Ein Stammesbruder für schwierige Existenzen - IQ Consult
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Social Entrepreneur<br />
<strong>Ein</strong> <strong>Stammesbruder</strong> für <strong>schwierige</strong><br />
<strong>Existenzen</strong><br />
von Georgia Hädicke<br />
21.12.2010<br />
Seite 1 | 2 | 3<br />
<strong>Ein</strong>e Kreuzberger Gang will eine Firma für Wärmekissen<br />
gründen Nun, das ist ein Fall für Norbert Kunz. Er ist<br />
Business-Angel und Unternehmensberater für Außenseiter und<br />
Migranten. Das Geschäft läuft gut, für die Gründer - und für<br />
ihn.<br />
Preisträger Norbert Kunz<br />
Foto: FTD/Marco Urban<br />
Manchmal, wenn Norbert Kunz an früher denkt, muss er grinsen. <strong>Ein</strong>mal, da stürmten diese<br />
zehn Jugendlichen in sein Büro in Kreuzberg, sie stellten sich vor als "Kazikenstamm", der<br />
Name ihrer Gang. Sie wollten Business machen, hatten fünf, sechs Ideen. "Alles ging<br />
durcheinander. Da musste man sich erst mal reindenken", erzählt Kunz.<br />
Heute sitzt ihm ein Teil des "Kazikenstamms" gegenüber und schaut so, als ob der Vater<br />
gerade Babyfotos herumzeigen würde. "Wir waren ein ziemlich wilder Haufen", sagt einer<br />
von ihnen, Sven-Oliver Nerger. "Kazik sagt man im Türkischen, wenn was blöd läuft. <strong>Ein</strong><br />
türkisches Shit happens‘." Zwei der Jungs hatten türkische Wurzeln, es passte zu ihrer<br />
<strong>Ein</strong>stellung. Doch damit allein wären die heutigen Unternehmer nicht weit gekommen. <strong>Ein</strong><br />
"Shit happens" ist nun mal kein Businessplan. Bei Norbert Kunz reichte es.<br />
Der 52-Jährige ist ein Businessengel für harte Fälle. Mit seiner Firma <strong>IQ</strong> <strong>Consult</strong> hilft er<br />
Menschen bei Existenzgründungen, denen niemand zutraut, Unternehmer zu werden: Kunz<br />
berät junge Arbeitslose ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung, häufig mit<br />
Migrationshintergrund. Seine Idee ist das, was er als "Empowerment" bezeichnet. Jeder, der<br />
sich selbstständig machen will, soll eine Chance bekommen. <strong>Ein</strong>zige Voraussetzung: "Der<br />
Gründer muss es wirklich, wirklich wollen." Das doppelte "Wirklich" ist Kunz wichtig.
Sein Beratungskonzept hat er aus England übernommen und damit in Deutschland<br />
Pionierarbeit geleistet. "Hier hat man immer noch dieses Bild, wie ein Unternehmer aussehen<br />
soll. Männlich, gut ausgebildet, Anfang 40, mit eigenem Kapital und Sicherheiten." Hilfen für<br />
solche Gründer gibt es viel, Handelskammern und Banken legen seit Jahren Förder- und<br />
Kreditprogramme auf. "Nur wird dieser Gründertyp immer seltener."<br />
Mit seinem Geschäftskonzept deckt Kunz diese Nische ab. Er erkannte früh, dass<br />
Benachteiligte andere Hilfe brauchen, um den Sprung in die Selbstständigkeit zu schaffen. Er<br />
und seine rund 30 Mitarbeiter sind Berater, Motivationscoaches, Therapeuten, Betriebswirte<br />
und Finanzexperten in einem. Sie stellen den Willen der Gründer auf die Probe, arbeiten mit<br />
ihnen die Geschäftskonzepte aus, suchen nach einer Finanzierung. Den "Kaziken" hat Kunz<br />
zu einem Unternehmen verholfen, das unter dem Markennamen Leschi Wärmekissen mit<br />
Körnerfüllung verkauft - und das recht erfolgreich.<br />
Mehr als 2000 junge Menschen haben sich mit Kunz' Hilfe selbstständig gemacht, 70 Prozent<br />
davon sind es heute noch. Für sein Engagement und die Umsetzung seiner Empowerment-<br />
Vision hat Kunz jetzt den Preis "Social Entrepreneur des Jahres 2010" erhalten, den die<br />
Schwab Foundation mit der Unternehmensberatung Boston <strong>Consult</strong>ing Group und der<br />
Financial Times Deutschland vergibt.<br />
"Ich sehe mich selbst als Lernarchitekt"<br />
Kunz arbeitet an einer wichtigen Schnittstelle. Mehr sozial benachteiligte Menschen in die<br />
Selbstständigkeit zu führen und damit zu einer beruflichen Existenz - das hat auch die<br />
Europäische Union in ihrem Reformpaket "Europa 2020" als großes Ziel formuliert. In<br />
Deutschland, wo es nach Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)<br />
eh zu wenig Gründer gibt, ist der Bedarf besonders groß. Mehr als die Hälfte aller<br />
Existenzgründungen sind mittlerweile ein Versuch, aus der Arbeitslosigkeit zu entkommen.<br />
Und der Anteil der Gründer mit ausländischer Staatsangehörigkeit nimmt stetig zu. Dabei, das<br />
zeigen die IAB-Studien, geben gering qualifizierte Gründer schneller auf als andere.<br />
"Gerade benachteiligte Gruppen sind bei der Existenzgründung oft auf besonders<br />
spezialisierte, gewerbliche Beratungsangebote angewiesen", sagt Udo Brixy vom IAB. "Die<br />
kennen ihre Zielgruppe und die Situation vor Ort und können sich auf die Bedürfnisse dieser<br />
Menschen entsprechend einstellen." Die Arbeitsagenturen haben weder die Möglichkeiten<br />
noch die Aufgabe, Gründern zu helfen, die Handelskammern bieten meist nur<br />
Standardseminare an.<br />
Diese Lücke hat Kunz erkannt. "Ich sehe mich selbst als Lernarchitekt", sagt er. "Ich will den<br />
Leuten zeigen, wie sie sich mit ihren Fähigkeiten selbst weiterentwickeln können." Was er<br />
aufbaue, müsse am Ende auch allein stehen können.<br />
Nach diesen Grundsätzen hat Kunz sein eigenes Geschäftsmodell ausgerichtet. <strong>IQ</strong> <strong>Consult</strong><br />
finanziert er aus öffentlichen Geldern, vor allem Länder und Arbeitsagenturen zahlen<br />
Fördermittel, um Arbeitslose zu integrieren. Die Kunden zahlen keine Honorare. Um die<br />
Kosten zu decken, ist <strong>IQ</strong> <strong>Consult</strong> nebenher eine ganz normale Politik- und<br />
Unternehmensberatung. Mit den Überschüssen dort wird die Gründerberatung subventioniert.
Kunz stammt aus dem Taunus, doch in Kreuzberg fühlte er sich zu Hause. In seinem Kiez<br />
entwickelte er seine Idee. Jahrelang engagierte er sich politisch, arbeitete für die Grünen, war<br />
Geschäftsführer eines Kulturforums. In dem Gebäude arbeitet er bis heute. Auf den Etagen,<br />
die er und seine Freunde einst mit gepumptem Kapital gemietet hatten, befinden sich die<br />
Büroräume von <strong>IQ</strong> <strong>Consult</strong>. Der Dramatiker Heiner Müller bewohnte früher die Etage über<br />
ihnen, tagsüber fuhren deswegen häufig Touristenbusse vorbei. <strong>Ein</strong>e schulterhohe Fotografie<br />
des Autors steht noch heute in Kunz' Büro, in dem sich sonst allerlei Papiere stapeln.<br />
Als er 1994 die Firma <strong>IQ</strong> <strong>Consult</strong> gründete, wollte er in einem Modellversuch Jugendliche,<br />
die keinen Berufsabschluss hatten, so schulen, dass sie am Ende die Prüfung bei der Industrieund<br />
Handelskammer schafften. Das gelang ihm zwar, aber die Jugendlichen blieben trotz<br />
bestandener Prüfung größtenteils ohne Job. Kunz war frustriert. <strong>Ein</strong>e bessere Lösung musste<br />
her: die Gründerberatung.<br />
Probleme mit der Anschubfinanzierung<br />
Doch er stieß auf Skepsis. Warum, bitte schön, sollten unausgebildete Jugendliche das Risiko<br />
eingehen und Unternehmer werden "Man hat uns Vorwürfe gemacht, dass wir zu hohe<br />
Erwartungen wecken und die jungen Leute dazu bringen, sich übermäßig zu verschulden",<br />
sagt Kunz. Erst als eine Mitarbeiterin im Jugendministerium in Brandenburg ihm ein kleines<br />
Büro gab, konnte er loslegen. "In den ersten Jahren reisten die Jugendlichen zum Teil drei<br />
Stunden mit dem Zug an, nur um sich von uns beraten zu lassen", erinnert sich Kunz.<br />
Kunz ist keiner, der kategorisch Nein zu Ideen sagt. Trotzdem ist er bei der Förderung sehr<br />
wählerisch: Nur 20 Prozent der Menschen, die für eine erste Beratung zu ihm kommen,<br />
gründen am Ende tatsächlich ein Unternehmen.<br />
<strong>Ein</strong>es der großen Probleme war von Anfang an die Finanzierung. Natürlich hatten die meisten<br />
Gründer keine Sicherheiten, um bei einer Bank einen Kredit zu bekommen. Also musste Kunz<br />
sich etwas einfallen lassen: Der gelernte Bankkaufmann entwickelte ein<br />
Mikrofinanzinstrument, ein Modell, das die GLS Bank und das Deutsche Mikrofinanzinstitut<br />
übernahmen.<br />
Auch <strong>IQ</strong> <strong>Consult</strong> selbst vergibt Kredite bis 10.000 Euro. Dafür verlangt das Unternehmen<br />
sogar etwas mehr als den Marktzins, doch eine Geschäftsidee dürfe nicht an 30 Euro<br />
Zinsdifferenz im Jahr scheitern, findet Kunz. "Wir sind vorsichtig mit diesen Krediten, es ist<br />
ja unser Geld", sagt er. Auch sie prüfen Schufa-<strong>Ein</strong>träge. Und sie beraten Kreditnehmer so<br />
lange, bis sie alles zurückgezahlt haben. Die Ausfallquote liegt unter vier Prozent.<br />
Kunz will sein Beratungsprogramm nun noch weiter ausdehnen. Seit 2004 berät er Menschen<br />
mit Schwerbehinderung zur Existenzgründung. Und in Kreuzberg vermietet er in einem<br />
Hinterhaus Büroflächen an Gründer. "Ich kann mich nicht langweilen", sagt er. Die<br />
Beratungen selbst machen heute allerdings meist andere, er bastelt lieber an neuen Ideen, die<br />
Menschen in die Selbstständigkeit führen sollen. "Am Anfang freut man sich über jeden, der<br />
es geschafft hat", sagt er. "Doch irgendwann hat man in dem Geschäft jedes Problem schon<br />
mal gehört."<br />
Dann müssten neue Berater mit einem frischen Blick ran. Deshalb arbeitet er mittlerweile mit<br />
Partnerorganisationen in Berlin und den neuen Bundesländern zusammen, die nach seinem<br />
Konzept Gründer unterstützen - Social Franchising nennt sich dieses Prinzip.
Der Kazikenstamm gehört bis heute zu seinem eigenen Kundenstamm. Manchmal hört Kunz<br />
ein Jahr gar nichts von den Leschi-Unternehmern, doch dann kommen sie doch wieder mit<br />
Fragen zu ihm. Mittlerweile geht es um Zeitmanagement und Veränderungen in der<br />
Gesellschaftsform. Viel weiter sind die Gründer als am Anfang, als Kunz ihnen erst mal<br />
erklären musste, wie eine Kostenrechnung funktioniert oder eine Bilanz.<br />
Er hat trotzdem an sie geglaubt. "Man muss sich die Leute angucken und sie fragen, warum<br />
sie jetzt gerade eigentlich hier sind." Zwei Dinge, sagt er, verlangt er von seinen<br />
Existenzgründern: "Willen" und eine "Idee". Auf der anderen Seite des Tischs nickt Sven-<br />
Oliver Nerger vom Kazikenstamm und sagt: "Mal ehrlich: In dem Augenblick hat man ja<br />
auch nichts anderes."<br />
Social Entrepreneur<br />
Der Preis Die Schwab Foundation zeichnet in 30 Ländern Unternehmer aus, die soziales<br />
Engagement mit Geschäftsgeist verbinden. In Deutschland wird der Preis gemeinsam mit der<br />
Boston <strong>Consult</strong>ing Group und der Financial Times Deutschland vergeben.<br />
Die Kriterien Ausgezeichnet werden die Chefs von Organisationen, die innovativ sind,<br />
gemeinnützige Ziele verfolgen und ihre Arbeit nicht allein über Spenden finanzieren.<br />
Bewertungskriterien sind unter anderem der Vorbildcharakter, Nachhaltigkeit, die soziale<br />
Wirkung und die Reichweite.<br />
Der Gewinner An Norbert Kunz' Unternehmen <strong>IQ</strong> <strong>Consult</strong> überzeugte die Jury vor allem die<br />
soziale Wirkung. Der deutsche Arbeitsmarkt ist von Unsicherheit geprägt. Kunz leiste in<br />
dieser Situation vor allem Hilfe zur Selbsthilfe und fördere bei benachteiligten Menschen die<br />
Eigeninitiative.