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Erdbebensicherheit - Rechts- und Haftungsfragen

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Die Haftung für mangelnde<br />

<strong>Erdbebensicherheit</strong><br />

Dr. Thomas Siegenthaler<br />

Vorverständnis<br />

1750 – 2000: 26 Erdbeben > VII<br />

1680 – 2000: 6 Erdbeben > VIII<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>ert: Sierre 1946, 4 Tote<br />

„<strong>Erdbebensicherheit</strong>“<br />

• Klasse I <strong>und</strong> II = noch evakuierbar<br />

• Klasse III = noch gebrauchstauglich bei Bemessungsbeben<br />

• Bemessungsbeben: 1 x in 475 Jahren (bei Klasse I)<br />

2<br />

1


<strong>Haftungsfragen</strong>:<br />

1. Haftung des (Tragwerk-) Planers<br />

2. Haftung des Bauunternehmers<br />

3. Haftung des Eigentümers<br />

3<br />

1. Haftung des Planers<br />

Vertragliche Gr<strong>und</strong>lagen: Leistungs- <strong>und</strong> Honorarordnungen SIA (LHO)<br />

4<br />

2


1. Haftung des Planers<br />

Vorgaben der LHO SIA<br />

• SIA Ordnungen 102/103 (LHO, Ausgaben 2003)<br />

- 1.3.1: «Der Planer wahrt die Interessen des Auftraggebers, insbesondere<br />

die Erreichung seiner Ziele, nach bestem Wissen <strong>und</strong> Können<br />

<strong>und</strong> erbringt die vertraglich vereinbarten Leistungen unter Beachtung<br />

der allgemein anerkannten Regeln seines Fachgebiets».<br />

- 1.6: «Bei verschuldet fehlerhafter Auftragserfüllung hat der Planer<br />

den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt insbesondere<br />

bei Verletzung seiner Sorgfalts- <strong>und</strong> Treuepflicht, bei Nichtbeachtung<br />

oder Verletzung anerkannter Regeln seines Fachgebietes,<br />

bei mangelnder Koordination oder Beaufsichtigung.»<br />

5<br />

1. Haftung des Planers<br />

Vorgaben der LHO SIA<br />

• weitere SIA Ordnungen/Normen<br />

- SIA 112/2001, 312: «Aufgabe des Planerteams: Erstellung von<br />

Konzepten über die Statik, Konstruktion Nutzung, Sicherheit bzw. von<br />

Nutzungs- <strong>und</strong> Sicherheitsplänen oder Gefährdungsbildern.»<br />

- SIA 260/2003, 2.2.1: «Bauherrschaft <strong>und</strong> Projektverfasser erstellen<br />

auf Gr<strong>und</strong> eines Dialogs eine Nutzungsvereinbarung. Sie enthält<br />

einen Katalog der Ziele, die der Bauherr für die Projektierung, die<br />

Ausführung <strong>und</strong> Nutzung des Bauwerks verfolgt. Aufgr<strong>und</strong> einer<br />

Risikobewertung sind sodann Schutzziele <strong>und</strong> Schutzgrad festzulegen.»<br />

6<br />

3


1. Haftung des Planers<br />

Anerkannte Regeln der Technik / der Bauk<strong>und</strong>e<br />

• Massstab für den Begriff der Sorgfalt<br />

• «Anerkannt» ist, was<br />

- von der Wissenschaft als theoretisch richtig bezeichnet wird<br />

- feststeht <strong>und</strong> bekannt ist <strong>und</strong><br />

- unter fachkompetenten Anwendern als bewährt gilt.<br />

7<br />

1. Haftung des Planers<br />

Regeln der Bauk<strong>und</strong>e: SIA<br />

• SIA-Normen im Allgemeinen<br />

bezüglich <strong>Erdbebensicherheit</strong> im Besonderen:<br />

• Tragwerksnormen SIA 260 ff./2003 (Neubauten)<br />

• Merkblatt SIA 2018/2004 (Umbauten)<br />

- Gegenüberstellung von Kosten <strong>und</strong> Nutzen der Sicherungsmassnahme<br />

unter Berücksichtigung der Sicherheitsansprüche<br />

des Individuums.<br />

- Formel über die Akzeptierbarkeit des Individualrisikos: Die<br />

Anzahl der durch das Versagen des betrachteten Bauwerks<br />

zu erwartenden Todesfälle fliesst in den Beurteilungsprozess<br />

<strong>und</strong> in die Formel ein.<br />

8<br />

4


1. Haftung des Planers<br />

Haftung aus ungenügender <strong>Erdbebensicherheit</strong><br />

• Erbringung einer Leistung in der vertraglich vereinbarten Qualität<br />

- Stand der Technik bzw. der Bauk<strong>und</strong>e:<br />

Anwendung der Vorgaben SIA (Normen 260 ff. / MB 2018)<br />

- Zumutbarkeit von zu treffenden Abklärungen bzw. Massnahmen<br />

- «Fehlerhafte» Projektierung, «unsorgfältige» Beratung<br />

• Unterschiedliche Aufgaben- / Verantwortungsbereiche<br />

- Hauptverantwortung: Tragwerksplaner<br />

- Mögliche «Beteiligte»: Architekten, Gesamtleiter, Geologen,<br />

Spezialisten<br />

9<br />

1. Haftung des Planers<br />

Besondere Fragen<br />

• Haftungsprävention<br />

- Gr<strong>und</strong>sätzlich: Beachtung von Weisungen<br />

des Auftraggebers /Bestellers<br />

- Nutzungsvereinbarungen (Art. 2.2 SIA 260)<br />

- Pflicht zur (schriftlichen) Abmahnung<br />

- Freizeichnungen<br />

10<br />

5


1. Haftung des Planers<br />

Was gilt, wenn ein Bauherr auf der Nicht-Einhaltung der Erdbebennormen<br />

besteht<br />

• Abmahnung/Freizeichnung des Planers gilt nur im Verhältnis zum Bauherrn!<br />

• Die zivilrechtliche Vereinbarung schützt nicht vor allfälligen strafrechtlichen<br />

Sanktionen.<br />

• Meines Erachtens: Bei Umbau im Rahmen eines Erfüllungsfaktors 0,25 –<br />

1,00 tragbare Risiken (gem. Merkblatt 2018) wenn keine Erhöhung der<br />

Gefahr (<strong>und</strong> kein Beherrschen der Gefahr) gem. Art. 11 StGB; Gefahrerhöhung<br />

(oder unter 0,25 wohl strafbar (Schaffung einer Gefahr gem. Art. 11<br />

StGB).<br />

11<br />

1. Haftung des Planers<br />

Verjährung<br />

• Die Ansprüche des Beauftragten nach Auftragsrecht verjähren nach Art. 127<br />

OR nach Ablauf von zehn Jahren.<br />

• Die Ansprüche des Bestellers nach Werkvertragsrecht verjähren nach Art.<br />

371 Abs. 1 OR mit Ablauf eines Jahres nach der Ablieferung, selbst wenn sie<br />

erst später entdeckt werden. Bei unbeweglichen Bauwerkes verjähren sie<br />

nach Art. 371 Abs. 2 OR mit Ablauf von fünf Jahren seit der Abnahme.<br />

- Haftung für Werkmängel bzw. Planmängel: 5 Jahre<br />

- Strafrechtliche Verfolgungsverjährung: 7 Jahre<br />

- Haftung im Auftragsrecht: 10 Jahre<br />

- Ausservertragliche Haftung: 10 Jahre<br />

• Allerdings: Möglicherweise längere Fristen (bzw. faktische Unverjährbarkeit)<br />

über das Strafrecht (Unterlassungsdelikt als mitbestrafte Nachtat zu Art. 229<br />

StGB).<br />

12<br />

6


1. Haftung des Planers<br />

Meinung Prof. Koller (Jusletter vom 7. September 2009):<br />

• Beseitigungsanspruch gegen den Verursacher über den Gefahrensatz<br />

<br />

• Gegenargumente:<br />

- Gefahrensatz gibt keinen Beseitigungsanspruch (nur Anspruch<br />

auf Schadenverhinderung)<br />

- Aushöhlen der Verjährungsregeln, welche sogar bei absichtlicher<br />

Verschweigung «nur» 10 Jahre ab Abnahme vorsehen<br />

13<br />

2. Haftung des Bauunternehmers<br />

• Mängelhaftung für vereinbarte <strong>und</strong> für vorausgesetzte<br />

Eigenschaften<br />

• Vorausgesetzte Eigenschaften = Insbesondere nach den<br />

anerkannten Regeln der Technik zur Zeit der Ausführung<br />

• SIA-Norm 261 als «anerkannte Regeln der Technik»<br />

14<br />

7


2. Haftung des Bauunternehmers<br />

Allerdings:<br />

Der Unternehmer plant nicht (Ausnahme: Totalunternehmer).<br />

<br />

<br />

erteilter Weisung ausgeführt.<br />

Ausser:<br />

1. Fehler erkannt oder<br />

2. Fehler offensichtlich oder<br />

3. Überprüfung vereinbart<br />

Abmahnung<br />

(Art. 369 OR)<br />

15<br />

2. Haftung des Bauunternehmers<br />

Spezialfall:<br />

Beharren des Bauherrn auf nicht erdbebensicherer Ausführung<br />

Keine Haftung aus Werkvertrag<br />

Aber:<br />

<br />

Haftung gegenüber Dritten bei Schaden; evtl. auch<br />

strafbar (Art. 229 StGB); Köperverletzung durch Unterlassung<br />

gem. Art. 11 StGB<br />

16<br />

8


2. Haftung des Bauunternehmers<br />

Selbstverständlich:<br />

Mängelhaftung bei mangelnder <strong>Erdbebensicherheit</strong> wegen Ausführungsfehlern<br />

Verjährung: 5 Jahre gem. Art. 371 OR<br />

Absichtliche Verschweigung: 10 Jahre<br />

evtl. länger oder sogar «unverjährbar» via Strafrecht<br />

17<br />

3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

• Kausalhaftung (= auf Verschulden kommt es nicht an)<br />

• Geschützt wird: Vertrauen in die Risikofreiheit des Werkes<br />

• Nur berechtigtes Vertrauen ist geschützt (Selbstverschulden).<br />

<br />

Haftung für «fehlerhafte Anlage oder Herstellung» <strong>und</strong> für<br />

«mangelhaften Unterhalt»<br />

18<br />

9


3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

Ist ein nach alten Normen erstelltes Gebäude «mangelhaft» im Sinne von Art. 58<br />

OR<br />

<strong>Rechts</strong>lehre: Massgebend ist der Unfalltag, nicht die Erstellung.<br />

Allerdings: Ein (altes) Werk muss nicht alle Vorteile der neusten<br />

Technik bieten.<br />

«Übergangsfrist»<br />

19<br />

3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

Die zentrale Frage: Adäquate Kausalität<br />

Kriterium: «... was sich nach der Lebenserfahrung am fraglichen Ort zutragen<br />

kann».<br />

«Lebenserfahrung» Erfahrungshorizont eines Lebens<br />

«Ort» Region (nicht weltweit)<br />

Meines Erachtens: <strong>Erdbebensicherheit</strong> kann im Rahmen dessen erwartet werden,<br />

was statistisch in einer Region alle 75 Jahre auftritt.<br />

= sicherheitstechnisches Minimum.<br />

20<br />

10


3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

Ausnahme: Berechtigte höhere Erwartungen<br />

• neue Gebäude<br />

• lifeline-Bauten<br />

• Schutz-Massnahmen einfach/günstig<br />

Geschützt ist nur, wer sich auf den höheren Standard<br />

verlassen hat.<br />

21<br />

3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

Zumutbarkeit von Massnahmen<br />

Meines Erachtens: Auf die Zumutbarkeit kommt es im Rahmen des minimalen<br />

Schutzes nicht an! (Anders: B<strong>und</strong>esgericht)<br />

Aber: Die Zumutbarkeit spielt eine Rolle, wenn es darum geht, ob man mehr als<br />

den minimalen Schutz erwarten darf.<br />

22<br />

11


3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

Merkblatt 2018, Kap. 10: «Verhältnismässigkeit <strong>und</strong> Zumutbarkeit»<br />

Bemerkungen aus juristischer Sicht:<br />

• Verständlichkeit<br />

• Zweiteilung «Verhältnismässigkeit» / «Zumutbarkeit»<br />

• Minimalstandard: Todesfallwahrscheinlichkeit 10 -5<br />

• Zumutbarkeit bei Minimalstandard<br />

• Verhältnismässigkeit<br />

23<br />

3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

Konkret: Was ist bei Altbauten zu tun<br />

Problem:<br />

Ob man richtig gehandelt hat, bestimmt der Richter rückblickend <strong>und</strong> evtl.<br />

gestützt auf heute noch nicht bekannte <strong>Rechts</strong>prinzipien bzw. künftige<br />

<strong>Rechts</strong>prechung .<br />

24<br />

12


3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

Mögliche Entwicklung der <strong>Rechts</strong>prechung:<br />

Fahrlässige Tötung (Art. 117 StGB) oder Körperverletzung (Art. 125 StGB)<br />

durch Unterlassen<br />

«Einfallstor» im Strafrecht: Art. 11 StGB<br />

1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben<br />

begangen werden.<br />

2 Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich<br />

geschützten <strong>Rechts</strong>gutes nicht verhindert, obwohl er aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

<strong>Rechts</strong>tellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Gr<strong>und</strong>:<br />

a. …<br />

…; oder<br />

d. der Schaffung einer Gefahr.<br />

BGE 6B_1016/2009:<br />

«Kann die Bauleitung jederzeit durch Anordnungen <strong>und</strong> Weisungen in den Gang<br />

der Arbeiten eingreifen, muss sie sicherstellen, dass die Sicherheitsvorschriften<br />

beachtet werden.»<br />

25<br />

3. Die Haftung des Eigentümers (Art. 58 OR)<br />

Konkret: Was ist bei Altbauten zu tun<br />

Lösungsvorschlag:<br />

Massnahmenplan mit sachlich gerechtfertigter Prioritäten-ordnung (grössere<br />

Gefahren sollen Priorität haben; zumutbare Umsetzungsfristen)<br />

<br />

26<br />

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