2012 Frühjahrsseminar - proskenion Stiftung
2012 Frühjahrsseminar - proskenion Stiftung
2012 Frühjahrsseminar - proskenion Stiftung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Bewegungsqualitäten nach Tschechow<br />
Christian Gerling und Sophia Hussain<br />
Ende April war es wieder so weit; die 15 Jugendlichen trafen sich erneut in Paderborn, um an dem<br />
dritten Seminarwochenende des aktuellen Förderlehrgangs der ’Jugendakademie für Darstellende<br />
Künste’ Jahrgang 2011-2013 teilzunehmen. Alle waren froh, sich nach drei Monaten wiederzusehen<br />
und hatten sich viel zu erzählen. Leider fehlte an diesem Wochenende Jannik Mühlenweg, da er für<br />
eine Abiturklausur schreiben und für die nächste am Montag lernen musste. Auch Lukas Lessing kam<br />
erst am Samstagabend, weil er ebenfalls eine seiner Abiturklausuren schreiben musste. Dennoch war<br />
die Stimmung grandios, alle waren sehr motiviert und freuten sich auf ein aufregendes und lehrreiches<br />
Wochenende mit Gabriele Blum.<br />
„Ich freue mich, euch auf dem Weg durch die Schauspielerwelt ein Stückchen begleiten zu können<br />
und hoffe, dass wir viel Spaß miteinander haben werden und ihr nach dem Workshop auf ein paar<br />
Erfahrungen mehr zugreifen könnt.“<br />
Gesagt, getan.<br />
Gabriele Blum selbst, die uns jedoch schon zu Beginn des Seminars dazu anhielt, sie ausschließlich<br />
Gabi zu nennen, studierte Schauspiel und Regie am Mozarteum in Salzburg. Darüber hinaus ist sie in<br />
Method Acting (Tisch School, NYU), Scenestudy (M. K. Lewis, ifs Köln) und Source Tunig (Jens Roth,<br />
Berlin) geschult.<br />
Das Seminar begann nach einer kurzen Vorstellungsrunde mit einer Übung, die uns buchstäblich den<br />
Blick für den Raum um uns herum und unsere Mitspielenden öffnete. Ziel der Übung ist es, sich<br />
unbewusst von seinen Augen leiten zu lassen. Je nachdem, wo der eigene Blick hängen blieb, dort<br />
gingen wir auch hin.
Nach einiger Zeit unterstützten wir unsere Gänge mit den Entscheidungen „Ja“, „Nein“ und „Vielleicht“,<br />
die darüber bestimmten, ob wir unseren Augen tatsächlich folgen wollten.<br />
Auch in der nächsten Partnerübung standen uns nur die Worte „Ja“ und „Nein“ zur Verfügung.<br />
Jeweils die Hälfte der Spielenden versuchte, von einem Stuhl herab in verschiedenen Varianten ihr<br />
„Nein“ möglichst bestimmt dem vom Partner zugerufenen, geflüsterten, gesummten oder gebrüllten<br />
„Ja“ entgegenzuhalten.<br />
Nach dem vielen Bejahen und Verneinen sollte nun eine bekannte Übung folgen, in der Verneinung<br />
grundsätzlich verboten ist: Freeze.<br />
In einem Kreis stehend beobachteten alle jeweils zwei von uns, die in der Mitte eine Szene mit wenig<br />
Sprache zu entwickeln.<br />
Ein lautes „Freeze“ durch Gabi ließ die Spielenden dabei in ihrer Bewegung einfrieren und ein Anderer<br />
löst jeweils Einen ab, um mit einer komplett anderen Szene fortzufahren.<br />
Dadurch lernten wir, uns in Bewegungen und bezogen auf unseren Mitspieler einzufühlen und uns<br />
ohne Absprache zu einigen, Impulse des Partners aufzunehmen und umzusetzen.<br />
Erschwert wurde die Übung durch die Vergrößerung und Verkleinerung des Kreises durch die<br />
Außenstehenden.<br />
Die Abschlussübung des ersten Tages ist zu erwähnen, entwickelte sie sich zu unserem Liebling:<br />
Einer von uns wurde zum „Mörder“ berufen, der nichts sehend versuchte, die anderen „blinden“<br />
Spieler, die sich durch den Raum bewegten, zu fangen und durch einen festen Griff um den Arm oder<br />
die Taille umzubringen.<br />
Das Tolle beim Schauspiel ist, dass man nach einem höchst dramatischen Bühnentod einfach<br />
aufstehen kann, um den „Mörder“ anzufeuern, auch die anderen zu erhaschen.<br />
Der Samstag startete mit einer Unterrichtseinheit zum Thema „Schauspieltheorie“. Lars Göhmann<br />
nahm uns auf eine kurze Zeitreise durch die Theatergeschichte mit; bevor wir dann den Unterschied<br />
zwischen kalten und heißen Schauspielern kennenlernten. Beispielhaft wurden anschließend die<br />
Theatervorstellungen von Brecht und Stanislawski verglichen.
Praktisch ging es mit Gabi bis Sonntagnachmittag weiter; die Gruppe startete mit einem kurzen<br />
Aufwärmprogramm. Danach machten wir einige Übungen, bei denen wir lernten, unsere<br />
Aufmerksamkeit auf die Gruppe zu richten. Eine Übung davon war folgende: Jeder ging für sich durch<br />
den Raum, jedoch sollte man immer die Aufmerksam auf die Gruppe richten. Wir sollten gemeinsam<br />
das Tempo erhöhen, ohne uns abzusprechen. Und auch wieder verringern bis wir zum Stehen<br />
gekommen waren. Die Tempounterschiede und das Stehenbleiben entstanden aus der Spannung, die<br />
zwischen den Einzelnen herrschte.<br />
Danach begann der Hauptinhalt des Seminars, wir lernten die erste Bewegungsqualität nach Michael<br />
Tschechow kennen: Formen. Im Laufe des Tages lernten wir noch zwei weitere: Fließen und Fliegen.<br />
Die vierte Bewegungsqualität, das Strahlen, wurde uns am Sonntag beigebracht. Nachdem wir das<br />
Formen gelernt hatten, sollten wir uns fünf verschiedene Bewegungen ausdenken, die wir dann in eine<br />
Reihenfolge brachten. Diese fünf Bewegungen wurden dann formend, fließend, fliegend und strahlend<br />
dargestellt. Bei jeder der vier Qualitäten werden unterschiedliche Gefühle erweckt, die für die<br />
Rollenarbeit wichtig sind.<br />
Das Seminar war durchzogen von etlichen Partnerarbeiten, Übungen zur Wahrnehmung und<br />
Aufmerksamkeitsschulung und kleinen Improvisationsszenen.<br />
Wir erarbeiteten die W-Fragen, die für das Kennenlernen von Rollen eine große Bedeutung haben:<br />
Wer bin ich Wo bin ich Wann Was mache ich Wie mache ich es Warum mache ich es so<br />
Woher komme ich Wohin gehe ich Mit diesen Fragen erstellten wir in Partnerarbeit unabhängig von<br />
einander Charaktere, die sich dann an einem Ort treffen sollten. Von Gabi bekam jedes Paar<br />
unterschiedliche Aspekte, die in der folgenden Szene mit eingebracht werden sollten.<br />
Zum Seminarende waren alle sehr erschöpft von dem anstrengenden Wochenende, trotzdem freuen<br />
wir uns schon jetzt auf das Sommerseminar im Juli. Dann sind wir eine ganze Woche zusammen und<br />
lernen hoffentlich viele neue und interessante Dinge.<br />
Als eigenständige Einrichtung wird die Jugendakademie für Darstellende Künste durch die Lingener <strong>proskenion</strong><br />
<strong>Stiftung</strong> organisiert und durchgeführt. Finanziell wird die Jugendakademie derzeit durch das Förderprogramm<br />
`Künstlerische Bildung´ der Firma moll-Funktionsmöbel GmbH unterstützt.