Medizinische Versorgung auf dem Land - Coloplast
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Collegial | Sommer 2011 | Fokus<br />
6<br />
Nach rund zwanzig Minuten blickt<br />
Karin Hinkel <strong>auf</strong> ihre Uhr: Zeit zum<br />
Aufbruch. Bei der Verabschiedung<br />
sitzt Frau Kaisen kerzengerade <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />
Sofa.<br />
Bei Anruf Arzt<br />
„Wenn ich keine Hausbesuche mache,<br />
arbeite ich ganz normal in der Praxis“,<br />
erzählt Karin Hilker im Auto. „Danach<br />
freue ich mich wieder, an meinem<br />
VERAH-Tag rauszukommen.“ Das Rauskommen<br />
ist für Herrn Meister, den nächsten Patienten von<br />
Karin Hinkel, nur mit großem Aufwand möglich.<br />
Der ehemalige Gärtnermeister stürzte vor einiger<br />
Zeit schwer. Er kann wieder sitzen, muss aber von<br />
seiner Frau und einem Pflegedienst versorgt werden.<br />
Die Zusammenarbeit zwischen Hausarztpraxis und<br />
Pflegedienst läuft problemlos. Man hilft sich, wo man<br />
kann. „Wenn ich schon hier bin, kann ich zum Beispiel<br />
die Wundversorgung gleich mitmachen.“ Herrn<br />
Meister und seiner Frau ist’s recht, wenn sie nicht<br />
immer den Überblick behalten müssen, wer was<br />
wann macht. Neben der Erkrankung mit Terminen,<br />
Medikamenten oder Überweisungen zurechtzukommen,<br />
sei schwer genug.<br />
Der Kreisl<strong>auf</strong> mache heute Probleme, sagt der trotz<br />
allem verschmitzt lächelnde Mann. Nach<strong>dem</strong> Karin<br />
Hilker mögliche Ursachen angesprochen hat, greift<br />
sie zum Mobiltelefon. „Oh, hallo Herr Doktor!“, sagt<br />
sie überrascht, als sich sofort jemand meldet. „Herr<br />
Meister kann wieder sitzen, fühlt sich manchmal<br />
aber etwas schwindelig“, gibt sie an Dr. Mühlenfeld<br />
durch. Eine Minute später folgt die an Herrn<br />
Meister gerichtete Antwort: „Brühe, Sie sollten Brühe<br />
trinken, das ist gut für den Kreisl<strong>auf</strong>.“ Karin Hilker<br />
ärgert sich ein bisschen, dass ihr das nicht selbst<br />
eingefallen ist. Wo doch Brühe ein altes Hausmittel<br />
ist. Aber bei den ganzen Medikamenten, die immer<br />
gleich nachgefragt werden ... Bei Frau Meister liegt<br />
noch etwas <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Herzen bzw. <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Tisch: der<br />
Kurantrag für ihren Mann. „Wo muss ich hier eigentlich<br />
was ausfüllen“ Die Arzthelferin schaut sich<br />
geduldig das Papier an: „Hier ankreuzen und noch<br />
unterschreiben, den Rest haben wir schon gemacht –<br />
und natürlich abschicken.“<br />
Raus <strong>auf</strong>s <strong>Land</strong><br />
Jetzt muss sich Karin Hilker sputen, bei heute insgesamt<br />
sechs Hausbesuchen. Eigentlich ein normaler<br />
VERAH-Tag, wäre da nicht die Begleitung. Jetzt geht’s<br />
<strong>auf</strong>s <strong>Land</strong>. Auch das gibt es im Stadtstaat Bremen:<br />
weite Wiesen, <strong>Land</strong>wirtschaft. „Hof Pfeifer seit 1642“<br />
steht an der Einfahrt, in die sie einbiegt. Ein Hund<br />
bellt. In der großen Holztüre steht eine ältere Frau.<br />
Sie trägt derbe Hosen und dicke Socken. Karin Hilker<br />
stellt sie noch im Auto vor: „Frau Pfeifer (Name geändert)<br />
untersuche ich gleich mit, wenn ich schon mal<br />
hier bin. Eigentlich bin ich wegen der chronischen<br />
Vertrauensverhältnis<br />
Dr. med. Hans-Michael Mühlenfeld,<br />
Bremen, Bundesvorstand des<br />
Deutschen Hausärzteverbandes<br />
Wenn man bedenkt, dass immer mehr<br />
ältere Patienten mit komplexeren Krankheitsbildern<br />
zu versorgen sind und in<br />
einigen Gebieten Deutschlands ein<br />
Hausärztemangel herrscht, sind <strong>Versorgung</strong>sassistentinnen<br />
in der Hausarztpraxis (VERAH ® ) ein<br />
großer Gewinn. Die Initiative wurde vom Institut für<br />
hausärztliche Fortbildung (IhF) in Zusammenarbeit<br />
mit <strong>dem</strong> Verband medizinischer Fachberufe (VmF)<br />
entwickelt. VERAHs entlasten den Arzt bei der<br />
täglichen Arbeit, führen Hausbesuche durch,<br />
leisten Hilfestellung bei der Prävention oder<br />
Rehabilitation und unterstützen bei Koordinationsund<br />
Management<strong>auf</strong>gaben. Das hat nicht nur<br />
für den Arzt und den Patienten Vorteile, die<br />
Mitarbeiterinnen selbst sind durch das eigenverantwortlichere<br />
Arbeiten hoch motiviert. Zwischen<br />
der Mitarbeiterin und <strong>dem</strong> Patient entsteht oft ein<br />
enges Vertrauensverhältnis, das in der Regel <strong>dem</strong><br />
Gesamtzustand des Kranken zugute kommt.<br />
Atemwegserkrankung ihres Mannes hier.“ Ein Mann<br />
in den Achtzigern sitzt <strong>auf</strong> der Holzbank in der großen<br />
Küche. „Ihre Stimme klingt aber viel besser als<br />
noch am Telefon“, sagt Karin Hinkel zu ihm, nach<strong>dem</strong><br />
sie alle notwendigen Untersuchungen abgeschlossen<br />
hat. „Unser Telefon ist auch schon alt“, kommt es trocken<br />
aus <strong>dem</strong> Mund von Herrn Pfeifer. Karin Hinkel<br />
lacht. Nicht zum ersten Mal heute. Es fällt <strong>auf</strong>: Der<br />
Humor und das Verhalten der zu HauseVersorgten<br />
ist anders als in der Praxis oder gar im Krankenhaus.<br />
Daheim sind die Unbilden des Lebens einfach besser<br />
zu ertragen. Auch das kann eine Initiative wie<br />
VERAH leisten. Es ist sicher nicht das Geringste.<br />
Zulassungsvoraussetzungen für VERAH ® sind<br />
eine abgeschlossene Berufsausbildung zur<br />
medizinischen Fachangestellten mit einschlägiger<br />
Berufserfahrung in einer Hausarztpraxis oder eine<br />
abgeschlossene Berufsausbildung in einem<br />
anderen medizinischen Fachberuf mit mindestens<br />
zweijähriger Berufserfahrung in einer Hausarztpraxis.<br />
Während der Weiterbildung muss unter<br />
anderem ein Curriculum, das 200 Stunden umfasst,<br />
absolviert werden. Inzwischen haben rund 2.600<br />
medizinische Fachangestellte die Abschluss prüfung<br />
zur VERAH bestanden.