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„Freiheit bei Maria Montessori und in der Grund- schule von heute“

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Abschlussar<strong>bei</strong>t im Rahmen <strong>der</strong> B.A.-Prüfung<br />

im Hauptfach Erziehungswissenschaft<br />

Lehrgebiet Theorie <strong>der</strong> Schule <strong>und</strong> des Unterrichts<br />

Fachbereich Kultur- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften<br />

<strong>der</strong> Fernuniversität Hagen<br />

<strong>„Freiheit</strong> <strong>bei</strong> <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>-<br />

<strong>schule</strong> <strong>von</strong> <strong>heute“</strong><br />

Themensteller: Dr. K.-D. Eubel<br />

vorgelegt <strong>von</strong>:<br />

Jutta Ha<strong>in</strong>z<br />

Poll<strong>in</strong>ger Straße 18<br />

82205 Gilch<strong>in</strong>g<br />

Tel: 08105/777567<br />

Matrikelnummer: 3287041<br />

Abgabedatum: 7. Juli 2003


Inhalt<br />

0. E<strong>in</strong>leitung ............................................................................................. 2<br />

1. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> – Ihr Weg zur Pädagogik <strong>und</strong> zu ihrem ............. 3<br />

Verständnis <strong>der</strong> Freiheit<br />

2. Das Freiheitspr<strong>in</strong>zip <strong>bei</strong> <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> ....................................... 6<br />

2.1 Ihr Freiheitsverständnis ......................................................................... 6<br />

2.2 Die Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit .................................................... 7<br />

2.3 Freiar<strong>bei</strong>t ............................................................................................... 8<br />

2.3.1 Die vorbereitete Umgebung .................................................................. 9<br />

2.3.2 Das <strong>Montessori</strong>-Material ....................................................................... 10<br />

2.3.3 Die Rolle des Lehrers ........................................................................... 11<br />

2.3.4 Das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Altersmischung ............................................................ 11<br />

2.3.5 Die freie Wahl ........................................................................................ 12<br />

3. Aspekte e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten K<strong>in</strong>dheit .................................................. 13<br />

3.1 Zur Situation <strong>der</strong> Familie ....................................................................... 13<br />

3.2 Der Umgang mit Medien ....................................................................... 14<br />

3.3 Das Spiel-Freizeitverhalten ................................................................... 15<br />

3.4 Vielfalt <strong>der</strong> Kulturen ............................................................................... 16<br />

4. Herausfor<strong>der</strong>ungen für die Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong> – Öffnung des<br />

Gr<strong>und</strong>schulunterrichts ....................................................................... 17<br />

4.1 Der Öffnungsbegriff ............................................................................... 17<br />

4.2 Die Schulpraxis: „Wege zur Öffnung“ .................................................... 19<br />

4.3 Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> ihre Lehrer: Zur Verän<strong>der</strong>ung des<br />

Rollenverständnisses ............................................................................ 20<br />

5. Freiar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong> ............................................................ 22<br />

5.1 Begriffsklärung ...................................................................................... 22<br />

5.2 (Organisatorische ) Voraussetzungen <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t ............................ 23<br />

5.2.1 Gestaltung <strong>der</strong> Lernumwelt ................................................................... 23<br />

5.2.2 Angebot <strong>und</strong> Art des Materials .............................................................. 23<br />

5.2.2.1 Das didaktische Material ....................................................................... 24<br />

5.2.2.2 Das S<strong>in</strong>nesmaterial ............................................................................... 25<br />

5.2.2.3 Das Kreativmaterial ............................................................................... 25<br />

5.3 Soziales Verhalten während <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t ........................................... 25<br />

5.4 Phasen <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t ............................................................................ 26<br />

5.5 Verhalten <strong>der</strong> Lehrkraft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t ............................................... 26<br />

6. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> <strong>und</strong> die Bewegung des Offenen Unterrichts ...... 28<br />

6.1 Rückbes<strong>in</strong>nung auf die Reformpädagogik ............................................ 28<br />

6.2 Freiar<strong>bei</strong>t im Vergleich .......................................................................... 28<br />

6.3 <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>: Zur Aktualität ihres Denkens ................................... 30<br />

7. Ergebnis <strong>und</strong> Schlußbemerkung ....................................................... 32<br />

Literaturverzeichnis ............................................................................ 33<br />

1


0. E<strong>in</strong>leitung<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> namhaftesten Vertreter<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Reformpädagogik,<br />

<strong>der</strong>en Name heutzutage wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> aller M<strong>und</strong>e ist. Ihre tragende Erziehungsidee ist<br />

die Idee <strong>der</strong> Freiheit <strong>und</strong> Selbsttätigkeit des K<strong>in</strong>des. Die Überzeugung <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em<br />

jedem e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>d eigenen immanenten Bauplan bildet da<strong>bei</strong> die Gr<strong>und</strong>lage ihres<br />

Werkes.<br />

Die Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong> heute steht vor großen Herausfor<strong>der</strong>ungen, denn Lebensverhältnisse<br />

<strong>und</strong> Verhaltensweisen heutiger K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben sich gr<strong>und</strong>legend geän<strong>der</strong>t.<br />

Hier soll nun versucht werden, herauszuf<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>wieweit <strong>der</strong> Freiheitsgedanke <strong>Maria</strong><br />

<strong>Montessori</strong>s <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Öffnung des Gr<strong>und</strong>schulunterrichts E<strong>in</strong>gang gef<strong>und</strong>en hat. Welche<br />

Intention leitete <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> <strong>und</strong> wodurch wird die Aufnahme ihres Freiheitsgedankens<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong> heute motiviert.<br />

Die vorliegende Ar<strong>bei</strong>t ist <strong>in</strong> ihrem Hauptteil <strong>in</strong> sechs Kapitel unterteilt. In den ersten<br />

<strong>bei</strong>den geht es zunächst um <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>, ihren Weg zur Pädagogik <strong>und</strong> ihr<br />

<strong>„Freiheit</strong>spr<strong>in</strong>zip“, um e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>verständnis für ihre Pädagogik zu vermitteln. An-<br />

schließend wird auf ihre Freiar<strong>bei</strong>t näher e<strong>in</strong>gegangen. Kapitel drei beschäftigt sich<br />

mit den verän<strong>der</strong>ten Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute leben. In Kapitel vier<br />

<strong>und</strong> fünf wird die Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong> dargestellt. Die Öffnung des Gr<strong>und</strong>schulunterrichts<br />

<strong>und</strong> Freiar<strong>bei</strong>t als Antworten auf die neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen wer-<br />

den aufgezeigt. Im sechsten Kapitel geht es um den Zusammenhang zwischen <strong>Maria</strong><br />

<strong>Montessori</strong>s <strong>„Freiheit</strong>spädagogik“ <strong>und</strong> <strong>der</strong> heutigen Freiar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong>.<br />

E<strong>in</strong> Gedankengang zur Aktualität <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> setzt den Schlusspunkt.<br />

2


1. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> – Ihr Weg zur Pädagogik <strong>und</strong> zu ihrem Verständnis <strong>der</strong><br />

Freiheit<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> wurde am 31.8.1870 <strong>in</strong> Chiaravalle <strong>bei</strong> Ancona geboren. Ihr Vater,<br />

Alessandro <strong>Montessori</strong>, war F<strong>in</strong>anzbeamter. 1866 heiratete er Renilde Stoppani, e<strong>in</strong>e<br />

Gutsbesitzertochter, die im Gegensatz zum Vater ihre Tochter <strong>in</strong> allen beruflichen<br />

Plänen <strong>und</strong> Entscheidungen ermutigte. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> erhielt e<strong>in</strong>e konsequente,<br />

liebevolle Erziehung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> soziales Bewusstse<strong>in</strong> sowie Gerechtigkeits- <strong>und</strong> Selbstwertgefühl<br />

gebildet wurden. 1875 wurde ihr Vater nach Rom versetzt. Mit sechs Jahren<br />

kam <strong>Maria</strong> dort <strong>in</strong> die öffentliche Schule. Bald zeigte sich ihre Neigung zur Mathematik<br />

<strong>und</strong> zu naturwissenschaftlichen Fächern. Deshalb entschied sie sich mit 12<br />

Jahren gegen den Willen des Vaters, <strong>der</strong> wollte, dass sie Lehrer<strong>in</strong> würde, für den<br />

Besuch <strong>der</strong> technischen Schule „ Regia Scuola Technica Michelangelo Buonarroti“<br />

<strong>und</strong> nicht für das klassische Gymnasium. Nach vier Jahren schloss sie die Schule mit<br />

gutem Erfolg ab <strong>und</strong> ebenso erfolgreich absolvierte sie den anschließenden vierjäh-<br />

rigen Besuch e<strong>in</strong>es technischen Instituts. Ihr anfängliches Berufsziel, Ingenieur zu<br />

werden, än<strong>der</strong>te sich direkt nach <strong>der</strong> Abschlussprüfung. Ihr Entschluß, Mediz<strong>in</strong> zu<br />

studieren, stand fest. Sie setzte ihr Mediz<strong>in</strong>studium durch – dieses Studium war Ende<br />

des 19.Jahrh<strong>und</strong>erts ausschließlich Männern vorbehalten – <strong>und</strong> wurde 1896 als<br />

erster weiblicher Doktor <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> <strong>in</strong> Italien promoviert. Im gleichen Jahr wurde sie<br />

als Assistenzärzt<strong>in</strong> an die psychiatrische Abteilung <strong>der</strong> Universitäts-Kl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Rom be-<br />

rufen. Dort traf sie auf e<strong>in</strong>e Gruppe <strong>von</strong> schwach- s<strong>in</strong>nigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Raum zusammengepfercht, ohne weitere Betreuung, Anregung o<strong>der</strong> Beschäfti-<br />

gungsmöglichkeit dah<strong>in</strong>vegetierten. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> spürte, dass diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> geistig<br />

ausgehungert waren, dass sie vor aller mediz<strong>in</strong>ischer Versorgung noch dr<strong>in</strong>gen-<br />

<strong>der</strong> geistige Anregung benötigten.<br />

Auf <strong>der</strong> Suche nach mediz<strong>in</strong>isch-pädagogischen Anregungen entdeckte sie die Werke<br />

<strong>der</strong> französischen Ärzte Jean Marc Gaspard Itard (1774 – 1834) <strong>und</strong> Edouard Segu<strong>in</strong><br />

(1812-1880). Beide hatten versucht, Methoden zu entwickeln, mit denen sie<br />

schwachs<strong>in</strong>nigen o<strong>der</strong> taubstummen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n helfen konnten. Sie studierte <strong>der</strong>en<br />

Werke <strong>und</strong> wandte <strong>der</strong>en S<strong>in</strong>nesmaterialien, die sie weiterentwickelte, <strong>bei</strong> den geistig<br />

beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit überraschenden Erfolgen an. Während <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t mit geistig<br />

beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n kristallisierte sich <strong>bei</strong> <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> immer klarer <strong>der</strong> Gedanke<br />

heraus, dass die <strong>von</strong> ihr angewandten Methoden f<strong>und</strong>amentale Erkenntnisse <strong>und</strong><br />

3


Gr<strong>und</strong>sätze enthielten, die, auf normale K<strong>in</strong><strong>der</strong> angewendet, zu erstaunlichen Entwicklungen<br />

<strong>der</strong> Persönlichkeit führen würden. Zu solchen f<strong>und</strong>amentalen Erkenntnissen<br />

gehört die Feststellung, dass jedes K<strong>in</strong>d zur Organisation se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren Persönlichkeit<br />

das Bedürfnis nach Aktivität <strong>und</strong> Selbsttätigkeit hat <strong>und</strong> für se<strong>in</strong>e geistige<br />

Entwicklung Nahrung <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er anregenden Erfahrungsumwelt braucht.<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> begann an <strong>der</strong> Philosophischen Fakultät <strong>der</strong> Universität Rom e<strong>in</strong><br />

Studium <strong>der</strong> Anthropologie, Psychologie <strong>und</strong> Erziehungsphilosophie <strong>und</strong> lehrte dort<br />

anschließend <strong>von</strong> 1904 – 1908 als Professor<strong>in</strong> für Anthropologie. In anthropologischer<br />

H<strong>in</strong>sicht ist <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> <strong>der</strong> Auffassung, dass je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Mensch <strong>von</strong><br />

se<strong>in</strong>er generellen wie <strong>in</strong>dividuellen biologischen Ausstattung her <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>legenden<br />

Weise vorbestimmt ist. Dadurch verläuft se<strong>in</strong>e Entwicklung vorgeprägt nach e<strong>in</strong>em,<br />

wie sie es auch nennt, immanenten Bauplan. In ihrer anthropologischen Ar<strong>bei</strong>t<br />

f<strong>in</strong>det sie die wissenschaftliche Basis für ihre pädagogischen Erkenntnisse.<br />

1906 erhielt <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> auf Initiative e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>nützigen Wohnungsbau- gesellschaft<br />

<strong>in</strong> Rom, die im Elendsviertel San Lorenzo durch die Errichtung <strong>von</strong> Gebäuden<br />

die katastrophale Wohnsituation verbessern will, das Angebot, vernachlässigte<br />

Vorschulk<strong>in</strong><strong>der</strong> unentgeltlich zu betreuen. Sie stimmte zu <strong>und</strong> am 6.1.1907 eröffnete<br />

sie ihr erstes K<strong>in</strong><strong>der</strong>haus „ casa di bamb<strong>in</strong>i“. Sie hatte nun die Gelegenheit, etwa 50<br />

teilweise verwahrloste K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Alter <strong>von</strong> 3 bis 6 Jahren im Umgang mit ihren Mate-<br />

rialien zu beobachten. Sie erkannte, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong> starkes Interesse an ihren<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmitteln entwickelten <strong>und</strong> da<strong>bei</strong> ungeahnte Konzentrationsleistungen zeigten.<br />

Zugleich verän<strong>der</strong>ten sie sich auch positiv <strong>in</strong> sozialer H<strong>in</strong>sicht. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong><br />

nahm Verän<strong>der</strong>ungen am Material vor, um es den Bedürfnissen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> anzupas-<br />

sen. Sie erweiterte nach <strong>und</strong> nach die Angebote, <strong>in</strong>dem sie neue Lernmittel entwickelte.<br />

Die <strong>in</strong> diesem experimentellen Stadium gewonnenen Erkenntnisse s<strong>in</strong>d für sie<br />

teilweise so überraschend, dass sie bemerkt:<br />

“Ich begann me<strong>in</strong>e Ar<strong>bei</strong>t wie e<strong>in</strong> Bauer, <strong>der</strong> brauchbares Saatgut besitzt <strong>und</strong> dem<br />

man e<strong>in</strong>en fruchtbaren Acker zur Verfügung gestellt hat, auf dem er nun nach<br />

Belieben säen kann. Aber so war es nicht: sobald ich an die Schollen jenes Ackers<br />

rührte, fand ich Gold statt Korn: diese Schollen verbargen e<strong>in</strong>en kostbaren Schatz.<br />

Es zeigte sich, dass ich gar nicht <strong>der</strong> Bauer war, <strong>der</strong> ich zu se<strong>in</strong> verme<strong>in</strong>t hatte: ich<br />

war Alad<strong>in</strong> <strong>und</strong> hielt, ohne es zu wissen, die W<strong>und</strong>erlampe <strong>in</strong> den Händen, die mir<br />

den Zugang zu verborgenen Schätzen erschloß.“ (<strong>Montessori</strong> 1991, S. 120)<br />

4


<strong>Montessori</strong> gelangte zu <strong>der</strong> Überzeugung, dass die Leitidee e<strong>in</strong>er neuen Pädagogik<br />

das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Selbsterziehung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> Freiheit werden muss. Nur <strong>in</strong> selbst<br />

gewählten freien Aktivitäten lassen sich die Kräfte des K<strong>in</strong>des zum jeweils optimalen<br />

Zeitpunkt entwickeln.<br />

Anmerkung: Die biographischen Daten s<strong>in</strong>d entnommen aus Missmahl-Maurer 1994.<br />

5


2. Das Freiheitspr<strong>in</strong>zip <strong>bei</strong> <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong><br />

2.1. Ihr Freiheitsverständnis<br />

Für <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> ist die Freiheit das höchste Gut des Menschen. Freiheit wird für<br />

das Lebewesen Mensch “... zu e<strong>in</strong>em Lebensgesetz: frei se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> sterben.“ (Mon-<br />

tessori 1973, S. 84) Der Mensch als freies Wesen ist sich selbst aufgegeben; er hat<br />

die Aufgabe, die ihm gegebene Freiheit zu verwirklichen. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> spricht <strong>in</strong><br />

diesem Kontext <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er “gr<strong>und</strong>legenden Freiheit“. ( <strong>Montessori</strong> 1979, S.53) Sie beschreibt<br />

die Freiheit als Vollzug durch den Menschen mit “Meister se<strong>in</strong>er selbst werden“.<br />

Dem K<strong>in</strong>d ist “Freiheit zu geben, damit es sich zu e<strong>in</strong>em freien Menschen entwickeln<br />

kann.“ ( <strong>Montessori</strong> 1932, S. 44)<br />

Die Freiheit gehört zum Wesen des Menschen; sie nimmt ihren Anfang <strong>bei</strong>m Neugeborenen.<br />

Das K<strong>in</strong>d strebt nach Unabhängigkeit <strong>und</strong> Selbstständigkeit, durch die Loslösung<br />

vom Erwachsenen kann es sich zur freien Persönlichkeit entwickeln. <strong>Maria</strong><br />

<strong>Montessori</strong> beschreibt die Stufen <strong>der</strong> Ablösung:<br />

“Die Zähne geben ihm die Möglichkeit, sich unabhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Mutter ernähren<br />

zu können, das Laufen bedeutet, ohne Hilfe des Erwachsenen sich fortbewegen<br />

zu können, <strong>und</strong> das Sprechen ist <strong>der</strong> Anfang, sich mitteilen zu können <strong>und</strong> nicht<br />

mehr <strong>von</strong> <strong>der</strong> Auslegung se<strong>in</strong>er Wünsche durch den Erwachsenen abhängig zu<br />

se<strong>in</strong>“. (Oswald/Schulz-Benesch 1989, S. 29)<br />

Diese Stufen stellen Stufen zunehmen<strong>der</strong> Unabhängigkeit dar. Diese erstrebte Unabhängigkeit<br />

des K<strong>in</strong>des versteht <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> als Vorstufe <strong>der</strong> Freiheit. Nach<br />

ihrer Überzeugung kann man “nicht frei se<strong>in</strong>, wenn man nicht unabhängig ist.“ (Mon-<br />

tessori 1980, S.64) Diese Entwicklungsfreiheit ist aufzufassen als wesentliche Vor-<br />

aussetzung für das eigentliche Freiwerden, die sittliche Freiheit. <strong>Montessori</strong> schreibt,<br />

diese “Freiheit ist dann erlangt, wenn das K<strong>in</strong>d sich se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Gesetzen nach,<br />

den Bedürfnissen se<strong>in</strong>er Entwicklung entsprechend, entfalten kann“. (Oswald/Schulz-<br />

Benesch 1989, S.42)<br />

Das K<strong>in</strong>d erlangt se<strong>in</strong>e Freiheit durch zielgerichtete Aktivität. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong><br />

spricht <strong>in</strong> diesem Kontext <strong>von</strong> “Freiheit ist Tätigkeit“ . (<strong>Montessori</strong> 1973, S. 84)<br />

So sehr <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> dafür e<strong>in</strong>tritt, dem K<strong>in</strong>de Freiheit für se<strong>in</strong>e spontane Aktivität<br />

zu gewähren, so erklärt sie aber auch, dass die Freiheit nicht dar<strong>in</strong> besteht, „dass<br />

man tut, was man will“. (Oswald/Schulz-Benesch 1989, S.42) Sie spricht da<strong>bei</strong> auch<br />

6


<strong>von</strong> “störenden Aktivitäten“ (....), sowie <strong>von</strong> “unnützen <strong>und</strong> schädlichen Handlungen“<br />

( <strong>Montessori</strong> 1980 S.58), die ke<strong>in</strong>eswegs geduldet werden sollen. Die Pflicht des Erwachsenen<br />

ist es, dem K<strong>in</strong>d zu helfen zwischen Gut <strong>und</strong> Böse unterscheiden zu lernen<br />

<strong>und</strong> korrigierend durch erzieherische E<strong>in</strong>griffe e<strong>in</strong>zuwirken. Dies lässt die<br />

Schlussfolgerung zu, dass ihre For<strong>der</strong>ung nach Freiheit ke<strong>in</strong> „Laissez-faire“ bedeutet.<br />

Die Freiheit des K<strong>in</strong>des hat dort ihre Grenze, wo die <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft,<br />

beg<strong>in</strong>nt. Diese B<strong>in</strong>dung an das Wohl <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft durch die Beachtung des<br />

Gruppengesetzes macht das K<strong>in</strong>d erst frei für die Ausführung selbst gewählter Aktivitäten.<br />

( vgl. Kle<strong>in</strong>-Landeck 1998 S.79)<br />

Hildegard Holtstiege schreibt:<br />

“Genau dieses Zentrum menschlich-geistiger Äußerungen (Freiheit ist Tätigkeit)<br />

war <strong>Montessori</strong>s Forschungsgegenstand. Erwirken <strong>von</strong> Spontanität als psychische<br />

Reaktionen durch gezielte Anregungsbed<strong>in</strong>gungen sowie die Beobachtung<br />

auftreten<strong>der</strong> Wirkungen führten sie zur Entdeckung des pädagogisch relevanten<br />

Phänomens <strong>der</strong> Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit.“ (1987, S.93)<br />

Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit ist für <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> <strong>der</strong> empirische Weg zur<br />

Err<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> k<strong>in</strong>dlichen Freiheit.<br />

2.2 Die Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit<br />

“Die erste Ersche<strong>in</strong>ung, die me<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit auf sich zog, zeigte sich <strong>bei</strong> e<strong>in</strong>em<br />

etwa dreijährigen Mädchen, das damit beschäftigt war, die Serie unserer Holz-<br />

zyl<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> die entsprechenden Öffnungen zu stecken <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> herauszunehmen.<br />

Diese Zyl<strong>in</strong><strong>der</strong> ähneln Flaschenkorken, nur haben sie genau abgestufte Größen, <strong>und</strong><br />

jedem <strong>von</strong> ihnen entspricht e<strong>in</strong>e passende Öffnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Block. Ich erstaunte, als<br />

ich e<strong>in</strong> so kle<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Übung wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> mit tiefem Interesse wie<strong>der</strong>holen<br />

sah..... Gewohnt <strong>der</strong>lei D<strong>in</strong>ge zu beobachten, begann ich die Übungen des kle<strong>in</strong>en<br />

Mädchens zu zählen. Auch wollte ich feststellen, bis zu welchem Punkt die eigentümliche<br />

Konzentration <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>en gehe, <strong>und</strong> ich ersuchte daher die Lehrer<strong>in</strong>,<br />

alle übrigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> herumlaufen zu lassen. Das geschah auch, ohne<br />

dass das kle<strong>in</strong>e Mädchen sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Tätigkeit hätte stören lassen. Darauf ergriff<br />

ich vorsichtig das Sesselchen, auf dem die Kle<strong>in</strong>e saß, <strong>und</strong> stellte es mitsamt dem<br />

K<strong>in</strong>de auf e<strong>in</strong>en Tisch. Die Kle<strong>in</strong>e hatte mit rascher Bewegung ihre Zyl<strong>in</strong><strong>der</strong> an sich<br />

genommen <strong>und</strong> machte nun, das Material auf den Knien, ihre Übung un<strong>bei</strong>rrt weiter.<br />

7


Seit ich zu zählen begonnen hatte, hatte die Kle<strong>in</strong>e ihre Übung zwei<strong>und</strong>vierzigmal<br />

wie<strong>der</strong>holt. Jetzt hielt sie <strong>in</strong>ne, so als erwachte sie aus e<strong>in</strong>em Traum, <strong>und</strong> lächelte mit<br />

dem Ausdruck e<strong>in</strong>es glücklichen Menschen.“ (<strong>Montessori</strong> 1991, S.124)<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> folgerte aus dem Erlebnis, dass diese Konzentration offensichtlich<br />

<strong>in</strong>neren Ursprungs ist <strong>und</strong> immer dann auftritt, wenn e<strong>in</strong> Mensch sich aus <strong>in</strong>nerstem<br />

Interesse e<strong>in</strong>er Sache h<strong>in</strong>gibt. In e<strong>in</strong>er vorbereiteten Umgebung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich das K<strong>in</strong>d<br />

frei für e<strong>in</strong>e Tätigkeit entscheidet, kann es zu dieser tiefen Konzentration, <strong>der</strong> Polarisation<br />

<strong>der</strong> Aufmerksamkeit, gelangen, die es zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren Ordnung führt. <strong>Maria</strong><br />

<strong>Montessori</strong>s Bestreben war es nun, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Umgebung zu geben, die es<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich werden lässt, dass das Phänomen <strong>der</strong> Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit<br />

e<strong>in</strong>tritt. Die Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit glie<strong>der</strong>t sich <strong>in</strong> drei Unterschritte. In<br />

<strong>der</strong> Vorbereitungsphase wird <strong>der</strong> Kontakt mit den D<strong>in</strong>gen, die das Interesse erwecken,<br />

hergestellt. Das K<strong>in</strong>d wählt zwischen unterschiedlichen Gegenständen. Ebenso<br />

wird <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsplatz vorbereitet. Es beg<strong>in</strong>nt die Phase <strong>der</strong> großen Ar<strong>bei</strong>t. Hier vertieft<br />

sich das K<strong>in</strong>d ausdauernd <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Aufgabe. K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Sache werden e<strong>in</strong>s. Den<br />

Schluss des Konzentrationszyklus bildet die Phase <strong>der</strong> Verar<strong>bei</strong>tung <strong>der</strong> erworbenen<br />

E<strong>in</strong>drücke. Da<strong>bei</strong> hört das K<strong>in</strong>d auf, tätig zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> betrachtet nun se<strong>in</strong> Werk. Das<br />

K<strong>in</strong>d wirkt ausgeglichen <strong>und</strong> zufrieden.<br />

2.3 Freiar<strong>bei</strong>t<br />

Die Freiar<strong>bei</strong>t steht im Mittelpunkt <strong>der</strong> <strong>Montessori</strong>-Ar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule.<br />

Unter Freiar<strong>bei</strong>t im S<strong>in</strong>ne <strong>Montessori</strong>s wird mit Ludwig e<strong>in</strong>e Unterrichtsform verstan-<br />

den,<br />

“<strong>in</strong> welcher <strong>der</strong> Schüler aus e<strong>in</strong>em differenzierten Lernangebot den Gegenstand<br />

se<strong>in</strong>er Tätigkeit, die Ziele, die Sozialform sowie die Zeit, die er auf den gewählten<br />

Aufgabenbereich verwenden will, im Rahmen allgeme<strong>in</strong>er Vorstrukturierungen<br />

selbst bestimmen kann. Für den Ablauf <strong>der</strong> selbst gewählten Ar<strong>bei</strong>t gilt, dass <strong>der</strong><br />

Schüler sich frei im Raum bewegen <strong>und</strong> auch Kontakte mit Mitschülern aufnehmen<br />

darf, etwa um ihnen zu helfen o<strong>der</strong> sich helfen zu lassen, sofern <strong>und</strong> soweit<br />

die Ar<strong>bei</strong>t <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Schüler dadurch nicht gestört s<strong>in</strong>d. Mit <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t<br />

ist die Verpflichtung verb<strong>und</strong>en, sie möglichst auch zu Ende zu führen.“ (Ludwig<br />

1996, S.247)<br />

Die freie Ar<strong>bei</strong>t des K<strong>in</strong>des bedarf e<strong>in</strong>er sorgfältigen Organisation durch die vor- bereitete<br />

Umgebung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es entsprechenden Erzieherverhaltens.<br />

8


2.3.1 Die vorbereitete Umgebung<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> bezeichnet die vorbereitete Umgebung als “die Gesamtheit all <strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>ge, die das K<strong>in</strong>d frei <strong>in</strong> ihr auswählen <strong>und</strong> so lange benutzen kann, wie es will,<br />

also gemäß se<strong>in</strong>en Neigungen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Bedürfnis nach Tätigkeit“ . (<strong>Montessori</strong><br />

1980, S.72) Nach ihr kann das K<strong>in</strong>d “<strong>in</strong> <strong>der</strong> komplizierten Welt des Erwachsenen ke<strong>in</strong><br />

ihm gemäßes Leben führen“ (<strong>Montessori</strong> 1992, S. 37), denn es bleibt <strong>von</strong> vielen Ar<strong>bei</strong>ts-<br />

<strong>und</strong> Lebensvollzügen ausgeschlossen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>bedürfnisse werden<br />

häufig unterdrückt. Aufgabe des Erwachsenen ist die Vorbereitung <strong>und</strong> Pflege e<strong>in</strong>er<br />

k<strong>in</strong>dgerechten Lernwelt, die Folgen e<strong>in</strong>es Fehlens dieses k<strong>in</strong>dgemäßen Entfaltungsraumes<br />

wären für <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> fatal: “Wenn e<strong>in</strong> Mensch nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geeigneten<br />

Umgebung lebt, dann kann er nicht alle se<strong>in</strong>e Fähigkeiten normal ent- wickeln.“<br />

(ebenda, S.55)<br />

Nach Kle<strong>in</strong>-Landeck (1998, S.58) ist das Schaffen e<strong>in</strong>er Umgebung, welche e<strong>in</strong>erseits<br />

<strong>der</strong> Individuallage des K<strong>in</strong>des gerecht wird <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits die Eigenqualitäten<br />

<strong>der</strong> kulturspezifischen Wirklichkeit erschließen hilft, dr<strong>in</strong>gliche Aufgabe. Se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung<br />

nach me<strong>in</strong>t <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> mit vorbereiteter Umgebung daher “e<strong>in</strong>en nach<br />

pädagogisch-didaktischen Pr<strong>in</strong>zipien organisierten <strong>und</strong> “<strong>von</strong> ‘progressiven Interessen“‘<br />

(1984, S. 185; vgl.1966b, S.52f) gestalteten Lebens- <strong>und</strong> Erfahrungsraum, <strong>der</strong><br />

die heranwachsende Persönlichkeit <strong>bei</strong> ihrem Selbstaufbau durch aktive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

mit den Bildungs<strong>in</strong>halten unterstützt.“ (Kle<strong>in</strong>-Landeck 1998, S.58) Das<br />

bedeutet, die Gestaltungselemente <strong>der</strong> vorbereiteten Umgebung müssen so beschaffen<br />

se<strong>in</strong>, dass sie die aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> folgenden Neigungen des Heranwachsenden sei-<br />

nem jeweiligen Entwicklungsstand angemessen ansprechen, herausfor<strong>der</strong>n <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en<br />

weiterführenden Lernprozess bewirken. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> betont an vielen Stellen,<br />

dass die Umgebung Mittel zur Selbsterziehung enthalten müsse, Mittel, die nicht<br />

“vom Zufall“ bestimmt se<strong>in</strong> dürfen (<strong>Montessori</strong> 1968, S. 74).<br />

Durch speziell entwickeltes Material versuchte <strong>Montessori</strong>, e<strong>in</strong> den k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnissen<br />

adäquates Lernumfeld e<strong>in</strong>zurichten.<br />

9


2.3.2 Das <strong>Montessori</strong>-Material<br />

In <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t vollzieht das K<strong>in</strong>d Lernprozesse mittels Material. Da<strong>bei</strong> ist allen Materialien<br />

geme<strong>in</strong>sam, dass sie wesentlichen Entwicklungsbedürfnissen des K<strong>in</strong>des<br />

entsprechen, weiterführende Interessen wecken, kulturspezifische Bildungsfortschritte<br />

ermöglichen <strong>und</strong> den Prozeß se<strong>in</strong>er Verselbständigung för<strong>der</strong>n. (vgl. Kle<strong>in</strong>-<br />

Landeck 1998, S. 51) Für die Erstellung ihrer Materialien for<strong>der</strong>te <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong><br />

strenge Kriterien. Die wesentlichen Merkmale dieses didaktischen Materials s<strong>in</strong>d im<br />

folgenden:<br />

Das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Isolierung e<strong>in</strong>er Eigenschaft <strong>und</strong> ihrer graduellen Abstufung. Dies<br />

bedeutet, dass <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Materialgruppe e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Merkmal wie z.B. Farbe,<br />

Töne etc. <strong>in</strong> verschiedenen Abstufungen dom<strong>in</strong>iert, ohne dass an<strong>der</strong>e Qualitäten die<br />

Aufmerksamkeit des K<strong>in</strong>des ablenken. Beispielsweise unterscheiden sich die Geräuschdosen<br />

e<strong>in</strong>er Serie nicht durch ihr Äußeres, son<strong>der</strong>n nur durch ihre Laut- stärke.<br />

Das K<strong>in</strong>d übt sich zunächst im Unterscheiden extremer Merkmalsausprägungen,<br />

hier laut/leise <strong>und</strong> geht dann allmählich zu den Fe<strong>in</strong>abstufungen über. (vgl. Kle<strong>in</strong>-<br />

Landeck 1998, S.52)<br />

Die Attraktivität des Materials. K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben e<strong>in</strong> Anrecht auf ästhetisch gestaltetes<br />

Lernmaterial, dem durch ansprechende Form- <strong>und</strong> Farbgebung beson<strong>der</strong>e Anzie-<br />

hungskraft zukommt. (vgl. Kle<strong>in</strong>-Landeck 1998, S. 52) <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> legte Wert<br />

darauf, dass die Materialien aus natürlichen Gr<strong>und</strong>stoffen wie Holz, Glas etc. hergestellt<br />

wurden <strong>und</strong> farblich schön gestaltet waren.<br />

Die Möglichkeit <strong>der</strong> Fehlerkontrolle. Nicht <strong>der</strong>/die LehrerIn gibt die Rückmeldung<br />

über den sachgerechten Umgang, son<strong>der</strong>n die Antwort „richtig/falsch“ gibt das Material.<br />

Diese im Material angelegte Möglichkeit <strong>der</strong> Fehlerselbstkontrolle macht das<br />

K<strong>in</strong>d vom Erwachsenen weitgehend unabhängig <strong>und</strong> begünstigt die Entwicklung e<strong>in</strong>er<br />

selbstständigen Ar<strong>bei</strong>tsweise. (vgl. Kle<strong>in</strong>-Landeck 1998, S. 83)<br />

Die Begrenzung des Angebots. Jeweils e<strong>in</strong> Exemplar e<strong>in</strong>es Ar<strong>bei</strong>tsmittels ist im<br />

Gruppenraum vorhanden. Damit wird <strong>der</strong> Anreiz zur Verwendung erhöht. Außerdem<br />

trägt dieses Pr<strong>in</strong>zip zum Entstehen <strong>von</strong> Geduld, Rücksichtsnahme <strong>und</strong> Kooperation<br />

unter den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>bei</strong>, denn sie müssen dadurch lernen aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu warten <strong>und</strong><br />

Absprachen zu treffen.<br />

Die Aktivität. Das Material muss sich für die Tätigkeit des K<strong>in</strong>des eignen. Alle Materialien<br />

erfor<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Hantieren mit konkreten Gegenständen. Bei <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t mit jedem<br />

10


Material vollbr<strong>in</strong>gt das K<strong>in</strong>d nicht nur kognitive Leistungen, es werden auch se<strong>in</strong>e<br />

S<strong>in</strong>ne mit angesprochen.<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> entwickelte e<strong>in</strong> System didaktischer Materialien, die aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

bezogen s<strong>in</strong>d. Sie s<strong>in</strong>d daher auch nicht beliebig e<strong>in</strong>zusetzen. Sie erfüllen ihren S<strong>in</strong>n<br />

erst <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> vorbereiteten Umgebung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em entsprechend vorbereiteten<br />

Lehrer <strong>und</strong> Erzieher; er alle<strong>in</strong> kann <strong>in</strong> ihren Gebrauch e<strong>in</strong>führen.<br />

2.3.3 Die Rolle des Lehrers<br />

Die <strong>Montessori</strong>-LehrerInnen verlassen ihre übliche Schlüsselposition, <strong>von</strong> <strong>der</strong> die<br />

Lernaktivitäten <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zentral <strong>und</strong> e<strong>in</strong>heitlich gesteuert werden. Sie delegieren<br />

die Funktion des Informationsträgers an die Materialien <strong>der</strong> vorbereiteten Umgebung.<br />

Das Material soll sie aber nicht ersetzen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Lehrer wird Mittler zwischen<br />

Material <strong>und</strong> K<strong>in</strong>d. Er hat die Aufgabe, dem K<strong>in</strong>d zu helfen, sich unter so vielen D<strong>in</strong>gen<br />

zurechtzuf<strong>in</strong>den <strong>und</strong> ihren genauen Verwendungszweck zu erlernen. Er nimmt<br />

sich zurück als Dozieren<strong>der</strong>, er wird Helfer <strong>und</strong> Beobachter. Se<strong>in</strong>e neue Aufgabe<br />

umschreibt <strong>Montessori</strong> mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung „Hilf mir, es selbst zu tun!“<br />

2.3.4 Das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Altersmischung<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> for<strong>der</strong>t die lebensnahe Vere<strong>in</strong>igung <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n je dreier Altersstufen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lerngruppe (3-6 Jahre, 6-9 Jahre, 9-12 Jahre) , da altersgemischte<br />

Gruppen außerschulischen Gesellungsformen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> entsprechen <strong>und</strong> somit<br />

auch e<strong>in</strong>e adäquate Vorbereitung auf das Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft stattf<strong>in</strong>det. Diese<br />

Gruppen müssen frei mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verkehren können durch das <strong>von</strong> ihr so genannte<br />

Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> “offenen Türen“ <strong>und</strong> <strong>der</strong> “freien Zirkulation“ (<strong>Montessori</strong> 1979, S. 76-88).<br />

Durch die Mischung <strong>der</strong> Lebensalter ergeben sich vielfältige Lernanregungen <strong>und</strong><br />

Anlässe zu gegenseitiger Hilfe, da e<strong>in</strong>e “natürliche geistige Osmose“ (<strong>Montessori</strong><br />

1984, S.203) zwischen den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n besteht. Das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Altersmischung ermöglicht<br />

auch die Schaffung vielfältiger „sozialer Erfahrungsfel<strong>der</strong>“ für die Schüler, bedenke<br />

man hier<strong>bei</strong> die Kompensationsmöglichkeit sozialer Erfahrungsdefizite z.B.<br />

<strong>von</strong> E<strong>in</strong>zelk<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

11


2.3.5 Die freie Wahl<br />

<strong>Montessori</strong> berichtet, dass die Leiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong><strong>der</strong>hauses e<strong>in</strong>es Tages verspätet<br />

e<strong>in</strong>trifft <strong>und</strong> die K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich bereits ihre Ar<strong>bei</strong>tsmittel aus den Regalen geholt haben.<br />

Während die Erzieher<strong>in</strong> dies als “Ausdruck diebischer Inst<strong>in</strong>kte“ (<strong>Montessori</strong> 1991,<br />

S.126) deutet, folgert <strong>Montessori</strong>, dass die Kle<strong>in</strong>en mit den Materialien bereits vertraut<br />

genug s<strong>in</strong>d, um selbständig auswählen zu können. In <strong>der</strong> Folgezeit läßt sie ihnen<br />

daraufh<strong>in</strong> die freie Wahl <strong>der</strong> Tätigkeit. Nach <strong>Montessori</strong>s Überzeugung erlaubt<br />

das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> freien Wahl sowohl die Offenbarung <strong>in</strong>nerer Motive wie auch <strong>der</strong>en<br />

Befriedigung zum jeweils optimalen Zeitpunkt. Die Freiheit <strong>der</strong> Wahl unter den Gegenständen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgebung ist e<strong>in</strong>e Voraussetzung für das Zustandekommen <strong>der</strong><br />

Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit. E<strong>in</strong>e echte Wahl kann es aber nur zwischen bekannten<br />

Optionen geben. Daraus folgt, dass den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n die Materialien, ihre Handhabung<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten bekannt se<strong>in</strong> müssen.<br />

12


3. Aspekte e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten K<strong>in</strong>dheit<br />

3.1 Zur Situation <strong>der</strong> Familie<br />

Gemessen an den Verhältnissen vor ca. 100 Jahren, ist die Familie heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zunehmende<br />

soziale Isolierung geraten. Überschaubare dörfliche <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>städtische<br />

Lebensgeme<strong>in</strong>schaften haben sich vielfach aufgelöst. Die Wohnbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den<br />

größeren Städten begünstigen e<strong>in</strong> Klima <strong>der</strong> Anonymität, da Wohnblocks <strong>und</strong> Hochhäuser<br />

durch ihre Anlage <strong>und</strong> Vielzahl ihrer Bewohner zwischenmenschliche Kontakte<br />

eher erschweren. E<strong>in</strong> weiterer, die soziale Isolierung <strong>der</strong> Familie begünstigen<strong>der</strong><br />

Faktor ist die hohe berufsbed<strong>in</strong>gte Mobilität. Viele Großunter- nehmen erwarten <strong>von</strong><br />

ihren Ar<strong>bei</strong>tnehmern, dass sie dem beruflichen Aufstieg zu- liebe Umzüge auf sich<br />

nehmen. Dies hat zur Folge, dass bestehende Sozialkontakte aufgelöst werden <strong>und</strong><br />

engere bzw. dauerhafte Beziehungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren sozialen Umgebung sich<br />

so kaum entfalten können. (vgl. Hopf 1996)<br />

Die familiären Beziehungsstrukturen <strong>und</strong> Lebensverhältnisse haben sich gr<strong>und</strong>legend<br />

gewandelt. K<strong>in</strong><strong>der</strong> müssen sich immer weniger die Zuwendung ihrer Eltern mit<br />

e<strong>in</strong>em o<strong>der</strong> mehreren Geschwistern teilen. In ca. 80% <strong>der</strong> Familien wachsen K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

nur mit e<strong>in</strong>em o<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>em Geschwister auf. Diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> können sich <strong>der</strong> ungeteilten<br />

Aufmerksamkeit ihrer Eltern sicher se<strong>in</strong>, werden oftmals überbehütet, wachsen<br />

dafür aber auch immer e<strong>in</strong>samer auf. (vgl. Jürgens 2000, S.28) Proportional zum<br />

Geburtenrückgang steigt die Müttererwerbstätigkeit an. Die gestiegene Müttererwerbsquote<br />

<strong>und</strong> die Zunahme alle<strong>in</strong>erziehen<strong>der</strong> Elternteile (E<strong>in</strong>-Elternfamilien) zieht<br />

e<strong>in</strong>e immer dr<strong>in</strong>glicher werdende Betreuungsproblematik nach sich. Die Zahl <strong>der</strong> alle<strong>in</strong><br />

erziehenden Mütter/Väter steigt ständig. Heute trennt sich mehr als jede dritte<br />

Ehe. Es gibt zunehmend mehr Scheidungsk<strong>in</strong><strong>der</strong>. In den Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong>n ist heute<br />

damit zu rechnen, dass <strong>in</strong> jedem Jahrgang K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d, <strong>der</strong>en Zuhause durch e<strong>in</strong>en<br />

Trennungsprozess <strong>der</strong> Eltern betroffen ist. Trennungen <strong>und</strong> Scheidungen bedeuten<br />

für alle Beteiligten e<strong>in</strong>e Krise, K<strong>in</strong><strong>der</strong> können darunter beson<strong>der</strong>s leiden. “Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

erleben die Trennung bzw. Scheidung oft als e<strong>in</strong>e tiefe anhaltende Traurigkeit, da sie<br />

ihre gesamte Existenz als bedroht erleben. ... Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d oft so sehr <strong>in</strong> die Konflikte<br />

<strong>der</strong> Familie verstrickt, daß sie den altersentsprechenden Anschluß an die Klasse<br />

verlieren können.“ ( Hopf 1996, S.26)<br />

Es b<strong>in</strong>den sich zwar zwei Drittel <strong>der</strong> geschiedenen o<strong>der</strong> getrennt lebenden Elternteile<br />

mit K<strong>in</strong>d auch wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen Lebensgeme<strong>in</strong>schaft. Für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> können<br />

13


da<strong>bei</strong> Orientierungskrisen entstehen, wenn <strong>bei</strong>spielsweise <strong>in</strong> den sozialen Elternschaften<br />

emotionale Beziehungen ungeklärt bleiben o<strong>der</strong> sich wi<strong>der</strong>sprechende Erziehungserwartungen<br />

an die K<strong>in</strong><strong>der</strong> richten. (vgl. Hopf 1996)<br />

Das elterliche Erziehungsverhalten hat sich verän<strong>der</strong>t. Es ist zu beobachten, dass<br />

Eltern „liberaler“ geworden s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> „autoritären“ Erziehungsformen eher ablehnend<br />

gegenüberstehen. Erziehungsziele <strong>von</strong> früher wie „leise se<strong>in</strong>, diszipl<strong>in</strong>iert se<strong>in</strong>, zurückhaltend<br />

se<strong>in</strong>“ s<strong>in</strong>d heute weniger gefragt. Stattdessen werden Selbstständigkeit,<br />

Kreativität <strong>und</strong> Kooperationsfähigkeit <strong>von</strong> den Eltern gewünscht. K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden heute<br />

<strong>von</strong> den Eltern eher als „Partner“ betrachtet. Eltern wollen oft ke<strong>in</strong>e Verbote, Grenzen<br />

<strong>und</strong> Regeln setzen. Möglicherweise entsteht dann e<strong>in</strong> Konflikt zwischen Schule<br />

<strong>und</strong> Elternhaus, wenn „grenzenlose“ K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule auf Grenzen <strong>und</strong> Regeln<br />

stoßen, die Zuhause nicht gelten.<br />

3.2. Der Umgang mit Medien<br />

Die außerschulische K<strong>in</strong>dheit spielt sich zu e<strong>in</strong>em großen Teil <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er beliebig verfügbaren<br />

Medienlandschaft mit Fernsehern, Videogeräten, Walkman <strong>und</strong> Computerspielen<br />

ab. Immer, wenn Langeweile droht, e<strong>in</strong> Spielpartner nicht zur Verfügung steht<br />

o<strong>der</strong> das Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong> beabsichtigt ist, können sich K<strong>in</strong><strong>der</strong> ohne eigenes Zutun mit Hilfe<br />

<strong>von</strong> Medien fast ununterbrochen Unterhaltung <strong>und</strong> Zeitvertreib <strong>in</strong>s Haus holen. Dies<br />

führt dazu, dass auf Spielpartner verzichtet werden kann <strong>und</strong> eigene Spielideen nicht<br />

gef<strong>und</strong>en werden müssen. K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die vor e<strong>in</strong>em Bildschirm sitzen, verhalten sich<br />

passiv. Selbsttätigkeit wird unmöglich, Selbstständigkeit kann nicht erprobt werden.<br />

Das Fernsehen b<strong>in</strong>det viel Zeit <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die für Eigentätigkeit verloren geht <strong>und</strong><br />

bewirkt möglicherweise e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende Ummodelung <strong>der</strong> Weise <strong>der</strong> Aneignung.<br />

Rolff/Zimmermann (1995, S. 32), angeregt <strong>von</strong> Postmann, stellen fest, “daß <strong>bei</strong>m<br />

Fernsehen e<strong>in</strong>e ikonische Weise <strong>der</strong> Aneignung zur Geltung kommt, die die bisher<br />

vorherrschende verbalargumentative Weise zu dom<strong>in</strong>ieren beg<strong>in</strong>nt, daß Bildkultur an<br />

die Stelle <strong>von</strong> Schriftkultur tritt.“ Das Fernsehen suggeriert, dass die Wirklichkeit echt<br />

<strong>und</strong> unmittelbar wie<strong>der</strong>gegeben wird - e<strong>in</strong>e Täuschung, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> kaum durchschauen.<br />

Die Fernsehbotschaft ist e<strong>in</strong>e bear<strong>bei</strong>tete Version <strong>der</strong> Wirklichkeit, denn sie<br />

gibt die Auffassung über die Wirklichkeit wie<strong>der</strong>, wie es sich Regisseur <strong>und</strong> Kameramann<br />

ausgedacht haben ( sogenannte „Second-hand-Wirklichkeit“ ). K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die vor<br />

e<strong>in</strong>em Bildschirm sitzen, können ihren aktiven Sprachschatz kaum erweitern <strong>und</strong><br />

14


tra<strong>in</strong>ieren. Unverstandene Begriffe bleiben ungeklärt <strong>und</strong> können nicht <strong>in</strong> das vorhandene<br />

Wissen des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>geordnet werden. Sie brauchen <strong>und</strong> können ke<strong>in</strong>e<br />

eigenen Phantasien entwickeln. Es fällt ihnen dann <strong>bei</strong>spielsweise <strong>bei</strong>m Geschichtenerzählen<br />

<strong>und</strong> Bücherlesen schwer, Phantasie <strong>und</strong> Vorstellungskraft zu entwickeln.<br />

Diese K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die bereits viel Zeit vor dem Bildschirm verbracht haben, kommen <strong>in</strong><br />

die Schule <strong>und</strong> erhoffen sich dort e<strong>in</strong>e ebenso anspruchslose, farbenprächtige <strong>und</strong><br />

leicht konsumierbare Realität. Reichen (1991, S.7 ) formuliert dazu treffend:<br />

“Denn <strong>in</strong>zwischen ist die erste Generation <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> die Schule gekommen,<br />

die mit 16 TV-Programmen aufwuchs <strong>und</strong> die Schule als 17. Programm missversteht<br />

– <strong>und</strong> gleichzeitig als das weitaus langweiligste ansieht.“<br />

3.3 Das Spiel-Freizeitverhalten<br />

Auf vielen Straßen <strong>und</strong> Plätzen ist, bed<strong>in</strong>gt durch den steigenden Autoverkehr, das<br />

Spielen <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nur noch unter Lebensgefahr möglich. Dies hat e<strong>in</strong>e Abschiebung<br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>bei</strong>spielsweise auf Spielplätze zur Folge, die allerd<strong>in</strong>gs <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

kaum genutzt werden, weil Ihnen wie Jürgens (2000, S.35 f.) beschreibt, das Ent-<br />

scheidende fehlt, was K<strong>in</strong><strong>der</strong> anzieht, nämlich das Leben. Sie erzeugen Langeweile<br />

<strong>und</strong> schrecken ab, weil es nichts selbst zu entdecken, zu ergründen, zu gestalten<br />

<strong>und</strong> Neues auszuprobieren gibt. Gewünscht <strong>und</strong> aufgesucht werden statt dessen<br />

unbebaute, verwil<strong>der</strong>te Gr<strong>und</strong>stücke, leerstehende Hütten, alte Bunker, stillgelegte<br />

Fabriken, verfallene Wohnhäuser u.a.m., aber auch Bahnhöfe, Tiefgaragen o<strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>kaufszentren. Die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wohnumwelt, aber auch steigende Krim<strong>in</strong>ali-<br />

tät <strong>und</strong> Verbrechen an K<strong>in</strong><strong>der</strong>n haben dazu geführt, dass heute lieber dr<strong>in</strong>nen als<br />

draußen gespielt wird. Dort wird oft alle<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zu zweit gespielt. Spontanes Spielen<br />

mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Nachbarschaft f<strong>in</strong>det immer weniger statt; aufgr<strong>und</strong> des Geburtenrückgangs<br />

stehen oft nicht genügend K<strong>in</strong><strong>der</strong> als Spielkameraden zur Verfügung.<br />

Von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n wird viel gekauft – die K<strong>in</strong><strong>der</strong>welt ist e<strong>in</strong> absatzträchtiger Markt geworden<br />

–, meistens Spielzeug, das sich im Vergleich zu früher enorm verän<strong>der</strong>t hat.<br />

Puppen können we<strong>in</strong>en, sprechen, laufen o<strong>der</strong> Liedchen s<strong>in</strong>gen. Die Tätigkeit <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist da<strong>bei</strong> häufig auf Bedienung <strong>bei</strong>spielsweise des Schalters o<strong>der</strong> Hebels reduziert.<br />

E<strong>in</strong> Großteil des hoch technisierten Spielzeugs spult, wenn es <strong>in</strong> Gang gesetzt<br />

wurde, e<strong>in</strong> vorprogrammiertes Spielerlebnisrepertoire ab. Spielen wird zur Konsumhandlung.<br />

Damit ist e<strong>in</strong> erheblicher Verlust an Eigentätigkeit verb<strong>und</strong>en. Nach<br />

Rolff/Zimmermann (1995, S.31) ist Eigentätigkeit die<br />

15


“<strong>in</strong>tensivste Form <strong>der</strong> Aneignung <strong>von</strong> Erfahrungen <strong>und</strong> dessen, was sie bedeuten,<br />

nicht nur, weil Eigentätigkeit je nach den Umständen alle S<strong>in</strong>ne anspricht, son<strong>der</strong>n<br />

auch deshalb, weil <strong>der</strong> Produktionsprozeß durchsichtig wird – <strong>und</strong> damit <strong>der</strong><br />

ganze Bedeutungsumfang ebenso wie das Verän<strong>der</strong>ungspotential“.<br />

Schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> leiden unter Freizeitstress. Sichtbarer Ausdruck <strong>der</strong> zeitlichen <strong>und</strong><br />

räumlichen Verplanung k<strong>in</strong>dlicher Aktivitäten ist die Zunahme <strong>der</strong> Inanspruchnahme<br />

<strong>in</strong>stitutionalisierter Freizeitangebote. Aus <strong>der</strong> großen Zahl verschiedener Angebote,<br />

sei es im sportlichen, musikalischen o<strong>der</strong> kulturellen Bereich, wird ausgewählt <strong>und</strong><br />

die term<strong>in</strong>liche Planung darauf abgestimmt. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden daran gewöhnt, e<strong>in</strong>en<br />

vollen Term<strong>in</strong>plan zu haben <strong>und</strong> an verschiedenen Orten <strong>und</strong> <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

sozialen Gruppen zu agieren. Diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden durch e<strong>in</strong>e nahezu grenzenlose<br />

För<strong>der</strong>ung überfor<strong>der</strong>t. In diesem Zusammenhang könnte man fast schon <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er<br />

term<strong>in</strong>gehetzten <strong>und</strong> überfor<strong>der</strong>ten K<strong>in</strong>dheit zwischen Ballettst<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Reitunterricht<br />

sprechen.<br />

3.4 Vielfalt <strong>der</strong> Kulturen<br />

In Deutschland leben ungefähr sechs Millionen Auslän<strong>der</strong> (steigende Tendenz ).<br />

35% da<strong>von</strong> s<strong>in</strong>d türkischer Herkunft. E<strong>in</strong>e eigene Gruppe stellen die Spätaussiedler<br />

dar, die zwar die deutsche Staatsbürgerschaft haben, aber aufgr<strong>und</strong> ihrer Sprachprobleme<br />

doch noch Fremde <strong>in</strong> Deutschland s<strong>in</strong>d. (vgl. Jürgens 2000, S.38) In <strong>der</strong><br />

Schule haben wir es dadurch mit e<strong>in</strong>er zunehmenden Kulturvielfalt zu tun, die durch<br />

das „vere<strong>in</strong>igte“ Europa noch größer werden wird. Die heutigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> müssen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit fremden Kulturen Sozialisationsleistungen vollbr<strong>in</strong>gen,<br />

die früher <strong>in</strong> diesem Maße nicht erfor<strong>der</strong>lich waren. K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben es mit Wertvorstel-<br />

lungen aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen zu tun, was hohe Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

das soziale Lernen mit sich br<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> zu Überfor<strong>der</strong>ungen führen kann, wenn <strong>bei</strong>spielsweise<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> damit alle<strong>in</strong>gelassen werden o<strong>der</strong> ihnen <strong>von</strong> zu Hause eher auslän<strong>der</strong>fe<strong>in</strong>dliche<br />

E<strong>in</strong>stellungen vermittelt werden.<br />

Diese Verän<strong>der</strong>ungen stellen die Schule vor große Probleme <strong>und</strong> anspruchsvolle<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />

16


4. Herausfor<strong>der</strong>ungen für die Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong> – Öffnung des Gr<strong>und</strong>schulunterricht<br />

Die heutige Lehrergeneration ist auf die wachsenden Erziehungsaufgaben <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Schule nicht vorbereitet worden. Gr<strong>und</strong>schullehrer <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schullehrer<strong>in</strong>nen spüren<br />

schmerzlich, dass sie <strong>in</strong> gleichem Maße Sozialpädagogen, Psychologen <strong>und</strong><br />

Therapeuten se<strong>in</strong> müssten, um den sogenannten verhaltensauffälligen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gerecht<br />

zu werden. Als Auffälligkeiten, die sich <strong>bei</strong> Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Unterricht<br />

zeigen, werden <strong>bei</strong> Müller (1995, S. 31) genannt:<br />

“Konzentrationsprobleme, Auffälligkeiten im Bereich <strong>der</strong> Wahrnehmung, psychomotorische<br />

Störungen, Probleme sich im Klassenverband e<strong>in</strong>- <strong>und</strong> unterzuordnen,<br />

Schwierigkeiten eigene Bedürfnisse zurückzustellen, unangemessenes Reagieren<br />

auf Frustrationserlebnisse o<strong>der</strong> Streit, ger<strong>in</strong>ge Anstrengungsbereitschaft,<br />

emotionales Alle<strong>in</strong>gelassense<strong>in</strong>, Schwierigkeiten zur Ruhe zu kommen, wachsende<br />

Unselbständigkeit <strong>bei</strong> häuslicher Überbehütung.“<br />

Die Lebensverhältnisse <strong>und</strong> Verhaltensweisen heutiger K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben sich gr<strong>und</strong>le-<br />

gend geän<strong>der</strong>t. Der Offene Unterricht wird als e<strong>in</strong>e Antwort auf diese Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

gesehen.<br />

4.1 Der Öffnungsbegriff<br />

Offenheit ist zu e<strong>in</strong>em gängigen, oft <strong>und</strong> gern verwendeten Term<strong>in</strong>us <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache<br />

<strong>von</strong> Pädagogen geworden. Ist Offenheit nur e<strong>in</strong> Schlagwort o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Slogan? Was<br />

verbirgt sich h<strong>in</strong>ter dem Begriff?<br />

Im folgenden e<strong>in</strong>ige ausgewählte Def<strong>in</strong>itionsversuche für „Offenen Unterricht“.<br />

Müller (1995, S.15) bezieht sich auf e<strong>in</strong> Themenheft zur Öffnung <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong>,<br />

<strong>in</strong> welchem Offener Unterricht so umschrieben wird:<br />

“Offener Unterricht ... als Sammelbegriff für unterschiedliche Ansätze <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

pädagogischer Reformen...., <strong>in</strong> denen das K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lernbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Lernmöglichkeiten so im Mittelpunkt e<strong>in</strong>es erziehenden<br />

Unterrichts steht, dass vielfältige Formen <strong>in</strong>haltlicher, methodischer <strong>und</strong> organisatorischer<br />

Öffnung entstehen.“<br />

“Während im lehrerorientierten bzw. lernzielorientierten Unterricht Verlauf <strong>und</strong><br />

Ergebnisse des Unterrichts weitgehend <strong>von</strong> <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong> bzw. dem Lehrer be-<br />

17


stimmt werden, tritt die Lehrer<strong>in</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Lehrer im Offenen Unterricht stärker<br />

zurück, die Aktivität <strong>und</strong> die Mitwirkung <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler stehen<br />

mehr im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche sollen stärker mitverantwortlich<br />

für ihr Lernen se<strong>in</strong>. Sie erhalten im Offenen Unterricht e<strong>in</strong>en größeren Handlungsspielraum<br />

<strong>und</strong> können damit über Ziele, Themenaspekte, Methoden, Medien<br />

<strong>und</strong> die Gestaltung <strong>der</strong> sozialen Beziehungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse mitentscheiden.<br />

Der Unterricht soll zur möglichst selbständigen, aktiven Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

mit dem jeweiligen Thema führen; hier<strong>bei</strong> ist die kommunikative Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Beziehungen zwischen den am Unterricht beteiligten Personen das<br />

tragende F<strong>und</strong>ament. Offener Unterricht ist so durch selbständiges <strong>und</strong> kooperatives,<br />

e<strong>in</strong> problemorientiertes <strong>und</strong> handlungsbezogenes Lernen <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Schüler gekennzeichnet“. (Schittko 1993, S. 165)<br />

Wallrabenste<strong>in</strong> will se<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition Offenen Unterrichts verstanden wissen als Versuch,<br />

den pädagogischen Rahmen zu umreißen.<br />

“Öffnung heißt dann vor allem<br />

- Lernen <strong>und</strong> Leben als ganzheitliche Erfahrung für Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Wechselbeziehung <strong>von</strong> Schule <strong>und</strong> Umgebung zu ermöglichen;<br />

- Zugänge aus <strong>der</strong> Schule heraus zu den Gegenständen des Alltags, <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong><br />

zum Leben <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de <strong>und</strong> zum Stadtteil zu eröffnen;<br />

- Handlungsspielräume für Lehrer <strong>und</strong> Schüler im Unterricht zu schaffen, die eigenständige<br />

Entscheidungen über Ar<strong>bei</strong>tsformen <strong>und</strong> Ar<strong>bei</strong>tsmöglichkeiten her-<br />

vorrufen;<br />

- flexible Organisationsformen des Lernens für vielfältige, wechselnde Aktivitäten<br />

bereitzustellen <strong>und</strong><br />

- den Verlust s<strong>in</strong>nlich-praktischer Erfahrungen durch den Aufbau <strong>von</strong> anregungs-<br />

reichen Lernumwelten mit Werkstattpr<strong>in</strong>zipien auszugleichen“ (Wallrabenste<strong>in</strong><br />

1992, S.3)<br />

Trotz <strong>der</strong> Unterschiedlichkeit <strong>in</strong> den Def<strong>in</strong>itionsversuchen erkennt man durchaus die<br />

geme<strong>in</strong>samen Bestrebungen Unterricht gegenüber e<strong>in</strong>er starken Programmierung<br />

h<strong>in</strong>sichtlich Methoden, Ziele, Inhalte etc. zu öffnen. Diese Öffnung geschieht <strong>in</strong> zwei<br />

Richtungen. E<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Richtung <strong>der</strong> Schüler – schülerorientierter Unterricht, zweitens<br />

<strong>in</strong> Richtung Lernangebote.<br />

18


4.2 Die Schulpraxis: „Wege zur Öffnung“<br />

„Öffnung des Unterrichts“ stellt Lehrkräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulpraxis vor viele Fragen. Wie<br />

fange ich als Lehrer<strong>in</strong>, als Lehrer an, mich zu öffnen? Rezepte bzw. e<strong>in</strong>en „Königsweg“<br />

gibt es diesbezüglich nicht. Öffnung beg<strong>in</strong>nt als Weg <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en Schritte, <strong>der</strong><br />

selbst gesucht <strong>und</strong> beschritten werden muss. (vgl. Müller 1995, S. 25)<br />

Die Um- bzw. Neugestaltung des Klassenraumes kann <strong>bei</strong>spielsweise e<strong>in</strong> Weg se<strong>in</strong>,<br />

den „Weg zur Öffnung“ zu beg<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>schullehrer<strong>in</strong> erzählt:<br />

“Ich habe mit <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung me<strong>in</strong>es Klassenraumes begonnen, habe mir Gedanken<br />

darüber gemacht, wie ich die Sitzordnung so verän<strong>der</strong>n kann, dass die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> zusammensitzen, die gut mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> auskommen <strong>und</strong> die es noch lernen<br />

müssen. Die Umgestaltung des Raumes brauchte viel Zeit. Da<strong>bei</strong> g<strong>in</strong>g mir auf,<br />

wie viele Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung es gibt. Zusammen mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n habe<br />

ich um- <strong>und</strong> ausgeräumt. Das war zeitweise unruhig <strong>und</strong> aufwendig. Immer wie<strong>der</strong><br />

haben wir experimentiert, bis wir e<strong>in</strong>e Form gef<strong>und</strong>en hatten, die zu uns pass-<br />

te. Durch die Verän<strong>der</strong>ung des Klassenraums verän<strong>der</strong>ten sich auch allmählich<br />

die Unterrichtsformen: Die E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Lese- <strong>und</strong> Sitzecke bot neue Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Das zeigte sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

entspannteren Klassenatmosphäre... Ich hatte auf e<strong>in</strong>mal mehr Zeit, mich K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

zuzuwenden, die me<strong>in</strong>e Hilfe brauchen, während an<strong>der</strong>e, selbständigere, schon<br />

alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Ar<strong>bei</strong>tsecken <strong>der</strong> Klasse zurechtkamen.“ (Müller 1995, S.27)<br />

Hier zeigt sich, dass die Aufhebung <strong>der</strong> starren, frontalen Sitzordnung zu neuen Interaktionsmöglichkeiten<br />

zwischen den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n führt, <strong>der</strong> dom<strong>in</strong>ierende Frontalunter-<br />

richt wird aufgelöst.<br />

Von e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Weg zur Öffnung des Unterrichts, <strong>der</strong> „Freiar<strong>bei</strong>t“ berichtet e<strong>in</strong>e<br />

Lehrer<strong>in</strong>:<br />

“Ich hatte zwar schon vor e<strong>in</strong>igen Jahren e<strong>in</strong>iges über ‘offenen Unterricht‘ gelesen,<br />

b<strong>in</strong> aber, ehrlich gesagt, nicht klug daraus geworden, wie ich das umsetzen<br />

sollte. Ich merkte immer mehr, wie unzufrieden ich mit dem eigenen Unterricht<br />

war. Was viele Jahre <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Klassen ‘lief‘, lief nun nicht mehr. Was ich zu bieten<br />

hatte, war offensichtlich nicht mehr das, was Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler heute<br />

brauchen. Ich hatte das Gefühl, ich wurde me<strong>in</strong>em Beruf <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

nicht mehr gerecht. E<strong>in</strong>e Fre<strong>und</strong><strong>in</strong>, die auch im Schuldienst ar<strong>bei</strong>tet, erzählte<br />

mir begeistert <strong>von</strong> ihren Versuchen <strong>und</strong> Erfolgen mit Freiar<strong>bei</strong>t. Nachdem ich ei-<br />

19


nige Male <strong>bei</strong> ihr hospitiert hatte, fand ich den Mut, zunächst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche<br />

Freiar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Klasse anzubieten. Ich glaube, es war <strong>der</strong> Ausgangspunkt<br />

für mich, me<strong>in</strong>en Unterricht allmählich zu verän<strong>der</strong>n; fertig b<strong>in</strong> ich damit<br />

noch lange nicht.“ (Müller 1995, S.28)<br />

Mit Freiar<strong>bei</strong>t wird e<strong>in</strong>e methodische Seite geöffneten Unterrichts angesprochen. Im<br />

nachfolgenden Kapitel wird Freiar<strong>bei</strong>t als Form des offenen Unterrichts vorgestellt<br />

<strong>und</strong> beschrieben.<br />

4.3 Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> ihre Lehrer: Zur Verän<strong>der</strong>ung des Rollenver-<br />

ständnisses<br />

Öffnung <strong>von</strong> Gr<strong>und</strong>schulunterricht geht <strong>von</strong> verän<strong>der</strong>ten Rollen <strong>bei</strong> Lehrenden <strong>und</strong><br />

Lernenden aus. Schüler vor zwanzig, fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahren reagierten noch auf die<br />

„Amtsautorität“ <strong>der</strong> Lehrer. Damals konnte da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass die<br />

Klasse still war, wenn e<strong>in</strong> Lehrer den Klassenraum betrat. Dieser Respekt qua Amt<br />

mußte nicht erst erar<strong>bei</strong>tet werden. Den Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrern kam die Rolle des<br />

„Stoffverteilers“ zu. Sie dozierten, lenkten, kontrollierten; die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler<br />

wurden da<strong>bei</strong> auf die Rolle des Zuhörenden <strong>und</strong> Ausführenden festgelegt. Heute<br />

ist die Situation an<strong>der</strong>s. Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrer haben sich auf Verän<strong>der</strong>ungen im<br />

Unterricht e<strong>in</strong>gelassen <strong>und</strong> da<strong>bei</strong> festgestellt, dass die eigene Person da<strong>von</strong> nicht<br />

unberührt blieb. Wie Jürgens (1997, S.139) treffend formuliert, erfor<strong>der</strong>t Öffnung <strong>von</strong><br />

Schule <strong>und</strong> Unterricht <strong>von</strong> den Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrern, “den eigenen Entwicklungs-<br />

<strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungsprozess <strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> halten zu müssen.“<br />

Offenheit als pädagogisches Pr<strong>in</strong>zip setzt se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach e<strong>in</strong> Lehrerverhalten<br />

voraus, dass sich <strong>der</strong> ständigen Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit, aber dennoch immer wie<strong>der</strong><br />

des notwendigen Zusammenhangs <strong>von</strong> Loslassen <strong>und</strong> Festhalten bewusst wird.<br />

“Auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite muss die E<strong>in</strong>sicht <strong>und</strong> das pädagogische Können dafür vorhanden<br />

se<strong>in</strong>, K<strong>in</strong><strong>der</strong> für e<strong>in</strong> selbsttätiges, eigenverantwortliches <strong>und</strong> selbstorientiertes<br />

Lernen freizugeben. Dies impliziert auch die Fähigkeit, <strong>der</strong> eigenen Neigung<br />

zur Belehrung, Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern neue Lern<strong>in</strong>halte möglichst<br />

schnell, ohne Umschweife auf dem direkten Weg e<strong>in</strong>- <strong>und</strong> durchsichtig machen<br />

zu wollen, entgegenzuar<strong>bei</strong>ten, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong> Lernen auf Umwegen, mit Brüchen <strong>und</strong><br />

mit Vieldeutigkeit zugelassen wird. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite werden die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Schüler sich nicht selbst überlassen, ihnen we<strong>der</strong> immer noch überall die<br />

alle<strong>in</strong>ige Verantwortung für ihr Lernen <strong>und</strong> für ihre Lern- <strong>und</strong> Persönlichkeitsent-<br />

20


wicklung aufgebürdet. Die Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrer helfen, unterstützen, för<strong>der</strong>n,<br />

beobachten, beraten, lehren, führen, korrigieren etc. weiterh<strong>in</strong>; allerd<strong>in</strong>gs unter<br />

<strong>der</strong> alles entscheidenden Prämisse, das eigene Handeln an <strong>der</strong> Antwort auf die<br />

Frage zu orientieren, was haben K<strong>in</strong><strong>der</strong> nötig, um sich optimal als <strong>in</strong>dividuelle <strong>und</strong><br />

soziale Persönlichkeiten entfalten zu können.“ (Jürgens 1997, S.139)<br />

Heranwachsende s<strong>in</strong>d heute (vgl. Kapitel 3) selbstbewusster, aber auch orientierungsloser<br />

geworden. „Verän<strong>der</strong>ten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ mangelt es heute an positiven Vorbil<strong>der</strong>n,<br />

die ihnen Orientierung geben <strong>und</strong> <strong>bei</strong> denen sie sich emotional sicher <strong>und</strong> aufgehoben<br />

fühlen. Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrer, die ihre Lebensgeschichte “vor <strong>der</strong> Klassentür“<br />

lassen <strong>und</strong> sich mit <strong>der</strong> Rolle des “Nur-Lehrenden“ zufrieden geben, s<strong>in</strong>d für<br />

die K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht greifbar. K<strong>in</strong><strong>der</strong> distanzieren sich <strong>und</strong> können ke<strong>in</strong>en Kontakt zu ihnen<br />

aufbauen. In diesem Kontext spricht Brigitte Müller (1995, S. 40) <strong>von</strong> dem Lehrer,<br />

<strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong> als “Erzieher <strong>und</strong> Menschenbildner“. Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach werden im<br />

geöffneten Unterricht nur die Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrer gut se<strong>in</strong>, die sich als Men-<br />

schenbildner verstehen. Dies setzt die Bereitschaft voraus, an <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong><br />

eigenen Persönlichkeit ar<strong>bei</strong>ten zu wollen. Gefor<strong>der</strong>t werden daher Selbst- reflexion<br />

<strong>und</strong> die Bereitschaft zur Selbsterziehung als Lebensaufgabe. ( vgl. Müller 1995, S.40<br />

f.)<br />

21


5. Freiar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong><br />

5.1 Begriffsklärung<br />

Freiar<strong>bei</strong>t ist e<strong>in</strong> tragendes Element Offenen Unterrichts <strong>und</strong> wird mit am häufigsten<br />

mit diesem Begriff <strong>in</strong> Zusammenhang gebracht. In geltenden Erlassen <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />

wird <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t rechtliche Bedeutung <strong>bei</strong>gemessen. Nach Müller (1995,<br />

S.86) def<strong>in</strong>iert <strong>der</strong> geltende nie<strong>der</strong>sächsische Erlass zur "Ar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong>“<br />

Freiar<strong>bei</strong>t als Gelegenheit für Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>, eigenständig Ziel, Inhalt <strong>und</strong> Ablauf<br />

ihrer Ar<strong>bei</strong>t zu bestimmen.<br />

Nach Potthoff ( 2001) empfiehlt sich Freiar<strong>bei</strong>t selbst vom Lehrplandenken aus.<br />

“Es ist e<strong>in</strong>e Schwäche des herkömmlichen Unterrichts, dass er die Schüler nicht<br />

verweilen lässt. Er eilt zum nächsten <strong>und</strong> übernächsten Ziel, weil die For<strong>der</strong>ungen<br />

des Lehrplans so hoch s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> erfüllt die For<strong>der</strong>ungen des Lehrplans wegen<br />

dieser Hast doch gerade nicht. Wenn wir den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nur Zeit ließen, Gr<strong>und</strong>lagen<br />

zu legen, auszubauen <strong>und</strong> zu festigen, wir hätten tüchtige Schüler, die auf sicherer<br />

Basis leicht aufbauen könnten. Und wir hätten zufriedene Schüler. Zur Zeit<br />

aber f<strong>in</strong>den wir <strong>in</strong> den Schulen überwiegend Schüler mit riesigen Wissens- <strong>und</strong><br />

Könnenslücken auf den unterschiedlichsten Gebieten.“ (Potthoff 2001, S.22)<br />

Freiar<strong>bei</strong>tsst<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d unter diesem Gesichtspunkt betrachtet Übungsst<strong>und</strong>en, <strong>in</strong><br />

denen je<strong>der</strong> Lücken schließen kann, die er <strong>bei</strong> sich bemerkt hat <strong>und</strong> dafür geeignetes<br />

Material vorf<strong>in</strong>det.<br />

Freiar<strong>bei</strong>t ist aber nicht e<strong>in</strong> unverb<strong>in</strong>dliches, Zufälligkeiten überlassenes Lernen, bedeutet<br />

nicht, „machen können, was e<strong>in</strong>em gerade <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n kommt“. Freiar<strong>bei</strong>t ist<br />

auch ke<strong>in</strong> För<strong>der</strong>unterricht o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Unterricht, <strong>der</strong> den Schülern die Möglichkeit zugesteht,<br />

zwischen verschiedenen vorgegebenen Lern<strong>in</strong>halten auszuwählen.<br />

Freiar<strong>bei</strong>t bedeutet zuallererst Ar<strong>bei</strong>t, wie dem Wort schon zu entnehmen ist. Aber<br />

Ar<strong>bei</strong>t, die den Schülern Spaß machen <strong>und</strong> spielendes Lernen ermöglichen soll.<br />

Mit Jürgens (2000, S.107) soll unter Freiar<strong>bei</strong>t e<strong>in</strong>e Unterrichtsform verstanden werden,<br />

“<strong>bei</strong> <strong>der</strong> die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler weitgehend selbständig über die Auswahl<br />

ihrer Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsbereiche, die Sozialform <strong>und</strong> die Planung, Durchführung<br />

<strong>und</strong> Auswertung ihres Lern- <strong>und</strong> Ar<strong>bei</strong>tsablaufs bestimmen können. Da<strong>bei</strong><br />

stehen die Elemente <strong>der</strong> Selbststeuerungsfähigkeit <strong>und</strong> Selbstaktivierungsfä-<br />

22


higkeit sowie <strong>der</strong> Planungsfähigkeit im Mittelpunkt. Daneben geht es vorrangig<br />

um die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Selbsterfahrung <strong>und</strong> des sozialen Lernens.“<br />

5.2 (Organisatorische ) Voraussetzungen <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t<br />

5.2.1 Gestaltung <strong>der</strong> Lernumwelt<br />

Schon <strong>bei</strong>m Betreten e<strong>in</strong>es Klassenraumes kann man erkennen, ob die Gestaltung<br />

ausschließlich durch die Lehrkraft erfolgte, <strong>der</strong> Raum Möglichkeiten für s<strong>in</strong>nvolle<br />

k<strong>in</strong>dliche Aktivitäten bietet <strong>und</strong> wie weit Kontrolle <strong>und</strong> straffer Führungsstil, Beliebigkeit<br />

o<strong>der</strong> geplante Aktivität erwünscht <strong>und</strong> möglich s<strong>in</strong>d. Schulräume sollen klar geglie<strong>der</strong>t,<br />

überschaubar <strong>und</strong> so angelegt se<strong>in</strong>, dass sie K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu Aktivitäten ermuntern.<br />

Immer häufiger f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> den Klassenräumen Lese- <strong>und</strong> Spielecken, Tische<br />

für Experimente, Medienbereiche etc. Durch diese Aufteilung des Klassenzimmers<br />

<strong>in</strong> verschiedene Funktionsbereiche entsteht e<strong>in</strong>e Lernumwelt, <strong>von</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

zum selbsttätigen <strong>und</strong> ar<strong>bei</strong>tenden Lernen angeregt werden.<br />

Regale s<strong>in</strong>d notwendig, um die Materialien sichtbar <strong>und</strong> für jeden zugänglich aufbewahren<br />

zu können. E<strong>in</strong>e Hilfe, den Klassenraum übersichtlich zu gestalten, ist e<strong>in</strong>e<br />

klare Glie<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> verschiedene Lernbereiche. So könnte man <strong>bei</strong>spielsweise alle<br />

Materialen für Mathematik <strong>und</strong> das entsprechende Regal mit <strong>der</strong> Farbe grün, für<br />

Deutsch mit <strong>der</strong> Farbe blau etc. kennzeichnen. Der ästhetischen Gestaltung des<br />

Klassenraumes wird beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit e<strong>in</strong>geräumt, denn ist es nicht schön,<br />

wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihren Klassenraum als e<strong>in</strong> Stück „Zuhause“ erleben? Wichtig ist da<strong>bei</strong><br />

die geme<strong>in</strong>same Gestaltung die den Bedürfnissen aller dar<strong>in</strong> Ar<strong>bei</strong>tenden entspricht.<br />

Beispielsweise tragen Fensterbänke mit Blumentöpfen <strong>und</strong> Pflanzen, selbst gemachte<br />

Fensterbil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> auch Ausstellungstische mit eigenen Werken zum Wohlfühlen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse <strong>bei</strong>.<br />

5.2.2 Angebot <strong>und</strong> Art des Materials<br />

Von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung ist <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t das Angebot <strong>und</strong> die Art des<br />

Materials. Es darf nicht e<strong>in</strong>fach Beschäftigungsmaterial se<strong>in</strong>, denn es ist nicht Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t, die Schüler <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen nur zu beschäftigen. Das Material<br />

soll zu e<strong>in</strong>er aktiven Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Sachverhalt bzw. zum E<strong>in</strong>prägen<br />

des Erar<strong>bei</strong>teten anregen. Nach Potthoff ( 2001, S.52) bildet den Gr<strong>und</strong>bestand des<br />

Materials für die Freiar<strong>bei</strong>t das didaktische Material.<br />

23


5.2.2.1 Das didaktische Material<br />

Bei <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> didaktischen Materialen legt die Lehrkraft alle didaktischen <strong>und</strong><br />

methodischen Entscheidungen <strong>in</strong> das Material h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Wer sich auf das Material e<strong>in</strong>lässt,<br />

muss die Wege gehen, die <strong>der</strong> Ersteller <strong>der</strong> Materialien festgelegt hat. Potthoff<br />

(2001, S.52) schreibt, es handelt sich immer um e<strong>in</strong>e “<strong>in</strong>direkte Führung des Schülers<br />

durch den Ersteller des didaktischen Materials“ . Das Material ist motivierend<br />

aufbereitet; Farbe, Form <strong>und</strong> Aufmachung sprechen an. Es ist e<strong>in</strong> anschauliches<br />

Denken, denn <strong>der</strong> Gegenstand, mit dem es sich befasst, steht den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n handgreiflich<br />

vor den S<strong>in</strong>nen. Statt an verschwommene Vorstellungen kann das Denken<br />

dadurch an konkrete Wahrnehmungen anknüpfen.<br />

Nach Potthoff (2001, S. 54) s<strong>in</strong>d <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Herstellung <strong>von</strong> didaktischen Materialien für<br />

die Freiar<strong>bei</strong>t folgende Punkte zu beachten:<br />

1. Spezifischer Wissensstand: Wie ist <strong>der</strong> spezifische Wissensstand des Lernenden,<br />

<strong>der</strong> mit diesem Material ar<strong>bei</strong>ten kann?<br />

2. Beabsichtigtes Ziel: Welches Ziel wird mit dem Material angestrebt? Was soll<br />

gelernt, geübt o<strong>der</strong> erfahren werden?<br />

3. Erwarteter Lösungsweg: Welcher Lösungsweg soll <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Bear<strong>bei</strong>tung des<br />

Materials gegangen werden?<br />

4. Alternative Lösungswege: Welche an<strong>der</strong>en Lösungswege sollen evt. ermöglicht<br />

werden?<br />

5. Erwartete Selbstständigkeit: Welche Art <strong>und</strong> welcher Grad <strong>von</strong> Selbstständigkeit<br />

wird <strong>von</strong> den Schüler/<strong>in</strong>nen verlangt, die ohne fremde Hilfe mit dem Mate-<br />

rial umgehen?<br />

6. Erfor<strong>der</strong>liche Strategien: Welche Ar<strong>bei</strong>tsstrategien müssen die Lernenden an-<br />

wenden, wenn sie den Anfor<strong>der</strong>ungen des Materials genügen wollen?<br />

7. Erwartete Ar<strong>bei</strong>tsform: Sollen die Schüler/<strong>in</strong>nen alle<strong>in</strong> o<strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>en zusammen<br />

ar<strong>bei</strong>ten, wenn sie sich mit dem Material e<strong>in</strong>lassen?<br />

8. Mögliche Ergebniskontrolle: Welche Möglichkeiten werden den Schüler/<strong>in</strong>nen<br />

zur selbstständigen Ergebniskontrolle gegeben?<br />

9. Mögliche Wie<strong>der</strong>holungen: Durch welche Eigenarten des Materials werden<br />

Wie<strong>der</strong>holungen des Ar<strong>bei</strong>tsvorgangs ermöglicht?<br />

10. Erwartete Motivationsqualität: Welche Merkmale des Materials motivieren die<br />

Lernenden, sich mit ihm zu befassen?<br />

24


5.2.2.2. Das S<strong>in</strong>nesmaterial<br />

S<strong>in</strong>nesmaterial ist beson<strong>der</strong>s wichtig, denn mangelhaft ausgebildete S<strong>in</strong>ne verkümmern<br />

zunehmend. Da<strong>bei</strong> wird durch die Isolierung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne S<strong>in</strong>n<br />

geschult. Dies erfolgt mit Material, das die spontane Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Schüler <strong>und</strong><br />

Schüler<strong>in</strong>nen auf sich zieht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e zweckmäßige Abstufung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nessreize enthält.<br />

Die Irrtümer werden durch das Material selbst nachgewiesen. Auch wenn <strong>bei</strong><br />

<strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t mit dem S<strong>in</strong>nesmaterial Kenntnisse erworben werden, dient es nicht <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Kenntnisvermittlung. S<strong>in</strong>nesmaterial ist e<strong>in</strong> Material zur Selbstverbesserung<br />

durch Selbsterziehung, denn es übt die Kräfte <strong>und</strong> schult die Fähigkeiten<br />

des K<strong>in</strong>des. (vgl. Potthoff 2001, S. 57)<br />

5.2.2.3 Das Kreativmaterial<br />

Potthoff (2001) ergänzt didaktisches Material <strong>und</strong> S<strong>in</strong>nesmaterial durch Materialien,<br />

die zum kreativen Tun anregen. Diese Materialien lassen dem Schüler zwar jeden<br />

Freiraum zum eigenen Gestalten, b<strong>in</strong>den ihn aber <strong>von</strong> ihrer Eigentümlichkeit her<br />

doch auf Sachgerechtigkeit h<strong>in</strong>. Beispielsweise for<strong>der</strong>t Ton zum Formen auf <strong>und</strong> verleitet<br />

nicht zu unbegrenzten Phantasiespielen, <strong>bei</strong> denen das Material se<strong>in</strong>en Eigen-<br />

wert verliert. (vgl. ebenda S. 55)<br />

5.2.3 Soziales Verhalten während <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t<br />

Damit z. B. Unruhe o<strong>der</strong> Orientierungslosigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t nicht auftritt, ist es<br />

notwendig, e<strong>in</strong> „Regelwerk“, das heißt Verhaltensregeln während <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t, mit-<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu vere<strong>in</strong>baren. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> müssen <strong>bei</strong>spielsweise genau Bescheid wissen,<br />

wie laut man sprechen soll <strong>und</strong> was passiert, wenn <strong>der</strong> Geräuschpegel zu stark ansteigt;<br />

was man machen soll, wenn man nicht mehr weiter weiß, o<strong>der</strong> Konflikte auftreten.<br />

Die Anbr<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>er „Regelblume“ mit Verhaltensregeln im Klassenzimmer<br />

wäre e<strong>in</strong>e Möglichkeit. Folgende Verhaltensregeln kämen da<strong>bei</strong> <strong>in</strong> Frage:<br />

Störe an<strong>der</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t!<br />

Rede leise!<br />

Bewege dich leise!<br />

Stelle das Material wie<strong>der</strong> ordentlich an se<strong>in</strong>en Platz zurück!<br />

25


Bei Fragen wende dich an e<strong>in</strong>en Klassenkameraden o<strong>der</strong> Lehrer!<br />

Wenn jemand dich bittet, hilf ihm!<br />

5.3 Phasen <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t<br />

Jürgens ( 2000, S.114) beschreibt <strong>bei</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>von</strong> Freiar<strong>bei</strong>t bestimmte<br />

Phasen, die pr<strong>in</strong>zipiell beachtet werden müssen:<br />

1. E<strong>in</strong>gangsphase: Planung <strong>und</strong> Absprache <strong>der</strong> Tätigkeiten.<br />

2. Ar<strong>bei</strong>ts- <strong>und</strong> Produktionsphase: Vorbereitung des Ar<strong>bei</strong>tsplatzes, Sammeln <strong>von</strong><br />

Materialien, Beschaffung <strong>von</strong> mündlichen <strong>und</strong> schriftlichen Informationen, Entwurf<br />

<strong>und</strong> Erstellung <strong>von</strong> Produkten etc.<br />

3. Demonstrations- <strong>und</strong> Auswertungsphase: Ar<strong>bei</strong>tsergebnisse werden vorgestellt<br />

bzw. ausgestellt, <strong>der</strong> Lerngruppe erläutert <strong>und</strong> zur Diskussion gestellt etc.<br />

4. Abschluss- <strong>und</strong> Dokumentationsphase: Alle Ar<strong>bei</strong>tsergebnisse werden aufbewahrt.<br />

Entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong> eigens dafür vorgesehenen Sammelordnern, <strong>in</strong> Schrankfächern o<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> Form regelmäßig wechseln<strong>der</strong> Ausstellungen.<br />

5.4 Verhalten <strong>der</strong> Lehrkraft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t<br />

Mit Freiar<strong>bei</strong>t setzt im Vergleich zum lehrerzentrierten Unterricht e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>stellungen e<strong>in</strong>, die sich auf das Verhalten auswirkt. Potthoff (2001, S. 70<br />

f.) hat e<strong>in</strong>e Zusammenstellung wichtiger Gesichtspunkte vorgenommen:<br />

26


Lehrergeführter Unterricht Freiar<strong>bei</strong>t<br />

L. vermittelt die Unterrichtsziele. L. gestaltet die Lernumwelt, damit das<br />

K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Bedürfnissen entsprechend<br />

zielvoll ar<strong>bei</strong>ten kann.<br />

L. motiviert <strong>und</strong> appelliert an die Auf- L. beobachtet <strong>und</strong> erkennt die Augenblimerksamkeit<br />

<strong>der</strong> Schüler.<br />

cke hoher Konzentration, <strong>in</strong> denen das<br />

K<strong>in</strong>d zur Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit<br />

f<strong>in</strong>det.<br />

L. führt wortreich <strong>in</strong> neue Sachverhalte Das K<strong>in</strong>d f<strong>in</strong>det selbst neue Aufgaben. L.<br />

e<strong>in</strong> <strong>und</strong> veranschaulicht.<br />

führt das e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>d mit wenig o<strong>der</strong><br />

gar ke<strong>in</strong>en Worten (son<strong>der</strong>n Handlungen)<br />

<strong>in</strong> neue Ar<strong>bei</strong>tsverfahren e<strong>in</strong>, wenn es<br />

Hilfe braucht.<br />

L. verteilt das gleiche Ar<strong>bei</strong>tsmaterial an L. ermöglicht jedem e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>d, Ar-<br />

alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Klasse <strong>und</strong> sammelt es <strong>bei</strong>tsmaterial selbst auszuwählen, damit<br />

wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>.<br />

zu ar<strong>bei</strong>ten, es wie<strong>der</strong> zu ordnen <strong>und</strong> an<br />

se<strong>in</strong>en Platz zurückzustellen.<br />

L. for<strong>der</strong>t die Schüler zur Ruhe auf. L. f<strong>in</strong>det Ruhe vor, die aus <strong>der</strong> Konzentra-<br />

L. ist aktiv <strong>und</strong> wird <strong>bei</strong> Lehrproben für<br />

große Aktivität gelobt.<br />

L. unterb<strong>in</strong>det vom K<strong>in</strong>d ausgehende Bewegungen,<br />

die nicht angeordnet waren.<br />

27<br />

tion <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> kommt. –Falls erfor<strong>der</strong>lich,<br />

veranstaltet er Konzentrationsübungen.<br />

L. wird passiv, damit das K<strong>in</strong>d aktiv werden<br />

kann.<br />

L. hilft dem K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> dessen Bewegungen<br />

Ordnung zu br<strong>in</strong>gen.<br />

L. steht im Mittelpunkt des Geschehens <strong>in</strong> L. tritt als Beobachter an die Peripherie,<br />

<strong>der</strong> Klasse.<br />

damit jedes K<strong>in</strong>d Mittelpunkt se<strong>in</strong>er eigenen<br />

Entwicklung werden kann.


6. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> <strong>und</strong> die Bewegung des Offenen Unterrichts<br />

6.1. Rückbes<strong>in</strong>nung auf die Reformpädagogik<br />

Wie bereits <strong>in</strong> Punkt 4 beschrieben wird Öffnung des Unterrichts als Antwort auf die<br />

geän<strong>der</strong>ten Lebensverhältnisse <strong>und</strong> Verhaltensweisen heutiger K<strong>in</strong><strong>der</strong> gesehen. Historisch<br />

betrachtet handelt es sich hier<strong>bei</strong> um ke<strong>in</strong> generell neues Unterrichtskonzept,<br />

Verwurzelungen lassen sich bis <strong>in</strong> die Reformpädagogik zurückverfolgen. „Öffnung<br />

des Gr<strong>und</strong>schulunterrichts“ geht mit e<strong>in</strong>er Renaissance <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>belebung reformpädagogischen<br />

Gedankenguts e<strong>in</strong>her.<br />

Die Pädagogen <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> klassischen Reformpädagogik Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

wendeten sich vehement gegen die Gängelung des Schülers durch den Lehrer<br />

<strong>und</strong> gegen e<strong>in</strong>seitige Lehrmethoden. Sie for<strong>der</strong>ten e<strong>in</strong>e Methodenvielfalt um den unterschiedlichen<br />

Lehrstoffen <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>teressen gerecht werden zu können. Für<br />

effektives Lernen setzten sie auf die angeborenen vitalen Kräfte des K<strong>in</strong>des. So for-<br />

<strong>der</strong>ten sie e<strong>in</strong>mütig, dem Lernenden die Möglichkeit zu freiem Ar<strong>bei</strong>ten zu geben.<br />

(vgl. Potthoff 2001, S. 7) Immer handelt es sich um Formen e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>direkten Erzie-<br />

hung, <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Lehrer zugunsten <strong>der</strong> Schüleraktivität zurücktritt. Da<strong>bei</strong> geht es aber<br />

nicht um e<strong>in</strong> bl<strong>in</strong>des <strong>und</strong> wahlloses Probieren, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Lehrer stellt geeigne-<br />

tes Ar<strong>bei</strong>tsmaterial bereit, schafft e<strong>in</strong>e lernanregende Umgebung, welche den Schüler<br />

zu Lernerfolgen kommen lässt.<br />

Die seit Mitte <strong>der</strong> 70er Jahre verstärkt zu beobachtend Rückbes<strong>in</strong>nung auf die Reformpädagogik<br />

bezieht sich hauptsächlich auf die methodischen Aspekte wie z. B.<br />

Freiar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> selbsttätiges Lernen. Die pädagogische Gr<strong>und</strong><strong>in</strong>tention <strong>der</strong> heutigen<br />

Freiar<strong>bei</strong>t geht im Wesentlichen auf die Idee <strong>der</strong> Reformpädagog<strong>in</strong> <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong><br />

zurück.<br />

6.2 Freiar<strong>bei</strong>t im Vergleich<br />

Mit dem Verweis auf die reformpädagogische Protagonist<strong>in</strong> sollte allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>druck entstehen, es gäbe e<strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmendes Gr<strong>und</strong>muster, das sich für die<br />

Freiar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Schule als didaktische Schablone benutzen ließe. E<strong>in</strong>e<br />

unreflektierte Gleichsetzung <strong>der</strong> heutigen Freiar<strong>bei</strong>t mit <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>s Pädago-<br />

28


gik ist nur bed<strong>in</strong>gt richtig, denn ihrer Pädagogik liegt das „Pr<strong>in</strong>zip Freiheit“ zugr<strong>und</strong>e.<br />

Holtstiege (1997, S.109) verdeutlicht <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>s Pr<strong>in</strong>zip:<br />

“Sie (<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>) spricht <strong>von</strong> „freier Ar<strong>bei</strong>t“ als e<strong>in</strong>e „Form realisierter Freiheit“.<br />

Die Ar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> Freiheit bezeichnet sie auch als <strong>„Freiheit</strong> <strong>der</strong> Wahl“ o<strong>der</strong> als<br />

„absolute Wahlfreiheit“. Diese Umschreibungen stehen im Zusammenhang mit<br />

Beschreibungen <strong>von</strong> Vorgängen <strong>der</strong> Polarisation <strong>von</strong> Aufmerksamkeit als Ar<strong>bei</strong>tsvorgängen<br />

o<strong>der</strong> Aktivitätszyklen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er „vollkommenen Art des Lernens“.“<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> umschließt also die Erziehungsaufgabe sehr viel umfassen<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

tiefgründiger als die Freiar<strong>bei</strong>t, die daraus für die Ar<strong>bei</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Schule<br />

übernommen wurde. Und auch die Freiar<strong>bei</strong>t selbst erhält <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Rezeption <strong>in</strong> das<br />

Ar<strong>bei</strong>tsprogramm <strong>der</strong> heutigen öffentlichen Schulen oftmals e<strong>in</strong>en völlig an<strong>der</strong>en<br />

Stellenwert als <strong>bei</strong> <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> vertraut <strong>bei</strong>m Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozess<br />

z.B. ganz den <strong>von</strong> Natur aus vorhandenen vitalen Kräften, mit <strong>der</strong>en<br />

Hilfe das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv die richtige „Nahrung“ auswählt, während <strong>der</strong> Unter- richt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er öffentlichen Schule an den Lehrplänen orientiert ist. Es kann auch nicht erwartet<br />

werden, dass es z. B. <strong>bei</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Freiar<strong>bei</strong>tsst<strong>und</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche <strong>bei</strong><br />

vielen Schülern zu e<strong>in</strong>er Polarisation <strong>der</strong> Aufmerksamkeit kommt. Die Freiar<strong>bei</strong>t<br />

müsste schon zu e<strong>in</strong>er mit mehreren St<strong>und</strong>en wöchentlich praktizierten Form mit festen<br />

Verhaltensregeln ausgebaut werden um die <strong>von</strong> <strong>Montessori</strong> genannten Erwartungen,<br />

wie z.B. Ausgeglichenheit <strong>und</strong> Zufriedenheit des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>treten zu lassen.<br />

Ausgangspunkt <strong>bei</strong> <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> ist immer <strong>der</strong> Schüler, se<strong>in</strong>e Interessen. In <strong>der</strong><br />

Freiar<strong>bei</strong>t heute fertigen Lehrer Materialien an, die aus <strong>der</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>es bestimmten<br />

Stoffes heraus konzipiert werden. Das Material wird so als geschicktes di-<br />

daktisches Mittel e<strong>in</strong>gesetzt, mit dem <strong>der</strong> Lernstoff dann nur auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Weise<br />

als bisher üblich vermittelt wird. Hier wird <strong>von</strong> <strong>Montessori</strong>-Pr<strong>in</strong>zipien abgewichen,<br />

denn das Material dient dann nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dem Schüler. Selbstentwickeltes<br />

Material hat auf Kenntniserwerb durch die Selbsttätigkeit des Schülers zu zielen <strong>und</strong><br />

daneben wie <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> sagt, e<strong>in</strong>e Schlüsselqualifikation zu erfüllen, nämlich<br />

Schlüssel zur Welt zu se<strong>in</strong>.<br />

In e<strong>in</strong>em Interview äußert sich Hildegard Holtstiege (1997, S.108) zu dem Punkt,<br />

man habe den E<strong>in</strong>druck dass es sich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t um die Erweiterung des Me-<br />

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thodenrepertoires handele, mit dem Interesse, unlustigen, zerfahrenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n den<br />

Lernstoff besser zu vermitteln,<br />

“Ich teile Ihren E<strong>in</strong>druck, dass die zu beobachtende konjunkturelle Freiar<strong>bei</strong>t überwiegend<br />

als e<strong>in</strong>e weitere Methode o<strong>der</strong> Unterrichtsform verstanden <strong>und</strong> damit<br />

letztlich zu e<strong>in</strong>er weiteren Methode <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand des Lehrers wird. ... Das Handbuch<br />

( Handbuch freie Ar<strong>bei</strong>t ) vermittelt den E<strong>in</strong>druck, dass – global gesehen –<br />

alles freie Ar<strong>bei</strong>t se<strong>in</strong> kann, was nicht Frontalunterricht ist.“<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist Hildegard Holtstiege auch <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass freie Ar<strong>bei</strong>t mehr ist .<br />

“Sie ist e<strong>in</strong> pädagogisches Konzept <strong>von</strong> Schule, <strong>in</strong> dem <strong>der</strong> junge Mensch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

eigen<strong>in</strong>itierten Lernen strukturieren<strong>der</strong> Mittel- o<strong>der</strong> Ausgangspunkt zur Gestaltung<br />

<strong>von</strong> Schule <strong>und</strong> Unterricht ist. Freie Ar<strong>bei</strong>t – richtig verstanden <strong>und</strong> schulpädagogisch<br />

realisiert – kann e<strong>in</strong> Weg zur Verwirklichung <strong>der</strong> am Ende dieses<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts gefor<strong>der</strong>ten Reformaufgabe <strong>der</strong> Humanisierung des Bildungsprozesses<br />

– <strong>der</strong> Humanisierung des Lernvorganges, <strong>der</strong> Lernbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> des<br />

pädagogischen Umgangs – se<strong>in</strong>.“ (Holtstiege 1997, S.108f.)<br />

6.3 <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>: Zur Aktualität ihres Denkens<br />

Die Frage stellt sich, <strong>in</strong>wieweit die <strong>von</strong> <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> ihrerzeit formulierten Gedanken<br />

unserer heutigen Erziehungssituation entsprechen. Die Lebens- <strong>und</strong> Erzie-<br />

hungssituation des K<strong>in</strong>des heute ist e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e, als sie es Ende des 18. bzw.<br />

Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts war. Sah man das K<strong>in</strong>d damals als e<strong>in</strong>en Noch-Nicht-<br />

Erwachsenen <strong>und</strong> damit als m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertig (im H<strong>in</strong>blick auf den Erwachsenen) an; erschien<br />

das K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>erzeit wie e<strong>in</strong>e formbare Masse, die <strong>der</strong> Erwachsene nach sei-<br />

nen Vorstellungen weich zu kneten <strong>und</strong> zurechtzubiegen hatte, so hat uns die Psychologie<br />

des K<strong>in</strong>des im letzten Jahrh<strong>und</strong>ert e<strong>in</strong> vielfältig differenziertes Bild vom K<strong>in</strong>de<br />

gezeichnet. Da<strong>bei</strong> wurden E<strong>in</strong>sichten sowohl <strong>in</strong> das Unbewusste wie <strong>in</strong> die <strong>in</strong>tellektuellen<br />

Entfaltungsmöglichkeiten <strong>und</strong> <strong>in</strong> die eigenschöpferischen Selbstgestaltungskräfte<br />

des K<strong>in</strong>des gewährt. Die äußere Ausstattung <strong>der</strong> Schulen hat sich geän<strong>der</strong>t,<br />

Schulen s<strong>in</strong>d nicht mehr jene Kasernen <strong>und</strong> Lernfabriken, die die Pioniere <strong>der</strong><br />

Reformpädagogik bekämpft haben. Alle diese Verän<strong>der</strong>ungen stellen e<strong>in</strong>en großen<br />

pädagogischen Fortschritt dar. E<strong>in</strong> großer Anteil an diesem Fortschritt ist <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong><br />

zu verdanken, z. B. die k<strong>in</strong>dgerechte Ausstattung <strong>der</strong> Schule, das neue Verständnis<br />

des K<strong>in</strong>des ( <strong>Montessori</strong>s <strong>bei</strong> uns bekanntestes Buch trägt den bezeichnen-<br />

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den Titel „K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d an<strong>der</strong>s“), die größere Eigenständigkeit, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> heute haben.<br />

Die Erziehung <strong>in</strong> unseren Tagen ist aber nicht frei <strong>von</strong> Problemen <strong>und</strong> Nöten. Wie<br />

unter Punkt 3 beschrieben, stellt e<strong>in</strong>e verän<strong>der</strong>te K<strong>in</strong>dheit die Pädagogik vor neue<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen. Beispielsweise brechen durch die Massenmedien immer mehr<br />

<strong>und</strong> fremde Welten <strong>in</strong> den Lebensraum <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>und</strong> überschütten sie mit<br />

Erwachsenenproblemen wie Kriege o<strong>der</strong> Krim<strong>in</strong>alität. (vgl. Fuchs/Harth-Peter 1989,<br />

S.19) Dies hat zur Folge, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong>welt <strong>und</strong> Erwachsenenwelt <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verschwimmen.<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> hatte vor ca. 90 Jahren e<strong>in</strong> Verständnis <strong>der</strong> k<strong>in</strong>dlichen<br />

Eigenwelt gefor<strong>der</strong>t <strong>und</strong> damit <strong>der</strong> „Entdeckung <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit“ zum Durchbruch verholfen;<br />

diese droht wie<strong>der</strong> zu vers<strong>in</strong>ken, wenn man sieht, was K<strong>in</strong><strong>der</strong> heutzutage über<br />

Katastrophen, Krankheiten, Terroranschlägen etc. wissen. Auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite<br />

das frühe H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissenwerden <strong>in</strong> die harte Erwachsenenwelt, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

f<strong>in</strong>det man e<strong>in</strong>e immer aufwändigere Ausstattung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>welt mit Spielzeug <strong>und</strong><br />

Lernmaterialien vor. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> heutzutage bef<strong>in</strong>den sich nach Fuchs/Harth-Peter<br />

(1989, S.19 ) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ambivalenten Situation,<br />

“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie zwischen e<strong>in</strong>erseits immer größerer Freiheit <strong>und</strong> Freizügigkeit <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits<br />

ständig wachsen<strong>der</strong> Gängelung <strong>und</strong> Unterwerfung durch erwachse-<br />

nengesellschaftliche Kontroll<strong>in</strong>stanzen verunsichert werden.“<br />

Angesichts dessen lautet ihre entscheidende Frage (ebenda, S. 24) an den Pädagogen:<br />

“Welche Rolle spielt <strong>in</strong> dieser ambivalenten Situation die Pädagogik? Steht sie<br />

<strong>der</strong> Freiheit des K<strong>in</strong>des <strong>bei</strong>, o<strong>der</strong> betreibt sie e<strong>in</strong>e Unterwerfung? Soll Erziehung<br />

als e<strong>in</strong>e Art Konfektionsar<strong>bei</strong>t verstanden werden, die <strong>der</strong> Verfertigung <strong>von</strong> K<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong>n ( das heißt ihrer Herstellung <strong>und</strong> Abrichtung ) dient, o<strong>der</strong> heißt Erziehung<br />

Freisetzung des K<strong>in</strong>des zu se<strong>in</strong>er eigenen Selbstgestaltung?“<br />

In dieser Frage ist <strong>der</strong> klassische Gedanke <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>s verwurzelt - e<strong>in</strong> Beispiel<br />

für ihre zeitlose Aktualität. Er hat E<strong>in</strong>gang gef<strong>und</strong>en <strong>in</strong> das pädagogische Denken<br />

<strong>und</strong> es wird denkenden Erziehern <strong>und</strong> kritischen Lehrern <strong>in</strong> Zukunft nicht mehr<br />

möglich se<strong>in</strong>, K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu erziehen <strong>und</strong> über K<strong>in</strong><strong>der</strong>erziehung zu sprechen, ohne <strong>der</strong><br />

Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>s Rechnung zu tragen. ( vgl. Fuchs/Harth-Peter<br />

1989, S. 33)<br />

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7. Ergebnis <strong>und</strong> Schlußbemerkung<br />

Ziel <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t war es, <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>s Pädagogik <strong>und</strong> die Öffnung<br />

des Gr<strong>und</strong>schulunterrichts unter dem Aspekt <strong>der</strong> Freiheit zu beleuchten <strong>und</strong> <strong>in</strong> Zusammenhang<br />

zu setzen.<br />

Fazit ist, dass <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>s methodischer Aspekt, nämlich <strong>der</strong> <strong>der</strong> Freiar<strong>bei</strong>t,<br />

E<strong>in</strong>gang gef<strong>und</strong>en hat – auch rechtlich, wie <strong>in</strong> den geltenden Erlassen verschiedener<br />

B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> dokumentiert - <strong>bei</strong> den Bestrebungen <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong>, Unterricht zu<br />

öffnen. Ihre anthropologischen Gr<strong>und</strong>lagen, ihre Bauplantheorie spielen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Öffnung<br />

des Gr<strong>und</strong>schulunterrichts sicher e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle. Die Rezeption<br />

ihrer praktischen Methoden heute wird nicht geleitet durch ihr theoretisches Modell,<br />

son<strong>der</strong>n durch die Erfor<strong>der</strong>nisse <strong>der</strong> Praxis. Durch die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lebensverhältnisse<br />

<strong>und</strong> Verhaltensweisen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> sieht sich die Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong> vor große Probleme<br />

<strong>und</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen gestellt. Freiar<strong>bei</strong>t als Form geöffneten Unterrichts hat<br />

sich <strong>bei</strong>spielsweise als brauchbare Lösung für die Probleme <strong>der</strong> heutigen Gr<strong>und</strong><strong>schule</strong><br />

herauskristallisiert.<br />

E<strong>in</strong> unaufgeklärter Rekurs auf ihr Freiar<strong>bei</strong>tsmodell ist da<strong>bei</strong> nicht erfolgt, vielmehr<br />

wurden Korrekturen vorgenommen. Ihre Konzeption wurde mit den gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen konfrontiert <strong>und</strong> mit Blick auf die heutigen Bed<strong>in</strong>gungen z.B. neue<br />

Medien/Materialien ergänzt bzw. modifiziert. <strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong>s zugr<strong>und</strong>eliegende<br />

Anthropologie wurde da<strong>bei</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger „amputiert“.<br />

Aber es gibt auch Lehrer <strong>und</strong> Lehrer<strong>in</strong>nen, die ihr Pr<strong>in</strong>zip Freiheit <strong>in</strong> praktische<br />

Schular<strong>bei</strong>t umsetzen. Die Lehrer <strong>und</strong> Lehrer<strong>in</strong>nen, die Erziehung als Hilfe zur<br />

Menschwerdung sehen <strong>und</strong> als Ziel haben, jeden e<strong>in</strong>zelnen Schüler freizusetzen,<br />

damit er zu dem werden kann, was er <strong>von</strong> se<strong>in</strong>em Ursprung an als Möglichkeit immer<br />

schon ist.<br />

32


Literaturverzeichnis<br />

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Wallrabenste<strong>in</strong>, Wulf 1992: Offener Unterricht. Humane Schule. o. O.<br />

34


Erklärung<br />

Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Ar<strong>bei</strong>t selbständig <strong>und</strong> ohne Benutzung<br />

an<strong>der</strong>er als <strong>der</strong> angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen<br />

direkt o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt übernommenen Gedanken s<strong>in</strong>d als solche kenntlich gemacht. Die<br />

Ar<strong>bei</strong>t wurde bisher <strong>in</strong> gleicher o<strong>der</strong> ähnlicher Form ke<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Prüfungsbehörde<br />

vorgelegt <strong>und</strong> auch noch nicht veröffentlicht.<br />

Gilch<strong>in</strong>g, den 29.06.2003<br />

(Jutta Ha<strong>in</strong>z)

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