Bild: Hermine Haslinger - Kleinen Sozialen Netze
Bild: Hermine Haslinger - Kleinen Sozialen Netze
Bild: Hermine Haslinger - Kleinen Sozialen Netze
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Zeit des weißen Zaubers<br />
Michael Howanietz<br />
Buchautor und Freier Publizist<br />
4<br />
Kaum Winterfreuden ohne Schnee;<br />
seine künstliche Herstellung ist für<br />
viele Tourismusregionen eine Frage<br />
des Überlebens<br />
„Wann kommt Schnee und in welchem<br />
Ausmaß...Gibt es weiße Weihnachten“<br />
Alle Jahre wieder die gleichen<br />
Fragen. Dabei läßt sich jene nach Herkunft,<br />
Struktur und Beschaffenheit des<br />
winterlichen Flockenzaubers viel leichter<br />
und dazu gesichert beantworten.<br />
In den Wolken gefrieren feinste Wassertropfen.<br />
Schnee entsteht. Winzige<br />
Eiskristalle, kleiner als ein Zehntel Millimeter,<br />
machen sich auf ihren schwerkraftbestimmten<br />
Weg. Während ihrer<br />
gemächlichen Reise, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit<br />
von rund<br />
1km/h, bilden sie sechseckige Konturen<br />
aus, die aufgrund des Feuchtigkeitsgehaltes<br />
der Luft wachsen.<br />
Liegen die Temperaturen um den Gefrierpunkt,<br />
entstehen sternförmige<br />
Kristalle, die sich zu bauchig dicken<br />
Flocken verkleben. Ist es sehr kalt, fallen<br />
einzelne, prismen- bis plättchenförmige<br />
Kristalle hernieder, die der<br />
wintersportbegeisterte Erdling als trockenen<br />
Pulverschnee bejubelt.<br />
Dessen Pendant ist der Naßschnee, der<br />
unter Druck zu Wasser zerfließt. Das<br />
Zwischenstadium ist patziger Feuchtschnee.<br />
Jungfräulich und weiß, weil er<br />
bis zu 95 Prozent Luft enthält, heißt<br />
der Winterzauber Neuschnee. Im Alter<br />
von drei Tagen wird er bereits zum Altschnee<br />
- und sieht, wenigstens in der<br />
Großstadt, zumeist auch so aus.<br />
Schmilzt der oberflächennahe Schnee<br />
mehrfach und gefriert wieder, entsteht<br />
die feste Deckschicht des Harsch. Die<br />
durch vielfaches Auftauen und Gefrieren<br />
zu kompakten Eisklumpen verschmolzenen,<br />
mindestens einjährigen<br />
Eiskristalle bilden den zur Gletscherbildung<br />
geeigneten Firn.<br />
Knirscht Schnee unter Rodel, Skiern<br />
oder den Schritten von Spaziergängern,<br />
so ist er kälter als minus 25 Grad<br />
Celsius. Das markante Geräusch rührt<br />
daher, daß die Eiskristalle ab dieser<br />
Temperatur nicht mehr unter Kufen,<br />
Skiern oder Schuhen schmelzen, sondern<br />
brechen.<br />
Da beim Gefrieren Wärme frei wird,<br />
läßt sich auch der subjektive Eindruck,<br />
wonach sich schneeflockendurchtanzte<br />
Luft erwärmt, wissenschaftlich<br />
belegen. Schließlich trifft auch die Annahme<br />
zu, Schnee dämpfe den Schall.<br />
Hierfür sind die in den Schneeflocken<br />
eingelagerten Luftbläschen verantwortlich.<br />
Mag sein, auch die schalldämmenden<br />
Eigenschaften frisch gefallenen<br />
Schnees trugen dem vormals<br />
weißen Advent den Beinamen „stillste<br />
Zeit des Jahres“ ein.<br />
Durchschnittlich wiegt ein Kubikmeter<br />
Neuschnee 80 Kilogramm. Altschnee<br />
erreicht bereits das fünffache Gewicht.<br />
Die Summe beider ergibt jene Milliarden<br />
Tonnen Schnee, die Frau Holle alljährlich<br />
über Österreich aus ihren Kissen<br />
schüttelt.<br />
Trotz der beachtlichen Gesamtmenge<br />
bleibt für immer mehr vormals schneesichere<br />
Regionen nichts übrig. Vor<br />
allem unter Touristikern ertönt deshalb<br />
verstärkt der Ruf nach Aufrüstung der<br />
pistenbereitenden Artillerie. Schneekanonen<br />
halten somit einen Fremdenverkehrszweig<br />
am Leben, dem da und<br />
dort, obzwar nicht der Boden, wohl<br />
aber zunehmend dessen unverzichtbare<br />
weiße Auflage entzogen wird.<br />
Kunstschnee schafft aber nicht nur<br />
Abhilfe, sondern auch eine ganze Fülle<br />
an Problemen. Seine Isolationswirkung<br />
für den Boden ist unzureichend, obgleich<br />
er dichter und schwerer als Naturschnee<br />
ist. Der Frost erfaßt deshalb<br />
auch tiefere Bodenschichten, was zur<br />
Schädigung von Pflanzen führt.<br />
Generell fallen Öko- und Energiebilanz<br />
des künstlichen Pistenzaubers katastrophal<br />
schlecht aus. Über 200 Liter<br />
Wasser sind erforderlich, um einen<br />
Quadratmeter Piste eine Skisaison lang<br />
befahrbar zu halten. Der Betrieb mittelgroßer<br />
Anlagen braucht mindestens<br />
20 Millionen Liter, deren Bereitstellung<br />
durch unterirdische Leitungen oder die<br />
Errichtung von Speicherseen erfolgt.<br />
Die Baumaßnahmen zur Heranführung<br />
der Leitungsnetze zeitigen unliebsame<br />
Folgen, die bei Baumverletzungen beginnen<br />
und bei der Destabilisierung<br />
der Böden, das bedeutet bei der Gefahr<br />
von Hangrutschungen enden. Speicherseen<br />
wiederum beeinträchtigten<br />
den Wasserhaushalt und über diesen<br />
ganze Ökosysteme. Nicht selten führen<br />
sie zur Austrocknung eines Gebietes<br />
und so zur nachhaltigen Vertreibung<br />
der ursprünglichen lokalen Lebensgemeinschaft.<br />
Schneekanonen sind Energiefresser.<br />
Ihr Verbrauch im gesamten Alpenraum<br />
ist nicht in Kilowattstunden, sondern<br />
in ganzen Kraftwerkskapazitäten zu<br />
messen. Hinzu kommen die Beeinträchtigungen<br />
durch den notwendigen<br />
Bau von Stromleitungen. Hinzu kommt<br />
weiters die akustische Umweltverschmutzung.<br />
Zwischen 60 und 120 Dezibel liegt der<br />
Lärmpegel von Niederdruck- und Hochdruckschneekanonen.<br />
Die damit unvermeidliche<br />
Störung von Wildtieren<br />
wiegt umso schwerer als der übliche<br />
Nachteinsatz dämmerungsaktive Tiere<br />
dauerhaft vertreibt. Vor allem Schalenwild<br />
und Eulenvögel sind betroffen.<br />
Nicht selten werden intakte Brutgebiete<br />
bedrohter Eulen- und Kauzarten<br />
im Zuge exzessiver Kunstschneeerzeugung<br />
aufgegeben.<br />
Damit nicht genug zieht das vermehrte<br />
Ausbleiben von Minusgraden die<br />
Forderung nach temperaturunabhängigen<br />
Beschneiungsmöglichkeiten<br />
nach sich. Dies soll mithilfe abgetöteter<br />
Bakterien bewerkstelligt werden. Da<br />
sich bei Testläufen herausstellte, daß<br />
nicht alle dem Wasser beigemengten<br />
Bakterien abgetötet werden können,<br />
sind weitreichende ökologische Folgen,<br />
nicht nur auf Grundwasser und Fließgewässer,<br />
evident.<br />
Generell ist die Beschneiung eines ob<br />
längerfristig vorherrschender Plusgrade<br />
winterentwöhnten Ökosystems,<br />
aus nachvollziehbaren Gründen (die<br />
sich als Schockwirkung zusammenfassen<br />
lassen) unverantwortlich. So unbefriedigend<br />
die Erkenntnis sein mag,<br />
ist auch Fremdenverkehrsverantwortlichen<br />
anzuraten, mit der Natur statt<br />
gegen sie zu arbeiten. In diesem Winter<br />
fällt das, dank winterlicher Temperaturen,<br />
vorerst nicht allzu schwer.