wege zur - innenwelt magazin
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<strong>innenwelt</strong><br />
Neuauflage!<br />
Aktualisierte und ergänzte Ausgabe!<br />
Mehr Fakten – mehr Service.<br />
• Depression<br />
• Angststörung<br />
• Zwangsstörung<br />
• Suizid<br />
• Bipolare Störung<br />
• Schizophrenie<br />
• Demenz<br />
• Suchterkrankung<br />
• Alkoholismus<br />
• Schlafstörung<br />
• Burn-Out<br />
• Medikamentöse Therapie<br />
• Medizinische Psychotherapie<br />
<strong>wege</strong> <strong>zur</strong><br />
seelischen<br />
gesundheit
e d i t o r i a l<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber leser,<br />
seinem Ursprung nach hat das Wort „Seele“<br />
mit „See“ zu tun, es steht für die Tiefe des Menschen,<br />
für das Unergründliche, das Mysteriöse,<br />
für die innere Welt. Ein schönes Bild – wer die<br />
Seele ergründen will, darf keine Scheu davor<br />
haben, unter die oft spiegelglatte Oberfläche<br />
hinabzutauchen. Auch für die <strong>innenwelt</strong> steht<br />
die Seele im Mittelpunkt. Wenn man, um den<br />
Psychiater Erwin Ringel zu zitieren, von der<br />
„österreichischen Seele“<br />
spricht, dann scheint<br />
es um diese schlecht<br />
bestellt zu sein. Laut<br />
einer aktuellen Studie<br />
der Krankenkasse sind<br />
rund 900.000 Österreicher<br />
psychisch krank.<br />
Rund 32 Prozent der krankheitsbedingten<br />
Frühpensionierungen erfolgten 2009 aus<br />
psychischen Gründen. Die Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO betrachtet das Leiden, das<br />
jeden Zehnten irgendwann trifft, als die belastendste<br />
Krankheit, der ein Mensch ausgesetzt<br />
sein kann. Für viele Betroffene ist das mehr, als<br />
sie ertragen können. Rund 1.500 Österreicher<br />
jährlich sind so verzweifelt, dass ihnen der Tod<br />
als einziger Ausweg erscheint. Sie wählen den<br />
Suizid, um unter ihren Seelenschmerz einen<br />
Schlussstrich zu setzen. Gegenüber früher, wo<br />
über Seelenpein nur hinter der vorgehaltenen<br />
Hand gesprochen wurde, erhält das sensible<br />
Thema immer mehr Aufmerksamkeit. Das<br />
merken wir nicht zuletzt an der enormen<br />
Nachfrage. Die <strong>innenwelt</strong> spezial mit dem Titel<br />
„Wege <strong>zur</strong> seelischen Gesundheit“, welche<br />
2006 zum ersten Mal erschien, wurde mehrmals<br />
nachgedruckt und ist mittlerweile zum<br />
Klassiker avanciert. Wir sind besonders stolz<br />
darauf, dass diese Ausgabe vielfach als Unterrichtsmaterial<br />
in Schulen und Ausbildungseinrichtungen<br />
verwendet wird. Grund genug,<br />
dachten wir uns, diese <strong>innenwelt</strong> spezial zu<br />
überarbeiten und zu ergänzen. Das Ergebnis<br />
der redaktionellen „Frischzellenkur“ halten Sie<br />
nun in den Händen.<br />
Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback<br />
unter: redaktion@<strong>innenwelt</strong>.at.<br />
Gegen<br />
Helfen,<br />
s<br />
Eine gute Zeit wünschen Ihnen<br />
Katja Beran und Julie Hsiao<br />
Redaktion <strong>innenwelt</strong><br />
PS: Die <strong>innenwelt</strong> freut sich auch auf Besuch in<br />
ihrem e-Home unter: www.<strong>innenwelt</strong>.at und<br />
auf Facebook: www.facebook.com/<strong>innenwelt</strong><br />
www.<strong>innenwelt</strong>.at<br />
www.facebook.com/<strong>innenwelt</strong>
Rasanter Anstieg<br />
Grau in grau statt das „Bunt fürs Leben“ –<br />
die farbliche Tristesse passt auch zu den<br />
Gemütszuständen, die der Depression als<br />
typisch zugeschrieben werden. Einsamkeit,<br />
Hoffnungslosigkeit, innere Leere und Verzweiflung<br />
können Betroffene im Extremfall<br />
bis in den Selbstmord treiben. Psychische<br />
Krankheiten, zu denen auch die Depressidas<br />
Grau(en) der Seele<br />
Einer Studie zufolge sehen Menschen, die<br />
an Depressionen leiden, die Welt tatsächlich<br />
mit anderen Augen. Die Seelenschwärze<br />
scheint auf die Wahrnehmung abzufärben<br />
und alles in einen Grauschleier zu<br />
tauchen. Das besagt eine Studie, die von<br />
Wissenschaftlern aus den Bereichen Psychiatrie,<br />
Psychotherapie und Augenheilkunde<br />
am Universitätsklinikum Freiburg<br />
durchgeführt wurde. Bei einem Experiment<br />
mit 40 depressiven und 40 gesunden Testpersonen<br />
fanden die Forscher heraus, dass<br />
die Netzhaut depressiver Menschen deutlich<br />
schwächer auf Schwarzweißkontraste<br />
reagiert. Fazit: Die Umgebung erscheint<br />
grau, egal, ob Blumen, Straßen, Häuser<br />
oder andere Menschen.<br />
on zählt, sind generell eine Zeitbombe. Je<br />
mehr man sie ignoriert, verharmlost, unterschätzt<br />
oder in Schweigen hüllt, umso<br />
gefährlicher ist ihr tödliches Potenzial. In<br />
Europa ist Depression bereits tödlicher<br />
als Aids, Drogenmissbrauch und Verkehrsunfälle<br />
zusammen. Keine Volkskrankheit<br />
verursacht laut WHO einen so hohen<br />
Lleidensdruck und zudem ähnlich hohe<br />
Kkosten wie die Depression.<br />
Versorgung verbessern<br />
Was uns das angeht? Jede Menge. Denn<br />
die jüngst vom Hauptverband der österreichischen<br />
Sozialversicherungsträger<br />
veröffentlichten Zahlen zeigen einen dramatischen<br />
Anstieg an psychischen Erkrankungen.<br />
Rund 900.000 ÖsterreicherInnen<br />
sind <strong>wege</strong>n dieser Diagnose in Behandlung.<br />
Ein Umstand, der sich auch vermehrt<br />
in (kostenintensiven) Krankenständen<br />
und Frühpensionierungen manifestiert.<br />
Das heißt: Vielleicht ist man, mit Glück,<br />
nicht selbst betroffen. Aber bei der großen<br />
Anzahl an Patientinnen und Patienten<br />
stehen die Chancen gut, dass jemand im<br />
Bekannten- oder Freundeskreis an seelischer<br />
Schieflage laboriert. Gut gemeinte<br />
Ratschläge wie „Das wird schon wieder“<br />
oder „Reiß dich zusammen“ helfen da wenig.<br />
Eine psychische Erkrankung heilt nicht<br />
eben mal so von alleine – ebensowenig wie<br />
ein Diabetes oder ein erhöhter Blutdruck.<br />
Umso wichtiger ist es, dass betroffene<br />
Menschen so frühzeitig wie möglich professionelle<br />
Unterstützung erhalten. Dies,<br />
so die Botschaft der <strong>innenwelt</strong>, spart Leid<br />
und unnötige Kosten. Unser Anliegen ist<br />
es, mit Informationen wie dieser <strong>innenwelt</strong><br />
spezial Betroffene zu ermutigen, in<br />
einer schwierigen, düsteren Zeit Hilfe einzufordern.<br />
Weiteres Ziel muss es sein, die<br />
Versorgungslücken, die auch die ambulante<br />
und dezentrale psychiatrische Versorgung<br />
betrifft, zu verbessern. Gelingt es, diese<br />
Zugangshürden abzubauen, kann das verzögerte<br />
Diagnosen, überlange Wartezeiten<br />
auf Therapien und letztlich Chronifizierung<br />
von Erkrankungen verhindern. Barrieren,<br />
die in einer modernen Gesellschaft längst<br />
der Vergangenheit angehören müssten.<br />
Wer mehr über psychische Erkrankungen<br />
weiß, kann auch mehr be<strong>wege</strong>n – für sich<br />
und andere.<br />
p s y c h i a t r i s c h e v e r s o r g u n g<br />
statt alleine lassen!<br />
Die<br />
Jeder dritte Europäer hat ernste psychische<br />
Probleme – die ärztliche Versorgung<br />
lässt jedoch zu wünschen übrig!<br />
Fazit: Betroffene und deren Angehörige<br />
fühlen sich zunehmend alleine gelassen<br />
und gesellschaftlich diskriminiert.<br />
Experten schlagen Alarm: Etwa 38 Prozent<br />
der Europäer hatten im Jahr 2010<br />
eine psychische Störung. Ärztliche Hilfe<br />
erhielten nur die wenigsten. Als Gründe<br />
dafür werden in einer großen Studie die<br />
immer noch geringe Akzeptanz psychisch<br />
Kranker sowie eine uneinheitliche Versorgung<br />
genannt.<br />
Die Depression führt nicht nur einen<br />
Spitzenplatz bei den psychischen Erkrankungen<br />
an, sondern bei allen Krankheiten<br />
in Europa. Insgesamt sind psychische<br />
Störungen dem Ergebnis der Studie nach<br />
die Ursache für mehr als ein Viertel der<br />
krankheitsbedingten gesellschaftlichen<br />
Belastungen. Bei den Depressionen geht<br />
die WHO von einer deutlichen Zunahme<br />
der Erkrankungen aus. Die adäquate Betreuung<br />
und Versorgung der Betroffenen<br />
sowie eine breite Unterstützung der Angehörigen<br />
– die ja meist die finanzielle<br />
Hauptlast der Behandlung tragen – stellen<br />
große gesellschaftliche Herausforderungen<br />
dar.<br />
Quelle: Wittchen, H. U. et al.: The size and<br />
burden of mental disorders and other disorders<br />
of the brain in Europe 2010. European<br />
Neuropsychopharmakology 2011;<br />
21 (9): 655-79<br />
<strong>innenwelt</strong> fordert:<br />
• rasche und professionelle ärztliche<br />
Versorgung für psychisch Kranke<br />
muss sichergestellt<br />
werden.<br />
• Psychotherapie muss durch<br />
Unterstüt zung seitens der Krankenkasse<br />
leistbar gemacht werden.<br />
• Psychisch Kranke müssen sozial<br />
besser abgesichert werden.<br />
• Die ärztliche Versorgung muss im<br />
Einklang mit den Leitlinien stehen.<br />
Psychisch Kranke haben das<br />
Recht auf moderne Medikamente.<br />
Kostenersparnis darf nicht auf<br />
dem Rücken jener ausgetragen<br />
werden, die sich nicht wehren<br />
können.<br />
.
Depression –<br />
d e p r e s s i o n<br />
4 INNENWELT<br />
O. Univ. Prof.<br />
Dr.h.c.mult. Dr.med<br />
Siegfried Kasper<br />
Vorstand, Universitätsklinik für Psychiatrie und<br />
Psychotherapie, Medizinische Universität Wien<br />
Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien<br />
Tel.: +43.1.40400 3568<br />
E-Mail: biol-psychiatry@meduniwien.ac.at<br />
www.meduniwien.ac.at/psychiatrie<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was ist eine Depression?<br />
Der Begriff Depression ist so in unseren<br />
Sprachgebrauch übergegangen, dass wir<br />
ihn allzu beliebig verwenden. Als depressiv<br />
wird oft jemand bezeichnet, der an<br />
niedergedrückter Stimmung leidet. Der<br />
Übergang zwischen „normaler“ Niedergeschlagenheit,<br />
die jeder von Zeit zu Zeit<br />
hat, und einer echten Depression ist zwar<br />
fließend, tatsächlich handelt es sich aber<br />
bei der Depression um eine ernst zu nehmende<br />
Erkrankung, deren wichtigstes<br />
Merkmal die seelische Nieder ge schlagenheit<br />
ist. Es muss allerdings kein äußerer<br />
auslösender Grund für das Seelentief<br />
vorhanden sein – genau dieser Umstand<br />
macht es für das Umfeld des Betroffenen<br />
auch so schwer, dessen inneres Leiden<br />
nachvollziehen zu können. Fälschlicherweise<br />
wird Depression oft als Persönlichkeitszug<br />
gesehen, den Betroffene eben<br />
hinnehmen müssen. Zum Glück sind wir<br />
jedoch heute in der Lage, Depressionen<br />
sehr gut behandeln zu können.<br />
Was sind die Ursachen<br />
für eine Depression?<br />
„Alle Abenteuer sind im Kopf“ heißt es. Im<br />
Kopf – genauer gesagt, im Gehirn – ist aber<br />
auch der Ursprung der Depression zu finden.<br />
Depressive Menschen haben einen gestörten<br />
Gehirnstoffwechsel. Die Spiegel der<br />
Überträgersubstanzen (Neurotransmitter)<br />
Serotonin und Nora d renalin sind im Vergleich<br />
zu Gesunden niedriger. Depression resultiert<br />
somit aus der fehlenden Balance im<br />
biochemischen Gleichgewicht. Das Nervensystem<br />
ist „aus dem Lot“ und dieser Mangel<br />
an Gehirnbotenstoffen macht sich durch<br />
seelische Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit<br />
und Leistungsdefizite bemerkbar.<br />
Wichtig zu wissen: Depression ist keineswegs<br />
die Folge falschen Denkens, Verhaltens<br />
oder Fühlens. Man nimmt an, dass die<br />
Neigung <strong>zur</strong> Depression zum Teil vererbbar<br />
ist. Hat man bereits einmal eine Depression<br />
durchlebt, so besteht ein erhöhtes Risiko,<br />
dass die Krankheit erneut auftritt.<br />
Wie viele Menschen leiden<br />
an dieser Krankheit?<br />
In Zukunft wird Depression möglicherweise<br />
die am häufigsten gestellte Diagnose sein.<br />
Weltweit sind depressive Erkrankungen<br />
schon jetzt die häufigste Ursache für Erwerbsunfähigkeit.<br />
In Österreich leiden rund<br />
400.000 Personen unter depressionen.<br />
250.000 befinden sich in hausärztlicher<br />
Behandlung, bei etwa 130.000 wurden<br />
Depressionen tatsächlich diagnostiziert,<br />
optimal behandelt werden hingegen nur<br />
maximal 36.000 Betroffene.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man<br />
als Betroffener,<br />
dass man möglicherweise an<br />
einer Depression leidet?<br />
Grundbeschwerden der Depression sind<br />
niedergeschlagene Stimmung, negative,<br />
verlangsamte Gedankengänge und<br />
Kon zen tra tions störungen. Leichte bis<br />
mittelschwere Depressionen können<br />
Traurigkeit und das ständige Bedürfnis<br />
zu weinen hervorrufen. Ein schwer depressiver<br />
Mensch erlebt hingegen oft<br />
das Gefühl der inneren Ver steinerung,<br />
alles scheint gleichgültig, auch die Teilnahme<br />
am Leben anderer fehlt völlig.<br />
Hinzu kommen Antriebsstörungen, der<br />
Betroffene kann sich nur schwer zu normalen,<br />
gewohnten Aktivitäten aufraffen.<br />
In ein Geschäft einkaufen zu gehen kann<br />
bereits eine enorme Kraftanstrengung<br />
darstellen.<br />
Nicht immer sind alle Anzeichen der Depression<br />
vorhanden, gelegentlich können<br />
zunächst auch körperliche Beschwerden<br />
im Vordergrund stehen. Betroffene verlieren<br />
an Gewicht, leiden an Schlaflosigkeit,<br />
klagen über Rückenschmerzen oder Herzprobleme.<br />
Depressionen werden oftmals<br />
nicht als Erkrankung erkannt, weil diese<br />
Symptome falsch interpretiert werden.<br />
Woran erkennt ein Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender<br />
Mensch vielleicht an<br />
Depressionen erkrankt ist?<br />
Der Partner, Freund oder Angehörige<br />
erlebt den depressiven Menschen plötzlich<br />
als völlig andere Persönlichkeit.<br />
Der Mensch, mit dem man den Alltag<br />
teilt, zieht sich mit einem Mal <strong>zur</strong>ück,<br />
hat keine Energie mehr, ist gedrückter<br />
Stimmung oder vielleicht auch gereizt<br />
und lieblos. Viele Betroffene, vor allem<br />
Frauen, weinen sehr oft. Männer hinge-
traurige Volkskrankheit<br />
gen verschweigen ihre Traurigkeit eher,<br />
hier stehen körperliche Symptome im<br />
Vordergrund. Ein wichtiges Anzeichen<br />
ist die gestörte Nachtruhe – depressive<br />
Menschen liegen häufig nachts wach,<br />
grübeln, die Gedanken drehen sich im<br />
Kreis. Mag sein, dass sich der Betroffene<br />
seinen Angehörigen überhaupt nicht<br />
mitteilt oder diese – im Gegenteil – mit<br />
Vorwürfen und Anklagen konfrontiert.<br />
Am Arbeitsplatz macht der Betroffene<br />
viele Pausen und ist auffallend häufig<br />
krank. Depressive Menschen fühlen sich<br />
im Job rasch persönlich angegriffen oder<br />
gemobbt. Für Außenstehende können<br />
Menschen mit Depressionen generell<br />
sehr anstrengend sein, da sich deren Welt<br />
nur um ihre eigene Befindlichkeit dreht.<br />
Welche Möglichkeiten<br />
hat der Arzt, Depressionen<br />
zu diagnostizieren?<br />
Der Facharzt stellt die Diagnose durch<br />
ein ausführliches Gespräch, die sogenannte<br />
Anamnese. Noch vor wenigen<br />
Jahren wurden Depressionen nach möglichen<br />
Ursachen eingeteilt. Diese Klassifikation<br />
wird heute aufgrund neuerer<br />
Erkenntnisse nicht mehr vorgenommen.<br />
Heute werden Depressionen nur noch<br />
nach dem Schweregrad unterteilt. Wichtig<br />
für die Diagnose ist, dass die Symptome<br />
mindes tens für einige Wochen<br />
wahrnehmbar sind und den Betroffenen<br />
in seinem persönlichen oder beruflichen<br />
Umfeld beeinträchtigen. In einigen Fällen<br />
werden Blutproben untersucht und<br />
computertomografische (CT-)Untersuchungen<br />
veranlasst, um andere Ursachen<br />
für die depressiven Symptome auszuschließen,<br />
wie z. B. zu niedriger Blutzucker,<br />
Mangel an Vitamin B12, Demenz<br />
oder hormonelle Störungen.<br />
In welchem Zusammenhang<br />
stehen Depressionen<br />
mit anderen (psychischen)<br />
Erkrankungen?<br />
Depressionen können auch in Zusa m-<br />
menhang mit ängstlicher Anspannung<br />
und Unruhe stehen. Fast die Hälfte aller<br />
depressiven Patienten zeigten Angstsymptome,<br />
die innere Spannung kann sich<br />
in Panikattacken äußern. Auch anhaltende<br />
körperliche Symptome, die nicht auf eine<br />
Behandlung ansprechen, wie beispielsweise<br />
Kopf schmerzen, Verdauungsstörungen<br />
und chronische Schmerzen, stehen oft in<br />
Zu sammen hang mit Depression. Depression<br />
wiederum erhöht das Risiko einer körperlichen<br />
Erkrankung.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie werden<br />
Depressionen behandelt?<br />
In der Therapie der Depression steht<br />
ein breites Spektrum an Medikamenten<br />
und Psychotherapien <strong>zur</strong> Verfügung. Die<br />
neueren Antidepressiva, die sogenannten<br />
SSRI (Selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren),<br />
werden heute in der Therapie<br />
bevorzugt eingesetzt und wirken sehr<br />
gut. Der bei Depressionen im Gehirn stark<br />
verminderte Nervenbotenstoff Serotonin<br />
wird durch die Medikamente wieder auf<br />
ein normales Niveau gebracht. Die Kombination<br />
der medikamentösen Behandlung<br />
mit Antidepressiva und Psychotherapie<br />
hat sich als besonders wirksam<br />
erwiesen.<br />
Was kann man als Betroffener<br />
selbst gegen diese Krankheit tun?<br />
Leidet ein Mensch an Bluthochdruck oder<br />
bricht er sich die Hand, steht eine medizinische<br />
Behandlung außer Frage. Bei der Depression<br />
haben wir leider noch mit vielen<br />
gesellschaftlichen Vorurteilen zu kämpfen,<br />
die bei den Betroffenen zu dem Glauben<br />
führen können, den Weg aus dem Seelentief<br />
alleine finden zu müssen. Mein Appell:<br />
Depressionen lassen sich heilen! Warten<br />
Sie nicht ab, bis der Leidensdruck zu groß<br />
wird, sondern suchen Sie schon bei den<br />
ersten Anzeichen der Krankheit professionelle<br />
Hilfe.<br />
Wie können Angehörige einem<br />
depressiven Menschen helfen?<br />
Kommentare wie „Reiß dich zusammen“<br />
oder „Es wird schon wieder“ sind völlig<br />
fehl am Platz, da Depressionen nicht mit<br />
ein bisschen Willensanstrengung zu bewältigen<br />
sind. Lange Gespräche mit dem<br />
Betroffenen über Probleme, Denk- und<br />
Verhaltensweisen sind für gewöhnlich<br />
ebenso wenig sinnvoll. Besser ist es, den<br />
Blick nach vorne zu richten. Erster Schritt<br />
ist, dem Betroffenen klarzumachen, dass<br />
es sich bei Depression um eine Stoffwechselerkrankung<br />
handelt, die behandelt<br />
werden kann. Der nächste Schritt<br />
besteht dann darin, einen Arzt aufzusuchen<br />
und sich helfen zu lassen.<br />
Welche Folgen kann eine<br />
unbehandelte Depression haben?<br />
Sicher ist, dass die Nichtbehandlung von<br />
Depressionen zu einem drei- bis vierfach<br />
höheren Suizidrisiko führt. Die Depression<br />
ist eine lebensgefährliche Erkrankung und<br />
stellt die Hauptursache für Suizide dar:<br />
10–15 Prozent der Betroffenen nehmen<br />
sich das Leben. Im Vergleich zu anderen Todesursachen<br />
versterben Menschen global<br />
gesehen etwa dreimal so häufig an einem<br />
Suizid wie an AIDS und etwa achtmal so<br />
häufig wie an Malaria. Suizide sind in Österreich<br />
doppelt so häufig wie Todesfälle<br />
durch einen Verkehrsunfall.<br />
FAct-Box<br />
Depression ist eine Er krankung, die<br />
mit seelischer Niedergeschlagenheit<br />
sowie körperlichen und psychischen<br />
Störungen einhergeht.<br />
Merkmale einer Depression:<br />
• Antriebslosigkeit<br />
• Innere Unruhe und<br />
Schlafstörungen<br />
• Fehlende Lebensfreude<br />
• Innere Leere und Traurigkeit<br />
• Vermindertes Selbstwertgefühl<br />
• Schwindendes Interesse<br />
• Konzentrationsschwäche<br />
• Unentschlossenheit<br />
• Schuldgefühle, Selbstanklagen<br />
• Suizidgedanken<br />
Mit modernen Antidepressiva sind Depressionen<br />
sehr gut behandelbar.<br />
5
d e p r e s s i o n<br />
Kindheit – gar<br />
6 INNENWELT<br />
Dr. med. Christian<br />
Kienbacher<br />
Medizinische Universität Wien<br />
Universitätsklinik für<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien<br />
Tel.: +43.1.40400 3012<br />
E-Mail: christian.kienbacher@meduniwien.ac.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
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Was ist Depression im<br />
Kindes- und Jugendalter?<br />
Wir verstehen darunter ein ähnliches<br />
Krankheitsbild, wie es auch im Erwachsenenalter<br />
auftritt. Depressionen zählen<br />
zu den Störungen, deren Zahl bei Kindern<br />
und Jugendlichen in industrialisierten Ländern<br />
massiv zunehmen. Allerdings äußert<br />
sich Depression bei den 0- bis 18-Jährigen<br />
meist anders als bei „den Großen.“ Daher<br />
fällt die Diagnose auch schwerer.<br />
Warum war das Thema<br />
lange Zeit tabuisiert?<br />
Zunächst ist Depression generell ein Thema,<br />
das mit Mythen und Vorurteilen belegt<br />
ist. Hinzu kommt, dass Depression in dieser<br />
jungen Altersgruppe an unserem Bild<br />
der „glücklichen, unbeschwerten Kindheit“<br />
rüttelt. Leider aber wird die Tatsache, dass<br />
auch Menschen im Alter von 0 bis 18 erhebliche<br />
seelische Probleme haben können,<br />
immer mehr zum gesellschaftlich relevanten<br />
Thema und <strong>zur</strong> Herausforderung für<br />
die psychosoziale Versorgung in Österreich.<br />
Wie häufig ist Depression<br />
im Kindes- und Jugendalter?<br />
Im Vergleich <strong>zur</strong> Allgemeinbevölkerung<br />
sind Kinder und Jugendliche seltener betroffen.<br />
Doch es gibt eine Entwicklung mit<br />
zunehmendem Alter: Unter den Kindern<br />
leiden knapp 3 Prozent an Depressionen,<br />
unter den Jugendlichen sind es 0,4 bis 6,4<br />
Prozent. Mit dem Ende des Kindesalters<br />
zeigt sich, dass mehr Mädchen bzw. junge<br />
Frauen zu den Betroffenen zählen.<br />
Was sind die Ursachen für Depression<br />
im Kindes- und Jugendalter?<br />
Zum einen können sich Depressionen als<br />
Reaktion auf belastende Lebensumstände<br />
entwickeln. Belastungen wie etwa schulische<br />
Probleme, Scheidung der Eltern,<br />
Verlust von Haustieren und Freunden oder<br />
Mobbing. Besonders problematisch sind<br />
naturgemäß Dauerbelastungen, die häufig<br />
in Form familiärer Krisen auftreten. Dazu<br />
zählen etwa ständiger Streit, Vernachlässigung,<br />
Missbrauch, Geldmangel oder eine<br />
psychische Erkrankung der Eltern. Zurzeit<br />
wird viel darüber diskutiert, ob psychische<br />
Störungen eher umweltbedingt sind oder<br />
genetische Auslöser haben. Aber wie auch<br />
immer – noch wichtiger als die Ursachenforschung<br />
ist die möglichst frühzeitige und<br />
professionelle Behandlung.<br />
Kann Depression im Kindes- und<br />
Jugendalter zu Suizid führen?<br />
Depressive Schulkinder formulieren zunächst<br />
einmal verbal ihre Traurigkeit und<br />
können auch schon suizidale Gedanken<br />
äußern. Kinder unter 10 Jahren entwickeln<br />
zwar suizidale Gedanken, setzen diese aber<br />
nur sehr selten in die Tat um. Im Jugendalter<br />
kommt es jedoch dann zu einem<br />
drastischen Anstieg von Suizidversuchen<br />
und Suiziden. Suizidversuche treten am<br />
häufigsten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />
auf und sind zudem bei Frauen<br />
zwei- bis dreimal häufiger.<br />
Wie sollte man auf<br />
Suizid-Ankündigungen<br />
eines Kindes oder<br />
Jugendlichen reagieren?<br />
Bei Suizidgedanken – etwa wenn Kinder/<br />
Jugendliche laut äußern, wie sie „es“ tun<br />
würden – ist rasches Handeln gefordert.<br />
Immerhin begeht in Österreich pro Woche<br />
ein Mensch unter 18 Jahren Suizid.<br />
Wichtig: Sofort ansprechen! Dem Betroffenen<br />
aktiv zuzuhören bedeutet, ihm die<br />
Möglichkeit zu geben, seinen seelischen<br />
Ballast loszuwerden.<br />
Wie wichtig ist die<br />
Vernetzung mit Experten?<br />
Sehr wichtig. Zunächst geht es, wie erwähnt,<br />
darum, das Thema anzusprechen.<br />
Der nächste Schritt ist dann, Fachleute<br />
wie z. B. Schulärzte und Schulpsychologen<br />
einzubinden. Aus einer Studie geht hervor,<br />
dass Jugendliche nicht anonym beraten<br />
werden wollen. Sie wollen sich jemandem<br />
„face to face“ anvertrauen, erwarten sich<br />
dann aber auch entsprechende Hilfe.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Woran erkenne ich als Jugendlicher,<br />
dass ich an einer Depression leide?<br />
Depression ist gekennzeichnet durch eine<br />
Traurigkeit, die nicht erlebnis- oder ereignisgesteuert<br />
ist. Zum anhaltenden Stimmungstief<br />
kommt auch eine Antriebsminderung<br />
dazu. Wenn man am Morgen am liebsten<br />
gar nicht aufstehen würde, sich durch den
nicht kinderleicht<br />
Tag schleppt und nicht weiß, welchen Sinn<br />
das Leben eigentlich hat – dann sollte man<br />
sich Hilfe holen. Typisch sind Gedanken,<br />
die sich immer ums selbe Thema drehen –<br />
„Wozu das Ganze?“ Zusätzlich können auch<br />
sogenannte vegetative Erscheinungen wie<br />
Mundtrockenheit, eine Enge in der Brust<br />
oder starke Verstopfung hinzukommen.<br />
Fühlt sich die Seele unwohl, dann leidet<br />
auch der Körper. Ganz wichtig ist es, diese<br />
Symptome ernst zu nehmen und sich an<br />
eine Vertrauensperson zu wenden.<br />
Woran erkenne ich als Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender junger Mensch<br />
an Depressionen leidet?<br />
Im Gegensatz zu einer Erkrankung im<br />
Erwachsenenalter äußern sich Depressionen<br />
in jungen Jahren ganz anders. Bei<br />
noch sehr jungen Kindern zeigen sich<br />
seelische Qualen psychosomatisch. Die<br />
kleinen Patienten leiden dann an Erbrechen,<br />
Übelkeit, Bauchschmerzen und<br />
Kopfschmerzen. Stehen im Kleinkindalter<br />
(bis drei Jahre) Apathie und Spielunlust im<br />
Vordergrund, sind es im Vorschulalter vor<br />
allem Stimmungslabilitäten, mangelnde<br />
Fähigkeit, sich zu freuen und eventuell<br />
auch aggressives Verhalten. In Pubertät<br />
und im Jugendalter zeigen sich Depressionen<br />
durch ein vermindertes Selbstwertgefühl,<br />
Ängste, Konzentrationsmangel und<br />
auch in Form von starken Schwankungen<br />
der Gemütslage über den Tag hinweg<br />
(völlig down in der Früh, aktiv erst ab dem<br />
frühen Abend).<br />
Warum wird Depression im<br />
Kindes- und Jugendalter<br />
oft nicht erkannt?<br />
Depressionen im Kindes- und Jugendalter<br />
sind seltener als bei Erwachsenen,<br />
verlaufen dafür aber meist atypisch, was<br />
die Symptome betrifft. Daher fällt die Diagnose<br />
auch schwerer. Jugendliche maskieren<br />
die Depression zudem meist mit<br />
aggressivem Verhalten, welches als typisches<br />
Anzeichen der Pubertät verkannt<br />
wird. Die Grenzen zwischen normaler<br />
Entwicklung und einem krankhaften Stimmungstief<br />
sind oft fließend.<br />
Was sind die Risikofaktoren für<br />
Depression im Kindes- und Jugendalter?<br />
Besonders gefährdet sind Kinder aus<br />
Familien mit vorhandenen Depressionserkrankungen<br />
bei erwachsenen Angehörigen<br />
– das deshalb, weil ein genetischer<br />
Aspekt bei der Erkrankung an Depressionen<br />
vermutet wird. Erleiden diese Kinder<br />
zusätzlich besonderen Stress wie Verlust<br />
eines Elternteils, schwere Erkrankung,<br />
Scheidung der Eltern, Lernschwierigkeiten<br />
oder ein Trauma wie sexuellen Missbrauch<br />
oder körperliche Misshandlung, dann erhöht<br />
sich die Gefahr einer tatsächlichen<br />
Depressionserkrankung.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie werden Depressionen bei<br />
Kindern und Jugendlichen behandelt?<br />
Die psychotherapeutische Intervention ist<br />
bei Kindern und Jugendlichen das Mittel<br />
der ersten Wahl. Handelt es sich allerdings<br />
um eine schwere Form der Depression,<br />
sollten auch Antidepressiva verabreicht<br />
werden. Dazu gibt es bislang aber nur<br />
wenige klinische Studien. Mit der medikamentösen<br />
Behandlung muss man langsam<br />
beginnen und engmaschig kontrollieren.<br />
Leider fehlt es in Österreich auch hierzu<br />
an Strukturen, um diese Versorgung<br />
sicherzustellen.<br />
In welchen Fällen ist eine stationäre<br />
Aufnahme <strong>zur</strong> Behandlung nötig?<br />
Leichte und mittelschwere Depressionen<br />
im Kindes- und Jugendalter können zumeist<br />
ambulant behandelt werden, in<br />
schweren Fällen sollte eine stationäre<br />
Aufnahme erfolgen. Hier gibt es in Österreich<br />
jedoch ein Problem: Die Kinderund<br />
Jugendpsychiatrie hat nicht genügend<br />
stationäre Betten. Fazit: Kinder<br />
und Jugendliche werden regelmäßig auf<br />
Stationen der Erwachsenen-Psychiatrie<br />
aufgenommen. Aufgrund dieser Situation<br />
ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
vom Gesundheitsministerium sogar zum<br />
„Mangelfach“ erklärt worden. Ziel ist es,<br />
in den kommenden Jahren die Ausbildung<br />
von zusätzlichen Fachärzten zu forcieren,<br />
um die Versorgung sicherzustellen.<br />
Was, wenn Depression bei Kindern<br />
und Jugendlichen unbehandelt bleibt?<br />
Bleiben Depressionen unbehandelt, können<br />
sie chronisch werden oder im Erwachsenenalter<br />
wiederkommen. Vor allem: Unbehandelt<br />
geht die Depression mit einem<br />
beträchtlichen Suizidrisiko einher.<br />
Was macht die Kinderund<br />
Jugendpsychiatrie?<br />
In Österreich ist diese seit 25 Jahren als<br />
Zusatzfach (für Neurologen, Psychiater<br />
und Pädiater) anerkannt und seit 2007<br />
ein eigenes ärztliches Sonderfach. Unser<br />
Fach erfordert große Liebe zu Kindern<br />
und Jugendlichen, andererseits umfangreiches<br />
Wissen aus verschiedenen Wissenschaften,<br />
nämlich der Medizin, der Psychologie<br />
und der Pädagogik. Weil wir bei<br />
unserer Arbeit die Erkenntnisse, Methoden<br />
und Erfahrungen verschiedener Wissenschaften<br />
nützen und weil wir gleichzeitig<br />
sehr eng mit Eltern, Erziehern und medizinischen<br />
Berufen zusammenarbeiten,<br />
können wir den Prozess der Entwicklung,<br />
aber auch der Irritation erkennen und<br />
die geeigneten Behandlungs<strong>wege</strong>, Förderungen<br />
und Therapien aufzeigen.<br />
FAct-Box<br />
Suizidprävention ist wichtig!<br />
Suizid ist bei Jugendlichen in Österreich<br />
nach Unfällen bereits die zweithäufigste<br />
Todesursache. Nur eine flächendeckende,<br />
qualitativ hochwertige kinderund<br />
jugendpsychiatrische Versorgung<br />
kann <strong>zur</strong> wirkungsvollen Suizidprävention<br />
beitragen. Dafür aber braucht es<br />
in Österreich mehr Ausbildungsplätze<br />
und mehr Behandlungseinrichtungen.<br />
Vorrangiges Ziel der Österreichischen<br />
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
ist es, die Versorgung zu<br />
verbessern.<br />
Informationen unter: www.oegkjp.at<br />
7
d e p r e s s i o n<br />
Depression im Alter: Eis<br />
Univ.-Prof.<br />
DDr. Peter Fischer<br />
SMZ-Ost – Donauspital<br />
Psychiatrische Abteilung<br />
Langobardenstraße 122, 1220 Wien<br />
Tel.: +43.1.28802 3000<br />
E-Mail: p.fischer@wienkav.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was versteht man unter<br />
Depression im Alter?<br />
Generell sind die Symptome bei einer Depression<br />
altersunabhängig. Der Mensch leidet<br />
an Antriebslosigkeit und ist freudlos, er<br />
hat Schwierigkeiten durchzuschlafen und<br />
keinen Appetit, seine Tagesrhythmik ist gestört<br />
und er leidet an innerer Unruhe, sein<br />
Suizidrisiko ist erhöht und er wertet sich<br />
selbst ab.<br />
Wie viele Menschen sind<br />
in Österreich betroffen?<br />
Man schätzt, dass von den 65- bis 70-Jährigen<br />
etwa 10 Prozent betroffen sind, von<br />
den 75-Jährigen etwa 16 Prozent und von<br />
den 85-Jährigen sogar 25–30 Prozent.<br />
Wie hoch ist das Risiko,<br />
an Depression im Alter<br />
zu erkranken?<br />
Bei 80-jährigen Frauen beträgt es etwa 40<br />
Prozent, bei 80-jährigen Männern 20–25<br />
Prozent. Wer bereits in jüngeren Jahren Depressionen<br />
hatte, weist ein höheres Risiko<br />
auf, wieder daran zu erkranken. Auch wenn<br />
eine Depression im Alter zu kurz oder un<strong>zur</strong>eichend<br />
behandelt wird, steigt das Risiko,<br />
dass sie wiederkehrt.<br />
Was ist der Unterschied<br />
zu einer Depression bei<br />
jungen Menschen?<br />
Im Allgemeinen sind die Symptome die<br />
gleichen, dennoch gibt es ein paar Unterschiede.<br />
Ein typisches Symptom ist „innere<br />
Unruhe“. Während ein junger Mensch<br />
sich innerlich unruhig fühlt, nach außen<br />
hin aber lethargisch wirkt, trägt der alte<br />
Mensch seine innere Unruhe auch nach<br />
außen und wirkt auf sein Umfeld umtriebig.<br />
Dennoch ist er dabei antriebslos,<br />
was nicht verwechselt werden sollte. Auch<br />
klagen alte Menschen seltener über sexuelle<br />
Probleme, wobei sich allerdings<br />
die Frage stellt, ob sich der (meist) jüngere<br />
Arzt traut, einen Patienten im Alter<br />
seiner Eltern nach sexuellen Problemen<br />
zu fragen, oder ob ein(e) PatientIn ihm<br />
gegenüber sexuelle Probleme überhaupt<br />
zugibt. Ältere Patienten mit Depressionen<br />
klagen ebenfalls häufiger über körperliche<br />
Beschwerden als junge Patienten. Wobei<br />
wiederum das Risiko besteht, dass der behandelnde<br />
Arzt sich mehr auf die körperlichen<br />
Krankheiten konzentriert statt auf<br />
die Depression, die dahinter liegt.<br />
Was ist die Ursache für<br />
Depressionen im Alter?<br />
In vielen Fällen sind sogenannte „life<br />
events“, d. h. einschneidende Erlebnisse,<br />
der Auslöser für Depressionen. In der VITA-<br />
Studie, bei der in Wien sieben Jahre lang<br />
Menschen ab 75 Jahren begleitet wurden,<br />
zeigte sich, dass ein hoch signifikanter Zusammenhang<br />
besteht zwischen Ereignissen,<br />
die Kinder oder Enkel betreffen, und<br />
der Entstehung von Depressionen.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
An welchen Anzeichen<br />
erkenne ich als Betroffener,<br />
möglicherweise an einer<br />
Depression im Alter zu leiden?<br />
Ein signifikantes Anzeichen ist das Auftreten<br />
von Interesselosigkeit. Wenn jemand,<br />
der sich sein Leben lang für bestimmte<br />
Dinge wie etwa Sportübertragungen interessiert<br />
hat, plötzlich kein Interesse<br />
und keine Freude mehr daran hat. Auch<br />
körperliche Symptome wie Appetitverlust<br />
oder Durchschlafstörungen können auf<br />
eine Depression hinweisen.<br />
Welche Probleme<br />
stellen sich bei der Diagnose<br />
von Depressionen im Alter?<br />
Das Problem besteht darin, dass alte Menschen<br />
häufig an Krankheiten leiden, deren<br />
Symptome aber zugleich die Symptome von<br />
Depressionen sein können. So können Kopfschmerzen<br />
oder Übelkeit bei Frauen über 40<br />
auch Ausdruck einer Depression sein. Auch<br />
Kreislauflabilität, d. h. ein morgendlicher<br />
Kollaps oder niedriger Blutdruck am Morgen,<br />
kann ein Zeichen für Depression sein. Ebenso<br />
äußern sich Depressionen über gastrointestinale<br />
Beschwerden wie Durchfall oder<br />
Verstopfung – die häufig als typische Alterskrankheiten<br />
diagnostiziert und nicht als Ausdruck<br />
von Depressionen gesehen werden.<br />
Wie ist der Zusammenhang<br />
von Depression im Alter und Demenz?<br />
Da gibt es sehr komplexe Zusammenhänge,<br />
viele Demenzen beginnen mit Symptomen<br />
einer Depression wie Interesselosigkeit<br />
8 INNENWELT
zeit im Herbst des Lebens<br />
Warum ist das Einhalten der<br />
Kontrolltermine beim Arzt wesentlich<br />
für eine wirksame Therapie?<br />
Im Allgemeinen erfolgt ein erster Kontrolltermin<br />
bei einer medikamentösen Therapie<br />
nach drei Wochen, um zu schauen,<br />
ob die Dosis stimmt oder erhöht werden<br />
muss. Dann erfolgen Kontrollen in regelmäßigen<br />
Abständen und nach Abschluss<br />
der Therapie etwa zwei- bis dreimal pro<br />
Jahr. Stimmt die Compliance des Patienten<br />
– d. h. seine aktive Mitarbeit – ist auch<br />
der Therapieerfolg gegeben.<br />
oder innere Unruhe. Auch wirken schwere<br />
Depressionen wie eine Demenz: So hat jemand,<br />
der schwer depressiv ist, auch eine<br />
herabgesetzte Gedächtnisleistung. Und<br />
Menschen, die in ihrem Leben mehrere Depressionen<br />
hatten, haben ein erhöhtes Risiko<br />
an Demenz zu erkranken. Um Demenz<br />
vorzubeugen, ist es daher umso wichtiger,<br />
Depressionen präventiv zu behandeln.<br />
Besteht auch bei Depression<br />
im Alter Suizidgefahr?<br />
Die Suizidgefahr ist absolut gegeben und<br />
man weiß mittlerweile, dass mindestens<br />
60–70 Prozent aller Selbstmorde Folge<br />
von Depressionen sind. Das Risiko für<br />
einen Selbstmord steigt mit zunehmendem<br />
Alter – vor allem bei Männern.<br />
Muss man das Auftreten<br />
einer Depression in späteren<br />
Lebensjahren schicksalhaft<br />
hinnehmen?<br />
Keinesfalls! Depressionen sind auch im<br />
Alter gut therapierbar. Ebenso gibt es zahlreiche<br />
Menschen, die auch im hohen Alter<br />
eine optimistische und lebensbejahende<br />
Grundeinstellung besitzen.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Kann Depression im Alter<br />
wirksam behandelt werden?<br />
Ja. Zwei Drittel der Depressionen im Alter<br />
sind gut behandelbar. Unerlässlich ist<br />
es daher, sich beim Auftreten der ersten<br />
Anzeichen an den Arzt zu wenden. In den<br />
meisten Fällen besteht die Behandlung aus<br />
einer Kombination von Psychotherapie<br />
(z. B. Gesprächstherapie) und medikamentöser<br />
Therapie mit Psychopharmaka, welche<br />
– aus Rücksicht auf den älteren Organismus<br />
– sehr behutsam eingesetzt und<br />
einschleichend dosiert werden, d. h. die<br />
Dosis wird langsam gesteigert. Sinn einer<br />
Psychotherapie ist es, den auslösenden<br />
Faktor für die Depression zu bearbeiten.<br />
Es gibt übrigens PsychotherapeutInnen,<br />
die auf das Klientel der Älteren spezialisiert<br />
sind und neben der entsprechenden<br />
Erfahrung mit geriatrischen Themen auch<br />
die nötige persönliche Reife besitzen, die<br />
es braucht, damit ältere Menschen sich<br />
ihnen anvertrauen können.<br />
Gibt es Möglichkeiten,<br />
die Erkrankung zu verhindern oder<br />
ihr Fortschreiten zu stoppen?<br />
Als sehr wirkungsvolles Instrument <strong>zur</strong><br />
Vorbeugung von Depression im Alter haben<br />
sich Sozialkontakte erwiesen. Und<br />
zwar zu nicht-verwandten Personen,<br />
sprich: zu Freunden – egal, ob Menschen,<br />
die man von klein auf kennt oder solche,<br />
die man erst im Alter kennengelernt hat.<br />
Denn mit diesen kann man meist ehrlicher<br />
und offener reden als mit den eigenen<br />
Kindern oder Enkeln.<br />
Welche Möglichkeiten<br />
der Therapie bei Depression im Alter<br />
gibt es sonst noch?<br />
Komplementäre Methoden sollten ergänzend<br />
eingesetzt werden, um eine Depression<br />
erfolgreich zu behandeln. Konkret<br />
heißt das, die Angehörigen einzubinden<br />
und generell zu schauen, wie das soziale<br />
Umfeld des Betroffenen beschaffen ist.<br />
Mit dem Ziel, diesen wieder in ein Netz<br />
sozialer Strukturen zu integrieren.<br />
Welche Folgen kann eine unbehandelte<br />
Depression im Alter haben?<br />
Die Folgen können sehr zahlreich sein<br />
und von Anfälligkeit für Krankheiten<br />
über Schwächung des Immunsystems<br />
bis hin zu steigendem Risiko für Behinderung,<br />
Demenz oder Suizid reichen.<br />
Auf jeden Fall verschlechtert sich<br />
die Lebensqualität des Betroffenen beträchtlich.<br />
FAct-Box<br />
• in Österreich sind schätzungsweise<br />
10 Prozent der 65- bis 70-Jährigen<br />
von Depression im Alter betroffen,<br />
von den 75-Jährigen etwa 16 Prozent<br />
und von den 85-Jährigen sogar<br />
25–30 Prozent.<br />
• Symptome sind Interesselosigkeit<br />
und Antriebslosigkeit, innere<br />
Unruhe, Appetitverlust, aber auch<br />
Schlafstörungen, Kopfschmerzen<br />
oder Verdauungsstörungen.<br />
• Zwei Drittel der Depressionen im<br />
Alter sind gut behandelbar. Unerlässlich<br />
ist es daher, sich beim Auftreten<br />
der ersten Anzeichen an den<br />
Arzt zu wenden.<br />
9
d e p r e s s i o n<br />
Die weibliche Seite<br />
Doz. dr.<br />
alexandra<br />
whitworth<br />
Augustinergasse 9a, 5020 Salzburg<br />
Tel.: +43.664.3342 388<br />
E-Mail: mypsychiaterin@aon.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Wie viele Frauen leiden<br />
an Depressionen?<br />
Depressive Störungen zählen zu den häufigsten<br />
psychiatrischen Erkrankungen. In<br />
Österreich leiden geschätzte 800.000<br />
Menschen an einer Form von Depression.<br />
Jede vierte Frau, aber „nur“ jeder zehnte<br />
Mann ist einmal im Leben davon betroffen.<br />
Wesentlich mehr Frauen als Männer<br />
verüben einen Suizidversuch, allerdings<br />
liegt die tatsächliche Sterberate hier bei<br />
Männern in allen Altersgruppen weitaus<br />
höher.<br />
Ist Depression demnach eine<br />
„weibliche Erkrankung“?<br />
Nein, allerdings wird Depression bei<br />
Frauen häufiger erkannt, weil Frauen<br />
meist frühzeitiger zum Arzt gehen.<br />
Warum sind Frauen von Depressionen<br />
öfters betroffen als Männer?<br />
Zum einen sind Frauen aus hormonellen<br />
Gründen von vornherein gefährdeter, an<br />
einer Depression zu erkranken. Darauf<br />
deutet auch das erhöhte Auftreten von<br />
Depression in Zeiten hormoneller Umstellung<br />
hin, wenn der Botenstoff Östrogen<br />
im Körper absinkt – z. B. nach einer<br />
Geburt oder während des Wechsels. Weiters<br />
spielen aber auch typisch weibliche<br />
Persönlichkeitsfaktoren eine Rolle, wie<br />
etwa die typisch weibliche Tendenz, sich<br />
für alles verantwortlich zu fühlen und den<br />
Erwartungen des Umfelds entsprechen zu<br />
müssen.<br />
Ein höheres Risiko besteht außerdem,<br />
wenn Depression auch bei anderen Familienmitgliedern<br />
auftritt.<br />
Aber ebenso soziokulturelle Gründe und<br />
die soziale Stellung der Frau können eine<br />
Erklärung dafür sein, dass Frauen öfters an<br />
Depression erkranken. Die Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO listet als spezifisch<br />
weibliche Risikofaktoren eine frühe<br />
Heirat, Teenager-Schwangerschaften<br />
oder die Bevorzugung von Brüdern auf.<br />
Gibt es noch weitere soziokulturelle<br />
Risikofaktoren, die die Entwicklung<br />
einer Depression begünstigen können?<br />
Hier gibt es eine Reihe an Faktoren, die<br />
möglicherweise zum Entstehen einer<br />
Depression beitragen. Begonnen bei der<br />
Erziehung des jungen Mädchens bis hin<br />
<strong>zur</strong> veränderten gesellschaftlichen Rolle<br />
der Frau. Die Mehrfachbelastung durch<br />
Beruf und Familie verursacht in vielen<br />
Fällen körperlichen und seelischen Stress.<br />
Gleichzeitig haben Frauen schlechtere<br />
Karrierechancen, auch diese Frustration<br />
kann zu Depression führen. Weitere<br />
Risikofaktoren: Der Verlust eines Elternteils<br />
vor dem 10. Lebensjahr und andere<br />
einschneidende „Life-Events“ wie z. B.<br />
Gewalterfahrungen oder sexueller Missbrauch,<br />
die dazu führen können, dass eine<br />
Depression entsteht. Gewalt gehört generell<br />
zu den größten Gesundheitsrisiken<br />
von Frauen. Untersuchungen belegen,<br />
dass rund 40 Prozent aller Frauen im Alter<br />
zwischen 16–85 Jahren körperliche oder<br />
sexuelle Gewalterfahrungen gemacht haben.<br />
Überwiegend handelt es sich dabei<br />
um häusliche Gewalt. Auch existenzielle<br />
Sorgen oder gar Armut, und damit die<br />
Ausgrenzung aus der Gesellschaft, zählen<br />
zu den Auslösern einer Depression.<br />
In welchen weiteren Lebensphasen<br />
der Frau treten Depressionen<br />
besonders häufig auf?<br />
Vor der Pubertät und nach dem Klimakterium<br />
sind die Depressionsraten zwischen<br />
den Geschlechtern ähnlich verteilt, aber<br />
bereits ab der Adoleszenz haben Mädchen<br />
ein bis zu doppelt so hohes Risiko,<br />
an einer Depression zu erkranken wie<br />
das männliche Geschlecht. Die höheren<br />
weiblichen Depressionsraten entstehen<br />
im frühen Erwachsenenalter, erreichen<br />
einen Gipfel im mittleren Lebensalter<br />
und sinken in der postmenopausalen<br />
Phase (die Zeit nach den Wechseljahren)<br />
wieder ab. In der Kindheit und im<br />
späteren Lebensalter werden kaum Geschlechtsunterschiede<br />
– und wenn, dann<br />
oft sogar mit einem höheren Risiko für<br />
Männer – gefunden.<br />
Warum sind Frauen vor der<br />
Menstruation oder nach einer Geburt<br />
anfälliger für eine Depression?<br />
In diesen Zeiten geht es mit den Hormonen<br />
„auf und ab“. Eine wichtige<br />
Rolle bei der hormonellen Achterbahn<br />
spielt das Hormon Östrogen. Es erhöht<br />
die Konzentration von Serotonin und<br />
weiteren Botenstoffen des Gehirns, beispielsweise<br />
Acetylcholin, Noradrenalin<br />
10 INNENWELT
der Depression<br />
und Dopamin. Sexualhormone und ihre<br />
Schwankungen beeinflussen Botenstoffe<br />
wie Serotonin und Noradrenalin, aber<br />
auch die Empfindlichkeit, mit der Zellen<br />
auf Antidepressiva reagieren.<br />
Was ist eine Wochenbettdepression?<br />
Diese im Fachterminus sogenannte postpartale<br />
Depression tritt nach der Geburt<br />
auf. Oft wird die Wochenbettdepression<br />
mit dem „Babyblues“ verwechselt. Unter<br />
den berühmten „Heultagen“ nach der<br />
Entbindung versteht man allerdings nur<br />
eine leichtere depressive Verstimmung,<br />
die wohl durch die heftige hormonelle<br />
Umstellung ausgelöst wird. Erst wenn<br />
die Symptome länger als zwei Wochen<br />
andauern, muss man an eine ernst zu<br />
nehmende Wochenbettdepression denken.<br />
In 15–20 Prozent der Fälle treten<br />
depressive Symptome später und anhaltend<br />
auf und sind behandlungsbedürftig.<br />
Diese Wochenbettdepressionen werden<br />
oft zu spät oder gar nicht erkannt, und<br />
führen so – abgesehen vom Leiden der Mutter<br />
– zu starken Belastungen der Mutter-<br />
Kind-Bindung. Im Extremfall kann diese<br />
seelische Belastung bis hin zu Suizidgedanken<br />
oder -versuchen führen.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Welche Symptome zeigen sich bei<br />
depressiven Frauen?<br />
Untersuchungen zufolge präsentiert<br />
sich die Krankheit bei Frauen und Männern<br />
unterschiedlich. So zeigen Frauen<br />
eher die „klassischen“ Kernsymptome:<br />
Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit<br />
und Energielosigkeit.<br />
Männer hingegen reagieren häufiger mit<br />
Aggression, Rückzug und Alkoholkonsum.<br />
Ein wesentliches Symptom bei Frauen ist<br />
der Verlust der Konzentrationsfähigkeit<br />
– dahinter mag sich Überforderung und<br />
Stress verbergen, es kann aber eben auch<br />
ein Hinweis auf Depression sein.<br />
Welche körperlichen Symptome kann<br />
eine Depression verursachen?<br />
Sehr oft beschreiben Frauen beim Arztbesuch<br />
nicht die genannten, typischen<br />
Depressionssymptome sondern Schmerzen<br />
(speziell Rückenschmerzen), Schlafstörungen<br />
und Magen-Darm-Probleme.<br />
Dass dahinter eine Depression stecken<br />
könnte, ist vielen gar nicht bewusst.<br />
Ist eine weibliche Depression anders<br />
als die Depression des Mannes?<br />
Ein wesentlicher Unterschied ist der<br />
frühere Erkrankungsbeginn, weiters<br />
zeichnet sich die „weibliche Depression“<br />
durch längere Episoden aus, was leider<br />
auch eine Chronifizierung begünstigt.<br />
Das heißt, das Gros der depressiven<br />
Frauen schleppt die Erkrankung sehr<br />
lange mit sich herum und erleidet, nach<br />
Phasen der Besserung, immer wieder<br />
Rückfälle. Umso wichtiger ist es, um Leben<br />
und Lebensqualität zu schützen, sich<br />
rechtzeitig in professionelle Therapie zu<br />
begeben.<br />
Tritt Depression bei Frauen gemeinsam<br />
mit anderen psychischen Leiden auf?<br />
Sehr häufig paart sich Depression mit<br />
Angsterkrankungen und Essstörungen,<br />
Kopfschmerzen und Migräne. Dieses gemeinsame<br />
Auftreten nennt man „Komorbidität“.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie wird Depression bei<br />
Frauen therapiert?<br />
Mittelschwere bis schwere Depressionen<br />
sollten mit Antidepressiva behandelt werden,<br />
begleitend dazu trägt häufig eine Psychotherapie<br />
<strong>zur</strong> Besserung bei. Hormonpräparate in<br />
Kombination mit Antidepressiva können bei<br />
schweren Fällen in den Wechseljahren bis zu<br />
einem Jahr eingesetzt werden.<br />
Was können von Depression<br />
betroffene Frauen tun?<br />
Auch wenn Frauen in der Regel dazu erzogen<br />
werden, dem eigenen Befinden nicht<br />
so viel Aufmerksamkeit zu schenken und<br />
Probleme „in sich hineinzufressen“, statt<br />
diese zu artikulieren: Eine Depression gehört<br />
in jedem Fall rechtzeitig gegenüber<br />
der Ärztin oder dem Arzt angesprochen<br />
und in Folge behandelt.<br />
11
A n g s t s t ö r u n g<br />
Angststörung –<br />
12 INNENWELT<br />
O. Univ.-Prof.<br />
DDr. Hans-Peter<br />
Kapfhammer<br />
Medizinische Universität Graz<br />
Universitätsklinik für Psychiatrie<br />
Auenbruggerplatz 31, 8036 Graz<br />
Tel.: +43.316.385 3612<br />
E-Mail: hans-peter.kapfhammer@klinikum-graz.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was sind Angststörungen?<br />
Kein Mensch ist frei von Angst und das ist<br />
auch gut so. Ängste gehören zu unserem<br />
Leben. Sie treten in den unterschiedlichsten<br />
Situationen und Zusammenhängen<br />
auf, weisen auf drohende Gefahren hin<br />
und haben damit eine wichtige Schutzfunktion.<br />
Als normale Stressreaktion<br />
kann Angst in Situationen entstehen,<br />
die als bedrohlich und unkontrollierbar<br />
eingeschätzt werden (z. B. Prüfungssituation).<br />
Das Symptom Angst ist differenzialdiagnostisch<br />
unspezifisch und hat viele<br />
Gesichter. Eine häufige Form der Angststörung<br />
ist die „generalisierte Angststörung“.<br />
Die Bezeichnung „generalisiert“<br />
drückt aus, dass diese Form der Angststörung<br />
nicht auf eine bestimmte Situation<br />
oder ein bestimmtes Objekt gerichtet ist.<br />
Andere Angststörungen sind hingegen<br />
an bestimmte Auslöser oder Situationen<br />
gebunden – zum Beispiel Phobien – hier<br />
haben wir es mit irrationalen Ängsten<br />
vor konkreten Dingen oder Situationen<br />
zu tun.<br />
Was sind die Ursachen für<br />
Angststörungen?<br />
Wie bei den meisten psychischen Störungen<br />
gibt es auch bei den Angststörungen<br />
nicht die eine bekannte Ursache.<br />
Stattdessen geht man von einer Vielzahl<br />
verursachender auslösender Faktoren<br />
aus, die erst im Zusammen- und Wechselwirken<br />
den tatsächlichen Ausbruch<br />
der Störung bewirken. Konstitutionelle<br />
Faktoren wie eine genetische Prädisposition,<br />
Temperamentsfaktoren sowie<br />
Umweltfaktoren wie ein überbehütendes<br />
oder emotional kaltes oder strenges Elternhaus<br />
dürften ebenso eine Rolle spielen<br />
wie negative Lebensereignisse.<br />
Wie viele Menschen leiden<br />
an dieser Krankheit?<br />
Mittlerweile gehören Angststörungen sogar<br />
zu den häufigsten psychischen Er krankun<br />
gen in Österreich. Etwa 15–20 Prozent<br />
der Menschen leiden irgendwann einmal<br />
darunter. In der Allgemeinpraxis sind mehr<br />
als 10 Prozent der Patienten davon betroffen.<br />
Weniger als 50 Prozent der Fälle<br />
werden diagnos tiziert und nur ein kleiner<br />
Teil wird behandelt. Gründe dafür sind<br />
Scham der Patienten, über ihre Angst zu<br />
sprechen, Befürchtungen, als psychisch<br />
krank etikettiert zu werden oder einseitige<br />
Wahr nehmung körperlicher Symptome.<br />
Viele Ärzte sind mit der Diagnose und<br />
Therapie von Angststörungen noch wenig<br />
vertraut, was zu einseitiger körperlicher<br />
Abklärung führen kann.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als Betroffener,<br />
dass man möglicherweise an einer<br />
Angststörung leidet?<br />
Angststörungen machen sich meist schon<br />
in der Kindheit oder Jugend, spätestens<br />
im frühen Erwachsenenalter bemerkbar.<br />
Zentrales Merkmal der generalisierten<br />
Angststörung: ständige unkontrollierbare<br />
Sorgen und Befürchtungen, die derart<br />
belastend werden, dass sie psychisch<br />
krank machen und zahlreiche körperliche<br />
Symptome bewirken. Die primären<br />
Symptome von Angst treten mehrere<br />
Wochen lang auf, meistens sogar mehrere<br />
Monate. Menschen mit Angststörungen<br />
empfinden oft gar nicht die Angst<br />
selbst als das hervorstechende Symptom.<br />
Stattdessen werden häufig körperliche<br />
Symptome wie etwa Schwindel, Herzrasen,<br />
Zittern, verminderte Belastbarkeit<br />
oder auch Magen-Darm-Beschwerden<br />
genannt.<br />
Woran erkennt ein Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender Mensch<br />
vielleicht Angststörungen hat?<br />
Das Beschwerdebild eines Angstpatienten<br />
ist zermürbend und sorgt bei Außen stehenden<br />
oft für Ratlosigkeit. Betroffene<br />
wirken rastlos, innerlich unruhig und getrieben.<br />
Hinzu kommt Reizbarkeit mit zunehmenden<br />
Merk- und Konzentrationsstörungen.<br />
Auf lange Sicht können sich<br />
Angsterkrankte kaum noch entspannen<br />
und regenerieren, sind daher im Alltag<br />
rasch erschöpft. Belastend für Angehörige<br />
ist die wachsende Sorgenbereitschaft<br />
des Betroffenen. Im fortgeschrittenen<br />
Stadium droht ein zunehmendes Vermeidungs-<br />
und damit Rück zugs verhalten. In<br />
vielen Fällen klagen Partner darüber, der<br />
Betroffene wäre „erkaltet“ und hätte das<br />
Interesse an ihrer Person und an gemeinsamen<br />
Aktivitäten verloren.
der tägliche Horror<br />
Welche Möglichkeiten<br />
hat der Arzt, eine Angststörung<br />
zu diagnostizieren?<br />
Die Diagnose von Angststörungen erfolgt<br />
nach den Kriterien der heute<br />
gebräuchlichs ten Klassifikationssysteme<br />
ICD-10 und DSM-IV. Während vor 20<br />
Jahren lediglich zwischen Angstneurosen<br />
und Phobien unterschieden wurde,<br />
finden sich in den modernen Klassifikationen<br />
spezifische Phobie, soziale Phobie,<br />
Panikstörung mit/ohne Agoraphobie,<br />
generalisierte Angsterkrankung, posttraumatische<br />
Be lastungsstörung und<br />
Zwangsstörung. All diese Angsterkrankungen<br />
zeigen einen unterschiedlichen<br />
Beginn und Verlauf und erfordern unter<br />
einem klinisch-praktischen Gesichtspunkt<br />
spezielle Beachtung.<br />
In welchem Zusammenhang<br />
stehen Angststörungen mit anderen<br />
(psychischen) Erkrankungen?<br />
Die psychiatrische Komorbidität ist<br />
hoch: Depressive Störungen sind mit<br />
über 60 Prozent vertreten, Panikstörungen<br />
kommen in 11–27 Prozent der<br />
Fälle vor, spezifische Phobien sowie<br />
eine soziale Phobie sind zu je 15–56<br />
Prozent vertreten. Zwanghafte, paranoide<br />
und ängstlich-vermeidende<br />
Persön lichkeits stö run gen werden bei<br />
60 Prozent der Betroffenen beobachtet.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie werden<br />
Angststörungen behandelt?<br />
Die Behandlung von Angst- und Panikstö<br />
run gen oder Phobien ruht auf zwei<br />
Säulen: medikamentöse Therapie und<br />
Psycho the rapie. Krankhafte Angst ist<br />
immer mit einem biochemischen Ungleichgewicht<br />
im Gehirn verbunden. Bevorzugt<br />
werden in der Be hand lung selektive<br />
Serotonin-Wieder aufnahmehemmer<br />
(SSRI), welche sowohl gegen Ängste als<br />
auch gegen Depression zum Einsatz kommen.<br />
Der Königsweg der Psychotherapie<br />
ist nach heutigem Wissen die kognitive<br />
Verhaltenstherapie. Ein Teil der Behandlung<br />
besteht darin, den Patienten – nach<br />
entsprechender psychologischer Vorbereitung<br />
– mit den Auslösern seiner<br />
Angst zu konfrontieren. Wer Angst vor<br />
hohen Gebäuden hat, besteigt mit dem<br />
Therapeuten einen Turm, wer Angst vor<br />
sozialen Kontakten hat, übt, wildfremde<br />
Leute nach der Uhrzeit zu fragen. Entscheidend<br />
dabei ist, dass der Betroffene<br />
am eigenen Leib erlebt, dass die von ihm<br />
als unausweichlich angesehene Katastrophe<br />
(„Ich sterbe“ oder „Alle werden mich<br />
auslachen“) ausbleibt.<br />
Was kann man<br />
als Betroffener selbst gegen<br />
diese Krankheit tun?<br />
Der erste Schritt: erkennen, dass man unter<br />
einer Angststörung leidet! In jedem<br />
Fall sollte man sich frühzeitig an einen<br />
Arzt wenden. Leider geschieht dies viel zu<br />
selten. Doch je hartnäckiger die Angst verdrängt<br />
wird, desto mehr zehrt sie an der<br />
Lebens kraft.<br />
Wie können Angehörige<br />
einem Menschen mit<br />
Angststörungen helfen?<br />
Angststörungen sind nicht nur für den<br />
Betroffenen selbst belastend. Auch der<br />
Lebenspartner und die Familie sind durch<br />
die Ängste und das veränderte Verhalten<br />
der vertrauten Person mit Problemen konfrontiert<br />
und in ihrer Lebensqualität eingeschränkt.<br />
In dieser Situation brauchen auch<br />
Angehörige Unterstützung und die Möglichkeit,<br />
sich mit anderen Menschen auszutauschen,<br />
die vor ähnlichen Problemen<br />
stehen oder ähnliche Erfahrungen gemacht<br />
haben. Selbsthilfegruppen für Angehörige<br />
sind hierbei eine wichtige Anlaufstelle zum<br />
Erfahrungsaustausch und um neue Sichtund<br />
Verhaltensweisen kennenzulernen.<br />
Welche Folgen<br />
kann eine unbehandelte<br />
Angststörung haben?<br />
Die Folgen von Angststörungen sind mitunter<br />
gravierend: Weil man sich schämt, die<br />
Ängste einzugestehen und Hilfe zu suchen,<br />
wird das Problem verleugnet. Angst auslösende<br />
Situationen werden gemieden, das<br />
Leben um die Ängste herum neu organisiert<br />
und dies alles auf zunehmend unrichtiger<br />
Argumentationsbasis. Die weiteren<br />
Folgen sind oft soziale Isolierung sowie ein<br />
Zurückbleiben hinter den eigenen Möglichkeiten.<br />
Steigt der Druck, werden häufig<br />
Alkohol, Beruhigungs- und Schlafmittel<br />
oder – bei jungen Patienten – Drogen konsumiert.<br />
Krankheitsbilder<br />
FAct-Box<br />
pAnikattacke: Akuter, intensiver und<br />
zeitlich begrenzter Angst anfall, kann<br />
bei allen Angst störungen auftreten.<br />
Panikstörung: Wiederkehrende, unerwartete,<br />
nicht durch äußere Umstände<br />
ausgelöste Panik attacken. Diese erreichen<br />
innerhalb von 1–3 Minuten ihr<br />
Maximum und klingen meist binnen<br />
10–30 Minuten wieder ab. Gelegentlich<br />
können sie aber auch einige Stunden<br />
andauern.<br />
Phobien: Störungen, bei denen Angst<br />
durch eindeutig definierte, im Allgemeinen<br />
ungefährliche Situationen oder<br />
Objekte hervorgerufen wird.<br />
Agoraphobie: Bei dieser be steht<br />
nicht nur Angst vor weiten Plätzen<br />
(griechisch: agora = Marktplatz), sondern<br />
vor allen Situationen außerhalb<br />
der gewohnten Umgebung und bei<br />
beschränkten Möglichkeiten <strong>zur</strong> Flucht<br />
oder Hilfe von außen.<br />
Soziale Phobie („Soziale Angststörung“):<br />
Betroffene fürchten sich<br />
vor Situationen, in denen sie im Mittelpunkt<br />
stehen. Sie haben Angst, etwas<br />
zu sagen oder zu tun, das demütigend<br />
oder peinlich sein könnte.<br />
Spezifische Phobien: Hier wird die<br />
Angst durch ein Objekt oder eine Situation<br />
ausgelöst.<br />
Generalisierte Angststörung:<br />
Ständiges Sich-Sorgen gilt als das zentrale<br />
Merkmal der generalisierten Angststörung.<br />
13
Z w a n g s s t ö r u n g<br />
Zwangsstörung – dem<br />
Prim. Univ.-Prof.<br />
Dr. Christoph<br />
Stuppäck<br />
Universitätsklinikum für<br />
Psychiatrie und Psychotherapie<br />
CDK Salzburg<br />
Ignaz-Harrer-Straße 79, 5020 Salzburg<br />
Tel.: +43.662.4483 4300<br />
E-Mail: c.stuppaeck@salk.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was sind Zwangsstörungen?<br />
Gedanken wie „Ist der Ofen wirklich<br />
aus?“ oder „Habe ich das Bügeleisen<br />
abgeschaltet?“ kennen wir alle. Bei Menschen,<br />
die unter einer Zwangsstörung<br />
leiden, drängen sich diese Gedanken jedoch<br />
in einem Maß auf, das die Grenze<br />
der Normalität überschreitet. Betroffene<br />
empfinden die vom Zwang diktierten<br />
Impulse und Handlungen oft selbst als<br />
unsinnig. Dennoch ist das Bedürfnis, ihnen<br />
nachzugeben, übermächtig. Denn,<br />
werden die Zwangsrituale nicht befolgt,<br />
dann würde, befürchten Betroffene, etwas<br />
Schre ckliches passieren. Wie quälend<br />
dies sein kann, kann man sich vorstellen:<br />
Da verlässt ein Mensch das Haus, um <strong>zur</strong><br />
Arbeit zu gehen. Nach ein paar Metern<br />
kehrt er um, er möchte sich vergewissern,<br />
ob der Wasserhahn abgedreht ist. Er ist es.<br />
Gut. Doch kaum setzt er seinen Weg fort,<br />
zwingt ihn die Frage „Ist der Wasserhahn<br />
auch wirklich zu?“ zum erneuten Umkehren.<br />
Das dritte Mal, er befindet sich nun<br />
schon ein gutes Stück weg von zu Hause,<br />
treibt ihn die Sorge um das vermeintlich<br />
rinnende Wasser wieder <strong>zur</strong>ück. Obwohl<br />
er weiß, dass alles in Ordnung ist – der<br />
Zwang lässt sich durch Logik und Vernunft<br />
nicht besänftigen. Eine andere Form der<br />
Krankheit ist der Waschzwang. Betroffene<br />
schrubben sich wie besessen die Hände,<br />
mehrmals täglich wird desinfiziert. Auch<br />
wenn die exzessiven Reinigungsrituale zu<br />
Hautreizungen und Ekzemen führen – die<br />
Angst vor Schmutz und Bakterien ist so<br />
groß, ohne professionelle Hilfe von außen<br />
können Menschen mit Zwangsstörungen<br />
das negative Gedan kenkarussell nicht<br />
stoppen.<br />
Was sind die Ursachen<br />
für Zwangsstörungen?<br />
Eine zentrale Rolle bei der Entwicklung einer<br />
Zwangserkrankung spielt die entsprechende<br />
genetische Veranlagung. Eine erbliche<br />
Belastung bedeutet jedoch nicht, dass<br />
die Krankheit auch tatsächlich ausbricht.<br />
Untersuchungen zeigen zudem einen Zusammenhang<br />
zwischen dem Serotoninstoffwechsel<br />
im Hirn und dem Auftreten<br />
von Zwangsstörungen. Erwiesen ist, dass<br />
bei Zwangspatienten, die Me di kamente<br />
erhalten, welche die Wieder aufnahme von<br />
Serotonin hemmen, eine Besserung eintritt.<br />
Wie viele Menschen leiden an<br />
dieser Krankheit?<br />
2–3 Prozent der Österreicher sind im Laufe<br />
ihres Lebens von einer Zwangs er kran kung<br />
betroffen. Die Zwangserkrankung hat es<br />
immer schon gegeben, es leiden heutzutage<br />
nicht mehr Menschen darunter als<br />
früher. Dank der besseren diagnostischen<br />
Möglichkeiten wird die Zwangs erkrankung<br />
jedoch häufiger erkannt und in Folge therapeutisch<br />
behandelt.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als Betroffener,<br />
dass man möglicherweise an einer<br />
Zwangsstörung leidet?<br />
Wie alle Krankheiten aus dem neurotischen<br />
Formenkreis tritt auch diese Krankheit rund<br />
um das 20. Lebensjahr auf. Im Durchschnitt<br />
dauert es 11 Jahre, bis sich der Betroffene<br />
zum Arzt wagt und die Diagnose „Zwangsstörung“<br />
erhält. Das liegt auch daran, dass<br />
die Grenze zum „normalen Zwang“ dünn<br />
ist. In jedem Büro ist ein Perfektionist zu<br />
finden, der es unerträglich findet, wenn<br />
seine Bleistifte am Schreibtisch nicht alle<br />
parallel mit der Spitze nach vorne nebeneinander<br />
am Schreibtisch liegen. Der ein Bild<br />
an der Wand gerade rückt, sobald es einen<br />
Millimeter schief hängt, der Türschnallen<br />
am Klo prinzipiell mit dem Ellbogen öffnet.<br />
Behand lungswürdig werden solche Rituale<br />
dann, wenn Betroffene massiv darunter leiden<br />
und der persönliche Radius, die Selbstbestimmung,<br />
zunehmend geringer wird.<br />
Der Ausführung folgt Erleichterung, die<br />
allerdings nur kurz anhält. Viele Be troffene<br />
schämen sich, soziale Aktivitäten nehmen<br />
ab. Um nicht „seltsam“ aufzufallen, meiden<br />
Zwangs er krankte die Gesellschaft anderer.<br />
Ein gefährlicher Rückzug, der das Fortschreiten<br />
des Krankheitsverlaufs begünstigt<br />
und bis zum Suizid führen kann. Übrigens:<br />
Von der Zwangsstörung sind Frauen<br />
und Männer gleichermaßen betroffen.<br />
Woran erkennt ein Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender Mensch vielleicht<br />
Zwangsstörungen hat?<br />
Oft gelingt es Betroffenen sehr gut, die<br />
Krankheit zu verschleiern oder Situationen,<br />
14 INNENWELT
„Tick“ hilflos ausgeliefert<br />
in denen sich Symptome zeigen könnten,<br />
aus dem Weg zu gehen. Die Zwangsstörung<br />
hat außerdem viele Gesichter. Es ist für den<br />
Partner, den Freund oder den Angehörigen<br />
gar nicht so leicht zu durchschauen, ob der<br />
vermeintlich Betroffene einfach schrullig ist<br />
oder ein Perfektionist – oder ob er mit dem<br />
Zwang ein echtes, massives Problem hat. In<br />
vielen Fällen entwickeln Betroffene und deren<br />
Umfeld auch gemeinsame Zwangsrituale.<br />
Ein Familienoberhaupt, das an Zwang leidet,<br />
fordert etwa Frau und Kinder mehrmals täglich<br />
auf, die Wände nach Schimmel abzusuchen<br />
und den Boden keimfrei zu schrubben.<br />
Um den Schein der Normalität aufrechtzuerhalten,<br />
machen alle mit. Die Diktion des<br />
Zwangs unterwirft somit die ganze Familie,<br />
das hat ein großes zerstörerisches Potenzial.<br />
Wir raten Angehörigen dringend dazu, selbst<br />
Unterstützung zu suchen, zum Beispiel in einer<br />
Selbsthilfegruppe.<br />
Welche Möglichkeiten hat der Arzt,<br />
eine Zwangsstörung zu diagnostizieren?<br />
Die Zwangsstörung hat viele Kom ponenten<br />
und ist nicht einfach zu diag nostizieren. Für<br />
den Arzt erfordert das eine intensive Auseinandersetzung<br />
mit dem Patienten. Die Diagnose<br />
wird durch Abfragen nach Zwangsgedanken<br />
und Zwangshandlungen gestellt,<br />
nach Zwängen, die sich für den Betroffenen<br />
täglich aufdrängen.<br />
In welchem Zusammenhang<br />
stehen Zwangsstörungen<br />
mit anderen (psychischen)<br />
Erkrankungen?<br />
Zwang ist kein isoliertes psychisches Problem.<br />
Engen Zwänge das Leben ein, hat das häufig<br />
andere seelische Erkrankungen <strong>zur</strong> Folge, etwa<br />
Depressionen oder Angststörungen wie Panik<br />
oder Phobien. Eine große Überlappung besteht<br />
vor allem <strong>zur</strong> Depression. Mehr als die<br />
Hälfte der Patienten mit Zwangsstörungen<br />
haben in ihrem Leben depressive Phasen.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie werden<br />
Zwangsstörungen behandelt?<br />
Zwangskranken kann durch psychotherapeutische<br />
Behandlung geholfen werden,<br />
erfolgreich wird hier vor allem die Verhaltenstherapie<br />
eingesetzt.<br />
Begleitend dazu haben sich Anti depressiva<br />
bewährt, die den Serotoninspiegel<br />
wieder in Balance bringen. Eine<br />
Kombination von Wiederaufnahmehemmern<br />
(SSRI) und Ver haltens therapie birgt<br />
hervorragende Chancen, den Zwang zu<br />
durchbrechen.<br />
Was kann man als Betroffener selbst<br />
gegen diese Krankheit tun?<br />
Betroffene entwickeln mit der Zeit<br />
schwere Schuldgefühle, Scham und<br />
Angst zustände. Unser Appell ist immer<br />
wieder, möglichst frühzeitig einen Facharzt<br />
aufzusuchen – die Lebenszeit ist zu<br />
kostbar, um sich vom Zwang terrorisieren<br />
zu lassen.<br />
Wie können Angehörige einem Menschen<br />
mit Zwangsstörungen helfen?<br />
Wenn Außenstehende erstmals spüren,<br />
mit dem Betroffenen „stimmt etwas<br />
nicht“, hat dieser meist schon einen jahrelangen<br />
Leidensweg hinter sich. Man<br />
kann Zwangserkrankten die irrationalen<br />
Ängste nicht ausreden. Der Versuch,<br />
durch logische Argumente oder Appelle<br />
an die Vernunft eine Besserung zu bewirken,<br />
wird fehlschlagen. Aber: Man kann –<br />
und soll – Betroffenen Mut machen, einen<br />
Facharzt aufzusuchen.<br />
Welche Folgen kann eine unbehandelte<br />
Zwangsstörung haben?<br />
Im schlimmsten Fall führt die Zwangserkrankung<br />
in den Suizid. Die ungewollten<br />
ritualisierten Abläufe werden als derart<br />
quälend und unerträglich empfunden,<br />
dass der Tod als einziger Ausweg erscheint.<br />
FAct-Box<br />
Kennzeichen der Zwangsstörungen<br />
sind wiederkehrende Zwangsgedanken<br />
und/oder Zwangshandlungen. Obwohl<br />
der Betroffene diese Gedan ken, Impulse<br />
oder Rituale oft selbst als unsinnig<br />
empfindet, muss er diesen nachgeben.<br />
Grund dafür sind Fantasien über vermeintlich<br />
furchtbare Konsequenzen<br />
bei Nicht befol gen. In Österreich sind<br />
2–3 Prozent der Bevölkerung im Laufe<br />
ihres Lebens von Zwangser krankungen<br />
betroffen.<br />
15
Suizid –<br />
S u i z i d<br />
16 INNENWELT<br />
ao. Univ.-Prof.<br />
Dr. Peter Hofmann<br />
Medizinische Universität Graz<br />
Universitätsklinik für Psychiatrie<br />
Auenbruggerplatz 31, 8036 Graz<br />
Tel.: +43.316.385 83415<br />
E-Mail: peter.hofmann@klinikum-graz.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Wie viele Suizide<br />
gibt es pro Jahr?<br />
Etwa 1.300 Menschen nehmen sich pro<br />
Jahr in Österreich das Leben – damit rangiert<br />
Österreich im europaweiten Spitzenfeld.<br />
Global nehmen Selbst tötungen<br />
zu. In den Industrieländern (also auch<br />
in Österreich) ist jedoch seit Beginn der<br />
1980er-Jahre eine stetige Abnahme zu<br />
verzeichnen, was vor allem mit der guten<br />
Versorgung an Antidepressiva zu erklären<br />
ist.<br />
Ist eine bestimmte Personengruppe<br />
besonders gefährdet?<br />
Statistisch gesehen sind alleinstehende<br />
Männer im fortgeschrittenen Alter besonders<br />
suizidgefährdet. In Österreich ist<br />
die Selbsttötungsrate bei Männern doppelt<br />
so hoch wie bei Frauen und nimmt<br />
mit steigendem Alter noch mehr zu.<br />
Suizid ist in den meisten Fällen das Resultat<br />
einer (unbehandelten) De pression<br />
bzw. einer anderen psychischen Störung<br />
wie bipolare Störung, Schizo phrenie<br />
oder Angststörung. Neben psychischen<br />
Erkrankungen gibt es auch noch andere<br />
Suizidgründe, die jedoch relativ selten<br />
vorkommen, wie z. B. eine schwere,<br />
schmerzhafte Erkrankung, eine Lebenskrise<br />
oder Gesichtsverlust.<br />
Ein besonderes Phänomen unserer Zeit<br />
ist das Problem des „Alterssuizids“.<br />
Die über 60-Jährigen sind die einzige<br />
Personen gruppe, in der Selbsttötungen<br />
zahlenmäßig zugenommen haben. Da es<br />
noch nie zuvor so viele alte Menschen<br />
gegeben hat, ist diese Entwicklung relativ<br />
neu. Man nimmt an, dass beim Alterssuizid<br />
die persönliche Lebensbilanz eine<br />
wichtige Rolle als Auslöser spielt („Bilanzsuizid“).<br />
In welchem Zusammenhang<br />
stehen Suizide mit anderen<br />
psychischen Erkrankungen?<br />
Wie bereits erwähnt, sind Selbsttötungen<br />
zum Großteil das Resultat einer<br />
De pression oder eines anderen seelischen<br />
Leidens. Etwa 90 Prozent der<br />
vollendeten Suizide (und 60 Prozent der<br />
Suizidversuche) werden von Menschen<br />
unternommen, die an einer psychischen<br />
Erkrankung leiden. Da die Diagnose in<br />
vielen Fällen erst im Nachhinein gestellt<br />
wird, ist diese Zahl jedoch mit Vorsicht<br />
zu betrachten.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wann besteht Suizidgefahr?<br />
Menschen, die sich selbst das Leben<br />
nehmen wollen, sind hin- und hergerissen<br />
zwischen den zwei widersprüchlichen<br />
Ge fühlswelten Sterbewunsch<br />
und Lebens wille. In dieser Anspannung<br />
reden sie über ihre Absicht oder deuten<br />
auf andere Weise auf ihre mögliche Tat<br />
hin. Laut Professor Erwin Ringel (gründete<br />
1948 das erste Selbsttötungsverhütungszentrum)<br />
gibt es drei wichtige<br />
Anzeichen, die auf eine besondere Suizidneigung<br />
hinweisen:<br />
1. Einengung<br />
Die betreffenden Patienten fühlen sich<br />
in einer eingeengten Situation, wobei sie<br />
das Gefühl haben, schwer herauszukönnen.<br />
Sie beschäftigen sich gedanklich immer<br />
wieder mit dieser Problematik und<br />
erfahren auch zwischenmenschlich eine<br />
Einengung, indem sie sich zunehmend<br />
isolieren und dadurch vereinsamen.<br />
2. Gehemmte und gegen die eigene Person<br />
gerichtete Aggression<br />
Sie besteht darin, dass Menschen, die<br />
unter Aggressionen leiden und diese<br />
aus verschiedenen Gründen nicht ausleben<br />
oder besprechen können, diese gehemmten<br />
Aggressionen dann gegen die<br />
eigene Person richten.<br />
3. Suizidfantasien<br />
Diese verlaufen ebenfalls in drei Phasen:<br />
1. Phase: „Ich möchte tot sein.“<br />
2. Phase: „Ich könnte mich selbst töten.“<br />
3. Phase: „Wie werde ich es tun und<br />
wann?“<br />
Der Betroffene konkretisiert seine Suizidfantasie<br />
(oft bis ins kleinste Detail).<br />
Höchste Gefahr ist geboten!<br />
Wie erkennt ein Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender<br />
Mensch suizidgefährdet ist?<br />
Beobachten Sie bei einem Menschen<br />
mehrere der folgenden Verhaltensweisen,<br />
sollten Sie hellhörig werden:
tödliches Seelenleid<br />
• Zunehmende soziale Isolation<br />
• Dinge werden in Ordnung gebracht:<br />
ein Testament wird gemacht, Gegenstände<br />
von persönlichem Wert werden<br />
verschenkt<br />
• Widersprüchliche Gemütslage: Reizbarkeit,<br />
Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit<br />
verändern sich sprunghaft zu Euphorie<br />
und überdrehtem Verhalten<br />
• Antriebslosigkeit: kein Interesse mehr<br />
an früheren Hobbys, No-Future-Gedanken,<br />
Mangel an Energie und Initiative<br />
• Beschäftigung mit dem Tod<br />
• Körperliche Veränderungen<br />
• Leichtfertiges Verhalten, z. B.<br />
im Stra ßen verkehr<br />
Welche Möglichkeiten<br />
hat ein Arzt, eine<br />
akute Suizidneigung<br />
festzustellen?<br />
Viele Betroffene suchen vor dem eigentlichen<br />
Tötungsakt einen Arzt auf<br />
und kündigen ihre Tat (unbewusst) an.<br />
Hier ist die Hellhörigkeit des Arztes gefragt,<br />
die Alarmzeichen richtig zu deuten.<br />
Im Idealfall erkennt der Arzt schon<br />
vor dem ersten Suizidversuch, dass die<br />
Möglichkeit einer suizidalen Handlung<br />
gegeben ist. Liegt der Grund für die<br />
Suizidneigung in einer psychischen Erkrankung,<br />
wird der Allgemeinmediziner<br />
einen Facharzt in die weitere Behandlung<br />
miteinbeziehen.<br />
..................................<br />
rasche hilfe<br />
..................................<br />
Wie kann ein Angehöriger<br />
einem suizidgefährdeten<br />
Menschen helfen?<br />
Grundsätzlich gilt in der Sui zid prä vention<br />
der Leitsatz: „Hunde, die bellen, beißen<br />
auch!“ Der Großteil aller Suizide (80<br />
Prozent) wird angekündigt. Wichtig ist,<br />
diese Drohungen ernst zu nehmen (auch<br />
fraglich harmlose). Sprechen Sie den Betroffenen<br />
direkt auf die Möglichkeit einer<br />
Selbsttötung an. Versuchen Sie auch herauszufinden,<br />
ob der Gefährdete bereits<br />
konkrete Vorstellungen hat, wie er sich<br />
das Leben nehmen will. Je genauer die<br />
Vorstellungen sind, desto größer ist das<br />
Risiko!<br />
Was unternimmt ein Arzt,<br />
wenn er bei einem Patienten eine<br />
hohe Suizidneigung feststellt?<br />
In Österreich gibt es zwei Fälle, in denen<br />
man eine Person gegen ihren Willen in eine<br />
Psychiatrie einweisen kann: Wenn Gefahr<br />
für das eigene oder Gefahr für ein fremdes<br />
Leben besteht. Es obliegt allein dem Arzt,<br />
den Ernst der Lage – und damit die Notwendigkeit<br />
einer Einlieferung – festzustellen.<br />
Der Betroffene wird so lange professionell<br />
überwacht, bis keine akute Suizidgefahr<br />
mehr besteht.<br />
Neben der Hilfe im „Notfall“ spielt auch<br />
die ärztliche Nachsorge eine wichtige Rolle.<br />
Eine nachfolgende, konsequente Behandlung<br />
der seelischen Erkrankung ist wichtig,<br />
um einen erneuten Suizidversuch zu verhindern.<br />
An wen kann sich<br />
ein Betroffener in<br />
Krisenzeiten wenden?<br />
Menschen mit Suizidgedanken und -absichten<br />
sollten so schnell wie möglich professioneller<br />
Hilfe zugeführt werden. Versuchen<br />
Sie den Betroffenen dazu zu be<strong>wege</strong>n,<br />
einen Arzt aufzusuchen oder eine ano-<br />
Rund 1.300 Suizidfälle gibt es in Österreich pro Jahr. Betroffen sind vor allem Menschen,<br />
die an einer (unbehandelten) psychischen Er krankung leiden. Personen, die sich<br />
das Leben nehmen wollen, kündigen ihre Tat vorher an!<br />
Ö3-ÖRK Kummernummer:<br />
116 123 (16-24 Uhr, kostenlos)<br />
Telefonseelsorge<br />
Notruf österreichweit 0-24 Uhr:<br />
142 (kostenlos)<br />
Sorgentelefon für Kinder,<br />
Jugendliche und Erwachsene:<br />
0800 201 440 (Mo-Sa 14-18 Uhr,<br />
kostenlos)<br />
ORF „Rat auf Draht“:<br />
147, österreichweit (kostenlos)<br />
nyme Telefonseelsorge an<strong>zur</strong>ufen. Die<br />
Notrufnummern stehen natürlich auch<br />
ratlosen Angehörigen <strong>zur</strong> Verfügung.<br />
Wenn Sie mit der Situation eines suizidgefährdeten<br />
Menschen in Ihrem Familien-<br />
oder Freundeskreis überfordert sind<br />
oder nicht wissen, wie Sie dem Betroffenen<br />
am besten helfen können, stehen<br />
Ihnen Kummernummer & Co <strong>zur</strong> Seite.<br />
Kriseninterventionszentrum:<br />
01 406 95 95 0<br />
Psychosozialer Notdienst:<br />
310 87 79 od. 310 87 80<br />
Wiener Kindertelefon:<br />
319 66 66<br />
FAct-Box<br />
Sozialpsychiatrischer<br />
Notdienst Wien:<br />
täglich von 0-24 Uhr – 365 Tage im Jahr,<br />
313 30<br />
Noch mehr Telefonnummern finden Sie im örtlichen Telefonbuch oder im Internet,<br />
z. B. unter www.depression.at<br />
17
S u i z i d<br />
Suizidprävention –<br />
Chefarzt Prim. Dr.<br />
Georg Psota<br />
Psychosozialer Dienst Wien<br />
Modecenterstraße 14/B/4, 1030 Wien<br />
Tel.: +43.1.4000 53021<br />
E-Mail: chapost@psd-wien.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Depression ist aufgrund der<br />
Suizidgefahr eine potenziell<br />
tödliche Krankheit –<br />
ist diese Botschaft bereits bei der<br />
breiten Öffentlichkeit<br />
angekommen?<br />
2.400 Jahre nach Hippokrates, der die<br />
Melancholie bereits in seiner Typenlehre<br />
erwähnt hat, wird noch immer die<br />
Frage gestellt, ob Depression überhaupt<br />
eine Krankheit sei. Häufig wird Depressiven<br />
sogar „Schuld“ an ihrer Erkrankung<br />
gegeben. Und das, obwohl es weit mehr<br />
Depressiv- als Aids- oder Malariakranke<br />
gibt. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit<br />
nötig. Suizidneigungen zu erkennen und<br />
entsprechend zu handeln ist nicht nur<br />
für medizinische Laien ein Thema, wie<br />
die Fakten zeigen: Jede fünfte Depression<br />
wird vom Allgemeinmediziner nicht erkannt,<br />
selbst nach zahlreichen Kontakten<br />
wurde nur jeder zweite depressive Patient<br />
als solcher diagnostiziert.<br />
Ein weiteres gängiges Vorurteil ist, dass<br />
man gegen Depression nicht viel machen<br />
kann. Anders als z. B. ein gebrochenes<br />
Bein muss man seelischen Schmerz quasi<br />
hinnehmen und schicksalhaft ertragen.<br />
Auch das ist unwahr. Depression kann,<br />
sofern sie professionell behandelt wird,<br />
in den meisten Fällen geheilt werden.<br />
Wichtig ist in diesem Zusammenhang,<br />
immer wieder klarzumachen: Nicht behandelte<br />
Depressionen sind in Österreich<br />
der häufigste Suizidgrund!<br />
Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle<br />
in der Suizidstatistik?<br />
Bis in die 80er-Jahre lagen die städtischen<br />
Gebiete bei der Suizidrate stets vor den<br />
ländlichen, mittlerweile hat sich dieses Verhältnis<br />
umgekehrt. Kärnten steht auf der<br />
Negativ-Liste der Suizide ganz oben. Den<br />
größten Erfolg bei der Reduktion von Selbsttötungen<br />
hat hingegen Wien erreicht.<br />
Was ist der Schlüssel<br />
zum Erfolg in der Suizidprävention?<br />
Unserer Erfahrung nach steht und fällt<br />
erfolgreiche Suizidvermeidung mit der –<br />
möglichst niederschwelligen – raschen<br />
und professionellen Krisenhilfe. Die niedrigen<br />
Suizidzahlen in Wien etwa lassen sich<br />
darin begründen, dass Ärzte, Ambulatorien<br />
und Spitäler in der Stadt leichter und unkompliziert<br />
erreichbar sind. Ein wesentlicher<br />
Faktor ist auch die größere Anonymität<br />
der Stadt, welche die Suche nach Hilfe<br />
erleichtert. In einem kleinen Dorf würde es<br />
sich wahrscheinlich schneller herumsprechen,<br />
was viele Betroffene dazu zwingt, ihr<br />
Leid im Stillen zu ertragen.<br />
Welche Probleme sind es<br />
vorwiegend, die in der heutigen Zeit<br />
zu Depression oder<br />
Suizidgedanken führen?<br />
Während es früher vor allem Patienten in<br />
psychiatrischen Krisensituationen waren,<br />
die sich an den Psychosozialen Notdienst<br />
gewandt haben, sind es mittlerweile immer<br />
mehr Menschen in schwierigen Lebenssituationen.<br />
Ereignisse wie Scheidung,<br />
Trennung, Arbeitslosigkeit und existenzielle<br />
Nöte verursachen emotionale Erschütterungen,<br />
die in unserer schnelllebigen Zeit<br />
nicht immer so „abgefedert“ werden können,<br />
wie das nötig wäre. Oft fehlt es dafür<br />
an sozialen Beziehungen und Netzwerken,<br />
um Krisen den Beigeschmack der Katastrophe<br />
zu nehmen und die Ressourcen der<br />
Lebensbewältigung zu aktivieren. Hinzu<br />
kommt eine generelle Verunsicherung der<br />
Menschen, bedingt durch die Wirtschaftskrise,<br />
Veränderungen am Arbeitsmarkt und<br />
gesellschaftliche Umbrüche. Man kann<br />
sagen, die heutige Zeit stellt veränderte<br />
Herausforderungen an die Psyche – die<br />
Nachfrage nach dementsprechenden Hilfsangeboten<br />
steigt zusehends.<br />
Wie hoch ist die Bereitschaft,<br />
sich in einer Krisensituation<br />
Unterstützung zu holen?<br />
Die Menschen sind in der heutigen Zeit<br />
sicher eher bereit, eine psychische Krise<br />
behandeln zu lassen als früher. Das zeigen<br />
auch die Zahlen des Hauptverbandes<br />
der Sozialversicherungsträger. Zwischen<br />
1991 und 2009 ging die Zahl der Krankenstandstage<br />
um 4 Prozent <strong>zur</strong>ück. Anders<br />
bei den „psychiatrischen Krankheiten“:<br />
Fast dreimal so viele Krankenstandstage<br />
gab es aus diesem Grund im selben<br />
Zeitraum. Daraus lässt sich herauslesen,<br />
dass psychisches Leid ernster genommen<br />
wird, als es früher der Fall war, und das<br />
Bewusstsein für die Wichtigkeit kompetenter<br />
Hilfe zunimmt.<br />
18 INNENWELT
einen Lichtblick setzen!<br />
Lichtblick – Stopp Suizid!<br />
Eine Info-Initiative der <strong>innenwelt</strong>, in<br />
Kooperation mit Experten und engagierten<br />
Mitstreitern, um auf die<br />
Wichtigkeit von Suizidprävention aufmerksam<br />
zu machen und das Wissen<br />
über erfolgreiche Suizidvermeidung zu<br />
fördern.<br />
www.<strong>innenwelt</strong>.at<br />
www.facebook.com/<strong>innenwelt</strong><br />
FAct-Box<br />
Rasche Hilfe, wenn die Seele brennt –<br />
Psychosoziale Dienste in Wien (PSD)<br />
Seit ihrer Gründung 1979 im Zuge<br />
der Psychiatriereform bilden die PSY-<br />
CHOSOZIALEN DIENSTE IN WIEN ein<br />
breites Netzwerk an ambulanten Einrichtungen<br />
für eine umfassende sozialpsychiatrische<br />
Grundversorgung.<br />
Im Mittelpunkt steht die bedarfsgerechte<br />
und qualitativ hochstehende<br />
Behandlung und Betreuung psychisch<br />
kranker Menschen.<br />
Was sind die Ziele<br />
der Suizidprävention?<br />
Die Zahl der Suizide ist leicht rückläufig. Dennoch<br />
gibt es durchaus Potenzial für eine weitere<br />
Reduktion der Suizide. 12,2 pro 100.000<br />
Einwohner lautete die Rate im Jahr 2009 in<br />
Wien. Das nächste Ziel muss sein, dass wir<br />
unter 11 pro 100.000 kommen, was allerdings<br />
auch von äußeren Faktoren – beispielsweise<br />
wirtschaftlichen – abhängt!<br />
Gibt es eine Zielgruppe,<br />
die punkto Prävention besonders<br />
im Mittelpunkt steht?<br />
Besonderes Augenmerk ist sicherlich auf die<br />
Gruppe der Senioren zu legen. Die Selbsttötungen<br />
von Jugendlichen und Männern in der<br />
Midlife-Crisis steht zwar medial mehr im Mittelpunkt,<br />
weil diese Form der Suizide meist in<br />
einem dramatischen Kontext steht. Wie die<br />
Statistik der „Wiener Werkstätte für Suizidforschung“,<br />
einer interdisziplinären Arbeitsgruppe,<br />
beweist, sind Männer ab 65 aber in besonderem<br />
Maße gefährdet. Sorgen macht uns auch<br />
die Zunahme der Selbsttötungen unter Kindern<br />
und Jugendlichen, auch hier sind entsprechende<br />
Maßnahmen gefordert, um der jungen Generation<br />
zu helfen.<br />
Vorrangiges Ziel des PSD ist es, psychiatrisch<br />
erkrankten Menschen und<br />
deren Angehörigen unkompliziert und<br />
schnell Hilfe zu leisten. Unsere zahlreichen<br />
Einrichtungen sind daher über das<br />
gesamte Wiener Stadtgebiet verteilt.<br />
Wir orientieren uns speziell am Bedarf<br />
und Bedürfnis der Hilfe suchenden<br />
Menschen und sind rund um die Uhr<br />
erreichbar. Eine Beratung erfolgt kostenlos,<br />
ohne E-Card auch auf Wunsch<br />
anonym. Dieser flexible Zugang soll die<br />
bestmögliche Therapie gewährleisten:<br />
wohnortnah und niederschwellig.<br />
www.psd-wien.at<br />
19
B i p o l a r e S t ö r u n g<br />
Bipolare Störung –<br />
ao. Univ.-Prof. Prim.<br />
Dr. Christian<br />
Simhandl<br />
ÖÄK Psy III, Lehrpraxis<br />
Bahngasse 43, 2700 Wr. Neustadt<br />
Tel.: +43.664.10 35 35 1<br />
E-Mail: psychiatrie@simhandl.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was ist eine bipolare Störung?<br />
Die bipolare Störung ist eine Erkrankung,<br />
bei der sich depressive Episoden<br />
mit manischen bzw. hypomanischen<br />
Phasen abwechseln. Bereits in der Antike<br />
wurden Stim mungsschwankungen<br />
im Zusammen hang mit Melancholie<br />
beschrieben und zahlreiche Persönlichkeiten<br />
der Vergan genheit wie Virginia<br />
Woolf, Vincent van Gogh oder Robert<br />
Schumann waren „himmelhoch jauchzend,<br />
zu Tode betrübt“. Für Menschen<br />
mit bipolarer Störung (auch manisch-depressives<br />
Krankheitsgeschehen genannt)<br />
gleicht das Leben einer Achter bahn, gefangen<br />
im extremen Gefühls spektrum<br />
zwischen grenzenloser Euphorie und<br />
absolutem Tief. Bei der Mehrzahl der<br />
Patienten überwiegen allerdings die depressiven<br />
Phasen. Diese Episoden werden<br />
subjektiv in viel stärkerem Ausmaß mit<br />
Beeinträchtigungen verknüpft als manische<br />
Episoden.<br />
Was sind die Ursachen für<br />
eine bipolare Störung?<br />
Die genauen Ursachen sind immer noch<br />
nicht bekannt. Es gibt lediglich Modellvorstellungen<br />
hinsichtlich vermuteter<br />
Abweichungen im Hirnstoffwechsel,<br />
gesicherte Erkenntnisse liegen jedoch<br />
nur teilweise vor. Wichtig bei einer erstmaligen<br />
manischen oder depressiven<br />
Episode ist der Ausschluss einer organischen<br />
Er kran kung, allen voran einer<br />
Schilddrüsen erkrankung.<br />
Wie viele Menschen leiden<br />
an dieser Krankheit?<br />
In Österreich leiden bei einer engeren<br />
Definition 85.000 bis 170.000 (1–2<br />
Prozent) Menschen an einer bipolaren<br />
Störung, bei diesen Betroffenen dürfte<br />
etwa die Hälfte der Erkrankungen nicht<br />
erkannt sein. Es dauert im Durchschnitt<br />
8 Jahre, nach dem Auftreten der ersten<br />
Symptome, bis die Diagnose gestellt<br />
wird. Unter su chungen der letzten Jahre<br />
haben zudem ergeben, dass 50 Prozent<br />
der Patienten derzeit einen völlig unbefriedigenden<br />
Thera pie erfolg aufweisen.<br />
Vor allem auch leichtere Formen von<br />
Stimmungsschwankungen (400.000–<br />
800.000) sind sehr häufig und werden<br />
oft nicht diagnostiziert und somit auch<br />
nicht behandelt. Die Folge sind zusätzliche<br />
Probleme mit Alkohol und Drogen,<br />
Angster krankungen, Essstörungen und<br />
auch Suizidalität.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als Betroffener,<br />
dass man möglicherweise an einer<br />
bipolaren Störung leidet?<br />
Die bipolare Störung ist eine Erkrankung,<br />
die sich zumeist in jungen Jahren das<br />
erste Mal zeigt. Betroffene beschreiben<br />
ihr Leben als Film, bei dem die Szenen<br />
durcheinandergeraten und in dem sie<br />
nicht mehr Regie führen. Die typische<br />
manische Phase entwickelt sich im Unterschied<br />
<strong>zur</strong> Depression ziemlich schnell.<br />
Innerhalb nur weniger Tage lässt die Manie<br />
Betroffene vor Energie pulsieren und<br />
pusht zu scheinbaren Höchstleistungen.<br />
Man ist rund um die Uhr gehobener Stimmung<br />
und platzt vor Tatendrang oder hat<br />
viele Ideen. Das Rad der Aktivität dreht<br />
sich immerfort, bis es irgendwann stockt<br />
– nicht selten folgt unmittelbar nach der<br />
Manie der Höllensturz in die Depression.<br />
Wenn man bipolar Erkrankte im Nachhinein<br />
nach dem Erkrankungsbeginn fragt,<br />
so berichten rund 73 Prozent, dass ihre<br />
Erkrankung mit einer depressiven Episode<br />
begonnen hat. Bei einem Großteil<br />
der Patienten wurde daher anfangs eine<br />
unipolare Depression behandelt und in<br />
der Diagnostik der Gesamtverlauf nicht<br />
berücksichtigt.<br />
Woran erkennt ein Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender Mensch<br />
vielleicht an einer bipolaren<br />
Störung erkrankt ist?<br />
In den depressiven Phasen ziehen sich<br />
Betroffene meist von ihrer Umwelt<br />
<strong>zur</strong>ück. Soziale Kontakte werden vernachlässigt,<br />
selbst alltägliche Aufgaben<br />
können nicht mehr ausgeführt werden.<br />
In manischen Episoden wirken sich die<br />
Symptome ebenfalls stark auf die Beziehungen<br />
<strong>zur</strong> Umwelt aus. Übliche und<br />
bisher beachtete soziale Normen werden<br />
missachtet, das soziale Verhalten<br />
ist von Distanzlosigkeit geprägt. Manische<br />
Phasen werden subjektiv sogar<br />
als positiv empfunden – man ist „gut<br />
20 INNENWELT
Achterbahn des Gefühls<br />
drauf“ und aktiv. Sehr hilfreich für eine<br />
erfolgreiche Behandlung ist, wenn sich<br />
Angehörige über die Krankheit informieren<br />
und im Idealfall den Betroffenen zu<br />
einem Arztbesuch motivieren können.<br />
Eine unbehandelte manisch-depressive<br />
Krankheit hat fatale Folgen und zerstörerische<br />
Auswirkungen auf das gesamte<br />
Leben der Betroffenen und ihrer Familien:<br />
Durch die in der Manie ohne Urteilsvermögen<br />
verübten Exzesse werden<br />
Beziehungen zerstört und Existenzen in<br />
den Sand gesetzt.<br />
Welche Möglichkeiten<br />
hat der Arzt, eine bipolare Störung<br />
zu diagnostizieren?<br />
Mithilfe moderner Klassifikations systeme<br />
wie ICD-10 und DSM-IV wird die<br />
Diagnose anhand objektivierbarer und<br />
be schreibbarer Kriterien festgelegt. Bei<br />
den ersten Patientenkontakten ist eine<br />
detaillierte Anamnese von großer Bedeutung.<br />
Dazu gehört die präzise Befragung<br />
zu Suchterkrankungen, früheren<br />
Verhal tens auf fälligkeiten oder familiären<br />
Prädis positionen. Es muss gesagt werden,<br />
dass die vorhandenen Diagno sekriterien<br />
nur die schwereren Verlaufs formen erfassen!<br />
In welchem Zusammenhang<br />
stehen bipolare Störungen<br />
mit anderen (psychischen)<br />
Erkrankungen?<br />
Bei Erwachsenen ist Alkohol- und sonstiger<br />
Drogenmissbrauch die häufigste<br />
Komorbidität. Medikamentenmissbrauch<br />
tritt vor allem bei zusätzlichen Angststörungen<br />
und schlecht behandelten<br />
Depressionen auf. Außerdem neigen<br />
bipolar Erkrankte vermehrt zu anderen<br />
körperlichen Erkrankungen, wobei Herz-<br />
Kreislauf-Erkrankungen an erster Stelle<br />
stehen.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie werden bipolare<br />
Störungen behandelt?<br />
In den vergangenen Jahren haben sich<br />
die Behandlungsmöglichkeiten der depressiven<br />
wie manischen Phasen durch<br />
neue Medikamente deutlich verbessert.<br />
Ent scheidend in der Therapie der bipolaren<br />
Erkrankung ist immer die Phasenpro<br />
phylaxe – quasi das „Schutzmittel“<br />
für die Seele dieser Patienten. Voraussetzung<br />
für den Erfolg der Therapie ist der<br />
kontinuierliche Kontakt mit dem behandelnden<br />
Arzt. Eine sinnvolle Phasenprophylaxe<br />
lässt sich nur durch langfristigen<br />
Medikamen ten einsatz, mitunter lebensbegleitend,<br />
erreichen.<br />
Was kann man als<br />
Betroffener selbst gegen<br />
diese Krankheit tun?<br />
Als Betroffener ist es besonders wichtig,<br />
die verordneten Medikamente regelmäßig<br />
einzunehmen, auch wenn man sich<br />
gesund fühlt. Das Absetzen ohne ärztliche<br />
Rücksprache kann einen erneuten<br />
Krankheitsschub auslösen. Auch im Hinblick<br />
auf die Rückfallverhütung ist eine<br />
stabile Beziehung zwischen Arzt und<br />
Patient unerlässlich, um erste Anzeichen<br />
einer erneuten akuten Episode frühzeitig<br />
zu erkennen und gegenzusteuern. Die Beachtung<br />
und Pflege eines regelmäßigen<br />
Tag-Nacht-Rhythmus ist ebenfalls von<br />
großer Bedeutung.<br />
Wie können Angehörige<br />
einem Menschen mit<br />
bipolaren Störungen helfen?<br />
Da die Manie für Betroffene eine Hochphase<br />
der Gefühle bedeutet, weigern<br />
sich diese vor allem in dieser Phase,<br />
freiwillig Medikamente einzunehmen,<br />
die diese Hochphase ja bekämpfen würden.<br />
Nicht selten müssen Angehörige<br />
diese Krankheitsphase „aussitzen“, was<br />
mehrere Wochen dauern und die Beziehung<br />
sehr belasten kann. Kinder und<br />
Jugendliche leiden besonders darunter,<br />
dass Mütter oder Väter in ihren Krankheitsphasen<br />
teilweise oder sogar ganz<br />
bei der Erziehung und im Haushalt ausfallen.<br />
Angehörige sollten auch an sich<br />
selbst denken. Mittlerweile gibt es einige<br />
Selbsthilfegruppen speziell für Angehörige.<br />
Das frühzeitige Reagieren ist<br />
äußerst wichtig. Oft werden die ersten<br />
Anzeichen verniedlicht und nicht ernst<br />
genommen.<br />
Welche Folgen kann eine<br />
un be handelte bipolare Störung haben?<br />
Beziehungen brechen oft auseinander,<br />
Arbeitsplätze gehen verloren, Aus bil dungen<br />
werden abgebrochen, Suchtprobleme<br />
können dazukommen. Der Krankheit ihren<br />
Lauf zu lassen kann tödlich enden:<br />
20–25 Prozent der Betroffenen unternehmen<br />
einen Selbsttötungs ver such, 15<br />
Prozent scheiden durch Suizid aus dem<br />
Leben. Menschen mit bipolaren Störungen<br />
benötigen Hilfe, und zwar frühzeitig!<br />
FAct-Box<br />
Bipolare Störung:<br />
Erkrankung, bei der sich depressive und<br />
manische Episoden abwechseln.<br />
Manisch-depressive Störung:<br />
Ältere Bezeichnung für eine bipolare<br />
Störung.<br />
Depressive Episode:<br />
Mindestens zweiwöchige, zum Teil aber<br />
auch monatelange Phase, in der mehrere<br />
Symp tome der Depression dauerhaft<br />
vorhanden sind.<br />
Manische Episode:<br />
Mindestens eine Woche dauernde Phase<br />
extrem gehobener Stimmung.<br />
Hypomane Episode:<br />
Schwächer ausgeprägte manische Episode.<br />
Zyklothyme Störung:<br />
Zahlreiche hypomane Episoden wechseln<br />
sich mit depressiven Episoden ab.<br />
Die Symptome sind weniger stark ausgeprägt<br />
als bei echten manischen oder<br />
depressiven Episoden.<br />
21
S c h i z o p h r e n i e<br />
Schizophrenie – zwis<br />
22 INNENWELT<br />
Univ.-Prof.<br />
Dr. W. Wolfgang<br />
Fleischhacker<br />
Universitätsklinik für<br />
biologische Psychiatrie<br />
Department für Psychiatrie<br />
und Psychotherapie<br />
Anichstraße 35, 6020 Innsbruck<br />
Tel.: +43.512.5042 3669<br />
E-Mail: wolfgang.fleischhacker@i-med.ac.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was ist Schizophrenie?<br />
Kaum eine psychische Krankheit ist so<br />
sehr mit Mythen und Missverständnissen<br />
belas tet wie die Schizophrenie. So<br />
wird dieses Leiden nach wie vor fälschlicherweise<br />
mit Persönlichkeitsspaltung<br />
gleichgesetzt. Doch die literarischen<br />
„Vor bilder“ Jekyll & Hyde spiegeln in<br />
keiner Weise den Charakter einer Schizophre<br />
nie erkrankung wider. Ebenso weit<br />
verbreitet – und ebenso falsch – ist die<br />
Meinung, Schizophrenie sei unbehandelbar.<br />
Dem ist entgegenzuhalten: Schizophrenie<br />
ist zwar nicht heilbar, aber bei<br />
entsprechender Behandlung können die<br />
Symptome häufig wieder <strong>zur</strong>ückgebildet<br />
werden. Schizo phrenie ist eine psychische<br />
Er krankung, bei der die gesamte<br />
Gefühls welt, die gesamte Persönlichkeit<br />
betroffen ist. Denken, Wahrnehmen,<br />
Fühlen, Kommunikation und Erleben des<br />
Betroffe nen sind gestört – der Patient<br />
baut sich eine eigene, falsche Wirklichkeit<br />
auf. Der Symptomkomplex, mit dem<br />
Schizo phre niepatienten zu kämpfen haben,<br />
lässt sich in drei Gruppen einteilen:<br />
• Wahrnehmungsstörungen:<br />
akustische Sinnestäuschungen, Halluzinationen,<br />
Be dro hungsängste, Verfolgungswahn,<br />
Wahn vorstellungen in Bezug<br />
auf eigene Macht und Fähigkeiten<br />
• Desorganisationssymptome:<br />
Gedächtnis- oder Konzentrationsprobleme,<br />
Unfähig keit, einen Gedanken zu<br />
Ende zu führen, plötzliches Gedankenabreißen<br />
• Antriebsstörungen:<br />
Energieverlust, so zialer Rückzug<br />
Die Ausprägung der Symptome ist von<br />
Patient zu Patient unterschiedlich.<br />
Die falsche Wahrnehmung der Realität<br />
führt mitunter dazu, dass Betroffene<br />
nicht mehr in der Lage sind, ein „normales“,<br />
selbstständiges Leben zu führen. Die<br />
daraus resultierenden sozialen Konsequenzen<br />
wiegen schwer: Die Erkrankten<br />
fallen aus dem Berufsleben heraus, Partnerschaften<br />
und Familien zerbrechen.<br />
Was sind die Ursachen für Schizophrenie?<br />
Die Ersterkrankung tritt meist in der<br />
Übergangsphase zwischen Jugend- und<br />
Erwachsenenalter auf. Der Betroffene<br />
zeigt sich gegenüber Umweltfaktoren<br />
besonders empfindlich und verfügt über<br />
eine verminderte Fähigkeit, mit Stress<br />
umzugehen. Den biologischen Grund<br />
dafür vermutet man in einer Stoffwechselstörung<br />
im Gehirn. Dafür können<br />
auch genetische Faktoren mitverantwortlich<br />
sein. Der Botenstoff Dopamin<br />
wird – nach allem, was man heute weiß –<br />
in Stress situationen übermäßig ausgeschüttet.<br />
Das wiederum führt dazu, dass<br />
das Gehirn mit der Verarbeitung der im<br />
Übermaß übermittelten Informationen<br />
und Reize überfordert ist. Auf der erhöhten<br />
Dopamin pro duktion basiert auch<br />
die medikamentöse Therapie.<br />
Wie viele Menschen leiden<br />
an dieser Krankheit?<br />
0,8 Prozent der Bevölkerung erkranken,<br />
statistisch gesehen, irgendwann in ihrem<br />
Leben an Schizophrenie. Da die Häufigkeit<br />
der Schizophrenie auf der ganzen<br />
Welt etwa gleich ist, wären in Österreich<br />
etwa 80.000 Menschen von dieser Erkrankung<br />
betroffen.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als Betroffener,<br />
dass man möglicherweise<br />
an Schizophrenie leidet?<br />
Viele PatientInnen erkennen, dass sich<br />
bei ihnen etwas verändert hat, dass etwas<br />
„nicht stimmt“. Als psychische Erkrankung<br />
wird es vor allem beim Erstauftreten<br />
selten erkannt. Auch später kann<br />
die Krank heits einsicht oft fehlen.<br />
Woran erkennt ein Angehöriger, dass<br />
ein nahestehender Mensch vielleicht<br />
an Schizophrenie erkrankt ist?<br />
Je früher eine Schizophrenie erkannt<br />
wird, umso besser und effizienter kann<br />
die Erkrankung behandelt werden. Da, wie<br />
zuvor kurz beschrieben, die Betroffenen<br />
nur selten eine Krank heitseinsicht haben,<br />
spielt das nähere Umfeld bei der Früherkennung<br />
eine besonders wichtige Rolle.<br />
Die Frühsymp tome einer möglichen Erkrankung<br />
können recht unterschiedlich<br />
ausfallen. Sie reichen von bizarren Verhaltensweisen<br />
und Vor stellungen über<br />
Konzentrationsprobleme, sozialen Rückzug<br />
bis hin zu manifesten Wahnvorstel-
chen Himmel und Hölle<br />
lungen. Meist registrieren Familie, Freunde<br />
oder Lehrer ein für die betreffende Person<br />
atypisch merkwürdiges Ver hal ten. Damit<br />
dieses richtig gedeutet wird – und der Betroffene<br />
in Folge die richtige Behandlung<br />
erhält –, ist eine gute und umfangreiche<br />
Aufklä rungs arbeit (vor allem an Schulen)<br />
sehr wichtig.<br />
Welche Möglichkeiten hat<br />
der Arzt, Schizophrenie zu<br />
diagnostizieren?<br />
Der praktische Arzt kann nach einer körperlichen<br />
Untersuchung (es gibt körperliche<br />
Erkrankungen, die Schizophreniesymp<br />
tome täuschend ähnlich imitieren<br />
können) und einem Gespräch – sowohl<br />
mit dem Pa tien ten als auch mit ihm nahestehenden<br />
Per so nen – feststellen, ob tatsächlich<br />
eine Schi zophre nieerkrankung<br />
vorliegt oder nicht. Handelt es sich tatsächlich<br />
um Schizo phrenie, so ist unbedingt<br />
ein Psychiater in die Behandlung<br />
miteinzubeziehen.<br />
In welchem Zusammenhang<br />
steht Schizophrenie mit anderen<br />
(psychischen) Erkrankungen?<br />
Es besteht eine Wechselwirkung zwischen<br />
Schizophrenie und Suchterkrankungen.<br />
Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung<br />
sind häufiger nikotin-, alkoholoder<br />
cannabisabhängig. Menschen mit<br />
Schizophrenie zeigen häufig auch depressive<br />
Symptome. Das Suizidrisiko liegt bei<br />
ungefähr 10 Prozent.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie wird Schizophrenie<br />
behandelt?<br />
Schizophrenie ist zwar nicht heilbar, aber<br />
gut behandelbar. In den akuten Krankheits<br />
phasen kann eine stationäre Behandlung<br />
notwendig sein, nach Abklingen<br />
der psychotischen Symptomatik ist<br />
allerdings die ambulante Betreuung in<br />
den allermeisten Fällen ausreichend.<br />
Die Behandlung steht auf drei Säulen:<br />
• Medikamentöse Therapie:<br />
Die eingesetzten Medikamente (sogenannte<br />
Anti psychotika) zielen darauf<br />
ab, die akuten Symptome der Erkrankung<br />
zu behandeln und nach einer<br />
erfolgreichen Therapie ein Wiederaufflackern<br />
der Erkrankung zu verhindern.<br />
Während der akuten Erkran kungs phase<br />
sprechen Wahnideen und Halluzinationen<br />
am besten auf die Be handlung an.<br />
Im Rahmen der vorbeugenden Langzeitbehandlung<br />
kann man bei 80 Prozent<br />
der Schizophreniepatienten Rück fäl le<br />
verhindern. Im vergangenen Jahr zehnt<br />
haben sich Medikamente durchgesetzt,<br />
die ein breiteres Spektrum an Symptomen<br />
behandeln, in Summe weniger<br />
Nebenwirkungen haben und auch von<br />
den Patienten besser akzeptiert werden.<br />
• Psychotherapie:<br />
Auch hier gibt es mehrere Therapieziele:<br />
So kann Psychotherapie unterstützend<br />
<strong>zur</strong> Linderung von Symp tomen beitragen.<br />
Vor allem Ansätze aus der kognitiven<br />
Verhaltenstherapie haben sich<br />
hier als wirksam erwiesen. Zudem hilft<br />
psychotherapeutische Unterstützung,<br />
die Krankheitseinsicht und -bewältigung<br />
zu verbessern.<br />
• Soziotherapie:<br />
Die zielt darauf ab, dem Patienten eine<br />
Wiedereingliederung in die Gesellschaft<br />
zu ermöglichen (z.B. durch Maßnahmen<br />
wie Arbeitstraining oder betreutes<br />
Wohnen). Die sozialen Konsequenzen<br />
einer schizophrenen Erkrankung wiegen<br />
extrem schwer. Im Rahmen einer akuten<br />
Episode kommt es zu massiven Einschnitten<br />
im Sozial leben (Schule, Beruf<br />
und Familie).<br />
Bei etwa 15 Prozent aller Erkrankten<br />
treten nach dem Abklingen einer ersten<br />
Krankheits phase nie wieder schizophrene<br />
Episoden auf, bei weiteren 50 Prozent<br />
treten mehrfach Episoden auf, die aber<br />
relativ leicht wieder in den Griff zu bekommen<br />
sind. Die restlichen Patienten<br />
sprechen selbst auf eine optimale Behandlung<br />
nicht gut an, was zu chronischer<br />
Erkrankung und Behinderung führen kann.<br />
Was kann man als<br />
Betroffener selbst gegen<br />
diese Krankheit tun?<br />
Die Bereitschaft des Kranken, mit seinem<br />
Arzt, seinem Therapeuten zusammenzuarbeiten<br />
ist eine wichtige Voraussetzung<br />
für einen langfristig positiven Verlauf.<br />
Dies gilt nicht nur für die Psy cho therapie,<br />
sondern auch für die medikamentöse Behandlung,<br />
die Soziotherapie und die Rehabilitation.<br />
Wie können Angehörige einem<br />
schizophrenen Menschen helfen?<br />
Freunde und Familie eines Schizo phreniepatienten<br />
sind einem enormen Druck<br />
ausgesetzt. Immer wollen sie dem Betroffenen<br />
helfen, wissen aber meist nicht,<br />
wie. Der Balanceakt zwischen Schonen<br />
und Fordern, den es zu meistern gilt, ist<br />
alles andere als einfach. Das gesellschaftliche<br />
Stigma führt bei den Angehörigen<br />
zudem oft zu falscher Scham, Angst oder<br />
auch Schuldgefühlen.<br />
Wichtige Unterstützung, Hilfe und ausreichende<br />
Information erhält man bei<br />
HPE-Österreich, einem gemeinnützigen,<br />
überparteilichen Zusammenschluss der<br />
Vereine von Angehörigen und Freunden<br />
psychisch Erkrankter. Näheres dazu erfahren<br />
Sie unter www.hpe.at<br />
Welche Folgen kann eine<br />
unbehandelte Schizophrenie haben?<br />
Bei Menschen, die sich nicht konsequent<br />
therapieren lassen, treten die Schizophrenieschübe<br />
oft häufiger und in immer<br />
stärkerer Intensität auf. Dies erhöht<br />
• … die Gefahr der Chronifizierung,<br />
… das Suizidrisiko – 10 Prozent aller<br />
•<br />
Schizophreniepatienten nehmen sich<br />
das Leben, 30–40 Prozent unternehmen<br />
zumindest einmal einen Suizidversuch,<br />
• … die Neigung zu verbaler und tätlicher<br />
Aggression.<br />
• … das Risiko einer körperlichen Erkrankung.<br />
FAct-Box<br />
Schizophrenie ist eine kom plexe, den<br />
ganzen Menschen betreffende Störung<br />
des Fühlens, Denkens, Wollens, Verhaltens<br />
und der Kommu nikation. 0,8 Prozent der<br />
Bevöl kerung sind davon betroffen.<br />
Schizophrenie ist nicht heilbar, aber gut<br />
behandelbar.<br />
23
Demenz –<br />
D e m e n z<br />
24 INNENWELT<br />
ao. Univ.-Prof.<br />
Dr. Josef Marksteiner<br />
Landeskrankenhaus Hall<br />
Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie A<br />
Milser Strasse 10, 6060 Hall<br />
Tel.: +43.5.05 04 33000<br />
E-Mail: josef.marksteiner@tilak.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was ist Demenz?<br />
Unter Demenz (vom lateinischen Ausdruck<br />
„dementia“ für „weg vom Geist“)<br />
versteht man eine fortschreitende Erkrankung<br />
des Gehirns, bei der es zu<br />
einem Abfall der geistigen Leistungsfähigkeit<br />
kommt. Betroffene haben<br />
Schwierigkeiten, neue gedankliche Inhalte<br />
aufzunehmen und wiederzugeben.<br />
Ge dächtnisleistung und Denkvermögen<br />
nehmen sukzessive ab.<br />
Im Frühstadium dieser Hirnleis tungsstörung<br />
sind vor allem Urteils- und Orientierungs<br />
vermögen beeinträchtigt. Später<br />
folgen Sprach- und Rechenstörungen sowie<br />
erste Persönlichkeitsveränderungen.<br />
Mit der Zeit sind die Patienten nicht<br />
mehr in der Lage, ihren Alltag alleine zu<br />
meis tern. Die Persönlichkeitsstörungen<br />
nehmen zu: Die Patienten leiden vermehrt<br />
unter Stim mungs schwankungen,<br />
aggressiven und de pressiven Phasen, was<br />
auch die Angehörigen und Pfleger vor<br />
große Probleme stellt.<br />
Was sind die Ursachen<br />
für Demenz?<br />
Hauptrisikofaktor für eine Demenzerkrankung<br />
ist das Alter. Der höhere Anteil<br />
an weiblichen Patienten kann damit<br />
begründet werden, dass Frauen eine um<br />
einige Jahre höhere Lebenserwartung<br />
haben.<br />
• der bei Weitem häufigste Demenzauslöser<br />
ist die Alzheimer’sche Krankheit.<br />
Bei diesem schweren Leiden hemmen<br />
krankhafte Eiweiße (Beta-Amyloid,<br />
Tau-Protein) die Funktion der Nervenzellen.<br />
Dadurch kommt es in den<br />
Hirnregionen, die für die Merkfähigkeit<br />
verantwortlich sind, zu einem Mangel<br />
an dem nervenzell aktivierenden Botenstoff<br />
Acetylcholin.<br />
• Am zweithäufigsten tritt die gefäßbedingte<br />
(vaskuläre) Demenz auf. Hier führen<br />
Durchblutungsstörungen zu Veränderungen<br />
der Hirnsubstanz und -funktion.<br />
• Daneben kann es bei anderen altersbedingten<br />
Gehirnerkrankungen zu einer<br />
sogenannten sekundären Demenz kommen.<br />
Ein Beispiel dafür ist die „Demenz<br />
mit Lewy-Körperchen“ (resultierend<br />
aus der Lewy-Körperchen-Erkrankung).<br />
Auch bei Parkinsonpatienten können<br />
aufgrund der jahrelangen Medikation<br />
demenzielle Erscheinungen auftreten.<br />
• stoffwechselstörungen und Infektionen<br />
des Gehirns (z. B. Creutzfeldt-Jakob-<br />
Erkrankung) lösen in manchen Fällen<br />
ebenfalls Demenz aus.<br />
Wie viele Menschen leiden<br />
an dieser Krankheit?<br />
Mit der steigenden Lebenserwartung<br />
wird auch Demenz immer häufiger diagnostiziert.<br />
Aktuell sind in Österreich<br />
120.000 bis 160.000 Menschen von dieser<br />
Hirnleistungsstörung betroffen – Tendenz<br />
steigend.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als<br />
Betroffener, dass man<br />
möglicherweise an Demenz leidet?<br />
Die meisten alten Menschen haben Angst<br />
davor, an Demenz zu erkranken. Erste Anzeichen<br />
für diese Hirnleistungsstörung<br />
werden daher gerne verschwiegen bzw.<br />
als „typische Alterserscheinungen“ abgetan.<br />
Das führt in der Regel dazu, dass die<br />
meis ten Betroffenen relativ spät einen<br />
Arzt aufsuchen – und das in vielen Fällen<br />
auf Anraten der Familie.<br />
Woran erkennt ein Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender Mensch<br />
vielleicht an Demenz erkrankt ist?<br />
Enge Familienmitglieder registrieren<br />
meist zuerst einen Abfall der geistigen<br />
Leistungsfähigkeit und Veränderungen in<br />
der Persönlichkeit. Typische Symptome<br />
einer möglichen Demenzerkrankung sind:<br />
• Vergesslichkeit<br />
• Konzentrationsstörungen<br />
• Orientierungslosigkeit<br />
• Sprachstörungen<br />
• eingeschränktes Urteilsvermögen<br />
• Antriebsverlust<br />
Diese Anzeichen können, müssen aber<br />
nicht gleichzeitig auftreten. Liegt der<br />
Verdacht einer Demenzerkrankung vor,<br />
sollte man als Angehöriger gemeinsam<br />
mit dem Betroffenen einen Neurologen<br />
oder Psychiater aufsuchen.
gelöschte Erinnerung<br />
Welche Möglichkeiten<br />
hat der Arzt, eine Demenz<br />
zu diagnos tizieren?<br />
Am Beginn einer ausführlichen Untersuchung<br />
steht das Gespräch mit dem Betroffe<br />
nen und einem nahen Angehörigen.<br />
Bei diesem Erstkontakt ist seitens des<br />
Mediziners große Sensibilität gefragt, da<br />
vielen Patienten erst jetzt bewusst wird,<br />
dass es sich bei ihren Problemen möglicherweise<br />
nicht um „typische Alterserschei<br />
nungen“ handelt, sondern um eine<br />
schwere Erkrankung. Anhand von neuropsychologischen<br />
Tests versucht der<br />
Arzt den Verdacht auf eine Demenz zu<br />
widerlegen bzw. zu bestätigen. In dieser<br />
Phase der Diagno sestellung gilt es, andere<br />
Leiden auszuschließen. So treten z. B.<br />
auch bei einem depressiven Syndrom<br />
Gedächtnisstörungen auf, ohne dass eine<br />
echte Demenz vorliegt.<br />
Hat der Arzt den begründeten Verdacht<br />
auf eine Demenz, wird er weitere<br />
Untersu chun gen anordnen: eine Computer-<br />
oder Kernspintomografie (macht<br />
Veränderun gen der Gehirnstruktur sichtbar)<br />
oder eine Blutuntersuchung (um<br />
Stoffwechsel stö rungen aufzudecken).<br />
Mit hilfe eines Elektro enzephalogramms<br />
(EEG) schätzt der Arzt das Ausmaß der<br />
Hirn funktions verände rungen ein.<br />
In welchem Zusammenhang<br />
steht Demenz mit anderen<br />
(psychischen) Erkrankungen?<br />
Körperliche Begleiterscheinungen: Im<br />
fortgeschrittenen Stadium der Demenz<br />
verlieren die Betroffenen ihre Eigeninitiative.<br />
Sie vernachlässigen z. B. die<br />
Nahrungsaufnahme und verlieren dadurch<br />
stark an Gewicht – was sie anfälliger<br />
für diverse Infektionskrankheiten<br />
macht. Auch motorische Störungen sind<br />
typische Begleiterscheinungen einer<br />
Demenz. Die Patienten werden steifer,<br />
unbeweglicher. In Verbindung mit<br />
einem verminderten Haltereflex steigt<br />
die Sturzgefahr und somit das Risiko von<br />
Knochenbrüchen.<br />
Psychische Begleiterscheinungen: 60–90<br />
Prozent aller Alzheimerkrankten leiden unter<br />
Depressionen, Wahnvorstellungen oder<br />
Halluzinationen. Darauf muss auch in der<br />
Therapie eingegangen werden: Viele Patienten<br />
benötigen sowohl Medikamente gegen<br />
die Demenz als auch Psycho pharmaka.<br />
Im Durchschnitt versterben die Betroffenen<br />
zehn Jahre nach Diagnosestellung,<br />
wobei nicht die Demenz die Todesursache<br />
ist, sondern die durch diese Hirnleis<br />
tungsstörung begünstigten Erkrankungen.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie wird Demenz behandelt?<br />
Bei der Alzheimer- und bei der vaskulären<br />
Demenz ist (noch) keine Heilung möglich,<br />
jedoch kann durch eine konsequente<br />
Therapie der Hirnabbau verlangsamt bzw.<br />
aufgehalten werden.<br />
Medikamentöse Therapie: Welche Wirkstoffe<br />
zum Einsatz kommen, hängt primär<br />
davon ab, wie fortgeschritten die Erkrankung<br />
bereits ist. Grundsätzlich gilt: Je<br />
früher man mit der Behandlung anfängt,<br />
umso effizienter können die Symptome<br />
der Demenz therapiert werden. Im Frühstadium<br />
einer Alzheimer-Demenz ist z. B.<br />
der Einsatz von Acetylcholinesterase-<br />
Hemmern sinnvoll. Diese Präparate erhöhen<br />
die Verfügbarkeit des Signalstoffs<br />
Acetylcholin. Bei einer mittelschweren<br />
bis schweren Demenz zeigen NMDA-<br />
Antagonisten wie Memantin die besten<br />
Erfolge. Sie verhindern die Nervenüberreizung<br />
durch den Botenstoff Glutamat.<br />
Hirnleistungstraining: stellt die zweite<br />
wichtige Säule der Demenztherapie dar.<br />
Verschiedene Gedächtnisübungen („Gehirn<br />
jogging“) und alltagsrelevante Trainings<br />
erhalten bzw. steigern die geistige<br />
Leistungsfähigkeit.<br />
Was kann ein Betroffener selbst<br />
gegen diese Krankheit tun?<br />
Einigen Formen der Demenzerkrankungen<br />
(z. B. vaskuläre Demenz) kann durch<br />
eine gesunde Lebensweise – ausgewogene<br />
Ernährung, Ausdauersport – vorgebeugt<br />
werden. Gegen das Auftreten<br />
einer Alzheimererkrankung ist man als<br />
Be troffener noch machtlos.<br />
Wie können Angehörige einem<br />
Menschen mit Demenz helfen?<br />
• seien Sie geduldig! Durch Ungeduld<br />
gibt man der betroffenen Person das<br />
Gefühl, etwas falsch gemacht zu<br />
haben – das führt zu Traurigkeit, Scham<br />
und Frustration.<br />
• Führen Sie sich immer wieder vor Augen,<br />
dass der Betroffene nur über eine<br />
verminderte Hirnleistung verfügt.<br />
Überfordern Sie den Patienten daher<br />
nicht mit verbindlichen Vereinbarungen<br />
und prüfenden Fragen.<br />
• nahrung fürs Hirn: Achten Sie auf eine<br />
ausgewogene, vitamin- und fischölreiche<br />
Ernährung mit reichlich Flüssigkeit.<br />
• geben Sie dem Betroffenen Orientierungshilfen,<br />
z. B. durch einen gut strukturierten<br />
Tagesablauf, Uhren und Kalender.<br />
• die Pflege dementer Menschen erfordert<br />
viel psychische und physische<br />
Kraft. Scheuen Sie sich nicht davor, Hilfe<br />
anzunehmen.<br />
Welche Folgen kann eine<br />
unbehandelte Demenz haben?<br />
Auch wenn die Demenz heute noch nicht<br />
heilbar ist, so trägt eine konsequente<br />
Therapie doch viel dazu bei, die Lebensqualität<br />
Betroffener länger zu erhalten.<br />
Ohne Behandlung nimmt man einen<br />
schnelleren Verlauf – und damit einen<br />
rasanteren Verfall der Hirnleistung – in<br />
Kauf.<br />
FAct-Box<br />
Unter Demenz versteht man eine Hirnleistungsstörung,<br />
bei der es zum stetigen<br />
Verfall der Gedächtnis- und Merkleistung<br />
kommt. Da der Anteil alter<br />
Menschen in der Gesamtbevölkerung<br />
zunimmt, werden auch Demenzerkrankungen<br />
in Zukunft vermehrt auftreten.<br />
Meist ist eine Alzheimererkrankung der<br />
Auslöser.<br />
25
S u c h t e r k r a n k u n g<br />
Suchterkrankung –<br />
26 INNENWELT<br />
Prim. Univ.-PROF.<br />
Dr. Christian Haring<br />
Landeskrankenhaus Hall<br />
Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie B<br />
Milser Strasse 10, 6060 Hall<br />
Tel.: +43.5.05 04 32030<br />
E-Mail: christian.haring@tilak.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was ist eine Suchterkrankung?<br />
Sucht ist eine schwere Krankheit und<br />
keine Charakterschwäche. Dies zu betonen<br />
ist äußerst wichtig, denn oft werden<br />
Süchte nicht ernst genommen, als<br />
Charakterschwäche oder moralisches<br />
Fehlverhalten angesehen. Wer süchtig<br />
ist, egal ob nach Drogen, Alkohol oder<br />
Casino, der ist krank und benötigt eine<br />
professionelle Behandlung.<br />
Generell unterscheidet man stoffgebundene<br />
und stoffungebundene Süchte.<br />
Unter stoffgebundener Sucht wird die<br />
Ab hängigkeit von Substanzen (Alkohol,<br />
Nikotin, Heroin) verstanden, bei der<br />
stoffungebundenen Sucht leiden Betroffene<br />
unter einem nicht kontrollierbaren<br />
Verlangen nach exzessivem Verhalten.<br />
Essstörungen und Glücksspielsucht zählen<br />
ebenso dazu wie Arbeitssucht, Internet<br />
sucht, Sexsucht oder Kaufsucht.<br />
Was sind die Ursachen für<br />
eine Suchterkrankung?<br />
Eine Suchterkrankung ist nicht ein Krankheitsbild<br />
mit einer einzigen Ursache.<br />
Vielmehr haben wir es hier mit einer<br />
komplizierten Wechselwirkung zwischen<br />
umweltbedingt gelernten und genetischen<br />
Faktoren zu tun. In vielen Fällen<br />
haben Suchtkranke eine biologische<br />
Veranlagung, aber erst durch soziale<br />
Lebensumstände oder Schicksalsschläge<br />
kommt die Krankheit zum Ausbruch. Mithilfe<br />
einer Substanz oder einer Verhaltensweise<br />
mit Suchtpotenzial versucht<br />
der Betroffene, diesen Problemen zu entfliehen.<br />
Wie viele Menschen leiden an<br />
einer Suchterkrankung?<br />
Nach aktuellen Berechnungen des Anton-<br />
Proksch-Instituts sind 20 Prozent der österreichischen<br />
Bevölkerung über 16 Jahre<br />
suchtkrank – das sind 1,4 Millionen Menschen!<br />
Suchtkrankheit ist demnach alles<br />
andere als ein Randgruppenproblem.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als Betroffener, dass<br />
man möglicherweise süchtig ist?<br />
Das ist von Sucht zu Sucht verschieden.<br />
Ein allgemeines Kriterium ist der Kontrollverlust.<br />
Der Betroffene kann die<br />
Sucht nicht mehr steuern, handelt gegen<br />
eigenes besseres Wissen und gute Vorsätze.<br />
Wesentliche Merkmale einer Abhängigkeitserkrankung<br />
sind weiters psychische<br />
Entzugserscheinungen und eine<br />
laufend notwendige Dosiserhöhung. Bei<br />
stoffgebundenen Süchten kommen noch<br />
schwere Entzugserscheinungen hinzu.<br />
Für alle Suchtformen gilt: Dreht sich der<br />
ganze Tagesablauf um die Sucht und wird<br />
das Verlangen nach der Droge (ob Alkohol<br />
oder Internet) zum zentralen Le bensthema,<br />
dann liegt eine Abhängigkeit vor.<br />
Woran erkennt man, dass ein<br />
nahestehender Mensch an einer Suchterkrankung<br />
leidet?<br />
Das ist oft gar nicht so einfach, da Betroffene<br />
dazu neigen, die Sucht zu bagatellisieren<br />
oder zu verschleiern. Die<br />
Entwicklung einer Abhängigkeit verläuft<br />
schleichend über Jahre vom häufigen<br />
Missbrauch bis hin <strong>zur</strong> Sucht. In Phasen,<br />
in denen die Sucht nicht so ausgeprägt<br />
scheint, können Betroffene ihren Angehörigen<br />
meist sehr glaubhaft versichern,<br />
es sei „alles in Ordnung“. Ans Licht geholt<br />
wird die Sucht nicht selten erst<br />
durch Folge- und Begleitprobleme des<br />
Betroffenen – etwa durch den Verlust<br />
des Arbeitsplatzes durch Alkohol oder<br />
wirtschaftliche Not, weil der Ehemann<br />
spielsüchtig ist.<br />
Welche Möglichkeiten<br />
hat der Arzt, eine Suchterkrankung<br />
zu diagnostizieren?<br />
Wie erwähnt versteht man unter dem<br />
Schlagwort „Sucht“ ein komplexes<br />
Krankheitsbild, dementsprechend umfassend<br />
ist die Anamnese. Auch deshalb,<br />
weil eine Suchterkrankung selten allein<br />
kommt, sondern Betroffene zusätzliche<br />
psychische Erkrankungen (Depression,<br />
Angst etc.) aufweisen, die diagnostiziert<br />
und behandelt werden müssen. Meist<br />
ist neben der Sucht, auf die das Hauptaugenmerk<br />
fällt, auch nach anderen<br />
Formen der Abhängigkeit zu fahnden.<br />
Beispielweise sind Alkohol- und Nikotinsucht<br />
in den meisten Fällen aneinandergekoppelt,<br />
die Kombination Spielsucht/Alkoholsucht<br />
ist ebenfalls häufig<br />
zu finden. Bei der Anamnese werden alle
Flucht aus der Realität<br />
Informationen und Fakten gesammelt,<br />
die eine fundierte Diagnostik ermöglichen.<br />
Im Mittelpunkt stehen hier ausführliche<br />
therapeutische Gespräche mit<br />
dem Sucht erkrankten. Ziel unseres Instituts<br />
ist generell eine dimensionale Diagnostik<br />
im Sinne einer „Human-based<br />
Medicine“, die den Patienten dort abholt,<br />
wo er sich gerade befindet und ihn nicht<br />
in Kategorien einordnet.<br />
In welchem Zusammenhang<br />
steht Sucht mit anderen<br />
(psychischen) Erkrankungen?<br />
Rund die Hälfte der Suchtpatienten<br />
leidet unter weiteren psychischen Störungen.<br />
Die häufigsten sogenannten<br />
Komorbiditätsstörungen sind Angststörungen<br />
und depressive Erkrankungen.<br />
Die Kombination Sucht und seelisches<br />
Leid ist ein Problem für sich: Man trinkt<br />
etwa zu viel, weil man sich in einer ausweglosen<br />
Situation glaubt. Der Alkohol<br />
wiederum ist eine Substanz, welche Depressionen<br />
verstärkt – ein unheilvoller<br />
Kreislauf setzt sich in Gang.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie wird eine<br />
Suchterkrankung behandelt?<br />
Handelt es sich um eine stoffgebundene<br />
Suchterkrankung (Alkohol, Drogen), dann<br />
geht es zunächst um den Entzug von<br />
der Droge. Der Körper wird, vereinfacht<br />
gesagt, entgiftet. Eine Behandlung, die<br />
unbedingt in professionelle Hände gehört,<br />
da es dabei zu lebensbedrohlichen<br />
Gegenreaktionen des Organismus kommen<br />
kann. Medikamentöse Unterstützung<br />
lindert hier die körperlichen und<br />
psychischen Entzugserscheinungen. Der<br />
Entzug ist ein großer Schritt für den Betroffenen<br />
– aber nur ein kleiner, um ein<br />
neues Leben ohne Sucht zu beginnen.<br />
Ziel der Therapie muss es auch sein, die<br />
unstillbare Gier und das Verlangen nach<br />
dem Suchtstoff oder dem exzessiven<br />
Verhalten zu bekämpfen. Begleitende<br />
Psychotherapie hilft dem Patienten, neue<br />
Perspektiven zu entwi ckeln. Abstinenz,<br />
also das Stoppen des Suchtverhaltens,<br />
ist zweifelsohne wichtig. In erster Linie<br />
muss der Betroffene aber wieder Herr<br />
über seine Zukunft werden. Damit das<br />
gelingt, braucht es eine Therapie, in der<br />
das Vertrauen zu sich selbst wieder aufgebaut<br />
werden kann.<br />
Was kann man als Betroffener selbst<br />
gegen diese Krankheit tun?<br />
Der erste Schritt ist zugleich der schwierigste:<br />
sich einzugestehen, dass man sein<br />
Leben nicht mehr im Griff hat, weil die<br />
Gier nach dem Suchtstoff dominiert –<br />
und qualifizierte Hilfe in Anspruch zu<br />
nehmen.<br />
Wie können Angehörige einem<br />
süchtigen Menschen helfen?<br />
Ein Entzug und der Prozess danach lassen<br />
sich mit emotionaler Rückendeckung<br />
leichter bewältigen. Angehörige können<br />
für Stabilität sorgen und dem Alltag des<br />
Betroffenen Struktur geben. Fatal wäre<br />
es jedoch, die eigenen Interessen und<br />
Ziele dabei aus den Augen zu verlieren<br />
oder gar in eine so genannte Co-Abhängigkeit<br />
zu schlittern. Als sehr nützlich haben<br />
sich Selbsthilfegruppen für Angehörige<br />
erwiesen, wo in einem geschützten<br />
Rahmen Begegnung mit Gleichgesinnten<br />
möglich ist.<br />
Welche Folgen kann eine<br />
unbehandelte Sucht haben?<br />
Sucht verändert einen Menschen von<br />
Grund auf. Suchtkranke verlieren oft ihre<br />
sozialen Kontakte, Freunde wenden sich<br />
ab, Ehen zerbrechen. Hinzu kommen wirtschaftliche<br />
Schwierigkeiten, Pro b leme im<br />
Job oder gar Arbeitslosigkeit. Davon abgesehen<br />
ist jede Suchtform eine große<br />
Belastung für den Körper, die Gesundheit<br />
leidet. Aus eigener Kraft schaffen es die<br />
wenigsten, die Sucht hinter sich zu lassen.<br />
Wer sich helfen lässt, zeigt schon ein<br />
hohes Maß an Selbst verantwortung.<br />
FAct-Box<br />
Die Suchterkrankung ist ein komplexes<br />
Krankheitsbild. Generell unterscheidet<br />
man stoffgebundene Sucht (Alkohol,<br />
Nikotin, Drogen etc.) und stoffungebundene<br />
Sucht (Essstörungen,<br />
Glücksspielsucht, Arbeitssucht, Internetsucht,<br />
Sexsucht oder Kauf sucht). 20 Prozent<br />
der österreichischen Bevölkerung<br />
über 16 Jahre gelten als suchtkrank.<br />
27
A l k o h o l i s m u s<br />
Alkohol – Gesel<br />
28 INNENWELT<br />
Prim. Univ.-Prof.<br />
Dr. Michael Musalek<br />
Anton-Proksch-Institut<br />
Mackgasse 7-11, 1237 Wien<br />
Tel.: +43.1.880 10 811<br />
E-Mail: musalek@api.or.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was bedeutet alkoholkrank?<br />
Alkoholkrank bedeutet, dass ein Mensch<br />
seelisch und körperlich von Alkohol abhängig<br />
ist. Die körperliche Abhängigkeit<br />
äußert sich durch physische Ent zugssymptome<br />
in Trinkpausen, die seelische<br />
Abhängigkeit durch das zwingende Verlangen<br />
nach weiterem Alkoholkonsum.<br />
Im fortgeschrittenen Stadium kreisen<br />
alle Gedanken des Betroffenen um den<br />
Konsum alkoholischer Getränke, soziale<br />
Kontakte und Interessen werden vernachlässigt,<br />
körperlicher und psychischer<br />
Zustand verschlechtern sich rapide. Es ist<br />
wichtig, die Alkoholkrankheit als eigenständiges<br />
Krankheitsbild abzugrenzen,<br />
ernst zu nehmen und zu behandeln.<br />
Was sind die Ursachen<br />
für eine Alkoholkrankheit?<br />
Das Suchtmittel Nummer eins unserer<br />
Gesellschaft ist nun einmal der Alkohol.<br />
Es besteht ein gesellschaftlicher Druck,<br />
bei gewissen Anlässen ein Glas Sekt oder<br />
auch „ein Schnapserl“ zu konsumieren.<br />
Fatal für jene Menschen, die Alkohol als<br />
scheinbar probate Lösung für Probleme<br />
ansehen. Die Gründe, warum manche<br />
Menschen abhängig werden und andere<br />
nicht, sind nicht gänzlich geklärt. Eine<br />
klar definierte Suchtpersönlichkeit gibt<br />
es nicht. Neben körperlichen Voraussetzungen<br />
spielen sowohl Persönlichkeitsals<br />
auch tiefenpsychologische Faktoren<br />
eine Rolle. Auch die sozialen Umstände<br />
sind maßgebend. Gilt im Umfeld erhöhter<br />
Alkoholkonsum als normal, begüns tigt<br />
dies das Risiko einer Alkoholkrankheit.<br />
So ist die Wahrscheinlichkeit, selbst eine<br />
Abhängigkeit zu entwickeln, bei Kindern<br />
alkoholabhängiger Elternteile dreimal<br />
höher als bei Kindern nicht abhängiger<br />
Eltern.<br />
Wie viele Menschen leiden<br />
an dieser Krankheit?<br />
Laut dem Fonds Gesundes Österreich<br />
konsumieren knapp 900.000 Österreicher<br />
Alkohol in einem gesundheitsschädlichem<br />
Ausmaß. Etwa 8.000 sterben pro<br />
Jahr an den Folgen. Dramatisch: Immer<br />
Jüngere trinken immer mehr. Während<br />
das Einstiegsalter etwa vor 20 Jahren<br />
zwischen 14 und 16 Jahren lag, greifen<br />
heute bereits die 12- bis 13-Jährigen <strong>zur</strong><br />
Flasche. Der jüngsten WHO-Studie zufolge<br />
konsumieren in der Alters gruppe der<br />
15-Jährigen 33,1 Prozent der Mädchen<br />
und 35,9 Prozent der Burschen regelmäßig<br />
alkoholische Getränke.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als Betroffener, dass<br />
man möglicherweise süchtig ist?<br />
Die folgenden Kriterien können auf einen<br />
problematischen Umgang mit Alkohol<br />
oder eine Alkoholkrankheit hinweisen:<br />
• sie verspüren den starken Wunsch, Alkohol<br />
zu trinken.<br />
• sie sind nicht mehr in der Lage, die<br />
Menge des Alkoholkonsums vernünftig<br />
zu steuern.<br />
• Sie setzen Alkohol als „Medikament“<br />
ein, etwa um sich zu beruhigen oder in<br />
sozialen Situationen zu bestehen.<br />
• nach Absetzen oder Einschränken des<br />
Al ko holkonsums treten körperliche Beschwerden<br />
auf.<br />
• sie benötigen immer mehr Alkohol, um<br />
die ursprüngliche Wirkung zu erreichen.<br />
• sie gehen Ihren Interessen nicht mehr<br />
nach oder wirken mit der Zeit ungepflegt.<br />
• sie trinken, obwohl ärztliche Untersuchungen<br />
eindeutig ergeben haben, dass<br />
Ihre Gesundheit in Gefahr ist.<br />
• sie sind während der Arbeitszeit oder<br />
auch im Straßenverkehr alkoholisiert.<br />
• sie trinken weiter, obwohl Sie Probleme<br />
in der Familie haben oder Gefahr laufen,<br />
Ihren Arbeitsplatz zu verlieren.<br />
Woran erkennt ein Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender Mensch<br />
vielleicht an Alkoholkrankheit leidet?<br />
Chronischer Alkoholabhängigkeit geht<br />
meist mit psychischen und sozialen Problemen<br />
einher:<br />
• familiäre Probleme<br />
• Probleme am Arbeitsplatz<br />
• erhöhte Verletzungsgefahr<br />
• Verlust des Führerscheins<br />
• Rückzug des Freundeskreises
lschaftsdroge Nr. 1<br />
Ob ein Angehöriger möglicherweise alkoholkrank<br />
ist, lässt sich auch an anderen<br />
typischen Symptomen erkennen. Dazu<br />
zählen Rotfärbung der Haut, deutlich<br />
hervortretende Äderchen im Gesicht<br />
und am Oberkörper, Zittern, Sprachstörungen<br />
oder starke Unruhe.<br />
Welche Möglichkeiten hat<br />
der Arzt, eine Alkoholkrankheit zu<br />
diagnostizieren?<br />
Die Diagnose der Alkoholkrankheit ist nicht<br />
einfach zu stellen. Betroffene spielen ihr<br />
Problem zumeist herunter und akzeptieren<br />
ihre Krankheit nicht. Der Arzt ist daher oft<br />
auf Angaben von Angehörigen sowie auf<br />
Laboruntersuchungen angewiesen. Wichti<br />
ges Kriterium ist dabei der Eiweißstoff<br />
„Car bohydrat De fizientes Transferrin“<br />
(CDT). Der CDT-Wert ist erhöht, wenn über<br />
7 Tage jeweils mehr als 50–60 Gramm Alkohol<br />
aufgenommen wurden. Der Grenzwert,<br />
ab dem mit Sicherheit Schädigungen<br />
eintreten, liegt für Männer bei 60 Gramm<br />
und für Fra u en bei 40 Gramm Alkohol täglich.<br />
Doch Vorsicht: die Grenzwerte allein<br />
sind nicht ausschlaggebend. Auch wer viel<br />
weniger trinkt, dies jedoch regelmäßig und<br />
aus einem starken inneren Verlangen heraus<br />
tut, gilt als gefährdet!<br />
In welchem Zusammenhang<br />
steht die Alkoholkrankheit mit<br />
anderen (psychischen) Erkrankungen?<br />
Bei vielen Alkoholkranken besteht ein<br />
enger Zusammenhang mit De pressionen:<br />
Das Vorliegen einer Depression<br />
erhöht das Risiko einer Alkoholkrankheit<br />
um das mindestens Zwei- bis<br />
Dreifache, umgekehrt leiden bis zu<br />
75 Prozent der Al ko hol kranken unter<br />
depressiven Symp tomen. Oft leiden<br />
Alkoholkranke auch unter Angststörungen<br />
und sehen im „Freund Alkohol“,<br />
da dieser stimmungsaufhellend und<br />
angstlösend wirkt, einen Ausweg. Auch<br />
Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit und<br />
Konzentrations störungen gehen mit der<br />
Sucht einher. Organe, die durch eine Alkoholkrankheit<br />
nachhaltig geschädigt<br />
werden können, sind vor allem Leber,<br />
Bauchspeichel drüse und Magen. Darüber<br />
hinaus kann die Erkrankung zu einer<br />
Schädigung der Nervenbahnen führen,<br />
Muskelschwäche oder -krämpfe sowie<br />
Nervenschmerzen sind die Folge.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie wird die Alkoholkrankheit<br />
behandelt?<br />
Die Therapie erfolgt in drei Stufen: In<br />
einer ersten Phase, der Motivationsphase,<br />
muss der Betroffene verstehen, dass<br />
er krank ist und Hilfe benötigt. Die zweite<br />
Phase ist die Entgiftungsphase, der eigentliche<br />
Alkoholentzug. Die Entgiftung<br />
wird ambulant oder stationär im Krankenhaus<br />
durchgeführt. Die dritte Phase<br />
der Therapie heißt Entwöhnungsphase.<br />
Im Rahmen einer psychotherapeutischen<br />
Betreuung muss sich der Patient an das<br />
Leben ohne Alkohol gewöhnen und neue<br />
Perspektiven gewinnen.<br />
Ist es unverzichtbar, dass der Betroffene<br />
nie wieder einen Tropfen Alkohol<br />
trinkt – also absolut abstinent bleibt?<br />
Rasche und vollkommene Abstinenz gilt<br />
nach wie vor als oberstes Therapieziel.<br />
Den modernen Weg sehen wir darin,<br />
dem Patienten wieder zu einem sinnerfüllten,<br />
freudvollen Leben zu verhelfen.<br />
Wer kraft der Therapie lernt, zum Leben<br />
„Ja“ zu sagen, dem fällt es auch leichter,<br />
auf Alkohol zu verzichten. Das erfordert<br />
im Wortsinn ein neues Selbst-Bewusstsein,<br />
welches wir den Betroffenen vermitteln<br />
möchten. Gelingt dies, sind die<br />
Chancen, von dem gewohnheitsmäßigen<br />
Griff <strong>zur</strong> Flasche weg zu kommen, vielversprechend.<br />
Was ist, wenn der Betroffen immer<br />
wieder Rückfälle erleidet?<br />
Dies kommt leider häufig vor. Wichtig ist<br />
in diesen Fällen, sind sich internationale<br />
Experten einig, die Motivationsarbeit<br />
und die Wahl eines realistischen, gemeinsam<br />
erarbeiteten Therapieziels - z.B, den<br />
Alkoholkonsum langsam zu reduzieren.<br />
Medikamente, die in den Stoffwechsel<br />
des Gehirns eingreifen und dort den Belohnungsmechanismus<br />
dämpfen, können<br />
dabei unterstützend wirken.<br />
Was kann man als Betroffener selbst<br />
gegen diese Krankheit tun?<br />
Wichtig für Betroffene ist zu verstehen:<br />
Abhängigkeit vom Alkohol ist kein abartiges<br />
Verhalten sondern eine Krankheit.<br />
Ähnlich wie Bluthochdruck oder Diabetes<br />
– auch diese Krankheiten sind nicht mit<br />
gutem Willen sondern nur durch Therapie<br />
heilbar. Zum Glück steht Alkoholabhängigen<br />
in Österreich mittlerweile ein<br />
breites therapeutisches Angebot <strong>zur</strong> Verfügung,<br />
das sie in jeder Phase der Sucht<br />
„auffängt“. Unser Appell an Betroffene:<br />
Bitte nutzen Sie diese Einrichtungen<br />
auch!<br />
Wie können Angehörige einem alkoholkranken<br />
Menschen helfen?<br />
Angehörige von alkoholkranken Menschen<br />
befinden sich in einer schwierigen<br />
Situation: zerrissen zwischen der Loyalität<br />
dem Betroffenen gegenüber, dem<br />
Wunsch, die Krankheit gegebenenfalls<br />
auch zu verheimlichen, und der Bürde,<br />
die Alkoholsucht mittragen zu müssen.<br />
Hinzu kommt: Häufig wollen Angehörige<br />
zwar, dass der Süchtige die Sucht<br />
aufgibt, unterstützen jedoch unbewusst<br />
das Suchtverhalten, indem sie den Betroffenen<br />
beschützen oder aber kontrollieren.<br />
Ein solches Verhalten nennt man<br />
Co-Abhängigkeit; vergleichbar ist diese<br />
Dynamik mit Rädchen, die ineinandergreifen.<br />
Eine Therapie kann An gehörigen<br />
verständlich machen, welche Rolle sie im<br />
System der Abhängigkeit spielen.<br />
Welche Folgen kann die unbehan delte<br />
Alkoholkrankheit haben?<br />
Ohne Therapie ist die durchschnittliche<br />
Lebenserwartung eines Alkoholabhängigen<br />
um zwölf Jahre vermindert.<br />
Häufigste Todes ur sa chen sind Suizid,<br />
Unfälle, Herzer krankungen und Krebserkrankungen.<br />
Ein Hauptproblem in der Behandlung<br />
der Alkoholkrankheit ist, dass<br />
diese Erkrankung in den meisten Fällen<br />
erst relativ spät erkannt wird. Je kürzer<br />
das Bestehen der Suchterkrankung, desto<br />
besser ist jedoch die Prognose. Wichtig<br />
ist daher die Früherkennung von Alkoholmissbrauch<br />
und Alkoholsucht!<br />
29
S c h l a f s t ö r u n g e n<br />
Schlafstörungen –<br />
Univ.-Prof.<br />
Dr. Bernd Saletu<br />
Universitätsklinik für Psychiatrie<br />
und Psychotherapie in Wien<br />
Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien<br />
Tel.: +43.1.40400 3637<br />
E-Mail: bernd.saletu@meduniwien.ac.at<br />
Schlaflabor im Rudolfinerhaus<br />
Billrothstraße 78, 1190 Wien<br />
www.schlaflabor-saletu.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was sind Schlafstörungen?<br />
Wenn wir von Schlafstörungen sprechen,<br />
verstehen wir darunter laut WHO eine<br />
Vielzahl von unterschiedlichsten Abweichungen<br />
des Schlafes von der Norm. Das<br />
betrifft sowohl seine Quantität, Qualität<br />
und zeitliche Einbettung in den 24-Stunden<br />
Schlaf-Wach-Rhythmus als auch<br />
seine Erholungswerte sowie die Befindlichkeit<br />
und Leistungsfähigkeit am nächsten<br />
Tag. Die internationale Klassifikation<br />
von Schlafstörungen (ICSD-1), welche neben<br />
klinischen Kriterien auch Schlaflaborbefunde<br />
berücksichtigt, unterscheidet<br />
über 88 (!) verschiedene Schlafstörungen.<br />
Die gerade aktualisierte ICSD-2 kennt sogar<br />
über 100 Schlafstörungen.<br />
Die übliche Schlafdauer liegt bei den<br />
meisten erwachsenen ÖsterreicherInnen<br />
(63 Prozent) übrigens zwischen 7 und 8<br />
Stunden. 17 Prozent kommen mit 6 Stunden<br />
aus und 9 Prozent brauchen 9 Stunden<br />
Schlaf. Ausnahmen bestätigen dabei<br />
die Regel: Wie man weiß, kam Napoleon<br />
mit nur 4 Stunden Schlaf aus. Und auch<br />
in Österreich brauchen 6 Prozent der Erwachsenen<br />
nur 5 Stunden Schlaf; etwa 3<br />
Prozent benötigen dafür 10 Stunden.<br />
Was sind die Ursachen<br />
für Schlafstörungen?<br />
Gemäß WHO unterscheidet man nicht-organische<br />
und organische Schlafstörun gen. Ein<br />
Drittel der Schlafstörungen sind organisch,<br />
also körperlich bedingt (z. B. hervorgerufen<br />
durch schlafbezogene Atmungsstörungen<br />
wie Schnarchen oder Apnoe). Zwei Dritteln<br />
liegen nicht-organische (emotionale) Ursachen<br />
zugrunde. Bei den nicht-organischen<br />
Schlafstörun gen sind in 41 Prozent der Fälle<br />
Angststörungen, Belas tungs- und Anpassungsstörungen<br />
an widrige Lebensumstände<br />
die Ursache. Bei 31 Prozent sind es affektive<br />
Störungen (z.B. Depre ssion, Dysthymie)<br />
und in etwa 15 Prozent der Fälle rauben<br />
substanzinduzierte Störungen (Alkohol-,<br />
Drogen- und Medikamenten missbrauch<br />
oder -abhängigkeit) den Schlaf. Die ICSD-1<br />
wiederum gliedert die Ur sachen für Schlafstörungen<br />
im Wesen tlichen in folgende 3<br />
Gruppen:<br />
1. Dyssomnien<br />
Bei Dyssomnien ist der Schlaf hinsichtlich<br />
Dauer, Qualität oder Ablauf beeinträchtigt.<br />
Dabei unterscheidet man einerseits<br />
intrinsische Schlafstörungen (Störungen<br />
von innen) wie z. B. die primäre Insomnie<br />
(erlernte Schlaflosigkeit ohne Begleiterkran<br />
kungen), die Narkolepsie (zu viel<br />
Schlaf), die Schlafapnoe (Atemaussetzer)<br />
oder das Restless-Legs-Syndrom (RLS)<br />
(Bewegungsdrang durch Missempfindungen<br />
in den Beinen, die hauptsächlich im<br />
Ruhezustand und am Abend auftreten).<br />
Und andererseits extrinsische Schlafstörungen<br />
(Stö run gen von außen), z. B.<br />
mangelnde Schlaf hygiene und umweltbedingte<br />
oder medikamenteninduzierte<br />
Schlafstörungen.<br />
Daneben gibt es noch Störungen des<br />
Schlaf-Wach-Rhythmus, z. B. bei Schichtarbeitern<br />
oder das Jetlag-Syndrom.<br />
2. Parasomnien<br />
Parasomnien sind Funktionsstörungen<br />
oder abnorme Episoden, die während<br />
des Schlafes auftreten. Dazu zählen z. B.<br />
Schlaf wandeln, Pavor nocturnus (nächtlicher<br />
Aufschrei, Schlafangst), Albtraum<br />
oder auch Zähneknirschen und Bettnässen.<br />
3. Schlafstörungen, die durch psychische,<br />
neurologische und andere körperliche Erkrankungen<br />
hervorgerufen werden.<br />
Wie viele Menschen<br />
leiden an Schlafstörugen?<br />
25 Prozent der ÖsterreicherInnen leiden<br />
an Schlafstörungen – 80 Prozent der<br />
Menschen mit Schlafstörungen länger<br />
als 1 Jahr, 50 Prozent länger als 5 Jahre.<br />
Dennoch sprechen nur 35 Prozent der<br />
Schlafgestörten mit ihrem Arzt über ihre<br />
Probleme!<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als Betroffener,<br />
dass man möglicherweise<br />
an Schlafstörungen leidet?<br />
Schlafstörungen äußern sich oft in Beschwerden,<br />
die Betroffene gar nicht<br />
unbedingt mit gestörter Nachtruhe in<br />
Zusammenhang bringen. Man hat das<br />
Gefühl, geschlafen zu haben, fühlt sich<br />
tagsüber jedoch abgespannt und müde.<br />
Patienten mit Schlafstörungen klagen<br />
häufig darüber, nicht einschlafen zu können,<br />
nachts immer wieder aufzuwachen<br />
und dann länger wach zu liegen. Nächt-<br />
30 INNENWELT
durchwachte Nächte<br />
liches Schwitzen oder der häufige Gang<br />
<strong>zur</strong> Toilette beeinträchtigen den Schlaf.<br />
Kopfschmerzen und Verspannun gen im<br />
Nacken können ebenso wie Muskelschmerzen<br />
auf Schlafstörungen hinweisen.<br />
Der als wenig erholsam empfundene<br />
Schlaf führt dazu, dass Betroffene tagsüber<br />
müde und erschöpft sind.<br />
Woran erkennt man als<br />
Angehöriger, dass ein<br />
nahestehender Mensch vielleicht<br />
Schlafstörungen hat?<br />
Liegt der Partner nachts wach, wälzt er<br />
sich im Bett hin und her, schnarcht laut<br />
und unregelmäßig und eventuell sogar<br />
mit Atempausen oder knirscht mit den<br />
Zähnen, beeinträchtigt das auch den<br />
Schlaf des „Bettgenossen“. Aber nicht nur<br />
das nahe Umfeld wird bemerken, dass<br />
etwas nicht stimmt. Getrübte Nachtruhe<br />
äußert sich auch am Arbeitsplatz durch<br />
Konzentrationsstörungen, Gereiztheit und<br />
rapiden Leistungsabfall.<br />
Weche Möglichkeiten hat der Arzt,<br />
Schlafstörungen zu diagnostizieren?<br />
Im Erstgespräch werden der Ablauf des<br />
Schlafes und die möglichen Krankheitsbilder<br />
identifiziert. Wenn möglich, wird<br />
dann die Schlaf- und Aufwachqualität<br />
ambulant oder im Schlaflabor subjektiv<br />
und objektiv gemessen. Dies dient dazu,<br />
genauestens zu evaluieren, was mit dem<br />
Körper in der Nacht passiert. Bei Verdacht<br />
auf körperliche Ursachen sind weitere<br />
internistische oder neurologische<br />
Unter su chungen nötig.<br />
In welchem Zusammenhang<br />
stehen Schlafstörungen mit anderen<br />
(psychischen) Erkrankungen?<br />
Da eine Schlafstörung selten isoliert auftritt,<br />
sondern zumeist mit anderen Erkrankungen<br />
einhergeht, besteht auch Bedarf<br />
an einer engen Zusammenarbeit mit anderen<br />
Fachgebieten (z. B. Lungen fach arzt,<br />
HNO-Arzt, Psychiater und Neuro lo ge).<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Wie werden Schlafstörungen<br />
behandelt?<br />
Manchmal kann es schon helfen, die Lebensgewohnheiten<br />
umzustellen. Dauerhafte<br />
Schlafprobleme lassen sich nach<br />
eingehender ärztlicher Beratung durch<br />
Psychotherapie, somatische Verfahren<br />
(z. B. Lichttherapie, HNO-Operation etc.)<br />
oder durch die Einnahme von Medikamenten<br />
behandeln. Bei Schlafstörungen,<br />
die zum Beispiel durch Depression hervorgerufen<br />
oder verschlimmert werden,<br />
werden schlaffördernde (nicht aktivierende!)<br />
Antidepressiva bereits seit Jahren<br />
erfolgreich eingesetzt.<br />
Was kann man als Betroffener selbst<br />
gegen Schlafstörungen tun?<br />
Nicht selten resultiert chronischer<br />
Schlaf mangel aus Problemen der Schlafhygiene,<br />
allem voran ein zu spätes Zubettgehen.<br />
Ungünstig ist es, im Bett<br />
fernzusehen oder zu arbeiten. Auch das<br />
Einschlafen vor dem Fernseher auf dem<br />
Sofa sollte vermieden werden, es erschwert<br />
das spätere Einschlafen im Bett<br />
nur unnötig. Das Verzehren schwerer<br />
Mahlzeiten am Abend sowie das Trinken<br />
koffeinhaltiger Getränke (Kaffee, schwarzer<br />
Tee, Cola) können ebenfalls Ursachen<br />
für Schlafstörungen sein. Besser ist es,<br />
ein Glas warme Milch zu sich zu nehmen.<br />
Durch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten<br />
lassen sich viele schlafstörende<br />
Faktoren beseitigen, zu empfehlen<br />
sind ausgewogene Ernährung, Bewegung,<br />
Entspannung und Stressbewäl tigung.<br />
Helfen diese „Hausmittel“ nicht, sollte<br />
sich der Betroffene frühzeitig an einen<br />
Facharzt wenden.<br />
Wie können Angehörige einem<br />
Menschen mit Schlafstörungen helfen?<br />
Schlafstörungen werden oft nicht ernst<br />
genommen – vom Betroffenen nicht, aber<br />
auch Angehörige neigen häufig dazu, die<br />
Schlafprobleme herunterzuspielen. Optimal<br />
wäre, den Betroffenen frühzeitig zu<br />
einem Besuch beim Arzt zu motivieren.<br />
Welche Folgen können unbehandelte<br />
Schlafstörungen haben?<br />
Der Kohlenhydratstoffwechsel verschlechtert<br />
sich, die Blutzuckerwerte<br />
schnellen in die Höhe und die Produktion<br />
der Schild drüsen hormone gerät durcheinander.<br />
Unbehandelt drohen schwerwiegende<br />
Erkran kungen wie Bluthochdruck,<br />
Herzin farkt und Schlaganfall. Schlafmangel<br />
wirkt sich auch auf die Psyche<br />
aus. Betroffene werden schreckhaft,<br />
reizbar und misstrauisch. Die Stimmung<br />
wird negativ, Wahr nehmungs- und Konzentrationsfähigkeit<br />
und damit z. B. die<br />
Fahrtauglichkeit nehmen ab. Wird das<br />
Schlafpensum über einen längeren Zeitraum<br />
auf ein absolutes Minimum reduziert<br />
oder Schlaf ganz verhindert, stellen<br />
sich Depressionen oder Sinnestäuschungen<br />
und Halluzinationen ein.<br />
Mögliche Anzeichen von<br />
Schlafstörungen:<br />
FAct-Box<br />
• An mindestens 4 Tagen in der Woche<br />
benötigt man länger als 30 Minuten<br />
zum Einschlafen bzw. nach nächtlichem<br />
Erwachen zum Wiedereinschlafen.<br />
• die Beschwerden dauern länger als<br />
einen Monat an.<br />
• die Tagesbefindlichkeit ist stark beeinträchtigt<br />
• die Angst davor, nicht einschlafen zu<br />
können, steigert sich zu einer regelrechten<br />
Bett- und Nachtangst.<br />
31
B u r n - o u t<br />
Burn-out – Wenn<br />
32 INNENWELT<br />
PRIM. UNIV.-PROF. DDR.<br />
MICHAEL Lehofer<br />
Landesnervenklinik Sigmund Freud<br />
Wagner-Jauregg-Platz 1, 8011 Graz<br />
Tel.: +43.316.2191 0(2205)<br />
E-Mail: michael.lehofer@lsf-graz.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was ist ein Burn-out?<br />
Burn-out ist ein Komplex aus körperlichen,<br />
emotionalen, kognitiven sowie verhaltensorientierten<br />
Symptomen und stets<br />
als Reaktion auf chronische psychische<br />
und/oder physische Stressoren zu verstehen.<br />
Wie viele Menschen leiden an Burnout?<br />
In Österreich leiden gemäß Schätzungen<br />
derzeit etwa 9 Prozent der Bevölkerung an<br />
Depressionen, wobei mindestens 400.000<br />
Menschen aufgrund ihrer depressiven<br />
Symptomatik einer ärztlichen Behandlung<br />
bedürfen (Alpbach, 2010; ÖGAM, 2010).<br />
Für das Burn-out-Syndrom liegen bislang<br />
keinerlei epidemiologische Daten vor. Jedoch<br />
besteht in der Wissenschaft Konsens<br />
über den prognostizierten Anstieg psychischer<br />
Erkrankungen im Allgemeinen und<br />
des Burn-out-Syndroms im Speziellen.<br />
Ist Burn-out eine ärztliche Diagnose?<br />
Nein, das Burn-out stellt nach dem Diagnoseschema<br />
ICD-10 keine ärztliche Diagnose<br />
dar, sondern wird als Z73.0 im Rahmen<br />
von Lebensbewältigungsproblemen<br />
(Z73) angeführt. Burn-out ist einer der<br />
unschärfsten Begriffe in der Psychiatrie.<br />
Hinter dem mittlerweile leider inflationär<br />
gebrauchten Begriff steht ein heterogenes<br />
Krankheitsbild, dessen klinisches Erscheinungsbild<br />
stark von den jeweiligen Ursachen<br />
geprägt ist. Im Zentrum steht jedoch<br />
das Kardinalsymptom „Erschöpfung“ als<br />
Reaktion auf eine länger währende Belastung<br />
am Arbeitsplatz.<br />
Was sind die Ursachen für ein Burn-out?<br />
Das Syndrom entwickelt sich aus emotionaler<br />
Erschöpfung und reduzierter Leistungsfähigkeit<br />
über einen längeren Zeitraum<br />
(meist Jahre). Als Ursache gelten<br />
Stress, fehlende Erholung und dysfunktionale<br />
Coping-Strategien. Das heißt: Der<br />
Betroffene hat enorm hohe Ideale und<br />
Ansprüche an sich selbst. Meist ist die<br />
Identifikation mit der Arbeit groß – und<br />
jeder kleine Fehler wird als persönlicher<br />
Misserfolg gewertet. Diese Diskrepanz<br />
zwischen dem eigenen Perfektionismus<br />
und der Realität wird als seelische Kränkung<br />
empfunden – und das macht, auf<br />
lange Sicht, tatsächlich psychisch und<br />
physisch krank. Dazu kommt, dass die<br />
Betroffenen den hohen Arbeitseinsatz<br />
beibehalten oder gar intensivieren, und<br />
damit immer mehr in den Sog der Negativspirale<br />
geraten.<br />
In welchem Zusammenhang steht<br />
Burn-out mit anderen Erkrankungen?<br />
Grundsätzlich können alle internistischen<br />
Krankheiten als Begleiterkrankungen<br />
eines Burn-out-Syndroms auftreten. Entsprechende<br />
Zusammenhänge sind gemäß<br />
Literatur vor allem für Herz-Kreislauf-<br />
Erkrankungen nachgewiesen. So geht<br />
Hypertonie als chronische Stressreaktion<br />
häufig mit Burn-out einher, wobei insbesondere<br />
Personen, die das Gefühl haben,<br />
weniger Kontrolle über ihre Arbeit zu haben,<br />
häufiger einen erhöhten Blutdruck<br />
aufweisen.<br />
Welcher Zusammenhang<br />
besteht zwischen Burn-out<br />
und Depression?<br />
Eine Studie, welche die Überlappung zwischen<br />
Burn-out und depressiven Erkrankungen<br />
analysierte, kam eindeutig zu dem<br />
Ergebnis einer klaren Beziehung zwischen<br />
den beiden Krankheitsbildern: Das Risiko,<br />
eine depressive Erkrankung zu entwickeln,<br />
war größer bei gleichzeitigem Vorliegen<br />
eines schweren Burn-out-Syndroms. Ferner<br />
wies die Hälfte der Studienteilnehmer<br />
mit schwerem Burn-out auch eine depressive<br />
Störung auf. Auch Angststörungen<br />
gehen häufig mit der Burn-out-Symptomatik<br />
einher.<br />
Birgt Burn-out auch ein Suizid-Rsiko?<br />
Definitiv: ja! Mit zunehmendem Schweregrad<br />
eines Burn-out-Syndroms steigt die<br />
Wahrscheinlichkeit für das gleichzeitige<br />
Vorliegen einer Depression und auch dem<br />
damit verbundenen höheren Suizidalitätsrisiko.<br />
Welche Persönlichkeits-Typen<br />
haben ein besonders hohes<br />
Burn-out-Risiko?<br />
Menschen, die anfällig für Stress sind. Prädestiniert<br />
sind aber auch Menschen mit<br />
hohen Idealen, die extrem ehrgeizig und<br />
perfektionistisch sind und immer der/die<br />
Beste sein wollen. Sie streben nach An-
Idealismus krank macht<br />
erkennung und Wertschätzung und sind<br />
unfähig, „Nein“ zu sagen. Im Vordergrund<br />
stehen Ängste, den Erwartungen anderer<br />
nicht zu entsprechen, den Arbeitsplatz zu<br />
verlieren, zu versagen, die Angst vor Kritik<br />
gepaart mit geringem Selbstwertgefühl.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wie erkennt man als Betroffener, dass<br />
man möglicherweise an Burn-out<br />
leidet?<br />
Betroffene leiden zunächst an Erschöpfung,<br />
Kraft- und Antriebslosigkeit, auch<br />
Schlafstörungen sind hier typisch. Das<br />
Bild vom „nicht abschalten können“ ist<br />
beim Burn-out-Syndrom zutreffend, mit<br />
fortschreitendem Stadium mündet der<br />
Zustand der Erschöpfung sehr oft in eine<br />
Sinnkrise, bei der Beruf, aber auch die private<br />
Situation, massiv in Frage gestellt<br />
werden. Spätestens ab hier bedarf es dringend<br />
professioneller Hilfe!<br />
Woher weiß ich, ob ich lediglich<br />
erschöpft bin oder tatsächlich auf ein<br />
Burn-out zusteuere?<br />
Die US-Sozialpsychologin Christina Maslach<br />
hat drei Dimensionen beschrieben,<br />
die beim Burn-out gegeben sein müssen:<br />
1. eine überwältigende Erschöpfung durch<br />
fehlende emotionale und physische Ressourcen.<br />
2. Gefühle des Zynismus und<br />
der Depersonalisation (Distanziertheit,<br />
Zynismus) und 3. Ineffizienz (reduziertes<br />
persönliches Engagement, reduzierte Leistungsfähigkeit,<br />
reduzierte persönliche<br />
Leistungszufriedenheit).<br />
Woran erkenne ich als Angehöriger,<br />
dass ein nahestehender Mensch an<br />
Burn-out leidet?<br />
Betroffene verändern sich in ihrer Persönlichkeit,<br />
reagieren z. B. aggressiv und<br />
zynisch auf ihr Umfeld. Viele ziehen sich<br />
emotional <strong>zur</strong>ück, die sozialen Kontakte<br />
werden immer spärlicher. Zusätzlich klagen<br />
sie eventuell über psychosomatische<br />
Beschwerden und/oder neigen dazu, zu<br />
viel Kaffee, Alkohol oder Schlafmittel zu<br />
konsumieren.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Welche Möglichkeiten hat der Arzt,<br />
Burn-out zu diagnostizieren?<br />
Die beiden Wissenschaftler Maslach und<br />
Jackson entwickelten einen Fragebogen,<br />
das sogenannte Maslach Burn-out Inventory<br />
(MBI). Das MBI ist ein standardisiertes<br />
und gut untersuchtes Bewertungsinstrument<br />
eines Burn-out-Syndroms.<br />
Mittels MBI können Burn-out-assoziierte<br />
Symptome und deren Schweregrade vom<br />
Betroffenen selbst erfasst und bewertet<br />
werden. Schwachpunkt dieses Burn-out-<br />
Tests ist, dass sich die Fragen ausschließlich<br />
auf Probleme in der Arbeitswelt beziehen,<br />
obwohl wie erwähnt immer mehr<br />
Personengruppen jenseits des klassischen<br />
Managers betroffen sind.<br />
Wie wird Burn-out behandelt?<br />
Wegen der Variabilität des Krankheitsbildes<br />
gibt es keine Standardtherapie. Die<br />
Behandlung muss sich nach möglichst<br />
umfassender Anamnese den individuellen<br />
Beschwerden des Patienten und den<br />
wahrscheinlichen Auslösern widmen.<br />
Wie wichtig ist die Änderung des Lebensstils<br />
als Teil der Therapie?<br />
Im fortgeschrittenen Stadium ist es oft<br />
sinnvoll, den Betroffenen aus der Belastungssituation<br />
herauszunehmen (z. B.<br />
durch Krankschreibung, Teilzeit). Ein<br />
Krankenstand kann die akute Situation<br />
entschärfen. Die Dauer richtet sich nach<br />
der Schwere der Symptomatik und sollte<br />
zumindest bis <strong>zur</strong> groben Wiederherstellung<br />
des Schlafrhythmus und der vom<br />
Patienten selbst gefühlten Leistungsfähigkeit<br />
gehen. Ein schweres depressives<br />
Zustandsbild kann eine längere Arbeitsunfähigkeit<br />
bedingen. Die Krankschreibung<br />
ist jedoch kein Ersatz für eine Therapie.<br />
In noch weniger belasteten Phasen ist<br />
eine Behandlung möglicherweise zielführender,<br />
die parallel <strong>zur</strong> Arbeitssituation<br />
verläuft. Hier kann das neue Erleben von<br />
erfolgreichen Strategien in der Arbeitswelt<br />
unter Umständen schneller zu Erfolg<br />
führen als ein Herausnehmen aus der Situation,<br />
die selbst wieder als Belastung<br />
erlebt wird (vollständiger Misserfolg als<br />
„Krankheitsfall“). Ergänzende Therapiemaßnahmen<br />
sind vorwiegend sportliche<br />
Aktivitäten, körperliche Rekonditionierung,<br />
Entspannungsübungen, Zugänge<br />
mit kreativtherapeutischen und gestalterischen<br />
Elementen (Ergotherapie). Die<br />
Initiation der Teilnahme an Selbsthilfegruppen<br />
ist begrüßenswert. Aus arbeitspsychologischer<br />
Sicht müssen eventuelle<br />
kritische Interaktionen der (früheren) Arbeitsumwelt<br />
mit als Verhaltenstherapie-<br />
Ziel genommen werden.<br />
Wie sieht die<br />
medikamentöse Therapie aus?<br />
Das Hauptaugenmerk der pharmakologischen<br />
Behandlung liegt auf der Beeinflussung<br />
des serotonergen Systems durch<br />
die Einnahme von Antidepressiva. Mittel<br />
der Wahl in der Therapie des Burn-out-<br />
Syndroms stellen Selektive Serotonin-<br />
Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) dar.<br />
Vorteil dieser SSRIs ist, dass sie in Hinblick<br />
auf die häufig gleichzeitig vorkommenden<br />
Suchterkrankungen bei Burn-out-Patienten<br />
angewendet werden können, weil<br />
sie kein Suchtpotenzial bergen.<br />
Welche Form von Psychotherapie ist<br />
empfehlenswert?<br />
Hier empfehlen sich vor allem kognitivverhaltenstherapeutische<br />
Techniken sowie<br />
Stressmanagement-Training, ergänzt<br />
durch psychodynamische Ansätze.<br />
FAct-Box<br />
Schnell-Check „Brenne ich aus“?<br />
Mögliche Fragestellungen bei Verdacht<br />
auf ein Burn-out-Syndrom:<br />
1. Fühlen Sie sich schon länger als 6 Monate<br />
total erschöpft?<br />
2. Fehlt Ihnen oft die Energie für die einfachsten<br />
Aufgaben des täglichen Lebens?<br />
3. Brauchen Sie immer länger, um sich zu<br />
erholen?<br />
4. Fühlen Sie sich schon beim Aufstehen<br />
erschöpft?<br />
5. Leiden Sie unter Konzentrationsschwäche<br />
und Vergesslichkeit?<br />
6. Haben Sie den Spaß an den meisten<br />
Dingen verloren?<br />
7. Haben Sie das Gefühl, mit immer mehr<br />
Energie immer weniger zu erreichen?<br />
8. Ziehen Sie sich vermehrt von Ihren<br />
Mitmenschen <strong>zur</strong>ück?<br />
Wenn Sie 5 oder mehr Fragen mit „Ja“<br />
beantwortet haben, sollten Sie mit Ihrem<br />
Arzt sprechen.<br />
33
m e d i k a m e n t ö s e t h e r a p i e<br />
Die Chemie im<br />
34 INNENWELT<br />
Univ.-Prof.<br />
Dr. Gerald Zernig<br />
Psychiatrische Universitätsklinik<br />
Bereich Experimentelle Psychiatrie<br />
Anichstraße. 35, 6020 Innsbruck<br />
Tel.: +43.512.504 23711<br />
E-Mail: gerald.zernig@i-med.ac.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Welche verschiedenen Wirkprinzipien<br />
bei Antidepressiva gibt es?<br />
Biologisch gesehen ist bei einer Depression<br />
der Stoffwechsel des Gehirns<br />
gestört. Aufgabe der Antidepressiva ist<br />
es nun, das Ungleichgewicht an Botenstoffen<br />
(Trans mit tern) im Gehirn zu regulieren.<br />
Unter su chungen zeigen, dass<br />
bei Men schen mit Depressionen der<br />
Spiegel der Überträgersubstanzen Serotonin<br />
und/oder Nora dre na lin im Vergleich<br />
zu Gesunden niedriger ist. Dieses<br />
Defizit macht sich durch Depressio nen<br />
oder auch Angst zu stände bemerkbar.<br />
Antidepressiva beeinflussen das Neurotrans<br />
mittersystem. Die Konzentration<br />
der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin<br />
wird gezielt erhöht, wodurch die<br />
Nervensignale wieder besser weitergeleitet<br />
werden. Die Medikamente wirken<br />
allerdings nicht sofort nach der ersten<br />
Einnahme, sondern mit zeitlicher Verzögerung.<br />
Das heißt, die erwünschte Wirkung<br />
kann nach einer Woche eintreten,<br />
es kann aber auch bis zu vier Wochen<br />
dauern, bis sich der psychische Zustand<br />
des Patienten bessert.<br />
Zu den wichtigsten Antidepressiva zählen<br />
folgende Substanzgruppen:<br />
SSRI (Selektive Serotonin-Wiederauf nahme<br />
hemmer) blockieren das Transportmolekül,<br />
das den Botenstoff Serotonin<br />
wieder in seine Speicher <strong>zur</strong>ückbefördert.<br />
Auf diese Weise wird die Wiederaufnahme<br />
von Serotonin in die Nervenzellen<br />
verhindert und die Konzentration des<br />
Boten stoffes im Gehirn erhöht. Damit<br />
wirken diese Medikamente vor allem<br />
aktivierend, stimmungsaufhellend und<br />
angstlösend, bei manchen Patienten aber<br />
auch dämpfend. Geeignet sind sie bei<br />
allen Formen der Depression (auch bei<br />
schweren De pressionen) und gegen Ängste<br />
im Umgang mit vielen Menschen (Soziophobie).<br />
SSRI machen in den meisten<br />
Fällen kaum müde und wirken nur wenig<br />
appetitsteigernd.<br />
Eine Weiterentwicklung der SSRI ist die<br />
neue Substanzklasse ASRI (Allosterischer<br />
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer).<br />
Dieses Medikament mit dem Wirkstoff<br />
Escitalopram wirkt noch spezifischer auf<br />
den Serotoninhaushalt und ist daher besonders<br />
rasch wirksam.<br />
Können Psychopharmaka<br />
abhängig ma chen?<br />
Neuroleptika und Antidepressiva machen<br />
nicht abhängig (süchtig). Es gibt unter den<br />
Psychopharmaka jedoch Medikamentengruppen,<br />
die süchtig machen können. Ein<br />
gewisses Abhängigkeitsrisiko (= Suchtrisiko)<br />
haben Tranquilizer und Schlafmittel.<br />
Beim Absetzen solcher Medikamente<br />
können genau jene Symptome<br />
verstärkt auftreten, gegen die diese<br />
Medikamente ursprünglich angewendet<br />
wurden. Tranquilizer wirken nicht antidepressiv<br />
und werden daher nur in Krisensituationen<br />
<strong>zur</strong> Minderung von Ängs ten und<br />
nur zu Beginn der antidepressiven Therapie<br />
begleitend eingesetzt.<br />
Darf ich Psychopharmaka nach<br />
eigenem Ermessen absetzen, wenn es<br />
mir zum Beispiel besser geht?<br />
Wie erwähnt, machen Neuroleptika und<br />
Antidepressiva nicht abhängig. Dennoch<br />
darf man die vom Arzt verschriebenen<br />
Medikamente auf keinen Fall schlagartig<br />
absetzen. Auch für Tranquilizer und<br />
Schlafmittel gilt, diese Präparate keinesfalls<br />
ohne ärztliche Rücksprache abzusetzen.<br />
Dann treten nämlich sogenannte<br />
Absetzerscheinungen auf. Diese äußern<br />
sich durch innere Unruhe und Spannung,<br />
Reizbarkeit, Missgestimmtheit, Angstzustände,<br />
Kraftlosigkeit, Schweißausbrüche,<br />
Appetitverlust, Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen,<br />
Magen-Darm-Krämpfe, Durchfall,<br />
Schlafstörungen oder lebhafte bis<br />
ängstigende Traumbilder, Kopf- und<br />
Muskel schmerzen, Schwindel, Gefühl des<br />
Zer schlagenseins sowie Bewegungs störun<br />
gen.<br />
Darf man verschiedene Antidepressiva<br />
miteinander kombinieren?<br />
Es kann manchmal sinnvoll sein, Antidepressiva<br />
aus unterschiedlichen Substanzgruppen,<br />
die sich dadurch in ihrem<br />
neurobiologischen Profil unterscheiden,<br />
miteinander zu kombinieren. Dies sollte<br />
aber erst geschehen, wenn das therapeutische<br />
Potenzial eines Medi ka mentes<br />
voll ausgeschöpft wurde, d. h. wenn die<br />
Dosierung des Antidepressi vums, für das
Kopf regulieren<br />
sich Ihr Arzt/Ihre Ärztin entschieden hat,<br />
ausreichend erhöht wurde, ohne dass sich<br />
der gewünschte Effekt einstellt.<br />
Was tun, wenn ich das Gefühl habe,<br />
dass mein Antidepressivum<br />
keine Wirkung zeigt?<br />
Der Erfahrung nach neigen Österreichs<br />
Ärzte speziell bei der Behandlung der Depression<br />
dazu, Medikamente zu niedrig zu<br />
dosieren. Patienten, die nicht ausreichend<br />
auf das Medikament ansprechen wenn<br />
die Wirkung also zu gering ist, sollten<br />
umgehend mit dem behandelnden Arzt<br />
Rücksprache halten. Dieser kann dann das<br />
Antidepressivum entsprechend aktiv erhöhen,<br />
um dessen therapeutisches Potenzial<br />
voll auszuschöpfen. Emp fehlenswert<br />
ist, die Dosiserhöhung in einem möglichst<br />
frühen Stadium vorzunehmen. Vermieden<br />
wird dadurch, im Glauben, das Medikament<br />
wirke nicht, verfrüht auf ein anderes<br />
Präparat umzusteigen. Durch einen<br />
vielleicht sogar mehrmaligen Wechsel des<br />
Präparates kann wichtige Zeit im Heilungsprozess<br />
verloren gehen.<br />
Ist bei der medikamentösen<br />
Behandlung von Depressionen eine<br />
begleitende psychotherapeutische<br />
Behandlung sinnvoll?<br />
Bei der Behandlung von Depression, vor<br />
allem mit leichter bis mittelschwerer<br />
Ausprägung, hat sich eine begleitende<br />
Psychotherapie als äußerst sinnvoll erwiesen.<br />
Denn Depression ist eine Krankheit<br />
mit zwei Seiten – neben der neurobiologischen<br />
Komponente gibt es eben auch<br />
eine psychosoziale Seite. Der Patient lernt<br />
in der Therapie, wie er mit Belastungen<br />
umgehen kann. Es ist zu erwarten, dass<br />
die Kombination aus Psychotherapie und<br />
medikamentöser Therapie zusätzlichen<br />
Nutzen für den Patienten bringt.<br />
Darf ich während der<br />
medikamentösen Behandlung mit<br />
Psychopharmaka Alko hol trinken?<br />
Patienten sollten beachten, dass Alkohol<br />
den dämpfenden Effekt vieler Psychophar<br />
maka verstärken kann. Die durch<br />
Psycho pharmaka möglicherweise beeinträchtigte<br />
Verkehrstüchtigkeit wird bei<br />
Alkohol genuss zusätzlich herabgesetzt.<br />
Bespre chen Sie dies bitte mit Ihrem Arzt!<br />
Verändern Medikamente, die bei der<br />
Behandlung von psychischen<br />
Erkran kun gen zum Einsatz kommen,<br />
die Persön lichkeit?<br />
Viele Betroffene befürchten, Psycho pharma<br />
ka führen zum Verlust der Selbst kontrolle<br />
und rauben die Persönlichkeit. Diese Angst ist<br />
verständlich, jedoch völlig unbegründet. Vielmehr<br />
tritt das Ge gen teil ein: Psychopharmaka<br />
unterstützen gesunde Persönlichkeitsanteile<br />
und bessern krankheitsbedingte Störungen<br />
des Erle bens und Verhaltens. Psycho pharmaka<br />
dienen also zu einem großen Teil dazu, die<br />
Kontrolle über das eigene Erleben und Handeln<br />
wiederzugewinnen. Betroffene berichten<br />
darüber, sich nach Einnahme der Medikamente<br />
wieder „wie sie selbst“ zu fühlen, als<br />
Persönlichkeit, die man eigentlich ist. Mithilfe<br />
von Psychopharmaka haben Erkrankte die<br />
Möglichkeit, aus der krankheitsbedingten sozialen<br />
Isolation <strong>zur</strong>ückzukehren und wieder an<br />
gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen.<br />
Ihnen wird etwas <strong>zur</strong>ückgegeben, das viele<br />
schon längst vergessen glaubten.<br />
FAct-Box<br />
• Psychopharmaka dürfen nur auf ärztliche<br />
Anweisung und nach umfassender<br />
Unter suchung eingenommen<br />
werden. Fragen Sie Ihren behandelnden<br />
Arzt nach Wirkungen und unerwünschten<br />
Arzneimittelwirkungen.<br />
• informieren Sie Ihren Arzt, wenn Sie<br />
gleichzeitig andere Medikamente<br />
einnehmen. Dies gilt besonders für<br />
Johanniskrautpräparate. Sprechen Sie<br />
eventuelle (auch frühere) Probleme<br />
mit Alkohol, Drogen, Schmerz- und<br />
Beruhigungsmitteln an.<br />
• halten Sie sich unbedingt an die<br />
ärztlich verschriebene Dosierung und<br />
setzen Sie die Medikamente nicht eigenmächtig<br />
ab. Sie riskieren dadurch<br />
massive gesundheitliche Konsequenzen.<br />
• so nützlich das Internet manchmal<br />
auch ist: Speziell zum Thema Psychopharmaka<br />
finden sich im Netz<br />
eine Vielzahl an unseriösen Informationsquellen.<br />
Lassen Sie sich von<br />
Mythen, Vorurteilen oder vermeintlichen<br />
Laien be richten nicht verunsichern.<br />
Medizinisch fundierte Informa<br />
tion garantiert Ihnen Ihr Arzt. Sie<br />
können sich mit allen Fragen vertrauensvoll<br />
an ihn wenden. Die Erfahrung<br />
zeigt: Je umfassender Patien ten über<br />
ihre Erkrankung und die Therapie Bescheid<br />
wissen, desto rascher bessert<br />
sich ihre psychische Verfassung!<br />
35
m e d i z i n i s c h e p s y c h o t h e r a p i e<br />
Medizinische Psychother<br />
36 INNENWELT<br />
Prim. Dr.<br />
Eleonore<br />
Miller-Reiter<br />
Psychosoziale Dienste in Wien,<br />
Sozialpsychiatrisches Ambulatorium Donaustadt<br />
Attemsgasse 7D, 1220 Wien<br />
Tel.: +43.1.202 5251 53131<br />
E-Mail: eleonore.miller-reiter@psd-wien.at<br />
..................................<br />
Grundsätzliches<br />
..................................<br />
Was ist Psychotherapie?<br />
Psychotherapie stammt vom griechischen<br />
Begriff „Psychotherapiea“. Wörtlich übersetzt<br />
bedeutet dies so viel wie „Pflegen<br />
der Seele“. Psychotherapie bezeichnet die<br />
Behandlung der Seele beziehungsweise<br />
von seelischen Problemen. Sie bietet mit<br />
spezifischen therapeutischen Methoden<br />
und Interventionen Hilfe bei Störungen<br />
des Denkens, Fühlens, Erlebens und Handelns.<br />
Dazu zählen die Vorbeugung und<br />
Heilung von psychischen Problemen,<br />
Verhaltensstörungen und Krankheiten<br />
mithilfe verschiedener psychologischer<br />
Methoden.<br />
Ist Psychotherapie<br />
wissenschaftlich abgesichert?<br />
Ja, bei der Psychotherapie wird mithilfe<br />
wissenschaftlich fundierter Methoden<br />
den Ursachen und Auslösern seelischer<br />
Probleme auf den Grund gegangen. Sie<br />
dient der Prävention und Heilung von<br />
psychischen Störungen und wirkt langfristig.<br />
Kann die Psychotherapie<br />
im Bereich der psychischen<br />
Erkrankungen die medikamentöse<br />
Therapie ersetzen?<br />
Meist ist dies nicht der Fall. Sehr viele<br />
Patienten, speziell wenn diese an Depressionen<br />
leiden, benötigen zunächst<br />
medikamentöse Hilfe, um sich überhaupt<br />
zu einer Psychotherapie „aufraffen“<br />
zu können und dieser zugänglich zu<br />
sein. Der große Vorteil der psychotherapeutischen<br />
Methoden ist es, dass diese<br />
auch vorbeugend angewandt werden<br />
können, also bevor die Krise erst einmal<br />
da ist. Generell sollten die medikamentöse<br />
Behandlung und die Psychotherapie<br />
jedoch weniger als konkurrenzierende,<br />
sondern als sich ergänzende Wege<br />
betrachtet werden.<br />
Welche Formen von Psychotherapie<br />
werden angeboten?<br />
Die bekanntesten psychotherapeutischen<br />
Schulen sind Familientherapie,<br />
Gestalttherapie, Individualpsychologie,<br />
Logotherapie, Psychoanalyse, Systemische<br />
Therapie und Verhaltenstherapie/<br />
Kognitive Therapie. Um Psychotherapeut<br />
zu werden, ist weder ein Medizin- noch<br />
ein Psychologiestudium nötig, jedoch<br />
muss eine langährige, umfassende Psychotherapie-Ausbildung<br />
absolviert werden.<br />
..................................<br />
Anzeichen<br />
..................................<br />
Wann ist eine<br />
Psychotherapie ratsam?<br />
Wer von seelischen Problemen geplagt<br />
wird und diese alleine nicht in den Griff<br />
bekommt, sollte sich ebenso wenig wie<br />
bei körperlichen Erkrankungen scheuen,<br />
professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen<br />
– am besten, so früh wie möglich.<br />
Seelischen Schmerz unbehandelt mit sich<br />
herumzutragen, stellt einen gewaltigen<br />
und unnötigen Leidensdruck dar, darüber<br />
hinaus besteht die Gefahr der Chronifizierung.<br />
Wenn psychisches Leid über<br />
einen längeren Zeitraum zum ständigen<br />
Begleiter wird verschlimmern sich die<br />
Symptome, weitere Probleme entstehen<br />
und auch die Behandlung der Erkrankung<br />
ist dann schwieriger.<br />
Welche Voraussetzungen<br />
sollte die/der Betroffene mitbringen?<br />
Für den Erfolg einer Therapie ist es sehr<br />
bedeutsam, dass der Betroffene ernsthaft<br />
dazu bereit ist, sich mit seinen Problemen<br />
auseinanderzusetzen und an<br />
deren Beseitigung – unterstützt durch<br />
den Psychotherapeuten – mitzuarbeiten.<br />
Damit eine Psychotherapie erfolgreich<br />
ambulant durchgeführt werden kann,<br />
muss beim Patienten ein Mindestmaß an<br />
psychischer Stabilität und Belastbarkeit<br />
noch gegeben sein. Andernfalls ist eine<br />
stationäre Psychotherapie vorzuziehen.<br />
Welche psychotherapeutische<br />
Ausbildung haben Psychiaterinnen<br />
und Psychiater?<br />
Der Begriff „Psychiatrie“ bedeutet „Heilkunde<br />
für psychische Erkrankungen“.<br />
Der Fachbereich befasst sich mit der<br />
Forschung, Diagnose und Behandlung<br />
psychischer Störungen. Der Facharzt für<br />
Psychiatrie und Psychotherapeutische<br />
Medizin hat ein Medizinstudium absolviert<br />
und weiß somit über die Funktionsweise<br />
und die Erkrankungen des<br />
menschlichen Körpers Bescheid. Im An-
apie – Seele auf der Couch<br />
schluss an sein Medizinstudium folgt<br />
die Facharztausbildung zum Psychiater.<br />
Diese vermittelt Spezialkenntnisse über<br />
Krankheiten des Geistes und der Seele.<br />
Was diesen Berufsstand auszeichnet, ist,<br />
dass die „Fachärzte für Psychiatrie und<br />
Psychotherapeutische Medizin“ zusätzlich<br />
zum Medizinstudium eine entsprechende<br />
intensive psychotherapeutische<br />
Ausbildung absolviert haben, die es ihnen<br />
möglich macht, psychotherapeutische<br />
Maßnahmen in einen medizinischen Gesamtbehandlungsplan<br />
zu integrieren. Die<br />
Schaffung des neuen Facharztes für Psychiatrie<br />
und psychotherapeutische Medizin<br />
war ein wesentlicher Schritt auf dem<br />
Weg in die moderne Psychiatrie – und<br />
auch ein Signal dafür, dass neben dem<br />
naturwissenschaftlichen zunehmend das<br />
humanwissenschaftliche Denken und<br />
Handeln im Vordergrund steht. Sprich:<br />
der Mensch als Individuum – und damit<br />
auch sein soziales Umfeld – rückt in den<br />
Vordergrund.<br />
..................................<br />
Behandlung<br />
..................................<br />
Welche psychischen Erkrankungen<br />
behandelt der Psychiater<br />
mittels Psychotherapie?<br />
Die Bandbreite reicht von Depression und<br />
Angststörung über Zwangsstörungen, bipolare<br />
Störung und Schizophrenie bis hin<br />
<strong>zur</strong> Essstörung. Auch Suchterkrankungen<br />
und Alkoholismus zählen zu den psychischen<br />
Krankheiten.<br />
Was erwartet Betroffene<br />
beim Psychiater?<br />
Beim Psychiater oder der Psychiaterin erwartet<br />
den Patienten ein(e) medizinisch<br />
kompetente(r) Ansprechpartner(in) für<br />
alle Beschwerden, Sorgen und Ängste, die<br />
hier in ruhiger, angenehmer Atmosphäre<br />
erzählt werden können. PsychiaterInnen<br />
hören aufmerksam zu, fragen, wenn es<br />
dem Verständnis dient, nach und treten<br />
dem Betroffenen mit Respekt und Wertschätzung<br />
gegenüber. Wichtig zu wissen<br />
ist, dass in diesem Rahmen alles anvertraut<br />
werden kann, was den Patienten<br />
seelisch belastet – also auch Gefühle oder<br />
Gedanken, die dem Betroffenen selbst<br />
vielleicht bedrohlich oder eigenartig erscheinen.<br />
PsychiaterInnen unterliegen übrigens<br />
der Verschwiegenheitspflicht.<br />
Wie lange dauert eine Psychotherapie?<br />
Das ist individuell verschieden. Handelt<br />
es sich um eine akute Krise, helfen womöglich<br />
wenige Sitzungen in Kombination<br />
mit medikamentöser Therapie, um<br />
wieder in Balance zu kommen. Auf jeden<br />
Fall gilt, was auch bei den meisten anderen<br />
Dingen gilt: Nur Regelmäßigkeit<br />
bringt den Erfolg.<br />
37
?<br />
Ambulant: nicht stationär, nicht an einen Ort gebundene Behandlung<br />
G l o s s a r<br />
Fachbegriffe leicht erklärt<br />
Affekt: intensive Gemütsbewegung von kurzer Dauer<br />
Anamnese: Bezeichnung für die Krankheits- und Lebensgeschichte des Klienten bzw. Patienten<br />
Antidepressivum: auf die Psyche wirkendes Medikament <strong>zur</strong> Behandlung von Depressionen, stimmungsaufhellend und antriebssteigernd<br />
Body-Mass-Index (BMI): Der BMI errechnet sich nach dieser Formel: Köpergewicht in kg/Körpergröße in m<br />
Chronisch: über einen langen Zeitraum hinweg anhaltend<br />
Compliance: Bereitschaft des Patienten <strong>zur</strong> Mitarbeit, z. B. <strong>zur</strong> regelmäßigen Einnahme der verordneten Medikamente oder <strong>zur</strong><br />
Mitarbeit in der Psychotherapie<br />
Demenz: allmählicher Abbau der Persönlichkeit mit Verlust erworbener geistiger Fähigkeiten<br />
Komplementär: ergänzend<br />
Lebensqualität: ist – laut WHO – die Vorstellung des Menschen von seiner Stellung im Leben, im Kontext des Kultur- und Wertesystems,<br />
in dem er lebt, und in Beziehung zu seinen Zielen, Erwartungen, Normen und Belangen<br />
Manie: in der Psychiatrie der Gegenpol <strong>zur</strong> Depression, gekennzeichnet durch grundlose Heiterkeit, übertriebene Selbsteinschätzung,<br />
Enthemmung, erhöhten Bewegungs- und Rededrang und Verschwendungs sucht<br />
Neurologie: Wissenschaft von Aufbau, Funktion und Erkrankung des Nerven systems<br />
Neurotransmitter: Botenstoffe bzw. Über trägersubstanzen; sie ermöglichen oder unterstützen eine Übertragung und/oder Weiterleitung<br />
nervöser Erre gung im autonomen oder zentralen Nervensystem<br />
Placebo: Scheinmedikament ohne Wirk stoff, wird in Studien eingesetzt, um die Wirkung von Medikamenten nachzuweisen<br />
Prävalenz: Bestand an Fällen einer be stimmten Krankheit zu einem bestimmten Zeitpunkt, bezogen auf die Ein woh nerzahl; wird<br />
die Zeiteinheit länger gewählt, so spricht man z. B. von einer Wochen prävalenz bzw. Lebenszeit prä valenz<br />
Präventiv: vorbeugend<br />
Psych-: (gr.) Wortteil mit der Bedeutung „Seele, Gemüt“<br />
Psyche: Gesamtheit bewusster und unbewusster seelischer (insbesondere emotionaler) Vorgänge und geistiger bzw. intellektueller<br />
Funktionen<br />
Psychologie: Lehre vom Erleben und Verhalten des Menschen in Bezug auf sich und seine Umwelt<br />
Psychopharmaka: Arzneimittel, die auf die Psyche einwirken<br />
Rezidivierend: nach einer Unter bre chung oder nach einem bestimmten Zeit raum wieder auftretend<br />
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI): Art von Antidepressiva, die sele k tiv die Wiederaufnahme von Serotonin in die<br />
Nervenzelle hemmt<br />
Suizid: Selbsttötung<br />
Transmitter: Überträgerstoff der Ner ven zellen; Substanz, die durch chemische Reaktion an den Synapsen Informa tionen speichert<br />
oder weiterleitet<br />
WHO: Weltgesundheitsorganisation, Teil organisation der UNO<br />
Impressum: <strong>innenwelt</strong>: Informationen zum Thema Psyche für Betroffene, Angehörige und Ärzte. Eigentümer: Initiative Welt der Depression, unterstützt von Lundbeck Austria GmbH, Dresdner<br />
Straße 82, 1200 Wien. Redaktion: Katja Beran, Felicitas Freise. Art Direction, Grafik und DTP: phase5. Fotos: Archiv, fotolia.com. Redaktionsanschrift: Sommerergasse 14, 1130 Wien. E-Mail:<br />
redaktion@<strong>innenwelt</strong>.at. Offenlegung nach §15, Abs. 1–4, Mediengesetz: Grundlegende Richtung des Mediums: Informationen und Wissenswertes für das Leben mit seelischen Erkrankungen.<br />
Alle Texte und Beiträge in der <strong>innenwelt</strong> wurden nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Irrtümer sind jedoch vorbehalten. Alle Angaben sind ohne Gewähr. Jegliche Haftungsansprüche,<br />
insbesondere auch solche, die sich aus den Angaben zu Krankheitsbildern, Diagnosen und Therapien ergeben könnten, sind ausgeschlossen. Aufgrund der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf<br />
geschlechtsspezifische Bezeichnungen.<br />
38 INNENWELT
DAS MAGAZIN FÜR SEELISCHE GESUNDHEIT UND LEBENSQUALITÄT<br />
Warum immer mehr<br />
Jugendliche den Lebensmut<br />
verlieren – und was man<br />
dagegen tun kann.<br />
Stopp Suizid!<br />
ZUM<br />
Bestseller-Autor<br />
Andreas Salcher im<br />
großen Interview<br />
Psycho-Who is who<br />
● Wer macht was?<br />
Die Vorsilbe „Psy-“ weist darauf hin, dass<br />
es um die Behandlung der Seele geht. Doch<br />
dann nehmen die Verständnisprobleme auch<br />
schon ihren Lauf. Die unterschiedlichen Arbeitsfelder<br />
von Psychotherapeut, Psychiater<br />
und Psychologe werden allzu oft in einen<br />
Topf geworfen oder miteinander verwechselt.<br />
Die <strong>innenwelt</strong> erklärt, worin sich Psychiatrie,<br />
Psychologie und Psychotherapie<br />
unterscheiden.<br />
● Psychiatrie<br />
Der Begriff „Psychiatrie“ bedeutet „Heilkunde<br />
für psychische Erkrankungen“. Der<br />
Fachbereich befasst sich mit der Forschung,<br />
Diagnose und Behandlung psychischer Störungen.<br />
Was diesen Berufsstand auszeichnet,<br />
ist, dass die „Fachärzte für Psychiatrie und<br />
Psychotherapeutische Medizin“ zusätzlich<br />
zum Medizinstudium eine entsprechende<br />
intensive psychotherapeutische Ausbildung<br />
absolviert haben, die es ihnen möglich<br />
macht, psychotherapeutische Maßnahmen<br />
in einen medizinischen Gesamtbehandlungsplan<br />
zu integrieren.<br />
● Psychologie<br />
ist die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten<br />
und Erleben und hat zum Ziel, dieses mit<br />
wissenschaftlichen Methoden zu beschreiben,<br />
zu erklären, vorherzusagen und bei Bedarf auch<br />
positiv zu beeinflussen. Die Hauptgebiete der<br />
Psychologie sind die Theoretische Propädeutik<br />
(z. B. Statistik, Methodenlehre, Wissenschaftstheorie),<br />
die Allgemeine Psychologie (z. B. Neuro-,<br />
Wahrnehmungs- und Lernpsychologie), die<br />
Differenzielle Psychologie (z. B. Entwicklungs-,<br />
Persönlichkeits-, Motivations- und Sozialpsychologie)<br />
sowie die Angewandte Psychologie<br />
(z. B. Klinische, Arbeits-, Schul-, Medien- und<br />
Wirtschaftspsychologie).<br />
PsychologInnen haben ein abgeschlossenes<br />
Psychologie-Studium und weisen je nach<br />
Fachrichtung unterschiedliche Zusatzqualifikationen<br />
auf.<br />
● Psychotherapie<br />
ist die Behandlung von psychischen Leidenszuständen<br />
mit spezifischen therapeutischen<br />
Methoden und Interventionen.<br />
Die bekanntesten psychotherapeutischen<br />
Schulen sind Familientherapie, Gestalttherapie,<br />
Individualpsychologie, Logotherapie,<br />
Psychoanalyse, Systemische Therapie<br />
und Verhaltenstherapie/Kognitive Therapie.<br />
Um Psychotherapeut zu werden, ist weder<br />
ein Medizin- noch ein Psychologiestudium<br />
nötig, jedoch muss eine mehrjährige Psychotherapie-Ausbildung<br />
absolviert werden.<br />
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<strong>innenwelt</strong>0000_RZ_InnenWelt_002 24.08.2004 8:48 Uhr Seite 1<br />
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NEUES AUS DER WELT DER DEPRESSION FÜR BETROFFENE, ANGEHÖRIGE UND ÄRZTE<br />
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seiten<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
0079_RZ_InnenWelt_003 23.02.2005 11:49 Uhr Seite 1<br />
GEDICHT-WETTBEWERB:<br />
NEUES AUS DER WELT DER DEPRESSION FÜR BETROFFENE, ANGEHÖRIGE UND ÄRZTE<br />
Willi Resetarits,<br />
FAST forWORT>>-Schirmherr:<br />
Optimist<br />
Ich bin ein unheilbarer<br />
FAST forWORT>><br />
viele geniale Texte<br />
– drei glückliche<br />
Gewinner<br />
– Mit der Kraft der Kreativität gegen Depression.<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
657_InnenWelt_006_RZ 16.08.2006 11:20 Uhr Seite 1<br />
DAS MAGAZIN FÜR SEELISCHE GESUNDHEIT UND LEBENSQUALITÄT<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
only good news<br />
NEWSLETTER FÜR SEELISCHE GESUNDHEIT UND LEb ENSq U a LITä T<br />
11<br />
GRATIS!<br />
ZUM<br />
MITNEHMEN<br />
Liebeserklärung<br />
ans Leben<br />
Bestseller-Autor<br />
Andreas Salcher im<br />
großen Interview<br />
weg<br />
aus der<br />
depression<br />
Je frühzeitiger<br />
die Therapie,<br />
umso besser die<br />
Chancen!<br />
„ZWISCHEN SCHEIN UND SEIN” –<br />
DER UNTERNEHMER THOMAS KLEIN<br />
(„ALMDUDLER”) ÜBER SEIN LEBEN MIT DER DEPRESSION.<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
DAS MAGAZIN FÜR SEELISCHE GESUNDHEIT UND LEBENSQUALITÄT<br />
Kindheit im<br />
Schatten<br />
Hilfe für Kinder<br />
psychisch kranker<br />
Eltern<br />
Demenz<br />
Möglichst lange<br />
„normal“ leben –<br />
so wird es möglich.<br />
Foto: corbis – Andrew Haagen<br />
are good news<br />
Bei depression und angst:<br />
rechtzeitig therapie<br />
starten statt zuwarten!<br />
An einer psychischen Erkrankung<br />
zu leiden kann das Leben<br />
erheblich belasten. Der<br />
1. Österreichische Patientenbericht<br />
„Angststörung und<br />
Depression“ bringt es an den<br />
Tag: Die befragten Patienten<br />
führen an, dass sie nur sehr<br />
schlecht mit der Erkrankung<br />
und ihren Auswirkungen auf<br />
den Alltag leben können. Ein<br />
großes Problem besteht darin,<br />
das sich viele Menschen<br />
bei psychischen Problemen<br />
davor scheuen, ärztliche Hilfe<br />
in Anspruch zu nehmen.<br />
So vergehen laut Umfrage<br />
des 1. Österreichischen<br />
Patientenberichtes durchschnittlich<br />
rund 2,5 Jahre<br />
von den ersten Symptomen<br />
bis <strong>zur</strong> Therapie. Ähnlich ist<br />
die Situation bei Erkrankungen<br />
wie Alzheimer-Demenz<br />
und Parkinson, die ebenfa ls<br />
gese lschaftlich stigmatisiert<br />
werden. Umgekehrt: Je früher<br />
eine Therapie begonnen<br />
wird, desto besser stehen<br />
die Chancen, die Krankheit<br />
zu besiegen oder deren Fortschreiten<br />
zu verzögern.<br />
➜ Weiterlesen auf Seite 3<br />
sarah<br />
kuttner:<br />
schreiben<br />
gegen<br />
tabus<br />
Auf den Bestse lerlisten finden<br />
sich immer Bücher mit<br />
„sperrigen“ Themen wie<br />
Depression und Angst. Die<br />
deutsche TV-Moderatorin<br />
beschreibt in „Mängelexemplar“<br />
den psychischen<br />
Zusammenbruch der Endzwanzigerin<br />
Caro, die immer<br />
auf der Überholspur unterwegs<br />
ist, bis die „schwarzen<br />
Löcher in der Seele“ sie <strong>zur</strong><br />
inneren Einkehr zwingen.<br />
-> Lesen Sie mehr auf Seite 4<br />
10<br />
GRATIS!<br />
ANGST UND PANIKATTACKEN<br />
schluss mit der<br />
angst vor der<br />
angst – hier<br />
finden sie hilfe<br />
DR. CLAUDIA REINER-LAWUGGER:<br />
Postpartale<br />
Depression –<br />
das Seelenleid der<br />
jungen Mütter<br />
keine<br />
ZUM<br />
MITNEHMEN<br />
Suizid vermeiden!<br />
Jedes Opfer ist eines<br />
zuviel – Anzeichen erkennen<br />
und rechtzeitig (be)handeln.<br />
prominenter<br />
wirklichkeit<br />
seelenschmerz<br />
GENIAL VERRÜCKT. WARUM KÜNSTLER WIE ROBBIE<br />
WILLIAMS SO HÄUFIG AN DEPRESSIONEN & CO LEIDEN.<br />
news<br />
Foto: NDRN/ VIVA / Ruprecht Stempel<br />
01/09<br />
BIPOLARE DEPRESSION<br />
warum<br />
frühzeitige<br />
behandlung so<br />
wichtig ist<br />
06<br />
KABARETTISTIN ANDREA HÄNDLER:<br />
Was mir im<br />
Kampf gegen<br />
die Depression<br />
geholfen hat<br />
GRATIS!<br />
ZUM<br />
MITNEHMEN<br />
angst<br />
Foto: fotolia – Akley Road Photo<br />
Vielleicht gehören produktiveres Betriebsklima<br />
praktiziert wird, als<br />
Sie auch zu denen,<br />
die den Begriff „Krise“ das bisher der Fall war.<br />
nicht mehr hören können.<br />
Natürlich, Anlass, die fährt endlich den längst<br />
Das Bildungssystem er-<br />
Zukunft schwarzzumalen, überfä ligen Wandel, grüne<br />
Branchen boomen, er-<br />
gibt’s mehr als genug:<br />
globale Finanzflaute, Firmenpleiten<br />
innovative Technologien<br />
neuerbare Energien und<br />
und Kon-<br />
liegen im Aufwind, da in<br />
junktursor-<br />
gen, progvestiert<br />
wird, Kreativität<br />
diese mehr denn je innostizierte<br />
und Persönlichkeit zählen<br />
steigende wieder, es wird zunehmend<br />
kooperiert, statt<br />
Arbeitslosigkeit,<br />
wachsende Job- im Einzelkämpferwettbewerb<br />
gegeneinander zu<br />
unsicherheit, damit einhergehend<br />
der Anstieg arbeiten, wodurch eine<br />
psychischer Erkrankungen<br />
etc. Doch gleichrung<br />
um sich greift. Al-<br />
ganz neue, soziale Wähzeitig<br />
ist auch eine ganz les Gründe dafür, das im<br />
andere Stimmung im Journalismus gepredigte<br />
Land spürbar. Immer Motto „only bad news<br />
mehr Menschen lassen are good news“ entsprechend<br />
zu adaptieren. Wir<br />
sich von der alarmistischen<br />
Panikmache nicht schauen lieber nach vorne,<br />
bieten Lösungen und<br />
anstecken, im Gegenteil:<br />
Sie können dem wirtschaftlichen<br />
Umbruch Auch und gerade dann,<br />
setzen positive Impulse.<br />
durchaus überwiegend wenn es um das Thema<br />
Positives abgewinnen. psychische Erkrankungen<br />
Das Platzen der Finanzblase<br />
hat dazu geführt, letter, das jüngste Kind<br />
geht. Der <strong>innenwelt</strong> news-<br />
das „Höher-schnellerweiter“-Prinzip,<br />
welches bringt Ihnen in kompak-<br />
der „<strong>innenwelt</strong>-Familie“,<br />
uns Wirtschaftswachstum<br />
und Wohlstand ohne über neue wissenschaftliter<br />
Form einen Überblick<br />
Ende versprochen hat, zu che Studien, interessante<br />
hinterfragen. Alte Arbeitsplätze<br />
gehen zwar verlozepte,<br />
abgerundet durch<br />
Denkmode le und Konren<br />
– dafür aber erfinden Angebote <strong>zur</strong> Vernetzung<br />
sich viele Branchen neu, und Hilfe. Immer mit dem<br />
innovative Wirtschaftsmode<br />
le entstehen und kann auch mehr be<strong>wege</strong>n.<br />
Tenor: Wer mehr weiß,<br />
damit auch wieder Arbeitsplätze.<br />
An denen –<br />
Für sich und andere.<br />
durch die Rückbesinnung Eine gute Zeit wünscht<br />
auf Grundwerte wie Beständigkeit,<br />
Verantwor-<br />
Katja Beran<br />
Ihnen<br />
tung und Kooperation – Chefredaktion<br />
ein weitaus besseres und <strong>innenwelt</strong> newsletter<br />
Sind wir<br />
nicht alle ein<br />
bisschen Monk?<br />
Der TV-Liebling MONK jeden Donnerstag<br />
um 20:15 in ORF 1<br />
PSYCHOSOMATIK<br />
über die seele<br />
den körper<br />
heilen und<br />
gesund werden<br />
leben in der anderen<br />
Foto: ORF/Universal<br />
Foto: Lukas Beck<br />
03<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
944_Innenwelt_07_07 13.04.2007 11:28 Uhr Seite 1<br />
© www.lukasbeck.com<br />
DAS MAGAZIN FÜR SEELISCHE GESUNDHEIT UND LEBENSQUALITÄT<br />
vom<br />
GLÜCKS-SCHULUNG<br />
umfrage:<br />
was kinder<br />
stark fürs<br />
leben macht<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
schizophrenie-<br />
MAGERSUCHT<br />
07<br />
GRATIS!<br />
ZUM<br />
MITNEHMEN<br />
schmähbruder<br />
zum<br />
STARKABARETTIST<br />
ROLAND DÜRINGER<br />
GANZ PERSÖNLICH<br />
philosophen<br />
ZWANGSSTÖRUNGEN<br />
vom tick zum<br />
seelenterror:<br />
hilfe gegen<br />
den zwang<br />
hungern nach<br />
bestätigung<br />
kann tödlich<br />
enden<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
NEWSLETTER FÜR SEELISCHE GESUNDHEIT UND LEBENSQUALITÄT<br />
Tödliches<br />
Schweigen<br />
Die Seele in<br />
Szene setzen<br />
Neu: „Kinotherapie“ im Zur Unterhaltung a leine<br />
Anton-Proksch-Institut soll dieses nicht dienen. Vielmehr<br />
ist es das Ziel, über das<br />
Wien-Kalksburg.<br />
Medium Film therapeutische<br />
In Zeiten, in denen man sich Botschaften zu transportieren.<br />
An spezie len Abenden<br />
„im falschen Film“ glaubt,<br />
hilft es oft, sich den richtigen wird ein Seminarraum des<br />
Film im Kino anzuschauen. Anton-Proksch-Instituts<br />
Gute Filme sind wie Balsam<br />
für die Seele, in jedem Über Großbildprojektion<br />
zum Kino umfunktioniert.<br />
Ze luloid-Streifen steckt ein kann dann in der Gruppe ein<br />
Stück Lebenshilfe. Seit kurzem<br />
ist die „Kino-Therapie“ lebt werden. Unverzichtbar<br />
ausgewählter Kinofilm er-<br />
auch Teil des umfassenden ist die Nachbesprechung, bei<br />
Therapie-Angebots im Anton-Proksch-Institut<br />
Wien- und persönliche Botschaft<br />
der über Inhalt, Bedeutung<br />
Kalksburg. Österreichs modernste<br />
Suchtklinik macht Infos unter: www.api.co.at<br />
des Films diskutiert wird.<br />
durch innovative Behandlungen<br />
von sich reden – zuletzt<br />
durch das neu entwickelte<br />
ORPHEUS-PROGRAMM, zu<br />
welchem nun auch das Modul<br />
„Kino-Therapie“ gehört.<br />
WAS IST SCHIZOPHRENIE<br />
URSACHEN<br />
ANZEICHEN<br />
DIAGNOSE<br />
KRANKHEITSVERLAUF<br />
BEHANDLUNGSSTRATEGIEN<br />
LEBEN MIT SCHIZOPHRENIE<br />
LEITFADEN FÜR ANGEHÖRIGE<br />
Clearing<br />
Österreich:<br />
Job-<br />
Chancen<br />
„klären“<br />
Psychische Erkrankungen und<br />
Beeinträchtigungen bei Kindern<br />
und Jugendlichen stiegen<br />
deutlich an. Bereits 10–<br />
15% der jungen Österreicher<br />
benötigen therapeutische<br />
Unterstützung. Besonders<br />
dramatisch ist die Situation<br />
bei der Arbeitssuche. In Zeiten<br />
wachsender Arbeitslosigkeit<br />
schaut es spezie l für<br />
Jugendliche mit psychischen<br />
Problemen düster aus. Unterstützung<br />
für Jobsuchende<br />
bietet der Verein Clearing<br />
Österreich. Das Angebot des<br />
engagierten Teams ist auf die<br />
Bedürfnisse von Jugendlichen<br />
mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf, sozial-emotionaler<br />
Beeinträchtigung bzw.<br />
Behinderung an der Schwelle<br />
zwischen Schule und Beruf<br />
ausgerichtet. Ziel ist, diesen<br />
berufliche Perspektiven aufzuzeigen<br />
und bei den ersten<br />
Schritten in die Jobwelt zu<br />
unterstützen. Infos unter:<br />
www.clearing.or.at<br />
news<br />
DER TRAGISCHE TOD Enkes tragischer Tod löste<br />
DES DEUTSCHEN FUSS- eine Welle an Mitgefühl<br />
BALLTORHÜTERS und Betroffenheit aus –<br />
ROBERT ENKE ZEIGT: und lenkte den Fokus auf<br />
DEPRESSIONEN SIND ein brennendes Thema:<br />
IN UNSERER GESELL- Wie weit darf Selbstaufgabe<br />
gehen, um Leistung<br />
SCHAFT NOCH IMMER<br />
EIN TABU. MIT OFT zu erbringen? Sieg und<br />
TÖDLICHEN FOLGEN Niederlage liegen nah beieinander<br />
– Spitzenstars<br />
FÜR BETROFFENE.<br />
Profi-Sport ist ein hartes des internationalen Sports<br />
Business, das vollsten körperlichen<br />
wie mentalen Versagensängsten natur-<br />
sind Leistungsdruck und<br />
Einsatz erfordert. Aber wie gemäß in besonders hohem<br />
Maße ausgesetzt.<br />
weit darf Ehrgeiz gehen?<br />
Was läuft falsch, wenn Dennoch: Das Risiko, an<br />
sich junge Menschen lieber<br />
das Leben nehmen Arbeitswelt zu zerbrechen<br />
den Anforderungen der<br />
als Schwäche zuzulassen? und diese psychische<br />
Fragen, die der Selbstmord<br />
des 32 Jahre alten zu müssen, ist auch in<br />
Belastung verschweigen<br />
Top-Torwarts Robert Enke anderen Berufen gegeben.<br />
Wirtschaftskrise und<br />
aufwirft. Nach außen hin<br />
war Enke stets bemüht, Jobmangel machen diese<br />
Situation nicht besser,<br />
sich nichts anmerken zu<br />
lassen. In Wahrheit aber sondern verschärfen die<br />
litt der HSV-Spieler seit Notlage Betroffener drastisch.<br />
Die Österreichische<br />
vielen Jahren unter Depressionen.<br />
An einem Gese lschaft für Psychiatrie<br />
(ÖGPP) veranstaltete<br />
Dienstagabend ste lt er<br />
sich im niedersächsischen am 6.11.09 ein Pressegespräch<br />
in prominent<br />
Neustadt-Eilvese auf die<br />
Eisenbahnschienen. Um besetzter Runde. Thema:<br />
18.17 erfasst ihn der „Vertrauen in der Krise<br />
Regionalexpress 4427. statt Vertrauenskrise“.<br />
-> Mehr darüber lesen Sie im Innenteil<br />
● Fit für den<br />
Alltag bleiben<br />
Geheilt werden kann die tierungs- und A ltagstraining<br />
Krankheit Demenz noch und begleitenden psychotherapeutische<br />
Maßnahmen.<br />
nicht. Umso wichtiger ist es,<br />
den Verlauf der Erkrankung Wesentlich ist dabei, die<br />
zu verlangsamen und die Alltagsfähigkeiten<br />
der Betroffe-<br />
möglichst früh zu beginnen,<br />
medikamentöse Therapie<br />
nen möglichst lange zu erhalten.<br />
Dazu beitragen kann ersten Anzeichen einer be-<br />
nämlich dann, wenn sich die<br />
eine Kombination aus Medikamenten,<br />
körperlicher Ak-<br />
Weitere Infos finden Sie unginnenden<br />
Demen zeigen.<br />
tivität, Gedächtnis-, Orienter:<br />
www.alzheimerinfo.at<br />
© Studio Laif<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
DAS MAGAZIN FÜR SEELISCHE GESUNDHEIT UND LEbENSqUALITäT<br />
in zeitlupe<br />
diagnose morbus parkinson:<br />
hilfe für betroffene und<br />
angehörige<br />
engel fliegen einsam<br />
Der stille Tod des Songwriters<br />
Hannes S. Ein Nachruf<br />
– und viele Fragen.<br />
stärker als die sucht<br />
Kreatives Tun weckt<br />
ungeahnte Kräfte. Im Anton-<br />
Proksch-Institut setzt man<br />
auf ein neues Therapiekonzept.<br />
Mit Erfolg.<br />
lyrik? ja bitte!<br />
Start frei für den großen<br />
Lyrik-Wettbewerb der<br />
<strong>innenwelt</strong>. Wer<br />
schreibt, gewinnt!<br />
prominenter<br />
parkinson-patient:<br />
michael J. Fox<br />
gibt nicht auF<br />
leben<br />
08<br />
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Zum<br />
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<strong>innenwelt</strong><br />
DEPRESSION<br />
BIPOLARE DEPRESSION<br />
ANGST<br />
ZWANG<br />
SCHIZOPHRENIE<br />
DEMENZ<br />
SUCHT<br />
ESSSTÖRUNGEN<br />
PTSD<br />
PSYCHOSOMATIK<br />
SCHLAFSTÖRUNGEN<br />
MEDIKAMENTÖSE THERAPIE<br />
PSYCHOTHERAPIE<br />
KOMPLEMENTÄRMEDIZIN<br />
<strong>wege</strong> <strong>zur</strong> seelischen<br />
gesundheit<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
<strong>innenwelt</strong><br />
psychiater:<br />
was sie tun,<br />
wie sie helfen,<br />
neues<br />
<strong>innenwelt</strong><br />
über das<br />
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warum sie ärzte fürs leben sind!<br />
Neurologische uNd psychiatrische erkraNkuNgeN<br />
bei ältereN MeNscheN – experteN-iNfos uNd<br />
hilfe für betroffeNe uNd aNgehörige<br />
ein zeichen fürs<br />
leben setzen<br />
Lichtblick<br />
THERAPIE UND HEILUNG PSYCHISCHER<br />
ERKRANKUNGEN – DIE OPTIMALE THERAPIE<br />
IST UNERSETZBAR!<br />
Stopp Suizid!<br />
WDD-1852 11/2011<br />
Menschen, die an Depressionen leiden, erleben die Welt auf ihre Weise.<br />
Wir bieten Betroffenen und Angehörigen Hilfe und Unterstützung.<br />
www.<strong>innenwelt</strong>.at<br />
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