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UniDAZ Magazin 2011

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24 <strong>UniDAZ</strong> NR. 1/<strong>2011</strong> FEUILLETON<br />

Filme stellte ich verblüffende Ähnlichkeiten<br />

zwischen unserem Organik-Labor<br />

und dem Hogwarts´schen Fach „Zaubertränke“<br />

fest.<br />

Was da alles köchelt, blubbert und<br />

rührt ist mehr als fragwürdig und auch<br />

heute hängt wieder ein Duft in der Luft,<br />

der alle anwesenden Nasen zutiefst beleidigt.<br />

Ich werfe einen Blick auf den Inhalt<br />

meines Kolbens und stelle erleichtert fest,<br />

dass dieser weder explodiert ist noch<br />

sonst großartige Veränderungen aufweist.<br />

Alles in allem ist es eine dickflüssige rotbraune<br />

Pampe. Also ab an die Arbeit.<br />

Zutropfen, kochen lassen, abfiltrieren,<br />

reinwaschen, trocknen, nebenher eine DC<br />

machen. Klappt doch! Dann der Schock.<br />

Der Schmelzpunkt meines hergestellten<br />

Fluoresceins liegt 20°C neben dem Literaturwert<br />

und auf der DC herrscht ein<br />

einziges Durcheinander von Edukt und<br />

Produkt. Das Produkt ist verunreinigt.<br />

„Umkristallisieren“ lautet der Rat des Assistenten.<br />

Immerhin besser als die Diagnose<br />

unserer resoluten Assistentin zum<br />

Präparat einer Freundin: „Das sieht aus<br />

wie Scheiße und ist auch scheiße.“<br />

Also baue ich alles Nötige zum Umkristallisieren<br />

auf, zerbreche einen Kolben,<br />

suche den Steckschrauber, verlei-<br />

he meinen Fön und lasse beinahe meine<br />

Konstruktion in sich zusammenstürzen,<br />

wenn nicht mein geistesgegenwärtiger<br />

Kochnachbar in Sekundenschnelle die<br />

Stativstange schnappen und somit mein<br />

Produkt vor dem sicheren Ruin bewahren<br />

würde.<br />

Beim anschließenden Umkristallisieren<br />

denkt mein Fluorescein nicht im<br />

Traum daran, sich zu lösen. Stattdessen<br />

schmelzen meine Stopfen in den Kolben.<br />

Ich laufe zur Chemikalienausgabe. Die hat<br />

natürlich schon geschlossen. Eine Freundin<br />

leiht mir ihre Stopfen, mein Produkt<br />

löst sich immer noch nicht, bald ist das<br />

Lösungsmittel alle.<br />

Am anderen Ende des Raumes macht<br />

sich währenddessen ein großes Stimmengewirr<br />

breit. Ein Student hat eine Chemikalie<br />

ins Auge bekommen. Die Augendusche<br />

kommt zum Einsatz.<br />

Nebenan haut es den Deckel vom Kolben,<br />

der Abzug war nicht zu. Keine Verletzten.<br />

Morgen hat derjenige trotzdem<br />

einen Kuchen mitzubringen. Strafe<br />

muss sein! Die widerlichen, nach Stinkefüßen<br />

riechenden Dämpfe verteilen sich<br />

sekundenschnell im Laborraum. Ich bekomme<br />

Kopfweh und bemerke, dass ich<br />

schon lange nichts mehr getrunken habe.<br />

Nachdem ich einen halben Liter Wasser in<br />

mich habe hineinlaufen lassen, kehre ich<br />

zurück ins Labor um festzustellen, dass<br />

mein Fluorescein immer noch trüb ist. Als<br />

ich einen Assistenten fragen möchte, was<br />

jetzt zu tun sei, stehen schon zehn andere<br />

vor mir in der Schlange.<br />

Mittlerweile kommt der Krankenwagen<br />

und nimmt den Augen-kontaminierten<br />

Kommilitonen mit. Das Weiße seiner<br />

Augen ist knallrot. Alle sind bestürzt, arbeiten<br />

vorsichtiger.<br />

Als ich endlich an der Reihe bin,<br />

rät mir die Assistentin, das Fluorescein<br />

bei lauwarmer Temperatur zu filtrieren.<br />

Wenn ich Glück habe, dann sind die<br />

Edukte jetzt rausgewaschen. Während ich<br />

mein Produkt abkühlen lasse, hole ich<br />

mir in der Mensa Schokolade, damit mein<br />

Zuckerhaushalt wieder stimmt. Auf dem<br />

Weg dorthin sammle ich Klatschmohn<br />

für mein Herbarium und werde von vorbeischlenderndenGeisteswissenschaftlern<br />

interessiert dabei beobachtet. Als ich<br />

wiederkomme, berichtet mir eine Freundin,<br />

dass der Chef der Pharmazeutischen<br />

Chemie im Labor war und Platzkolloquien<br />

abhielt. Von nun an bin ich angespannt<br />

und wie alle andern auf der Hut. Der Professor<br />

kann jederzeit zurückkehren. Ich<br />

fahre mit meiner Arbeit fort.<br />

ENDE IN SICHT<br />

Als mein Fluorescein endlich zum Trocknen<br />

im Vakuumschrank steht atme ich<br />

auf. Der Labortag ist so gut wie gelaufen.<br />

Die DC und Schmelzpunktmessungen mache<br />

ich morgen.<br />

Jetzt noch spülen. Erst jetzt kann ich<br />

die Bedeutung des Namens Fluorescein<br />

in seiner Gesamtheit begreifen. Ein Tropfen<br />

Wasser genügt und meine Laborgeräte,<br />

mein Laborplatz, meine Handschuhe<br />

und mein Kittel leuchten in Textmarker-grün.<br />

Mit Aceton wird alles neongelb.<br />

Auch nicht besser. Meine Assistentin<br />

meint, das wären gute Zeichen. Ich<br />

scheine mein Präparat richtig hergestellt<br />

zu haben. Doch diese Zeichen bekomme<br />

ich einfach nicht mehr weg. Ich<br />

bin farbig wie eine Leuchtreklame, laufe<br />

endlos oft zu unseren Abfalltonnen<br />

und trotzdem sickert beim letzten Spülgang<br />

ein zart gelbes Abwasser den Ausguss<br />

runter. Ich bin überzeugt, dass heute<br />

Abend noch die Leute vom Wasserwerk<br />

bei mir anrufen, weil die Auffangbecken<br />

leuchten. Im Hintergrund dudelt das Radio:<br />

„Something in the Water“ von Brooke<br />

Fraser. Welch passender Refrain!

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