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Institut für Genuss<br />
und Müßiggang<br />
Café Hawelka<br />
Im Herbst 2011 wurde die Wiener Kaf-<br />
feehauskultur in die nationale Liste des<br />
immateriellen Kulturerbes der UNESCO<br />
aufgenommen. Während das materielle<br />
Kulturerbe leicht erkennbar ist, tut man<br />
sich beim immateriellen schwerer ...<br />
Es sind „Praktiken, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen<br />
und Fertigkeiten“, die Gemeinschaften als Bestandteil ihres<br />
Kulturerbes verstehen, sowie die Instrumente, Objekte und<br />
kulturellen Räume, die damit in Zusammenhang stehen – wie<br />
das Wiener Kafeehaus, das längst in die Weltliteratur eingegangen<br />
ist, zuletzt wohl mit folgendem Zitat: „Im Bräunerhof<br />
reden mir die Leute zu laut oder zu leise, bedienen mir die<br />
Kellner zu langsam oder zu schnell, aber im Grunde ist das<br />
Bräunerhof, gerade weil es gegen alles ist, das ich mir jeden<br />
Tag für mich in Anspruch zu nehmen getraue, das Wiener Kaffeehaus<br />
genau wie das in den letzten Jahren in Mode und in<br />
diesen Jahren mit der gleichen Geschwindigkeit völlig heruntergekommene<br />
Café Hawelka. Das typische Wiener Kaffeehaus,<br />
das in der ganzen Welt berühmt ist, habe ich immer gehasst,<br />
weil alles in ihm gegen mich ist. Andererseits fühlte ich<br />
mich jahrzehntelang gerade im Bräunerhof, das immer ganz<br />
gegen mich gewesen ist (wie das Hawelka), wie zu Hause.“<br />
Das öffentliche Wohnzimmer. Dieser Tonfall ist unverkennbar:<br />
„Bräunerhof“-Stammgast Thomas Bernhard hat das in<br />
„Wittgensteins Neffe“ geschrieben. Es erinnert an den Punkt<br />
neun von Peter Altenbergs Liste der Gründe, ins Kaffeehaus<br />
zu gehen: „Du hasst und verachtest die Menschen und kannst<br />
sie dennoch nicht missen – Kaffeehaus!“ (Andere Punkte lauteten<br />
„Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene – ins Kaffee-<br />
haus!“, „Du findest Keine, die Dir passt<br />
– Kaffeehaus!“ oder „Du hast 400 Kronen<br />
Gehalt und gibst 500 aus – Kaffeehaus!“)<br />
Altenberg hatte auf seiner Visitenkarte<br />
und im Deutschen Literaturkalender<br />
das Café Central als seine Wohnadresse<br />
angegeben und damit nicht<br />
übertrieben, denn fragte man nach ihm,<br />
hieß es immer „Er ist entweder im Café<br />
Central oder auf dem Weg dorthin.“ Da<br />
die meisten Literaten privat eher bescheiden<br />
bis schäbig wohnten, verwendeten<br />
sie die Cafés als öffentliche Wohnzimmer,<br />
wo man sich in angenehmer<br />
Atmosphäre treffen konnte. Der „Rasende<br />
Reporter“ Egon Erwin Kisch<br />
brachte es auf den Punkt: „Das Kaffeehaus<br />
erspart uns sozusagen die Wohnung.“<br />
Dass man zumindest früher den<br />
halben Tag bei einem einzigen Kaffee<br />
oder einem Glas Wasser sitzen bleiben<br />
konnte, kam den schlecht verdienenden<br />
Schriftstellern sehr entgegen.<br />
Tradition seit über 300 Jahren. Die<br />
ältesten Kaffeehäuser Europas standen<br />
keineswegs in Wien – in Venedig, Oxford,<br />
London, Paris, Marseille und Ham-<br />
Weit über Wien hinaus bekannt geworden ist<br />
die Vielzahl von Bezeichnungen für nur in winzigen<br />
Details abweichende Kaffeezubereitungen.<br />
burg wurde schon vorher öffentlich Kaffee<br />
ausgeschenkt. Trotzdem war Wien<br />
früh dran: Das Kaffeehaus „Zur blauen<br />
Flasche“ des Serben Georg Franz Kolschitzky<br />
1684 ist zwar historisch nicht<br />
ganz gesichert, wohl aber das Privileg<br />
zum Ausschank türkischen Kaffees für<br />
den Armenier Johannes Diodato, der<br />
damit 1685 am Haarmarkt (heute Rotenturmstraße)<br />
sein Etablissement eröffnete.<br />
1700 gab es vier „Kaffeesieder“,<br />
1747 elf Kaffeehäuser, diese schon mit<br />
Zeitungen und Billardtischen. Hochblüten<br />
erlebte die Kaffeehauskultur in der<br />
zweiten Hälfte des 19. und der ersten<br />
des 20. Jahrhunderts.<br />
Seriösen Schätzungen zufolge gibt es<br />
heute mindestens noch fünfzig historisch<br />
bedeutsame, alte Wiener Kaffeehäuser.<br />
„Alt“ bedeutet für das Café Cent-<br />
ral 135 Jahre, andere sind etwas jünger,<br />
das Hawelka zum Beispiel wurde 1939<br />
von Leopold und Josefine Hawelka<br />
übernommen und hieß damals noch<br />
Café Ludwig. Seine von einem Loos-<br />
Schüler entworfene Innendekoration ist<br />
bis heute unverändert geblieben. Nur eines<br />
ist im „Hawelka“ jetzt anders als früher:<br />
Das Ehepaar, das Jahrzehnte lang<br />
buchstäblich jeden Tag in seinem Café<br />
präsent war, ist verstorben: Josefine im<br />
Jahre 2005, Leopold, 101-jährig, im Dezember<br />
2011. Die Tradition mit den berühmten,<br />
jeden Abend frisch zubereiteten<br />
Buchteln bleibt natürlich auch unter<br />
Sohn Günter aufrecht.<br />
Die Wiener Kaffee-Kultur. Früher gab<br />
es im Kaffeehaus neben einer breiten<br />
Auswahl von Mehlspeisen wie dem unerlässlichen<br />
Apfelstrudel nur Würstel<br />
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Café Central