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Norbert Bolz - Dieter Schnaas

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fivetonine<br />

„Irgendwas kann<br />

man immer werden“<br />

Der Medienwissenschaftler <strong>Norbert</strong> <strong>Bolz</strong> über<br />

guten und bösenNeid,die Grenzendes Sozialstaats<br />

und denSkandalder natürlichen Ungleichheit.<br />

Herr <strong>Bolz</strong>, in Ihrem neuen Buch schreiben Sie:<br />

„Seit der großen Bankenkrise ist der Manager<br />

der globale Sündenbock. Offenbar ist nichts<br />

schwieriger als der Umgang mit dem Erfolg.“<br />

Das meinen Sie ironisch, nicht wahr<br />

Nein,überhaupt nicht–wiekommen<br />

Siedarauf Am Manager tobt sich in<br />

diesen Monatenmal wieder dasgesammelte<br />

Ressentiment desPublikumsaus.<br />

Immerzu stößt man in Deutschland auf<br />

das, wasman im angelsächsischen<br />

Raum „Resentmentagainst Achievement“nennt:<br />

Missgunst,die sich gegen<br />

Leistung richtet.<br />

Leistung Sie scherzen. Das „Achievement“ einiger<br />

Bankmanager war derTotalverlust.<br />

Ich scherze keineswegs.Sicher,der Totalverlust<br />

ist unbezweifelbar,die Krise<br />

real –und dasVersagen wird vonfast<br />

allen Managern eingestanden. Doch<br />

stattdanachzufragen,wie es so weit<br />

kommen konnte,wird dieKrisezum<br />

Anlassgenommen fürdie neuerliche<br />

Bedienung antikapitalistischerVorbehalte.<br />

Man hatförmlich auf einen<br />

Grund gewartet,die Manager fertigzumachen.<br />

Sie übertreiben.<br />

NichtimGeringsten. So etwaswie den<br />

Managern passiertsonst nur noch dem<br />

Papst,der vonlinkenIntellektuellen<br />

quasi institutionell gehasst wird.Leider<br />

Gotteswar Papst Benedikt zunächst<br />

sehr geschickt.Als er dann aber einen<br />

Fehler machte,befandenwir uns endlich<br />

wieder im goldenenMittelalter unserer<br />

bestätigten Vorurteile. Und wie<br />

beim Papst,sobei denManagern:Man<br />

hatauf ihrVersagen gelauert, weil man<br />

sie hasst, so wieman hierzulande alle<br />

wirtschaftlich erfolgreichen Menschen<br />

hasst.<br />

Wir hatten ganz umgekehrt den Eindruck, dass<br />

Banker und Broker in den vergangenen Jahren<br />

als „Masters of the Universe“ gefeiert wurden.<br />

Daswar vielleicht in IhrenKreisen so,<br />

in derNischedes Wirtschaftsjournalismus.<br />

Deshalbwird ja jetztauch von<br />

Ihnenverlangt,dassSie ein bisschen in<br />

dieKniegehen,Beiträgezum allgemeinenBußritualleistenund<br />

hie<br />

und da dieHöhe derManagergehälter<br />

beklagen.<br />

Und der Rest der Deutschen Freut sich abends<br />

im stillen Kämmerlein, zurück von der Kurzarbeit,<br />

heimlich über die Krise<br />

Na ja,erwärmt sich jedenfallsamGefühl,dassder<br />

Kapitalismus seinwahres<br />

Raubtiergesichtgezeigt hat. Endlich ist<br />

wieder alles an seinemPlatz:Der Enthüllungsjournalist<br />

GünterWallraffist<br />

obenauf,die Charakterlosigkeit der<br />

oberen Zehntausendschreit zumHimmel.<br />

Insofernhat dieKrisemehrGewinnerals<br />

Verlierer.Vor allem die<br />

Linksintellektuellen,denen in denvergangenen<br />

20 Jahren dieThemen ausgegangen<br />

waren.Abernatürlich auch<br />

diePolitik,die sich als Retterund Regulatorpräsentieren<br />

kann.Wennman<br />

Finanzminister Peer Steinbrückbeobachtet,<br />

sieht man ja einePerson, die<br />

garnichtweiß,wohin vorGlück,Begeisterungund<br />

faszinierterZerknirschtheit<br />

überden schlimmen<br />

Standder Dinge.Sowie früherJoschka<br />

Fischer–erinnern Siesich noch Der<br />

hat es genossen, Außenminister in einer<br />

Welt zu sein, die aus den Fugen ist. Die<br />

Kriseist fürdie Politiker das Paradies.<br />

Könnte esnicht sein, dass die Kritiker des Kapitalismus<br />

wenigstens teilweise recht haben<br />

Ach, völligerQuatsch. Dieantikapitalistische<br />

Kritik hat einallerletztes Revival<br />

undscheint im Ernst zu meinen, der Sozialismussei<br />

wieder salonfähig. Tatsächlicherleben<br />

wir im Moment,wie der<br />

Staat sich neu formiert–und zwar mit<br />

einem Selbstverständnis, das dieSozialdemokratendankenswerterweiseauf<br />

densehr bezeichnenden Begriff des<br />

„vorsorgendenSozialstaates“ gebracht<br />

haben. Übrigensformiertsichdieser<br />

Staat neuerdings auchinden USA.<br />

Dortheißt er „nudge“,was „anschubsen“<br />

heißt und so viel bedeutet wie:<br />

gezielteEinflussnahme. Dahinter<br />

verbirgt sichder Gedanke, dass<br />

Menschen in einer zunehmend<br />

komplexen Welt nicht wissen<br />

können, was gut fürsie ist.<br />

Darausleitet diePolitik nur<br />

zu gern denAnspruch ab,<br />

diese Menschen mit »<br />

<strong>Bolz</strong>, 55, ist Professor für Medienwissenschaften<br />

an derTUBerlin.<br />

In den vergangenen Jahren hat er<br />

sich immer wieder mit höchst<br />

pointierten Streitschriften in<br />

gesellschaftspolitische Debatten<br />

über Konsum, Religion, Familie<br />

und Gleichberechtigung eingemischt.<br />

In seinem aktuellen Buch<br />

(„Diskurs über die Ungleichheit“,<br />

Fink-Verlag, 2009) kritisiert er die<br />

„soziale Gerechtigkeit“ als eine<br />

Entmündigung des Bürgers.<br />

FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

122 WirtschaftsWoche I 25.5.2009 I Nr. 22 Nr. 22I25.5.2009 I WirtschaftsWoche 123<br />

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fivetonine<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Bolz</strong><br />

sozialstaatlichenInterventionen aufden<br />

richtigenWeg zu bringen.<br />

Moment mal. Der Sozialstaat soll nicht die Ungleichheit<br />

beseitigen. Er soll nur denen gesellschaftlicheTeilhabe<br />

ermöglichen, die von den<br />

Segnungen des Kapitalismus nicht profitieren.<br />

Dassagen Sie–undich stimme Ihnenzu.<br />

Nurmöchte ich darauf hinweisen,dasssich<br />

derSozialstaat nichtharmonisch mit dem<br />

Rechtsstaat verträgt. DerSozialstaat kann<br />

nurfunktionieren,wennersich seiner<br />

Grenzen bewusst ist. Historisch gesehen,<br />

war daskein Problem: In der Adenauer-<br />

Zeit hatten dieDeutschen noch andere Probleme,<br />

als sich mit denReichsten undErfolgreichsten<br />

zu vergleichen.Sie verglichen<br />

sich mit ihrereigenen Vergangenheit –und<br />

machtendabei laufenddie Erfahrung,dass<br />

es ihnenständigein bisschenbesserging.<br />

Und heute<br />

Heute können wirdie ewige Aufstiegsgeschichtenicht<br />

weitererzählen undleiden<br />

an „statistischer Depression“, das<br />

heißt:Wir habenuns so sehr an Wachstum<br />

gewöhnt,dass wirbereits seine Verringerungals<br />

Schwundempfinden. Wenn<br />

Solange alle den Vergleich zumAnlass nehmen,<br />

sich zur Decke zu strecken, ist ja wohl nichts<br />

dagegen einzuwenden.<br />

Natürlichnicht.Esgehtimmerdarum,wie<br />

man mit Unterschieden umgeht.Spätestens<br />

seitHesiod wissen wir, dassessoetwas<br />

wieeinengutenNeidgibt,einen<br />

Neid,der unsanstachelt, der unserenEhrgeiz<br />

weckt, der die MenschenimVergleich<br />

mit anderen zu sich selbstemporhebt,<br />

indem er sie sagen lässt: „Das,was der erreicht<br />

hast,das will ichauch erreichen.“<br />

Und Ist doch prima.<br />

Ja.Das Problem istnur,dass wirdiesen<br />

positivenNeidgründlich verlernen.Im<br />

Zeitalter der Massenmedien vergleichen<br />

wiruns ständig mit dem Unvergleichlichen–und<br />

das spornt uns nicht an; das<br />

macht uns neidisch, träge,böse,missgünstig.<br />

Warumsonst zum Beispielwirddie<br />

Frage nach den Managergehältern rein<br />

moralisch gestelltSie lautet: Darf einManager<br />

400-mal so vielverdienen wieein<br />

Angestellter Diese Frage istfür mein persönlichesLeben<br />

undWohlergehen vonabsolut<br />

nachrangiger Bedeutung. Unddoch<br />

kommene Leistungsunabhängigkeiteines<br />

heutigen Superstars istdas Kunstwerk der<br />

Massenmedienselber.Sie suggerieren: Du<br />

kannstesschaffen,ohne etwas zu können.<br />

Überraschenderweisehat sich das bisin<br />

die Führungsetagender Unternehmen<br />

herumgesprochen. Es gibt heute immer<br />

mehr Leute mit wahnsinnigvielGeld, die<br />

vomDienstander kapitalistischen Sache,<br />

vomInvestment in eine bessere Zukunft<br />

nichtsmehrwissen wollen.<br />

Auf solche Menschen kann doch keiner neidisch<br />

sein. Über die ärgert man sich.<br />

Richtig–und zwar zu Recht.Solange erkennbar<br />

ist,dass es eine Korrelation gibt<br />

zwischendem Geld,das jemand hat,und<br />

der Leistung, die er erbringt,ist die<br />

Reichtumstoleranz hoch–und der unproduktiveNeidklein.<br />

Wenn aber das Bewusstseinfür<br />

den Zusammenhang zwischen<br />

Leistungund Bezahlung schwindet,<br />

ist die Reichtumstoleranz überfordert –<br />

undschlägtinEgalitarismusund Destruktivität<br />

um.Eben deshalb täte die Politik<br />

gutdaran, zu einem prononciert positiven<br />

Leistungsethoszurückzukehren.<br />

fragen, warumder eine so viel verdientund<br />

derandere nicht, könnte dasauch mit so<br />

oder so verbrachten Studienjahrenzusammenhängen.Danachfragt<br />

aber niemand,<br />

wenn er vordie Fernsehkamera gezerrt<br />

wird. Niemandfragt diealleinerziehende<br />

Mutter,warum siealleinerziehend ist –und<br />

warumsie beiMcDonald’sarbeitet. Die<br />

Schamverbietet unszufragen: Warum<br />

kannstdunur Hamburgerverkaufen Dabeigibt’sdoch<br />

wunderbare Tellerwäscher-<br />

Karrieren.Schauen Sie sich nurAltkanzler<br />

Gerhard Schröderan. Vonvieltiefer kann<br />

mannichtkommen. Aber er hatesdennoch<br />

geschafft –und seinen hoch dotierten<br />

Moskau-Job 1000-fachverdient.<br />

Sie meinen, Menschen wie Schröder sollten bei<br />

uns zum gesellschaftlichen Leitbild erhoben<br />

werden<br />

Ja,das istjadas Schlimme: dass manin<br />

den Massenmedien nicht aufdie Vita von<br />

so vielenMenschen hinweist,die was aus<br />

ihrem Leben gemacht haben. Mansieht<br />

immer nureinenbegründungslosen Ausschnitt<br />

ausdem Hier undJetzt,von Reichen<br />

undvon Armen –und so nährtman<br />

nur daraufhin, dass es einIrrtum ist, zu<br />

glauben,dass damit einProblem gelöst<br />

wäre –und dasssichdie Probleme durch<br />

staatliche Fürsorgeverschärfen.<br />

Wie kommen Sie darauf<br />

Schuldist das Ressentiment.Denn das<br />

Dumme an ihm ist, dassessichinder sozialen<br />

Frage einnistet –und dassessich<br />

fortanansichselbsternährt,ohne jemals<br />

satt seinzukönnen. In Schweden hat man<br />

vorzweiJahren einGleichstellungsministerium<br />

eingerichtet,weilman erstbei einer<br />

Frauenquote von48:52 angelangtwar.Das<br />

heißt: Je kleinerdie Unterschiede werden,<br />

desto mehr verbeißt sich das Ressentiment<br />

in die noch verbleibenden Restunterschiede.<br />

Erst das letzte Minimum an Differenz<br />

aufdem Wegzur jakobinischenGleichheit<br />

istoffenbar so unerträglich, dass manein<br />

Ministerium einrichten muss. Dasist<br />

nichtsanderes als Fanatismus im Gewand<br />

vonEmanzipationund Aufklärung.<br />

Sehen Sie hier nicht Gespenster Nur die<br />

wenigsten wollen totale Gleichheit.<br />

Dann wundereich mich, warum unsere<br />

Gesellschaft so viele Schwierigkeitendamit<br />

„Das Geheimnis des Erfolgs, egal,worum es ge ht: 10000 Stunden üben. Üben, üben, üben“<br />

nicht treffen würden. Etwa eine spezielle<br />

Berufsentscheidung: Ohne Sozialstaat keine<br />

Philosophen!<br />

Steile These. Nehmenwir siemal beim<br />

Wort:Dannwären vielleichtnur diejenigen<br />

echte Philosophen, diediesesRisikoauch<br />

tatsächlich eingehen–und dieebennicht<br />

darauf vertrauen, insNetz desWohlfahrtsstaates<br />

zu fallen, wenn es nichts wird mit<br />

derProfessur.Das heißt: Wenn wirwirk-<br />

wiraber das Mehr als Wenigerwahrnehmen,<br />

entwertenwir nicht nurdas Erreichte,sonderneröffnen<br />

unsnur noch depressivePerspektiven:<br />

Entweder wirüberholenuns<br />

selbst mit gigantischen Wachstumsraten<br />

undprovozieren dieKritik der<br />

Naturfreunde. Oder wirüberlassen uns<br />

der Depression undvertrauen unsdenen<br />

an, dieden Restwohlstand verteilen. Das<br />

Ergebnisist,dass dieDeutschen nicht<br />

mehr nach dem eigenenBefinden fragen,<br />

sondern nach dem ihres Nachbarn. Sie<br />

fragen nicht:Wie gut geht es mirSie fragen:<br />

Wiegut geht es mir im Vergleichzu<br />

anderen<br />

muss mansie –umder political correctness<br />

willen–mit „Nein“ beantworten.<br />

Aber hier geht’s doch nicht nur um Moral. Sondern<br />

darum, dass Manager ihre Gehälter gerne<br />

mit dem Hinweis auf ihre Leistung rechtfertigen<br />

–obwohl einige von ihnen nur denTraum vom<br />

leistungslosen Einkommen leben, den sie jedem<br />

Arbeitslosen vorenthalten wollen.<br />

Offensichtlich scheint es auch in Unternehmen<br />

ein Rationalisierungsdefizitzugeben,<br />

einen strukturellenLeistungsmangel<br />

an der Spitze.Aber muss mannicht davon<br />

ausgehen, dass dieKrise helfen wird,diesen<br />

Mangelzubeheben Offenbar waren<br />

einige große Unternehmenbisherso<br />

profitabel, dass siesichdie Leistungsunfähigkeit<br />

einiger ihrer Mitarbeiterleisten<br />

konnten –sowie derStaat sich bisher die<br />

Leistungsunfähigkeit einiger Bürger leisten<br />

konnte. Insofern sollteman hier wiedort<br />

mit einem neuenLeistungsethosaus der<br />

Kriseherauskommen. Besondersoptimistisch<br />

bin ich allerdingsnicht.<br />

Warum ist essoschwer geworden, Lohn und<br />

Leistung zusammen zudenken<br />

Dashat mit den Massenmedien zu tun,die<br />

dafür sorgen, dass Status,Prestige undEinkommensichvon<br />

der Leistungemanzipieren.<br />

Celebrities müssen im Gegensatzzu<br />

den früheren Stars nichtsmehrleisten.<br />

Man kann siekünstlichaufbauen. Die voll-<br />

Sie unterstellen, dieses Ethos sei auf breiter<br />

Front verloren gegangen. Aber stimmt das<br />

überhaupt Die meisten Menschen gehen doch<br />

jedenTag arbeiten –und sie tun es seit zehn<br />

Jahren, obwohl ihre Nettolöhne nicht steigen.<br />

Dasmag sein. DasProblem ist, dassdie<br />

Massenmedien nicht diese Mehrheit,sondernständig<br />

Menschenzeigen, bei denen<br />

es schlechterdingsnicht nachvollziehbar<br />

ist, welchenZusammenhang es gibt zwischen<br />

ihrer Leistungund dem, was sie<br />

verdienen. Es werden Leute gezeigt,die<br />

unverdient absahnen –und Leute,die sich<br />

für fast nichtskaputtschuften. Dasheißt:<br />

Nicht die sozialen Unterschiede bedrohen<br />

den Zusammenhaltunserer Gesellschaft,<br />

sondern dieunverhältnismäßige Wahrnehmung<br />

dieser Unterschiede, aufderen<br />

Grundlage die Politik gleichmacherische<br />

Maßnahmen beschließt.Und dabei geht<br />

es der Politik nicht darum, dassGerechtigkeit<br />

geschieht,sonderndarum,dass die<br />

Leute sehen,dass Gerechtigkeit geschieht.<br />

Die Massenmedien verhindern eine ehrliche<br />

Diskussion darüber, was Leistung ist<br />

So istes. Nurein Beispiel:Wer sein Abitur<br />

in derTasche hat,kann entweder sofort<br />

studieren und schuften wieein Teufel–<br />

oder er kann eine Weltreise machen, ein<br />

bisschen jobbenund seinStudiumgenießen.<br />

Wenn Sienun zwei Jahrzehntespäter<br />

FOTOS: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

die Illusion eines Wohlfahrtsstaates,dessen<br />

Hauptaufgabe darin besteht, dem einen zu<br />

nehmen –und dem anderen zu geben.<br />

Die meisten Soziologen kommen zudem Befund,<br />

dass eben dieseAufstiegschancen sehr<br />

ungleich verteilt sind –und dass die Eliten eine<br />

geschlossene Veranstaltung darstellen.<br />

Dashalte ich fürein Gerücht. Ichstreite es<br />

schlichtweg ab, dass, wenn jemand etwas<br />

werdenwill in unsererGesellschaft,ernichts<br />

werdenkann.<br />

Manwirdnichtunbedingt das,<br />

wasman wollte, aber irgendwaskannman<br />

immerwerden.<br />

Ichzum Beispiel wollteFußballprofi<br />

werden–und alsdas<br />

nichtgeklappt hat, wenigstensPhilosoph.<br />

Damitbin ich jämmerlich gescheitert.<br />

Trotzdem binich einbisschenwas geworden.<br />

Der AmerikanerMalcolm Gladwell<br />

hatesauf eine Formelgebracht: DasGeheimnis<br />

desErfolgsist,egal, worumes<br />

geht: 10 000 Stundenüben. Üben, üben,<br />

üben.Soeinfachist das.<br />

Sie kritisieren also nicht den Sozialstaat Bismarck’scher<br />

Prägung, sondern einen Wohlfahrtsstaat,<br />

der Leistung nicht honoriert<br />

Die Erfindungdes Sozialstaatswar eine<br />

politischeMeisterleistung. Undich habe<br />

auch nichts dagegen, dassArbeitslose das<br />

bekommen, was siebekommen. Ich weise<br />

MEHR ZUM THEMA<br />

■ Wiedie Boni-<br />

Bankerweitermachen,<br />

lesenSie auf<br />

Seite 48<br />

hat, die natürliche Ungleichheit anzuerkennen:<br />

zum BeispielSchönheit undIntelligenz.Die<br />

wirkliche Wunde ist nicht das<br />

unterschiedliche Einkommen, dem manin<br />

der Tatdurch eine sozialistischePolitik<br />

beikommenkönnte. Nein:Die wirkliche<br />

Wunde, der wahreSkandal sind diebiologischenUnterschiede<br />

–und die vonElternhauszuElternhausganz<br />

unterschiedlichensozialen<br />

Startbedingungen.<br />

Die Politik kann dieses<br />

Problemnicht lösen...<br />

...und lenkt das Problem der natürlichen<br />

Ungleichheit in Gestalt des<br />

Wohlfahrtsstaates auf das Problem<br />

der sozialen Ungleichheit um<br />

Exakt. DerWohlfahrtsstaat erwartet nicht,<br />

dass manetwas für sein Lebentut –und<br />

dieMedien dokumentieren, dass man<br />

nichts für sein Lebentun kann. Gleichzeitig<br />

weiß jeder,dassersich auf dieHumanität<br />

unsererGesellschaftverlassenkann, die<br />

ihm–zumindest materiell –ein halbwegs<br />

menschenwürdiges Lebenermöglicht. Insofernmachtder<br />

Wohlfahrtsstaat dieBetroffenen,die<br />

seineProfiteuresein sollten,<br />

zu seinen eigentlichen Opfern.<br />

Man kann den Wohlfahrtsstaat auch freundlicher<br />

verstehen, als Möglichkeit etwa, Lebensentscheidungen<br />

zu treffen, die ohne ihn<br />

viel riskanter wären –und die wir ohne ihn<br />

lich denEindruck haben, dass es an sozialerDynamikund<br />

Aufstiegswillenfehlt –<br />

kann dasnichtauch daran liegen, dass unserBedürfnisnachAbsicherungzuausgeprägt<br />

ist Ichglaube, dass es an derZeit<br />

ist, eine neue Kultur derRisikobereitschaft<br />

zu wecken. Vorallemabermüssteman den<br />

Leuten klarmachen, dass es einRisikoist,<br />

kein Risiko einzugehen–ebendas Risiko,<br />

denAnschlusszuverlieren.<br />

In einem Suppenküchen-Sozialstaat wie in den<br />

USA sind die Menschen von der Gnade und der<br />

Gunst ihrer Mitmenschen abhängig. Gehört es<br />

nicht zum großen Erfolg des europäischen Modells,<br />

Herr-und-Knecht-Beziehungen in derVerantwortung<br />

des Staates aufgelöst zu haben<br />

Natürlich gibt es Formen derunverschuldetenHilflosigkeit<br />

undAbhängigkeit, etwa<br />

im Falle einerschwerenKrankheit oder einesUnfalls<br />

–und werindiesemFalle auch<br />

nureineSekunde zögert,dem Staat alle<br />

Kompetenzen der Hilfsbereitschaft und<br />

derSorge zuzuerkennen, istein Unmensch.<br />

So gesehen istunser Staat,ist<br />

Deutschlandabsolut vorbildlich.Aberdas<br />

istnatürlich etwas ganzanderes alsein Sozialstaat,der<br />

demNichtstunKarrieremöglichkeiten<br />

eröffnet. Deutschlandhat zwei<br />

Sozialstaaten. Dereineist großartig.Der<br />

andere gehört abgeschafft.<br />

■<br />

dieter.schnaas@wiwo.de, christopher.schwarz@wiwo.de<br />

124 WirtschaftsWoche I 25.5.2009 I Nr. 22 Nr. 22I25.5.2009 I WirtschaftsWoche 125<br />

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