Ausbildungsreport 2005 - oja-potsdam.de
Ausbildungsreport 2005 - oja-potsdam.de
Ausbildungsreport 2005 - oja-potsdam.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
zum Einstieg in <strong>de</strong>n Berlin-Bran<strong>de</strong>nburger <strong>Ausbildungsreport</strong> möchten<br />
wir einen Eindruck von <strong>de</strong>n dramatischen Erlebnissen <strong>de</strong>r DGB-Jugend<br />
auf Berliner und Bran<strong>de</strong>nburger Schulhöfen <strong>2005</strong> vermitteln. Wir nehmen<br />
Sie mit nach Neuruppin ins dortige Oberstufenzentrum. Hier lernt Tobias<br />
<strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s Tischlers*. Das heißt, er weiß es noch nicht so genau.<br />
Denn die Probezeit dauert vier Monate. Drei an<strong>de</strong>re junge Männer und<br />
Frauen haben mit ihm angefangen. Und ihr Chef hat ihnen eine <strong>de</strong>utliche<br />
Ansage gemacht: Nach <strong>de</strong>r Probezeit wird er nur zwei von ihnen<br />
übernehmen. Die an<strong>de</strong>ren können sehen, wo sie bleiben. 12-Stun<strong>de</strong>n-<br />
Schichten sind hier die Regel, ohne dass das jemand anordnen muss.<br />
Die Konkurrenz unter einan<strong>de</strong>r existiert also von Beginn an. Alle Azubis<br />
legen sich ins Zeug und leisten Überdurchschnittliches.<br />
Arbeitshandschuhe Müssen sie selbst mitbringen. Und Werkzeug Na<br />
ja, das können doch die Eltern auf <strong>de</strong>n Geburtstagstisch legen. Bisher<br />
haben Tobias und die an<strong>de</strong>ren Azubis vor allem Anweisungen erhalten.<br />
Ein Ausbil<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Arbeitsschritte erklärt Fehlanzeige. Apropos Anzeige.<br />
Die macht hier natürlich niemand, weil alle <strong>de</strong>n begehrten<br />
Ausbildungsplatz wollen. Deshalb mussten wir für diesen Report auch<br />
Namen, Ort und Beruf än<strong>de</strong>rn.<br />
Nein, das hier ist kein Quiz, und Sie sollen nicht nach <strong>de</strong>n meisten<br />
Rechtsbrüchen auf <strong>de</strong>m engsten Raum suchen. Dieses Beispiel steht für<br />
die Realität. Im Herbst <strong>de</strong>s Jahres <strong>2005</strong> zieht die DGB-Jugend Berlin-<br />
Bran<strong>de</strong>nburg eine ernüchtern<strong>de</strong> Bilanz. Seit 2002 sank die Zahl <strong>de</strong>r<br />
betrieblichen Ausbildungsplätze in <strong>de</strong>r Region um 21% auf <strong>de</strong>n<br />
historischen Tiefstand von 28.580. Wo es dauerhaft viel zu wenige<br />
Ausbildungsplätze gibt, um die immer mehr BewerberInnen kämpfen,<br />
erliegen viele Betriebe <strong>de</strong>r Versuchung, ihre Azubis vor allem als billige<br />
Arbeitskräfte auszunutzen. Mit <strong>de</strong>m ersten Berlin-Bran<strong>de</strong>nburger<br />
<strong>Ausbildungsreport</strong> schauen wir hinter die Kulissen <strong>de</strong>r von Politik und<br />
Arbeitgeberverbän<strong>de</strong>n geworfenen Nebelkerzen. Wir liefern fundierte<br />
Informationen zur tatsächlichen Dimension <strong>de</strong>s Ausbildungsplatzmangels<br />
in <strong>de</strong>r Region. Wir präsentieren die Ergebnisse <strong>de</strong>r Befragung von mehr<br />
als 2500 Berliner und Bran<strong>de</strong>nburger Azubis zur Qualität ihrer Ausbildung.<br />
Und wir dokumentieren, welche Realität sich hinter <strong>de</strong>n Zahlen verbirgt.<br />
Die Gewerkschaftsjugend legt <strong>de</strong>n Berlin-Bran<strong>de</strong>nburger<br />
<strong>Ausbildungsreport</strong> vor, weil sie die Öffentlichkeit aufrütteln will. Wir<br />
schlagen Alarm und machen die unhaltbaren Zustän<strong>de</strong> in etlichen<br />
Ausbildungsbetrieben öffentlich. Wir geben <strong>de</strong>nen eine Stimme, die<br />
*) Name, Ausbildungsberuf und Ort geän<strong>de</strong>rt.<br />
1
eingeschüchtert sind und sich nicht trauen, für ihre Rechte einzutreten.<br />
Dieses „Schwarzbuch Ausbildung“ soll <strong>de</strong>n Finger in die Wun<strong>de</strong> legen<br />
und <strong>de</strong>utlich machen, was für die Zukunft <strong>de</strong>r Region notwendig ist.<br />
Denn was die Wirtschaft braucht, sind gut ausgebil<strong>de</strong>te Fachkräfte, die<br />
es eben nur mit einer qualitativ hochwertigen Ausbildung gibt. Wir<br />
appellieren nicht zuletzt an die vielen Betriebe, die sich an Tarifverträge<br />
halten und ihre Azubis korrekt behan<strong>de</strong>ln, dies auch weiterhin zu tun.<br />
Auch sie brauchen Schutz gegen die, die Regeln missachten und<br />
rechtliche Standards unterschreiten. Damit die schlechten Beispiele nicht<br />
Schule machen. Der Berlin-Bran<strong>de</strong>nburger <strong>Ausbildungsreport</strong> ist ein<br />
Plädoyer, um für mehr Qualität in <strong>de</strong>r Ausbildung in die Offensive zu<br />
gehen. Dazu la<strong>de</strong>n wir Politik, Medien, Kammern und Arbeitgeber ein.<br />
Wenn wir auf <strong>de</strong>n Höfen <strong>de</strong>r Oberstufenzentren und in <strong>de</strong>n Klassen<br />
stehen, dann sagen wir <strong>de</strong>n Jugendlichen, dass ihre Interessen in starken<br />
und solidarischen Arbeitnehmer-Organisationen am besten aufgehoben<br />
sind. Wir zeigen ihnen, wo sie Partner beim Einfor<strong>de</strong>rn ihrer Rechte<br />
fin<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r Gewerkschaftsjugend sind sie nicht mehr allein. Denn<br />
wir kommen wie<strong>de</strong>r. Und unser Versprechen gilt. Im Frühjahr 2006 gehen<br />
wir wie<strong>de</strong>r auf Berufsschultour, und im Herbst 2006 legen wir <strong>de</strong>n<br />
nächsten Berlin-Bran<strong>de</strong>nburger <strong>Ausbildungsreport</strong> vor. Hoffentlich macht<br />
dieser Report vielen jungen Menschen Mut, sich gegen miserable<br />
Ausbildungsbedingungen zu wehren!<br />
Daniel Wucherpfennig<br />
Bezirksjugendsekretär<br />
1Die aktuelle<br />
Ausbildungsplatzbilanz<br />
in Berlin und Bran<strong>de</strong>nburg<br />
2<br />
3
Ausbildungsplatzbilanz <strong>2005</strong><br />
Zusammenfassung<br />
1. Das Vermittlungsjahr 2004/<strong>2005</strong> stellt sich zum 15.10.<strong>2005</strong> als das<br />
schlechteste seit <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> dar. Die Anzahl <strong>de</strong>r unversorgt bleiben<strong>de</strong>n<br />
Jugendlichen ist mit 7.381 in Berlin und 9.889 in Bran<strong>de</strong>nburg dramatisch<br />
hoch. Die Anzahl <strong>de</strong>r betrieblichen Ausbildungsplätze ist mit 18.148 die<br />
Niedrigste je ermittelte. Nur für 29,1 % <strong>de</strong>r BewerberInnen stand in<br />
<strong>de</strong>r Region ein betrieblicher Ausbildungsplatz zur Verfügung !!! Die<br />
Zahl <strong>de</strong>r in Berlin und Bran<strong>de</strong>nburg gemel<strong>de</strong>ten Ausbildungsstellen<br />
sank im Vergleich zum Vorjahr um 17,6 %.<br />
Ausbildungsplatzbilanz <strong>2005</strong><br />
6. Die Jugendarbeitslosigkeit in <strong>de</strong>r Region bei <strong>de</strong>n Unter-25jährigen<br />
verharrt mit 34.816 in Berlin und 27.184 in Bran<strong>de</strong>nburg (November<br />
<strong>2005</strong>) auf Rekordhöhe. Die eigentliche Dramatik <strong>de</strong>r Lage wird durch<br />
weitere 17.570 Jugendliche unter 25 Jahren in Arbeitsgelegenheiten<br />
(z.B. sog. 1€-Jobs) nur ungenügend verschleiert. Es fehlt weiter an einem<br />
abgestimmten För<strong>de</strong>rprogramm an <strong>de</strong>r zweiten Schwelle um<br />
Abwan<strong>de</strong>rung zu vermei<strong>de</strong>n und Berufsperspektiven in <strong>de</strong>r Region zu<br />
eröffnen. Diese notwendigen Finanzmittel <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r könnten bei<br />
Einführung eines solidarischen Umlagemo<strong>de</strong>lls freigesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />
2. Der „Ausbildungspakt“ in <strong>de</strong>r Region ist ebenso wie auf Bun<strong>de</strong>sebene<br />
gescheitert. Abwohl die Kammern in Berlin tatsächlich zusätzliche und<br />
nicht neue Ausbildungsplätze zählen, sinkt das Angebot an betrieblichen<br />
Ausbildungsplätzen über alle Kammern hinweg in Berlin und Bran<strong>de</strong>nburg<br />
um 1.096 Plätze !!! Auch die viel gefeierten Einstiegsqualifizierungen<br />
(EQJ) gehen offensichtlich am eigentlichen Bedarf vorbei. Nur 29% <strong>de</strong>r<br />
in <strong>de</strong>r Region gemel<strong>de</strong>ten Stellen sind besetzt.<br />
3. Die Regionalagentur für Arbeit greift mit über 10.000 Angeboten im<br />
Rahmen von berufsvorbereiten<strong>de</strong>n Maßnahmen (6 bis 11 Monate Dauer)<br />
in Berlin und Bran<strong>de</strong>nburg massiv zur Entlastung <strong>de</strong>r Wirtschaft in <strong>de</strong>n<br />
Markt ein. Hier wird die „Altnachfrage“ von morgen verursacht und <strong>de</strong>n<br />
Jugendlichen keine Perspektive für eine Anschlussausbildung geboten.<br />
4. Die Ausbildungsfrage in <strong>de</strong>r Region wird in berufsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Schulen<br />
gelöst. In Berlin sind im September 25.000 Jugendliche neu in <strong>de</strong>n<br />
berufsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Schulen angekommen, davon ganze 10.000 in <strong>de</strong>r dualen<br />
Berufsschule, <strong>de</strong>r Rest in ein- bis zweijährigen Ersatzmaßnahmen und<br />
einigen vollzeitschulischen berufsqualifizieren<strong>de</strong>n Ausbildungsgängen.<br />
In Bran<strong>de</strong>nburg ist <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong> Anteil <strong>de</strong>r schulischen<br />
Ausbildungsgänge dreijährig und berufsqualifizierend.<br />
5. Berlin und Bran<strong>de</strong>nburg bewegen sich im Bun<strong>de</strong>strend. Die Realität<br />
ist, dass beim Einstieg in das Berufsleben mittlerweile fast<br />
unüberwindbar hohe Hür<strong>de</strong>n existieren, <strong>de</strong>nn für 741.000 Jugendliche<br />
stehen ganze 422.000 betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung. Im<br />
Klartext be<strong>de</strong>utet dies, dass für 319.000 Jugendliche in Deutschland<br />
statistisch betrachtet von vorneherein nicht einmal die Chance auf einen<br />
betrieblichen Ausbildungsplatz bestand.<br />
Für 43 % <strong>de</strong>r nach Ausbildungsplätzen suchen<strong>de</strong>n Jugendlichen in<br />
Deutschland bietet die <strong>de</strong>utsche Wirtschaft kein Angebot!!!<br />
4<br />
5
Die Ausbildungsplatzsituation in Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg<br />
Auf 100 BewerberInnen um einen betrieblichen Ausbildungsplatz<br />
kommen in <strong>de</strong>r Region durchschnittlich nur 29,1 betriebliche<br />
Ausbildungsstellen!<br />
Die Ausbildungsplatzsituation in Berlin<br />
Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen in Berlin bewegt sich<br />
seit Jahren auf einem niedrigen Niveau. Die Chancen von Berliner<br />
SchulabgängerInnen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz haben eine<br />
weiterhin sinken<strong>de</strong> Ten<strong>de</strong>nz!<br />
6<br />
7
Die Ausbildungsplatzsituation in Bran<strong>de</strong>nburg<br />
Die ohnehin dramatische Situation am Bran<strong>de</strong>nburger Ausbildungsmarkt<br />
hat sich flächen<strong>de</strong>ckend weiter verschlechtert. Mittlerweile gibt es<br />
Regionen, in <strong>de</strong>nen das duale Ausbildungssystem beinahe verschwun<strong>de</strong>n<br />
ist, weil nur noch weniger als je<strong>de</strong>r siebente Bewerber mit einem<br />
betrieblichen Ausbildungsplatz rechnen kann. Die Zahl <strong>de</strong>r betrieblichen<br />
Ausbildungsplätze im Land ist auf einem historischen Tiefstand.<br />
Die Ausbildungsplatzsituation in Bran<strong>de</strong>nburg<br />
8<br />
9
Die Ausbildungsplatzsituation in Bran<strong>de</strong>nburg<br />
Die Ausbildungsplatzsituation in Bran<strong>de</strong>nburg<br />
10<br />
11
Mehr Benachteiligte im Osten<br />
Es gibt einen <strong>de</strong>utlichen Zusammenhang zwischen <strong>de</strong>r Krise am<br />
Ausbildungsmarkt, <strong>de</strong>r Quote <strong>de</strong>r von Bund und Län<strong>de</strong>rn geför<strong>de</strong>rten<br />
Ausbildungsplätze und <strong>de</strong>r Quote <strong>de</strong>r Ausbildungsplätze für Benachteiligte.<br />
Die Unternehmen <strong>de</strong>r Region wälzen ihre Verantwortung auf <strong>de</strong>n Staat<br />
ab, auf Kosten <strong>de</strong>r Jugendlichen!<br />
Warteschleifen statt Ausbildung<br />
Die Ausbildungsverweigerung <strong>de</strong>r Unternehmen wird an <strong>de</strong>n Berufsschulen<br />
mit einer seit Jahren fünfstellig hohen Zahl an von <strong>de</strong>n Arbeitsagenturen<br />
geför<strong>de</strong>rten berufsvorbereiten<strong>de</strong>n Maßnahmen kompensiert! Diese<br />
Maßnahmen sind häufig nur Wartschleifen, wo die Jugendlichen für einige<br />
Zeit “geparkt” wer<strong>de</strong>n und so aus <strong>de</strong>r Statistik verschwin<strong>de</strong>n.<br />
12<br />
13
Die Jugendarbeitslosigkeit in Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg<br />
Die Jugendarbeitslosigkeit in Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg<br />
14<br />
Die Jugendarbeitslosigkeit verharrt auf einem dramatisch hohen Stand.<br />
Die Situation wird durch mittlerweile mehr als 17.000 sog. „Arbeitsgelegenheiten“<br />
für Jugendliche unter 25 Jahren nur ungenügend verschleiert!<br />
15
Die Einstiegsqualifizierungen sind gescheitert<br />
Die im Ausbildungspakt gefeierten Einstiegsqualifizierungen sind in Berlin<br />
und Bran<strong>de</strong>nburg gescheitert. Weniger als je<strong>de</strong>r dritte gemel<strong>de</strong>te Platz<br />
ist besetzt!<br />
2Der Azubi-TÜV<br />
Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg<br />
Quellen für die Daten aller Diagramme<br />
Statistik-Portal <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sagentur für Arbeit, http://statistik.arbeitsagentur.<strong>de</strong><br />
16<br />
17
Azubi-TÜV <strong>2005</strong> - Wer wur<strong>de</strong> befragt<br />
Azubi-TÜV <strong>2005</strong> - Wer wur<strong>de</strong> befragt<br />
18<br />
19
Ausbildungsvergütung - Wer bekommt wie viel<br />
Die Ausbildungsvergütung<br />
Ausbildungsvergütung - Wer bekommt wie viel<br />
Die Ausbildungsvergütungen sind in <strong>de</strong>r Berliner und Bran<strong>de</strong>nburger Realität<br />
sehr viel niedriger als es bun<strong>de</strong>sweite statistische Durchschnittswerte o<strong>de</strong>r<br />
an tarifvertraglichen Regelungen orientierte Aufstellungen vermitteln.<br />
Daraus kann nur <strong>de</strong>r Schluss gezogen wer<strong>de</strong>n, dass die Höhe <strong>de</strong>r gezahlten<br />
Ausbildungsvergütungen sich in <strong>de</strong>r gesamten Region viel zu oft nicht an<br />
tarifvertraglichen Standards orientiert. Dabei spielt es eine große Rolle,<br />
dass sich die Mehrzahl <strong>de</strong>r Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n eben gar nicht mehr in<br />
betrieblichen Ausbildungsverhältnissen befin<strong>de</strong>t. Der Berlin-Bran<strong>de</strong>nburger<br />
<strong>Ausbildungsreport</strong> ist ein Gruß aus <strong>de</strong>r Realität an alle, die mit<br />
populistischen For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>n Eindruck erwecken, an <strong>de</strong>r Ausbildungskrise<br />
seien die angeblich zu hohen Ausbildungsvergütungen Schuld. Auffällig<br />
ist die extreme regionale und branchenspezifische Spreizung <strong>de</strong>r<br />
Ausbildungsvergütungen. Sie steht in <strong>de</strong>r Realität für Erfahrungen von<br />
Ungleichbehandlung am Beginn <strong>de</strong>s Arbeitslebens. Extrem sind sind diese,<br />
wenn betriebliche und nichtbetriebliche Ausbildungsvergütungen<br />
verglichen wer<strong>de</strong>n.In Bran<strong>de</strong>nburger Berufsschulklassen treffen<br />
angehen<strong>de</strong>, nichtbetrieblich ausgebil<strong>de</strong>te IndustriemechanikerInnen auf<br />
ihre betrieblich ausgebil<strong>de</strong>ten KollegInnen, die pro Monat sieben mal so<br />
viel Geld erhalten wie sie. Angesichts <strong>de</strong>r niedrigen Ausbildungsvergütungen<br />
ist die Tatsache, dass im Durchschnitt je<strong>de</strong>r 20. Jugendliche sein Geld<br />
nicht regelmäßig erhält, erschreckend hoch.<br />
20<br />
21
Fallbeispiele von Dr. Azubi<br />
Die Berufsschultour ist an einem agrarwirtschaftlichen<br />
Oberstufenzentrum. Ein 20jähriger Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r zum<br />
Gärtner, Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau, sucht<br />
Rat bei Dr. Azubi. Sein Ausbildungsbetrieb, eine kleine<br />
Gärtnerei, hat ihm aufgetragen, außerhalb seiner<br />
Arbeitszeit eine Pflanzensammlung mit ca. 150 Pflanzen<br />
anzulegen. Als <strong>de</strong>r Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> die Erstellung <strong>de</strong>r<br />
Pflanzensammlung in seiner Freizeit nicht schafft, wird ihm eine<br />
monatliche Geldstrafe von € 100 auferlegt. Die Strafe wird ihm solange<br />
von <strong>de</strong>r Ausbildungsvergütung abgezogen, bis er die Pflanzensammlung<br />
vorweisen kann.<br />
Ist das zulässig Natürlich nicht. Wenn das Anlegen <strong>de</strong>r Pflanzensammlung<br />
Teil <strong>de</strong>r Ausbildung ist, dann muss sie auch während <strong>de</strong>r Arbeitszeit<br />
angefertigt wer<strong>de</strong>n und nicht in <strong>de</strong>r Freizeit. Zu<strong>de</strong>m sind nach § 12<br />
Berufsbildungsgesetz Vertragsstrafen nichtige Vereinbarungen. Das<br />
be<strong>de</strong>utet, dass eine Kürzung <strong>de</strong>r Ausbildungsvergütung als Strafe für<br />
schlechte Noten o<strong>de</strong>r nicht erfüllte Leistungen nicht zulässig ist.<br />
Die Arbeitszeit<br />
Arbeitszeit<br />
Mit Blick auf die tatsächlich geleistete Arbeitszeit müssen die immer wie<strong>de</strong>r<br />
verbreiteten Mythen vom bequemen Azubi-Alltag begraben wer<strong>de</strong>n. Die<br />
38-Stun<strong>de</strong>n-Woche ist in <strong>de</strong>r Realität Vergangenheit, die 40-Stun<strong>de</strong>n-Woche<br />
umkämpft. Freiwillige und unfreiwillge Überstun<strong>de</strong>n gehören zum Alltag.<br />
Extreme Spreizungen ergibt auch hier die Aufteilung nach Branchen.<br />
Beson<strong>de</strong>rs erschreckend ist die Tatsache, dass in Bran<strong>de</strong>nburger je<strong>de</strong>r<br />
vierte Azubi davon ausgeht, dass seine Berufsschulzeit nicht korrekt auf<br />
seine Arbeitszeit angerechnet wird, in Berlin gilt das immerhin noch für<br />
je<strong>de</strong>n Elften. Viel zu oft wer<strong>de</strong>n Überstun<strong>de</strong>n nicht korrekt ausgeglichen.<br />
Massive Rechtsbrüche verbergen sich hinter <strong>de</strong>r Tatsache, dass mehr als<br />
je<strong>de</strong>r neunte Bran<strong>de</strong>nburger Azubi unter 18 Jahren länger als 40 Stun<strong>de</strong>n<br />
pro Woche arbeitet.<br />
Die Berufsschultour befin<strong>de</strong>t sich an einem<br />
Oberstufenzentrum für handwerkliche Berufe. Eine<br />
19jährige Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> zur Mo<strong>de</strong>näherin beschwert sich<br />
bei Dr. Azubi, dass sie ihre Scheren und auch an<strong>de</strong>re<br />
Arbeitsmaterialien selber kaufen muss. Da ihre<br />
Ausbildungsvergütung sowieso schon sehr niedrig ist,<br />
belastet sie das finanziell sehr.<br />
Ist das zulässig Nein, <strong>de</strong>nn nach § 14<br />
Berufsbildungsgesetz muss <strong>de</strong>r ausbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Betrieb o<strong>de</strong>r Träger <strong>de</strong>m<br />
Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n alle Ausbildungsmittel, insbeson<strong>de</strong>re Werkzeuge und<br />
Werkstoffe, kostenlos zur Verfügung stellen. Dass sich Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> ihre<br />
Werkzeuge selber kaufen müssen, ist also verboten.<br />
22<br />
23
Arbeitszeit - Wer arbeitet wie viel<br />
Arbeitszeit - Wer arbeitet wie viel<br />
24<br />
25
Arbeitszeit - Wer arbeitet wie viel<br />
Arbeitszeit - Jugendarbeitsschutz<br />
Laut Jugendarbeitsschutzgesetz ist es verboten, Azubis unter 18 Jahren<br />
länger als 40h / Woche zu beschäftigen.<br />
26<br />
27
Arbeitszeit - Überstun<strong>de</strong>n<br />
Arbeitszeit - Urlaubsanspruch<br />
Ein Ergebnis <strong>de</strong>s Azubi-TÜVs ist, dass Azubis mit maximal 26 Arbeitstagen<br />
Urlaub wöchentlich mehr auch mehr arbeiten müsen.<br />
28<br />
29
Fallbeispiele von Dr. Azubi<br />
Die Berufsschultour ist an einem kaufmännischen<br />
Oberstufenzentrum in Bran<strong>de</strong>nburg. Dort berichtet<br />
eine 18jährige Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> zur Hotelkauffrau, dass<br />
sie häufig Überstun<strong>de</strong>n machen muss. Auf Nachfrage<br />
erklärt sie, dass sie fast je<strong>de</strong>s Wochenen<strong>de</strong> arbeiten<br />
muss und auch an an<strong>de</strong>ren Tagen Überstun<strong>de</strong>n macht.<br />
Sie kommt auf durchschnittlich 55 Stun<strong>de</strong>n<br />
wöchentlich, obwohl in ihrem Ausbildungsvertrag 40 Stun<strong>de</strong>n vereinbart<br />
sind. Sie bekommt die Überstun<strong>de</strong>n nicht vergütet und darf sie auch<br />
nicht abbummeln.<br />
Ist das zulässig Nein, <strong>de</strong>nn im Ausbildungsvertrag ist die Arbeitszeit<br />
mit 40 Stun<strong>de</strong>n wöchentlich geregelt. Selbst wenn das nicht so wäre,<br />
dürfte nach § 3 Arbeitszeitgesetz die maximale Arbeitszeit von 48 Stun<strong>de</strong>n<br />
wöchentlich nicht überschritten wer<strong>de</strong>n. Es ist höchstens zulässig,<br />
Überstun<strong>de</strong>n bis maximal 60 Stun<strong>de</strong>n die Woche zu machen, wenn diese<br />
innerhalb eines halben Jahres so ausgeglichen wer<strong>de</strong>n, dass die<br />
durchschnittliche Wochenarbeitszeit 48 Stun<strong>de</strong>n nicht überschreitet.<br />
Auch im Berufsbildungsgesetz ist geregelt, dass Überstun<strong>de</strong>n für<br />
Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rs zu vergüten sind o<strong>de</strong>r mit Freizeit ausgeglichen<br />
wer<strong>de</strong>n müssen.<br />
Fallbeispiele von Dr. Azubi<br />
Die Berufsschultour macht Halt an einem<br />
Oberstufenzentrum für Metall- und Maschinentechnik.<br />
Ein 16jähriger Azubi zum Kraftfahrzeugmechatroniker<br />
beklagt sich bei Dr. Azubi, dass er nur 24 Werktage<br />
Urlaub im Jahr bekommt. Dabei bekommen seine<br />
Kollegen und Kolleginnen in <strong>de</strong>r Berufsschulklasse mehr<br />
Urlaub.<br />
Ist das zulässig Nein, <strong>de</strong>nn nach § 19 Jugendarbeitsschutzgesetz steht<br />
jugendlichen Beschäftigten bis zum vollen<strong>de</strong>ten 18. Lebensjahr ein<br />
höherer Erholungsurlaub zu. So beträgt <strong>de</strong>r Urlaub für <strong>de</strong>n<br />
Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r zu Beginn <strong>de</strong>s Kalen<strong>de</strong>rjahres noch nicht 17 Jahre<br />
alt war, min<strong>de</strong>stens 27 Werktage pro Jahr. Dem Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n stehen<br />
also min<strong>de</strong>stens drei Tage mehr Urlaub zu.<br />
Die Berufsschultour ist an einem kaufmännischen<br />
Oberstufenzentrum. Eine 17jährige Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> zur<br />
Kauffrau im Einzelhan<strong>de</strong>l sucht bei Dr. Azubi Hilfe.<br />
Nach <strong>de</strong>m Berufsschulunterricht von insgesamt sechs<br />
Schulstun<strong>de</strong>n muss sie immer zurück in <strong>de</strong>n La<strong>de</strong>n,<br />
um noch zu arbeiten. Dadurch schafft sie ihre<br />
Hausaufgaben nicht und ist zu<strong>de</strong>m am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Tages<br />
völlig erschöpft. Zum Weihnachtsgeschäft letztes Jahr<br />
durfte sie außer<strong>de</strong>m nicht immer in die Berufsschule, weil ihr Chef<br />
meinte, dass es zur Zeit so viel zu tun gäbe und sie in <strong>de</strong>r Berufsschule<br />
doch sowieso nichts lerne.<br />
Ist das zulässig Nein, <strong>de</strong>nn das Jugendarbeitsschutzgesetz regelt die<br />
Freistellung für <strong>de</strong>n Berufsschulunterricht sowie die Anrechnung auf<br />
die Arbeitszeit. So ist es nach § 9 Jugendarbeitsschutzgesetz verboten,<br />
jugendliche Beschäftigte bis zur Vollendung <strong>de</strong>s 18. Lebensjahres an<br />
einem Berufsschultag mit mehr als sechs Stun<strong>de</strong>n zu beschäftigen. Dass<br />
die Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> nach sechs Stun<strong>de</strong>n Schule wie<strong>de</strong>r zurück in <strong>de</strong>n<br />
Betrieb muss, ist also gesetzeswidrig. Außer<strong>de</strong>m hat <strong>de</strong>r Arbeitgeber<br />
die Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Besuch <strong>de</strong>r Berufsschule freizustellen - egal<br />
ob im La<strong>de</strong>n gera<strong>de</strong> viel los ist o<strong>de</strong>r nicht. Dies regeln sowohl § 9<br />
Jugendarbeitsschutzgesetz als auch § 15 Berufsbildungsgesetz.<br />
30<br />
31
Ausbildungsqualität<br />
Die Ausbildungsqualität<br />
Ausbildungsqualität<br />
Die hier dokumentierten Zahlen zeigen einen erschreckend hohen<br />
Prozentsatz von Jugendlichen, die regelmäßig ausbildungsfrem<strong>de</strong><br />
Tätigkeiten verrichten müssen, <strong>de</strong>nen Arbeitsabläufe nur unzureichend<br />
erklärt wer<strong>de</strong>n, die viel zu oft Überstun<strong>de</strong>n machen, o<strong>de</strong>r die mehrere<br />
dieser Defizite in ihrem Ausbildungsbetrieb kennen lernen. Hinter diesen<br />
Zahlen verbirgt sich ein beunruhigen<strong>de</strong>r Befund. Gravieren<strong>de</strong><br />
Qualitätsmängel in Berliner und Bran<strong>de</strong>nburger Ausbildungsbetrieben sind<br />
längst keine Ausnahme mehr son<strong>de</strong>rn drohen, dies zeigt auch hier die<br />
regionale und branchenspezifische Differenzierung, zur Regel zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Hinter diesem Befund stehen aber nicht nur konkrete<br />
Entrechtungserfahrungen wie sie hier in Fallbeispielen dokumentiert<br />
wur<strong>de</strong>n. Der Berlin-Bran<strong>de</strong>nburger <strong>Ausbildungsreport</strong> sollte an dieser Stelle<br />
gera<strong>de</strong> für eine Wirtschaft, <strong>de</strong>r es bald an gut ausgebil<strong>de</strong>ten Fachkräften<br />
mangeln wird, ein Alarmruf sein.<br />
32<br />
Überdurchschnittlich stark sind diejenigen Azubis mit ausbildungsfrem<strong>de</strong>n<br />
Tätigkeiten konfrontiert, die auch Überstun<strong>de</strong>n machen. Es<br />
ist somit zu vermuten, dass einige Azubis in <strong>de</strong>n Überstun<strong>de</strong>n als billige<br />
Arbeitskräfte dienen.<br />
33
Ausbildungsqualität<br />
Die Ergebnisse <strong>de</strong>s Azubi-TÜV machen <strong>de</strong>utlich, dass eine qualitativ gute<br />
Ausbildung mit einem / einer Ausbil<strong>de</strong>r/-in eng zusammen hängt.<br />
Ausbildungsqualität<br />
34<br />
35
Mirkoblick KFZ-Branche<br />
Innerhalb <strong>de</strong>r KFZ-Branche sind die ausbildungsfrem<strong>de</strong>n Tätigkeiten<br />
überdurchschnittlich hoch.<br />
Fallbeispiele von Dr. Azubi<br />
Die Berufsschultour macht Halt an einem<br />
kaufmännischen OSZ. Dort wen<strong>de</strong>t sich eine 18jährige<br />
Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> zur Kauffrau im Einzelhan<strong>de</strong>l an Dr.<br />
Azubi. Sie berichtet, dass sie und an<strong>de</strong>re Azubis, die<br />
zusammen in einem Supermarkt lernen, mehrmals die<br />
Woche sowohl <strong>de</strong>n Aufenthaltsraum als auch die<br />
Toiletten putzen müssen. Die weiblichen Azubis müssen<br />
auch die Männertoiletten putzen.<br />
Ist das zulässig Natürlich nicht! Für je<strong>de</strong>n Ausbildungsberuf gibt es<br />
einen Ausbildungsrahmenplan, <strong>de</strong>r zeitlich und sachlich geglie<strong>de</strong>rt<br />
enthält, welche Tätigkeiten und Qualifikationen ein Azubi während seiner<br />
Ausbildungszeit zu lernen hat. Obwohl dort auch die Reinigung <strong>de</strong>s<br />
eigenen Arbeitsplatzes enthalten ist, gehört häufiges Toiletten Putzen<br />
nicht dazu - es han<strong>de</strong>lt sich also um ausbildungsfrem<strong>de</strong> Tätigkeiten.<br />
Ausbildungsfrem<strong>de</strong> Tätigkeiten sind nach § 14 Berufsbildungsgesetz verboten.<br />
Müssen Azubis trotz<strong>de</strong>m ausbildungsfrem<strong>de</strong> Tätigkeiten<br />
verrichten, so geht ihnen wichtige Zeit verloren, in <strong>de</strong>r sie nicht das<br />
lernen, was sie lernen sollten und für ihre Beruf auch benötigen.<br />
Die Berufsschultour macht Halt in einem<br />
Oberstufenzentrum in Südbran<strong>de</strong>nburg. Dort sucht<br />
eine 18jährige Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> zur Kauffrau im<br />
Einzelhan<strong>de</strong>l Rat bei Dr. Azubi, weil sie schon seit<br />
Beginn ihrer Ausbildung von ihrem Ausbil<strong>de</strong>r sexuell<br />
belästigt wird. In <strong>de</strong>m Sportgeschäft, in <strong>de</strong>m sie<br />
lernt, ist das Problem bekannt, Arbeitgeber und<br />
KollegInnen tun jedoch nichts dagegen.<br />
Ist das zulässig Nein, natürlich nicht! Sexuelle Belästigung ist kein<br />
Kavaliers<strong>de</strong>likt, son<strong>de</strong>rn verletzt die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Betroffenen zutiefst.<br />
Nach § 14 Berufsbildungsgesetz hat <strong>de</strong>r Arbeitgeber dafür zu sorgen,<br />
dass Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> nicht sittlich o<strong>de</strong>r körperlich gefähr<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
Nach § 2 <strong>de</strong>s Beschäftigtenschutzgesetzes hat <strong>de</strong>r Arbeitgeber die<br />
Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> vor sexueller Belästigung zu schützen und bei<br />
Bekannt Wer<strong>de</strong>n eines Falles sofort geeignete Maßnahmen zu<br />
ergreifen.<br />
36<br />
37
Kumulierte Entrechtung<br />
Kumulierte Entrechtung<br />
Kumulierte Entrechtung<br />
Beson<strong>de</strong>rs dramatisch ist die extreme Differenzierung hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />
Ausbildungsbedingungen. Ein Rechtsbruch kommt nämlich selten allein.<br />
Wer regelmäßig ausbildungsfrem<strong>de</strong> Tätigkeiten ausübt, hat eben auch<br />
überdurchschnittlich oft mit an<strong>de</strong>ren Problemen zu rechnen, verdient<br />
weniger, arbeitet länger und hat auch weniger Urlaub. Genauso <strong>de</strong>utlich<br />
tritt die branchenspezifische Konzentration von bestimmten Problemen<br />
hervor. Das KfZ-Handwerk gibt hier ein schlechtes Beispiel. Und es gibt<br />
Indizien dafür, dass brancheninterne Abwärtsspiralen die Standards nach<br />
unten drücken. Die hier geschil<strong>de</strong>rte Dramatik zeigt aber auch einen<br />
Ausweg aus <strong>de</strong>r Krise. Tarif macht stark! Dort, wo sich Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> für<br />
ihre Interessen in starken Gewerkschaften zusammenschließen und im<br />
Alltag von Betriebsräten o<strong>de</strong>r Jugend- und Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>nvertreterInnen<br />
unterstützt wer<strong>de</strong>n, dort gibt es starke Barrieren gegen die alltägliche<br />
Entrechtung von Azubis. Die Antwort <strong>de</strong>r Gewerkschaftsjugend auf die<br />
Krise heißt Solidarität. Wer seine Rechte kennt, kann seine Interessen<br />
organisieren, heute und hier, und vielleicht morgen überall!<br />
Wer als Azubi in <strong>de</strong>r Region Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg weniger als 27<br />
Urlaubstage hat, hat durchschnittlich 83,23 Euro pro Monat weniger.<br />
38<br />
Wer als Azubi in <strong>de</strong>r Region Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg wöchentlich mehr als 40<br />
Stun<strong>de</strong>n (ohne Überstun<strong>de</strong>n) arbeitet, verdient im Durchschnitt 62,70 Euro<br />
weniger.<br />
Wer in Bran<strong>de</strong>nburg oft regelm. ausbildungsfrem<strong>de</strong> Tätigkeiten machen<br />
muss, verdient im Durchschnitt 69,03 Euro weniger.<br />
39
Kumulierte Entrechtung<br />
Kumulierte Entrechtung<br />
Die Vergütungsspreizung gibt <strong>de</strong>n Quotienten zwischen <strong>de</strong>r höchsten und<br />
<strong>de</strong>m niedrigsten Ausbildungsvergütung an. Aufgrund <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />
Ausbildungsformen kommt es vor, dass innerhalb einer Ausbildungsklasse<br />
(Industriemechaniker 3.Ausbildungsjahr) Azubis sitzen, die monatlich 92€<br />
(kooperatives Ausbildungsmo<strong>de</strong>ll) und bis zu 700€ (duale Ausbildung, Tarif)<br />
erhalten. Damit erhalten die Azubis <strong>de</strong>r dualen Ausbildung etwa das<br />
7,6fache mehr als die Azubis im kooperativen Mo<strong>de</strong>ll.<br />
40<br />
41
Fazit<br />
Am En<strong>de</strong> dieses ersten Berlin-Bran<strong>de</strong>nburger <strong>Ausbildungsreport</strong>s stehen<br />
folgen<strong>de</strong> zusammenfassen<strong>de</strong> Thesen:<br />
1) Verfestigter Ausbildungsplatzmangel: Der seit 15 Jahren auf <strong>de</strong>r<br />
Region lasten<strong>de</strong> Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen hat<br />
sich <strong>2005</strong> weiter verschärft. Die duale Ausbildung ist<br />
flächen<strong>de</strong>ckend die Ausnahme und droht stellenweise aus <strong>de</strong>m<br />
Berufsbildungsalltag zu verschwin<strong>de</strong>n. Die nochmalige<br />
Verschlechterung <strong>de</strong>r SchulabgängerInnen auf eine Ausbildung in<br />
<strong>de</strong>r Region dokumentiert das Scheitern <strong>de</strong>s Ausbildungspaktes auch<br />
in Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg.<br />
2) Rechtloser Normalzustand: Rechtsbrüche und die Vorenthaltung<br />
von Rechten wer<strong>de</strong>n im Rahmen von Berliner und Bran<strong>de</strong>nburger<br />
Ausbildungsverhältnissen zu einer nicht mehr wegzudiskutieren<strong>de</strong>n<br />
Normalität. Die signifikante Häufung von Mängeln und<br />
Entrechtungserfahrungen in bestimmten Branchen (z.B. KfZ-<br />
Handwerk) <strong>de</strong>utet auf branchenspezifische Abwärtsspiralen nach<br />
<strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>r „worst practice“ hin.<br />
3) Kein bequemer Azubi-Alltag: Die vorliegen<strong>de</strong>n Zahlen belegen<br />
eine extreme Ausdifferenzierung innerhalb <strong>de</strong>r<br />
Ausbildungsverhältnisse nach <strong>de</strong>r Einhaltung von rechtlichen Standards<br />
und <strong>de</strong>r Ausbildungsqualität. Die Differenzierung erfolgt<br />
kaum nach regionalen Kriterien o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Geschlecht <strong>de</strong>r<br />
Azubis, son<strong>de</strong>rn bewegt sich viel mehr an Branchengrenzen.<br />
4) Qualitäts<strong>de</strong>fizite als Hypothek für die regionale Wirtschaft: Die<br />
Defizite in <strong>de</strong>r Ausbildungsqualität, die sich insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r<br />
Häufung von ausbildungsfrem<strong>de</strong>n Tätigkeiten, <strong>de</strong>m Fehlen von<br />
Unterweisungen durch Ausbil<strong>de</strong>rInnen und <strong>de</strong>r Häufigkeit von<br />
Überstun<strong>de</strong>n äußert, sind so massiv, dass sie im Kern zur Gefahr<br />
für die Zukunft <strong>de</strong>r regionalen Wirtschaft wer<strong>de</strong>n.<br />
5) Kumulierte Entrechtung: Ein Rechtsbruch kommt in Berlin-<br />
Bran<strong>de</strong>nburger Ausbildungsverhältnissen selten allein. Wo sich<br />
ausbildungsfrem<strong>de</strong> Tätigkeiten, unbezahlte Überstun<strong>de</strong>n und<br />
Arbeitszeitverstöße häufen, sinken die durchschnittlichen<br />
Ausbildungsvergütungen, lassen an<strong>de</strong>re Verstöße nicht lange auf<br />
sich warten und muss von einer niedrigeren Ausbildungsqualität<br />
ausgegangen wer<strong>de</strong>n.<br />
6) Tarif macht stark: Umgekehrt zeigt sich einmal mehr, dass es<br />
einen signifikanten Zusammenhang zwischen <strong>de</strong>r Bindung an<br />
gelten<strong>de</strong> Tarifverträge und <strong>de</strong>m Schutz vor Entrechtung in<br />
Ausbildungsverhältnissen. Die Interessenvertretung durch starke<br />
Gewerkschaften ist auch für Jugendliche in <strong>de</strong>r Region ein Ausweg<br />
aus <strong>de</strong>r alltäglichen Entrechtung.<br />
7) Die Spitze <strong>de</strong>s Eisbergs: Die geschil<strong>de</strong>rten Fallbeispiele von<br />
massiven Rechtsbrüchen in Ausbildungsverhältnissen verlieren aus<br />
<strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r vorgelegten Statistiken <strong>de</strong>n Charakter von<br />
Einzelfällen. Die von <strong>de</strong>r Gewerkschaftsjugend seit langem<br />
beklagten<br />
Fazit<br />
42<br />
43
44<br />
Der Azubi-TÜV und die die Broschüre entstan<strong>de</strong>n<br />
mit Unterstützung <strong>de</strong>s J@B-Büros Berlin.