwartet nicht,<br />
dass manetwas für sein Lebentut –und<br />
dieMedien dokumentieren, dass man<br />
nichts für sein Lebentun kann. Gleichzeitig<br />
weiß jeder,dassersich auf dieHumanität<br />
unsererGesellschaftverlassenkann, die<br />
ihm–zumindest materiell –ein halbwegs<br />
menschenwürdiges Lebenermöglicht. Insofernmachtder<br />
Wohlfahrtsstaat dieBetroffenen,die<br />
seineProfiteuresein sollten,<br />
zu seinen eigentlichen Opfern.<br />
Man kann den Wohlfahrtsstaat auch freundlicher<br />
verstehen, als Möglichkeit etwa, Lebensentscheidungen<br />
zu treffen, die ohne ihn<br />
viel riskanter wären –und die wir ohne ihn<br />
lich denEindruck haben, dass es an sozialerDynamikund<br />
Aufstiegswillenfehlt –<br />
kann dasnichtauch daran liegen, dass unserBedürfnisnachAbsicherungzuausgeprägt<br />
ist Ichglaube, dass es an derZeit<br />
ist, eine neue Kultur derRisikobereitschaft<br />
zu wecken. Vorallemabermüssteman den<br />
Leuten klarmachen, dass es einRisikoist,<br />
kein Risiko einzugehen–ebendas Risiko,<br />
denAnschlusszuverlieren.<br />
In einem Suppenküchen-Sozialstaat wie in den<br />
USA sind die Menschen von der Gnade und der<br />
Gunst ihrer Mitmenschen abhängig. Gehört es<br />
nicht zum großen Erfolg des europäischen Modells,<br />
Herr-und-Knecht-Beziehungen in derVerantwortung<br />
des Staates aufgelöst zu haben<br />
Natürlich gibt es Formen derunverschuldetenHilflosigkeit<br />
undAbhängigkeit, etwa<br />
im Falle einerschwerenKrankheit oder einesUnfalls<br />
–und werindiesemFalle auch<br />
nureineSekunde zögert,dem Staat alle<br />
Kompetenzen der Hilfsbereitschaft und<br />
derSorge zuzuerkennen, istein Unmensch.<br />
So gesehen istunser Staat,ist<br />
Deutschlandabsolut vorbildlich.Aberdas<br />
istnatürlich etwas ganzanderes alsein Sozialstaat,der<br />
demNichtstunKarrieremöglichkeiten<br />
eröffnet. Deutschlandhat zwei<br />
Sozialstaaten. Dereineist großartig.Der<br />
andere gehört abgeschafft.<br />
■<br />
dieter.schnaas@wiwo.de, christopher.schwarz@wiwo.de<br />
124 WirtschaftsWoche I 25.5.2009 I Nr. 22 Nr. 22I25.5.2009 I WirtschaftsWoche 125<br />
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