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komplette Ausgabe - Kritischen JuristInnen an der FU-Berlin

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10 Der StreiT – 1/2009 Staatsgewalt 11<br />

Das Ghettorentengesetz<br />

Die soweit letzte Wie<strong>der</strong>gutmachungsregelung ist das<br />

»Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen<br />

in einem Ghetto« (ZRBG), das vom Bundestag<br />

im Jahr 2002 erlassen wurde.<br />

Dieses Gesetz sollte ein Lücke in <strong>der</strong> Entschädigung<br />

nationalsozialstischen Unrechts schließen 4 . Es<br />

soll Personen erfassen, die we<strong>der</strong> eine Zw<strong>an</strong>gsarbeiterentschädigung<br />

nach dem Stiftungsgesetz erhalten noch<br />

von den Bestimmungen <strong>der</strong> sozialversicherungsrechtlichen<br />

Entschädigungsregelungen für Gesundheitsschäden<br />

(WGSVG) begünstigt sind 5 .<br />

Nach dem ZRBG soll denjenigen Verfolgten, die<br />

in einem Ghetto eingeschlossen waren und dort eine<br />

Beschäftigung aus einem »freien Willensentschluss«<br />

aufgenommen haben, d.h. keine Zw<strong>an</strong>gsarbeit leisteten,<br />

eine Rente für diese Zeit von den deutschen<br />

Rentenversicherungen gewährt werden.<br />

Den Betroffenen wurde zwar für Ihre Arbeit meist<br />

kein Lohn ausgezahlt und daher erfolgten auch keinerlei<br />

Rentenzahlungen. Nach Maßgabe des in den<br />

besetzten Gebieten geltenden deutschen Rechts wären<br />

Pflichtbeiträge zu entrichten gewesen, die aber verfolgungsbedingt<br />

nicht entrichtet wurden.<br />

Der Arbeitslohn wurde von den Unternehmen<br />

direkt <strong>an</strong> die SS übergeben, welche die ArbeiterIn-<br />

nen »zur Verfügung« stellte; die Regelung geht aber<br />

davon aus, dass schließlich auch nach <strong>der</strong> damals<br />

geltenden Reichsversicherungsverordnung eine Verpflichtung<br />

zur Abgabe von Rentenbeiträgen best<strong>an</strong>d.<br />

Insofern geht es von einer fiktiven Rentenabgabe aus,<br />

welche den Betroffenen nunmehr zugute kommen<br />

müsse (§ 2 ZRBG).<br />

Voraussetzung eines Anspruchs auf Rentenzahlung<br />

nach dem ZRBG ist gemäß dessen § 1, dass <strong>der</strong><br />

Antragsteller sich zw<strong>an</strong>gsweise in einem Ghetto aufgehalten<br />

und eine Beschäftigung aufgenommen hat,<br />

»wenn<br />

1. die Beschäftigung<br />

a) aus eigenem Willensentschluss zust<strong>an</strong>de gekommen<br />

ist und<br />

b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und<br />

2. das Ghetto sich in einem Gebiet bef<strong>an</strong>d, das<br />

vom Deutschen Reich besetzt o<strong>der</strong> diesem eingeglie<strong>der</strong>t<br />

war,<br />

soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus<br />

einem System <strong>der</strong> sozialen Sicherheit erbracht wird.«<br />

Wi<strong>der</strong>willige Behörden und <strong>JuristInnen</strong><br />

Was vom Gesetzgeber gut gemeint war, wird von den<br />

ausführenden Behörden und Gerichten korrumpiert.<br />

Behördenpraxis<br />

Über 95 % <strong>der</strong> Anträge <strong>der</strong> hochbetagten jüdischen<br />

AntragstellerInnen wurden durch die Versicherungsträger<br />

abgelehnt 6 . Die Behörden bemühen sich redlich,<br />

die Ansprüche <strong>der</strong> Überlebenden des Holocausts<br />

auf Rentenleistungen abzulehnen.<br />

Bereits die von den Rentenversicherungsträgern<br />

herausgegebenen Informationsblätter zu den Ansprüchen<br />

nach dem ZRBG sind so unverständlich, dass<br />

die Betroffenen mit <strong>der</strong> Antragsstellung allein nicht<br />

zu recht kamen. Die Angaben führten zu zahlreichen<br />

Missverständnissen. Es ist aus den Blättern we<strong>der</strong><br />

ersichtlich, wer Antragsberechtigt ist, noch wie die<br />

Abgrenzung von Beschäftigung zu Zw<strong>an</strong>gsarbeit erfolgt<br />

o<strong>der</strong> was von dem Begriff „Entgelt“ umfasst ist 7 .<br />

Angebliche Wi<strong>der</strong>sprüche in den Anträgen zu<br />

den Angaben in den Entschädigungsverfahren werden<br />

trotz <strong>der</strong> missverständlichen Informationsblätter stets<br />

zulasten <strong>der</strong> AntragstellerInnen gewertet. Teilweise<br />

wird den AntragstellerInnen sogar vorgeworfen, Unwahrheiten<br />

zu behaupten, wenn die Angaben nicht<br />

gänzlich übereinstimmen. Dabei ignorieren die SachbearbeiterInnen,<br />

dass Erinnerungslücken typisch sind,<br />

da die Ereignisse nunmehr über 60 Jahre zurückliegen,<br />

die AntragstellerInnen damals Kin<strong>der</strong> waren und inzwischen<br />

hochbetagt sind 8 .<br />

Findige BürokratInnen sind zudem bemüht, die<br />

Gerichte davon zu überzeugen, das ZRBG restriktiv<br />

auszulegen. So wird u.a. vorgetragen, die Arbeit sei<br />

nicht freiwillig aufgenommen (und somit als Zw<strong>an</strong>gsarbeit<br />

zu qualifizieren), wenn eine Zuweisung <strong>der</strong><br />

Arbeitsstelle durch den Judenrat erfolgte, da die<br />

ArbeiterInnen selbst keinen Einfluss auf die Beschäftigungsaufnahme<br />

hatten, schließlich wurde Ihnen<br />

zumeist nur ein Arbeitsplatz und nicht mehrere <strong>an</strong>geboten<br />

9 . An dem Merkmal <strong>der</strong> Freiwilligkeit fehle es<br />

auch d<strong>an</strong>n, wenn die ArbeiterInnen auf dem Weg von<br />

und zu <strong>der</strong> Arbeitsstelle bewacht wurden. Die Rentenversicherungsträger<br />

scheinen zu übergehen, dass das<br />

Deutsche Reich die Gebiete in denen sich Ghettos<br />

bef<strong>an</strong>den besetzt hatte und m<strong>an</strong> dabei war, eine Bevölkerungsgruppe<br />

zu versklaven bzw. zu ermorden.<br />

Ferner sei die Bezahlung mit Lebensmitteln keine<br />

Entlohnung i.S.d. § 1 ZRBG, da es sich dabei nur um<br />

Verpflegung während <strong>der</strong> Arbeit geh<strong>an</strong>delt habe.<br />

Schließlich tun sich die zuständigen Rentenversicherungsträger<br />

damit hervor, die historisch belegten<br />

Ereignisse und die eidesstattlichen Versicherungen <strong>der</strong><br />

AntragstellerInnen grundsätzlich zu bestreiten. So behauptet<br />

etwa die Deutsche Rentenversicherung Rheinl<strong>an</strong>d<br />

(DRR), dass es sich bei dem Ghetto Warschau<br />

nicht um ein Ghetto, son<strong>der</strong>n um ein Zw<strong>an</strong>gsarbeitslager<br />

geh<strong>an</strong>delt habe. Außerdem sei nicht glaubhaft,<br />

dass die AntragstellerInnen im Ghetto gearbeitet hätten,<br />

wenn sie unter 14 Jahre alt waren. So lehnte die<br />

DRR einen Antrag mit <strong>der</strong> Begründung ab, <strong>der</strong> Kläger<br />

habe als elfjähriger Junge kein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis<br />

eingehen können, sei daher also nicht<br />

<strong>an</strong>spruchsberechtigt! In einer Berufungsbegründung<br />

<strong>der</strong> Versicherungsgesellschaft heißt es: »Es k<strong>an</strong>n nicht<br />

<strong>an</strong>genommen werden, dass deutsche Soldaten mit <strong>der</strong><br />

achtjährigen Klägerin ein Beschäftigungsverhältnis<br />

geschlossen hätten«. Weil so schließt sie messerscharf,<br />

nicht sein k<strong>an</strong>n was nicht sein darf (Christi<strong>an</strong> Morgenstern,<br />

Galgenlie<strong>der</strong>).<br />

Zum »Glück« hat m<strong>an</strong> im Ghetto Lodz Listen<br />

gefunden, in denen die Deutschen akribisch Namen<br />

und Alter <strong>der</strong> dort arbeitenden Kin<strong>der</strong> vermerkt haben.<br />

Gerichtsverfahren<br />

Noch belasten<strong>der</strong> als die Behördenpraxis sind jedoch<br />

die gerichtlichen Verfahren, welche die Berechtigten<br />

zur Durchsetzung <strong>der</strong> Ansprüche <strong>an</strong>strengen müssen.<br />

Allein die Dauer <strong>der</strong> Verfahren ist vermessen. So<br />

kommt es vor, dass ein Termin erst nach über zwei Jahren<br />

<strong>an</strong>gesetzt wird. Diese Zeitsp<strong>an</strong>ne k<strong>an</strong>n aufgrund<br />

des hohen Alters <strong>der</strong> AntragstellerInnen bereits zur<br />

Erledigung des Verfahren führen o<strong>der</strong> es ergeben sich<br />

erhebliche Beweisschwierigkeiten, da Zeugen versterben,<br />

welche die Ghettobeschäftigung des/<strong>der</strong> AntragstellerIn<br />

hätten bestätigen können.<br />

Übereinstimmend mit <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Rentenversicherungsträger,<br />

bemühen sich die Gerichte zudem<br />

um eine beson<strong>der</strong>s restriktive Auslegung des ZRBG.<br />

Ebenso wie die zuständigen Rentenversicherungsträger<br />

bewerten die Gerichte die Abweichungen von Angaben<br />

in früheren Entschädigungsverfahren nach dem<br />

BEG sowie in Anträgen nach dem Gesetz zur Errichtung<br />

einer Stiftung »Erinnerung, Ver<strong>an</strong>twortung und<br />

Zukunft« (EVZStiftG) zu denen im ZRBG-Antrag zu<br />

lasten <strong>der</strong> AntragstellerInnen.<br />

Obwohl § 3 WGSVG (Gesetz zur Wie<strong>der</strong>gutmachung<br />

nationalsozialistischen Unrechts) statuiert, dass<br />

eine Tatsache bereits d<strong>an</strong>n glaubhaft gemacht wurde,<br />

wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis <strong>der</strong> Ermittlungen,<br />

die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel<br />

erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, verneinen<br />

die Gerichte die Voraussetzungen des ZRBG<br />

in <strong>der</strong> Regel, ohne die KlägerInnen, die damals in den<br />

Ghettos arbeiteten, <strong>an</strong>gehört zu haben, um sich ein<br />

Urteil über <strong>der</strong>en Glaubwürdigkeit zu bilden. Begriffe<br />

werden soweit eingeengt, dass Ansprüche für Ghettoarbeit<br />

quasi unmöglich gemacht werden. Bereits die<br />

Anwendbarkeit <strong>der</strong> Regelung wird im Zweifel verneint.<br />

Präklusion <strong>der</strong> Ansprüche für Ghettoarbeit<br />

Die Rechtsprechung schließt einen Anspruch auf<br />

Rentenleistungen schon von vornherein aus, sofern<br />

<strong>der</strong>/die AntragstellerIn bereits eine Entschädigung<br />

durch die Stiftung »Erinnerung, Ver<strong>an</strong>twortung und<br />

Zukunft« für Zw<strong>an</strong>gsarbeit erhalten hat, auch wenn<br />

» zum<br />

Inhalt<br />

Schwerpunkt: Justiz

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