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Budapester Zeitung - Handelskammer Schweiz-Ungarn

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27. JANUAR - 2. FEBRUAR 2012 • NR. 4 POLITIK BUDAPESTER ZEITUNG 3<br />

Budapest erlebte größte Demonstration seit der Wende<br />

„Nimmer nach links!“<br />

Der Kossuth tér vorm Parlament war letzten Sonnabendnachmittag<br />

gegen halb sechs bereits gut gefüllt,<br />

als die Spitze des Stunden zuvor am Heldenplatz gestarteten<br />

„Friedensmarsches für <strong>Ungarn</strong>“ hier eintraf. Eine<br />

Stunde lang flutete der Menschenstrom danach durch<br />

die Alkotás utca (Straße der Verfassung) Richtung<br />

Parlament, um den Kossuth tér sodann aus<br />

Platzgründen gleich wieder in nördlicher und südlicher<br />

Richtung zu verlassen.<br />

ingeladen hatten zu der Großveranstaltung mehre-<br />

Ere konservative Persönlichkeiten, darunter Zsolt<br />

Bayer (Publizist bei der konservativen Tageszeitung<br />

Magyar Hírlap), András Bencsik (Chefredakteur der<br />

konservativen Wochenzeitung Demokrata), László Csizmadia<br />

(Sprecher des Forums für zivilen Zusammenhalt),<br />

István Stefka (Chefredakteur von Magyar<br />

Hírlap) und der Großindustrielle und Eigentümer von<br />

Magyar Hírlap, Gábor Széles. Dem Aufruf angeschlossen<br />

hatten sich auch verschiedene Zivilorganisationen<br />

wie der Batthyányi-Kreis sowie zahlreiche lokale<br />

Vertretungen der Zigeunerminderheit.<br />

Schätzungen hinsichtlich der Zahl der Teilnehmer variieren<br />

je nach politischem Lager: Während die<br />

Organisatoren kurz nach dem Marsch von „über<br />

500.000 Teilnehmern“ sprachen, legte sich die linksliberale<br />

Presse in <strong>Ungarn</strong> am Montag auf einen Wert um die<br />

100.000 fest. Das untere Ende der Schätzungen markierte<br />

das Gros der westliche Medien, deren ungarische<br />

Zuträger nur „einige Zehntausend“ Teilnehmer beim<br />

„Friedensmarsch“ gesehen haben wollen. Der Wahrheit<br />

am nächsten kommt vielleicht das Innenministerium,<br />

das in einer Pressemitteilung eine Schätzung von<br />

400.000 Teilnehmern verlautbarte. Immerhin hatte diese<br />

Institution wohl den besten Überblick, kreiste doch<br />

gelegentlich ein Polizeihubschrauber über der langgestreckten<br />

Marschsäule.<br />

Zahlenkrieg um genaue<br />

Teilnehmerzahl<br />

Hinter dem Zahlenkrieg dürfte von linksliberaler<br />

Seite das Bestreben stehen, die aktuelle Demonstration<br />

in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit auf eine Stufe<br />

mit der Anti-Regierungs-Kundgebung der Opposition<br />

am ersten Neujahrsmontag zu stellen. Bei dieser von<br />

westlichen Medienvertretern – im Gegensatz zur jüngsten<br />

Demonstration – mit höchster Aufmerksamkeit<br />

und Wertschätzung begleiteten Kundgebung aus Anlass<br />

des Festakts der Regierung zum Inkrafttreten der neuen<br />

Verfassung waren auf der Andrássy út vor der Oper<br />

nämlich tatsächlich nur „einige Zehntausend“ Teilnehmer<br />

erschienen. Wieviele Teilnehmer die Pro-Regierungs-Demonstration<br />

letztendlich wirklich hatte, wird<br />

sich vor allem wegen ihrer Ausbreitung und Dynamik<br />

wohl nie restlos klären lassen, fest steht aber, dass es sich<br />

um die größte Demonstration seit der Trauerkundgebung<br />

zur Wiederbestattung von 56er Revolutionsmärtyrern,<br />

darunter Premier Imre Nagy, am 16. Juni<br />

1989 auf dem <strong>Budapester</strong> Heldenplatz gehandelt hat.<br />

Die Teilnehmer repräsentierten einen breiten Querschnitt<br />

der ungarischen Gesellschaft. Gekommen waren<br />

Junge und Alte, sichtbar Wohlsituierte und Leute aus<br />

einfacheren Verhältnissen, <strong>Budapester</strong> und <strong>Ungarn</strong> vom<br />

Land, einige sogar aus den abgetrennten ungarischen<br />

Gebieten im heutigen Rumänien und der Slowakei.<br />

Gemeinsam war allen, dass sie genug hatten von den<br />

heftigen, zuletzt fast pausenlosen Einmischungs- und<br />

Gängelungsversuchen seitens westeuropäischer Politiker<br />

und nicht zuletzt von der unsachlichen <strong>Ungarn</strong>-Berichterstattung<br />

in den westlichen Medien. Die Kundgebung<br />

wirkte wie ein verzweifelter Versuch, sich auf diese<br />

Weise bei den westlichen Beobachtern Gehör zu verschaffen.<br />

Und so war auch mindestens die Hälfte der<br />

Transparente in englischer, deutscher und sogar französischer<br />

Sprache beschriftet. Tenor der Losungen waren<br />

sowohl ein klares Bekenntnis zur Person und Regierung<br />

von Premier Viktor Orbán als auch die Absage an äußere<br />

Einmischungsversuche.<br />

Obwohl durch die vielen Plakate, auf denen in knappen<br />

Worten Premier Orbán Unterstützung zugesichert<br />

wurde, der Eindruck entstehen konnte, hier stehe eine<br />

tumbe Masse blind hinter ihrem „Führer“ hatten die<br />

Teilnehmer durchaus auch einen Blick auf die kritischen<br />

Seiten seiner Politik. „Natürlich macht Orbán auch<br />

Fehler, bei der Wirtschaftspolitik und bei der Kommunikation<br />

hat er sogar sehr große Fehler gemacht, das ändert<br />

aber nichts an der Tatsache, dass die Schmähangriffe<br />

gegen unser Land und die permanenten Demütigungen<br />

durch die EU inakzeptabel sind. Es ist sicher<br />

nicht leicht, in dieser Atmosphäre sein Land nach außen<br />

zu vertreten“, so ein bei einem deutschen Unternehmen<br />

beschäftigter ungarischer Manager zu seinen Motiven<br />

für die Teilnahme gegenüber der BUDAPESTER ZEITUNG.<br />

Ähnlich äußerten sich auch zwei weitere Geschäftsleute.<br />

Klares Bekenntnis<br />

zur Demokratie<br />

Weitere häufig wiederkehrende Motive waren das<br />

Bekenntnis zur Demokratie und ein Nein zu Großmachtbestrebungen<br />

fremder Mächte auf Kosten <strong>Ungarn</strong>s.<br />

Trotz Ähnlichkeiten in den Grundaussagen glich<br />

rein äußerlich kaum ein Plakat dem anderen. Den meisten<br />

sah man ihre hausgemachte Herkunft an. Es gab<br />

anspruchsvoll gefertigte, aber auch sehr simple. Einige<br />

Transparente glichen wahren 3D-Installationen und<br />

mobilen Wandzeitungen. Es gab aber auch einfache<br />

Mütterchen, die das, was sie für richtig hielten, nur mit<br />

Filzstift auf ein kleines Stück Pappe geschrieben hatten<br />

und es dennoch nicht minder selbstbewusst in die Höhe<br />

hielten. Von den westlichen Medien wurden all diese<br />

Anstrengungen allerdings nicht gewürdigt. Bis auf ein<br />

paar, mehr diffamierende als informierende Kurzmeldungen<br />

wurde die größte Demonstration seit der<br />

Wende von ihnen komplett totgeschwiegen.<br />

Kein Wunder, schließlich gab es bei dieser Demonstration<br />

nichts, womit man gängige Orbán-<strong>Ungarn</strong>-<br />

Klischees in westlichen Redaktionen hätte bedienen<br />

können. Unter den Demonstrierenden gab es keine<br />

Neonazis, keine rassistischen Sprüche, es wurden keine<br />

EU-Fahnen verbrannt wie eine Woche zuvor auf einer<br />

Kundgebung der rechtsradikalen Partei Jobbik, ja, es<br />

war nicht einmal eine Atmosphäre vorhanden, in der<br />

EU-Fahnen hätten abgefackelt werden können. Stattdessen<br />

herrschte eine ausgelassene, geradezu volksfestartige<br />

Stimmung, es gab viele freudestrahlende, erleichterte<br />

Gesichter. Man begegnete sich zuvorkommend und<br />

rücksichtvoll. Trotz des Ernstes des Anlasses wurde auch<br />

viel gelacht. Etwa als ein Redner die den Kossuth tér erreichenden<br />

Demonstranten aufforderte, den Platz sofort<br />

„entweder nach links oder rechts“ zu räumen und ihm<br />

daraufhin ein vielstimmiges „Nimmer nach links!“ zurückschallte.<br />

Bei der nächsten Ansage bat er die<br />

Demonstrierenden betont, den Platz in „nördlicher oder<br />

südlicher Richtung“ zu verlassen.<br />

Immer wieder stimmte die Menge Sprechchöre an<br />

wie „Viktor, Viktor!“, „Wir lassen es nicht zu!“, „Wir haben<br />

keine Angst!“ oder „Zweidrittel, Zweidrittel!“, das<br />

ähnlich wie das trotzige „Wir sind das Volk!“ der<br />

Leipziger Montagsdemos darin erinnern sollte, nach<br />

wessen Pfeife die Regierung tanzen sollte. Einige gerufene<br />

Parolen wurden aufgegriffen, andere verstummten<br />

rasch wieder. Daneben wurden aber auch immer wieder,<br />

hauptsächlich von älteren Teilnehmerinnen, traurig klingende<br />

ungarische Lieder angestimmt. Den Höhepunkt<br />

bildete das gemeinsame Absingen des Szózat (dt.<br />

Aufruf), der zweiten offiziellen Nationalhymne der<br />

<strong>Ungarn</strong>: „Deiner Heimat sei unerschütterlich treu, oh<br />

Ungar! (...)“ Wenig später zerstreuten sich die Menschen<br />

in dem festen Bewusstsein, etwas Gutes für ihre<br />

Heimat getan zu haben, sie gingen genauso friedlich<br />

auseinander, wie sie zuvor demonstriert hatten.<br />

JAN MAINKA<br />

BZT / Aaron Taylor (18)

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