Juli - Seelsorgeeinheit Philipp Neri, Heidelberg
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Unsere Nachbarn, die Amis<br />
Wir Rohrbacher Kinder nutzten nach dem Krieg vorwiegend Höfe und Straßen<br />
als Spielpätze. Wir trafen uns täglich und spielten meist in Gruppen Ball oder<br />
Klickerles, Räuber und Gendarm oder Verstecken. Viel Spielzeug hatten wir<br />
nicht, die Puppen der Mädchen blieben im Haus. An den Lindenweg, wo ich<br />
wohnte, grenzten Felder mit Bäumen, von denen wir am Morgen kältestarre<br />
Maikäfer schüttelten, um sie dann in Schuhkartons zu sammeln, in die wir mit<br />
der Schere Löcher gepiekt hatten. Wir fütterten sie liebevoll mit Blättern und<br />
Gras und bestimmten ihr Geschlecht nach der Dichte ihrer Fühler, der Püschel.<br />
Meist verloren wir aber bald das Interesse und ließen sie fliegen, im Kindergarten<br />
und zu Hause waren sie nämlich unerwünscht.<br />
In dem Jahr, in dem ich zur Schule kam, änderte sich alles: „Unsere“ Spielfläche<br />
wurde abgesteckt, Bagger rollten an, Wohnblocks wurden schnell hochgezogen<br />
und uns wurde verboten, auf der riesigen Baustelle zu spielen.<br />
Da entstand ein neues Viertel, Klein-Amerika geheißen. Dass in unserer Stadt<br />
Amis wohnten, wusste jedes Kind. Sie lebten verstreut in einzelnen Villen und<br />
weckten unsere Neugier: Ihre Kinder sprachen so, dass wir sie nicht verstehen<br />
konnten, sie waren viel schöner angezogen, und sie hatten Dinge, die wir nicht<br />
hatten: Fahrräder in leuchtenden Farben mit dicken weißen Reifen; Kaugummi,<br />
das man zu großen Blasen aufblasen konnte, und die Mädchen trugen winters<br />
wie sommers weiße Söckchen. Wie ich sie darum beneidete! Wir mit unseren<br />
kratzigen Wollstrümpfen!<br />
Jetzt also würden die Villen der ganzen Stadt ihren Besitzern zurückgegeben<br />
werden und alle Amis in unsere Nachbarschaft ziehen. Es dauerte nicht lange,<br />
da waren die Häuser bezogen, dazwischen wurde Rasen gesät und es entstanden<br />
Spielplätze. Anfangs war es uns verboten, dort zu spielen, die Berührungsängste<br />
der Erwachsenen auf beiden Seiten waren wohl nicht unerheblich. Doch<br />
nach und nach „schlenderten“ wir wie zufällig vorbei, schaukelten mal mit und<br />
versuchten, über Schimpfwörter Kontakt aufzunehmen, die die „Amikinder“<br />
aber wohl nicht verstanden, denn sie ließen uns mitspielen. Obwohl es mir<br />
verboten war, ließ ich mich von einem Mädchen etwa meines Alters einmal mit<br />
in ihre Wohnung nehmen. Noch immer erinnere ich mich an den Geruch. Es<br />
muss an der parfümierten Wäsche gelegen haben, die uns damals fremd war –<br />
heute werben Waschmittel mit „Aprilduft“.<br />
Auch die Fenster mit den Fliegengittern davor oder die praktischen Einbauschränke<br />
sind mir in Erinnerung geblieben. Es ist bei diesem einen Besuch<br />
geblieben, den Gegenbesuch bei mir hat das Mädchen verlegen abgelehnt. Ich<br />
habe mich damals redlich bemüht, mit ihr englisch zu sprechen und mit Händen<br />
und Füßen muss es auch einigermaßen geklappt haben. Nie aber hat sie<br />
versucht, auch nur ein Wort Deutsch zu verstehen oder gar zu sprechen.<br />
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