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kenzeichen Ausgabe 1/10 - Kantonsschule Enge

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Foto: Andreas Haag<br />

gehe ich hinein. Wir haben es geschafft. Wir sind endlich<br />

drin. Die ganze Aufregung, die neuen Kleider, die<br />

schmerzenden Schuhe, alles hat sich gelohnt. Ja sogar,<br />

dass wir von Katies Schwester den Ausweis geklaut haben,<br />

ja sogar das hat sich gelohnt. Mit einem riesigen<br />

Strahlen kommt sie auf mich zu.<br />

«Miär händs gschafft! Oh miin Gott, miär sind drin!<br />

Chum schnell zur Gardärobe.»<br />

Wir zahlen zusammen 16 Franken für die Garderobe<br />

und je 30 Franken für den Eintritt, doch es ist uns egal,<br />

wir achten nicht aufs Geld. Wir sind drin, wir gehören<br />

endlich dazu, zu den Schönen und Reichen.<br />

Die Musik wallt mir entgegen. Sie dröhnt aus allen Boxen,<br />

mein ganzer Kopf pocht mit dem Bass mit. Das<br />

Licht ist gedämpft durch den Zigarettenrauch, der sich<br />

angesammelt hat. Ich schaue nach hinten, nach rechts,<br />

nach links. Leute drängen sich an mir vorbei. Wir stehen<br />

da und wissen im ersten Moment nicht, was wir<br />

machen sollen. Da spüre ich eine Hand von hinten auf<br />

meiner Hüfte.<br />

«Gömer ad Bar!?», schreit mir Sandro ins Ohr, sodass<br />

fast mein Trommelfell platzt.<br />

Ruckartig weiche ich von ihm weg, doch schon hat Katie<br />

mich an der Hand gepackt und zerrt mich zur Bar.<br />

Ich trinke aus Langweile, Katie aus Verlegenheit. Wir<br />

sitzen da und reden über belanglose Sachen. Also<br />

hauptsächlich redet Katie und Sandro. Marcel raucht<br />

und schaut sich jede Frau von unten bis oben an, als<br />

wäre sie ein Stück Fleisch. Nach zwei Gläsern Champagner<br />

und einer Whisky-Cola wollen wir tanzen, doch<br />

als ich aufstehe, verliere ich das Gleichgewicht und falle<br />

etwas plump wieder auf den Hocker zurück. Katie lacht<br />

hysterisch. Sandro hilft mir mit einem Schmunzeln<br />

wieder auf und flüstert Marcel etwas ins Ohr, was ihn<br />

Nicken lässt.<br />

Auf der Tanzfläche wird es immer enger. Überall spüre<br />

ich Hände und Haut, doch alle Berührungen kommen<br />

so schnell und unklar. Ich schaue auf die Uhr. Wie die<br />

Zeit vergeht, es ist schon bald 02.00 Uhr. Marcel tanzt<br />

mit Katie, eng und irgendwie widerlich.<br />

Ich will Katie von ihm wegziehen, doch sie schenkt<br />

mir einen bösen Blick. Ich tanze etwas wackelig. Als<br />

ich Sandro sehe, lächle ich. Er kommt näher und wir<br />

tanzen zusammen, immer näher und näher. Er legt seine<br />

Hände auf meine Hüften. Mir ist es egal, ist doch<br />

nur Spass. Doch sie rutschen immer weiter runter und<br />

runter.<br />

«Shit, das gaht z‘ wiit!»<br />

Ich reisse mich von ihm los. Verwirrt sieht er mich an.<br />

«Ich muess ufs WC!», entgegne ich entschuldigend. Ich<br />

schupse mich durch die Menge in Richtung Toilette.<br />

Dort ist die Musik gedämpft, ich bin froh um die kleine<br />

Auszeit.<br />

Als mein Blick in den Spiegel fällt, erschrecke ich.<br />

«Wooooww, gsehn ich scheisse us!»<br />

Meine Nase glänzt und meine Haare sind nicht mehr<br />

glatt, sondern haben sich von der Hitze und Feuchtigkeit<br />

gewellt.<br />

Ich streiche mir den Lidschatten unter den Augen weg<br />

13<br />

und putze mir die Nase. Als ich das Taschentuch wegwerfe,<br />

packt mich jemand am Arm.<br />

«He, wo hasch es her?», ich schaue das Mädchen verdutzt<br />

an.<br />

«Säg bitte, ich bruchs umbedingt.»<br />

Sie hat tief Ringe unter den Augen.<br />

«Sorry, han nur mini Nase putzt.»<br />

Entnervt lässt sie mich los, dreht sich um und verschwindet<br />

in der Toilette.<br />

Wieder auf der Tanzfläche, suche ich Katie. Mittlerweile<br />

tanzt Sandro mit einer anderen. Ziellos boxe ich mich<br />

durch die Menge, verbrenne mir fast die Haare an einer<br />

Zigarette und stolpere über eine Stufe. Ich streife ziellos<br />

umher. Plötzlich sehe ich einen Jungen auf dem Boden.<br />

Blut auf seinem Gesicht. Er krümmt sich. Zwei andere<br />

schlagen wild um sich. Ich höre Schreie, Rufe.<br />

Ein Stoss, ich falle und jemand stürzt auf mich drauf.<br />

Nochmals spüre ich einen Ruck und jemand steht auf<br />

meine Hand. «AAAAAHHH!!»<br />

Ich reisse mich mit aller Kraft wieder hoch und stürme<br />

nach draussen. Ich bin nass, meine Hand schmerzt, mir<br />

ist übel. Den Tränen nahe, komme ich nach draussen.<br />

Ich torkle zwei Schritte und lehne mich an ein Auto, um<br />

mich zu erholen. Meine Glieder tun weh, und ich spüre<br />

meine Füsse kaum. Ich würde so gerne nur noch in<br />

mein Bett fallen und einschlafen.<br />

In dem Moment sehe ich von weitem zwei Gestalten<br />

umschlungen in einer Ecke sitzen.<br />

«Oh, miin Gott, das chan doch nöt wahr sii» .<br />

Ich stolpere zu den zwei hin. Marcel sieht mich zuerst<br />

und richtet sich auf. Er lächelt verschmitzt. Mit grossen<br />

Augen sehe ich ihn an, dann Katie. Sie sitzt auf einer<br />

Treppe, die Beine zusammengepresst und schaut mich<br />

nicht an. Ich bekomme Tränen des Zorns und der Verzweiflung.<br />

«Wo bisch du gsii, ich han dich überall gsuecht!!?»,<br />

schreie ich Katie an. Sie entgegnet nichts.<br />

«Aso, äähm, ich gahn demfall mal.»<br />

Marcel dreht sich um und verschwindet, ohne Katie<br />

noch einmal anzusehen.<br />

«Bisch du wahnsinnig, mit ihm allei da usezgah?»<br />

Ich setze mich besorgt neben Katie.<br />

«Ja, ich weiss doch au nöd, isch halt so cho. Sorry!»<br />

Sie lehnt sich an meine Schulter und würgt.<br />

«Miär isch schlächt, gömer hei?»<br />

Nirgends auf der Welt wäre ich jetzt lieber als zu Hause.<br />

Ich hole unsere Jacken und Taschen. Auf dem Weg<br />

stosse ich gegen jemanden. Als ich aufblicke, sieht mich<br />

das blonde It-Girl an , das zu Beginn des Abends aus der<br />

Limo gestiegen ist.<br />

«Das isch kein Chindergarte, gahn hei, Meitli.»<br />

Katie und ich sitzen schweigend im Taxi. Ich schaue<br />

durch das Fenster auf die leeren Strassen und denke<br />

über den Abend nach. Irgendwann drehe ich mich zu<br />

ihr und lege meine Hand auf ihre. Sie zuckt zusammen,<br />

doch dann lächeln wir uns an.<br />

«Niemeh!», sage ich zu ihr.<br />

«Niemeh!», antwortet sie.

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