Leseprobe (pdf) - REVUE
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zen: Wem eignet das Neue zu, wenn<br />
es wissensdistribuiert öffentlich<br />
auftritt? Eigentum wird eine Sekundärfunktion<br />
von Wissen und vor<br />
allem: von Wissensumsetzung. Erst<br />
wer Wissen zu Markt bringt, trägt<br />
wieder den klassischen Mantel des<br />
property owners.<br />
Doch setzt der capitalismo nuovo<br />
bereits zu einem früheren Zeitpunkt<br />
seine Akzente: im kreativen Bereich<br />
des Wissens, des Wahrnehmens und<br />
Staunens. Der neue Kapitalismus definiert<br />
sich über die zunehmende<br />
Produktivität des eigentumslosen<br />
Kapitals der »Ideenpopulationen«.<br />
Treten wir in seine idealistische<br />
Phase?<br />
2. Die Ökonomie ließ vormals Ideen<br />
– von Produzenten und Konsumenten<br />
– in Waren münden. Es galt,<br />
»neues Wissen« zu entdecken, um<br />
Spannungen aufzulösen, die durch<br />
die Wahrnehmung von »Knappheiten«<br />
oder »Bedürfnissen« entstanden.<br />
Es wurde (wohl zuerst<br />
Marx) klar, dass der Apparat paradox<br />
operiert: Funktioniert er zu gut,<br />
droht er zusammen mit den Knappheiten<br />
auch sich selbst zu beseitigen.<br />
Zum Ende des 20. Jahrhunderts<br />
verkehrt die Ökonomie daher das<br />
Verhältnis von Idee und Ware. Sie<br />
stellt von Beseitigungsideen von Waren-Knappheiten<br />
auf die Produktion<br />
von »knappen Ideen« als Waren um.<br />
Knapp sind aber immer nur neue<br />
Ideen, nie alte; ihr Produktionsmodus<br />
ist die Reproduktion.<br />
Das Angebot sucht heute nicht<br />
mehr nach neuen Formen für gegebene<br />
Konsumideen, sondern gleich<br />
nach neuen Konsumideen, mit dem<br />
Akzent auf »neu«. Die Organisatio-<br />
nen sollen hierbei nicht mehr Kosten<br />
minimieren und in Masse produzieren,<br />
sondern die Veränderung der<br />
Waren im Fluss halten und sich am<br />
besten selbst ständig (und selbstständig)<br />
reorganisieren.<br />
Das Neusein wird zum eigentlichen<br />
Wert- und Zahlungsargument.<br />
Das Anbieten von Veränderung erfordert<br />
Beratung, Marktforschung, »innovative«<br />
Businesspläne, life-longlearning,<br />
Enthierarchisierung und<br />
Netzwerke in und zwischen Organisationen<br />
– alles Ideen-Produktionen,<br />
die von Neuheit und Vergänglichkeit<br />
leben. Als der fortan vorherrschende<br />
Konsummodus etabliert<br />
sich »Unterhaltung« – im breitesten<br />
und aktiven Sinne: Unterhaltung,<br />
über die man sich unterhält. Die<br />
größten Profite werden mit technischer<br />
und sozialer Infrastruktur<br />
gemacht, die nicht festlegt, was<br />
eigentlich gekauft wird, und daher<br />
alles verspricht, was man sich von<br />
ihr versprechen will. »Produkt« (das,<br />
was kostet und verkauft wird) und<br />
»Ware« (das, was produziert, gekauft<br />
und konsumiert wird) fallen auseinander.<br />
Gekauft wird soziale Teilnahme,<br />
verkauft werden deren Anlässe<br />
und Medien: Internet, Mobiltelefonie,<br />
Events mit und ohne »politische«<br />
Botschaft etc.<br />
Die natürliche Sprache und die<br />
Vielfalt ihres Ausdrucks werden als<br />
idealer Rohstoff entdeckt. Der Stoff<br />
ist billig zu haben, billig zu vervielfältigen,<br />
aber hochbegehrt und sein<br />
Verabeitungspotenzial unendlich –<br />
und er wird nicht als Endprodukt,<br />
sondern bereits im Rohzustand verkauft.<br />
Die Abnehmer fertigen hieraus,<br />
sich miteinander unterhaltend,<br />
was sie gerade unterhält. Die moderne<br />
»Werbung« beispielsweise ist<br />
nicht mehr nur suggestiv und unterhaltend,<br />
sie stößt vor allem Unterhaltung<br />
an. Sie kann sich Selbstironie,<br />
Unglaubwürdigkeit und selbst<br />
Null-Botschaften leisten, weil sie<br />
nicht Antworten geben, sondern<br />
Fragen provozieren will. Indem sie<br />
sich zurücknimmt und Wert-Urteile<br />
nicht vorwegnimmt, gewinnt sie an<br />
Einfluss.<br />
Diese Art von »Werbung« ist Selektion,<br />
aber nicht von Bewertungen,<br />
sondern von Bewertbarem. Sie<br />
sagt nicht, wie man werten soll – das<br />
will niemand hören –, sie sagt, was<br />
man werten soll, weil es »alle« werten.<br />
Das Problem der Werbung markiert<br />
das Problem der Konsumenten:<br />
nicht »Knappheit«, sondern Überfluss.<br />
¶<br />
Birger P. Priddat ist seit 2007 Präsident<br />
der Universität Witten/Herdecke. Zuvor<br />
war er Professor für Politische Ökonomie<br />
an der Zeppelin University in Friedrichshafen<br />
am Bodensee. Er beschäftigt sich mit<br />
Modernisierungslagen in Staat, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft, Institutional Changes und<br />
Nebengeräuschen des Weltgeschehens.<br />
Ladeur, K.-H. (2000). Negative Freiheitsrechte<br />
und gesellschaftliche Selbstorganisation.<br />
Die Erzeugung von Sozialkapital durch<br />
Institutionen, Tübingen: Mohr-Siebeck.<br />
Kolumne 92 Revue für postheroisches Management / Heft 2