16.01.2015 Aufrufe

Bilder iM AufBruch - eMuseum - Zürcher Hochschule der Künste

Bilder iM AufBruch - eMuseum - Zürcher Hochschule der Künste

Bilder iM AufBruch - eMuseum - Zürcher Hochschule der Künste

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Fachklasse Fotografie<br />

Die Fotoklasse wurde 1932 als erste eigenständige<br />

Fotoklasse mit mo<strong>der</strong>ner Ausrichtung an einer Schweizer<br />

Kunstschule von Hans Finsler gegründet und von ihm bis<br />

1958 geleitet. Finsler war in den späten 1920er Jahren<br />

ein Exponent <strong>der</strong> fotografischen Neuen Sachlichkeit<br />

in Deutschland. Seine Fotolehre vermittelte vor allem<br />

eine vertiefte gestalterische Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

dem Abzubildenden und ein medien-, objekt- und materialgerechtes<br />

Arbeiten mit <strong>der</strong> Kamera im Geiste des<br />

Funktionalismus. Schon Ende <strong>der</strong> 1940er Jahre hatten<br />

sich allerdings Stimmen zu Wort gemeldet, ein solcher<br />

Ansatz sei angesichts <strong>der</strong> Zeitumstände und <strong>der</strong> zunehmenden<br />

Bedeutung von berichten<strong>der</strong> Fotografie<br />

nicht mehr zeitgemäss. In diesem Sinne äusserte sich<br />

etwa Edward Steichen, als er 1952 auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

Menschenbil<strong>der</strong>n für seine grosse Ausstellung The family<br />

of man bei <strong>der</strong> Zürcher Fotoklasse nicht fündig wurde.<br />

Walter Bin<strong>der</strong>, geboren 1931 in Zürich, hatte selbst bei<br />

Finsler studiert. 1957 wurde er zunächst als zweiter<br />

Lehrer engagiert, um dann ein Jahr danach die Leitung<br />

<strong>der</strong> Fotoklasse zu übernehmen. Ihm zur Seite standen<br />

Serge Stauffer als Dozent für Fotografik, Layout<br />

und Montagen mit Schrift sowie Siegfried Zingg für<br />

Fototechnik; beide waren ebenfalls Absolventen <strong>der</strong><br />

Fotoklasse. Serge Stauffer machte sich ferner einen<br />

Namen als wacher Vermittler und Theoretiker von zeitgenössischer<br />

Kunst sowie mit <strong>der</strong> Erforschung des Werkes<br />

von Marcel Duchamp und Übersetzungen seiner Texte.<br />

War Bin<strong>der</strong> für viele vor allem ein verantwortungsvoller<br />

Fotolehrer im klassischen Sinn, so zog Stauffer an<strong>der</strong>e<br />

Studierende mit seinen Interessen für neue Kunstformen<br />

und kulturelle Grenzüberschreitungen in seinen Bann.<br />

Stauffers Nachfolger wurde 1965 <strong>der</strong> Grafiker Jörg<br />

Hamburger, <strong>der</strong> zuvor schon an <strong>der</strong> Grafikklasse gearbeitet<br />

hatte. Zingg war in <strong>der</strong> Fachklasse Fotografie ein<br />

präziser Vertreter <strong>der</strong> optisch-chemischen Grundlagen<br />

des Mediums Fotografie; an seiner unbestechlichen<br />

Ergebniskritik führte kein Weg vorbei. Hinzu kamen<br />

zeitweise Gastdozenten wie Hugo Loetscher und<br />

Peter Bichsel o<strong>der</strong> Gastvortragende wie Lucia Moholy<br />

und Jakob Tuggener. Bin<strong>der</strong> gehörte 1971 mit zu den<br />

Grün<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fotostiftung Schweiz, die er von 1976 bis<br />

1998 leitete.<br />

Angesichts <strong>der</strong> aufregenden Zeit, welche die<br />

Klassenleitung Walter Bin<strong>der</strong>s umfasste, ist schwer<br />

vorstellbar, dass die Lehre alle Verän<strong>der</strong>ungen aufgreifen<br />

und didaktisch in jeweilig neue Lehrkonzepte umgiessen<br />

konnte, ohne die Studienstruktur grundsätzlich<br />

in Frage zu stellen. Zunächst galt es, die Ausbildung<br />

von <strong>der</strong> überwiegenden Orientierung an Sach- und<br />

Architekturfotografie bei Finsler auf eine zeitgemässe<br />

Praxis auch in berichten<strong>der</strong> Fotografie zu überführen<br />

– ohne dabei die handwerklichen Grundlagen und<br />

das Berufsfeld des Gebrauchsfotografen zu vernachlässigen.<br />

Denn die damaligen Schüler studierten kein<br />

freies künstlerisches Fach: Die Kunstgewerbeschule<br />

bot immer noch ein berufsbildendes Studium, das bei<br />

<strong>der</strong> Fotoklasse zugleich mit einem handwerklichen<br />

Lehrabschluss verbunden war; die Diplomprüfung<br />

wurde durch eine Fachkommission des Bundesamts<br />

für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) durchgeführt.<br />

Dieser Spagat zwischen einer angewandten<br />

Lehrausbildung und dem Anspruch an die Vermittlung<br />

einer kulturell eigenständigen Arbeit mit fotografischen<br />

Mitteln war Finsler und Bin<strong>der</strong> schon in den 1950er<br />

Jahren ein Dorn im Auge. Aber es sollte noch bis in die<br />

1980er Jahre dauern, bis die Fotoausbildung an <strong>der</strong><br />

(1985 umbenannten) Schule für Gestaltung Zürich endgültig<br />

von <strong>der</strong> Handwerkslehre gelöst wurde.<br />

Didaktik<br />

In den 1960er Jahren hiessen die neuen Vorbil<strong>der</strong> Henri<br />

Cartier-Bresson o<strong>der</strong> Robert Frank, und Magazine wie<br />

Life und Paris Match o<strong>der</strong> Autoren-Fotobücher wie The<br />

Americans lagen auf dem Tisch. Gleichzeitig blieben<br />

das aus <strong>der</strong> Bauhaus-Tradition stammende Konzept von<br />

Grundlagenübungen wie Material- und Formstudien sowie<br />

sachbezogene Aufgabenstellungen durchaus weiter<br />

erhalten. Bin<strong>der</strong> stellte zusätzlich Reportagethemen mit<br />

aktuellen Bezügen auf das öffentliche Geschehen und<br />

kulturelle Fragen, welche von den Studierenden oft innovativ<br />

gelöst wurden.<br />

Ebenso aus <strong>der</strong> Finsler-Zeit blieb die Semesterarbeit,<br />

eine parallel zur BIGA-Prüfung angesetzte schulinterne<br />

Abschlussarbeit, bei <strong>der</strong> die Studierenden über einen<br />

längeren Zeitraum eine eigenständige Arbeit zu einem<br />

vorgegebenen Thema entwickeln konnten, die dann in<br />

Form von Portfolios o<strong>der</strong> Buchmaquetten realisiert wurde.<br />

Beibehalten wurden auch die jährlichen kunst- und<br />

kulturhistorisch anspruchsvollen Auslandsexkursionen,<br />

in Einzelfällen mit zeitgeschichtlichem Bezug (1969<br />

CSSR), die jeweils eine konzentrierte fotografische<br />

Praxisübung darstellten. Die Ergebnisse wurden regelmässig<br />

in Ausstellungen im Haus präsentiert, in einigen<br />

Fällen auch publiziert. Hinzu kamen die Teilnahme <strong>der</strong><br />

Fotoklasse an Wettbewerben und Aufträgen, darüber<br />

hinaus die Beschäftigung mit damals aktuellen Themen<br />

wie Anti-Raucher-Kampagnen und Umweltfragen o<strong>der</strong><br />

die Erarbeitung von Multimedia-Tonbildschauen.<br />

Filmarbeitskurse und Klasse Farbe+Form<br />

Doch während in <strong>der</strong> Fotoausbildung noch die Wende<br />

zum Journalismus und zur Autorenfotografie nachvollzogen<br />

werden musste, öffneten sich für die Studierenden<br />

bereits neue Perspektiven. Schon 1960 hatten Bin<strong>der</strong><br />

und Stauffer unter <strong>der</strong>en Mitarbeit im eigenen Haus<br />

die Ausstellung und Publikation <strong>der</strong> film für das damalige<br />

Kunstgewerbemuseum Zürich realisiert, was für<br />

die beteiligten Studierenden zum Schlüsselerlebnis<br />

wurde. Da es in <strong>der</strong> Schweiz zunächst keine reguläre<br />

Filmausbildung gab, hatten sich Interessenten immer<br />

schon ersatzweise bei <strong>der</strong> Fotoklasse beworben. Als<br />

die Kunstgewerbeschule 1967–1969 die ersten regulären<br />

Filmarbeitskurse anbot, war dies auch eine schulinterne<br />

Attraktion für viele Fotostudierende. Tatsächlich<br />

haben zahlreiche AbsolventInnen <strong>der</strong> Fotoklasse später<br />

als FilmemacherInnen, hinter <strong>der</strong> Filmkamera o<strong>der</strong> beim<br />

Fernsehen gearbeitet (darunter die erste Kamerafrau des<br />

Schweizer Fernsehens, Monika Zürcher). Stauffer fuhr mit<br />

Studierenden regelmässig zum Experimentalfilmfestival<br />

nach Knokke in den Nie<strong>der</strong>landen, wo sie auch spartenübergreifend<br />

in Kontakt mit zeitgenössischen Avantgarde-<br />

KünstlerInnen kamen.<br />

Ein weiteres Ziel zog einige Fotostudierende geradezu<br />

magnetisch an: die Klasse Farbe+Form (F+F), in <strong>der</strong> Doris<br />

und Serge Stauffer mit Hansjörg Mattmüller von 1965<br />

bis 1970 nach alternativen Lehrformen und einer zeitgemässen<br />

künstlerischen Ausbildung suchten. Jenseits<br />

<strong>der</strong> medien- und verfahrensgebundenen Lehrpläne<br />

in den Fachklassen sollte hier eine freie experimentelle<br />

Kunstpraxis entstehen, welche Zeiterscheinungen<br />

wie Happenings o<strong>der</strong> Environments mit <strong>der</strong> politischen<br />

Revolte und beginnenden Frauenbewegung gleichermassen<br />

verband. Ein <strong>der</strong>gestalt libertäres Konzept<br />

hatte in einer in den späten 1960er Jahren noch eher<br />

restriktiv konventionellen Kunstgewerbeschule kaum<br />

eine Chance, was schliesslich 1970 zum Eklat führte.<br />

Stauffer und Mattmüller gründeten daraufhin die private<br />

F+F Schule für experimentelle Gestaltung Zürich. Walter<br />

Bin<strong>der</strong> gehörte durchaus zum Unterstützerkreis solcher<br />

Experimente und solidarisierte sich mit den Lehrern <strong>der</strong><br />

Klasse F+F, auch wenn dies das Studienangebot <strong>der</strong><br />

Fotografie nicht direkt verän<strong>der</strong>te.<br />

Während viele Studierende die Angebote <strong>der</strong> Fachklasse<br />

Fotografie produktiv für sich nutzten, engagierten sich<br />

an<strong>der</strong>e darüber hinaus für die kulturellen Aufbrüche<br />

und neuen Lebensformen, welche seit den 1960er<br />

Jahren und im Zuge <strong>der</strong> Studentenbewegung entstanden.<br />

Themen wie die Randale beim Konzert <strong>der</strong> Rolling<br />

Stones 1967 im Zürcher Hallenstadion und die Zürcher<br />

Unruhen um das besetzte Globus-Provisorium an <strong>der</strong><br />

Bahnhofbrücke (1968), antiautoritäre Erziehung o<strong>der</strong><br />

kollektive Wohnformen waren zum Beispiel Anlässe für<br />

fotografische Auseinan<strong>der</strong>setzungen.<br />

Neue Formate<br />

In den Studierendenarbeiten <strong>der</strong> 1960er Jahre kann<br />

man durchaus deutlich Bezüge zur besten Tradition <strong>der</strong><br />

berichtenden Fotografie nach 1945 und zu einer bildlich<br />

hoch verdichteten, kräftigen Schwarzweiss-Ästhetik<br />

sehen, wie sie etwa W. Eugene Smith o<strong>der</strong> die New<br />

York School gezeigt hatten. Einzelne arbeiteten auch<br />

mit Spezialfilmen (Kodalith) in Nähe zur Fotografik <strong>der</strong><br />

1950er Jahre und kamen zu extrem kontrastreichen, teilweise<br />

bis auf reine Schwarz- und Weisstöne reduzierten<br />

<strong>Bil<strong>der</strong></strong>n.<br />

Wenn Studierende in den 1970er Jahren die gestellten<br />

Aufgaben lösten, standen auch soziologische Fragen im<br />

Vor<strong>der</strong>grund, die gleichermassen bildwichtig wurden.<br />

Man arbeitete vermehrt mit Text, liess die Abgebildeten<br />

selbst zu Wort kommen und setzte mitunter ‹authentische›<br />

Handschrift o<strong>der</strong> Schreibmaschinenschrift statt<br />

Typografie ein. Ebenso zeittypisch arbeitete man anstatt<br />

mit konzentrierten Bildreihen o<strong>der</strong> Einzelfotos eher in<br />

Serien, Sequenzen o<strong>der</strong> auch Typologien. Das jährlich<br />

obligatorisch für alle Jahrgänge wie<strong>der</strong>kehrende Thema<br />

des Selbstportraits etwa wurde nun zum Teil weniger<br />

auf die singuläre Person als auf ein Kollektiv bezogen<br />

– o<strong>der</strong> auf einen zeitlichen Ablauf in mehreren <strong>Bil<strong>der</strong></strong>n.<br />

Man beschäftigte sich auch mit dem Privaten, <strong>der</strong> eigenen<br />

Befindlichkeit, mit dem nahe Liegenden in <strong>der</strong><br />

unmittelbaren Lebensumgebung o<strong>der</strong> mehr mit – vielleicht<br />

nebensächlichen – Phänomenen des Alltags als<br />

mit spektakulären o<strong>der</strong> exotischen Motiven.<br />

Anstelle von auf einen Bildgehalt konzentrierten schweren<br />

Schwarz weiss-Abzügen wurde nun helleren, offeneren<br />

o<strong>der</strong> ‹leeren› Fotos <strong>der</strong> Vorzug gegeben, die oft nah am<br />

Geschehen mit Weitwinkel aufgenommen o<strong>der</strong> mit dem<br />

sichtbaren schwarzen Negativrand vergrössert wurden.<br />

So variierten auch die Formate: Hatten die Studierenden<br />

bis in die 1960er Jahre die besten Arbeiten jeweils auf<br />

einem quadratischen Standard-Karton aufgezogen, so<br />

wählten sie jetzt eher eigene Formate. Es wurden mehr<br />

Portfolios, Schuber o<strong>der</strong> Buchmaquetten produziert, die<br />

eine Lesart bereits vorgeben. Auch wenn <strong>der</strong> Kern des<br />

Lehrprogramms <strong>der</strong> Fotoklasse in jener Zeitspanne vergleichsweise<br />

konstant geblieben sein mag, liest man an<br />

den Bildlösungen doch deutlich die Zeichen <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten<br />

Zeit.<br />

Thilo Koenig

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!