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Die Vernetzung von Kinderwelten und Medienverbund auf dem ...

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Wie kommt die Tigerente <strong>auf</strong> die Zahnbürste?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Vernetzung</strong> <strong>von</strong> <strong>Kinderwelten</strong><br />

<strong>und</strong> Medienverb<strong>und</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Kinderbuchmarkt<br />

Freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades einer Magistra Artium<br />

im Fachbereich Erziehungs-, Sozial- <strong>und</strong> Geisteswissenschaften der<br />

Fernuniversität Gesamthochschule Hagen<br />

als zip-Datei<br />

Gliederung:<br />

Eingereicht <strong>von</strong> Doris Grimm<br />

Starnberg, den 17.04.98<br />

1. Identität aus zweiter Hand ? - das Aufwachsen in einer mediatisierten <strong>und</strong><br />

kommerzialisierten Sozialisationsumwelt<br />

1.1. <strong>Die</strong> Kommerzialisierung der Lebenswelt <strong>und</strong> das Kind als K<strong>und</strong>e<br />

1.1.1. <strong>Die</strong> Vielfalt des Angebotes<br />

1.1.2. <strong>Die</strong> Ästhetik der Ware<br />

1.1.3. <strong>Die</strong> Schauplätze der Konsumsphäre <strong>und</strong> die<br />

Verinselung <strong>von</strong> Kinderräumen<br />

1.2. <strong>Die</strong> Mediatisierung des Alltags<br />

1.2.1. Mit Medien unter einem Dach - die Ausstattung<br />

<strong>von</strong> Familien mit Medien<br />

1.2.2. Mediennutzung <strong>von</strong> Kindern - bleibt noch Zeit<br />

zum Lesen ?<br />

1.2.3. Mediatisierung der Erfahrung


1.2.4. Verschwindet die Kindheit ?<br />

1.3. Kinderwerbung im Medienverb<strong>und</strong> - der Schulterschluß mit der Industrie<br />

1.4. Zusammenfassung<br />

2. „Komm, wir finden einen Schatz !" - das Kinderbuch im Medienverb<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

der Lizenzwarenmarkt für Kinder<br />

2.1. „Das gute Buch" - Kinderbücher zwischen Mythos <strong>und</strong> Realität<br />

2.1.1. Von der<br />

Gefährlichkeit des Lesens<br />

- ein kurzer Ausflug in die<br />

Geschichte der Kinder-<br />

<strong>und</strong> Jugendliteratur vom<br />

Mittelalter bis 1945<br />

2.1.1.1. <strong>Die</strong> ersten zwei<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte, <strong>von</strong><br />

Gutenberg bis Comenius<br />

2.1.1.2. Von den<br />

Philantropen bis zum 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

2.1.1.3. Von der<br />

Jahrh<strong>und</strong>ertwende bis<br />

1945<br />

2.1.2. Das Kinderbuch der<br />

Gegenwart - kulturelle <strong>und</strong><br />

gesellschaftliche Aspekte<br />

der Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendliteratur in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik<br />

2.1.2.1. Der neue<br />

Realismus in der<br />

Kinderliteratur<br />

2.1.2.2. Phantastische<br />

Kinderliteratur<br />

2.1.2.3. „Trivialliteratur" für<br />

Kinder<br />

2.2. Wie kommt die Tigerente <strong>auf</strong> die Zahnbürste? - Medienverb<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Merchandising <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kinderbuchmarkt<br />

2.2.1. Der Kinderbuchmarkt<br />

2.2.2. Das Kinderbuch im Medienverb<strong>und</strong>


2.2.3. Das Kinderbuch <strong>und</strong> die Lizenzwaren<br />

2.2.4. Merchandising - die Tierfiguren <strong>von</strong> JANOSCH<br />

als Ikonen der Kinderkultur<br />

2.2.4.1. JANOSCH - vom<br />

Graphiker zum<br />

Markennamen<br />

2.2.4.2. „ Oh, wie schön ist<br />

Panama!" - die Prototypen<br />

in den Kinderbüchern <strong>von</strong><br />

JANOSCH <strong>und</strong><br />

Wunschvorstellungen der<br />

Gesellschaft<br />

2.2.4.3. Tigerente <strong>und</strong> Co.<br />

- Fre<strong>und</strong>e fürs Leben?<br />

3. <strong>Die</strong> Konstruktion der Wirklichkeit - Kinder gestalten ihre eigene Kultur<br />

3.1. Mediennutzungsgewohnheiten <strong>und</strong> das Vorbild der Eltern<br />

3.2. Familienklima <strong>und</strong> familiale Kommunikation<br />

3.3. „Der kleine Tiger ist ganz stark" - Medienhandeln <strong>und</strong> Identität<br />

3.4. Medienerfahrung <strong>und</strong> Werbekompetenz - der Umgang mit den <strong>Kinderwelten</strong><br />

4. Resümee <strong>und</strong> Ausblick<br />

Literaturverzeichnis<br />

3.4.1. Medienrezeption als aktive<br />

Bedeutungskonstruktion<br />

3.4.2. Werbekompetenz - die Orientierung im<br />

Schlaraffenland<br />

3.4.2.1. Verstehen <strong>und</strong><br />

Erkennen <strong>von</strong><br />

Spotwerbung<br />

3.4.2.2. Der Einfluß der<br />

Bezugspersonen <strong>auf</strong> das<br />

Konsumhandeln der<br />

Kinder<br />

1. Identität aus zweiter Hand?- das Aufwachsen in einer mediatisierten <strong>und</strong>


kommerzialisierten Sozialisationsumwelt<br />

Mit der historischen Entwicklung <strong>und</strong> den Strukturveränderungen <strong>von</strong><br />

Gesellschaften ändern sich zugleich die Sozialisationsbedingungen der<br />

nachwachsenden Generationen. <strong>Die</strong>ser Zusammenhang erfordert es, will man<br />

sich mit der Sozialisation <strong>und</strong> Identitätsentwicklung <strong>von</strong> Kindern heute<br />

beschäftigen, über die Nahsysteme der Primär- <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>ärsozialisation,<br />

Elternhaus, Schule <strong>und</strong> „peers", hinaus zu blicken <strong>auf</strong> die Makrostrukturen einer<br />

hoch komplexen, technisierten <strong>und</strong> kommerzialisierten Industriegesellschaft. <strong>Die</strong><br />

Industrialisierung durchdringt inzwischen nahezu alle Lebensbereiche. Sogar die<br />

aus Rationalisierung <strong>und</strong> Technologieentwicklung in der Arbeitswelt<br />

erwachsende Freizeit wird <strong>von</strong> einer „Freizeitindustrie" bedient, die mit immer<br />

neuen Abenteuern <strong>und</strong> künstlichen Erlebniswelten lockt. Damit wird ein Bereich<br />

vergesellschaftet, der traditionell der Familie vorbehalten war.<br />

Der Organisation <strong>und</strong> Vermarktung der Freizeit, unter Orientierung an<br />

Marktprinzipien wie Gewinnmaximierung, Geschwindigkeit <strong>und</strong> Konkurrenz,<br />

kommt eine zunehmend sich verändernde individuelle Bedürfnisstruktur<br />

entgegen. <strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>bedürfnisse sind längst befriedigt, ein gewisser Wohlstand<br />

ist erreicht, nun rücken Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung, nach<br />

persönlichem Profil, in den Vordergr<strong>und</strong> des Interesses. <strong>Die</strong>s um so mehr, als<br />

der Prozeß der Individualisierung den Einzelnen aus den traditionellen<br />

bürgerlichen Klassen- <strong>und</strong> Familienstrukturen herauslöst <strong>und</strong> ihm den Zwang zur<br />

eigenen Biographie <strong>auf</strong>erlegt. <strong>Die</strong>se Aufgabe, <strong>dem</strong> eigenen Leben eine Richtung<br />

<strong>und</strong> einen Sinn zu verleihen, macht angesichts der Vielzahl der Möglichkeiten an<br />

Lebensstilmodellen orientierungslos, <strong>und</strong> damit anfällig für die Moden <strong>und</strong><br />

Lifestyle - Angebote der Konsum- <strong>und</strong> Freizeitindustrie.<br />

„Erlebnisorientierung" (SCHULZE 1996), so ein neuer Terminus zur<br />

Charakterisierung der momentanen Bedürfnislage unserer Gesellschaft, richtet<br />

sich <strong>auf</strong> „...die Gestaltungsidee eines schönen, interessanten, subjektiv als<br />

lohnend empf<strong>und</strong>enen Lebens" (ebd. S.37).<br />

„Erlebnisorientierung richtet sich <strong>auf</strong> das Schöne" (ebd. S.39), <strong>auf</strong> das subjektiv<br />

als schön Empf<strong>und</strong>ene. Mit diesem Bedürfnis nach Schönem geht eine<br />

„Ästhetisierung des Alltags" einher, das schöne <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>e Aussehen wird<br />

beim Menschen wie bei den Waren wichtiger als der Inhalt, nicht das Sein,<br />

sondern das Design bestimmt das Bewußtsein. Das Erleben wird zum<br />

Lebensinhalt, ein möglichst nicht abreißender Strom an Erlebnissituationen wird<br />

<strong>auf</strong>gesucht, die Befriedigung hält immer kürzere Zeit, dann muß das nächste<br />

Erlebnis her. <strong>Die</strong>se Dynamik der erlebnisorientierten Lebensweise führt zur<br />

Erlebnishäufung im Zeitraffertempo, der Gewöhnungseffekt fordert immer<br />

intensivere Erlebnisqualitäten. So werden die Achterbahnen immer rasanter <strong>und</strong><br />

gefährlicher, die Sportarten immer extremer, die Kinofilme noch reicher an Action<br />

<strong>und</strong> schnellen Schnitten, die Moden <strong>und</strong> Lifestyle - Entwürfe noch bunter <strong>und</strong><br />

kurzlebiger.<br />

Es schließt sich der Kreis. Das Interesse der Industrie an der Erschließung neuer<br />

Märkte, durch Wecken <strong>und</strong> (Schein)-befriedigung <strong>von</strong> Bedürfnissen<br />

korrespondiert mit einer an Konsum <strong>und</strong> Erlebnis orientierten Gesellschaft. Es<br />

entsteht ein Erlebnismarkt, <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> „...Erlebnisangebote gegen Geld <strong>und</strong>/oder<br />

Aufmerksamkeit getauscht (werden)" (ebd. S.422). Dabei ist dieser unter


alltagsästhetischen Gesichtspunkten organisierte Erlebnismarkt in seiner<br />

Dynamik „...nur aus <strong>dem</strong> Spannungsverhältnis <strong>von</strong> ästhetischem<br />

Produktionsapparat <strong>und</strong> Publikum zu verstehen, in <strong>dem</strong> jede Seite die andere<br />

beeinflußt" (ebd. S.423). Der letzte Satz verdeutlicht die aktive, wenn auch oft<br />

unbewußte Rolle des Verbrauchers an der Gestaltung des Erlebnismarktes.<br />

Der Erlebnismarkt produziert künstliche Erlebniswelten, das Hallenbad wird,<br />

<strong>auf</strong>gepeppt durch Wasserrutschen, Palmen <strong>und</strong> Animationsprogramm, zum<br />

Erlebnisbad. Ein Eink<strong>auf</strong>szentrum bietet Vorstellungen des örtlichen<br />

Karnevalvereines oder eine Ba<strong>dem</strong>odenschau <strong>und</strong> lockt mit Hüpfburg <strong>und</strong><br />

Kinderclown. <strong>Die</strong> Ferien lassen sich in Freizeitparks verbringen, die vom<br />

tropischen Badeparadies über diverse Sport- <strong>und</strong> Unterhaltungsprogramme für<br />

die ganze Familie - Erlebnis r<strong>und</strong> um die Uhr - anbieten. Vergleicht man die<br />

Angebote des Erlebnismarktes, so fällt <strong>auf</strong>, daß die Mehrzahl der<br />

Erlebnisangebote an Familien mit Kindern oder an Kinder <strong>und</strong> Jugendliche direkt<br />

gerichtet sind.<br />

Hierbei stellt sich die Frage nach der unter alltagsästhetischen Gesichtspunkten<br />

organisierten Kommerzialisierung der kindlichen Lebenswelt. Nur analytisch<br />

trennbar, mit der Diskussion dieser Frage verb<strong>und</strong>en, ist die Mediatisierung des<br />

Alltags, die über den Austausch <strong>von</strong> Informationen <strong>und</strong> in erster Linie über<br />

Werbung, die Gestaltung <strong>von</strong> Angebot <strong>und</strong> Nachfrage <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Erlebnismarkt<br />

erst ermöglicht <strong>und</strong> die Entstehung <strong>von</strong> <strong>Kinderwelten</strong> als Teil einer eigenen<br />

Kinderkultur begünstigt.<br />

1.1. <strong>Die</strong> Kommerzialisierung der Lebenswelt <strong>und</strong> das Kind als K<strong>und</strong>e<br />

Kindheit heute ist immer auch Konsumkindheit. Das Kind wächst in einer<br />

Umgebung <strong>auf</strong>, die zumindest in der öffentlichen Sphäre nach<br />

marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten organisiert ist. Es wird bereits als<br />

Kleinkind mit einer kaum zu bewältigenden Produktfülle <strong>von</strong> Waren überschüttet.<br />

Beim alltäglichen Supermarktbesuch mit den Eltern sieht es die schöne, bunte<br />

Warenwelt mit großen Kinderaugen an <strong>und</strong> versucht auch bald sie zu erfassen.<br />

Dementsprechend sind Kinderprodukte wie Süßigkeiten <strong>und</strong> Kleinspielwaren in<br />

Augen - <strong>und</strong> Greifhöhe der Kleinen postiert. Besonders viel Zeit zum Erk<strong>und</strong>en<br />

bleibt den Kindern dann während der erzwungenen Wartezeit an der Kasse,<br />

beidseitig flankiert <strong>von</strong> Regalen mit Süßigkeiten. Im alltäglichen Kampf um<br />

Kaugummis <strong>und</strong> Schokoladenriegel geben die genervten Eltern zumeist nach.<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche sind für die Industrie zu einer marktwirtschaftlichen<br />

Größe geworden, seit bekannt wurde, daß sie große Summen an Taschengeld<br />

<strong>und</strong> sonstigen Geldmitteln zur freien Verfügung besitzen, 1993 etwa 5,6<br />

Milliarden Mark mit steigender Tendenz. Darüber hinaus bestimmen sie noch<br />

über die Einkäufe der Familie in der doppelten Höhe der persönlichen Geldmittel<br />

mit. Besonders <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Spielwarenmarkt <strong>und</strong> bei der Unterhaltungselektronik<br />

aber auch bei Lebensmitteln <strong>und</strong> alltäglichen Gebrauchsgütern weiß die<br />

Industrie um den Einfluß der Kinder <strong>auf</strong> die K<strong>auf</strong>entscheidungen der Familie.<br />

Welche Komponenten kennzeichnen nun die Konsumwelt des Kindes?


1.1.1.<strong>Die</strong> Vielfalt des Angebotes<br />

Einen beispielhaften Einblick für die unüberschaubare Produktfülle der <strong>auf</strong><br />

Kinder einstürmenden Warenwelten gibt die Spielwarenabteilung eines<br />

K<strong>auf</strong>hauses. Hier findet sich in der Puppenecke die konventionelle Babypuppe<br />

neben der Künstlerpuppe, die singende oder sprechende Gliederpuppe neben<br />

der „lebensecht -" trinkenden Babydoll, die in die Windeln machen kann. Zu all<br />

diesen Puppen gibt es Kleidersets, Puppenwägen <strong>und</strong> -buggys, Betten, Geschirr<br />

<strong>und</strong> sonst noch alles, was Puppenmütter brauchen, bis hin zu komplett<br />

eingerichteten zwei Quadratmeter großen Küchen.<br />

Es gibt Friseur- <strong>und</strong> Schminksalons mit Puppenköpfen zum Frisieren, Fönen <strong>und</strong><br />

Schminken. Und „last, but not least" die Welt der Barbie-Puppen, die bereits seit<br />

über 30 Jahren die Mädchenherzen - gegen jede Kritik <strong>von</strong> Müttern <strong>und</strong><br />

Pädagogen immun - höher schlagen läßt.<br />

<strong>Die</strong>ser eher für Mädchen gedachten Auswahl verschiedenster Puppen nebst<br />

umfangreichem Zubehör stehen <strong>auf</strong> der Seite der Jungen Abenteuer -<br />

Spielfiguren, H - Man <strong>und</strong> sein Gegner Skeletor oder die Indianer- <strong>und</strong><br />

Cowboyfiguren, Safari oder Feuerwehr <strong>und</strong> Polizei der Playmobil<br />

Spielsortimente.<br />

Daneben gibt es Baukastensysteme <strong>von</strong> Lego, Primo <strong>von</strong> 3-24 Monate, Duplo<br />

für Kleinkinder <strong>und</strong> Legosteine ab <strong>dem</strong> Kindergartenalter. Anstelle der bis vor<br />

wenigen Jahren üblichen Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Aufbaukästen, sind Spezialsortimente zu<br />

bestimmten Erlebnisthemen, wie Stadt, Schiffe, Western, Ufo getreten, deren<br />

Steine so spezialisiert sind, daß sie nur noch dazu geeignet sind, das jeweilige<br />

Raumfahrzeug, U- Boot, Ritterburg etc. <strong>auf</strong>zubauen. Das phantasievolle<br />

Gestalten eigener Kreationen ist nur noch im begrenzten Umfang möglich, da<br />

Gr<strong>und</strong>bausteine in ausreichender Menge fehlen <strong>und</strong> die Spezialbausteine sich<br />

nur eingeschränkt miteinander kombinieren lassen. Zum Aufbau benötigt man<br />

zu<strong>dem</strong> eine sehr komplizierte Bauanleitung, die archiviert werden muß, da ein<br />

erneutes Aufbauen ohne sie völlig unmöglich ist. Das fertige Bauwerk /Fahrzeug<br />

sollte möglichst <strong>auf</strong>gebaut bleiben oder separat in einer Schachtel gelagert<br />

werden, damit keiner der kleinen Steine verloren geht oder sich alle Steine in<br />

einer großen Kiste vermischen, aus der dann die einzelnen Bauteile mühevoll<br />

herausgesucht werden müssen.<br />

Der Trend <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Konsumwarenmarkt für Kinder führt hin zu kompletten<br />

„<strong>Kinderwelten</strong>", die sich an den Erlebniswünschen der Kinder orientieren. Dabei<br />

bleiben die Gr<strong>und</strong>figuren erhalten, lediglich das Zubehör ändert sich. <strong>Die</strong> so<br />

entworfenen Spielzeugwelten müssen dabei „...an jene Gegenstände, Objekte,<br />

Assoziationen, Träume, Symbole anknüpfen, die in der Nähe kindlicher<br />

Alltagserfahrungen liegen"(JENSEN/ROGGE 1980, S.23), sonst werden sie,<br />

trotz umfassender Werbekampagnen kaum beachtet <strong>und</strong> gek<strong>auf</strong>t.<br />

<strong>Die</strong> Lego - Welt, die Playmobil - Welt <strong>und</strong> die Barbie - Welt, um nur die<br />

wichtigsten zu nennen, tragen die Bezeichnung „Welt", da hier versucht wird,<br />

möglichst geschlossene, ganzheitliche Spielsysteme zu entwerfen, die die Welt<br />

im Kleinen idealtypisch abbilden. <strong>Die</strong>s bedeutet keineswegs eine realistische<br />

Abbildung der „Außenwelt", sondern eine stereotype <strong>und</strong> stark vereinfachte<br />

„kleine heile Welt". Spielzeugwelten sind Bilderbuchwelten, romantische,


saubere, bürgerliche Klischeewelten.<br />

<strong>Die</strong> klassischen <strong>und</strong> realitätsnahen Themenbereiche, wie Feuerwehr, Polizei,<br />

Verkehr, Bauernhof, Zirkus werden ergänzt durch Phantasiethemen, wie<br />

Zauberwald, Drachenturm, Pirateninsel, Indianer <strong>und</strong> Cowboys. Bei Lego<br />

kommen noch die Raumfahrt- <strong>und</strong> die Unterwasserwelt dazu. <strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>figuren<br />

entsprechen geschlechtstypischen Rollenklischees. So sind die Raumfahrer,<br />

Feuerwehrleute, Mechaniker, Zugführer <strong>und</strong> Piraten bei den Playmobil - Figuren<br />

alle männlich, Verkäufer, Betreuer im Kindergarten dagegen weiblich, lediglich<br />

bei der Polizei finden sich inzwischen auch Polizistinnen. Daneben gibt es<br />

sowohl <strong>von</strong> Playmobil wie auch <strong>von</strong> Lego seit einigen Jahren eine eigene<br />

„Mädchenwelt" mit Puppenhaus, Eink<strong>auf</strong>smarkt <strong>und</strong> Cafe, Kindergarten <strong>und</strong><br />

Spielplatz. Ganz gezielt wird hier versucht, in das rosa Reich der Barbie - Puppe<br />

vorzustoßen, jenem „Longseller" unter den Anziehpuppen, die unangefochten<br />

immer noch in je<strong>dem</strong> Mädchenzimmer in mehrfacher Ausfertigung zu finden ist.<br />

Exkurs: <strong>Die</strong> Welt der Barbie<br />

An der Barbie - Welt läßt sich exemplarisch gut zeigen, wie die<br />

Spielzeugindustrie <strong>und</strong> die Medienindustrie Hand in Hand arbeiten um ein<br />

Produkt zu vermarkten. Vor 39 Jahren, im Februar 1959, brachte der<br />

Spielwarenhersteller Mattel in den U.S.A. eine „Teenager - Modepuppe"<br />

(FENNICK 1996, S.6) <strong>auf</strong> den Markt, die es in sich hatte. Sie war äußerlich <strong>dem</strong><br />

Vorbild der schweizerischen „Bild - Lilly" nachempf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> stellte das <strong>auf</strong> 25<br />

cm verkleinerte Abbild der amerikanischen Traumfrau dar, mit weiblichen<br />

R<strong>und</strong>ungen, wenn auch ziemlich realitätsfernen, ausgestattet <strong>und</strong> langem<br />

blonden Haar. Barbie hatte <strong>von</strong> Anfang an jede Menge Zubehör, vor allem<br />

Kleider, Schuhe <strong>und</strong> Taschen. Später kamen mehrere Häuser, Fahrzeuge, <strong>und</strong><br />

Tiere dazu. Bald bekam sie Ken, das Klischee des durchtrainierten,<br />

gutaussehenden Amerikaners als Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Beschützer an die Seite gestellt.<br />

Einige Fre<strong>und</strong>innen kamen mit der Zeit hinzu <strong>und</strong> sie bekam auch eine kleine<br />

Schwester, Skipper mit Namen. So wie Barbie wollten alle kleinen Mädchen<br />

später sein <strong>und</strong> vor allem aussehen. Und das sollten sie auch, denn Barbie<br />

entsprach genau <strong>dem</strong> Frauenbild der 50er Jahre, lächelnd, w<strong>und</strong>erschön <strong>und</strong><br />

nur Augen für den Traumprinz. Noch bis in die zweite Hälfte der 70er Jahre<br />

hinein blieb die Barbie - Welt relativ klein. Barbie war zwar inzwischen in<br />

typische Frauenberufe, wie Sekretärin oder Friseuse vorgedrungen. <strong>Die</strong><br />

Emanzipation der Frauen ab Mitte der 60er Jahre, die sich vor allem durch eine<br />

bessere Ausbildung, aber auch in einem neuen Selbstbewußtsein der Frauen<br />

zeigte, <strong>und</strong> besonders die Berufsrollen in der amerikanischen, wie in der<br />

unseren, Gesellschaft veränderte, vollzog die Barbie - Puppe allerdings erst<br />

ca.15 Jahre später nach. Für immer mehr Frauen wurde die Berufstätigkeit<br />

selbstverständlich, sie drängten auch vermehrt an die Universitäten <strong>und</strong> mußten<br />

zunehmend Beruf <strong>und</strong> Familie unter einen Hut bringen. Gleichzeitig entwickelten<br />

sie immer individuellere Lebenskonzepte <strong>und</strong> brachen althergebrachte<br />

Familienstrukturen <strong>auf</strong>. In der Welt der Barbie aber blieb die bürgerliche,<br />

geschlechtstereotype Rollenverteilung bis in die 80er Jahre hinein erhalten.<br />

<strong>Die</strong> Barbie - Puppe eignet sich gut dafür, alle Trends mitzumachen. Der Puppe<br />

ist es möglich in jedes Gewand zu schlüpfen, die Rollen sind austauschbar, das


Zubehör ändert sich. Damit wird die Puppe zum Trendsetter, der Themen aus<br />

der Umgebung der Kinder <strong>auf</strong>greift <strong>und</strong> darstellt. <strong>Die</strong> Barbie - Welt entspricht bis<br />

ins Detail der glitzernden Konsum- <strong>und</strong> Medienwelt, die Kinder heute umgibt.<br />

Marktorientierung heißt das Zauberwort nach <strong>dem</strong> Mattel, zugeschnitten <strong>auf</strong> die<br />

kulturellen Gepflogenheiten des jeweiligen Landes, für die verschiedenen Barbie<br />

- Produkte Lizenzen vergibt. Asiatische Puppen unterscheiden sich <strong>von</strong><br />

europäischen <strong>und</strong> südamerikanischen im Aussehen <strong>und</strong> im Zubehör. Figuren<br />

aus Kinderfilmen <strong>und</strong> Fernsehserien, etwa die bei Kindern beliebte Serie „Bay -<br />

Watch", werden vom Hersteller <strong>auf</strong>gegriffen <strong>und</strong> sofort gibt es die<br />

Rettungsschwimmer - Barbie. Auf den Walt - Disney Film „Arielle, die kleine<br />

Meerjungfrau" folgte eine Flut <strong>von</strong> Meerjungfrau - Puppen, unter anderem eine<br />

„Zauber - Meerjungfrau - Barbie", die Seifenblasen machen kann.<br />

Der Verb<strong>und</strong> verschiedener Medien ermöglicht ein Umwerben <strong>und</strong> Umgeben der<br />

Kinder mit Barbie - Produkten <strong>von</strong> allen Seiten. Das Fernsehen zeigt Barbie<br />

Werbespots, die Printmedien schalten Anzeigen in Kinderzeitschriften <strong>und</strong> legen<br />

Werbeprospekte <strong>auf</strong>, die ähnlich wie Kinderzeitschriften <strong>auf</strong>gemacht sind. Es<br />

existiert eine eigene Barbie - Zeitschrift, die monatlich erscheint <strong>und</strong> an je<strong>dem</strong><br />

Kiosk zu erwerben ist. Daneben gibt es <strong>auf</strong> Kassetten gezogene Abenteuer der<br />

Barbie - Familie <strong>und</strong> Barbie - Bücher. Dazu stoßen noch Unmengen <strong>von</strong><br />

Lizenzprodukten, Taschen, Schulutensilien, Bettwäsche, Malbücher, Kleidung,<br />

Kosmetik , um nur einige zu nennen.<br />

Neben den angesprochenen Spielzeugwelten finden sich in den<br />

Spielwarenabteilungen der K<strong>auf</strong>häuser <strong>und</strong> Fachgeschäften auch alle modernen<br />

Variationen <strong>und</strong> elektronische Veredelungen klassischer Kinderspielwaren. Es<br />

wimmelt nur so <strong>von</strong> „...Krümelmonster - Plüschtieren, fernlenkbaren<br />

Flugzeugen,...Elektro - Go - Karts, Matchboxautos, Ernie - <strong>und</strong> - Bert -<br />

Bodenpuzzles,...Schlachschiffmodellen aus <strong>dem</strong> 2. Weltkrieg..., Wandteppichen<br />

mit bedruckten Mickey - Mouse- Figuren zum Selberknüpfen, lerndidaktisch<br />

angepriesenen Tischspielen, die Verkehrserziehung oder<br />

Konzentrationsförderung intendieren, Chemiebaukästen..., batteriebetriebene<br />

Nähmaschinen, Telespielen, Laubsägegarnituren, Registrierkassen mit<br />

elektronischer Digitalanzeige, Plasticolts mit elektronischer<br />

Zündstreifenmechanik, Schach- <strong>und</strong> Übersetzungscomputern..."(KÖHLER zit. n.<br />

BAACKE 1984, S.70).<br />

Kinder scheinen sich in dieser für die meisten Erwachsenen oft verwirrenden<br />

Produktfülle orientieren zu können, was ihnen einen Vorteil im Umgang mit der<br />

Vielfalt verschafft. Wie Kinder sich in der glitzernden Vielfalt der <strong>Kinderwelten</strong><br />

zurechtfinden, nach welchen Kriterien sie K<strong>auf</strong>entscheidungen treffen oder<br />

verwerfen, wie sie mit der sie umgebenden Konsumwelt kommunizieren, ist<br />

unter Punkt 3 eingehend zu beleuchten.<br />

1.1.2. <strong>Die</strong> Ästhetik der Ware<br />

<strong>Die</strong> Warenästhetik spielt eine zunehmende Rolle bei der Gestaltung neuer<br />

Produkte. Abgehoben vom realen Gebrauchswert einer Ware, der sich bei vielen<br />

Alltagsprodukten schon kaum mehr verändern läßt, so sind z.B. die Inhaltsstoffe<br />

in allen Waschmitteln weitestgehend gleich, wird <strong>von</strong> den Warenproduzenten


versucht, <strong>dem</strong> Produkt ein Profil zu verleihen, damit es sich besser verk<strong>auf</strong>t.<br />

<strong>Die</strong>se Profilierung geschieht durch ein Anpassen der äußeren Produktmerkmale,<br />

wie Farbe, Konsistenz, Geruch oder Verpackung an die sinnlichen Bedürfnisse<br />

des Käufers. <strong>Die</strong> äußere Veränderung der Ware bewirkt „...die Auslösung des<br />

subjektiven Gebrauchswertversprechens durch das objektive, die Erregung der<br />

Sinnlichkeit des Käufers durch die Ästhetik der Ware" (HAUG 1981, S.77). <strong>Die</strong><br />

Warenästhetik entfaltet ihre eigene Dynamik, in<strong>dem</strong> sie ausgehend <strong>von</strong> der<br />

Sinnlichkeit des Käufers, dessen Bedürfnisse in Form gießt <strong>und</strong> damit leicht<br />

verändert <strong>auf</strong> diese zurückwirkt. Es handelt sich hierbei nicht um individuelle,<br />

sondern um generalisierte Bedürfnisse eines Käuferpools, der je nach<br />

Produktzielgruppe unterschiedlich groß <strong>und</strong> verschieden strukturiert ist. Und<br />

dennoch ist es wichtig für den Produzenten, möglichst genau die<br />

Bedürfnisstruktur der potentiellen Käufergruppe zu analysieren, da „...diejenige<br />

Erscheinung ...eher ankommen (wird), die intimer <strong>auf</strong> die Bedürfnisse des<br />

Adressaten eingeht" (ebd. S.78). <strong>Die</strong>s nennt HAUG das Wirkungsgesetz der<br />

Warenästhetik. Das so gestaltete Produkt kommt in den Handel <strong>und</strong><br />

Verk<strong>auf</strong>sanalysen geben Rückmeldung über den Erfolg. Änderungen im<br />

Käuferverhalten werden registriert <strong>und</strong> in meist nur äußere Änderungen des<br />

Produktes umgesetzt. <strong>Die</strong>se Eigendynamik der Warenästhetik hat sich in den<br />

letzten Jahren zunehmend selbst überholt. Den Änderungen des<br />

Käuferverhaltens wird durch eine ständige Neugestaltung eines Produktes <strong>und</strong><br />

die stetige Ausweitung bei gleichzeitiger Differenzierung der Produktpalette<br />

vorgebeugt. Es wird gar nicht mehr abgewartet, bis sich ein Bedürfnis zeigt,<br />

Bedürfnisse werden suggeriert <strong>und</strong> das <strong>auf</strong> die Befriedigung exakt<br />

zugeschnittene Produkt wird gleich mitgeliefert.<br />

Hält ein Produkt dann nicht das, was die „Mogelpackung" <strong>und</strong> die Werbung<br />

versprechen, ist die Enttäuschung beim Käufer, besonders aber bei Kindern<br />

groß.<br />

1.1.3. <strong>Die</strong> Schauplätze der Konsumsphäre <strong>und</strong> die Verinselung <strong>von</strong><br />

Kinderräumen<br />

Verstärkt wird der lebensweltliche Aspekt der Kommerzialisierung durch die<br />

Konzentration <strong>und</strong> Verinselung <strong>von</strong> Kinderräumen. Bis vor etwa 25 Jahren<br />

erweiterte sich der Aktionsradius eines Kindes mit zunehmen<strong>dem</strong> Alter <strong>und</strong><br />

wachsender Selbständigkeit ungefähr in konzentrischen Kreisen um die<br />

Wohnung der Familie. <strong>Die</strong> Welt des Kindes wurde größer blieb aber<br />

überschaubar <strong>und</strong> zusammenhängend. Mit der Stadtplanung der 70er Jahre<br />

einher ging die zunehmende Verlagerung <strong>von</strong> Gewerbe <strong>und</strong> Betrieben in<br />

gesonderte Gewerbegebiete, die entfernt <strong>von</strong> den Wohngebieten meist am<br />

Stadtrand angelegt wurden. Der Bauboom des subventionierten Wohnungsbaus<br />

schuf gleichzeitig Hochhaus - Trabantenstädte <strong>auf</strong> der vormals grünen Wiese vor<br />

den Toren der Stadt. <strong>Die</strong> Wege zur Arbeit <strong>und</strong> zum Eink<strong>auf</strong>en verlängerten sich,<br />

ein eigenes Auto wurde obligatorisch, da besonders in den Anfangsjahren die<br />

Verbindungen des öffentlichen Nahverkehrs nicht ausreichten. In diesen<br />

Hochhausghettos, aber auch in den großen Reihenhaus - Siedlungen dieser Zeit<br />

wurden die Eink<strong>auf</strong>smöglichkeiten zentral angelegt. Eink<strong>auf</strong>szentren mit einer<br />

Vielzahl <strong>von</strong> K<strong>auf</strong>häusern, Boutiquen, Supermärkten <strong>und</strong><br />

Einzelhandelsgeschäften, ergänzt um Cafes <strong>und</strong> Restaurants unter einem Dach,


entstanden. Sie entwickelten sich schnell zu Kommunikationsschwerpunkten,<br />

besonders für Mütter mit kleinen Kindern <strong>und</strong> ältere Menschen, da sie oft neben<br />

einigen sehr phantasielos angelegten Spielplätzen die einzigen Orte waren, an<br />

denen man andere Menschen treffen konnte. Auch für ältere Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche wurden die Eink<strong>auf</strong>szentren zum Treffpunkt <strong>und</strong> Spielplatz. Auf<br />

Kinder übt die bunte Glitzerwelt der Eink<strong>auf</strong>szentren einen unwiderstehlichen<br />

Reiz aus. Bereits in den 30er Jahren berichtete MARTHA MUCHOW in ihrer<br />

Untersuchung „Der Lebensraum des Großstadtkindes" über Warenhäuser, die<br />

den Kindern als Spielplatz dienten.<br />

Je nach Alter beziehen sie jeweils andere Aspekte derselben räumlichen<br />

Gegebenheiten in ihr Handeln mit ein. So dienen die Rolltreppen <strong>und</strong> Atrien den<br />

Kindern eher zum Herumtoben <strong>und</strong> Fangen spielen während Sitzgruppen <strong>von</strong><br />

Jugendlichen in Besitz genommen werden <strong>und</strong> mehr <strong>dem</strong> Treffen mit<br />

Gleichaltrigen <strong>und</strong> der vorsichtigen Annäherung an das andere Geschlecht<br />

dienen. Eink<strong>auf</strong>szentren sind für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche wichtige Orte des „so<br />

tun als ob", des Probehandelns geworden. Sie spielen Eink<strong>auf</strong>en, suchen aus,<br />

probieren an, überlegen, was sie sich k<strong>auf</strong>en könnten <strong>und</strong> möchten <strong>und</strong><br />

verpflegen sich selbständig an Fast - Food Ständen <strong>und</strong> Eisdielen.<br />

Gleichzeitig haben die zur selben Zeit entstanden wenigen Abenteuerspielplätze<br />

<strong>und</strong> pädagogisch betreuten Freizeiteinrichtungen Auslastungsprobleme. Sie<br />

werden bei weitem nicht so gut angenommen wie <strong>von</strong> den Planern angedacht.<br />

Ein wichtiger Gr<strong>und</strong> liegt in der ständigen Aufsicht <strong>und</strong> Betreuung, der Kinder<br />

nicht immer ausgesetzt sein wollen. Zu<strong>dem</strong> sind Abenteuerspielplätze selten<br />

zentral gelegen <strong>und</strong> damit zumindest für kleinere Kinder alleine nicht erreichbar.<br />

<strong>Die</strong> kognitive Landkarte in den Köpfen der Kinder besteht heute aus über den<br />

ganzen Stadtbereich verteilte Inseln, Spezialorte mit Zweckgeb<strong>und</strong>enheit. In<br />

ländlichen Gebieten ist zwar der unmittelbare Nahbereich noch nicht zerteilt,<br />

spätestens aber mit Kindergarten <strong>und</strong> Schule beginnt die Verinselung auch hier.<br />

<strong>Die</strong> Zerteilung des kindlichen Lebensraumes in zweckorientierte, <strong>von</strong>einander<br />

weit entfernte Orte, verändert die Mobilität besonders der kleineren Kinder bis<br />

ins Gr<strong>und</strong>schulalter. Sie sind <strong>auf</strong> die Eltern mit Auto angewiesen, um <strong>von</strong> einem<br />

Ort zum anderen zu gelangen, <strong>und</strong> können sich alleine nicht mehr so leicht<br />

orientieren. <strong>Die</strong> Verkehrsdichte erschwert den Kindern zu<strong>dem</strong> ein gefahrloses<br />

Erk<strong>und</strong>en des Lebensraumes. Für viele Kinder bleibt die oft auch noch zu kleine<br />

Wohnung der einzige Ort, an <strong>dem</strong> sie ungestört spielen können. Treffen mit<br />

Fre<strong>und</strong>en sind spontan nicht möglich, jede Aktion bedarf der Abstimmung mit<br />

den Eltern <strong>und</strong> muß in deren Zeitplan passen. Der vielfältige Mediengebrauch<br />

<strong>und</strong> die mit Spielzeug aller Art vollgestopften Kinderzimmer sollen die fehlenden<br />

Spiel - <strong>und</strong> Aktionsmöglichkeiten kompensieren <strong>und</strong> die Kinder beschäftigen. In<br />

vielfältig bunten Plastikwelten sollen sie die Abenteuer „erleben", die ihnen in der<br />

Realität oftmals versagt bleiben.<br />

1.2. <strong>Die</strong> Mediatisierung des Alltags<br />

Kindheit heute bedeutet immer auch zugleich Medienkindheit,<br />

selbstverständliches Aufwachsen mit einer Vielzahl <strong>von</strong> unterschiedlichen<br />

Medien. Wie unterscheiden sich verschiedene Familien in der Ausstattung mit


Medien <strong>und</strong> wie erlernen Kinder den Umgang mit der sie umgebenden<br />

Medienwelt? Entwickeln sie bestimmte Routinen <strong>und</strong> Präferenzen im alltäglichen<br />

Mediengebrauch?<br />

1.2.1. Mit Medien unter einem Dach - die Ausstattung <strong>von</strong> Familien mit<br />

Medien.<br />

<strong>Die</strong> durchschnittlichen monatlichen Ausgaben für Medien betrugen bei einer 4-<br />

Personen Familie in den alten B<strong>und</strong>esländern im Jahr1996, bei mittlerem<br />

Familieneinkommen <strong>und</strong> Schicht 150,99 DM, bei höherem Einkommen <strong>und</strong><br />

Schicht 230,08 DM. In den neuen B<strong>und</strong>esländern waren sie mit 136,62 DM <strong>und</strong><br />

166,09 DM (BÖRSENVEREIN DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS 1997, S.11)<br />

etwas geringer. Sie betrugen etwa 20 % der monatlichen Ausgaben für<br />

Freizeitgüter <strong>und</strong> liegen somit nach <strong>dem</strong> Urlaub (25%) an zweiter Stelle<br />

(ebd.S.12). <strong>Die</strong> mittlerweile sehr umfassende Ausstattung der Haushalte mit<br />

Medien bildet das Umfeld für Medienkonsum, fördert ihn <strong>und</strong> zeigt Präferenzen<br />

der familialen Mediennutzung (vgl. HURRELMANN u.a. 1993, S.86 ff). Nahezu<br />

alle Familien (98%) verfügen heute über mindestens ein Fernsehgerät,<br />

mindestens ein Radiogerät (85,4%), dazu eine Hifi- Anlage (77,5%) <strong>und</strong> einen<br />

Videorecorder (61,5%). <strong>Die</strong>se selbstverständliche „Gr<strong>und</strong>ausstattung" wird<br />

ergänzt durch diverse Zweitgeräte, Fernseher finden sich ähnlich wie Radios<br />

inzwischen auch in Küchen <strong>und</strong> Kinderzimmern. Immer mehr Kinder verfügen<br />

schon im Vorschulalter über einen eigenen CD- Player <strong>und</strong> Walkman (66,3%),<br />

sowie über einen Kassettenrecorder (56,8%). Dazu kommen in den letzten<br />

Jahren verstärkt eigene Fernseher <strong>und</strong> Computer (je 31,2%), sowie<br />

Telespielgeräte nebst dazugehörender Software (46,7%).<br />

An Printmedien besitzen Kinder zu 45% Kinderzeitschriften <strong>und</strong> verfügen über<br />

jede Menge eigene (im Durchschnitt 40) <strong>und</strong> geliehene Bücher. Comics <strong>und</strong><br />

Werbezeitschriften r<strong>und</strong>en die Medienlandschaft der Kinder ab.<br />

Trotz der inzwischen ähnlichen Gr<strong>und</strong>ausstattung der Haushalte mit Medien<br />

lassen sich Unterschiede in der Medienausstattung <strong>von</strong> Kindern feststellen. So<br />

wirken sich Schicht <strong>und</strong> Bildungsniveau der Familie dahingegend aus, daß<br />

besonders bei den elektronischen Medien die Kinder unterer sozialer Schichten<br />

überproportional gut ausgestattet sind: mit einem eigenen Computer zu 48,7%,<br />

einem eigenem Fernseher zu 46,9 Prozent, <strong>und</strong> der Tendenz nach auch mit den<br />

Speichermedien, Musik- <strong>und</strong> Videokassetten, sowie Telespielen. Dafür besitzen<br />

diese Kinder weniger Bücher <strong>und</strong> in den Familien werden neben der<br />

Fernsehzeitung hauptsächlich Boulevardblätter gelesen.<br />

Im Gegensatz dazu legen Familien höherer Schichten <strong>und</strong> Bildung mehr Wert<br />

<strong>auf</strong> Bücher, sie geben auch fast doppelt soviel für Bücher aus (durchschnittlich<br />

58,43 DM monatlich gegenüber 29,57 DM), sowie <strong>auf</strong> regionale <strong>und</strong><br />

überregionale Tageszeitungen <strong>und</strong> Fachzeitschriften.<br />

1.2.2. Mediennutzung <strong>von</strong> Kindern - bleibt noch Zeit zum Lesen ?<br />

<strong>Die</strong> verschiedenen Medien sind so sehr mit <strong>dem</strong> Tagesabl<strong>auf</strong> verwoben, daß oft


mehrere Medien gleichzeitig genutzt werden. Daher dürfen<br />

Mediennutzungszeiten nicht einfach addiert werden, sondern müssen im<br />

Gesamtzusammenhang der Nutzungssituation gesehen (vgl. HURRELMANN<br />

1993; FRITZ 1991; SAXER 1989). Rein additive Werte sind daher oft zu hoch<br />

<strong>und</strong> nur sehr begrenzt aussagefähig, da die synchrone Nutzung verschiedener<br />

Medien nicht erfaßt wird. Darüber hinaus scheint die <strong>dem</strong> Begriff<br />

„Nutzungsverhalten" immanente Aufmerksamkeitslenkung <strong>auf</strong> ein bestimmtes<br />

Medium inzwischen durchaus diskussionwürdig. Sie scheint in den letzten<br />

Jahren mit zunehmender „Alltäglichkeit" der Medienvielfalt nicht mehr unbedingt<br />

gegeben. <strong>Die</strong> Zeiten, als sich die ganze Familie vor <strong>dem</strong> Fernseher<br />

versammelte, Kinder sich dabei weder bewegen noch etwas sagen oder fragen<br />

durften, sind längst vorbei. Das Fernsehen ergänzt mittlerweile das Radios als<br />

klassisches Hintergr<strong>und</strong>medium. Der Fernseher wird morgens zum Frühstück<br />

(Frühstücksfernsehen) eingeschaltet <strong>und</strong> läuft dann den ganzen Tag nebenbei<br />

mit. Dem inhaltlichen Geschehen wird nur noch sporadisch Aufmerksamkeit<br />

gewidmet. Kinder klinken sich dann, wenn sie gerade Zeit <strong>und</strong> Lust haben, in<br />

das Programm ein, zappen herum, bis sie eine Sendung finden , die ihnen<br />

gefällt, schauen eine kurze Zeit <strong>und</strong> gehen nebenbei anderen Aktivitäten nach.<br />

Neben <strong>dem</strong> Spielen oder Haus<strong>auf</strong>gaben erledigen l<strong>auf</strong>en Musik- oder<br />

Kinderkassetten. Einzig die plötzlich eintretende Stille läßt das Kind zum Gerät<br />

eilen, um das Band zu wechseln. Wer wann, welchem Medium, wie lange seine<br />

Aufmerksamkeit widmet, wird bei synchroner Mediennutzung immer schwierig<br />

nachzuvollziehen sein. So bedürfen die „harten Zahlen der Empirie" der<br />

Ergänzug durch qualitative Verfahren, etwa der genauen Beobachtung <strong>und</strong><br />

Analyse der situativen <strong>und</strong> individuellen Aspekte der Rezeptionssituation sowie<br />

eine erklärende Befragungen der beteiligten Personen nach familialen<br />

Mediennutzungsgewohnheiten.<br />

Wieviel Zeit bleibt den Kindern bei der breiten Angebotspalette der Medien im<br />

Haushalt <strong>und</strong> in den Kinderzimmern denn noch zum Lesen? <strong>Die</strong>s ist so<br />

HURRELMANN im Zusammenhang mit <strong>dem</strong> Medienverhalten im<br />

Medienverb<strong>und</strong> zu sehen (HURRELMANN u.a.1993). <strong>Die</strong> Besorgnis, die<br />

Beschäftigung mit den „neuen" Medien würde <strong>auf</strong> Kosten der für Bücher<br />

<strong>auf</strong>gewendeten Zeit gehen, läßt sich so nicht mehr halten, vielmehr ergänzen<br />

sich verschiedene Medienaktivitäten gegenseitig.<br />

So zeigte sich „..., daß der Anteil, den das Bücherlesen an der gesamten<br />

Mediennutzungsdauer, die bei 9-11jährigen Kindern zwischen 165,7- <strong>und</strong> 227,1<br />

Minuten täglich liegt, hat, <strong>von</strong> 6,7 Prozent...<strong>auf</strong> über 40 Prozent bei den „Viel -<br />

Lesern" steigt, <strong>und</strong> damit gegenüber <strong>dem</strong> Fernsehen überwiegt" (ebd., S.94). So<br />

haben die ausgesprochenen „Leseratten", die täglich mehr als 49 Minuten<br />

schmökern, mit 227,1 Minuten auch die höchste Mediennutzungsdauer<br />

insgesamt. Bei zunehmender Buchnutzungsdauer geht der Tendenz nach die<br />

Dauer des Fernsehens zurück, aber „...dies (geschieht) nicht in gleichem<br />

Maße..."(ebd., S.94). Festzustellen ist andererseits auch, daß Kinder, die sehr<br />

wenig lesen (tägliche Buchlesedauer unter 16 Minuten), mit 114,3 Minuten<br />

täglich überdurchschnittlich viel Fernsehen schauen.<strong>Die</strong>ses Ergebnis würde<br />

durchaus für die „Verdrängungshypothese" sprechen.<br />

Bei der Betrachtung der Gruppe <strong>von</strong> Kindern, die zwar nicht gerade als<br />

Leseratten zu bezeichnen sind, aber dennoch täglich 31-49 Minuten lesen, wird<br />

deutlich, daß auch diese Kinder mit 96,1 Minuten sehr viel fernsehen, was eher


für eine ergänzende intensive Nutzung der verschiedenen Medien spricht. <strong>Die</strong><br />

bisherigen Ergebnisse lassen aber weder an der „Verdrängungshypothese" noch<br />

an der „Ergänzungshypothese" als ganz schlüssigem Nachweis für die Präferenz<br />

eines Mediums <strong>auf</strong> Kosten der anderen Medien festhalten, vielmehr resümiert<br />

HURRELMANN „...legen die Ergebnisse die Vermutung nahe, daß verschiedene<br />

Kinder <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> unterschiedlicher Voraussetzungen in der Mediensozialisation<br />

auch typische Nutzungsmuster entwickeln, die einmal mehr den Eindruck einer<br />

Substitution <strong>von</strong> Medien <strong>und</strong> einmal mehr den der Ergänzung vermitteln." (ebd.,<br />

S.94).<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung verschiedener Mediennutzungsmuster in Abhängigkeit <strong>von</strong><br />

familialem Umfeld <strong>und</strong> persönlichen Entwicklungsthemen wird unter Punkt 3.<br />

ausführlich dargestellt.<br />

1.2.3. Mediatisierung der Erfahrung<br />

Ein Kind eignet sich seine Welt Schritt für Schritt an, in <strong>dem</strong> es seine<br />

Erfahrungen mit ihr macht. <strong>Die</strong>s geschieht zunächst über den M<strong>und</strong>, der es<br />

befähigt, Hunger <strong>und</strong> Durst, Unwohlsein <strong>und</strong> Zufriedenheit auszudrücken,<br />

Nahrung <strong>auf</strong>zunehmen. Der M<strong>und</strong> <strong>und</strong> seine Stimme sichern die ersten<br />

Außenkontakte. Nach <strong>und</strong> nach entwickelt sich das Begreifen der Umgebung als<br />

nächster Schritt in die Welt. Noch lange wird aber jedes zu begreifende Ding in<br />

den M<strong>und</strong> gesteckt, um das mit den Händen Erfühlte abzusichern. Noch<br />

Erwachsene kauen am Bleistift, wenn sie über einer schwierigen Aufgabe<br />

brüten. Mit zunehmender Fähigkeit, die Muskeln koordinierend einzusetzen, um<br />

etwas, was es gesehen hat, anzufassen, festzuhalten, loszulassen, <strong>und</strong> auch die<br />

Beine zur Fortbewegung zu benutzen, erweitert das Kind seine<br />

Erfahrungsmöglichkeiten. Gleichzeitig ermöglicht ihm, neben der<br />

Ausdifferenzierung der kognitiven Strukturen, die zunehmende Beherrschung<br />

der M<strong>und</strong>muskulatur, den Dingen einen Namen zu geben. Das Kind lernt ab <strong>dem</strong><br />

zweiten Lebensjahr, seiner dinglichen Umwelt, die es im sich differenzierenden<br />

Gedächtnis als Abbild wiederfindet, Lautkombinationen zuzuordnen. <strong>Die</strong>s ist ein<br />

revolutionärer Schritt in die Welt, da es nun möglich ist, immer umfassender mit<br />

dieser Welt zu kommunizieren <strong>und</strong> darüber hinaus Erfahrungen mit der Welt in<br />

Worte zu fassen, zu verbalisieren. <strong>Die</strong>ses Verbalisieren geschieht zunächst laut,<br />

kleine Kinder benennen den ganzen Tag die Dinge <strong>und</strong> kommentieren ihr Tun,<br />

fragen nach <strong>und</strong> vergewissern sich immer wieder, daß die Dinge noch den<br />

gleichen Namen haben wie gestern. Sie strukturieren sich die Wirklichkeit<br />

zunehmend neben den Bildern auch durch Begriffe, die Zusammenhänge<br />

verstehbar machen. Daneben bleiben die Bilder als Repräsentationen <strong>von</strong><br />

Begriffen noch bis in das Schulalter hinein wichtig <strong>und</strong> auch die konkrete<br />

Operation (vgl. OERTER 1982, S.453 ff), das Begreifen <strong>und</strong> Handeln zur<br />

Erfassung neuer Sachverhalte, ist auch für Lernen im Gr<strong>und</strong>schulalter noch sehr<br />

eminent. Mit zunehmender Differenzierung der sprachlichen <strong>und</strong> kognitiven<br />

Möglichkeiten werden die Bilder im Kopf abgelöst durch innere Verbalisierungen,<br />

die es nun auch erlauben, <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> der bisher gemachten konkreten<br />

Erfahrungen Regeln zu abstrahieren <strong>und</strong> neue Zusammenhänge zu schaffen,<br />

logisch abstrakt zu synthetisieren.<br />

<strong>Die</strong>ser kurz geschilderte normale Entwicklungsverl<strong>auf</strong> macht einige Probleme


deutlich, die sich durch die den Alltag <strong>von</strong> Kindern durchdringenden Medien<br />

ergeben.<br />

Primäre, dingliche Erfahrungen sind wichtig für eine Ausdifferenzierung der<br />

Denkstruktur. <strong>Die</strong> Verfügbarkeit über verschiedene Medien ermöglicht es auch<br />

schon kleinen Kindern, sich ein Bild <strong>von</strong> der großen Welt zu sich in die Wohnung<br />

zu holen, sich beliebte Geschichten wieder <strong>und</strong> wieder anzuhören oder<br />

anzusehen. Dabei wird die Aufmerksamkeit des Kindes <strong>von</strong> anderen Tätigkeiten<br />

für basale Erfahrungen abgezogen. Der leichte Zugang zu den Medien<br />

ermöglicht es <strong>dem</strong> Kind, sich selbst zu bedienen, es wird beschäftigt <strong>und</strong> muß<br />

sich nicht selbst etwas ausdenken. Langeweile, die in Erfindungsgeist <strong>und</strong><br />

Selbstbeschäftigung mündet, entsteht erst gar nicht. Es lernt zwar besonders<br />

über das Fernsehen, aber durchaus auch über Bücher ausschnittweise die<br />

ganze Welt kennen, muß aber den bunten Bildern glauben, da es eigene<br />

Erfahrungen <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> der Entfernung <strong>und</strong> eingeschränkter Mobilität nicht so<br />

leicht machen kann. <strong>Die</strong>s bedeutet, daß die Bilder über ihre natürliche<br />

Authentizität hinaus realitätsbildende Wirkung haben, die sie sich der<br />

Überprüfung durch unmittelbare Erfahrung entzieht.<br />

Andererseits liegt die durchschnittliche Fernsehdauer bei kleinen Kindern im<br />

Durchschnitt nicht so hoch, daß der Spielraum der wichtigen Primärerfahrungen<br />

ernsthaft eingegrenzt wird. Selbst in ausgesprochenen Vielseherfamilien müssen<br />

andere Deprivationsfaktoren, wie eine zu kleine Wohnung in einer<br />

kinderfeindlichen Hochhaussiedlung <strong>und</strong> wenig Außenkontakte dazukommen,<br />

damit ein Kind in der Entwicklung differenzierter Denkstrukturen gestört wird.<br />

Ein anderer Aspekt der medialen Erfahrungen scheint wichtiger, da sie die<br />

Konstruktion <strong>von</strong> Wirklichkeit verändern. Besonders das Fernsehen aber auch<br />

Bilderbücher, Werbebroschüren oder Comics arbeiten mit Bildern. Bilder wirken<br />

anders als Worte primär. Sie existierten ontogenetisch vor den Worten im<br />

Denken <strong>und</strong> werden daher eher für wahr bef<strong>und</strong>en. Bilder erregen eher<br />

Aufmerksamkeit <strong>und</strong> werden besser erinnert. Es wird dabei leicht übersehen,<br />

daß Medienbilder gemacht werden, daß dahinter Absichten stecken.<br />

Medienbilder stellen nur einen bearbeiteten Ausschnitt <strong>von</strong> Wirklichkeit dar, eine<br />

„Botschaft" über die Wirklichkeit, die wir sehen sollen <strong>und</strong> dürfen. Mediatisierte<br />

Erfahrungen vermitteln ein Scheinbild <strong>von</strong> Wirklichkeit nicht nur in Kinderköpfen,<br />

denn auch Erwachsene können den Wahrheitsgehalt der meisten Bilder, die sie<br />

durch die Bildmedien präsentiert bekommen, nicht überprüfen, da ihnen die<br />

Kontextinformationen fehlen <strong>und</strong> da auch sie nur über eine sehr eingeschränkte<br />

Mobilität verfügen. Das verzerrte Bild <strong>von</strong> Wirklichkeit in den Köpfen der<br />

Menschen, besonders in den Köpfen der Kinder, kann überall dort geradegerückt<br />

werden, wo es mit der Realität verglichen werden kann oder wo<br />

Zusatzinformationen gegeben werden können, etwa über Gespräche mit den<br />

Eltern. Meistens muß aber die unmittelbare Erfahrung die Botschaft des Bildes<br />

entkräften, zum Beispiel bei Werbeversprechen. Aus gutgläubigen kleinen<br />

K<strong>und</strong>en werden dann, wenn das Spielzeug nicht hält, was die Werbung<br />

verspricht, sehr schnell enttäuschte Kinder, die beschließen, den „Mistkram" <strong>auf</strong><br />

<strong>dem</strong> nächsten Flohmarkt zu verk<strong>auf</strong>en <strong>und</strong> nie wieder der Werbung zu glauben.<br />

<strong>Die</strong> Abgleiche mit der Realität sind aber nur in Ansätzen möglich <strong>und</strong> so glaubt<br />

das Kind in allen Bereichen, die seiner unmittelbaren Erfahrung entzogen sind,<br />

zunächst den Bildern. Erst mit zunehmender Erfahrung mit den Bildmedien<br />

entwickeln sich „Televiewing Skills", Routinen im Verstehen <strong>von</strong> Bildern <strong>und</strong>


Fernsehgeschichten abhängig <strong>von</strong> Medienerfahrung <strong>und</strong> Alter, die den<br />

Wahrheitsgehalt <strong>von</strong> Bildern hinterfragbar machen. Besonders Kinder bis zum<br />

Ende des Gr<strong>und</strong>schulalters brauchen die Unterstützung <strong>von</strong> Erwachsenen für<br />

die reflexive Analyse <strong>von</strong> Bildern. Auch die Zusammenhänge zwischen<br />

einzelnen Bildern, die „Geschichte der Bilder" werden <strong>von</strong> Kindern erst etwa ab<br />

<strong>dem</strong> Gr<strong>und</strong>schulalter verstanden. Kleinere Kinder benötigen erklärende<br />

Verbalisierungen als Verständnishilfe (vgl. STURM 1987, S.106).<br />

Festzuhalten ist zunächst: Medienbilder stellen bearbeitete „Botschaften" über<br />

Wirklichkeit dar, <strong>und</strong> dies kann besonders <strong>von</strong> Vorschulkindern <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> der<br />

„Ikonographie des Bildes" <strong>und</strong> ihrer kognitiven Entwicklung nur selten erkannt<br />

werden. Medienbilder haben somit einen Einfluß <strong>auf</strong> die Realitätskonstruktion<br />

<strong>von</strong> Kindern <strong>und</strong> damit auch <strong>auf</strong> ihr Erleben <strong>und</strong> Handeln.<br />

1.2.4. Verschwindet die Kindheit?<br />

Der Pädagoge <strong>und</strong> Kulturkritiker NEIL POSTMAN wirbelte in der<br />

medienpädagogischen Diskussion um veränderte Sozialisationsbedingungen<br />

unter <strong>dem</strong> Einfluß <strong>von</strong> Massenmedien mit seiner These vom „ Verschwinden der<br />

Kindheit" (POSTMAN 1979) viel Staub <strong>auf</strong>. Es soll seine durchaus<br />

kulturpessimisstisch einseitige Betrachtungsweise des kulturellen Wandels,<br />

besonders seine These vom Niedergang der Schriftkultur in der<br />

Gegenwartskultur unter einigen Gesichtspunkten beleuchtet werden. <strong>Die</strong>s hat<br />

seine Gründe. So umstritten <strong>und</strong> kontrovers seine Thesen in<br />

Wissenschaftlerkreisen <strong>auf</strong>genommen wurden, so verführerisch nachvollziehbar<br />

haben sie sich in Eltern- <strong>und</strong> Erzieherköpfen breitgemacht <strong>und</strong> bestimmen<br />

bewußt oder unbewußt den Medienumgang im Erziehungsalltag mit. <strong>Die</strong>s<br />

bedeutet zu oft eine bewahrpädagogische Haltung, die an der Alltagsrealität <strong>von</strong><br />

Kindern vorbei, unkritisch das jeweils neueste Medium einseitig für die damit<br />

verb<strong>und</strong>enen Mißbrauchsmöglichkeiten verurteilt, ohne die vorhandenen<br />

Nutzungsmöglichkeiten für die kindliche Entwicklung <strong>und</strong> damit auch für<br />

Erziehung <strong>und</strong> Unterricht zu sehen.<br />

Nach POSTMAN leiteten elektronische Massenmedien, besonders das<br />

Fernsehen ab 1950 eine „optische Revolution" ein. Das Bild als Information steht<br />

für sich selbst <strong>und</strong> ist „...anders als der gesprochene oder geschriebene Satz<br />

unwiderlegbar...<strong>und</strong> ... es muß keinerlei Plausibilitätsregeln <strong>und</strong> keiner Logik<br />

genügen" (POSTMAN 1987, S.87). Daher bezeichnet er Bilder als „...in<br />

kognitiver Hinsicht regressiv...,zumindest wenn man sie mit <strong>dem</strong> gedruckten<br />

Wort vergleicht" (ebd. S.87). Bilder werden ganzheitlich erfasst, sind daher<br />

ontogenetisch früher als Worte verständlich, das kindliche Denken entwickelt<br />

sich vom konkret Bildhaften zum verbal Abstrakten (s.o.).<br />

Fernsehen mit seiner „<strong>und</strong>ifferenzierten Zugänglichkeit"(ebd. S.94) ist für<br />

POSTMAN das Medium, das die Unterschiede zwischen Kindern <strong>und</strong><br />

Erwachsenen verschwinden läßt. Es steht nicht wie das gedruckte Wort „...als<br />

wirksame Barriere zwischen <strong>dem</strong> Kind <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Erwachsenen..." (POSTMAN<br />

1987, S.92). Das Wissen der Welt sei früher für das Kind erst zugänglich<br />

gewesen, nach<strong>dem</strong> es Lesen gelernt hatte. <strong>Die</strong>ser Umweg über das<br />

Lesenlernen bliebe Kindern heute dank des Fernsehens erspart, was leider auch


edeute, daß Kinder kaum noch Schutz vor den Schattenseiten der Kultur hätten<br />

<strong>und</strong> mit einstmals tabuisierten Themen der Gesellschaft wie Sexualität <strong>und</strong><br />

Gewalt vorzeitig konfrontiert würden. <strong>Die</strong> Erwachsenen verlören ihren<br />

Wissensvorsprung vor den Kindern <strong>und</strong> damit an Autorität <strong>und</strong> Kontrolle, die<br />

durchaus auch zum Wohle des Kindes eingesetzt werden könne. POSTMAN<br />

setzt sich für eine pädagogische „Scheinheiligkeit" (ebd. S.109) zum Schutz des<br />

Kindes ein. Er kritisiert besonders die Anhäufung <strong>von</strong> „Sex and Crime" in den<br />

Nachrichten - Shows <strong>und</strong> stellt die Frage: „In welchem Maße unterhöhlt die<br />

Darstellung der Welt, so wie sie ist, den Glauben des Kindes an die Rationalität<br />

der Erwachsenen, an die Möglichkeiten einer vernünftigen Weltordnung, an eine<br />

hoffnungsvolle Zukunft?" (ebd. S.111). Aufgr<strong>und</strong> der elektronischen Bilderflut in<br />

ihrer ikonenhaften Authentizität, die den Kindern eine Welt ohne Geheimnisse<br />

zeige, gleiche sich die Kinderwelt der Erwachsenenwelt an. Gleichzeitig würden<br />

die Erwachsenen, durch das Medium Fernsehen besonders durch die Werbung,<br />

zu Kindern gemacht, die zur rechten Konsumhaltung erzogen werden müßten.<br />

Das Fernsehen egalisiere das Publikum <strong>und</strong> versorge Jung wie Alt mit der<br />

gleichen Unterhaltungskost, die <strong>von</strong> Jahr zu Jahr intellektuell anspruchsloser<br />

würde. <strong>Die</strong> Schreib- <strong>und</strong> Lesefähigkeit <strong>von</strong> Erwachsenen nähme kontinuierlich<br />

ab, konstatiert POSTMAN, ohne dies allerdings zu belegen.<br />

Läßt sich, der Argumentation POSTMANS folgend, <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> der allgemeinen<br />

Verfügbarkeit der elektronischen Medien <strong>und</strong> <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> der Egalisierung der<br />

Zuschauer sowie der Trivialisierung des Fernsehens gleich vom Verschwinden<br />

der Schriftkultur <strong>und</strong> damit vom Verschwinden der Kindheit als Moratorium <strong>und</strong><br />

Phase des Lernens sprechen?<br />

Liegt der Argumentation POSTMAN’s nicht ein stark romantisch, idealistisches<br />

Wunschbild <strong>von</strong> literaler Kindheit zugr<strong>und</strong>e?<br />

<strong>Die</strong> tatsächliche Literalität in den bürgerlichen Familien <strong>und</strong> den Schulen des 19.<br />

<strong>und</strong> beginnenden 20. Jahrh<strong>und</strong>erts war meistens nichts anderes als Sittenlehre<br />

<strong>und</strong> gnadenloser Drill zur „grammatikalisch richtigen" Sprachbeherrschung.<br />

Breiten Bevölkerungsschichten blieb darüber hinaus, zumindest in Deutschland<br />

bis in die 20er Jahre hinein, ohne gemeinsame Gr<strong>und</strong>schule <strong>und</strong> die Möglichkeit,<br />

daran eine höhere Schule anzuschließen, <strong>und</strong> ohne schulbegleitete Ausbildung<br />

jede Chance verwehrt, über einfache Lese- <strong>und</strong> Rechtschreibkenntnisse hinaus<br />

zu elaborierter Literalität zu gelangen. <strong>Die</strong> Lese- <strong>und</strong> Schreibfähigkeiten des<br />

„katholischen Arbeitermädchens vom Lande" besserten sich in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik erst mit den groß angelegten Förderprogrammen in Vor- <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schule im Zuge der Bildungsreformen der 60er Jahre. Der<br />

Literaturunterricht an Schulen läßt heute noch vielfach zu wünschen übrig, <strong>von</strong><br />

der Einfallslosigkeit <strong>und</strong> der Realitätsferne der Leselernfibeln ganz zu schweigen<br />

(vgl. BETTELHEIM 1982). Darüber hinaus bestimmen ganz andere Faktoren,<br />

wie etwa familiale Mediennutzungsmuster <strong>und</strong> individuelle<br />

Entwicklungs<strong>auf</strong>gaben, den Mediengebrauch <strong>und</strong> die Präferenzen kindlicher<br />

Mediennutzung.<br />

Analphabetismus als vielschichtiges Problem sozialer Ungleichheit wird nicht<br />

durch Fernsehkonsum verursacht <strong>und</strong> ist auch kein Gradmesser für den<br />

Niedergang der Schriftkultur.<br />

Dem Fernsehzuschauer unterstellt POSTMAN Passivität <strong>und</strong> Ausgeliefertsein,


insgesamt eine konsumistische Gr<strong>und</strong>haltung. Er orientiert sich darin noch ganz<br />

an MC. LUHANS Imperativ <strong>und</strong> an der frühen Medienwirkungsforschung. Neuere<br />

Ansätze einer sozialökologischen Medienforschung (vgl. VOLLBRECHT 1988,<br />

S.383 ff; SAXER / BONFADELLI 1995; CHARLTON / NEUMANN-BRAUN 1986,<br />

1995) gehen dagegen da<strong>von</strong> aus, daß Kinder „TV - literacy" (GREENFIELD<br />

1987, S.10), Routinen im Erkennen <strong>und</strong> Einorden des Gesehenen mit<br />

zunehmen<strong>dem</strong> Alter <strong>und</strong> wachsender Fernseherfahrung erarbeiten <strong>und</strong> sich<br />

Schemata des Fernsehverständnisses ausbilden. Sie sind keineswegs so passiv<br />

<strong>und</strong> manipulierbar, wie <strong>von</strong> POSTMAN geschildert. Kinder nutzen Medienbilder<br />

<strong>und</strong> Informationen zur aktiven Konstruktion ihrer Wirklichkeit.<br />

<strong>Die</strong> Bereiche primärer Erfahrungsmöglichkeiten werden durch die objektiven<br />

sozialökologischen Beschränkungen kindlicher Bewegungsräume immer weiter<br />

eingeschränkt (s.o.) <strong>und</strong> so „...werden die Medieninhalte zu „Surrogaten" der<br />

Primärerfahrungen" (BAUER /HENGST zit. n. LINK 1990, S. 73). Sie wirken<br />

verbindend <strong>und</strong> Sinn stiftend in einer bruchstückhaften „ersten" Realität <strong>und</strong><br />

ergänzen diese, sie „...liefern Bezugspunkte, an denen man sich gut orientieren<br />

kann" (LINK, ebd., S.73).<br />

So können Medien Defizite an unmittelbaren Erfahrungsmöglichkeiten teilweise<br />

kompensieren. Es ist sogar nötig, sich an Medieninformationen auszurichten, da<br />

alle Informationen, die nicht unmittelbar zugänglich sind, in irgendeiner Weise<br />

schon vorsortiert <strong>und</strong> bearbeitet sind. Theoretisch läßt sich über ein riesiges<br />

Weltwissen verfügen, doch all diese Informationen sind mediatisiert. Lediglich<br />

die Synthese der Informationen zu einer für den Einzelnen brauchbaren Aussage<br />

bleibt ihm überlassen. <strong>Die</strong>se Fähigkeit, Informationen aus Medien herauszufiltern<br />

<strong>und</strong> in ihren Lebenszusammenhang zu integrieren, müssen Kinder lernen.<br />

POSTMAN ist durchaus zuzustimmen, daß das Fernsehen mit seiner „Totalität<br />

der Bilder" oberflächlich nicht geeignet ist, die Ausbildung analytischer<br />

Fähigkeiten als Voraussetzung für synthetische Denkprozesse zu fördern.<br />

Gleichzeitig bietet aber gerade das Fernsehen durch seine vielen verschiedenen<br />

Genres <strong>und</strong> Macharten die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu sehen, die<br />

Künstlichkeit des Gesehenen zu begreifen, Vergleiche zu ziehen, einzelne<br />

Charaktere herauszulösen, dahinter liegende Absichten <strong>und</strong> Täuschungen zu<br />

durchschauen. <strong>Die</strong>s gelingt entweder durch Vergleiche mit der „ersten" Realität<br />

oder über Gespräche mit Eltern oder Fre<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong> auch schon <strong>von</strong><br />

Vorschulkindern verstandenen „Werbespots" werden sehr schnell als Täuschung<br />

entlarvt, da die Produkte meistens nicht halten, was die Werbung verspricht.<br />

Um nicht mißverstanden zu werden, Kinder reagieren höchst unterschiedlich <strong>auf</strong><br />

Fernsehen. Ihre zunächst ganzheitliche Wahrnehmung, die ihnen das Erfassen<br />

<strong>von</strong> Bildern erleichtert, bedeutet auch, daß ihre Sinne manchmal überfordert<br />

sind. Besonders rasante Schnittechniken <strong>und</strong> die Unterlegung mit lauter, schnell<br />

pulsierender Musik, können besonders bei kleineren Kindern durchaus zu<br />

Angstreaktionen führen (vgl. HERTHA STURM 1987, S.91 ff.). Der leichte <strong>und</strong><br />

uneingeschränkte Zugang zum Fernseher stellt tatsächlich ein Problem im<br />

Erziehungsalltag dar, beinhaltet aber auch die Möglichkeit mit diesem<br />

„Familienmitglied" gemeinsam <strong>auf</strong>zuwachsen <strong>und</strong> seinen Gebrauch zu lernen.<br />

Es scheint auch Anzeichen dafür zu geben, daß das Fernsehen so<br />

selbstverständlich geworden ist, daß es das Radio als Hintergr<strong>und</strong>medium<br />

ergänzt. Damit verb<strong>und</strong>en wäre auch ein gewisser Bedeutungsverlust, da


diesem Medium nicht mehr so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, man hört <strong>und</strong><br />

sieht nicht mehr so konzentriert hin. <strong>Die</strong>s ist für das Verstehen <strong>von</strong> Fernsehen<br />

fatal, da das Medium <strong>auf</strong> Bild <strong>und</strong> Ton <strong>auf</strong>gebaut ist. Wenn man nur noch im<br />

Vorbeigehen hinhört <strong>und</strong> gelegentlich einen Blick <strong>auf</strong> das Geschehen wirft, kann<br />

nicht allzuviel an Information hängenbleiben. Das Fernsehen, hat gerade durch<br />

seine Alltäglichkeit <strong>und</strong> Trivialisierung einen Bedeutungsverlust erlitten. Es<br />

unterstützt durch seine seichte Machart <strong>und</strong> <strong>dem</strong> uneingeschränkten Zugang<br />

konsumorientierte Haltungen. Es wird konsumiert <strong>und</strong> instrumentalisiert, dient<br />

immer mehr Menschen als bloßes Unterhaltungsmedium. Für Informationen<br />

(hier: Nachrichten <strong>und</strong> Wissen im engeren Sinne) sind zunehmend Zeitungen<br />

<strong>und</strong> Fachzeitschriften zuständig. Je oberflächlicher <strong>und</strong> banaler die<br />

Fernsehinhalte werden <strong>und</strong> je „billiger" die Machart, desto mehr schwindet die<br />

Ernsthaftigkeit <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit. Problematisch wird dieser Rückgang an<br />

Information nur für jene Menschen, die mangels Außenkontakten oder<br />

Fähigkeiten <strong>auf</strong> das Fernsehen als Informationslieferant angewiesen sind, z.B.<br />

für alte oder chronisch kranke Menschen, sowie für Menschen, die ihr gesamtes<br />

Wissen bisher nur aus <strong>dem</strong> Fernsehen bezogen haben.<br />

In den Vordergr<strong>und</strong> der Informationsbeschaffung treten heute andere<br />

elektronische Medien, die globale <strong>Vernetzung</strong> <strong>von</strong> Computern ermöglicht es <strong>dem</strong><br />

Einzelnen, jede nur gewünschte Information zu erhalten <strong>und</strong> abzugeben. Der<br />

Computer symbolisiert eher eine Symbiose der Bildkultur mit der Schriftkultur als<br />

deren Verdrängung, ermöglicht er doch unendlich viele schriftliche <strong>und</strong><br />

graphische Gestaltungsmöglichkeiten. <strong>Die</strong> Bedienung wird durch l<strong>auf</strong>ende<br />

Innovationen immer einfacher, dennoch benötigt jeder, der seinen Computer<br />

nicht nur zum Spielen nutzen möchte, Lese- <strong>und</strong> Schreibkenntnisse als<br />

„Basiskompetenzen" (vgl. HURRELMANN 1993, S.15ff).<br />

Man könnte auch sagen, daß durch die Entwicklung der elektronischen Medien<br />

ein Übermaß an „Wortgläubigkeit", Anhäufungen <strong>von</strong> abstraktem Buchwissen<br />

ergänzt, <strong>und</strong> korrigiert wurde um Bilder, die den Worten zur Seite <strong>und</strong><br />

gegenübergestellt wurden. <strong>Die</strong> Konkurrenz der Bilder <strong>und</strong> Worte um die<br />

Aufmerksamkeit <strong>und</strong> die Realitätsbildung des Menschen scheint eher fruchtbar<br />

als zerstörerisch (vgl. BONFADELLI 1995, S.229ff). Bilder sagen zwar „mehr als<br />

tausend Worte", regen aber dazu an, sie zu interpretieren <strong>und</strong> zu vergleichen,<br />

wenn sie massenweise <strong>auf</strong>treten. Und dies geschieht über Worte. Bilder werden<br />

zwar eher für wahr bef<strong>und</strong>en, ihnen billigt man, ungeachtet ihrer „Künstlichkeit"<br />

eher Authentizität zu. Sie lassen aber durchaus Interpretationsspielraum <strong>und</strong><br />

Platz für Phantasie. Sie liefern oft den Anfang einer Geschichte, den Aufhänger<br />

für einen Gedanken. Ein Bild wird <strong>von</strong> unterschiedlichen Menschen<br />

unterschiedlich gesehen. Es gibt neben den individuellen<br />

Bildbewertungskriterien, etwa momentane Entwicklungslage, persönliche<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> Präferenzen, Tagesform, auch gesellschaftlich <strong>und</strong> kulturell<br />

verbindende Kriterien. All diese Kriterien werden erlernt. Eine sinnvoll<br />

pädagogische Unterstützung des kindlichen Medienhandelns kann nicht<br />

geschehen, in<strong>dem</strong> man die elektronischen Bildmedien als Wurzel allen Übels<br />

verteufelt, sondern nur, in<strong>dem</strong> man sie als Bestandteil der alltäglichen objektiven<br />

Lernumwelt <strong>von</strong> Kindern begreift, ihnen den Umgang mit ihnen zeigt <strong>und</strong> sie<br />

eigene Erfahrungen damit machen läßt. In <strong>dem</strong> man zuläßt, daß Kinder sich<br />

Medien aneignen, <strong>und</strong> sie ihre spezifisch kindlichen Aneignungsformen<br />

entwickeln <strong>und</strong> anwenden läßt.


Der <strong>von</strong> POSTMAN beobachtete Trend zur „Homogenisierung der Altersstufen"<br />

(LINK 1990, S.73) ließe sich auch durch die strukturellen Veränderungen in<br />

unserer Gesellschaft erklären, die durch den „Individualisierungsschub" der<br />

Postmoderne die Menschen dazu zwingt, sich eine eigene Biographie zu<br />

schaffen <strong>und</strong> sich gesellschaftlich zu verorten. Altersnormen <strong>und</strong> klar definierte<br />

lebenslange Berufsrollen, wichtige Bestandteile <strong>von</strong> personaler Identität,<br />

verlieren an Bedeutung in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit. Lebenslange<br />

Flexibilität wird gefordert, die Zeit des Lernens <strong>und</strong> der Ausbildung beschränkt<br />

sich nicht mehr <strong>auf</strong> Kindheit <strong>und</strong> Jugend. Gleichzeitig erhöht sich die Bedeutung<br />

der sinnvollen Organisation <strong>von</strong> Freizeit. <strong>Die</strong> Grenzen zwischen den<br />

Altersgruppen verschwimmen <strong>und</strong> die eigenen Eltern liefern nicht mehr so ein<br />

klar umrissenes Bild da<strong>von</strong>, was „erwachsen sein" bedeutet. Kinder sind daher<br />

gezwungen, sich <strong>und</strong> ihre „Kindheit" zunehmend selbst zu definieren, in<strong>dem</strong> sie<br />

die Grenzen zu den Jugendlichen <strong>und</strong> Erwachsenen ziehen. Dazu nutzen sie die<br />

Angebote der sie umgebenden Konsum- <strong>und</strong> Medienwelt (s.u.). Und dies bringt<br />

zwangsläufig eine Konfrontation der Kinder mit gesellschaftliche Tabuthemen<br />

(wie Pornographie, Verbrechen, Krieg <strong>und</strong> Politik) mit sich, die Kinder ängstigen<br />

<strong>und</strong> überfordern kann. Hier besteht pädagogischer Handlungsbedarf, wird die<br />

Hilfe <strong>von</strong> Eltern <strong>und</strong> Erziehern benötigt, die <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> schmalen Grat zwischen<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Bevorm<strong>und</strong>ung balancierend, erklärend <strong>und</strong> diskutierend <strong>und</strong><br />

durchaus auch einmal reglementierend eingreifen. Es gibt einen schönen Satz<br />

<strong>von</strong> MARIA MONTESSORI: „Hilf mir, es selbst zu tun", der bedeutet, genau so<br />

viel Unterstützung wie nötig zu geben <strong>und</strong> vor allem, ein Vorbild zu sein. <strong>Die</strong>s gilt<br />

für den Umgang mit Medien <strong>und</strong> Konsumwaren ebenso, wie für Erziehung<br />

überhaupt.<br />

So läßt sich resümieren, daß derzeit noch nicht <strong>von</strong> einem Untergang der<br />

Schriftkultur gesprochen werden kann, auch das abendländisch bürgerliche<br />

Konstrukt „Kindheit" (vgl. ARIES 1984) ist noch nicht verschw<strong>und</strong>en. Er hat nur<br />

eine individuelle Ausprägung erfahren, anders als früher könnte man heute eher<br />

<strong>von</strong> Kindheiten sprechen, die <strong>auf</strong> einem breiten bürgerlichen Boden<br />

individualistische Blüten treiben. Aber auch der Begriff der Bürgerlichkeit hat sich<br />

verändert. Kindheit heute bedeutet mehr Emanzipation <strong>und</strong> Partizipation am<br />

gesellschaftlichen Leben, die Möglichkeit <strong>und</strong> den Zwang zur frühen individuellen<br />

Lebensgestaltung <strong>und</strong> manchmal Überforderung <strong>und</strong> die Qual der Wahl.<br />

1.3. Kinderwerbung im Medienverb<strong>und</strong> - Der Schulterschluß mit der<br />

Industrie<br />

<strong>Die</strong> ungefähr zwölf Millionen in Deutschland lebenden Kinder zwischen fünf <strong>und</strong><br />

siebzehn Jahren werden <strong>von</strong> der Industrie massiv umworben. Sie sind die<br />

„Skippies" - „School kids with income and purchasing power". Sie verfügen nach<br />

einer Berechnung <strong>von</strong> NEUMANN-BRAUN <strong>und</strong> ERICHSEN über persönliche<br />

Geldmittel, „... insgesamt über 5,6 Mrd. DM jährlich, die sich aus <strong>dem</strong><br />

Taschengeld <strong>von</strong> 400 Mio. DM, Geldgeschenken ...in Höhe <strong>von</strong> 1,6 Mio. DM,<br />

<strong>und</strong> einem Sparguthaben <strong>von</strong> 3,2 Mrd. DM zusammensetzt" (1995, S.27).<br />

Darüber hinaus bestimmen sie das Eink<strong>auf</strong>sverhalten der Familien entscheidend<br />

mit, wobei andere Untersuchungen diese Aussage deutlich relativieren. So<br />

dürfen Kinder <strong>und</strong> Jugendliche <strong>von</strong> 6-17 Jahren zu r<strong>und</strong> zwei Drittel zwar ihre


Kleidung selbst bestimmen <strong>und</strong> über den Eink<strong>auf</strong> <strong>von</strong> kindertypischen<br />

Lebensmitteln, wie Limonade (57%), Schokolade (53%) oder Cornflakes (46%)<br />

mitentscheiden, „...bei teuren Geräten aber, für den Haushalt, wie Video -<br />

Recordern, Fernsehgeräten, Radios oder Stereo - Anlagen sinkt der Einfluß <strong>auf</strong><br />

Prozentwerte zwischen 6 bis 7 Prozent ab" (NICKEL 1997, S.130). Trotz<strong>dem</strong><br />

sind Kinder die K<strong>und</strong>en <strong>von</strong> morgen. Für die Industrie fungieren schon kleine<br />

Kinder, die noch über wenig Taschengeld verfügen, als „Markendurchsetzer".<br />

Markenbewußtsein, der Glaube an die Überlegenheit einer Produktmarke <strong>und</strong><br />

deren Bevorzugung durch den K<strong>und</strong>en soll früh eingeübt werden, denn<br />

„...Markenbindung wird in höchstem Maße <strong>und</strong> mit enormer Haltbarkeit bis zum<br />

16. Lebensjahr gebildet" (EICKE, U. 1991, S.64). Neben der unmittelbaren<br />

Produktpräsentation, der Plazierung eines Produktes in Sicht- <strong>und</strong> Greifhöhe <strong>von</strong><br />

Kindern, <strong>und</strong> der Produktgestaltung nach warenästhetischen Gesichtspunkten<br />

sind Kinder zu Werbeadressaten der unterschiedlichsten Werbeformen<br />

geworden.<br />

Neben der konventionellen Spotwerbung in Radio <strong>und</strong> Fernsehen ist dies<br />

zunehmend „below the line" Werbung, insbesondere Product-Placement,<br />

Sponsoring <strong>und</strong> Merchandising.<br />

<strong>Die</strong> Nettoumsätze des Werbefernsehens betrugen 1993 knapp 6,2 Mrd. DM, der<br />

Anteil der Privatsender am Umsatzkuchen betrug 80%, während sich die<br />

öffentlich-rechtlichen Sender mit <strong>dem</strong> mageren Rest begnügen mußten. <strong>Die</strong><br />

Privatsender sind, da sie sich ausschließlich über Werbeeinnahmen finanzieren,<br />

sehr erfinderisch in der Plazierung der Werbung. Da werden Kindersendungen<br />

als Familiensendungen deklariert <strong>und</strong> Zeichentrickfilme zu 20 - Minuten -<br />

Einheiten zusammengefaßt, um mit dazwischen geschalteten Werbeblöcken das<br />

Verbot der Unterbrecherwerbung zu umgehen. <strong>Die</strong> gesendeten Spots orientieren<br />

sich am Programmumfeld, vor, während <strong>und</strong> nach Kindersendungen wird<br />

vermehrt für Kinderprodukte geworben (vgl. AUFENANGER u.a.1995, S.80ff).<br />

Neben der Spotwerbung, die durch ein Signet optisch <strong>und</strong> akustisch vom<br />

Programm abgehoben sein muß <strong>und</strong> dadurch auch für Kinder leicht als Werbung<br />

erkennbar ist, gewinnen vor allem versteckte Werbeformen zunehmend an<br />

Bedeutung.<br />

Das Product Placement, das Plazieren <strong>von</strong> Warenzeichen oder<br />

Markenprodukten in Spielfilmen <strong>und</strong> Unterhaltungssendungen, spielt trotz<br />

Schleichwerbungsverbot eine zunehmende Rolle. <strong>Die</strong>s gilt auch für<br />

Kinderprodukte, da Kinder sich ja bekanntlich nicht nur Kindersendungen<br />

ansehen, sondern sich besonders für Action-Serien sowie für die<br />

Familiensendungen <strong>und</strong> Soap Operas des Werberahmenprogramms am frühen<br />

Abend interessieren. Industrie <strong>und</strong> Handel übernehmen die Ausstattung der<br />

Fernsehfilme <strong>und</strong> Serien <strong>und</strong> versorgen die zahlreichen Quizsendungen mit<br />

Preisen. Ein Beispiel für die <strong>Vernetzung</strong> <strong>von</strong> Handelsinteressen <strong>und</strong><br />

Medienproduktion ist der Anfang 1996 erfolgte Einstieg der REWE - Gruppe mit<br />

einer 40-Prozent-Beteiligung bei <strong>dem</strong> Münchner Fernsehsender Pro Sieben.<br />

HANS REISCHL, der Chef <strong>von</strong> REWE antwortete in einem Interview mit <strong>dem</strong><br />

Nachrichtenmagazin Focus <strong>auf</strong> die Frage „wenn Pro Sieben - Serien künftig im<br />

Hotel Ihres Reiseveranstalters ITS spielen, benutzen die Darsteller dann auch<br />

REWE - Marken wie Erlenhof - Gemüse <strong>und</strong> Today - Shampoo?" mit <strong>dem</strong> Satz<br />

„so etwas ist sicher machbar, soweit es rechtlich zulässig ist. Umgekehrt könnten<br />

wir zusätzlich solche Produkte werblich betonen, die in einer Serie vorkommen"


(MÜLLER 1997, S.102).<br />

Das Eindringen der Werbung über die zunehmende <strong>Vernetzung</strong> <strong>von</strong> Industrie,<br />

Handel <strong>und</strong> Medien in die kindlichen Erfahrungs- <strong>und</strong> Erlebniswelten, geschieht<br />

heute hauptsächlich über Sponsoring, Eventmarketing <strong>und</strong> Merchandising.<br />

<strong>Die</strong> Sponsoring - Aktivitäten, die finanzielle Förderung <strong>von</strong> Personen,<br />

Ereignissen oder Organisationen, mit der Gegenleistung der Marken- oder<br />

Imagewerbung für den Sponsor, erstrecken sich vom Sponsoring großer<br />

Sportveranstaltungen <strong>und</strong> Sportler bis hin zur Förderung <strong>von</strong><br />

Kulturveranstaltungen <strong>und</strong> kulturellen Einrichtungen. „Sponsorengelder<br />

konzentrieren sich vor allem <strong>auf</strong> Spektakuläres, Bewährtes, Populäres <strong>und</strong><br />

Fernsehträchtiges, <strong>auf</strong> die finanziell zwar abgesicherten , aber zum Sparen<br />

gezwungenen großen Theater, Orchester <strong>und</strong> Museen" (EICKE, U. 1991,<br />

S.201). Bei Sportveranstaltungen fließt das meiste Geld in telegene, hohe<br />

Einschaltquoten erzielende Sportarten, wie Tennis, Fußball <strong>und</strong> Leichtathletik,<br />

deren Fernsehübertragungsrechte daher auch heiß umkämpft sind.<br />

Eventmarketing heißt das neue Zauberwort der Kinder- <strong>und</strong> Jugendwerbung.<br />

Hier werden eigene, <strong>auf</strong> bestimmte Marken abgestimmte Ereignisse in<br />

Zusammenarbeit <strong>von</strong> Medien, Familien- <strong>und</strong> Jugendverbänden <strong>und</strong> Handel<br />

organisiert, z.B. die Streetball - Aktionen <strong>von</strong> Adidas <strong>und</strong> Street Soccer <strong>von</strong><br />

Puma, des weiteren Straßen- <strong>und</strong> Musikfeste (neudeutsch „Street- Parades" <strong>und</strong><br />

„Raves") <strong>und</strong> Kinderfeste mit Hüpfburg <strong>und</strong> Gewinnspielen. Hier wie dort wird<br />

versucht, über „Fun"- Erlebnisse frühzeitig Markenbindung herzustellen <strong>und</strong><br />

Trends <strong>und</strong> Moden aus der „Szene" der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen möglichst<br />

schnell <strong>auf</strong>zugreifen <strong>und</strong> umzusetzen. Eventmarketing ist so erfolgreich, weil die<br />

Medien im Verb<strong>und</strong> an den Veranstaltungen partizipieren, so waren während der<br />

Streetball - Aktion 1992 „...52 Journalisten vor Ort. Über 130 Radio- Trailer, 35<br />

Hörfunkberichte, r<strong>und</strong> 20 TV-Berichte <strong>und</strong> zahlreiche Berichte in<br />

Tageszeitungen, Publikums- <strong>und</strong> Fachtiteln sorgten für Öffentlichkeit"<br />

(SCHÖMBS zit. n. VOLLBRECHT 1997, S.67).<br />

Der Klassiker, der eigentliche Vater <strong>von</strong> Eventmarketing <strong>und</strong> Merchandising ist<br />

der Walt Disney- Konzern. Er war der erste, der die beliebten Comicfiguren <strong>auf</strong><br />

andere Produkte druckte; bereits 1929 verk<strong>auf</strong>te er für 300 Dollar eine Lizenz an<br />

einen Hersteller <strong>von</strong> Kinderschreibtafeln. Heute liegen die Einnahmen durch die<br />

Vergabe <strong>von</strong> Nebenrechten bei 3,2 Milliarden Mark jährlich. 1994 wurde der<br />

Disney Film „König der Löwen" mit der Auszeichnung „Best Marketed Motion<br />

Picture 1994" bedacht, allein die Vermarktung der Nebenrechte brachten 1,5<br />

Milliarden Mark (vgl. MÜLLER 1997,.S.109). Walt Disney kann mit „Disneyland"<br />

bei Los Angeles <strong>und</strong> „Disneyworld" in Florida auch als Erfinder der künstlichen<br />

Erlebniswelten <strong>und</strong> Themenparks bezeichnet werden, die mit „Euro-Disney" bei<br />

Paris <strong>und</strong> „Tokyo Disney" in Japan nun auch in Europa <strong>und</strong> Asien Fuß gefaßt<br />

haben <strong>und</strong> derzeit eine Boombranche darstellen.<br />

Der Normalfall des Merchandising <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kindermedien- <strong>und</strong> Spielwarenmarkt<br />

ist die Vergabe <strong>von</strong> Urhebernebenrechten an Lizenznehmer zur Produktion <strong>von</strong><br />

Sek<strong>und</strong>ärprodukten unter <strong>dem</strong> Logo einer bekannten Figur aus Film oder<br />

Fernsehen. Besonders das Fernsehen, in neuerer Zeit auch das Kino, hat<br />

hierbei die Funktion eines Promoters übernommen. So wurden<br />

Kinderbuchklassiker, wie die Biene Maja, Heidi, oder der Pumuckl erst durch den


Erfolg der Fernsehserien im großen Stil vermarktungsfähig. <strong>Die</strong> ersten Lizenzen<br />

zur Sek<strong>und</strong>ärverwertung beliebter Kinderserien wurden an Tonträgerfirmen<br />

vergeben, die auditive Fassungen der Serien <strong>auf</strong> Kassetten zogen. <strong>Die</strong>se waren<br />

meist „Billigversionen" <strong>und</strong> entsprachen nicht den Qualitätsanforderungen<br />

<strong>auf</strong>wendiger Hörspielproduktionen, sondern verbanden die Tonspur der<br />

Fernsehserie mit einleitenden <strong>und</strong> verbindenden Erzählerkommentaren. <strong>Die</strong> sehr<br />

hohen Lizenzgebühren ließen nur große <strong>und</strong> finanzkräftige Tonträgerfirmen wie<br />

Ariola oder Europa partizipieren <strong>und</strong> mußten über eine kostengünstige<br />

Produktion wieder hereingeholt werden. Auf den Erfolg der Serie hin, wurde<br />

auch das Buch neu <strong>auf</strong>gelegt <strong>und</strong> das Layout mit den bekannten Trickfilmfiguren<br />

gestaltet. Es folgten die Comics <strong>und</strong> K<strong>auf</strong>videos zur Serie sowie<br />

Sek<strong>und</strong>ärprodukte wie Bettwäsche, Zahnputz - Sets, Teller <strong>und</strong> Gläser,<br />

Turnbeutel, Nachttischlampen, kurz nahezu alle Dinge des täglichen Bedarfs<br />

versehen mit der entsprechenden Fernsehfigur. Sogar <strong>auf</strong> Spülmittelflaschen<br />

waren Pumuckl - Abziehbildchen zu finden. Hinzu kamen noch zahlreiche<br />

Produkte der Spielzeugindustrie, Pumuckl - Spiele, Biene Maja - Malbücher mit<br />

Stiften <strong>und</strong> Heidi - Puppen (vgl. JENSEN/ROGGE 1980, S.26/27).<br />

Kernbereiche der Lizenzvergabe sind andere Medien: Verlage <strong>von</strong><br />

Kinderzeitschriften oder Comics, aber auch Buchverlage oder Tonträgerfirmen,<br />

sowie Spielwarenhersteller (vor allem Plüschtiere oder PVC - Figuren nebst<br />

Zubehör <strong>und</strong> Spiele werden in Lizenz gefertigt) <strong>und</strong> Nahrungsmittelproduzenten.<br />

So hat sich etwa der Nestle - Konzern die Verwertungsrechte an den<br />

Disneyfiguren bis zum Jahr 2002 gesichert, Mickey Mouse <strong>und</strong> Goofy finden sich<br />

<strong>auf</strong> Ceralien, Joghurts, Schokoladenriegeln <strong>und</strong> Tütensuppen. Ein wichtiger<br />

Marktbereich ist auch der Textilmarkt, besonders Wäsche <strong>und</strong> Kindermode<br />

sowie Sportswear wird in Lizenz produziert. C&A bringt jeweils zum Start eines<br />

Disney Filmes eine Kinderkollektion mit den entsprechenden Disneyfiguren<br />

heraus <strong>und</strong> betreibt selbst Imagewerbung für seine „Youth collection" durch die<br />

Produktion <strong>von</strong> Videoclips, deren Titelsongs nicht selten zu Hits werden.<br />

Daneben wirbt der Spielwarenhandel mit eigenen Kinderzeitschriften <strong>und</strong><br />

Broschüren des Spielwarenhandels für Kinderprodukte, die sich in der<br />

Aufmachung an Zeitschriften anlehnen <strong>und</strong> sich auch so nennen, beispielsweise<br />

orientiert sich das Layout des „Barbie Journal" (MATTEL Frühjahr/Sommer 1997)<br />

an klassischen Frauenzeitschriften mit den Themen Mode, Kosmetik, Kinder <strong>und</strong><br />

Wohnen. Auch Werbung für andere Produkte der Spielzeugindustrie <strong>und</strong> andere<br />

Medien findet sich in <strong>dem</strong> als Zeitschrift getarnten Werbeblättchen, eine<br />

Werbung für die Fernsehsender ProSieben (S.3) <strong>und</strong> den Kinderprogrammkanal<br />

Nickelodeon (S.38), sowie für die Monatszeitschrift Barbie (S.27).<br />

In den Sog der Dynamik <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Erlebnismarkt der Gegenwart, mit der Vielzahl<br />

ständig neuer, konkurrierender Moden <strong>und</strong> Stile, werden auch die<br />

Vermarktungstrategien des Merchandising hineingezogen. <strong>Die</strong> zunehmende<br />

<strong>Vernetzung</strong> <strong>und</strong> Konzentration der Anbieter <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Medienmarkt macht globale<br />

Werbekampagnen möglich. Heute sind bereits bevor ein Film überhaupt gedreht<br />

wird, manchmal sogar ehe das fertige Drehbuch geschrieben ist, alle<br />

Lizenzrechte vergeben. Kommt der Film dann ins Kino oder Fernsehen, wird er<br />

bereits Wochen vorher in allen Medien gleichzeitig beworben. Einer der ersten<br />

Filme, die mit multimedialem Einsatz angekündigt wurde <strong>und</strong> der alle<br />

Sek<strong>und</strong>ärprodukte schon bei Kinostart mitbrachte, war „Jurassic Park" <strong>von</strong><br />

Steven Spielberg. Bereits Monate vor <strong>dem</strong> Kinostart in Zeitschriften, Radio <strong>und</strong>


Fernsehen <strong>und</strong> Kino als der „Megafilm" angekündigt, standen pünktlich zum<br />

Start in allen Spielwarenabteilungen Dinosaurier nebst Zubehör in allen Größen<br />

im Regal, in den Kinos lagen T-Shirts <strong>und</strong> Baseballkappen aus <strong>und</strong> bei Mc-<br />

Donalds gab es ein Dinoquiz für den Computer.<br />

Auch „Trittbrettfahrer" nutzten das Dinofieber aus. Dinosaurierausstellungen<br />

reisten durch die Lande, Bücher über die Erdgeschichte wurden neu <strong>auf</strong>gelegt.<br />

<strong>Die</strong> Rechnung ging <strong>auf</strong>, „Jurassic Park" wurde zum erfolgreichsten Film aller<br />

Zeiten <strong>und</strong> vor allem die Medien - <strong>und</strong> Spielwarenindustrie verdiente kräftig mit.<br />

Heute geben sich die großen Werbekampagnen im Zusammenhang mit<br />

Kinofilmen schon die Klinke in die Hand, sie sind kürzer geworden <strong>und</strong> es<br />

existieren mehrere nebeneinander. Der große Erfolg ist damit aber nicht immer<br />

automatisch garantiert, so kalkulierte der Disney - Konzern 1995 mit <strong>dem</strong><br />

prognostizierten 20 prozentigen Umsatzplus für das Indianermärchen<br />

„Pocahontas", was durch den gleichzeitigen Kinostart <strong>von</strong> „Batman forever"<br />

vereitelt wurde. Denn während die Mädchen sich durchaus für den fliegenden<br />

Helden begeistern konnten, dachten die Jungen nicht im Traum daran, in so<br />

einen „Mädchenkitschfilm" zu gehen. <strong>Die</strong> „Pocahontas" Produkte blieben<br />

teilweise in den Regalen liegen <strong>und</strong> nur das Videorelease konnte das Geschäft<br />

noch einmal kurz ankurbeln. Für das hohe Risiko bei Filmlizenzen macht<br />

NIEMANN die frühzeitige Vergabe der Lizenzen, noch vor oder während der<br />

Dreharbeiten, <strong>und</strong> die sehr kurze Zeit für den Verk<strong>auf</strong> der Produkte, mit <strong>dem</strong><br />

Kinostart beginnend <strong>und</strong> <strong>dem</strong> K<strong>auf</strong>video ein paar Monate später endend,<br />

verantwortlich (NIEMANN 1997, S.90 f.).<br />

Unter <strong>dem</strong> immensen Konkurrenzdruck <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Medienmarkt entwickeln sich<br />

Globalisierungs- <strong>und</strong> Monopolisierungstendenzen. Der Markt wird zunehmend<br />

beherrscht <strong>von</strong> weltweit operierenden „Medien - Tycoons", Großkonzernen, die<br />

den Kuchen unter sich <strong>auf</strong>teilen <strong>und</strong> kleine Anbieter <strong>auf</strong>k<strong>auf</strong>en oder vom Markt<br />

drängen.<br />

Exkurs: <strong>Die</strong> Medienlandschaft in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland.<br />

Der Medienmarkt in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland erscheint <strong>dem</strong><br />

oberflächlichen Betrachter vielfältig <strong>und</strong> bunt. Meinungsvielfalt scheint durch<br />

Anbieter der verschiedensten politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Richtungen<br />

gegeben. <strong>Die</strong>ses Bild trügt. <strong>Die</strong> Verflechtungen über eine Vielzahl <strong>von</strong><br />

Tochterfirmen verschleiern die Realität der zunehmenden Konzentration <strong>und</strong><br />

Monopolisierung der Medienanbieter in Deutschland, die mit der Einführung des<br />

privaten R<strong>und</strong>funks in den achtziger Jahren in ein neues Stadium getreten ist.<br />

Das Geflecht aller am deutschen Medienmarkt beteiligten Unternehmen zu<br />

entwirren, würde an dieser Stelle zu weit führen, die zwei Medienmultis,<br />

Bertelsman AG <strong>und</strong> die Leo Kirch - Gruppe sollen aber kurz mit ihren wichtigsten<br />

Tochterfirmen <strong>und</strong> Einflußbereichen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Medienmarkt dargestellt werden.<br />

Der Riese unter den Medienanbietern ist die Bertelsmann AG mit r<strong>und</strong> 12,483<br />

Milliarden Mark Umsatzvolumen. Der allgemein bekannte Bertelsmann Buchclub<br />

mit den vierteljährlichen „Hauptvorschlagsbänden" hat die Buchlandschaft in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik nach <strong>dem</strong> Krieg entscheidend geprägt. Neben diesen<br />

Buchclubs, die Bertelsmann inzwischen auch nahezu weltweit, mit Ausnahme


der asiatischen Länder betreibt, gehören der Bertelsmann AG eine Reihe <strong>von</strong><br />

nationalen <strong>und</strong> internationalen Buch- <strong>und</strong> Zeitschriftenverlagen, darunter so<br />

renommierte Unternehmen wie der Bertelsmann - Lexikon - Verlag, Goldman,<br />

Siedler, Westdeutscher Verlag <strong>und</strong> die Bantam - Doubleday Bell Publishing<br />

Group, eine der bedeutendsten Verlagsgruppen der englischsprechenden Welt.<br />

Daneben hält Bertelsman 74,9 Prozent der Gruner & Jahr AG & Co.KG, neben<br />

<strong>dem</strong> Bauer - Konzern der größte der deutschen Zeitschriftenverlage, der mit<br />

„Stern, Brigitte <strong>und</strong> Eltern" bereits drei der umsatzstärksten deutschen<br />

Zeitschriften herausgibt.<br />

<strong>Die</strong> Zukunft gehört neben allgemeinen Publikumszeitschriften vor allem den<br />

„special - interest Zeitschriften", Zeitschriften mit klar umrissenen<br />

Zielgruppenprofil, etwa die Flut der Bau-, Handwerker- <strong>und</strong> Einrichtungs-<br />

Zeitschriften, oder die Unzahl an Computer - Magazinen, da sich damit gezielt<br />

Werbek<strong>und</strong>en an Land ziehen lassen. Über Gruner & Jahr ist Bertelsman auch<br />

an Zeitungsunternehmen wie an der Hamburger „Morgenpost", der „Sächsischen<br />

Zeitung" <strong>und</strong> der „Dresdner Morgenpost" beteiligt.<br />

Der Unternehmenszweig mit der größten Steigerungsrate ist derzeit der private<br />

R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> das Satellitenfernsehen. Einer der größten privaten<br />

Fernsehsender RTLplus gehört über die luxemburgische Gesellschaft Fratel<br />

(46,1 Prozent der Anteile) zur Bertelsman Gruppe. Weitere 38,9 Prozent der<br />

Anteile hält die UFA-Film- <strong>und</strong> Fernseh-GmbH, die wiederum zu 50 Prozent<br />

direkt Bertelsman gehört <strong>und</strong> zu 50 Prozent Gruner & Jahr. Mit den Fernseh-<br />

<strong>und</strong> Filmproduktionsfirmen Universum - Film, UFA - Filmproduktion <strong>und</strong> Stern -<br />

tv nimmt der Bertelsman Konzern über Eigenproduktionen <strong>und</strong> den Eink<strong>auf</strong> <strong>von</strong><br />

Übertragungsrechten, beispielsweise <strong>von</strong> großen Sportveranstaltungen, Einfluß<br />

<strong>auf</strong> die Fernsehlandschaft in Deutschland. Daneben hält die Bertelsman-Gruppe<br />

Anteile an weiteren Hörfunk- <strong>und</strong> Fernsehanbietern, beispielsweise 24% an<br />

Radio Hamburg, 18% an Antenne Bayern <strong>und</strong> 15% an Radio NRW GmbH.<br />

Der größte Konkurrent für die Bertelsman Gruppe, besonders <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

expandierenden Privatr<strong>und</strong>funkmarkt ist die des Filmgroßhändlers Leo Kirch. <strong>Die</strong><br />

Kirch-Gruppe ist direkt an SAT 1 beteiligt <strong>und</strong> hat indirekt über seinem Sohn<br />

Einfluß <strong>auf</strong> Pro Sieben. Daneben gehören ihm 50 % des Pay-TV Senders<br />

Premiere, die anderen 50% hält Bertelsman. Marktbestimmend ist Leo Kirch vor<br />

allem durch seine Rechte, Senderechte <strong>und</strong> Merchandising - Lizenzen an Serien<br />

<strong>und</strong> Spielfilmpaketen, so hat er die deutschen Rechte an „Batman forever", die<br />

er in einer Zeichentrickserie <strong>auf</strong> Pro Sieben sowie zahlreichen Videospielen <strong>und</strong><br />

Spielwaren nutzen kann. Kirch ist vor allem an internationalen Filmen beteiligt, er<br />

besitzt Rechte für über 150000 Spielfilme <strong>und</strong> ist über seine Firmen Taurus-Film<br />

GmbH & Co.KG <strong>und</strong> Beta-Film GmbH & Co.KG l<strong>auf</strong>end an Neuproduktionen<br />

beteiligt. Auf den Buchmarkt ist er 1989 mit <strong>dem</strong> K<strong>auf</strong> des Deutschen<br />

Bücherb<strong>und</strong>es vom Holtzenbrinck - Konzern eingestiegen. Bertelsman <strong>und</strong> Kirch<br />

teilen sich den deutschen Medienmarkt mit der Axel Springer AG, <strong>dem</strong> größten<br />

b<strong>und</strong>esdeutschen Zeitungsverlag mit 27 Prozent Marktanteil, <strong>dem</strong> Herausgeber<br />

<strong>von</strong> so unterschiedlichen Zeitungen wie „<strong>Die</strong> Welt" <strong>und</strong> „Bild". Springer hat<br />

Anteile an SAT 1 <strong>und</strong> an einer Vielzahl <strong>von</strong> lokalen Hörfunkanbietern. Ein<br />

weiterer Medienmulti <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Markt der Printmedien ist der Bauer - Konzern mit<br />

einem Marktanteil <strong>von</strong> 33 Prozent <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Zeitschriftenmarkt. Er bedient<br />

hauptsächlich den Bereich des „Druck- fast - food" (HUHN 1990, S.89) mit<br />

Zeitschriften wie „Quick" <strong>und</strong> diversen Fernseh - Zeitschriften, Comics <strong>und</strong>


Romanheftchen. Auch der Burda Verlag ist vor allem <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Zeitschriftenmarkt<br />

vertreten mit Boulevardzeitschriften wie „Bunte" <strong>und</strong> „Freizeit-Revue" <strong>und</strong> <strong>dem</strong><br />

Nachrichtenmagazin „Focus". Daneben ist das Unternehmen hauptsächlich in<br />

Süddeutschland an lokalen Radiosendern beteiligt <strong>und</strong> hält einen kleinen Anteil<br />

(2%) an RTLplus. <strong>Die</strong> R<strong>und</strong>e der großen deutschen Medienkonzerne schließt<br />

sich mit Holtzenbrinck, einem Tageszeitungsmulti, dessen Schwerpunkt auch <strong>auf</strong><br />

den Buchverlagen liegt. Holtzenbrinck verfügt über einen Anteil <strong>von</strong> 15 Prozent<br />

an SAT 1, ist über einige Firmen an Fernsehproduktionen beteiligt <strong>und</strong> hält<br />

Anteile an diversen lokalen Radiosendern.<br />

<strong>Die</strong>se sechs Medienmultis gestalten die Medienlandschaft in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland, sie sind die „Meinungsmacher", ihre wirtschaftlichen Interessen<br />

bestimmen unseren Kulturbetrieb entscheidend mit. Und sie hebeln auch im<br />

Schulterschluß mit großen Konzernen, wie Nestle, <strong>und</strong> Großbanken die<br />

gr<strong>und</strong>rechtlich geschützte Presse-<strong>und</strong> R<strong>und</strong>funkfreiheit, die eine <strong>dem</strong>okratisch<br />

pluralistische Informationsgarantie für alle Bürger sein soll, durch<br />

privatwirtschaftliches Gewinnmaximierungsinteresse teilweise aus. Inzwischen<br />

interessieren sich auch das Europäische Kartellamt <strong>und</strong> das B<strong>und</strong>eskartellamt<br />

für die Unternehmensstrategien der beiden Monopolisten Kirch AG <strong>und</strong><br />

Bertelsmann, die versuchen, ihre Pay-TV Sender DF1 <strong>und</strong> Premiere<br />

zusammenzulegen.<br />

Kleine Verlage oder Privatsender können in <strong>dem</strong> Kampf um die Urheber- oder<br />

Übertragungsrechte aus Kapitalmangel nicht mithalten <strong>und</strong> müssen sich große<br />

Partner suchen, um nicht unterzugehen. Und auch die öffentlich-rechtlichen<br />

Sendeanstalten richten das Profil ihres Programmes vermehrt an den<br />

kommerziellen Sendern aus, was bedeutet, mehr Unterhaltung, mehr<br />

„Infotainment", unterhaltsam dargebotene Information <strong>und</strong> vor allen Dingen mehr<br />

Werbung. Anspruchsvolle Spielfilme oder Eigenproduktionen kosten sehr viel<br />

Geld <strong>und</strong> dieses soll durch vermehrte Werbeeinnahmen in die Kassen fließen.<br />

Besonders das Product Placement <strong>und</strong> das Sponsoring sind auch für ARD <strong>und</strong><br />

ZDF nicht mehr ehrenrührig. Der „Banalisierung" des Programmprofils wird durch<br />

das Engagement an Spartenkanälen wie „arte", <strong>dem</strong> Kunstkanal, oder <strong>dem</strong><br />

Kinderkanal entgegengewirkt.<br />

Der Ausflug in die Welt der Medienkonzerne als Medienanbieter läßt verstehen,<br />

daß hinter Medienbotschaften <strong>und</strong> Angeboten handfeste wirtschaftliche<br />

Interessen stehen, die Kinder wie Erwachsene als K<strong>und</strong>en gewinnen <strong>und</strong> halten<br />

möchten.<br />

Der Einfluß <strong>auf</strong> das Mediennutzungsverhalten <strong>und</strong> Konsumverhalten kann im<br />

Medienverb<strong>und</strong> leichter erreicht werden, vor allem die Einflußmöglichkeiten der<br />

Werbung potenzieren sich, da verschiedene Medien scheinbar unabhängig<br />

<strong>von</strong>einander für ein Produkt votieren. <strong>Die</strong>s gilt im besonderen für Medien selbst.<br />

Anhand der im Medienverb<strong>und</strong> „gemachten" Bestseller <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Kinderbuchmarkt läßt sich an anderer Stelle gut die gegenseitige Werbung<br />

verschiedener Medien füreinander <strong>auf</strong>zeigen. Nach<strong>dem</strong> über direkte<br />

Werbeformen wie Wurfsendungen, Anzeigen oder Spotwerbung immer weniger<br />

K<strong>und</strong>en erreicht werden, sie haben sich im Umgang mit der Werbung eine<br />

gewisse Resistenz erarbeitet, müssen die Werbebotschaften immer raffinierter<br />

verpackt werden. <strong>Die</strong>s geschieht durch die Lifestyle Attitüden der Industrie,<br />

durch die Verbindung <strong>von</strong> Produkt <strong>und</strong> Erlebnis. Damit reagieren sie <strong>auf</strong>


menschliche Gr<strong>und</strong>bedürfnisse <strong>und</strong> Kinderträume, nach Abenteuer, nach <strong>dem</strong><br />

Eintauchen in eine andere Welt, <strong>dem</strong> Wunsch nach „Action" <strong>und</strong> „Fun". <strong>Die</strong><br />

Medien sind Mittler zwischen den Verk<strong>auf</strong>sinteressen der Industrie, die virtuelle<br />

Welten für Kinder entstehen lassen <strong>und</strong> sie als wirkliche verk<strong>auf</strong>en wollen <strong>und</strong><br />

den Träumen der Kinder <strong>auf</strong> der Suche nach Identifikation <strong>und</strong> Gemeinsamkeit.<br />

Das Urteil des Anderen, besonders der Gleichaltrigen ist sehr wichtig geworden,<br />

in einer Zeit, in der althergebrachte Familienstrukturen sich verändern, in denen<br />

die väterliche Autorität am Schwinden ist <strong>und</strong> die Unsicherheit der Mütter in<br />

Erziehungsfragen groß ist. Medienwelten liefern Identifikationsobjekte,<br />

Rollenvorbilder <strong>und</strong> Projektionsfiguren, die Kinder für ihre Entwicklung brauchen.<br />

Ohne den Medienverb<strong>und</strong> wären diese Welten nicht umfassend <strong>und</strong> alltäglich.<br />

<strong>Die</strong> Medienproduzenten erwecken die <strong>Kinderwelten</strong> erst zum Leben, sie setzen<br />

Moden <strong>und</strong> Trends, in<strong>dem</strong> sie Ideen der Werbek<strong>und</strong>en aus den verschiedenen<br />

Industriezweigen <strong>und</strong> gleichzeitig Impulse aus der realen Kinderwelt <strong>auf</strong>greifen<br />

<strong>und</strong> zu Spielzeugwelten <strong>und</strong> Lifestyle - Konzepten modellieren. <strong>Die</strong><br />

Zielgruppenprofilstudien <strong>und</strong> „Trend - Scouts" der Marktforschungsinstitute<br />

garantieren eine zielgruppengerechte Umsetzung der Werbeideen der Industrie<br />

in redaktioneller Gestaltung <strong>und</strong> entsprechen<strong>dem</strong> Layout. Medien, die am<br />

Zielgruppengeschmack vorbei gehen, werden nicht gek<strong>auf</strong>t <strong>und</strong> verschwinden in<br />

kürzester Zeit vom Markt.<br />

1.4 Zusammenfassung<br />

Das Erfassen der Welt beginnt für das Kind damit, daß es „...eine (Alltagswelt d.<br />

Verf.) übernimmt, in der Andere schon leben" (BERGER / LUCKMANN 1980,<br />

S.140), die Andere gestaltet haben. Es erfährt somit Gesellschaft zunächst als<br />

objektive Wirklichkeit, die es im L<strong>auf</strong>e seiner Sozialisation durch Internalisierung<br />

zu seiner subjektiven Wirklichkeit macht. „<strong>Die</strong> signifikanten Anderen, die ihm<br />

diese Welt vermitteln, modifizieren sie im Verl<strong>auf</strong> der Übermittlung", heißt es in<br />

der Theorie der Wissenssoziologie bei BERGER <strong>und</strong> LUCKMANN, <strong>und</strong> weiter,<br />

„Sie wählen je nach ihrem eigenen gesellschaftlichen Ort <strong>und</strong> ihren eigenen<br />

biographisch begründeten Empfindlichkeiten Aspekte aus"(ebd. S.141). <strong>Die</strong>s<br />

bedeutet, daß Kinder zunächst mit den Realitäten unserer <strong>auf</strong> Konsum <strong>und</strong><br />

Erlebnis ausgerichteten Industriegesellschaft <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen<br />

überquellenden Regalen in den Supermärkten <strong>und</strong> K<strong>auf</strong>häusern konfrontiert<br />

werden <strong>und</strong> daß sie in die alltäglichen Medienvielfalt hineingeboren werden. <strong>Die</strong><br />

teilweise sogar gleichzeitige Nutzung verschiedener Medien ist zur alltäglichen<br />

Routine geworden. Das Vordringen <strong>von</strong> Konsumwelt <strong>und</strong> Medienvielfalt in die<br />

Alltagswelt <strong>von</strong> Kindern bedeutet aber auch, daß sie den selbst bestimmten <strong>und</strong><br />

verantwortungsbewußten Umgang mit der Vielfalt lernen können <strong>und</strong> müssen,<br />

da sie sonst unzureichend sozialisiert sind. Bewahrpädagogische Haltungen <strong>und</strong><br />

eine unkritisch einseitige Ablehnung oder Ausblendung der<br />

Sozialisationsagenten Konsum <strong>und</strong> Medien in der Erziehung schaden der<br />

kindlichen Entwicklung. Entwicklung heißt, sich in seiner gegebenen Umwelt mit<br />

allen ihren Einflußfaktoren zurechtzufinden <strong>und</strong> erfolgreiche Handlungsschemata<br />

<strong>und</strong> Strategien für den alltäglichen Umgang mit ihr herauszubilden <strong>und</strong> somit <strong>auf</strong><br />

diese Umwelt zurückzuwirken.<br />

Der Einfluß, den Kinder <strong>auf</strong> das Produzentenverhalten, <strong>auf</strong> neue Moden <strong>und</strong><br />

Stile, haben darf nicht unterschätzt werden (s.u.). Oft entscheiden sie, über


eigene Medien miteinander verb<strong>und</strong>en, ob ein Spiel, eine Fernsehserie, eine<br />

Musikrichtung ein „Hit" wird oder ein „Flop". Trotz<strong>dem</strong> brauchen gerade Kinder<br />

bis zum Schulalter aktive Unterstützung <strong>von</strong> ihren Bezugspersonen <strong>und</strong> deren<br />

Vorbild im Umgang mit der bunten Warenwelt wie auch mit der Medienvielfalt.<br />

2. "Komm, wir finden einen Schatz!" - das Kinderbuch im Medienverb<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> der Lizenzwarenmarkt für Kinder<br />

Das Kinderbuch als Klassiker unter den Kindermedien geht in der neueren<br />

medienpädagogischen Diskussion um die elektronischen Medien zwischen<br />

Fernsehen, Videospielen <strong>und</strong> Cyberspace fast unter. Tauchen Kinderbücher<br />

dennoch als Gegenstand der pädagogischen Debatte <strong>auf</strong>, so entweder um den<br />

Gegensatz zwischen <strong>dem</strong> Einfluß des „guten Kinderbuches" <strong>und</strong> <strong>dem</strong><br />

„schlechten Fernsehen" herauszustellen (BETTELHEIM 1982, POSTMAN 1987),<br />

oder um Veränderungen in Lesesozialisation <strong>und</strong> Leseverhalten im „Multi-Media"<br />

Zeitalter zu untersuchen. Wer heute die zahlreichen Diskussionen um die<br />

Gefahren der elektronischen Medien für Kinder verfolgt, die teilweise in<br />

kulturpessimistischen Prognosen vom Untergang der Schriftkultur gipfeln <strong>und</strong> als<br />

Lösung das „gute Buch" empfehlen, übersieht leicht die Bandbreite der Kinder-<br />

<strong>und</strong> Jugendliteratur <strong>und</strong> deren unterschiedliche Qualität. Eine ähnlich<br />

kulturpessimistische Diskussion wurde auch zu Beginn der Ära der Buchkultur<br />

geführt <strong>und</strong> begleitete die Geschichte der Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur.<br />

2.1. „Das gute Buch" - Kinderbücher zwischen Mythos <strong>und</strong> Realität<br />

2.1.1. Von der Gefährlichkeit des Lesens - ein kurzer Ausflug in die<br />

Geschichte der Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur vom Mittelalter bis 1945<br />

2.1.1.1.<strong>Die</strong> ersten zwei Jahrh<strong>und</strong>erte, <strong>von</strong> Gutenberg bis Comenius<br />

Das Hervorbringen einer eigens für Kinder <strong>und</strong> Heranwachsende geschriebenen<br />

Literatur hängt eng mit den jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen <strong>von</strong><br />

Kindheit zusammen, die eine Epoche bestimmen. <strong>Die</strong> Erfindung der<br />

Druckerpresse durch den Mainzer Johann Gutenberg 1445 fiel in ein<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert des Wandels. <strong>Die</strong> Ausweitung des Handels, die Organisation der<br />

Handwerker in Zünften <strong>und</strong> als Folge das Erstarken der Städte, die sich<br />

<strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> ihres Reichtums die Unabhängigkeit <strong>von</strong> „den Herren der Burgen„,vom<br />

Adel erk<strong>auf</strong>ten, schuf ein Klima des Aufbruchs <strong>und</strong> der Forschung. In den<br />

Städten entstanden freie Universitäten. Durch den Buchdruck wurde die<br />

Herstellung <strong>und</strong> Verbreitung <strong>von</strong> Büchern über die Klosterschulen <strong>und</strong><br />

kirchlichen Bibliotheken hinaus möglich, wenngleich Bücher noch lange sehr<br />

teuer <strong>und</strong> damit für weite Teile der Bevölkerung unerschwinglich blieben, so<br />

wurden sie doch zum Symbol des <strong>auf</strong>kommenden Bürgertums, schufen eine<br />

neue Form <strong>von</strong> Öffentlichkeit <strong>und</strong> machten die Alphabetisierung des Volkes erst<br />

möglich.<br />

<strong>Die</strong> ersten gedruckten „Donate", lateinische Schulgrammatiken, entstanden um<br />

1460, ebenso das „Catholikon", ein lateinisches Lexikon des gesamten<br />

damaligen Wissens.


Kinder <strong>und</strong> Jugendliteratur im heutigen Sinne gab es bis zur Aufklärung kaum.<br />

Allenfalls Benimm - Büchlein für den jugendlichen Adeligen, mit Hinweisen <strong>auf</strong><br />

jugendgeeignete Literatur, etwa „Was die Jugend hören <strong>und</strong> lesen soll" <strong>von</strong><br />

THOMASIN VON ZERCLAERE (1215). Eigens an Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />

gerichtete Literatur diente ausschließlich der religiösen Erziehung sowie der<br />

Unterweisung in sittlichem Verhalten. So zum Beispiel „der große Seelentrost"<br />

mit Geschichten zu den zehn Geboten <strong>und</strong> die Tierfabeln „Reynke de Vos" zum<br />

richtigen Sozialverhalten, <strong>und</strong> der „Kleine Katechismus" <strong>von</strong> LUTHER. Sinn<br />

dieser Art <strong>von</strong> Literatur war die möglichst frühe <strong>und</strong> widerspruchslose<br />

Einordnung in die Erwachsenenwelt <strong>und</strong> das religiöse Leben. Kinder waren<br />

„kleine Erwachsene", sie wuchsen wie selbstverständlich mit der großen Familie,<br />

zu der auch das Gesinde gehörte, <strong>auf</strong> <strong>und</strong> wurden nicht bevorzugt behandelt. Im<br />

Gegenteil, dar<strong>auf</strong> verweist STONE, <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> der hohen Kindersterblichkeit wäre<br />

allzuviel Kinderliebe <strong>und</strong> Fürsorge „...Anlaß zu schierem Wahnsinn gewesen..."<br />

(STONE zit. n. V.HENTIG 1984, S.15). Kindern oder Jugendlichen <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> ihrer<br />

noch andauernden Entwicklung eigene Freiräume <strong>und</strong> besondere Bedürfnisse<br />

zuzugestehen, da<strong>von</strong> war man zu dieser Zeit weit entfernt.<br />

Erst am Ende der Barockzeit um die Mitte des 17.Jahrh<strong>und</strong>erts lassen sich die<br />

Anfänge <strong>von</strong> an der kindlichen Auffassungsgabe orientierten Kinder(lehr)büchern<br />

finden, etwa der „Orbis pictus" <strong>von</strong> COMENIUS, eine Art Kinderlexikon mit<br />

Bildern, welches das didaktische Prinzip der Anschaulichkeit zeitlich vor das der<br />

Abstraktion stellt, „Sodann würde diese Schule ein wahrhafftiger Schauplatz der<br />

sichtbaren Welt /<strong>und</strong> der Verstand-Schulen Vorbild seyn" (COMENIUS zit. n.<br />

BAUMGÄRTNER /PLETICHA 1985 Bd.1. S.98).<br />

2.1.1.2. Von den Philantropen bis zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Mit der Aufklärung im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert entstand eine neue Vorstellung <strong>von</strong><br />

Kindheit, als Phase des Lernens für ein späteres Leben in Selbstverantwortung<br />

<strong>und</strong> bürgerlicher Freiheit. Das zunächst unmündige Kind bedurfte danach des<br />

Schutzes <strong>und</strong> der Erziehung zum „menschlichen Verhalten", zum vernünftig<br />

denkenden <strong>und</strong> nach den Maximen des Kant’schen Imperativs handelnden<br />

Erwachsenen. Neben die moralisierenden Sittenbücher, Fabeln <strong>und</strong> kirchlichen<br />

Lieder- <strong>und</strong> Geschichtenbücher traten, den Realien in den Schulen<br />

entsprechend, vor allem Sachbücher; etwa das „Elementarwerk" <strong>von</strong> BASEDOW<br />

mit 100 Kupferstichen neben <strong>dem</strong> „Bilderbuch für Kinder", <strong>von</strong> BERTUCH 1792<br />

herausgegeben, der umfangreichste <strong>und</strong> bedeutendste Bilder - Almanach für<br />

Kinder. Auch die „Kinderbibliothek" CAMPEs, ein zwölfbändiges Kinderlexikon,<br />

dessen Bände <strong>auf</strong>einander <strong>auf</strong>bauen <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Alter entsprechend gestaltet sind<br />

entstand in dieser Zeit. CAMPE betätigte sich auch sehr erfolgreich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Gebiet der gerade erst entstehenden „Unterhaltungsliteratur" für Kinder. Sein<br />

„Robinson der Jüngere", eine philantropisch bearbeitete Nacherzählung <strong>von</strong><br />

DEFOEs „Robinson Crusoe" machte diesen in Deutschland erst bekannt. Ein<br />

weiterer „Import" der Romanliteratur war der „Telemach" des französischen<br />

Bischofs FENELON, ein abenteuerlich verpackter Erziehungsroman. <strong>Die</strong><br />

Kinderliteratur der Aufklärung sollte trotz<strong>dem</strong> in erster Linie <strong>dem</strong> Lernen <strong>und</strong> der<br />

moralischen Erziehung dienen, nicht <strong>dem</strong> Vergnügen <strong>und</strong> der Unterhaltung. So<br />

stellen die damals beliebte Literaturformen der Beispielgeschichte <strong>und</strong> die der


Fabeln für Kinder, nach DODERER eine „säkularisierte Form des Gleichnisses"<br />

dar (DODERER 1992, S.89 f.), die auch heute noch, nicht nur in der<br />

Kinderliteratur, der Aufklärung <strong>und</strong> Erziehung dient. <strong>Die</strong> ersten<br />

Kinderzeitschriften, ADELUNG’s „Leibziger Wochenblatt für Kinder"(1772-74)<br />

<strong>und</strong> dessen Nachfolger, der „Kinderfre<strong>und</strong>" <strong>von</strong> WEISS, erschienen. Eher eine<br />

poetische Note hatten die Dorfgeschichten des „Kinderfre<strong>und</strong>" <strong>von</strong> V.ROCHOW,<br />

da sie das Leben <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Land romantisierten <strong>und</strong> nicht zuletzt auch deshalb,<br />

weil sie die Landkinder, als eigentliche Adressaten, kaum erreichten. Auf die<br />

standesspezifische Einseitigkeit der Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur, auch nach der<br />

Aufklärung bis zum Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts mit den großen Bismarck’schen<br />

Sozialreformen <strong>und</strong> der „Volksbildungsbewegung", verweist der zeitgenössischer<br />

Kritiker WOLFGANG MENZEL: „Man ließ den Bauernbuben in seinem Schmutze<br />

<strong>und</strong> in seiner Dummheit, wenn nur die lieben Stadtsöhnchen <strong>und</strong> gar die kleinen<br />

Jünckerlein <strong>und</strong> Gräflein <strong>von</strong> jener Rousseauschen Humantät kosteten"<br />

(MENZEL zit. n. Baumgärtner/Pleticha 1985, Bd1, S.355). <strong>Die</strong> mit <strong>auf</strong>wendigen<br />

Kupferstichen versehenen <strong>und</strong> handkolorierten- <strong>und</strong> gedruckten Sachbücher für<br />

Kinder waren nur für Eltern mit hohem Einkommen oder Vermögen<br />

erschwinglich. <strong>Die</strong> Analphabetenquote lag zu Beginn des 19.Jahrh<strong>und</strong>erts noch<br />

bei geschätzten 50 Prozent, <strong>und</strong> doch begann um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende eine<br />

„Demokratisierung des Lesens". Erste Leihbibliotheken entstanden,<br />

„Lesegesellschaften" <strong>und</strong> „Aufklärungsgesellschaften" für Arbeiter <strong>und</strong> Bauern im<br />

Rahmen der Sozialreformbewegung in der zweiten Hälfte des Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Auch <strong>auf</strong> einen anderen Aspekt verweist MENZEL, <strong>auf</strong> die zunehmende<br />

Kommerzialisierung <strong>und</strong> Verlegung <strong>von</strong> Unterhaltungsliteratur des sich<br />

entwickelnden Buchhandels. „Um die Weihnachtszeit wimmelt es in den Läden<br />

der Buchhändler <strong>von</strong> Eltern <strong>und</strong> Kinderfre<strong>und</strong>en, die alle die brillianten<br />

Sächelchen <strong>auf</strong>k<strong>auf</strong>en, welche die neue Messe (die Herbstmesse in Leibzig,<br />

<strong>dem</strong> damaligen deutschen Buchhandelszentrum; d.Verf.) geliefert."(MENZEL<br />

ebd. S. 357). <strong>Die</strong> Ausweitung des Sortimentbuchhandels <strong>und</strong> damit die<br />

Kommerzialisierung des Buchhandels wurde erst mit der Entwicklung <strong>von</strong><br />

Lithographie (seit 1797), Schnellpresse (um 1819) <strong>und</strong> Stereotypie (um 1820)<br />

möglich, die Massendrucke <strong>und</strong> Nachdrucke in beliebiger Auflagenhöhe<br />

erlaubten. <strong>Die</strong> Langsiebmaschine (ab 1799) ersetzte das Schöpfen <strong>von</strong> Hand in<br />

der Papierherstellung. Das Zeitalter der industriellen Herstellung <strong>von</strong> Büchern,<br />

Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften zu erschwinglichen Preisen war angebrochen.<br />

<strong>Die</strong> Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert verfügte bereits über ein<br />

breites Angebotsspektrum. Neben Schul- <strong>und</strong> Sachbüchern erweiterte sich vor<br />

allem der Bereich der Unterhaltungsliteratur, Romane, Gedicht- <strong>und</strong><br />

Liederbücher, Märchen <strong>und</strong> Volkserzählungen, freilich noch immer mit moralisch<br />

mahnen<strong>dem</strong> <strong>und</strong> erzieherischem Unterton. <strong>Die</strong> bekannten „Kinder- <strong>und</strong><br />

Hausmärchen"(1812) der BRÜDER GRIMM <strong>und</strong> die Märchen <strong>von</strong> HAUFF <strong>und</strong><br />

ANDERSON, sowie die Märchensammlung <strong>von</strong> BECHSTEIN fanden Eingang in<br />

die bürgerlichen Wohn- <strong>und</strong> Kinderstuben. <strong>Die</strong> Aufklärungsliteratur bekam einen<br />

romantischen Beigeschmack. <strong>Die</strong> Sachlichkeit der beschreibenden Geschichts-<br />

<strong>und</strong> Naturbücher wich den romantischen Erzählungen, etwa in den<br />

Abenteuerromanen <strong>von</strong> KARL MAY <strong>und</strong> den Heldensagen <strong>von</strong> BECHSTEIN.<br />

Der romantische Jugendroman entstand, etwa „Rosa <strong>von</strong> Tannenburg" <strong>von</strong><br />

V.SCHMID, „... eine eigenartige Mischung aus philantropinem Gedankengut <strong>und</strong><br />

romantischen Motiven..."(Baumgärtner/Pleticha 1982, Bd.1, S.271). <strong>Die</strong>


Romantik als Gegenausschlag des Pendels der „reinen Vernunft" der Aufklärung<br />

brachte eine Mythologisierung der Kindheit mit sich, „...die Erhebung des Kindes<br />

in den Königsstand, während in der anderen Position (d.h.. die der Aufklärung d.<br />

Verf.) die Degradierung der Kinder in den Stand der Abhängigen vorlag"<br />

(DODERER 1992, S.91). <strong>Die</strong> gesellschaftlichen Entwicklungen des letzten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts unterstützten die neue „Innerlichkeit" <strong>und</strong> den Rückzug in das<br />

Aufgehobensein der bürgerlichen Familie mit der sorgenden <strong>und</strong> nährenden<br />

Mutter <strong>und</strong> <strong>dem</strong> strengen, aber gerechten „pater familias". <strong>Die</strong> Abgrenzung des<br />

Bürgertums nach unten, gegenüber <strong>dem</strong> „vierten Stand", <strong>dem</strong> anschwellenden<br />

Proletariat, der immer nachdrücklicher <strong>und</strong> gewalttätiger seine Rechte<br />

einforderte, zeigte sich exemplarisch in <strong>dem</strong> in Kunst <strong>und</strong> Kultur beschworenen<br />

Idyll der gegen alle Unbill <strong>von</strong> außen gefeiten bürgerlichen Welt des<br />

Biedermeier. Es war die Zeit der Märchen <strong>und</strong> Volkssagen. Von ANDERSON<br />

über MÖRIKE bis hin zu STORM, versuchten sich Schriftsteller an Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendliteratur <strong>und</strong> gaben ihr eine eigene poetische Note, die sich <strong>von</strong> den<br />

Erziehungsromanen <strong>und</strong> Sittenbüchlein der Pädagogen <strong>und</strong> Theologen des<br />

Philantropismus abheben. Beide Sichtweisen <strong>von</strong> Kindheit, die <strong>auf</strong>klärerische<br />

<strong>und</strong> die romantische als Antipoden haben die Kinder-<strong>und</strong> Jugendliteratur<br />

entscheidend beeinflußt <strong>und</strong> tun dies noch heute.<br />

Erst der kritische Rationalismus der 70er Jahre unseres Jahrh<strong>und</strong>erts (s.u.)<br />

verlegte sich stärker <strong>auf</strong> die Darstellung der real existierende Lebenswelt der<br />

Kinder mit ihren Problemen <strong>und</strong> schuf trotz<strong>dem</strong> neue Utopien des Kindes als<br />

Weltverbesserer <strong>und</strong> Überwinder der Verhältnisse.<br />

Gegen Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts gipfelte die Unzufriedenheit mit den<br />

gesellschaftlichen Verhältnissen in einer umfassenden Kulturkritik (vgl. SCHEIBE<br />

1994, 10.Aufl., S.5-50). Der Ausweg aus der Kopflastigkeit <strong>und</strong> Einseitigkeit der<br />

Bildung sollte eine Abkehr <strong>von</strong> den wissenschaftlich <strong>auf</strong>klärerischen<br />

Bildungsidealen sein, eine Hinwendung an den Ursprung, die Natur <strong>und</strong> das<br />

Volk, an das Kind <strong>und</strong> die Jugend <strong>und</strong> damit an eine neue Zukunft.<br />

2.1.1.3. Von der Jahrh<strong>und</strong>ertwende bis 1945<br />

<strong>Die</strong> her<strong>auf</strong>dämmernde Jugendbewegung, die viele der späteren<br />

Reformpädagogen (etwa GEHEEB, LIETZ, OTTO) hervorbrachte, läutete das<br />

„Jahrh<strong>und</strong>ert des Kindes" ein <strong>und</strong> war sich in der Ablehnung des belehrenden<br />

Kinderbuches <strong>und</strong> der einseitig kopfbetonten Bildung des Bildungsbürgertums<br />

einig. <strong>Die</strong> Hinwendung zum Kind brachte auch eine umfassende Buch- <strong>und</strong><br />

Literaturkritikmit sich, die Pädagogen <strong>und</strong> Autoren zum Nachdenken zwang, <strong>und</strong><br />

neben der national - völkischen <strong>und</strong> der neoromantischen „Blümchenlektüre"(d.<br />

Verf.) auch eine realistischere Darstellung <strong>von</strong> Kindheit in der Literatur<br />

ermöglichte. So entstand in dieser Zeit beispielsweise die<br />

„...Umweltgeschichte..., die Verhältnisse <strong>und</strong> Ereignisse aus der unmittelbaren<br />

Lebenswirklichkeit des Kindes behandelt, um ihm zu einer besseren Bewältigung<br />

der eigenen Probleme zu helfen" (BAUMGÄRTNER/PLETICHA 1985, Bd.2,<br />

S.236 f.)<br />

Das Kindergedicht erfuhr durch Autoren, wie MORGENSTERN <strong>und</strong><br />

RINGELNATZ eine Erneuerung. <strong>Die</strong> Gedichte <strong>und</strong> Erzählungen entstammten


zunehmend der Feder <strong>von</strong> Schriftstellern für Erwachsene, was eine deutliche<br />

Ästhetisierung <strong>und</strong> literarische Qualitätssteigerung mit sich brachte. Autoren wie<br />

KÄSTNER, STEUBEN, BONSELS <strong>und</strong> RICHARD DEHMEL, um nur einige zu<br />

nennen, schufen anspruchsvolle <strong>und</strong> doch kindgerechte Jugendliteratur. Mit <strong>dem</strong><br />

unverarbeiteten Trauma des verlorenen Krieges <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Erleben des<br />

Massenelends der Weimarer Republik machte sich die Polarisierung zwischen<br />

links <strong>und</strong> rechts in der Bevölkerung auch in der Jugendliteratur bemerkbar. <strong>Die</strong><br />

Auseinandersetzung mit der harten, oft grausamen Alltagsrealität <strong>von</strong> Kindern in<br />

der Literatur fand mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ein<br />

abruptes Ende. Kommunistische Autoren, wie das Ehepaar TETZNER /KLÄBER<br />

verarbeiteten ihre Erlebnisse mit Weimarer Republik <strong>und</strong> Nationalsozialismus<br />

erst zu Beginn der vierziger Jahre im Exil, während die völkisch - nationale<br />

Gesinnungsliteratur, wie etwa der „Hitlerjunge Quex" <strong>von</strong> SCHENZINGER oder<br />

die kriegsverherrlichenden Abenteuerbücher <strong>von</strong> WALTER HEICHEN neu<br />

<strong>auf</strong>gelegt <strong>und</strong> zur Pflichtlektüre erklärt wurden. LISA TETZNER hat in den neun<br />

Bänden ihrer „Kinder - Odyssee" Kinderschicksale durch Nationalsozialismus<br />

<strong>und</strong> Krieg bis in die Nachkriegszeit beispielhaft nachgezeichnet <strong>und</strong> daraus auch<br />

den Auftrag für die Jugendliteratur der Nachkriegszeit formuliert, aus der<br />

Vergangenheit zu lernen <strong>und</strong> die Hoffnung <strong>auf</strong> die Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen um<br />

„...<strong>auf</strong> den Ruinen einer zerstörten Welt durch Taten eine neue <strong>und</strong> glücklichere<br />

<strong>auf</strong>zubauen."(TETZNER zit. n. BAUMGÄRTNER/PLETICHA 1985, Bd.2, S.239).<br />

2.1.2. Das Kinderbuch der Gegenwart - kulturelle <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Aspekte der Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Das Kinderbuch heute ist nur ein Medium unter vielen <strong>und</strong> diese Konkurrenz<br />

verschiedener Medien untereinander bleibt immer im Blick bei einer genaueren<br />

Betrachtung des Buchangebots, des Leseverhaltens, der Lesesozialisation. Das<br />

Kinderbuch, ungeachtet seiner literarischen Qualität, erfährt im Vergleich mit den<br />

neueren, elektronischen Medien leicht eine unreflektierte Höherbewertung .<br />

<strong>Die</strong>se verkennt sowohl die realen Angebote an Kinderliteratur <strong>und</strong> die<br />

ökonomische Struktur des Buchmarktes als Teil des Medienverb<strong>und</strong>marktes, als<br />

auch die Interessen <strong>und</strong> Präferenzen der im Umgang mit der multimedialen<br />

Alltagswelt versierten Käufer <strong>und</strong> Leser. So hauchen Bild- <strong>und</strong> Tonmedien den<br />

Buchgestalten <strong>und</strong> -helden Leben ein. Kinderbuchklassiker wie die „Biene Maja"<br />

oder „Ronja Räubertochter", „das doppelte Lottchen" oder die „Schweizer<br />

Familie Robinson" erfuhren erst durch ihre Verfilmung eine Neuentdeckung <strong>und</strong><br />

umfassende Popularität. <strong>Die</strong> verschiedenen Medien befruchten sich gegenseitig,<br />

geben sich Stoff zur Bearbeitung <strong>und</strong> Neuinszenierung. Kindermedien als Teil<br />

der Kinderkultur ermöglichen zunächst einmal alle „ästhetische Erfahrung" <strong>und</strong><br />

eine einseitig nur <strong>auf</strong> Literaturrezeption verengte Sichtweise im pädagogischen<br />

Alltag wie in der Forschung gleicht einem „Hörausfall" oder „Sehausfall", einem<br />

Sinnesverlust. So fordert DODERER „...müssen die Bereiche Kindertheater,<br />

Kinderfilm, Kinderfernsehen, (ergänzend die Kindertonmedien <strong>und</strong> Comics; d.<br />

Verf.), ...in die Reflexionen über unsere literarische Jugendkultur einbezogen<br />

werden. ..."(DODERER 1992, S.39).<br />

Kinderliteratur entsteht wie Erwachsenenliteratur auch aus gesellschaftlich<br />

relevanten Themen <strong>und</strong> spiegelt in ihrer Vielfalt <strong>und</strong> Vielschichtigkeit die<br />

Gesamtheit gesellschaftlichen Kulturgutes wider: das Interesse an trivialer <strong>und</strong>


literarisch hochwertiger Unterhaltung ebenso wie die Wißbegierde <strong>und</strong> Suche<br />

nach Information, die Träume <strong>von</strong> einer besseren Welt ebenso wie die<br />

Auseinandersetzung mit realen Problemen der umgebenden Kultur <strong>und</strong> des<br />

Heranwachsens in ihr.<br />

Kinderliteratur wird <strong>von</strong> Erwachsenen für Kinder geschrieben <strong>und</strong> kann daher<br />

immer nur Kindheit schildern, wie sie sich in den Köpfen der Autoren, <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong><br />

ihrer eigenen Kindheitserfahrungen <strong>und</strong> <strong>dem</strong> alltäglichen Erleben <strong>von</strong> Kindern,<br />

spiegelt, in Reflexion mit Realität <strong>und</strong> gesellschaftlichen Vorstellungen <strong>von</strong><br />

Kindheit. Auf das Unterrepräsentiertsein <strong>von</strong> Arbeitern <strong>und</strong> unteren<br />

Berufsgruppen unter den Kinderbuchautoren verweist DAHRENDORF (1980).<br />

Danach treten besonders Personen mit Hochschulstudium, in erster Linie<br />

Pädagogen (z.B. GUGGENMOS, BICHSEL, KRÜSS, PREUSSLER, WÖLFEL,<br />

BOIE), Journalisten <strong>und</strong> Autoren aus <strong>dem</strong> Buchhandel wie HÄRTLING oder<br />

LÜTGEN neben „Theaterleuten" als Autoren in Erscheinung. „Hinzu kommen",<br />

so DAHRENDORF, „... die vielen Laien - <strong>und</strong> Sonntagsschriftsteller, die sich das<br />

Schreiben eines Kinder- oder Jugendbuches noch am ehesten zutrauen"<br />

(DAHRENDORF 1980, S. 153).<br />

Als Käufer <strong>von</strong> Kinderbüchern treten dann hauptsächlich Erwachsene <strong>auf</strong>, die<br />

das „gute Buch" fürs Kind suchen, d.h. sie orientieren sich weniger an den<br />

Wünschen des Kindes, etwa an spannenden Abenteuergeschichten, „5 Fre<strong>und</strong>e"<br />

oder „TKKG", als an ihren eigenen Vorstellung vom „kindgemäßen Buch" mit<br />

pädagogischem, seltener literarischem Anspruch. Sie erliegen dabei nicht selten<br />

der Versuchung, die verlorengegangene Kindheit in einem Mythos <strong>von</strong> Kindheit<br />

zu suchen ,"...vergangenes Leben wird mit Patina überzogen" (DODERER 1992,<br />

S.78). <strong>Die</strong> tatsächlich erlebte oder im Alltag gesehene Kindheit wird romantisiert<br />

<strong>und</strong> weicht so einer kitschigen Utopie <strong>von</strong> Kindheit. <strong>Die</strong> Suche nach den ewigen<br />

Werten, nach, Liebe <strong>und</strong> Geborgenheit, läßt eine harmlos, fröhliche<br />

Kinderbuchwelt entstehen, die mit der erlebten Realität <strong>von</strong> Kindern wenig zu tun<br />

hat.<br />

2.1.2.1. Der neue Realismus in der Kinderliteratur<br />

Erst seit den 70er Jahren, in der Folge <strong>von</strong> Bildungsreform <strong>und</strong> „Kritischer<br />

Theorie", formte sich organisierter Widerstand <strong>von</strong> jungen Eltern <strong>und</strong> Autoren<br />

gegen „...Literatur für Kinder, die in ihrer Verlogenheit kränkend ist. <strong>Die</strong> Welt wird<br />

verschönt, verkleinert, bekommt Wohnstubengröße. In ihr geschieht nichts<br />

Unzuträgliches <strong>und</strong> wenn, dann springt immer ein Held aus der Ecke, das Kind<br />

zu schützen. Man kann Kinder nicht schützen. So nicht...<strong>Die</strong> Literatur der Kinder<br />

ist auch die Wirklichkeit der Kinder" (HÄRTLING zit. n. DODERER 1992, S. 122).<br />

Junge Autoren wie NÖSTLINGER, HÄRTLING, WÖLFEL forderten genaue<br />

Milieubeschreibungen <strong>und</strong> die Suche nach der Wahrheit in der Wirklichkeit<br />

gegen den schönen Schein zu setzen. Geschichten aus <strong>dem</strong> Alltag der Kinder<br />

erzählen, wie sie geschehen <strong>und</strong> keine vorschnellen Lösungen für Probleme<br />

anbieten. Erzählungen <strong>und</strong> Kurzgeschichten zu schreiben als Denkanstöße für<br />

Diskussionen. Der realistische Erzählstil fordert eine gewisse Nüchternheit <strong>und</strong><br />

orientiert sich an der schnörkellosen kindlichen Alltagssprache.<br />

Gesellschaftliche Probleme <strong>und</strong> Realitäten werden thematisiert <strong>und</strong> erreichen


auch die Auswahllisten des Deutschen Jugendliteraturpreises.<br />

Massenarbeitslosigkeit <strong>und</strong> Überforderung im Berufsleben, Auflösung<br />

traditioneller Familienstrukturen („Papa wohnt jetzt in der Heinrichstraße" <strong>von</strong><br />

NELE MAAR 1988) <strong>und</strong> Zunahme <strong>und</strong> Überforderung <strong>von</strong> Alleinerziehenden<br />

(„Nella Propella" <strong>von</strong> KIRSTEN BOIE 1994) werden ebenso thematisiert wie<br />

Integrationsprobleme <strong>von</strong> Ausländerkindern <strong>und</strong> Fremdenfeindlichkeit („Selim<br />

<strong>und</strong> Susanne" <strong>von</strong> URSULA KIRCHBERG 1978) <strong>und</strong> der Umgang mit<br />

behinderten Mitmenschen („Vorstadtkrokodile" <strong>von</strong> MAX V.D. GRÜN 1976).Auch<br />

die tabuisierten Themen Krankheit <strong>und</strong> Tod („Servus Opa, sagte ich leise" <strong>von</strong><br />

ELFIE DONELLY 1977) finden Eingang in die Kinderbücher.<br />

Der kritische Realismus in der Kinderliteratur ab den 70er Jahren steht in der<br />

Tradition der sozialkritischen <strong>und</strong> kommunistischen Literatur (s.o.),<br />

beispielsweise <strong>von</strong> „<strong>Die</strong> rote Zora <strong>und</strong> ihre Bande"(1941) oder „Guiseppe <strong>und</strong><br />

Maria"(1955), des Kommunisten KURT HELD, der das Elend <strong>von</strong><br />

Proletarierkindern <strong>und</strong> ihr Überleben <strong>auf</strong> der Straße so realistisch darstellte, daß<br />

er im Nachkriegsdeutschland <strong>auf</strong> herbe Kritik stieß. Auch in „Peter Stoll"(1925)<br />

<strong>von</strong> CARL DANTZ, einem Alltagsbericht aus <strong>dem</strong> Leben eines Arbeiterkindes<br />

<strong>und</strong> in ERICH KÄSTNERS „Kinderkaserne" (wenngleich diese wegen ihres<br />

harten Realismus lange unter den Kurzerzählungen für Erwachsene<br />

veröffentlicht wurde), finden sich Vorläufer eines kritischen Realismus. Eine<br />

große Erzählerin des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts, JOHANNA SPYRI, hat mit „Heidi",<br />

ein sehr realistisches Kinderbuch geschrieben, das mit viel Empathie für Kinder<br />

deren Ängste <strong>und</strong> Nöte in unvollständigen Familien <strong>und</strong> die psychischen<br />

Krankheiten, die aus <strong>dem</strong> „Verlassenwerden" entstehen können, thematisiert.<br />

Der kritische Realismus nahm <strong>und</strong> nimmt die Kinder als Partner ernst, holt sie<br />

vom Sockel, <strong>auf</strong> den die Romantik sie gestellt hat <strong>und</strong> entmythisiert sie. Er<br />

behandelt sie aber auch nicht wie unmündige Wesen -„zu Erziehende"- wie die<br />

Aufklärungspädagogik der Philantropen. Er versucht Alltagskindheit in der<br />

historischen Eingeb<strong>und</strong>enheit der jeweiligen Gesellschaft mit all ihren Facetten<br />

zu erfassen. Natürlich schwingt auch in der realistischen Literatur für Kinder die<br />

Hoffnung <strong>auf</strong> eine Lösung, <strong>auf</strong> den gangbaren Weg, <strong>auf</strong> die Überwindung der<br />

Verhältnisse mit. In erster Linie aber legt sie die Verhältnisse offen <strong>und</strong> zeigt den<br />

Kindern: „da ist einer, <strong>dem</strong> geht es genauso wie dir". <strong>Die</strong> Ehrlichkeit der<br />

realistischen Literatur wird <strong>von</strong> Kindern hoch geschätzt. Sie ermöglicht ihnen<br />

Identifikation <strong>und</strong> Reflexion <strong>und</strong> beinhaltet damit auch ein Stück weit<br />

Überwindung <strong>von</strong> Problemsituationen, wobei die tatsächlichen<br />

Einflußmöglichkeiten <strong>von</strong> Kindern <strong>auf</strong> die Änderung der sie in ihrer Entwicklung<br />

einengenden <strong>und</strong> störenden Verhältnisse immer noch sehr gering sind. So kann<br />

der kritische Realismus in der Kinderliteratur als eine nötige <strong>und</strong><br />

wünschenswerte Ergänzung der bisherigen Kinderliteratur, die, <strong>von</strong> einigen<br />

Ausnahmen abgesehen, eine gesellschaftliche Wunsch- vorstellung <strong>von</strong> Kindheit<br />

transportiert, gesehen werden.<br />

Allerdings findet, bei allem Realismus, aktuelle Gesellschaftskritik nur dann<br />

Gehör, d.h. sie wird nur dann verlegt, wenn sie im gesellschaftlich akzeptierten<br />

Rahmen bleibt. So hat es etwa kommunistische Kinderliteratur bis heute schwer<br />

bei uns. <strong>Die</strong>s liegt in der kapitalistischen Struktur des Kinderbuchmarktes <strong>und</strong><br />

<strong>dem</strong> dahinter stehenden Meinungsbildungsinteresse. An den Gr<strong>und</strong>festen der<br />

bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft darf auch im Kinderbuch nicht gerüttelt<br />

werden. Auf die Verstümmelung bei der Überarbeitung <strong>von</strong> Kinderbüchern der


ehemaligen DDR vor ihrer Neu<strong>auf</strong>lage im wiedervereinigten Deutschland<br />

verweist ROUVEL (1995). So wurden nicht nur politisch - ideologisch besetzte<br />

Begriffe, wie Pionier oder Produktionsgenossenschaft aus den Büchern entfernt,<br />

sondern alles, was zu „...sehr nach kollektiver Erziehung riecht" (ROUVEL 1995,<br />

S.182). So fallen viele Begriffe des alltäglichen Sprachgebrauchs in der<br />

ehemaligen DDR als „verdächtig" <strong>dem</strong> Rotstift zum Opfer. „ HO, KONSUM, Eis<br />

<strong>und</strong> DDR"( aus „Moritz in der Litfaßsäule" <strong>von</strong> CHRISTA KOZIK) wird zu „Kino,<br />

Eis <strong>und</strong> Pizza" in der neudeutschen Fassung <strong>und</strong> „Gebäudereiniger" werden zu<br />

„Kehrautos". Vielfach verlieren die überarbeiteten Texte ihre<br />

gesellschaftskritische Ironie <strong>und</strong> werden damit entpolitisiert, wie etwa in der<br />

Neufassung <strong>von</strong> SIBYLLE DURIANS „Der Tag, an <strong>dem</strong> die Schule verschwand".<br />

Hier wurde aus der bei uns unbekannten, aber in der ehemaligen DDR sehr<br />

populären Kinderlektüre „Timur <strong>und</strong> sein Trupp", die als Unterrichtslektüre<br />

besprochen werden sollte, „Pippi Langstrumpf". Ein Kind bezeichnet den Helden<br />

des Buches als „ängstlich" <strong>und</strong> erklärt dies auch so, daß es <strong>von</strong> der Lehrerin <strong>und</strong><br />

den anderen Kindern akzeptiert wird. Der Kindervolksheld „Timur" <strong>und</strong> dessen<br />

Karikatur im Original verwandelt sich in die gutmütig, freche "Pippi". <strong>Die</strong> Parabel<br />

<strong>auf</strong> die „Heldenmythen" der DDR wird zur entpolitisierten, geglätteten Erzählung<br />

<strong>und</strong> verliert damit an Sinn. ROUVEL registriert die Überarbeitung der<br />

Kinderliteratur der ehemaligen DDR als Akt des Ausradierens <strong>von</strong> Geschichte<br />

<strong>und</strong> w<strong>und</strong>ert sich über „die Angst vor den Wörtern" im vermeintlich freiheitlich<br />

<strong>dem</strong>okratischen Deutschland mit seiner Garantie der Meinungs- <strong>und</strong><br />

Pressefreiheit.<br />

2.1.2.2. Phantastische Kinderliteratur<br />

Aber auch in der <strong>von</strong> Vertretern des kritischen Realismus als illusionistisch<br />

angegriffenen phantastischen Kinderliteratur, in Romanen wie „Pipi Langstrumpf"<br />

<strong>von</strong> ASTRID LINDGREN, in Märchen <strong>und</strong> Fabeln etwa „Ich sag Du bist der Bär"<br />

<strong>von</strong> JANOSCH oder MAURICE SENDAKS „Wo die wilden Kerle wohnen", wird<br />

Kinderrealität thematisiert. Der poetische Stil <strong>und</strong> die Bildhaftigkeit der Sprache<br />

lassen ein „Miterleben" <strong>auf</strong> der Gefühlsebene eher zu als der manchmal sehr<br />

nüchterne Stil des „realistischen Kinderbuches", befriedigen kindliche<br />

Bedürfnisse nach Macht, Stärke <strong>und</strong> Größe <strong>und</strong> helfen bei Kinderängsten. Sie<br />

schaffen dadurch Raum für Phantasien, die das Ertragen <strong>von</strong> Ohnmacht im<br />

Kinderalltag erleichtert.<br />

Das <strong>von</strong> Pädagogen <strong>und</strong> Eltern so geschätzte „hochwertige" Kinderbuch mit<br />

„erzieherischem Wert" <strong>und</strong>, auch heute noch viel zu oft, moralischem Unterton,<br />

stellt nur einen kleinen Teil der belletristischen Literatur für Kinder dar, der an<br />

den realen Lesebedürfnissen der Kinder, besonders <strong>dem</strong> nach Abenteuer <strong>und</strong><br />

leichter Unterhaltung, oft vorbeigeht. <strong>Die</strong>sem Bedürfnis wird durch eine breite<br />

Palette <strong>von</strong> Trivialliteratur für Kinder entsprochen.<br />

2.1.2.3. Trivialliteratur für Kinder<br />

Dazu gehören die hauptsächlich in K<strong>auf</strong>häusern zu erwerbenden „Bücher zur<br />

Fernsehserie" ebenso wie Mädchenbuchklassiker vom Schlage „Trotzkopf" <strong>und</strong><br />

„Nesthäkchen",„die 5 Fre<strong>und</strong>e" <strong>und</strong> andere Detektivgeschichten sowie die


„Hanni <strong>und</strong> Nanni" oder die „TKKG" - Geschichten <strong>und</strong> Abenteuerromane, die<br />

bei Kindern außerordentlich beliebt sind. Alleine daraus beziehen diese Bücher<br />

ihre Legitimation, ebenso wie die <strong>von</strong> Pädagogen vielfach als „Schmutz <strong>und</strong><br />

Sch<strong>und</strong>" bezeichneten Comics <strong>und</strong> Heftchen für Kinder. Sie dienen der reinen<br />

Unterhaltung <strong>und</strong> Zerstreuung. <strong>Die</strong> Klischees, die veralteten Geschlechtsrollen<br />

<strong>und</strong> familialen Rollen, die hier transportiert werden, sowie der eindimensionale<br />

Erzählstil sind durchaus der Kritik würdig. Nur entwickeln Kinder im alltäglichen<br />

Umgang mit Literatur Lesefähigkeiten, vor allem hinsichtlich des<br />

Realitätsgehaltes <strong>von</strong> Texten aber auch hinsichtlich der Ästhetik <strong>und</strong> Poesie des<br />

Erzählstiles, die es ihnen ermöglichen, Qualitätsunterschiede zu erkennen <strong>und</strong><br />

zu reflektieren. <strong>Die</strong> „Wiederholung des gleichen Strickmusters" in den<br />

Endlosreihen der Abenteuerbücher <strong>von</strong> BLYTON <strong>und</strong> Co. ermöglichen<br />

entspanntes Lesen <strong>und</strong> garantieren doch zugleich ein Mindestmaß an Spannung<br />

<strong>und</strong> Unterhaltung, bei gleichzeitigem Wissen um das Happy End.<br />

<strong>Die</strong> verschiedenen Genres <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kinderbuchmarkt sind notwendige Vielfalt.<br />

Sie spiegeln ebenso die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Sichtweisen <strong>und</strong><br />

Realitäten, wie auch die individuell <strong>und</strong> situationsabhängig verschiedenen<br />

Bedürfnisse <strong>von</strong> Kindern im Verl<strong>auf</strong> ihrer Entwicklung. Verstehen sich die<br />

Autoren, Literaturwissenschaftler, Kritiker, Pädagogen <strong>und</strong> Eltern wirklich als<br />

Partner des Kindes, so müssen sie die verschiedenen in der Kinderliteratur<br />

vorkommenden Genres zunächst einmal als Bestandteil <strong>von</strong> Kinderkultur<br />

akzeptieren <strong>und</strong> den Kindern zutrauen, sich den „geeigneten" Lesestoff aus <strong>dem</strong><br />

riesigen Buchangebot nach ihren Vorstellungen, Neigungen <strong>und</strong> Bedürfnissen zu<br />

suchen. Dabei kann pädagogische Orientierungshilfe <strong>von</strong> Erwachsenen nicht<br />

schaden, wenn sie nicht in Bevorm<strong>und</strong>ung umschlägt. Am wirkungsvollsten für<br />

die Ausbildung elaborierter Lesefähigkeit <strong>und</strong> Fähigkeit zur kritischen<br />

Textbetrachtung wie auch für die Freude am Lesen ist jedoch der erlebte<br />

Umgang der Bezugspersonen mit <strong>dem</strong> Medium Buch <strong>und</strong> das Medienverhalten<br />

der Familie überhaupt, wie Kinder ihre Eltern <strong>und</strong> Geschwister als<br />

„Lesevorbilder" erleben. <strong>Die</strong> ersten Leseerfahrungen in der Schule spielen<br />

ebenfalls eine Rolle für den späteren Umgang mit Büchern.<br />

2.2. Wie kommt die Tigerente <strong>auf</strong> die Zahnbürste ? Medienverb<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Merchandising <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kinderbuchmarkt<br />

2.2.1. Der Kinderbuchmarkt<br />

Das Interesse der Verlage an der Kinderliteratur ist nicht mehr nur das eines<br />

„Nebenkriegsschauplatzes", während <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchmarkt für Erwachsene<br />

angesichts der Monopolisierungstendenzen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Medienmarkt <strong>und</strong> <strong>dem</strong><br />

Konkurrenzkampf mit den „neuen Medien" die Verteilungsschlachten um<br />

Druckrechte stattfinden, sondern es kennzeichnet das Interesse an der Rolle des<br />

Buches in einer multi-medialen Zukunft. Das Kinderbuch soll nicht mehr so sehr<br />

den Erwachsenen als pädagogischen Ratgeber <strong>und</strong> Käufer ansprechen, als<br />

vielmehr die junge, durchaus medienerprobte K<strong>und</strong>schaft. So investieren große<br />

Verlage wie etwa Bertelsmann Millionenbeträge in Marktforschung <strong>und</strong> über<br />

Stiftungen in universitäre Studien zu Lesesozialisation <strong>und</strong> Leseverhalten (vgl.<br />

SAXER u.a.1989, die Bertelsmann Studie zu Kommunikationsverhalten <strong>und</strong><br />

Medien: Lesen in der modernen Gesellschaft, oder HURRELMANN u.a. 1993,<br />

Lesesozialisation). Mit Kinder- <strong>und</strong> Jugendbüchern macht der deutsche<br />

Buchhandel inzwischen r<strong>und</strong> 8% des Gesamtumsatzes <strong>von</strong> 17,2 Milliarden DM,


dies sind r<strong>und</strong> 1,4 Milliarden DM. Schulbücher mit 9%, audiovisuelle Medien mit<br />

2% <strong>und</strong> „Übrige Waren" mit 9% (dahinter verstecken sich die meisten<br />

Merchandising - Produkte) sind hierbei nicht mitgerechnet. Der Umsatz mit den<br />

Nebenrechten, dies sind Übersetzungsrechte aber auch Lizenzrechte für<br />

Tonträger <strong>und</strong> Bücher zu Filmen, stiegen in den Jahren 1993 -96 um<br />

durchschnittlich 8,3% gegenüber <strong>dem</strong> Vorjahr. <strong>Die</strong>se Steigerungsrate liegt weit<br />

über <strong>dem</strong> Umsatzplus für Bücher, welches im Schnitt bei 5,3 % des<br />

Gesamtumsatzes liegt. Es wurden im letzten Jahr 4.602 Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendbücher verlegt, da<strong>von</strong> 2.967 als Erst<strong>auf</strong>lage <strong>und</strong> 1.635 als Neu<strong>auf</strong>lage.<br />

Damit sank der Anteil der „zweitgrößten Sachgruppe" (BÖRSENVEREIN des<br />

DEUTSCHEN BUCHHANDELS 1997, S.61) im Vergleich zum Vorjahr um 0,6%,<br />

was vor allem mit einem Rückgang an Neu<strong>auf</strong>lagen erklärt wird. Bücher werden<br />

inzwischen nicht mehr nur in Einzelhandelsgeschäften <strong>und</strong> über<br />

Buchgemeinschaften verk<strong>auf</strong>t. <strong>Die</strong> Tendenz geht zu großen Buchk<strong>auf</strong>häusern<br />

<strong>und</strong> Buchhandelsketten wie Hugendubel mit sehr umfangreichen Bestand <strong>und</strong><br />

eigenen Buchlagern. Dennoch setzen die kleinen Buchhändler mit 2-5<br />

Beschäftigten in der Sparte Kinder- <strong>und</strong> Jugendbuch im Verhältnis doppelt soviel<br />

um ( Anteil am Gesamtumsatz 10%) als die großen Buchk<strong>auf</strong>häuser. <strong>Die</strong>s mag<br />

unter anderem daran liegen, daß ein Großteil der Kinderbücher <strong>von</strong><br />

Erwachsenen verschenkt wird <strong>und</strong> sie <strong>dem</strong> Überangebot in den großen<br />

Buchhandlungen oft ratlos gegenüber stehen, während der kleine Buchhändler<br />

an der Ecke Zeit für Beratung hat <strong>und</strong> eher für Qualität steht. Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendbücher sind mit einem Durchschnittspreis <strong>von</strong> 15,62 DM für einen<br />

Hardcovertitel <strong>und</strong> einem Taschenbuchpreis zwischen 8 <strong>und</strong>10 DM durchaus<br />

auch für junge K<strong>und</strong>en erschwinglich.<br />

„In letzter Zeit ist <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kinderbuchmarkt eindeutig die Tendenz „Weg vom<br />

Problem - hin zur Unterhaltung" zu beobachten. Märchenhaft - phantastische<br />

Bücher, witzige Unterhaltung, Krimis <strong>und</strong> Abenteuerbücher scheinen verstärkt<br />

gefragt zu sein" (S. HENTSCHKE vom Erika Klopp Verlag München).<br />

HENTSCHKE führt diese Tendenz <strong>auf</strong> die Illusionslosigkeit der erlebten<br />

Alltagsrealität <strong>von</strong> Kindern in den Zeiten der Rezession zurück. <strong>Die</strong>s bedeutet<br />

nicht, daß nicht auch „anspruchsvolle Kinderliteratur" <strong>auf</strong>gelegt <strong>und</strong> verk<strong>auf</strong>t<br />

wird, die Rezensionen in der Fachpresse <strong>und</strong> die Preisverleihungen des<br />

deutschen Jugendbuchpreises dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, daß<br />

diese Literatur - wie bei Erwachsenen auch - gegenüber den eher trivial<br />

angelegten „Schmökern" das Umsatzvolumen nicht entscheidend beeinflußt. So<br />

werden denn auch als „Longseller" unter den Kinderbüchern zunächst<br />

übereinstimmend die Abenteuer-Serien <strong>von</strong> ENID BLYTON genannt, die 1977<br />

angesichts des 100. Geburtstags der Autorin <strong>von</strong> verschiedenen Verlagen neu<br />

<strong>auf</strong>gelegt wurden <strong>und</strong> im Medienverb<strong>und</strong> mit Fernsehserien, Videos <strong>und</strong><br />

Kassetten Sondertische <strong>und</strong> Regale füllen. Eine eigene Sonderausgabe des<br />

„YOU - Magazin für Kids", eine als Information getarnte Werbebroschüre <strong>von</strong><br />

Hugendubel, widmete sich der Vermarktung des r<strong>und</strong>en Geburtstages der<br />

Kinderbuchautorin.<br />

Ebenfalls großer Beliebtheit erfreuen sich Reihen, wie die „Leselöwen",<br />

Themenbücher mit Geschichten für Leseanfänger in großer Fibelschrift, die <strong>von</strong><br />

bekannten Kinderbuchautoren <strong>und</strong> Illustratoren geschrieben <strong>und</strong> gestaltet sind.<br />

<strong>Die</strong> Verlage <strong>und</strong> Buchhandlungen bemühen sich in Ihren Selbstdarstellungen die<br />

Breite des Angebotes zu rühmen <strong>und</strong> die Qualität der Kinderliteratur


herauszustellen. Es scheint auch heute noch ehrenrührig zu sein,<br />

Unterhaltungsliteratur für Kinder herauszugeben <strong>und</strong> zu verk<strong>auf</strong>en. Obwohl bei<br />

den meisten Verlagen gerade der Umsatz mit trivialer Literatur in großen<br />

Auflagen das finanzielle Gerüst ist, welches das Verlegen <strong>von</strong> anspruchsvoller<br />

Literatur in kleinen Auflagen ermöglicht, so wird dies nur ungern zugegeben. In<br />

dieser Hinsicht eine große Ausnahme unter den Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendbuchverlagen ist der Franz Schneider Verlag, der wie kein anderer<br />

deutscher Kinder- <strong>und</strong> Jugendbuchverlag die Buchherstellung rationalisierte <strong>und</strong><br />

kommerzialisierte, der gnadenlos jedes Buch, welches unter 6000 verk<strong>auf</strong>ten<br />

Exemplaren pro Jahr liegt, sofort aus <strong>dem</strong> Sortiment nimmt. Er hat sich bewußt<br />

<strong>auf</strong> das Massenpublikum „<strong>von</strong> Sechs- bis Vierzehnjährigen mit<br />

Volksschulbildung" (FLEMMER 1974, S.411) verlegt. „Jede bewußte<br />

Intellektualisierung oder zu starke Pädagogisierung würde den Absatz<br />

gefährden" (ebd.). Schneider hat sowohl den Trend der Zeit nach „Mainstream -<br />

Unterhaltung für ein Massenpuplikum", als auch das heute aus der<br />

Medienlandschaft nicht mehr wegzudenkende „Infotainment" bereits sehr früh (in<br />

den 60er Jahren) erkannt. Er stellt Information <strong>und</strong> Wissen aus<br />

Naturwissenschaft <strong>und</strong> Humanwissenschaften unterhaltsam in seinen<br />

Sachbuchreihen „Wissen universell" <strong>und</strong> <strong>dem</strong> „Kinder Kolleg" dar. Gerade<br />

Kinderbuchverlage werden noch immer <strong>auf</strong> die pädagogische Waage der<br />

„wertvollen Kinderliteratur" gestellt <strong>und</strong> haben Angst davor, für zu leicht bef<strong>und</strong>en<br />

zu werden, obwohl sie aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen um ein breites<br />

F<strong>und</strong>ament aus leichter Unterhaltungsliteratur gar nicht herumkommen. Auf die<br />

Paradoxie der Trennung zwischen einer literarisch anspruchsvollen Buchelite,<br />

die sich im Stil der Erwachsenenliteratur annähert <strong>und</strong> der eher trivialen<br />

Unterhaltungslektüre oder didaktisch motivierten Anfängerlektüre verweist<br />

HURRELMANN. Danach sei die starke Polarisierung <strong>von</strong> trivialer <strong>und</strong><br />

„literarischer" Kinderliteratur sehr kontraproduktiv für eine ausgewogene <strong>und</strong><br />

unvoreingenommene Betrachtung der kindlichen Lesebedürfnisse (vgl.<br />

HURRELMANN 1995, S.10).<br />

Kleine Verlage mit anspruchsvollen literarischen Qualitätsansprüchen scheitern<br />

oft sowohl an den Auflagenhöhen des Marktes als auch an <strong>dem</strong> Geschmack der<br />

K<strong>und</strong>en. Sie können sich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Markt kaum behaupten <strong>und</strong> werden im Zuge<br />

der Konzentration <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Medienmarkt <strong>von</strong> Medienmultis wie Bertelsmann,<br />

Holtzbrink oder Ueberreuter-Verlag, denen kleine Verlage mit anspruchsvoller<br />

Literatur als Aushängeschild gerade recht sind, <strong>auf</strong>gek<strong>auf</strong>t. <strong>Die</strong> <strong>von</strong> den<br />

Verlagen für die Auswahllisten <strong>und</strong> für die Bewerbung zum „deutschen<br />

Jugendliteraturpreis" jedes Jahr eingereichten Vorschläge stammen dann auch<br />

gerne <strong>von</strong> für ihre hochwertige Kinderliteratur bekannten Verlage, etwa vom<br />

Anette Betz Verlag, der bereits seit 1967 Uebereuter gehört.<br />

2.2.2. Das Kinderbuch im Medienverb<strong>und</strong><br />

Das Kinderbuch ist heute ohne den kommerziellen Medienverb<strong>und</strong> gar nicht<br />

mehr denkbar.<br />

Bereits in den zwanziger Jahren wurde in den USA eine kleine pfiffige Maus mit<br />

ihren Fre<strong>und</strong>en <strong>auf</strong> Zelluloid gebannt, aus der beliebten Comicfigur wurde der<br />

größte Trickfilmheld aller Zeiten, <strong>und</strong> aus seinem Zeichner WALT DISNEY der


weltweit größte Trickfilmproduzent <strong>und</strong> Erfinder des Merchandising. Es folgten<br />

Verfilmungen <strong>von</strong> Kinderbuchklassikern, wie „Das doppelte Lottchen" oder „Das<br />

fliegende Klassenzimmer" <strong>von</strong> ERICH KÄSTNER. Mit <strong>dem</strong> Siegeszug des<br />

Fernsehens in den fünfziger Jahren begann auch die Suche nach neuen Stoffen<br />

für Kindersendungen. <strong>Die</strong> Märchen der GEBRÜDER GRIMM wurden in dieser<br />

Zeit verfilmt. Den Hauptteil der Kinderfilme im Kino wie im Fernsehen bildeten<br />

die zahlreichen Importe. Literaturverfilmungen wie „Pippi Langstrumpf", „<strong>Die</strong><br />

Kinder aus Bullerbü" <strong>und</strong> „Ferien <strong>auf</strong> Saltkrokan" <strong>von</strong> ASTRID LINDGREN <strong>und</strong><br />

die Serienimporte aus den USA, „Flipper", „Fury", „Lassie" oder „Daktari"<br />

gestalteten das b<strong>und</strong>esdeutsche Kinderprogramm bis in die 70er Jahre hinein.<br />

Auch die ersten Kinderhörspiele, <strong>auf</strong> Kassetten gezogene Klassiker der<br />

Kinderliteratur, hauptsächlich Märchen <strong>und</strong> Sagen, waren Versuche, neue<br />

Medien für die Interpretation des Kinderbuches zu nutzen <strong>und</strong> mit neuen<br />

Medienformen zu experimentieren.<br />

Was diesen Vorläufern des heutigen Medienverb<strong>und</strong>es noch fehlt, ist die<br />

Kommerzialität, die umfassende Vermarktung eines Stoffes bzw. der Hauptfigur<br />

in allen Medien gleichzeitig <strong>und</strong> im Schulterschluß mit den Herstellern <strong>von</strong><br />

Kinderwaren. Auch die Ablösung der vermarkteten Figur <strong>von</strong> der Geschichte mit<br />

ihrem Handlungszusammenhang, ihre Abstraktion <strong>von</strong> konkreten kindlichen<br />

Bedürfnissen, läßt sich bei den obigen älteren Beispielen noch nicht feststellen.<br />

Das Kinderbuch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Medienverb<strong>und</strong>markt tauchte erst im Zusammenhang<br />

mit den japanischen Billigtrickfilmen der 70er Jahre wie „Biene Maja", Heidi",<br />

„Pinocchio" im großen Stil <strong>auf</strong> (vgl. HENGST 1981, JENSEN/ ROGGE 1980). Sie<br />

enthielten nur noch Gr<strong>und</strong>elemente der ursprünglichen literarischen Vorlagen<br />

<strong>und</strong> orientierten sich in ihrer Machart vordergründig an möglichst globalen<br />

Vermarktungsmöglichkeiten <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Medien- <strong>und</strong> Kulturwarenmarkt für Kinder.<br />

<strong>Die</strong> Vermarktungsaktivitäten für Kinderfilmfiguren gehen heute weit über den<br />

Rahmen der traditionellen Kindermedien (Fernseher, Tonträger, R<strong>und</strong>funk,<br />

Bücher <strong>und</strong> Zeitschriften) im Medienverb<strong>und</strong> hinaus. Neue Kindermedien, Video-<br />

<strong>und</strong> Telespiele, sowie Computer - Games werden in den Medienverb<strong>und</strong><br />

einbezogen.<br />

2.2.3. Das Kinderbuch <strong>und</strong> die Lizenzwaren<br />

Daneben konstituieren die Merchandising - Agenturen eigene Kosumwelten für<br />

Kinder, in denen Kinder Jugendliche <strong>und</strong> Erwachsene in ihrem Konsum- <strong>und</strong><br />

Freizeitverhalten nachahmen <strong>und</strong> sich gleichzeitig <strong>von</strong> Ihnen abgrenzen. <strong>Die</strong><br />

Dynamik des Konsum- <strong>und</strong> Freizeitmarktes fordert den ständigen Wechsel der<br />

Moden <strong>und</strong> Stile. Auch für Kinder gilt, sobald sich ein Trend etabliert hat, ist er<br />

eigentlich schon wieder „out". <strong>Die</strong>s erfordert eine Austauschbarkeit der Figuren.<br />

<strong>Die</strong> Identifikationswerte der Ursprungsgeschichte, bei „Heidi" die Kindheitsängste<br />

vor Trennung <strong>von</strong> den Eltern oder bei „Pumuckl" die Auseinandersetzung<br />

mit den Eltern um Autonomie <strong>und</strong> Gehorsam, werden im Prozeß der<br />

massenweisen Vermarktung in Gebrauchswertversprechen umgesetzt. Da die<br />

Einlösung dieser Versprechen sich mit <strong>dem</strong> K<strong>auf</strong> eines „Heidi"- oder „Pumuckl"-<br />

Produktes nicht erfüllen kann <strong>und</strong> immer Illusion bleibt, beginnt das Kind die<br />

Produkte zu sammeln um möglichst viele da<strong>von</strong> zu besitzen. „<strong>Die</strong> „Lust am


Haben", das K<strong>auf</strong>en (<strong>und</strong> Sammeln, d. Verf.) wird zur Ersatzbefriedigung"<br />

(JENSEN/ROGGE 1980, S.25). Das Sammeln der jeweiligen „In-Produkte",<br />

garantiert das „Aufgehobensein <strong>und</strong> Mitreden- können" in der Gruppe der<br />

Gleichaltrigen.<br />

Wie oben schon angesprochen schafft erst die Verfilmung oder die<br />

Fernsehfassung einer literarischen Vorlage die Voraussetzung für eine<br />

Vermarktung <strong>auf</strong> breiter Ebene. Das Fernsehen oder der Film als Promoter<br />

verleibt sich literarische Vorlagen ein <strong>und</strong> gibt ihnen eine neue Gestalt, die <strong>auf</strong><br />

die Bücher zurückwirkt. Zum einen steigt der Bekanntheitsgrad des Buches - wer<br />

kannte schon „<strong>Die</strong> Biene Maja" vor der Verfilmung? - zum anderen ändert sich<br />

die Buchgestaltung. Das Layout wird mit den Bildern aus der Serie garniert. <strong>Die</strong>s<br />

nimmt <strong>dem</strong> Buch ein Stück <strong>von</strong> seiner Originalität <strong>und</strong> verengt die Phantasie. <strong>Die</strong><br />

Bilder formen sich nicht mehr im Kopf, sondern sie sind bereits <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> der<br />

Fernsehserie oder des Filmes vorhanden, das Buch läßt sie nur wieder <strong>auf</strong>leben.<br />

Andererseits kommen <strong>auf</strong> diesem Wege Kinder mit Literatur in Berührung, die<br />

<strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> der häuslichen Umgebung <strong>und</strong> der familialen Mediennutzungsmuster<br />

kaum an Bücher herangeführt werden.<br />

Für eine Vermarktung über den Medienverb<strong>und</strong> hinaus ist jedoch das Fernsehen<br />

oder der Film nötig, da das Bild der vermarkteten Figur die Basis für<br />

Merchandising - Aktivitäten ist. Für die Verfilmung im Verb<strong>und</strong> mit einer<br />

umfassenden Werbekampagne für Lizenzprodukte kommen nur literarische<br />

Vorlagen in Frage, die Seriencharakter haben <strong>und</strong> deren Figuren über die<br />

Identifikationsmöglichkeiten des literarischen Rahmens hinaus eine<br />

Generalisierung <strong>auf</strong> Alltagssituationen oder eine Abstraktion vom konkreten<br />

Geschehen in der Geschichte zulassen, also an kindliche Träume <strong>und</strong><br />

Phantasien anknüpfen. Nur wenige Kinderbücher eignen sich dazu. <strong>Die</strong><br />

Geschichte des kleinen Kobolds „Pumuckl" <strong>von</strong> ELLIS KAUT ist ein Beispiel<br />

dafür. Erst die Verfilmung seiner Abenteuer, eine <strong>auf</strong>wendige Kollage mit <strong>dem</strong><br />

gezeichneten „Pumuckl" in einer realen Filmumgebung, machte den<br />

„Klabautermann" über die Grenzen Bayern hinaus bekannt <strong>und</strong> setzte eine bis<br />

dahin unbekannte Lawine <strong>von</strong> Lizenzprodukten (400 in Deutschland), vom<br />

Federmäppchen über die Nachttischlampe bis zum Kindergeschirr, in Gang.<br />

"Pumuckl" erlebt Alltagsabenteuer. Er will in kindlichem Streben nach Autonomie<br />

die Welt selbst entdecken, setzt sich dabei <strong>auf</strong> recht freche Weise über die<br />

Erziehungsregeln seines Ziehvaters „Meister Eder" hinweg <strong>und</strong> gerät dabei<br />

immer wieder in Gefahr. Er ertrinkt fast in der Badewanne, sperrt sich aus <strong>und</strong><br />

erfriert beinahe, läuft weg <strong>und</strong> findet den Weg nicht mehr <strong>und</strong> vieles mehr. Am<br />

Ende wird er jedoch immer gerettet oder er hilft sich selbst. <strong>Die</strong> Darstellung der<br />

Abenteuer des Kobolds im Film <strong>und</strong> <strong>auf</strong> den sehr gut gemachten, folgenden<br />

Hörspiel - Kassetten war besonders für Vorschulkinder hilfreich, da hier in<br />

phantastischer Form ihre eigenen Ängste thematisiert wurden <strong>und</strong> eine<br />

Bewältigung erfuhren.<br />

Auch die bei Kindern sehr beliebte „Pippi Langstrumpf" eignet sich als Stoff, aus<br />

<strong>dem</strong> die Vermarktungsträume sind. Sie wurde lediglich ein paar Jahre zu früh<br />

verfilmt, um schon in den Sog der umfassenden Merchandising Aktivitäten zu<br />

geraten. So blieb es bei „Pippi" -Kassetten, -Videos, -Aufklebern <strong>und</strong> einigen<br />

Lizenzprodukten r<strong>und</strong> um die Schule. Auch steht hier das Interesse der Autorin<br />

ASTRID LINDGREN gegen eine weitreichendere Vermarktung. In den neunziger


Jahren bilden hauptsächlich Kinofilme, entweder Trickfilme <strong>von</strong> WALT DISNEY<br />

(„Arielle,die Meerjungfrau", „Der König der Löwen", „Pocahontas", „Sindbad",<br />

„Der Glöckner <strong>von</strong> Notre - Dame", „<strong>Die</strong> Schöne <strong>und</strong> das Biest", „101 Dalmatiner",<br />

„Herkules"), oder Familienfilme wie „Jurrasic Parc", „Toy Story" <strong>und</strong> „Jumanji" die<br />

Gr<strong>und</strong>lage für weltweite Werbekampagnen <strong>und</strong> die umfassende Vermarktung,<br />

<strong>von</strong> der Anstecknadel bis zur Zahnbürste.<br />

<strong>Die</strong> literarischen Vorlagen entstammen neben der Kinderliteratur zunehmend<br />

aus überliefertem, damit jedermann bekanntem Kulturgut wie Märchen <strong>und</strong><br />

Sagen, sowie aus der Erwachsenenliteratur.<br />

Das Publikum erfährt eine zunehmende Egalisierung, die<br />

Vermarktungsstrategien des Merchandising <strong>und</strong> die beworbenen Produkte<br />

richten sich jedoch vorrangig an Kinder <strong>und</strong> Jugendliche. Neuerdings ist die<br />

literarische Vorlage entbehrlich, es wird eine „Idee" vermarktet. <strong>Die</strong>se Idee wird<br />

zunächst zum Drehbuch <strong>und</strong> zum Film <strong>und</strong> erst im Zuge der Vergabe <strong>von</strong><br />

Lizenzrechten wird das „Buch zum Film" geschrieben.<br />

Wie werden nun Buchfiguren zu „Ikonen der Kinderkultur"? <strong>Die</strong>sem Phänomen<br />

soll am Beispiel der Figuren des Autors <strong>und</strong> Illustrators JANOSCH ausführlicher<br />

nachgegangen werden.<br />

2.2.4. Merchandising - die Tierfiguren <strong>von</strong> Janosch als Ikonen der<br />

Kinderkultur<br />

2.2.4.1. JANOSCH - vom Graphiker zum Markennamen<br />

Ein wohl bisher einmaliges Eigenleben außerhalb der Bilderbücher haben die<br />

Tierfiguren des Autors <strong>und</strong> Illustrators JANOSCH angetreten. Besonders die<br />

„Tigerente", aber auch der „kleine Tiger" <strong>und</strong> der „kleine Bär" sind heute weit<br />

herumgekommen. Sie finden sich <strong>auf</strong> Federmäppchen, Radiergummis, Stiften,<br />

Schulblöcken <strong>und</strong> Taschen, <strong>auf</strong> Zahnbürsten <strong>und</strong> -bechern, Zopfspangen <strong>und</strong><br />

Kämmen, <strong>auf</strong> Kindergeschirr <strong>und</strong> Kinderkleidung, <strong>auf</strong> Handtüchern <strong>und</strong><br />

neuerdings sogar <strong>auf</strong> Fliesen. Nicht zu vergessen die Glückwunschkarten,<br />

Geschenkpapier <strong>und</strong> Schlüsselanhänger. Sogar JANOSCH - Wein gibt es zu<br />

k<strong>auf</strong>en. <strong>Die</strong> Beispiele zeigen, daß die Fabeltiere <strong>von</strong> JANOSCH sich längst<br />

verselbständigt haben <strong>und</strong> nicht nur den Bilderbüchern entstiegen <strong>und</strong> zu<br />

Kultfiguren geworden sind, sondern auch über den Kulturwarenmarkt für Kinder<br />

hinaus gezogen sind, um die Herzen der Erwachsenen, <strong>und</strong> deren Geldbeutel,<br />

zu erobern.<br />

Sie entstammen den Entwürfen eines Aussteigers, eines gescheiterten<br />

Zeichners, der Ende der fünfziger Jahre, um sich über Wasser zu halten, in einer<br />

Stoff - <strong>und</strong> Tapetenfabrik arbeitete. 1960 erschien JANOSCH’ erstes Kinderbuch<br />

„<strong>Die</strong> Geschichte <strong>von</strong> Valek <strong>dem</strong> Pferd" im Georg Lentz Verlag München. <strong>Die</strong>ser<br />

nahm ihn unter Vertrag, zahlte ihm „...für die nächsten fünf Bücher insgesamt<br />

siebzig Mark..." <strong>und</strong> so „...entstanden diese unzähligen schlechten<br />

Kinderbücher..." (JANOSCH 1997, S.91 f.). <strong>Die</strong> Rechte an den JANOSCH -<br />

Büchern gingen nach <strong>dem</strong> Zusammenbruch des Georg Lentz Verlages an den<br />

Parabel Verlag über. 1978 kam der Durchbruch mit „Oh, wie schön ist Panama",<br />

erschienen bei Beltz & Gelberg, wofür JANOSCH 1979 den Jugendliteraturpreis


in der Sparte Bilderbuch erhielt. Heute wird JANOSCH bei mehreren großen<br />

Verlagen, wie <strong>dem</strong> Züricher Domino Verlag, Goldman <strong>und</strong> Mosaik Verlag (beide<br />

zur Bertelsmann - Gruppe gehörend), verlegt. Sie verfügen über die Rechte an<br />

über 200 verschiedenen JANOSCH - Büchern, die meisten da<strong>von</strong> Kinderbücher<br />

<strong>und</strong> Bilderbücher, die mittlerweile in 36 Sprachen übersetzt wurden.<br />

Nach <strong>dem</strong> großen Erfolg der „Panama - Reihe" erfolgten zu Beginn der 80er<br />

Jahre die ersten Sek<strong>und</strong>ärverwertungen der JANOSCH - Figuren. <strong>Die</strong>se<br />

erstreckten sich zunächst lediglich <strong>auf</strong> Tonträger <strong>und</strong> Schreibartikel, Grußkarten,<br />

Radiergummis, Stifte u.s.w.. <strong>Die</strong> frech - fröhlichen Kindergeschichten <strong>von</strong><br />

JANOSCH wurden zunehmend <strong>von</strong> Eltern <strong>und</strong> Erziehern entdeckt <strong>und</strong> so fanden<br />

der „kleine Bär", der „kleine Tiger" <strong>und</strong> die „Tigerente" in immer mehr<br />

Kinderzimmern <strong>und</strong> in Kindergärten <strong>und</strong> Kindergruppen eine neue Heimat.<br />

Zu Kultfiguren avancierten die Tierfiguren jedoch erst seit Beginn der 90er Jahre<br />

im Zusammenhang mit der Kinderserie „JANOSCHS TRAUMSTUNDE" (26 x 30<br />

Minuten). Auch hier findet sich wieder der enge Zusammenhang zwischen der<br />

Verfilmung eines Buches oder Skriptes <strong>und</strong> der damit erst möglich gewordenen<br />

Vermarktungswelle. <strong>Die</strong> „l<strong>auf</strong>enden Bilder" dringen bis in jedes Wohnzimmer vor<br />

<strong>und</strong> sie schaffen Gemeinsamkeit. Bücher werden Kindern im Bilderbuch - Alter<br />

zumeist geschenkt, der Fernseher ist für sie eher zugänglich; auch hier findet<br />

Kontrolle durch die Eltern statt, aber besonders Kindersendungen werden <strong>von</strong><br />

den meisten Eltern kaum reflektiert. <strong>Die</strong> „JANOSCHS TRAUMSTUNDE" Staffel<br />

wurde mittlerweile mehrfach wiederholt <strong>und</strong> läuft derzeit im Kinderkanal. Seit<br />

Januar 1996 gilt der „Tigerenten Club", eine 90 minütige Kindershow r<strong>und</strong> um die<br />

JANOSCH - Figuren, als sehr erfolgreiche deutsche Antwort <strong>auf</strong> den bis dahin<br />

<strong>auf</strong> diesem Sendeplatz (Samstag Nachmittag, Wdh. Sonntag Morgen in der<br />

ARD) gesendeten „Disney Club". Durch die ständige Medienpräsenz lassen sich<br />

die Lizenzwaren immer besser verk<strong>auf</strong>en.<br />

Insgesamt werden derzeit (Stand Nov.’97) r<strong>und</strong> 150 Produkte, <strong>von</strong> denen einige<br />

Sammelbegriffe für ganze Produktpaletten sind, in Lizenz hergestellt. <strong>Die</strong><br />

genaue Anzahl der Einzelprodukte dürfte ungefähr bei 300 verschiedenen<br />

Artikeln liegen. Der Diogenes Verlag, der größte Verleger <strong>von</strong> JANOSCH -<br />

Büchern (alleine 29 Neu<strong>auf</strong>lagen <strong>und</strong> Neuerscheinungen 1997) hat die Lizenzen<br />

für die JANOSCH - Figuren <strong>und</strong> deren Verwertung an die Merchandising Agentur<br />

BavariaSonor in München vergeben. BavariaSonor vermarktet nicht nur die<br />

Nebenrechte der Muttergesellschaft Bavaria Film, sondern ist auch für die<br />

Lizenzauswertung <strong>von</strong> Comicfiguren <strong>und</strong> Buchfiguren („Pumuckl", JANOSCH mit<br />

„Tigerente", „Kleiner Bär", „Kleiner Tiger" <strong>und</strong> „Emil Grünbär"), TV-Produktionen<br />

<strong>und</strong> Filmen („<strong>Die</strong> Sendung mit der Maus", „Unser Charly", „Siebenstein",<br />

„Tigerenten Club", „Süderhof" <strong>und</strong> „Rennschwein Rudi Rüssel"), Markennamen<br />

(„Playmobil"), sowie für die Sponsoring - Aktivitäten <strong>von</strong> ARD <strong>und</strong> ZDF,<br />

Bertelsmann /UFA, BR, Diogenes, SAT.1, WDR u.a. zuständig. Seit 1993 besitzt<br />

BavariaSonor die Exklusivrechte an allen JANOSCH - Figuren. <strong>Die</strong> Bücher <strong>und</strong><br />

Sek<strong>und</strong>ärprodukte <strong>von</strong> JANOSCH sind „Longseller", bei sich ständig<br />

erweiternder Produktpalette. Anders als die kurzlebigen, oft nur einige Monate<br />

dauernden Merchandising - Kampagnen, die mit der Kino- oder<br />

Fernsehausstrahlung eines Filmes einher gehen <strong>und</strong> den Markt mit „XYZ -<br />

Produkten" überschwemmen, halten sich „Tigerente" <strong>und</strong> Co. seit ungefähr 15<br />

Jahren (außerhalb der Kinder- <strong>und</strong> Bilderbücher, die in den vergangenen 35<br />

Jahren entstanden) mit starker Tendenz zur Vermehrung. Während in den 80er


Jahren zu Beginn der Merchandising - Aktivitäten noch hauptsächlich<br />

Kindermedien <strong>und</strong> -produkte wie Schokoladefiguren (inzwischen nicht mehr im<br />

Programm), Kassetten, Spielwaren <strong>und</strong> Schreibartikel hergestellt wurden,<br />

umfaßt die Liste inzwischen ein breites Sortiment alltäglicher Gebrauchsgüter für<br />

Kinder <strong>und</strong> Erwachsene. Neben den traditionellen Spiel- <strong>und</strong> Schreibwaren<br />

finden sich Kleidung <strong>und</strong> Frotteewaren für Erwachsene <strong>und</strong> Kinder, Kinder -<br />

Toilettenartikel (vom Badestöpsel bis zur Zahnspangendose) Geschenkartikel,<br />

Freizeit- <strong>und</strong> Sportartikel, vom Fahrrad über Drachen <strong>und</strong> Handarbeitsartikel bis<br />

hin zu verschiedenen Taschen. Neu ist auch die Erweiterung der Produktpalette<br />

<strong>auf</strong> Babyartikel, Fläschchen, Wärmflasche <strong>und</strong> Haushaltswaren wie Bügeltische,<br />

Fliesen, Teppiche <strong>und</strong> Tapeten. Porzellan <strong>und</strong> Glas, d.h. Geschirr <strong>und</strong> Gläser für<br />

Kinder <strong>und</strong> Erwachsene gehören ebenfalls zur neue Produktlinie. Accessoires,<br />

wie Armbanduhren, Brillen, Schlüssel- <strong>und</strong> Geldtaschen, Gürtel <strong>und</strong><br />

Schuhbänder r<strong>und</strong>en das Bild ab.<br />

Vertrieben werden die Merchandising - Produkte in Buchhandlungen <strong>und</strong><br />

Spielwarengeschäften, Geschenkboutiquen <strong>und</strong> K<strong>auf</strong>häusern, aber auch im<br />

Fachhandel, etwa in Haushaltswarengeschäften <strong>und</strong> im Fliesenhandel.<br />

JANOSCH ist längst zum Markennamen avanciert. Derzeit erobern eigene<br />

Verk<strong>auf</strong>sstände mit JANOSCH - Produkten die Supermärkte <strong>und</strong> Großdrogerien.<br />

Angesichts dieses Erfolges, „ein Leben ohne Tigerente -<br />

himmelschietpotztausend - das wäre so fad wie eine Zahnpasta ohne Streifen!",<br />

scheint es geboten, das Besondere an den Geschichten <strong>und</strong> Figuren <strong>von</strong><br />

JANOSCH zu suchen, die ein alltäglicher Bestandteil nicht nur <strong>von</strong> Kinderkultur<br />

geworden sind. <strong>Die</strong> Zielgruppe für die Merchandising - Aktivitäten reicht dann<br />

auch, was anhand der Produktpalette ja schon zu erkennen war, vom Baby bis<br />

zum Erwachsenen. Unter den Zusehern des „Tigerenten Clubs" finden sich<br />

neben durchschnittlich 45% Kindern <strong>von</strong> 3-13 Jahren auch 15-20% Erwachsene.<br />

2.2.4.2. „Oh, wie schön ist Panama! "<br />

- die Prototypen in den Kinderbüchern <strong>von</strong> JANOSCH <strong>und</strong> Wunschvorstellungen<br />

der Gesellschaft<br />

JANOSCH bedient sich in seinen Tiergeschichten meist der literarischen Form<br />

der Fabel. <strong>Die</strong>se „säkularisierte Form des Gleichnisses", die bereits im Mittelalter<br />

benutzt wurde, um Kindern <strong>und</strong> Heranwachsenden allgemeine Regeln des<br />

sozialen Verhaltens <strong>und</strong> Fehlverhaltens vor Augen zu führen, war trotz der<br />

„Tierhelden" <strong>und</strong> der im Phantastischen angesiedelten Erzählung immer ein<br />

Zeichnen <strong>und</strong> Erzählen der tatsächlichen Verhältnisse. <strong>Die</strong> Fabel vereint<br />

verschiedene Funktionen in sich. Sie stellt die in einer Gesellschaft gültigen<br />

moralischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Normen unterhaltsam dar <strong>und</strong> fordert<br />

gleichzeitig zur Reflexion über diese Normen <strong>auf</strong>. „Insofern richtet sie thematisch<br />

ihr Augenmerk <strong>auf</strong> die Unvollkommenheit in den herrschenden Verhältnissen, sie<br />

richtet sich gegen Unterdrückung <strong>und</strong> träges Hinnehmen derselben" (DODERER<br />

1992, S.168).<br />

<strong>Die</strong> Fabeln <strong>von</strong> JANOSCH müssen im Zusammenhang mit der<br />

emanzipatorischen Kinderliteratur der späten 60er <strong>und</strong> 70er Jahre gesehen<br />

werden. Sie stellen Autoritäten, <strong>von</strong> Seite des Staates wie der Eltern, in Frage


<strong>und</strong> geben den Kindern mehr Autonomie im Handeln. <strong>Die</strong> Helden sind eindeutig<br />

die (Tier)kinder. <strong>Die</strong> durchaus romantische Vorstellung <strong>von</strong> Kindern als den<br />

Überwindern der Verhältnisse findet sich bei JANOSCH als Motiv immer wieder,<br />

beispielsweise in „Ich sag, Du bist der Bär"(JANOSCH 1977), wo ein Junge mit<br />

seinen Ratschlägen an den an seinem Arbeitsplatz drangsalierten Vater nicht<br />

nur seine eigenen Ängste überwindet, sondern auch <strong>dem</strong> Vater hilft. <strong>Die</strong>ser Typ<br />

des kindlichen Überhelden, der sich in den Bilder- <strong>und</strong> Kinderbüchern der<br />

Nachkriegszeit bis hin zur Gegenwart erhalten hat, sind zwar unrealistisch,<br />

tragen aber dazu bei, daß Kinder sich mit ihren Ängste konfrontieren <strong>und</strong> diese<br />

kontrolliert überwinden <strong>und</strong> mehr Mut zu sich selbst entwickeln können (vgl.<br />

DODERER 1992, S.114-121).<br />

In den „Panama-Geschichten" kommen Eltern gar nicht mehr vor. Der „kleine<br />

Tiger" <strong>und</strong> der „kleine Bär" erziehen sich gegenseitig. Sie sorgen füreinander,<br />

überwinden Ängste gemeinsam <strong>und</strong> geben sich Geborgenheit <strong>und</strong> Liebe.<br />

Warum waren <strong>und</strong> sind gerade diese JANOSCH Figuren, bei Kindern <strong>und</strong><br />

Erwachsenen so beliebt <strong>und</strong> so erfolgreich zu vermarkten?<br />

JANOSCH erzählt kleine Geschichten über große Menschheitsträume, die<br />

Sehnsucht nach „<strong>dem</strong> fernen Land der tausend Möglichkeiten", der Wunsch<br />

nach Reichtum, der ein unbeschwertes Leben garantiert, die Suche nach<br />

Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nach Liebe. Seine Tierfiguren „kleiner Tiger" <strong>und</strong> „kleiner Bär" sind<br />

frech, aber dabei gutmütig <strong>und</strong> hilfsbereit. Menschen kommen in den<br />

Erzählungen selten vor, wenn doch, sind sie sehr klischeehaft <strong>und</strong> einfach<br />

gezeichnet. <strong>Die</strong> „Panama - Geschichten" enden im Gegensatz zu anderen<br />

Tiergeschichten <strong>von</strong> JANOSCH gut.<br />

In den Abenteuern <strong>von</strong> „Tiger <strong>und</strong> Bär" werden romantische Themen<br />

angesprochen, der Traum vom Paradies, <strong>von</strong> Fre<strong>und</strong>schaft, vom Aussteigen.<br />

„Tiger <strong>und</strong> Bär" sind gemeinsam stark, sie halten zusammen in einer feindlichen<br />

Welt. Sie sind - sehr wirklichkeitsfremd - ausschließlich mit positiven<br />

Eigenschaften ausgestattet, ganz anders als die Figuren in den anderen<br />

Tiergeschichten <strong>von</strong> JANOSCH, etwa der „Mäusesherrif" oder „Schnuddel", die<br />

wie ganz normale Kinder nicht nur lieb <strong>und</strong> hilfsbereit sind, sondern auch nach<br />

Herzenslust flunkern , Streiche aushecken, <strong>und</strong> in ihrer Wut schon mal etwas<br />

kaputt machen. Der „kleine Tiger" <strong>und</strong> der „kleine Bär" sind im Wortsinn<br />

„Bilderbuchkinder", unschuldige, gutmütige, ruhig etwas freche Kinder im<br />

Kindergartenalter, die ihren Aktionsradius langsam erweitern <strong>und</strong> selbständig<br />

werden. Sie sind die Freude eines jeden Erwachsenen. <strong>Die</strong> beiden stehen<br />

ebenso für die verlorene Kindheit, für ein nicht wiederkehrendes <strong>und</strong> auch nie<br />

dagewesenes Idyll <strong>von</strong> Kindheit <strong>und</strong> gefallen daher gerade den Erwachsenen<br />

gut, die Kinderbücher weniger nach den Wünschen der Kinder, als nach ihren<br />

eigenen Vorstellungen auswählen <strong>und</strong> k<strong>auf</strong>en. Kinderbücher entsprechen dann<br />

auch oft eher diesen Vorstellungen, sind weniger kindgemäß als kindertümlich,<br />

„es wird nämlich nicht die Verständlichkeit für Kinder gefordert, sondern das Bild,<br />

das der Erwachsene <strong>von</strong> Kindertümlichkeit einer Illustration (oder eines Textes<br />

d. Verf.) hat" (P.MAAR zit. n. BAUMGÄRTNER /SCHMIDT 1991, S.82). Daran<br />

orientieren sich auch die an guten Umsätzen interessierten Verleger. So werden<br />

Bilder- <strong>und</strong> Kinderbücher eher verlegt, wenn die Illustrationen einfach <strong>und</strong><br />

klischeehaft kindlich sind, <strong>und</strong> der Text in „Kindesm<strong>und</strong>art" (einfache Sätze,<br />

Wiederholungen, orientiert an der kindlichen Rede) geschrieben ist. Kinder


hingegen fühlen sich <strong>von</strong> Büchern, die im Text oder in der Bildgestaltung<br />

unangemessen kindlich sind, <strong>und</strong> damit zu wenig ihrer Wißbegierde <strong>und</strong><br />

Auffassungsfähigkeit entsprechen, eher unterfordert <strong>und</strong> gelangweilt.<br />

JANOSCH gelingt es, in seinen „Panama - Büchern" kindliche<br />

Entwicklungsthemen <strong>und</strong> Kinderträume nach Autonomie <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft, nach<br />

Freiheit <strong>und</strong> Geborgenheit darzustellen, <strong>und</strong> diese in Erwachsenen<br />

wieder<strong>auf</strong>leben zu lassen. In „Oh, wie schön ist Panama" steckt das bürgerliche<br />

„my home is my castle", aber auch die Suche nach Freiheit <strong>und</strong> Abenteuer, der<br />

nicht nur in der Kindheit wichtige Gegensatz zwischen <strong>dem</strong> Wunsch nach<br />

persönlicher Autonomie <strong>und</strong> <strong>dem</strong> nach emotionaler Bindung <strong>und</strong> Geborgenheit.<br />

Darüber hinaus gewinnt JANOSCH über die in Text <strong>und</strong> Illustration versteckte<br />

Ironie <strong>und</strong> Gesellschaftskritik <strong>und</strong> jede Menge Humor auch kritische Erwachsene<br />

für sich.<br />

<strong>Die</strong> Illustrationen erinnern stilistisch an die Bilderbücher des letzten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, etwa „<strong>Die</strong> Wurzelkinder" oder die Illustrationen <strong>von</strong> LUDWIG<br />

RICHTER zu „ Wettl<strong>auf</strong> zwischen <strong>dem</strong> Hasen <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Igel" aus BECHSTEINS<br />

Märchenbuch. <strong>Die</strong> „...skurrile, leicht versponnene kleinbürgerliche Idylle strahlt<br />

die gleiche Behäbigkeit <strong>und</strong> Zufriedenheit aus wie Richters „Igel vor <strong>dem</strong> Haus".<br />

Freilich, JANOSCH betreibt die Typisierung in einer augenzwinkernd - ironischen<br />

Weise, alles ist noch ein wenig karikaturhaft - humorvoller dargestellt, aber die<br />

bildnerischen Merkmale der frühen Kinderbuchillustration sind erhalten<br />

geblieben: der betont einfache kulissenhafte Aufbau des Bildes durch Rahmung,<br />

die additive Anordnung der Bildelemente, die Verliebtheit ins Detail <strong>und</strong> die<br />

Neigung zum Pittoresken" (THIELE 1990, S.77). Mit den im Biedermeier<br />

ausgestatteten Wohnzimmern in den Büchern <strong>von</strong> JANOSCH verbindet sich<br />

zwar eine Ironisierung der bürgerlichen Familie mit ihrem Nippes <strong>und</strong><br />

Spitzendeckchen <strong>und</strong> den dahinter verborgenen, manchmal fragwürdigen<br />

doppelbödigen Moralvorstellungen <strong>und</strong> Rollenmustern, vermittelt sich aber auch<br />

Geborgenheit <strong>und</strong> Aufgehobensein in bekannter Umgebung <strong>und</strong> mit vertrauten<br />

Menschen. Fraglich ist es, ob diese Ironie sich <strong>dem</strong> oberflächlichen Betrachter<br />

mitteilt, oder ob nicht vielmehr die pittoresk, romantisch altertümliche<br />

Atmosphäre der Bilder überwiegt. Bei genauerer Betrachtung lassen sich kleine<br />

ungewöhnliche Bildelemente entdecken, die die kleinbürgerliche Idylle<br />

karikieren, etwa der obligatorische Regenschirm an der Wand oder <strong>von</strong> der<br />

Decke herabbaumelnde Pilze, Knoblauch, oder Wäsche, sowie an die Wand<br />

genagelte Zettel mit allerlei Sprüchen. So oberflächlich unterhaltsam die Bilder<br />

<strong>von</strong> JANOSCH <strong>dem</strong> Betrachter zunächst erscheinen, so hintergründig werden<br />

sie bei näherer Betrachtung.<br />

In seinen Texten orientiert sich JANOSCH meist an der kindlichen Rede. Er<br />

verwendet vielfach Wort- oder Satzwiederholungen zur Bekräftigung <strong>und</strong> spielt<br />

mit Worten, verdreht sie, schöpft neue Wörter, <strong>und</strong> verwendet jede Menge<br />

Schimpfwörter. <strong>Die</strong> komischen Wortschöpfungen <strong>und</strong> sein frecher unverblümter<br />

Stil bringen den Leser immer wieder zum Lachen. JANOSCH nimmt nichts <strong>und</strong><br />

niemanden ernst, am allerwenigsten sich selbst. <strong>Die</strong>se ironische Distanz zu<br />

seinen Büchern ermöglicht es ihm auch, obwohl er an der Oberfläche in einer<br />

konventionellen Bilderbuchidylle verharrt, dieser den ironischen Spiegel vor die<br />

Nase zu halten.


Dann wieder setzt er einen elaborierten Sprachschatz bei seinen jungen Lesern<br />

voraus, etwa in „Der Mäuse - Sheriff" oder in „Das Geheimnis des Herrn Josef"<br />

(beide ab 8 Jahre).<br />

<strong>Die</strong> freche, unverblümte <strong>und</strong> ironische Sprache <strong>und</strong> die liebevolle Illustration<br />

haben JANOSCH berühmt gemacht. Doch die Ironie liegt oft so versteckt, daß<br />

die Kinder im „JANOSCHALTER" sie ohne Hilfe nicht finden <strong>und</strong> ohne Erklärung<br />

nicht begreifen können. Sie bemerken zwar die zahlreichen Übertreibungen <strong>und</strong><br />

lachen darüber, der tiefere gesellschaftskritische Sinn bleibt ihnen aber<br />

verborgen. <strong>Die</strong>ser wiederum interessiert die sich selbst als <strong>auf</strong>geklärt <strong>und</strong><br />

sozialkritisch bezeichnende Elterngeneration. <strong>Die</strong> <strong>von</strong> JANOSCH bewußt<br />

verstreuten „Ketzereien...gegen Religionen, Eltern <strong>und</strong> Obrigkeiten"<br />

(JANOSCH,1997,S.173) sind meist augenzwinkernd - humorvoll in den Text<br />

oder ins Bild gesetzt <strong>und</strong> sollen den Kindern helfen, nicht alles zu glauben, was<br />

ihnen <strong>von</strong> Erwachsenen gesagt wird <strong>und</strong> die erlittenen Ungerechtigkeiten, denen<br />

Kinder im Alltag ausgesetzt sind, leichter zu ertragen.<br />

Ernsthafte Gesellschaftskritik findet sich hier allerdings kaum, dazu sind die<br />

Charaktere zu oberflächlich <strong>und</strong> klischeehaft gezeichnet. Auch bleibt die<br />

romantisierende Bildsprache mit Blumenranken <strong>und</strong> Biedermeiersofa in zarten<br />

Farben zu märchenhaft in der Historie stehen, um einen konkreten Bezug zur<br />

Realität heutiger Kinder entstehen zu lassen.<br />

So stellen die „Panama - Geschichten" ein bürgerlich romantisches Bild <strong>von</strong><br />

Kindheit dar, an dessen Farbe allenfalls ironisch leicht gekratzt wird, dessen<br />

Aufbau aber in sich stimmig <strong>und</strong> fest gefügt ist.<br />

Seiner Kritik an den Eltern <strong>und</strong> ihren Handlungsweisen im Umgang mit Kindern,<br />

Geboten <strong>und</strong> Verboten <strong>und</strong> Sanktionen, gibt JANOSCH an anderer Stelle in<br />

manchmal fast zu realistisch - zynischer Weise Ausdruck. Er erzählt in heiterer<br />

Versform Begebenheiten des Erziehungsalltags <strong>und</strong> läßt diese dann tragisch<br />

oder grausam enden. Er erinnert darin an HOFFMANNS „Struwwelpeter" oder<br />

„Max <strong>und</strong> Moritz" <strong>von</strong> WILHELM BUSCH. In zwei Gedichten aus „Das Leben der<br />

Thiere", die hintereinander abgedruckt sind, erfährt das Kind, daß es nicht sicher<br />

<strong>und</strong> geborgen ist, egal ob es <strong>auf</strong> die Eltern (hier die Mutter) hört oder nicht.<br />

Beide Male endet das Gedicht mit <strong>dem</strong> Tod des Tierkindes. <strong>Die</strong> Geschichten <strong>und</strong><br />

Gedichte <strong>von</strong> JANOSCH sind in ihrer pädagogischen Widersprüchlichkeit <strong>und</strong><br />

Klischeehaftigkeit durchaus diskussionswürdig. Vor allen Dingen sollten Eltern<br />

<strong>und</strong> Erzieher beachten, daß ein Buch <strong>von</strong> JANOSCH mit vielen bunten Bildern<br />

nicht automatisch dafür geeignet ist, kleine Kinder damit alleine zulassen <strong>und</strong><br />

daß JANOSCH nicht immer für frech - fröhliche, unkonventionelle<br />

Kindergeschichten mit „romantischem Touch" steht, sondern auch für ernste<br />

Geschichten <strong>und</strong> Gedichte zu immer noch tabuisierten Themen, wie<br />

Grausamkeiten unter Geschwistern (vgl. die Geschichten der Tigerschweinchen<br />

in „Das Leben der Thiere", JANOSCH 1988) oder zwischen Eltern <strong>und</strong> Kindern<br />

(„Erster Flug", ebd., S.22f).<br />

Auch seine kritisch - poetische Erwachsenenliteratur, die kleine Geschichten <strong>von</strong><br />

Menschen aus seiner polnischen Heimat erzählt <strong>und</strong> eine reflexive<br />

Beschäftigung mit der deutsch - polnischen Vergangenheit <strong>und</strong> seiner eigenen<br />

Kindheit darstellt, ist den meisten Erwachsenen unbekannt.


<strong>Die</strong> besonders klischeehaft - einfach gezeichneten Figuren „kleiner Tiger" <strong>und</strong><br />

„kleiner Bär" in ihrer „heilen Bilderbuchwelt" hatten <strong>und</strong> haben den größten<br />

Erfolg, da sie Menschheitsträume leben (s.o.) <strong>und</strong> menschlichen<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnissen Gestalt geben. Der „kleine Bär" symbolisiert Geborgenheit<br />

<strong>und</strong> der „kleine Tiger" Stärke. Beide zusammen geben <strong>dem</strong> Bedürfnis nach<br />

Liebe <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft ein Leben lang Raum. In den Geschichten werden<br />

historisch - anthropologische, die menschliche Gemeinschaft erhaltende<br />

Verhaltensweisen, Wertvorstellungen <strong>und</strong> Rollenvorstellungen vermittelt, die<br />

identitätsstiftende Wirkung haben, so Selbstdisziplin, Opferbereitschaft, Fleiß,<br />

Anpassung, Genügsamkeit.<br />

<strong>Die</strong> „Tigerente" ist eigentlich nichts weiter als eine gelb-schwarz gestreifte kleine<br />

Holzente mit Rädern, ein Spielzeug des „kleinen Tigers" <strong>und</strong> hat gar keinen<br />

eigenen Charakter. Allerdings ist sie unentbehrlich für den „kleinen Tiger" <strong>und</strong><br />

wird <strong>auf</strong> alle Abenteuer <strong>von</strong> „Bär <strong>und</strong> Tiger" mitgenommen. Sie symbolisiert die<br />

regressiven Tendenzen im Kind, erinnert an das Lieblingsspielzeug, daß man die<br />

ganze Kinderzeit hindurch mit sich herumtrug, ohne das an Einschlafen nicht zu<br />

denken war. Sie ist beständig <strong>und</strong> gibt Halt <strong>und</strong> Geborgenheit. Sie ist es dann<br />

auch, die den meisten Erfolg in den Medien <strong>und</strong> <strong>auf</strong> den JANOSCH - Produkten<br />

hat.<br />

Alle drei bieten in ihrer Einfachheit Projektionsflächen für<br />

Identifikationsbedürfnisse <strong>auf</strong> breiter Ebene. <strong>Die</strong>s ermöglicht erst eine<br />

massenweise Vermarktung im Medienverb<strong>und</strong> <strong>und</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Lizenzwarenmarkt.<br />

Tigerente <strong>und</strong> Co. unterscheiden sich in ihrer illusionistisch - einfach kindlichen<br />

<strong>und</strong> plakativ - harmonischen Machart nicht <strong>von</strong> den Zeichentrickfiguren der Walt<br />

Disney Filme <strong>und</strong> der japanischen Billigproduktionen „Biene Maja", "Heidi",<br />

„Wickie" u.a. Sie alle leben vom Image der Buch - <strong>und</strong> Trickfilmfiguren.<br />

2.2.4.3.Tigerente <strong>und</strong> Co.- Fre<strong>und</strong>e fürs Leben?<br />

Kinder sind heute, mehr noch als <strong>von</strong> anderen Kinderfiguren, <strong>von</strong> „Tigerente"<br />

<strong>und</strong> Co. umgeben, da diese <strong>auf</strong> breiter Basis <strong>von</strong> Erwachsenen, Eltern <strong>und</strong><br />

Großeltern, Kindergärtner/innen <strong>und</strong> Lehrer/innen, akzeptiert <strong>und</strong> befürwortet<br />

werden. <strong>Die</strong> Geschichten <strong>von</strong> JANOSCH sind aus keiner Leseecke in<br />

Kindergarten oder Gr<strong>und</strong>schule mehr wegzudenken, die Kassetten <strong>von</strong> Emil<br />

Grünbär zur Umwelterziehung <strong>und</strong> die Filme mit „Bär <strong>und</strong> Tiger" zur<br />

Verkehrserziehung ebenso. Tigerente <strong>und</strong> Co. mit ihrem liebenswert - frechen<br />

Charme sind feste Bestandteile der heutigen Alltagskultur geworden.<br />

Anders als vergleichbar erfolgreiche Kinderfigurprodukte im Medien- <strong>und</strong><br />

Kulturwarenverb<strong>und</strong> sind die Produkte qualitativ hochwertig, also weniger <strong>auf</strong><br />

rasche Konsumption <strong>und</strong> Kurzlebigkeit ausgerichtet. <strong>Die</strong>s hängt mit <strong>dem</strong> Image<br />

der Figuren zusammen. Sie stehen für Beständigkeit, die gute alte Zeit,<br />

Gemütlichkeit <strong>und</strong> sollen den „Longseller - Erfolg" der Bücher unterstreichen.<br />

Das Marketingkonzept heißt dann auch: Markenhersteller zur Zusammenarbeit<br />

gewinnen, Umweltbewußtsein <strong>und</strong> Qualität zeigen in Materialauswahl <strong>und</strong> -<br />

verarbeitung. So werden gängige Lizenzthemen <strong>und</strong> Produkte wie Süßigkeiten,<br />

Plastikfiguren <strong>und</strong> -spielzeug bewußt vermieden. <strong>Die</strong> Tigerentenwelt besteht aus<br />

Holzspielzeug, Naturbleistiften, Papiertüten <strong>und</strong> echtem Porzellan. JANOSCH ist


zur Kultmarke avanciert, <strong>und</strong> hat damit „...für einen bestimmten Zeitraum einen<br />

Identifikations-, einen Innovations- <strong>und</strong> einen Erlebniswert..., den ein Produkt mit<br />

einem anderen Namen, erfüllt es auch den gleichen Zweck, nie <strong>und</strong> nimmer<br />

haben kann" (MÜLLER 1997, S.154). JANOSCH - Produkte sollen „Fre<strong>und</strong>e fürs<br />

Leben" werden. Ob sie es schaffen, den Kultstatus über die Jahre zu erhalten,<br />

bleibt fraglich. <strong>Die</strong> aggressiven Werbestrategien dieses Jahres mit<br />

Verk<strong>auf</strong>sständen in nahezu allen größeren Geschäften <strong>und</strong> die enorme<br />

Ausweitung der Produktpalette verheißen im Moment noch Erfolg, die<br />

Exklusivität, die Kinder in ihren eigenen Moden <strong>und</strong> Stilen suchen, ist damit aber<br />

nicht mehr gegeben. <strong>Die</strong> Ausweitung der Produktpalette <strong>auf</strong><br />

Erwachsenenprodukte schafft zwar einen größeren Käuferpool, könnte aber<br />

durchaus dazu führen, daß Tigerente <strong>und</strong> Co. bei Kindern sehr schnell „mega -<br />

out" sind. Sie dienen den Kindern auch zur Abgrenzung ihrer Welt gegenüber<br />

Jugendlichen <strong>und</strong> Erwachsenen. Sind die Produkte nicht mehr ausschließlich für<br />

sie, verlegen sie sich schnell <strong>auf</strong> ein anderes Emblem oder Logo. Durch die<br />

aggressive Expansion der JANOSCH - Produktpalette wurde außer<strong>dem</strong> der<br />

„Mode" - Charakter unterstützt, der „Longseller - Effekt" leidet unter der Dynamik,<br />

der Moden <strong>und</strong> Stile ausgesetzt sind. Zuviel Produktpräsenz läßt ein Produkt,<br />

einen Namen oder Emblem schnell veralten, <strong>und</strong> da bei JANOSCH die<br />

Produktpalette nahezu ausgereizt ist <strong>und</strong> sich auch hinsichtlich der Produkt -<br />

Neugestaltung nicht viel ändern läßt, ist es fraglich, wann der Abwärtstrend<br />

einsetzt. Außer<strong>dem</strong> haben die JANOSCH - Figuren, dieses Jahr prominente<br />

(Schein)konkurrenzin Form der guten alten „Maus" aus den „Lach- <strong>und</strong><br />

Sachgeschichten" bekommen. Anläßlich des 26jährigen Fernsehjubiläums<br />

startete eine ungeheure Werbekampagne <strong>und</strong> so stehen „Maus, Elefant <strong>und</strong><br />

Ente" mit einer ähnlichen Produktpalette, im eigenen Verk<strong>auf</strong>sstand momentan<br />

neben „kleinem Tiger", „kleinem Bär" <strong>und</strong> „Tigerente" in den Geschäften <strong>und</strong><br />

K<strong>auf</strong>häusern. Auf <strong>dem</strong> Markt für Erwachsenenprodukte haben sich Maus <strong>und</strong><br />

Co. bisher nur bis zu den Socken <strong>und</strong> Herren - Boxershorts vorgewagt.<br />

Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten konkurrieren die „ Sendung mit der Maus -<br />

Figuren" nur scheinbar mit den Figuren <strong>von</strong> JANOSCH, da der Gewinn in<br />

nahezu die gleichen Kanäle fließt. Bezüglich der Sympathie <strong>und</strong> Aufmerksamkeit<br />

der K<strong>und</strong>en aber stehen sie <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> ihres ähnlichen Images durchaus im<br />

Konkurrenzverhältnis. <strong>Die</strong> Geschichten um die Figuren entstammen der gleichen<br />

Zeit, die heutige Elterngeneration wuchs schon mit der „Sendung mit der Maus"<br />

<strong>auf</strong>. Auch sie steht für Beständigkeit, erinnert an die eigene Kindheit,<br />

Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> kindliches Autonomiestreben.<br />

Resümierend läßt sich befürchten, daß die Marke JANOSCH, die wie alle<br />

anderen Marken <strong>und</strong> Ikonen der Medien- <strong>und</strong> Konsumwelt der Dynamik des<br />

Marktes ausgesetzt ist, vom Sog des ewig Neuen mitgerissen wird. <strong>Die</strong> nächsten<br />

Trends <strong>und</strong> Kinderkulte stehen schon in den Startlöchern.<br />

3. <strong>Die</strong> Konstruktion der Wirklichkeit - Kinder gestalten ihre eigene Kultur<br />

<strong>Die</strong> Medien- <strong>und</strong> Konsumwelt, in der Kinder heute <strong>auf</strong>wachsen, die Fülle <strong>und</strong><br />

Allgegenwart <strong>von</strong> medialen Angeboten <strong>und</strong> Waren für Kinder in ihrer virtuellen<br />

Ästhetik, sprechen für Verführung, die ausgefeilten Werbestrategien für<br />

Manipulation <strong>und</strong> für das planvolle Ausnutzen des noch unerfahrenen <strong>und</strong>


gutgläubigen Kindes mit seinen unerfüllten Bedürfnissen. So ging denn auch die<br />

medienpädagogische Forschung zunächst lange <strong>von</strong> einem kommunikativen<br />

Imperativ der Medienwirkung in der Tradition <strong>von</strong> Marshall Mc Luhan aus. Der<br />

Wirkungsbegriff als solches ist deterministisch zu einseitig verwendet worden,<br />

<strong>dem</strong> Rezipienten wurde lange Passivität unterstellt.<br />

Erst mit <strong>dem</strong> Nutzenansatz vollzog sich die längst notwendige Hinwendung zum<br />

aktiven Mediennutzer, der Medieninhalte nach persönlichen Vorlieben auswählt<br />

<strong>und</strong> konsumiert. Auch dieser Ansatz war zu mechanistisch angelegt, bleiben<br />

doch sowohl die interaktiven Komponenten des Mediums als auch die<br />

sozialökologische Einbindung des Rezipienten außer acht.<br />

<strong>Die</strong> Polarität <strong>von</strong> gesellschaftlichen Massenfolien <strong>und</strong> Erlebnis -<br />

Inszenierungswelten <strong>von</strong> Medien <strong>und</strong> Konsum, wie auch die gegenläufigen<br />

Tendenzen der Individualisierungsprozesse in sozialen Kleingruppen müssen<br />

<strong>von</strong> Kindern heute zu einer persönlichen Identität vereint werden (vgl. TIETZE<br />

/ROSSBACH 1993, S.66). Dabei differieren <strong>und</strong> wechseln die Anforderungen<br />

<strong>und</strong> sinnstiftenden Angebote der medialen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Umwelt so<br />

immens, daß die Identitätsfindung, die individuelle Verortung in der Gesellschaft<br />

nur noch mit Mühe zu bewältigen ist .<br />

Medien <strong>und</strong> Kulturwaren für Kinder dienen der Orientierung, der Verortung in der<br />

Gesellschaft der Gleichaltrigen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> der gleichzeitigen Abgrenzung<br />

<strong>von</strong> den Erwachsenen <strong>und</strong> kleineren <strong>und</strong> größeren Kindern. Sie helfen sowohl<br />

bei der Bewältigung individueller Problemlagen in der Familie, als auch bei der<br />

im Entwicklungsprozeß notwendigen Bewältigung <strong>von</strong> Rollenanforderungen <strong>und</strong><br />

Entwicklungs<strong>auf</strong>gaben.<br />

So muß Mediensozialisationsforschung heute sozialökologische Gesichtspunkte<br />

<strong>und</strong> situative Elemente, individuelle momentane Entwicklungslagen <strong>und</strong><br />

generelle Entwicklungs<strong>auf</strong>gaben berücksichtigen. <strong>Die</strong>s bedeutet mehr denn je<br />

Interdisziplinarität <strong>und</strong> Methodenvielfalt, erfordert den Einbezug interpretativer,<br />

heuristischer Verfahren <strong>und</strong> eine Aufgabe der strengen Kausal - Empirie.<br />

Im Folgenden sollen unter besonderer Berücksichtigung der Methode der<br />

strukturanalytischen Rezeptionsanalyse <strong>von</strong> CHARLTON /NEUMANN-BRAUN<br />

u.a. zur Medien- <strong>und</strong> Werbekompetenzentwicklung (1995), sowie zu<br />

Medienkonsum <strong>und</strong> Identitätsentwicklung (1986; 1990) <strong>und</strong> der Arbeiten <strong>von</strong><br />

HURRELMANN u.a. zur Lesesozialisation (1993) einige Faktoren herausgestellt<br />

werden, die den individuellen Umgang mit der Medienvielfalt <strong>und</strong> <strong>dem</strong><br />

Kulturwarenmarkt für Kinder im L<strong>auf</strong>e der Identitätsentwicklung besonders<br />

beeinflussen.<br />

3.1. Mediennutzungsgewohnheiten <strong>und</strong> das Vorbild der Eltern<br />

<strong>Die</strong> Familie, als Ort der primären Sozialisation mit den ersten Erfahrungen <strong>auf</strong><br />

Beziehungs- <strong>und</strong> Dingebene <strong>und</strong> den primären Bezugspersonen als Vorbilder für<br />

eigenes Handeln, beinhaltet auch Medienhandeln als Teil des Alltagshandelns.<br />

Neben der Ausstattung mit <strong>und</strong> der Verfügbarkeit <strong>von</strong> Medien bestimmen<br />

familiale Nutzungsgewohnheiten die Einbettung des Mediengebrauchs in das<br />

Familiengeschehen, das „Erlernen <strong>von</strong> Alltagsroutinen (im Medienumgang, d.


Verf.) <strong>und</strong> Muster kommunikativen Handelns" (HURRELMANN u.a.1993, S.85).<br />

Besonderheiten <strong>und</strong> Inkonsistenzen in der alltäglichen familialen Mediennutzung,<br />

wie etwa willkürliche, pädagogisch „verordnete" Restriktionen des kindlichen<br />

Mediengebrauchs, erzeugen Spannungen <strong>und</strong> Unsicherheitsgefühle bei Kindern.<br />

HURRELMANN (ebd, S.95ff.) konnte fünf Cluster unterschiedlicher familialer<br />

Mediennutzungsmuster finden. „Intensivnutzer vieler Medien" (23,5%) sind mit<br />

Medien sehr gut ausgestattet <strong>und</strong> zeigen sowohl häufiges <strong>und</strong> langes Lesen wie<br />

auch die intensive Nutzung der elektronischen Medien, besonders des<br />

Fernsehens. „Intensivnutzer <strong>von</strong> Büchern" (27%) zeigen ein selektives<br />

Medienverhalten. Sie bevorzugen Bücher <strong>und</strong> anspruchsvolle Zeitschriften <strong>und</strong><br />

sehen kaum fern. Neben <strong>dem</strong> Lesen scheint in dieser Gruppe besonders das<br />

Musikhören eine wichtige Funktion zu haben. In dieser Gruppe sind die Eltern<br />

mit <strong>dem</strong> höchsten Bildungsniveau deutlich überrepräsentiert. „Intensivnutzer <strong>von</strong><br />

Computermedien" (14%) nutzen andere Medien kaum <strong>und</strong> den Computer<br />

hauptsächlich zum Spielen. <strong>Die</strong> Ausstattung mit Printmedien ist stark<br />

unterdurchschnittlich, auch die elektronischen Medien, mit Ausnahme des<br />

Fernsehers, sind unterdurchschnittlich vorhanden <strong>und</strong> werden nicht sehr intensiv<br />

genutzt. <strong>Die</strong> Fernsehnutzung entspricht in etwa <strong>dem</strong> Gesamtdurchschnitt.<br />

„Durchschnittliche Mediennutzer" (23,5%) spiegeln in ihren Mediengewohnheiten<br />

in allen Bereichen etwa den Durchschnitt der Gesamtstichprobe, lediglich die<br />

tagesaktuellen Medien sind leicht überdurchschnittlich vertreten. <strong>Die</strong><br />

Medienausstattung entspricht ebenfalls der Gesamtpopulation, desgleichen die<br />

Schichtzugehörigkeit. „Intensivnutzer weniger Medien" (12%) zeigen geringes<br />

Interresse am Buchlesen <strong>und</strong> bevorzugen das Fernsehen stark. Gelesen werden<br />

Tageszeitungen, Illustrierte <strong>und</strong> am häufigsten Heftchen - Romane. <strong>Die</strong><br />

Medienausstattung ist eher begrenzt. Das untere Bildungsniveau ist deutlich<br />

überrepräsentiert <strong>und</strong> Eltern mit höherem Bildungsniveau fehlen in dieser<br />

Gruppe ganz.<br />

Den verschiedenen familialen Mediennutzungsmustern lassen sich die Kinder<br />

der untersuchten Familien der Tendenz nach zuordnen (Zuordnung nach<br />

Befragung der Mütter). Daraus läßt sich nun zunächst nur eine Orientierung der<br />

Kinder am elterlichen Medienverhalten festhalten, die noch der näheren<br />

Konkretisierung bedarf.<br />

Wie oben schon zu sehen, scheinen Schichtzugehörigkeit <strong>und</strong> Bildungsniveau<br />

mit bestimmten Nutzungsmustern <strong>und</strong> Präferenzen für bestimmte Medien<br />

konform zu gehen. Das Familieneinkommen korreliert deutlich mit der Anzahl der<br />

vorhandenen elektronischen Mediengeräte, während sich aber bei höherem<br />

Bildungsniveau <strong>und</strong> Schichtzugehörigkeit leicht negative Zusammenhänge<br />

erkennen lassen. Besonders <strong>auf</strong> Videorecorder (nur 39% besitzen einen,<br />

gegenüber r<strong>und</strong> 71% in der unteren Bildungsebene) <strong>und</strong> Kabelfernsehen (r<strong>und</strong><br />

32% gegenüber 55%) legen Familien mit höherem Bildungsniveau weniger Wert.<br />

Im Besitz <strong>von</strong> Büchern zeigen sich noch immer am deutlichsten soziale<br />

Statusunterschiede. Bildung <strong>und</strong> Schicht korrelieren hochsignifikant (p


Eltern. Kinder <strong>von</strong> „Intensivnutzer(n) vieler Medien" nutzen ebenso intensiv <strong>und</strong><br />

selbstverständlich eine breite Palette <strong>von</strong> Medien, wie ihre Eltern, Kinder <strong>von</strong><br />

„Intensivnutzer(n) <strong>von</strong> Büchern" nutzen Bildschirmmedien vergleichsweise wenig<br />

<strong>und</strong> lesen dafür häufiger <strong>und</strong> mehr. Sie ahmen darin ihre Eltern nach, ebenso<br />

wie die Kinder der „Intensivnutzer <strong>von</strong> Computermedien", die eine Vorliebe für<br />

Computer <strong>und</strong> Telespiele entwickelt haben <strong>und</strong> relativ selten lesen. Innerhalb der<br />

familienimmanenten Nutzungsmuster spielt die soziale Einbindung des<br />

Mediengebrauchs eine Rolle für die Orientierung <strong>und</strong> das Medienverhalten der<br />

Kinder. <strong>Die</strong>s ist etwa die Gemeinsame Nutzung eines Mediums, der Zweck des<br />

Mediengebrauchs, etwa zur Information, Entspannung, Unterhaltung, oder aber<br />

als Kompensation, Ablenkung, Alltagsflucht. Das Gespräch über Medien,<br />

inhaltlich erzählend oder kritisierend, oder formal über die Medienmacher <strong>und</strong><br />

über Intentionen <strong>von</strong> Medien sind wichtige Komponenten der<br />

Mediensozialisation.<br />

<strong>Die</strong> soziale Einbettung des Medienhandelns als Bestandteil <strong>von</strong> Alltagshandeln<br />

gestaltet sich nach allgemeinen Regeln des Zusammenlebens, der familialen<br />

Interaktion <strong>und</strong> Kommunikation <strong>und</strong> nach besonderen Familienthemen, die im<br />

Medienhandeln bewältigt werden.<br />

3.2. Familienklima <strong>und</strong> familiale Kommunikation<br />

HURRELMANN konnte in ihrer Untersuchung zur Lesesozialisation unter<br />

Verwendung der Familienklima -Skalen des „Familiendiagnostischen<br />

Testsystems" (SCHNEEWIND u.a. 1985), vier Cluster unterschiedlicher<br />

Interaktions- <strong>und</strong> Kommunikationsmuster differenzieren. In Familien mit<br />

„integrationsschwacher Interaktions- <strong>und</strong> Kommunikationsstruktur"(31%)<br />

herrscht ein eher unverbindliches Beziehungsgefüge, ein lässiger, fast<br />

nachlässiger Umgang mit Regeln. <strong>Die</strong> familialen Rollen entbehren einer klaren<br />

Kontur, Rechte <strong>und</strong> Pflichten sind nicht genau festgelegt. Auf Kontrolle wird<br />

weitestgehend verzichtet, Leistungs- <strong>und</strong> Erfolgsorientierung sind nur schwach<br />

ausgeprägt <strong>und</strong> im Freizeitbereich erfolgt auch keine Integration der<br />

verschiedenen Interessen.<br />

Familien mit „freizeitaktive(r) Interaktions- <strong>und</strong> Kommunikationsstruktur mit hoher<br />

familialer Kohäsion" (27,6%) sind durch ein hohes Maß an gemeinschaftlichen<br />

Freizeitaktivitäten gekennzeichnet, bei gleichzeitig geringer Orientierung an<br />

Leistung <strong>und</strong> Erfolg. Familienregeln werden verbindlich aber solidarisch<br />

festgelegt <strong>und</strong> <strong>auf</strong> ihre Einhaltung wird geachtet. Insgesamt zeichnen sich<br />

Familien dieses Typs durch transparente, offene Interaktions- <strong>und</strong><br />

Beziehungsstrukturen aus.<br />

Familien des Clusters „deutlich reglementierte Interaktions- <strong>und</strong><br />

Kommunikationsstruktur mit Dominanz der Leistungsorientiertheit" (25,7%) sind<br />

überdurchschnittlich stark leistungs- <strong>und</strong> wettbewerbsorientiert. Familienregeln<br />

werden einseitig autoritativ festgelegt <strong>und</strong> nicht argumentativ ausgehandelt. Es<br />

finden sich klare Rollenvorgaben, <strong>von</strong> denen nicht abgewichen wird. Wenig<br />

Gemeinsamkeiten in der aktiven Freizeitgestaltung sind kennzeichnend.<br />

Der vierte Familientyp „rigide <strong>und</strong> interaktionsarme Familienstruktur mit<br />

schwacher familialer Kohäsion" (16,4%) ist vor allem durch ein sehr autoritäres


Familienklima mit Sanktionstendenz bei unerwünschten Gefühlen, wie Ärger<br />

oder Kritik gekennzeichnet. Es wird fast gar nicht miteinander kommuniziert. <strong>Die</strong><br />

Freizeit verbringen die Familienmitglieder getrennt.<br />

Der Einfluß der familialen Interaktions- <strong>und</strong> Kommunikationsmuster <strong>auf</strong> das<br />

Medienverhalten der Kinder ist sowohl intentionaler als auch funktionaler Natur.<br />

<strong>Die</strong> intentionale Einflußnahme geschieht etwa über familieninterne Vorstellungen<br />

<strong>und</strong> Regeln zum Medienverhalten, deren Einhaltung, je nach Offenheit<br />

unterschiedlich überprüft <strong>und</strong> sanktioniert werden. Hinsichtlich der Förderung<br />

des Leseverhaltens bei Kindern gestaltet sich „bewußte Leseerziehung" sehr<br />

schnell kontraproduktiv, wenn das Familienklima durch einen starken Leistungs-<br />

<strong>und</strong> Anpassungsdruck geprägt ist. Auch autoritäre Strukturen behindern eher<br />

das Ausbilden vielfältiger Leseinteressen. Für die Entwicklung <strong>von</strong> Interesse <strong>und</strong><br />

Freude am Lesen, scheint ein psychosozial „anregendes" <strong>und</strong> „positiv<br />

emotionales" Familienklima mit aktiver familialer Freizeitgestaltung förderlich zu<br />

sein. Genau umgekehrt verhält es sich mit <strong>dem</strong> Fernsehen. Kinder aus<br />

„freizeitaktiven" Familien sehen weniger fern als Kinder aus anderen Familien.<br />

Besonders rigide <strong>und</strong> autoritäre Familienstrukturen begünstigen dagegen das<br />

„Vielsehen" der Kinder. <strong>Die</strong>s liegt nicht nur in der Anregungsarmut dieses<br />

Familienklimas <strong>und</strong> im Vorbildhandeln der Eltern begründet, sondern vielmehr in<br />

der Funktion, die das Medium Fernsehen in diesen Familien hat. In Familien mit<br />

geringer Kohäsion <strong>und</strong> rigiden Kommunikationsstrukturen können familiale<br />

Probleme, Machtkämpfe einzelner Familienmitglieder, Autonomiebestrebungen<br />

oder Partnerprobleme, wie auch gesellschaftlich verursachte Probleme, soziale<br />

Randlage <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit nicht artikuliert, besprochen, gelöst <strong>und</strong><br />

verarbeitet werden. Fernsehen dient in solchen belasteten Familien der<br />

Lebensbewältigung, es hält die familiale Lage stabil. Nach CHARLTON (1986)<br />

ist Fernsehen in „Vielseher" - Familien oft das einzige gemeinsame<br />

Freizeitverhalten der Familie. Es dient sowohl der Ablenkung <strong>von</strong> der als<br />

ungerecht <strong>und</strong> bedrohlich erlebten gesellschaftlichen Realität, als auch <strong>dem</strong><br />

Erleben <strong>von</strong> „Gemeinsamkeit" <strong>und</strong> Geborgenheit in einer sonst sehr disparaten<br />

Familiensituation.<br />

Welche Familienthemen genau im Medienkonsum bearbeitet werden, muß für<br />

jede Familie bestimmt werden. <strong>Die</strong>s läßt sich nur anhand einer genauen<br />

Situationsbeschreibung <strong>und</strong> Analyse der familialen Medienrezeption unter<br />

Erstellung einer Familienanamnese interpretativ leisten. Der Beitrag, den<br />

Medienhandeln als soziales Handeln zur Interaktion <strong>und</strong> Kommunikation im<br />

Alltag, der Familie, am Arbeitsplatz, in Kindergarten <strong>und</strong> Schule oder bei<br />

Fre<strong>und</strong>en leistet, kann jeweils nur im konkreten Fall durch Evaluation der<br />

Familienthemen <strong>und</strong> der Analyse der individuellen Entwicklungsthemen im<br />

sozialen Kontext familialen Handelns <strong>auf</strong>gezeigt werden. <strong>Die</strong> <strong>von</strong> CHARLTON<br />

<strong>und</strong> NEUMANN-BRAUN (1886, 1995) entwickelte strukturanalytische<br />

Rezeptionsanalyse stellt ein Verfahren dar, welches es ermöglicht, das<br />

Medienhandeln in Zusammenhang mit kindlichen Entwicklungsthemen, die sich<br />

aus seinem körperlichen <strong>und</strong> geistigen Entwicklungsstand ergeben, <strong>und</strong> mit<br />

Familienthemen, Rollenerwartungen, Zusammenhalt oder Disparitäten <strong>und</strong><br />

Konflikte zu bringen.


3.3. „Der kleine Tiger ist ganz stark" - Medienhandeln <strong>und</strong> Identität<br />

Kinder (Erwachsene natürlich auch) nutzen Medien „thematisch<br />

voreingenommen", d.h., sie picken sich Inhalte oder Identifikationsfiguren aus<br />

den sie umgebenden Medien heraus, die ihnen in ihrer momentanen<br />

Entwicklungssituation weiterhelfen. <strong>Die</strong> Auseinandersetzung mit den Figuren läßt<br />

sich steuern, das Kind kann die Rezeptionssituation <strong>auf</strong>suchen, den Fernseher<br />

oder Kassettenrecorder beispielsweise ein <strong>und</strong> wenn nötig auch wieder<br />

abschalten. Wiedergabemedien ermöglichen eine Wiederholung der Geschichte,<br />

des Liedes oder des Filmes. Gerade Kinderängste vor Trennung <strong>und</strong><br />

Verlassenwerden oder die Furcht vor der Außenwelt, Tieren <strong>und</strong> Dunkelheit<br />

werden in Geschichten <strong>und</strong> Filmen für Kinder thematisiert <strong>und</strong> bieten so <strong>dem</strong><br />

Kind einen Spiegel der eigenen Situation. Sich im Medienhandeln <strong>auf</strong> die<br />

Angstauslöser einzulassen ist nicht so schwer <strong>und</strong> das wiederholte Bearbeiten<br />

der Angst - wichtig ist hierbei das „Happy End" der Geschichte - hilft <strong>dem</strong> Kind<br />

bei der Bewältigung der eigenen Ängste. Man denke etwa an die Geschichte <strong>von</strong><br />

„Heidi", die in dramatischer Weise Kindheitsängste <strong>auf</strong>greift <strong>und</strong> der Lösung<br />

zuführt. Der Symbolgehalt dieser Figur war es dann auch zu verdanken, daß die<br />

erste große deutsche Merchandising Kampagne ein voller Erfolg wurde<br />

(JENSEN/ROGGE 1980, S.13). Seither werden moderne Märchenhelden über<br />

Fernsehserien oder Filme mit Symbolgehalt für kindliche Entwicklungs<strong>auf</strong>gaben<br />

<strong>auf</strong>geladen, die Kindheitswünsche, -konflikte <strong>und</strong> -ängste widerspiegeln. <strong>Die</strong><br />

Symbolik der Medienhelden überträgt sich <strong>auf</strong> die Lizenzwaren. So steht der<br />

„Pumuckl" für frech sein, Angst haben <strong>und</strong> überwinden, <strong>und</strong> das Streben nach<br />

Autonomie. <strong>Die</strong> JANOSCH - Figuren „kleiner Bär" <strong>und</strong> „kleiner Tiger" für<br />

Autonomiebestreben, Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> Geborgenheit, der „kleine Tiger" darüber<br />

hinaus noch für Stärke. <strong>Die</strong> „Tigerente" symbolisiert die regressiven Tendenzen,<br />

das „immer Kind bleiben wollen <strong>und</strong> geborgen sein". Mediengeschichten <strong>und</strong><br />

Figuren sowie die <strong>Kinderwelten</strong> der Spielzeugindustrie, erlauben das Ausleben<br />

<strong>von</strong> Wunschphantasien <strong>und</strong> geben Träumen vom „groß <strong>und</strong> stark sein" Raum,<br />

dienen der Kompensation anhand der eigenen, täglich erlebten Ohnmacht. Sie<br />

dienen der Darstellung alltäglicher oder latenter Konfliktsituationen mit den Eltern<br />

<strong>und</strong> erlauben während der ödipalen Krise ein gefahrloses Ausagieren <strong>von</strong><br />

Haßgefühlen <strong>auf</strong> den gleichgeschlechtlichen Elternteil sowie das spielerische<br />

Einlassen <strong>auf</strong> die eigene Geschlechtsrolle.<br />

Das Hineinwachsen in die Welt erfordert ein schrittweises Hinaustreten aus der<br />

Geborgenheit der Familie, bringt den Konflikt zwischen erwünschter Autonomie<br />

<strong>und</strong> emotionaler Abhängigkeit. Seinen Platz in der Gemeinschaft der<br />

Gleichaltrigen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e finden, den Erwartungen der anderen genügen,<br />

deren Anerkennung finden <strong>und</strong> seinen eigenen Standpunkt doch zu vertreten, ist<br />

eine schwere Aufgabe. Für das spielerische Ausprobieren <strong>und</strong> Erlernen <strong>von</strong><br />

Interaktionskompetenz im Rollenhandeln, welches für die Geschlechtsrollen- <strong>und</strong><br />

Altersrollenidentifikation wichtig ist, liefern Medien <strong>und</strong> Spielwaren<br />

Identifikationsfolien.<br />

In der klischeehaften Einfachheit der Prototypen der Kindermedien <strong>und</strong><br />

Spielwaren zeigen sich gesellschaftliche Raster <strong>und</strong> Normvorstellungen, in klarer<br />

Dichotomie zwischen „gut <strong>und</strong> böse" <strong>und</strong> zwischen „männlich <strong>und</strong> weiblich",<br />

stellen „Heidi", „Biene Maja" oder „Knight Rider",„Barbie", „Masters of the<br />

Universe" <strong>und</strong> „Playmobil", ähnlich den früheren Märchen - <strong>und</strong> Kasperlfiguren,


Richtschnüre für gesellschaftlich erwünschtes <strong>und</strong> unerwünschtes Verhalten dar<br />

<strong>und</strong> lassen doch Raum für Phantasie. Letzteres wird <strong>von</strong> Eltern <strong>und</strong> Pädagogen<br />

immer wieder angezweifelt, da die „Masters - Figuren", die „Barbie - Puppen"<br />

<strong>und</strong> andere Plastikfiguren so eindimensional angelegt sind, daß Kinder damit nur<br />

die in den Medien vorgegebenen Geschichten spielen können <strong>und</strong> schnell das<br />

Interesse daran verlieren. Durch eigene Beobachtung zumindest ließ sich diese<br />

Behauptung nicht bestätigen, im Gegenteil: für Kinder sind die Puppen nur<br />

Statisten, das Stück schreiben sie selber <strong>und</strong> wenn die eigene Choreographie<br />

keine anderen Möglichkeiten läßt, z.B. wenn nicht genügend Figuren vorhanden<br />

sind, so wird schon mal „Skeletor"(der Böse) zum Helfer <strong>von</strong> „H-Man" (<strong>dem</strong><br />

Guten), der <strong>von</strong> einer Armee <strong>von</strong> Playmobilrittern gefangen genommen wurde.<br />

Auch der „Barbie - Puppe" wird bei Bedarf eine Punkfrisur verpasst, wenn das<br />

Spiel dies erfordert. <strong>Die</strong>se <strong>und</strong> ähnliche Szenen einer Instrumentalisierung <strong>und</strong><br />

Zweckentfremdung der Spielfiguren ließ sich in der täglichen Arbeit mit Vor - <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schulkindern immer wieder beobachten. Von der Medien <strong>und</strong><br />

Spielzeugindustrie werden permanent neue Helden oder Zubehör - Sets <strong>und</strong><br />

Sek<strong>und</strong>ärartikel für schon existierende <strong>Kinderwelten</strong> angepriesen <strong>und</strong> <strong>auf</strong> den<br />

Markt gebracht. Kinder sprechen <strong>auf</strong> die Verlockungen der bunten, schillernden<br />

<strong>und</strong> abenteuerlichen Werbung durchaus an <strong>und</strong> wollen möglichst viele <strong>von</strong><br />

diesen Dingen besitzen. <strong>Die</strong>s entspricht der kindlichen Sammelleidenschaft <strong>und</strong><br />

der Freude am Haben, aber auch am Mitreden <strong>und</strong> Herzeigen können, beneidet<br />

werden <strong>und</strong> tauschen. Medienprodukte <strong>und</strong> Spielzeugwelten, zunehmend auch<br />

Markenkleidung, dies haben die Kleinen den Erwachsenen längst abgeschaut,<br />

sind für Kinder ebenso Statussymbole, wie Markenkleidung <strong>und</strong> ein Auto der<br />

Marke „XYZ" für die Eltern. Sie dienen der Verortung in einer anonymen<br />

Massengesellschaft, in der das Subjekt in der Konstruktion persönlicher Identität<br />

zunehmend <strong>auf</strong> sich alleine gestellt ist.<br />

3.4. Medienerfahrung <strong>und</strong> Werbekompetenz - der Umgang mit den<br />

<strong>Kinderwelten</strong><br />

Wie gestaltet sich nun der kindliche Umgang mit den Produkten der sie<br />

umgebenden Medien <strong>und</strong> Spielzeugwelten, nach welchen Kriterien orientieren<br />

sich Kinder im Dschungel der Angebote, lassen sich verführen <strong>und</strong> manipulieren<br />

oder drehen den Spieß um <strong>und</strong> nutzen die Vielfalt zur Selbstdarstellung <strong>und</strong> zur<br />

Abgrenzung ihrer „Kinderkultur" <strong>von</strong> Jugendlichen <strong>und</strong> Erwachsenen?<br />

Ein wichtiger Aspekt wurde schon angesprochen.<br />

Kinder nutzen Medien <strong>und</strong> Kinderwaren themengeleitet, zur Bearbeitung <strong>von</strong><br />

persönlichen oder sozialen Entwicklungs<strong>auf</strong>gaben <strong>und</strong> „Krisen der<br />

Identitätsentwicklung" (vgl. Erikson 1974, S.55-122) <strong>und</strong> zur sozialen Verortung<br />

in der Gesellschaft. <strong>Die</strong> dazu benötigten Fähigkeiten werden im Zuge der<br />

Entwicklung im alltäglichen Gebrauch analog anderer Fähigkeiten erlernt <strong>und</strong><br />

erweitert.<br />

Ebenfalls schon angesprochen wurde das Vorbild der Eltern, das beim Erlernen<br />

des Medienhandelns, wie auch im Umgang mit der materiellen Kultur eine<br />

wichtige Rolle spielt.


3.4.1. Medienrezeption als aktive Bedeutungskonstruktion<br />

Kinder erwerben im L<strong>auf</strong>e ihrer Entwicklung eine elaborierte Medienkompetenz,<br />

die es ihnen ermöglicht, verschiedene Genres des Gelesenen , Gehörten oder<br />

Gesehenen zu erkennen <strong>und</strong> inhaltlich zu interpretieren. Dabei läuft die<br />

Informationsverarbeitung in zwei Stufen ab <strong>und</strong> läßt sich als aktive<br />

Bedeutungskonstruktion bezeichnen. Das „bottom-up processing", die<br />

sensorische Informationsverarbeitung <strong>von</strong> auditiven <strong>und</strong> visuellen Reizen, läuft<br />

<strong>auf</strong>steigend vom sensorischen Informationsspeicher über das<br />

Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis, während gleichzeitig das<br />

schematische Textverstehen („top-down processing") absteigend die<br />

Informations<strong>auf</strong>nahme <strong>und</strong> -integration im Langzeitgedächtnis steuert.<br />

Zunehmende Übung im Umgang mit den Medien erleichtert die Zuordnung zu<br />

verschiedenen Konzepten <strong>und</strong> Formaten. Nach BORDWELL benötigt man vier<br />

gr<strong>und</strong>legende Schemata zum Verstehen <strong>von</strong> Filmhandlungen: „ein<br />

Kategorienschema zur Bestimmung <strong>von</strong> Formaten <strong>und</strong> Genres..., ein<br />

personenorientiertes Schema zum Verstehen <strong>von</strong> (Film-)Handlungsursachen"<br />

(BARTH 1993, S.20), ein Formatschema, das der Einordnung <strong>von</strong><br />

verschiedenen Sendeformen anhand <strong>von</strong> bekannten Hinweisreizen dient <strong>und</strong> ein<br />

Narrationsschema, welches die Verbindung der einzelnen Szenen zu einer<br />

Geschichte ermöglicht <strong>und</strong> den Ausgang der Geschichte auch schon prospektiv<br />

erahnen läßt. <strong>Die</strong>se vier Verarbeitungsschemata bilden sich nicht gleichzeitig.<br />

Kinder im Vorschulalter verfügen bereits über Szenen- <strong>und</strong> Personenschema,<br />

d.h. sie können Intentionen <strong>und</strong> Motive der handelnden Personen erkennen <strong>und</strong><br />

einfache Handlungsabläufe verstehen. Kurze Geschichten können <strong>von</strong> ihnen<br />

bereits als zusammenhängend erkannt werden, die Abgrenzung zu anderen<br />

Sendungen bleibt aber <strong>auf</strong>gr<strong>und</strong> des noch unzureichend entwickelten<br />

Narrationsschemas unzureichend, die Unterscheidung verschiedener Genres<br />

fragmentarisch <strong>und</strong> zufällig. Eine besondere Rolle für das Formatwissen spielt<br />

die Wiederholung bestimmter Genres. So können etwa Werbespots schon relativ<br />

früh <strong>und</strong> ohne elaboriertes Formatschema erkannt werden. Gleichzeitig sind<br />

gerade diese „Kurzgeschichten" für Vorschulkinder interessant, da sie <strong>von</strong> ihnen<br />

bereits als Ganzes verstanden werden können, während andere Sendungen<br />

fragmentarisch bleiben <strong>und</strong> ein Verstehen des Handlungszusammenhanges<br />

noch unmöglich scheint.<br />

<strong>Die</strong> konventionelle Spotwerbung ist für Kinder mit wachsender Fernseherfahrung<br />

nur interessant, wenn sie abwechslungsreich <strong>und</strong> lustig gemacht ist. Lediglich<br />

Kinder im Vorschulalter blicken noch nicht hinter die Kulissen der Werbemacher<br />

<strong>und</strong> halten Werbung für realistisch. Ältere Kinder lehnen die Intentionen <strong>von</strong><br />

Werbung, das dahinter verborgene Verk<strong>auf</strong>sinteresse, strikt ab, lassen sich aber<br />

gerne <strong>von</strong> Werbung unterhalten, wenn sie ansprechend <strong>und</strong> actionreich gemacht<br />

ist.<br />

Im Gr<strong>und</strong>schulalter differenzieren sich die Schemata weiter aus, besonders<br />

Narrations- <strong>und</strong> Formatschema, die für das Verstehen komplexerer<br />

Handlungsabläufe, für die Dramaturgie der Handlung sowie für die Einschätzung<br />

des Realitätsgehaltes einer Geschichte nötig sind, strukturieren sich. Aber auch<br />

das Personenschema erfährt durch die zunehmende Fähigkeit der


wechselseitigen Perspektivenübernahme eine bedeutende Erweiterung, die es<br />

<strong>dem</strong> Kind ermöglicht, hinter die Kulissen zu blicken, die Intentionen der<br />

„Filmemacher" <strong>und</strong> die Trennung <strong>von</strong> Schauspieler <strong>und</strong> Rolle zu erkennen. Mit<br />

der Fähigkeit zur reziproken Perspektivenkoordination ist erst ab <strong>dem</strong> 11.<br />

Lebensjahr zu rechnen. <strong>Die</strong> Fähigkeit zur Reziprozität, zur gegenseitigen<br />

Perspektivenübernahme, <strong>und</strong> damit das Erkennen „der Rollenhaftigkeit <strong>und</strong><br />

Normativität sozialen Handelns" (CHARLTON /NEUMANN 1986, S.41) befähigt<br />

zur Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs.<br />

<strong>Die</strong>se sich im alltäglichen Medienumgang entwickelnden Schemata des<br />

Fernsehverständnisses gestalten sich je nach den allgemeinen<br />

Kontextbedingungen, der gesellschaftlichen <strong>und</strong> kulturellen Verortung der<br />

Familie <strong>und</strong> damit nach allgemeinen familialen Interaktionsregeln <strong>und</strong> Normen,<br />

Einstellungen, Stereotypen <strong>und</strong> Überzeugungen. Daneben spielen persönliche,<br />

situationsspezifische Erfahrungen eine Rolle.<br />

3.4.2. Werbekompetenz- die Orientierung im Schlaraffenland<br />

Eng mit der hauptsächlich altersabhängigen Entwicklung <strong>von</strong> Fernsehfähigkeiten<br />

hängt die Entwicklung <strong>von</strong> Werbekompetenz <strong>und</strong> damit die Orientierung in der<br />

umgebenden Konsumsphäre zusammen. Von Werbekompetenz läßt sich nach<br />

CHARLTON /NEUMANN-BRAUN u.a. (1995) erst sprechen, wenn Spot- <strong>und</strong><br />

Non- Spotwerbung vom Programm unterschieden werden kann, wenn die<br />

Hintergründe <strong>von</strong> Werbung kognitiv realisiert werden können <strong>und</strong> sobald ein<br />

Kind versteht, wie Werbung entsteht, welche Interessen Industrie, Werbemacher<br />

<strong>und</strong> Medien an Werbung haben <strong>und</strong> was sie bezwecken wollen.<br />

3.4.2.1.Verstehen <strong>und</strong> Erkennen <strong>von</strong> Spotwerbung.<br />

Bereits das Erkennen <strong>von</strong> Spotwerbung ist zumindest bei Vorschulkindern (4-6<br />

Jahre) nur für drei Viertel der Kinder möglich. Auch ältere Kinder haben Mühe,<br />

Werbung unabhängig vom Format zu identifizieren. „Knapp die Hälfte der<br />

Gr<strong>und</strong>schüler <strong>und</strong> immer noch ein Drittel der Sek<strong>und</strong>arstufen - Schüler war nicht<br />

in der Lage, Werbung unabhängig vom Format zu erkennen" (CHARLTON<br />

/NEUMANN-BRAUN u.a.1993, Bd.2, S. 265). Besonders der Übergang <strong>von</strong><br />

Werbung zu nachfolgenden Trailern <strong>und</strong> Eigenwerbung der Sender enthält oft<br />

keine Formathinweise wie Inserts oder Logos. Auch durch die Verwendung<br />

inhaltlicher Elemente <strong>von</strong> Kindersendungen in Werbespots, wie<br />

Zeichentrickfiguren, Nestle wirbt beispielsweise mit den Disney - Figuren, wird<br />

den Kindern die Unterscheidung <strong>von</strong> Programm <strong>und</strong> Werbung erschwert. Non -<br />

Spot - Werbung, wie Bartering oder Sponsoring, oder die verschiedenen Formen<br />

des Product - Placement können <strong>von</strong> Kindern mangels Kennzeichnung kaum<br />

erkannt werden.<br />

Nur eine ganz kleine Minderheit der Kinder unter 14 Jahren erkennt den Einfluß<br />

der Werbung <strong>auf</strong> das eigene K<strong>auf</strong>verhalten. So erkennen Kinder zwar die<br />

Intentionen <strong>von</strong> Werbung schon sehr früh, sie fühlen sich aber erst ab etwa <strong>dem</strong><br />

11.Lebensjahr <strong>von</strong> Werbung persönlich angesprochen. Und sie halten sich<br />

gleichzeitig für immun gegen die Einflüsse <strong>von</strong> Werbung <strong>auf</strong> ihr eigenes


K<strong>auf</strong>verhalten. <strong>Die</strong> Akzeptanz <strong>von</strong> Werbung sinkt mit <strong>dem</strong> Alter. So beurteilen<br />

sechsjährige Werbung noch überwiegend positiv - für sie steht Werbung für<br />

Unterhaltung - während 11-13jährige eine ablehnende Haltung gegenüber<br />

Werbung einnehmen. <strong>Die</strong> bewußt kritische Haltung gegenüber Werbung betrifft<br />

aber im wesentlichen die konventionelle Spotwerbung im Fernsehen, gut<br />

gemachte Lifestyle - Werbung - wie etwa <strong>von</strong> C & A für ihre „young collection" -<br />

oder witzige Werbespots bleiben <strong>von</strong> der kritischen Haltung ebenso verschont<br />

wie die bereits erwähnte „below the line" Werbung. Bei der Begeisterung für<br />

bestimmte Produkte spielt der oben schon angesprochene Markenaspekt eine<br />

große Rolle. Kinder akzeptieren Werbung für die <strong>von</strong> ihnen favorisierten „In-<br />

Marken" eher, weil sie sich in den darin gezeigten Lifestyle - Modellen <strong>und</strong> den<br />

zumeist kindlichen oder jugendlichen Protagonisten widerspiegeln können <strong>und</strong><br />

darin eigene Träume bestätigt finden. Kinder benutzen Werbung, um sich zu<br />

informieren, was gerade „hipp" <strong>und</strong> „angesagt" ist, welche Hose „obercool" <strong>und</strong><br />

welches Spiel „megageil" ist. <strong>Die</strong> Werbemacher wiederum versuchen, die sich<br />

bei den Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen abzeichnenden Trends möglichst frühzeitig zu<br />

erfassen <strong>und</strong> daraus Produkt- oder Markenkampagnen zu entwickeln. Sie gehen<br />

dazu in die Kindergärten <strong>und</strong> Schulen, betreiben Markt- <strong>und</strong> Trendforschung<br />

über Sponsoring <strong>von</strong> Sportveranstaltungen <strong>und</strong> Verkehrserziehung,<br />

Sommerfeste <strong>und</strong> Theaterveranstaltungen. Und sie suchen sich unter den<br />

Gruppen der „Peers" die „Opinion Leader" heraus, statten sie mit den zu<br />

bewerbenden Produkten kostenlos aus <strong>und</strong> bezahlen sie für das Werben unter<br />

Fre<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong>s versuchte zum Beispiel der Sportartikelhersteller „Razor" aus<br />

München, der einen 13jährigen Jungen aus der „Rollerblader - Szene" unter<br />

Vertrag nahm, was ihm inzwischen per Gerichtsbeschluß untersagt wurde.<br />

Sogenannte „Trendscouts" aus der Kinder- <strong>und</strong> Jugendszene werden<br />

angeworben <strong>und</strong> mit Geschenken geködert. Sie geben regelmäßig Bericht über<br />

neue Trends <strong>und</strong> Informationen aus der Szene weiter an die<br />

Marktforschungsinstitute. Über Befragungen in Kinder- <strong>und</strong> Jugendzeitschriften -<br />

BRAVO ist hier sicher die bekannteste - wird versucht, neue Trends<br />

<strong>auf</strong>zuspüren. Ebenfalls als Trendsetter für Kinder fungieren die Idole aus Film<br />

<strong>und</strong> Fernsehen <strong>und</strong> aus der Musikbranche. Sie werden <strong>von</strong> der Industrie<br />

gesponsort <strong>und</strong> bringen vom „Bayern München Schlafanzug" bis hin zu den<br />

„Gummibärchen <strong>von</strong> Haribo" alles an das Kind. Sie schaffen gesponsorte Mode-<br />

<strong>und</strong> Stilrichtungen, wobei die Impulse dazu nicht unbedingt <strong>von</strong> der Industrie<br />

ausgehen. Hat zum Beispiel eine Pop - Gruppe einmal Erfolg, springt die<br />

Industrie erst <strong>auf</strong> den Zug <strong>auf</strong>, wenn er schon fährt <strong>und</strong> greift die stilistischen<br />

Ideen <strong>und</strong> das Image <strong>auf</strong>, um es zu vermarkten. So etwa geschehen, nach <strong>dem</strong><br />

plötzlichen Erfolg der „Kelly Family" mit ihren bunten „Flohmarktklamotten -<br />

Samtrock <strong>und</strong> Rüschenhemd", den langen Haaren <strong>und</strong> <strong>dem</strong> „Wir sind eine heile<br />

<strong>und</strong> glückliche Familie" - Image. Vorher hatte diese Gruppe mit eher mäßigem<br />

Erfolg über Jahre hinweg Musik gemacht, ohne zum Trendsetter zu werden.<br />

Trends sind als Spuren, als mögliche kollektive Projektionsflächen für<br />

elementare Wünsche <strong>und</strong> Träume immer schon latent vorhanden, bevor sie<br />

bewußt gesetzt <strong>und</strong> vermarktet werden. Wie aus so einer Spur letztendlich ein<br />

Trend wird, hängt <strong>von</strong> vielen Faktoren ab. <strong>Die</strong> Trendspur muß gef<strong>und</strong>en werden.<br />

Sie wird dies oft <strong>von</strong> Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen, da diese sich in unserer<br />

hochkomplexen Welt mit unzähligen Angeboten orientieren <strong>und</strong> verorten<br />

müssen, d.h. sie müssen sich <strong>von</strong> anderen Altersgruppen <strong>und</strong> anderen<br />

Gleichaltrigen Gruppen abgrenzen <strong>und</strong> persönliche Identität über kollektive


Identität herstellen. <strong>Die</strong>se Abgrenzung nach allen Seiten bei gleichzeitiger<br />

Orientierung an anderen gerät zu einer Suche nach einem „Wir - Gefühl", das für<br />

die Entwicklung einer persönlichen Identität heute, angesichts gesellschaftlicher<br />

<strong>und</strong> familiärer Strukturlosigkeit, unabdingbar ist. Das Setzen <strong>und</strong> Folgen <strong>von</strong><br />

Trends dient der individuellen <strong>und</strong> sozialen Verortung in einer anonymen<br />

Massen - <strong>und</strong> Konsumgesellschaft. Es sichert ein Stück Individualität <strong>und</strong><br />

Exklusivität bei gleichzeitiger Geborgenheit in der Gruppe.<br />

Das Trägermedium scheint zunächst nur eine untergeordnete Rolle für die<br />

Bekanntheit <strong>von</strong> Werbung zu spielen (vgl. BÖHM-KASPER /KOMMER 1997,<br />

S.180 ff.). Fernsehwerbung scheint aber eine Promoterfunktion für Werbung in<br />

anderen Medien zu übernehmen, d.h. Kinder erkennen die Produkte in<br />

Zeitschriften, <strong>auf</strong> Plakatflächen oder im Radio wieder. Werbung ist heute<br />

hauptsächlich Kampagnenwerbung. Somit wird das Produkt meist mit gleichen<br />

Personen <strong>und</strong> Szenerie gleichzeitig in verschiedenen Medien beworben. <strong>Die</strong><br />

Werbung, die bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen ankommen soll, verläßt sich aber<br />

heute immer weniger <strong>auf</strong> direkte Spotwerbung <strong>und</strong> verlegt sich neben der<br />

multimedialen Werbung <strong>auf</strong> Sponsoring, Bartering, Merchandising <strong>und</strong><br />

Eventmarketing (s.o. oder VOLLBRECHT 1997, MÜLLER 1997). <strong>Die</strong>se<br />

Werbeformen sprechen Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen besser an. Sie werden nicht so<br />

leicht als Werbung erkannt <strong>und</strong> versprechen Spaß, Unterhaltung <strong>und</strong> Action.<br />

3.4.2.2. Der Einfluß der Bezugspersonen <strong>auf</strong> das Konsumhandeln der<br />

Kinder<br />

<strong>Die</strong> Vorbildfunktion der Eltern <strong>und</strong> deren Einstellung zu Werbung <strong>und</strong> Konsum<br />

hat einen bei weitem nicht so großen Einfluß <strong>auf</strong> das Konsumhandeln der Kinder<br />

wie vielleicht erwartet. <strong>Die</strong>s hängt vermutlich mit der eher <strong>und</strong>ifferenzierten,<br />

dichotomen Haltung der Erwachsenen zusammen. Sie sind entweder für oder<br />

gegen Werbung, eine differenzierte Auseinandersetzung mit <strong>dem</strong> Thema<br />

Werbung in ihren verschiedenen Formen unterbleibt weitestgehend. Im Alltag<br />

wird zwar über Werbung gesprochen, dies läßt sich angesichts der Allgegenwart<br />

<strong>von</strong> Werbung <strong>und</strong> der Bedeutung <strong>von</strong> Konsum- <strong>und</strong> Markenprodukten in<br />

unserem Leben gar nicht mehr vermeiden, „eine kritische Diskussion <strong>und</strong><br />

Betrachtung der Werbung tritt in Familien eher selten <strong>auf</strong>" (CHARLTON<br />

/NEUMANN-BRAUN u.a.1995, S.267). Je positiver die Einstellung der Eltern<br />

gegenüber Werbung ist, desto unbefangener wird in der Familie darüber<br />

gesprochen, was zwar die Memorierleistung der Kinder steigert, aber nicht<br />

unbedingt eine bessere Werbekompetenz zur Folge hat. Das Erkennen <strong>von</strong><br />

„Below the line" - Werbung ist auch für Erwachsene nicht immer leicht, Werbung<br />

wird <strong>von</strong> ihnen noch vielfach mit Spotwerbung <strong>und</strong> Anzeigenwerbung<br />

gleichgesetzt, so daß <strong>von</strong> elaborierter Werbekompetenz auch bei ihnen nicht<br />

ausgegangen werden kann.<br />

Aber auch der kritische Umgang mit Werbung in den Familien, die zumeist<br />

weniger reflexive, sondern eher pauschal ablehnende Haltung gegenüber<br />

Werbung <strong>und</strong> Konsum, führt nicht unbedingt zu differenziertem<br />

Konsumverhalten. Kinder aus solchen Familien neigen - ebenso wie ihre Eltern -<br />

dazu, das eigene Konsumhandeln als werbeunabhängig einzuschätzen, obwohl<br />

es das nicht ist. Sie geraten in einen Konflikt zwischen Leitbildern der Familie


<strong>und</strong> <strong>dem</strong> Einfluß der Gleichaltrigengruppe, die die Werbung zur Untermauerung<br />

des eigenen Lebensgefühls nutzt. Der Einfluß der Eltern dagegen zeigt sich eher<br />

<strong>auf</strong> der Einstellungs- als <strong>auf</strong> der Handlungsebene.<br />

Mit zunehmen<strong>dem</strong> Alter <strong>und</strong> steigender Konsumautonomie nimmt der Einfluß<br />

der Eltern <strong>auf</strong> die K<strong>auf</strong>entscheidungen ihrer Kinder ohnehin ab, während der<br />

Einfluß der Gleichaltrigengruppe zunehmend handlungsrelevant wird.<br />

4. Resümee <strong>und</strong> Ausblick<br />

Kinder sind heute, wie Erwachsene auch, gefordert, einen eigenen Lebensstil zu<br />

entwickeln <strong>und</strong> sich in einer Gesellschaft zu verorten, die ihnen eine Unzahl <strong>von</strong><br />

Lebensstilangeboten in Form <strong>von</strong> Konsumartikeln macht. Sie wachsen nicht<br />

mehr in einem Schonraum mit klar definierten Rollen <strong>und</strong> Autoritäten, mit<br />

Tabuthemen, die nicht für Kinderohren <strong>und</strong> -augen bestimmt sind, <strong>auf</strong>. Sie<br />

können sich die ganze Welt via Fernseher <strong>und</strong> Computer ins Wohnzimmer holen<br />

<strong>und</strong> werden auch <strong>von</strong> den Erwachsenen mit persönlichen <strong>und</strong> globalen<br />

Zukunftsproblemen konfrontiert, d.h. sie nehmen zunehmend eine Partnerrolle in<br />

den Familien ein. Gleichzeitig nimmt auch das Geheimwissen <strong>und</strong> der<br />

Informationsvorsprung der Erwachsenen ab, kehrt sich in manchen Bereichen<br />

sogar um. So entwickeln Kinder heute durch das Heranwachsen in einer<br />

multimedialen Umgebung <strong>und</strong> Konsumwelt ganz andere Fähigkeiten. Es ist<br />

anzunehmen, daß Kinder sich in der Entwicklung <strong>und</strong> Ausdifferenzierung <strong>von</strong><br />

Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Denkstrukturen <strong>und</strong> im Erlernen <strong>von</strong> Handlungen an der<br />

veränderten Sozialisationsumgebung orientieren, d.h. sich über die<br />

Lernprozesse der Assimilation <strong>und</strong> Akkomodation (OERTER 1982, S.494f) an<br />

die neue Umgebung anpassen <strong>und</strong> sie in ihrem Sinne auch handelnd verändern.<br />

<strong>Die</strong>s bedeutet, daß Kinder sich ihre Kultur selbst mitgestalten. Sie nutzen die<br />

Angebote der Medien - <strong>und</strong> Konsumwelt zielgerichtet <strong>und</strong> themengeleitet <strong>auf</strong><br />

ihrem Weg zu persönlicher <strong>und</strong> sozialer Identität. Kinder suchen sich Produkte<br />

aus der Vielfalt der Angebote aus, weil sie einen für ihr Alter <strong>und</strong> ihre<br />

Entwicklung <strong>und</strong> für ihre Stellung in der Gruppe der Gleichaltrigen wichtigen<br />

symbolischen Wert besitzen. <strong>Die</strong>ser Symbolwert verführt sie teilweise zu<br />

unkritischen Käufen <strong>von</strong> Billigwaren des Merchandising - Marktes oder auch<br />

teuren Markenprodukten. Das „Dazugehören", die Anerkennung der anderen, ist<br />

für Kinder heute, da ihnen die <strong>von</strong> Eltern <strong>und</strong> Gesellschaft angebotenen inneren<br />

Orientierungswerte nicht mehr so viel Halt <strong>und</strong> Orientierung geben,<br />

lebensnotwendig zur Herstellung <strong>von</strong> Ich-Identität. <strong>Die</strong> gleichaltrigen „Anderen"<br />

ersetzen das feste autoritäre Gefüge der bürgerlichen Familie in einer<br />

geschlossenen Klassengesellschaft mit seinen klar erkennbaren Regeln,<br />

Normen <strong>und</strong> Rollenvorgaben.<br />

Um in der Masse der Gleichaltrigen nicht unterzugehen <strong>und</strong> um sich nach allen<br />

Seiten abzugrenzen, bilden Kinder <strong>und</strong> Jugendliche Gruppen, Gangs <strong>und</strong><br />

Subkulturen.<br />

Medien- <strong>und</strong> Konsumprodukte stellen Gemeinsamkeiten her <strong>und</strong> liefern<br />

Gesprächsstoff. Eigene Trends dienen der Profilierung <strong>und</strong> Selbstdarstellung. So<br />

setzen sie selbst Trends, greifen Moden <strong>und</strong> Lifestyle - Angebote der Medien-<br />

<strong>und</strong> Konsumwelt <strong>auf</strong> <strong>und</strong> entwickeln sie weiter. Das Risiko der Industrie, mit


einem Produkt nicht bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen anzukommen, ist sehr hoch.<br />

Auch massive Werbekampagnen können einen totalen Flop nicht verhindern,<br />

wenn Kinder sich nicht dar<strong>auf</strong> einlassen, weil ihnen das Produkt nicht gefällt oder<br />

gleichzeitig ein anderes eher ihren Bedürfnissen entspricht. So hatte - wie<br />

bereits angesprochen - der <strong>von</strong> WALT DISNEY mit riesigem Werbe<strong>auf</strong>wand in<br />

die Kinos gebrachte Film „Pocahontas" <strong>und</strong> damit auch die zahlreichen<br />

Lizenzprodukte keine Chance gegen den am gleichen Tag angel<strong>auf</strong>enen Film<br />

„Batman forever", was sich sogar <strong>auf</strong> die Kurse der Disney - Aktien auswirkte.<br />

Deshalb auch die umfangreiche <strong>und</strong> „Insider" - orientierte Markt- <strong>und</strong><br />

Trendforschung der Industrie. <strong>Die</strong> Dynamik der Trends <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Medien- <strong>und</strong><br />

Kulturwarenmarkt zwingt die Industrie <strong>und</strong> die Werbetreibenden <strong>auf</strong> der einen,<br />

aber auch die „Kids" <strong>auf</strong> der anderen Seite dazu, am Ball zu bleiben, um neue<br />

Trends nicht zu verschlafen.<br />

Bei aktuellen Trends liegen nicht mehr so sehr einzelne Produkte im<br />

Vordergr<strong>und</strong>, sondern zusammenhängende Produktketten, die um ein<br />

Erlebnisangebot herum gruppiert sind. „Event - Sponsoring" <strong>und</strong> andere<br />

Strategien der Erlebnisweltkonstruktion setzen <strong>auf</strong> die aktive Mitarbeit der<br />

Beworbenen (vgl. VOLLBRECHT, 1997, S.68). Auf die Freiheit der Wahl <strong>und</strong><br />

Nutzung <strong>von</strong> Erlebnisangeboten macht BOLTZ <strong>auf</strong>merksam. „Ein<br />

Erlebnisangebot läßt sich zwar k<strong>auf</strong>en; für das Erlebnis selbst sind wir aber<br />

immer noch selbst zuständig <strong>und</strong> verantwortlich" (BOLTZ zit. nach<br />

VOLLBRECHT, ebd.). <strong>Die</strong>se „Freiheit des Subjektes" beinhaltet die<br />

eigenverantwortliche Nutzung <strong>von</strong> Medien <strong>und</strong> Erlebnisangeboten. <strong>Die</strong> aktive<br />

Auseinandersetzung mit <strong>und</strong> die selbstverständliche Nutzung <strong>von</strong><br />

Erlebnisangeboten scheint gerade Kindern kaum Schwierigkeiten zu bereiten, da<br />

sie <strong>von</strong> Anfang an spielerisch gelernt haben, mit diesen Angeboten als Teil ihrer<br />

Lebenswelt umzugehen.<br />

<strong>Die</strong>s bedeutet aber zunächst nur die Integration <strong>von</strong> Medien- <strong>und</strong><br />

Konsumhandeln in kindliches Alltagshandeln <strong>und</strong> sagt noch nichts über die<br />

Autonomie des Medien- <strong>und</strong> Konsumhandelns <strong>von</strong> Kindern aus. Sie sind,<br />

solange ihre Handlungskompetenz noch nicht kritisch reflexives Hinterfragen <strong>von</strong><br />

Werbestrategien ermöglicht, der Manipulation durch die Industrie in hohem<br />

Maße ausgesetzt, besonders seit sich diese <strong>auf</strong> „die kleinen Könige der<br />

Warenwelt" (MÜLLER 1997) als Markendurchsetzer <strong>und</strong> Trendsetter eingestellt<br />

hat. Das sehr selbstbewußte Auftreten der kleinen Konsumenten darf auch nicht<br />

darüber hinwegtäuschen, daß sie anfällig für die verführerischen Angebote der<br />

Werbung sind. Ihre Handlungskompetenz ist neben <strong>dem</strong> altersabhängigen<br />

Entwicklungsstand immer abhängig <strong>von</strong> ihrer sozialen Lage <strong>und</strong> damit <strong>von</strong> der<br />

im Alltag erlebten Handlungskompetenz der Bezugspersonen. Da sich die<br />

ablehnende Haltung vieler Erwachsener gegenüber Medien, Werbung <strong>und</strong><br />

Konsum eher pauschal <strong>und</strong> unreflektiert <strong>auf</strong> der Einstellungsebene niederschlägt<br />

<strong>und</strong> sie selbst der lockenden Versuchung nur allzu oft erliegen, unterschätzen<br />

auch Kinder den Einfluß der Werbung <strong>auf</strong> ihr eigenes Verhalten.<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche erheben Produkte zu „Kultmarken" <strong>und</strong> bedienen sich<br />

ihrer zur Imagepflege, sie leben damit aber nur den Markenfetischismus der sie<br />

umgebenden Massengesellschaft, dessen manipulativer Charakter auch den<br />

Erwachsenen oftmals nicht bewußt ist.<br />

So sollten Pädagogen wie Eltern im Erziehungsalltag zunächst ihr eigenes


Medien- <strong>und</strong> Konsumhandeln kritisch beleuchten <strong>und</strong> transparent machen, um<br />

der Doppelmoral ein Ende zu bereiten <strong>und</strong> zu einer differenzierteren Einstellung<br />

zu gelangen. <strong>Die</strong>s würde auch bedeuten, Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

altersentsprechend Kompetenz zuzugestehen <strong>und</strong> mit ihnen gemeinsam die<br />

Strukturen der Medien- <strong>und</strong> Kulturwarenindustrie zu entwirren, dahinter<br />

verborgene Interessen sichtbar <strong>und</strong> deren manipulative Tendenz bewußt zu<br />

machen. Bewußtsein <strong>und</strong> Transparenz können allerdings nur dann<br />

handlungsrelevant werden, wenn sie nicht zu große Diskrepanzen zwischen<br />

persönlichen Bedürfnissen <strong>und</strong> Handlungsoptionen schaffen. So dient das<br />

Schaffen einer virtuellen Realität aus Medien <strong>und</strong> Konsumwaren auch der<br />

notwendig gewordenen Stabilisierung der persönlichen <strong>und</strong> sozialen Identität<br />

angesichts anonymer Makrostrukturen einer Massengesellschaft, die soziale<br />

Ungleichheit biographisch definiert <strong>und</strong> gesellschaftliche Verantwortung <strong>auf</strong> das<br />

Individuum abschiebt, ohne reale Möglichkeiten der Verwirklichung <strong>von</strong><br />

Lebenskonzepten zu bieten.<br />

Im Sinne einer pädagogischen Pragmatik, sollte daher der Unterstützung <strong>von</strong><br />

identitätsstiftenden Prozessen bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>und</strong> das<br />

Ernstnehmen <strong>und</strong> Achten ihrer eigenen Spielarten <strong>von</strong> Kinderkultur den Vorrang<br />

haben <strong>und</strong> ihnen die Zeit <strong>und</strong> die Freiheit zugestanden werden, sich eigene<br />

Strategien für das Leben im Schlaraffenland zu erwerben.<br />

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Huhn, D.: Zeitungen - Radio - Fernsehen: Ratgeber für emanzipatorischen<br />

Umgang mit den Medien, Köln 1990.<br />

Hurrelmann, B.: Kinderliteratur im sozialen Kontext: eine Rezeptionsanalyse am<br />

Beispiel schulischer Literaturverarbeitung, Weinheim <strong>und</strong> Basel 1982.<br />

Hurrelmann, B. u.a.: Lesesozialisation, Bd.1: Leseklima in der Familie,<br />

Gütersloh 1993.<br />

Hurrelmann, B.: Das Kind lebt nicht vom Buch allein, in: Raecke, R /Baumann,<br />

U.D.: Zwischen Bullerbü <strong>und</strong> Schewenborn; <strong>auf</strong> Spurensuche in 40 Jahren<br />

deutsch-sprachiger Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur, München 1995, S.1-15.<br />

Janosch: Das große Panama Album, Weinheim <strong>und</strong> Basel 1984.<br />

Janosch: <strong>Die</strong> Fidelgrille <strong>und</strong> der Maulwurf, Zürich 1985.<br />

Janosch: Das Leben der Thiere, 4. Aufl., Weinheim <strong>und</strong> Basel 1988.<br />

Janosch: das Geheimnis des Herrn Josef, Weinheim <strong>und</strong> Basel 1990.


Janosch. Der Mäusesherrif, 13.Aufl., München 1988.<br />

Janosch: Schnuddelgeschichten, 6. Aufl. München 1992.<br />

Janosch: Gastmahl <strong>auf</strong> Gomera, München 1997.<br />

Jensen, K./ Rogge, J.-U.: Der Medienmarkt für Kinder in der B<strong>und</strong>esrepublik,<br />

Tübingen 1980.<br />

Keller, F.: Das Leseverhalten <strong>von</strong> Kindern in der Freizeit: eine empirische<br />

Untersuchung in den 4. Klassen einer Großstadt, Frankfurt am Main; Bern; New<br />

York 1986.<br />

Krappmann, L.: Soziologische Dimensionen der Identität: strukturelle<br />

Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen, 7. Aufl., Stuttgart<br />

1988.<br />

Korte, H.: Einführung in die Geschichte der Soziologie, 2.Aufl., Opladen 1993.<br />

Krech/Crutchfield u.a.: Gr<strong>und</strong>lagen der Psychologie, Bd.5, Weinheim 1992.<br />

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Gesellschaft?, in: Zeitschrift Medien+Erziehung, München 3/1993, S.134 ff.<br />

Lesch, H.: Erlebniskultur - eine Tautologie, in: Zeitschrift Medien+Erziehung,<br />

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Link, U.: Gefährdungen für Identität heute - Zur Tragweite des Lebenszyklus -<br />

Modells, Hagen 1990.<br />

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Hagen 1884.<br />

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Moser, H.: Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter,<br />

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Müller, M.: <strong>Die</strong> kleinen Könige der Warenwelt; Kinder im Visier der Werbung,<br />

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Neumann-Braun, K./ Erichsen, J. R.: Kommerzialisierte <strong>und</strong> mediatisierte<br />

Kindheit - eine aktuelle Bestands<strong>auf</strong>nahme, in: Charlton, M./ Neumann-Braun,<br />

K./ Aufenanger, S./ Hoffmann-Riem, W. u.a.: a.a.O., Bd.1, S.21 - 45.<br />

Nickel, V.: Manipulation oder Marktkommunikation?, Kinder als Ansprechpartner<br />

der Wirtschaft, in: Meister, D. M./ Sander, U. (Hrsg.): a.a.O., S.125-135.<br />

Niemann, R.: <strong>Die</strong> Nutzung <strong>von</strong> Film- <strong>und</strong> Fernsehlizenzen im<br />

Konsumartikelmarkt für Kinder - <strong>Die</strong> Praxis des Merchandising, in: Meister, D.<br />

M./ Sander, U.(Hrsg): a.a.O., S.87-97.<br />

Noack, P./ Silbereisen, R.K./ Kastner, P.: Ökologie <strong>und</strong> Entwicklung, KE 3,


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Oerter, R.: Moderne Entwicklungspsychologie, 19. Aufl., Donauwörth1982.<br />

Opaschowski, H. W.: Medien, Mobilität <strong>und</strong> Massenkultur. Neue Märkte der<br />

Erlebnisindustrie oder verlorene Aufgabenfelder der Pädagogik, in: Zeitschrift für<br />

Pädagogik, 35. Beiheft, Weinheim <strong>und</strong> Basel 1996, S.143-170.<br />

Peetz, H. /Liesenhoff, D.(Hrsg.): 40 Jahre Deutscher Jugendliteraturpreis,<br />

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Presser, H.: Johannes Gutenberg, Reinbeck bei Hamburg 1967.<br />

Richter, K.: <strong>Die</strong> andere Kinderwelt. Ein Blick ins Kinder- <strong>und</strong> Jugendbuch der<br />

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Rogge, J.-U.: Heidi, PacMan <strong>und</strong> die Video - Zombies. <strong>Die</strong> Medienfre<strong>und</strong>e der<br />

Kinder <strong>und</strong> das Unbehagen der Eltern, Reinbek bei Hamburg 1985.<br />

Rogge, J.-U.: Kinder können fernsehen. Vom sinnvollen Umgang mit <strong>dem</strong><br />

Medium Reinbeck bei Hamburg 1990.<br />

Rogge,<br />

J.-U.: Terminal-Junkie <strong>und</strong> Computer-Autismus - Gruselkabinett der 80er Jahre,<br />

in: Medien + Erziehung, München 2/97, S. 95ff.<br />

Rouvel, C.: „Macht nichts, Leute, was wir erlebt haben, kann uns keiner<br />

nehmen" Von den Verwandlungen märchenhaft-phantastischer DDR-<br />

Kinderbücher, in: Raecke, R./Baumann, U. D.: a.a.O.,S.177-186.<br />

Sander, U./ Vollbrecht, R.: Kinder <strong>und</strong> Jugendliche im Medienzeitalter, Opladen<br />

1987.<br />

Saxer, U.: Kommunikationsverhalten <strong>und</strong> Medien: Lesen in der modernen<br />

Gesellschaft, Gütersloh 1989.<br />

Saxer, U./ Bonfadelli, H.: Medien - Lebensstile: Lebensstilmodelle für die<br />

Freizeit Zürich 1995.<br />

Scheibe, W.: <strong>Die</strong> reformpädagogische Bewegung; eine einführende Darstellung,<br />

10. Aufl., Weinheim; Basel 1994<br />

Schmidbauer, M.: Der Markt der kommerziellen Kindermedien: eine<br />

Dokumentation, München; New York; London; Paris 1985.<br />

Schulze, G.: <strong>Die</strong> Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart,<br />

Frankfurt/Main; New York 6.Aufl. 1996.<br />

Spanhel, D. /Hotamanidis, St. (Hrsg.): <strong>Die</strong> Zukunft der Kindheit: die<br />

Verantwortung der Erwachsenen für das Kind in einer unheilen Welt, Weinheim<br />

1988.<br />

Sturm, H.: Medienwirkungen <strong>auf</strong> Wahrnehmung, Emotion, Kognition - eine


Gr<strong>und</strong>lage für medienpädagogisches Handeln, in: Issing, L. J. (Hrsg.):<br />

Medienpädagogik im Informationszeitalter, Weinheim 1987, S.91-113.<br />

Tietze, W./Rossbach, H.-G.: Erfahrungsfelder in der frühen Kindheit:<br />

Bestands<strong>auf</strong>nahme, Perspektiven, Freiburg im Breisgau 1993.<br />

Thiele, J.(Hrsg.): Bilderbücher entdecken. Untersuchungen, Materialien <strong>und</strong><br />

Empfehlungen zum kritischen Gebrauch einer Buchgattung, Oldenburg 1985.<br />

Thiele, J.: Das Bilderbuch in der Medienwelt der Kinder, in: Paetzold, B./Erler,<br />

L. (Hrsg.): Bilderbücher im Blickpunkt verschiedener Wissenschaften <strong>und</strong><br />

Fächer, Bamberg 1990, S. 68-91.<br />

Treibel, A.: Einführung in die soziologischen Theorien der Gegenwart,<br />

Opladen,1994.<br />

Vollbrecht, R.: <strong>Die</strong> Herausforderung der Medienforschung angesichts<br />

gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse - ein Plädoyer für<br />

medienökologische Ansätze, in: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Medien im<br />

Alltag <strong>von</strong> Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen, Weinheim <strong>und</strong> München 1988, S. 383 -<br />

396.<br />

Vollbrecht, R.: „früher oder später kriegen wir euch doch..." Über<br />

Trendforschung, Sponsoring, Eventmarketing <strong>und</strong> die Konstruktion <strong>von</strong><br />

Erlebniswelten, in: Meister, D. M. / Sander,U. (Hrsg.): a.a.O. S.62-75.<br />

Zeiher, H.: Organisation des Lebensraumes bei Großstadtkindern -<br />

Einheitlichkeit oder Verinselung, in: Bertels, L./ Herlyn, U. (Hrsg.): Lebensl<strong>auf</strong><br />

<strong>und</strong> Raumerfahrung Opladen 1990.<br />

Prospekte <strong>und</strong> Produktinformationen:<br />

Arbeitskreis für Jugendliteratur (Hrsg.): Das Buch der Jugend 1994/95 <strong>und</strong><br />

1996/97 München 1994 bzw.1996.<br />

BavariaSonor: Janosch - Produktliste- <strong>und</strong> Information über Lizenzen, Stand<br />

Nov.’97, Geiselgasteig 1997.<br />

Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.: Lesen ist Familiensache,<br />

Frankfurt am Main 1990.<br />

Bwd9 (München) (Hrsg.): YOU - Das Magazin für Kids, 1/1997, München 1997.<br />

Diogenes: Katalog 1997, Neuerscheinungen Juli - Dezember, Zürich 1997.<br />

Dtv junior: Gesamtverzeichnis mit den Neuerscheinungen April bis September<br />

1997, München 1997.<br />

Erika Klopp Verlag: 1925-1995, Neuerscheinungen <strong>und</strong> Gesamtverzeichnis,<br />

München 1995.<br />

Erika Klopp Verlag: Frühjahr 1997 <strong>und</strong> Herbst 1997, Neuerscheinungen <strong>und</strong><br />

Ge-


samtverzeichnis, München 1997.<br />

Geobra Brandstätter: Spielwarenprospekt „playmobil" 1997.<br />

Hasbro Deutschland: Spielwarenprospekt „Play-Doh Knetwelt", <strong>Die</strong>tzenbach<br />

1997.<br />

Heyne: Gesamtverzeichnis 1997, München 1997.<br />

Lego GmbH: Spielwarenprospekt „Lego" 1997.<br />

Mattel: Spielwarenprospekt „Fisher-Price" 1997.<br />

Mattel: Barbie - Journal, Frühjahr /Sommer 1997.<br />

Steuler Design: Janosch - Fliesenproduktlinie 1997, Mühlacker 1997.

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