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STADT RENDSBURG Geschichte und städtebauliche Entwicklung

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<strong>STADT</strong> <strong>RENDSBURG</strong><br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Gr<strong>und</strong>riss <strong>und</strong> Bausubstanz Rendsburgs lassen noch heute,<br />

100 Jahre nach der Entfestung, inmitten des Siedlungsraumes<br />

die beiden Ortskerne erkennen, aus denen sich die Stadt entwickelt<br />

hat: die mittelalterliche Altstadt mit unregelmäßig gewachsenem<br />

Straßennetz <strong>und</strong> Bauten aller Zeitepochen seit<br />

dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> die barocke Festungsstadt Neuwerk<br />

mit ihrer idealen Plangrafik <strong>und</strong> den stadtbildprägenden Gebäuden<br />

aus der Zeit um 1700. Völlig verschw<strong>und</strong>en ist dagegen<br />

das kleinere Kronwerk nördlich der Altstadt, an dessen<br />

Stelle am Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die erste Stadterweiterung<br />

trat.<br />

Entstehung Rendsburgs<br />

Die Lage der Rendsburger Altstadt auf einer Insel in der hier<br />

seenartig erweiterten Eider ist verantwortlich für die zwei<br />

wesentlichen Komponenten ihrer <strong>Entwicklung</strong>, zum einen<br />

als Handelsplatz, zum anderen als Festungsstadt. Dort, wo<br />

zwischen Jungmoränen- <strong>und</strong> Sanderlandschaft die Obereider<br />

in die von sumpfigen Niederungen begleitete Untereider übergeht,<br />

kreuzten sich seit der Vorzeit der schiffbare Eiderstrom<br />

<strong>und</strong> die uralte Handelsstraße von Jütland nach Mittel- <strong>und</strong><br />

Südeuropa, der noch heute so genannte Ochsenweg, welcher,<br />

den sandigen Mittelrücken der Cimbrischen Halbinsel nutzend,<br />

von Norden kommend zwangsläufig auf diese Flussinsel<br />

stieß. Sie war Schauplatz der Offa-Sage, einer der Gründungsmythen<br />

des Dänenreiches. Vermutlich hat hier die für<br />

das Jahr 811 bezeugte Grenzziehung zwischen dem Kaiserreich<br />

Karls des Großen <strong>und</strong> dem dänischen Königreich stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Siedlungsspuren reichen bis in das 10. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zurück. Auf der zentral gelegenen Eiderinsel im Vorfeld des<br />

älteren Danewerks lag vermutlich um 1100 die erste Burg,<br />

zunächst zum Schutze einer ersten Handelsniederlassung,<br />

doch schon bald in Grenzstreitigkeiten zwischen den Schauenburger<br />

Grafen <strong>und</strong> dem dänischen König verwickelt. Aus<br />

diesen Anfängen entstand später im 16. <strong>und</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

die dänische Reichsfestung „1. Ranges“, die das <strong>städtebauliche</strong><br />

Gefüge Rendsburg bis heute nachhaltig geprägt hat.<br />

Karte <strong>und</strong> Luftbild zeigen die Rendsburger Altstadt als unregelmäßiges<br />

Viereck zwischen Schloßplatz <strong>und</strong> Schiffbrückenplatz<br />

im Nordwesten <strong>und</strong> der Straße Am Holstentor im<br />

Südosten. Es wird von dem leicht gebogenen Verlauf der Mühlenstraße<br />

diagonal durchzogen. Hier, auf einer leichten Erhebung<br />

ziemlich in der Mitte der Ansiedlung, hat man sich die<br />

Keimzelle der ersten Siedlung mit Kirche <strong>und</strong> Rathaus vorzustellen.<br />

An der Nordostseite lag auf einem zweiten Hügel<br />

nördlich des Mühlengrabens – heute eine Gasse über dem<br />

alten Verlauf des Grabens – die Burg. Es wird vermutet, dass<br />

sie ursprünglich von dem dänischen Prinzen Björn gegen Ende<br />

des 11. Jahrh<strong>und</strong>erts errichtet wurde; der eigentliche Namensgeber<br />

war ein Reinold, von dem wir kaum etwas wissen.<br />

Jedenfalls stellte um 1200 Graf Adolf III. von Schauenburg<br />

das „castrum Reinoldesburch antiquum“ zur Grenzsicherung<br />

gegen den Dänenkönig Knud IV. wieder her, der die<br />

Burg jedoch bald darauf für kurze Zeit erobern konnte, ehe<br />

sie – vermutlich nach der Schlacht bei Bornhöved 1227, endgültig<br />

aber nach 1250 – auf Dauer an die Schauenburger fiel.<br />

Rendsburg um 1250. Planskizze Museen im Kulturzentrum Rendsburg, 1999<br />

Bis 1387 diente sie der regierenden Rendsburger Linie des<br />

Grafenhauses als zeitweilige Residenz. Ausbauten erfolgten<br />

unter den Grafen Heinrich I. († 1304) <strong>und</strong> Gerhard dem Großen<br />

(† 1340).<br />

Der Ochsenweg von Norden führte östlich an der Burg vorbei,<br />

zunächst vermutlich über eine Brücke, später auf einem<br />

Damm mit Schiffsdurchlass, danach über den Mühlenweg<br />

durch die Siedlung nach Südwesten <strong>und</strong> erreichte durch eine<br />

Furt im seichteren südlichen Eiderarm schließlich holsteinisches<br />

Gebiet.<br />

1253 ist Reinoldsburg in den Quellen zum ersten Mal als „civitas“<br />

erwähnt. Die Verleihung der Stadtrechte wird nach der<br />

Schlacht bei Bornhöved anzusetzen sein, als dies auch zahlreichen<br />

weiteren holsteinischen Siedlungen zuteil wurde, von<br />

Oldenburg 1233 bis Kiel 1242. 1312 taucht zum ersten Mal<br />

der Name „Rendesburch“ in den Quellen auf, spätestens in<br />

dieser Zeit war der Ort auch Münz- <strong>und</strong> Zollstätte. Ratsverfassung<br />

<strong>und</strong> Gerichtsordnung gingen auf das Lübische Stadtrecht<br />

zurück, wie einem Schreiben zu entnehmen ist, das von<br />

Graf Gerhard III. von Schauenburg 1339 beurk<strong>und</strong>et wurde.<br />

Gerhard der Große belohnte im gleichen Jahr die Stadt wegen<br />

ihrer tatkräftigen Unterstützung in seinem Kampf gegen den<br />

11


12 <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rendsburg von Norden. Kupferstich aus: Braun <strong>und</strong> Hogenberg, Civitatis orbis terrarum, 1588<br />

dänischen König mit einer Erweiterung des Stadtrechtes, dem<br />

„Großen Stadtprivileg“, befreite sie von der landesherrlichen<br />

Vogtei <strong>und</strong> schenkte ihr ein ausgedehntes Territorium, das zur<br />

Gr<strong>und</strong>lage späterer Stadterweiterungen wurde. Bereits von<br />

1334 datiert das älteste überlieferte Siegel der Stadt, das drei<br />

von einer Mauer umgebene Türme zeigt.<br />

Die mittelalterliche Stadt<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> der mittelalterlichen Siedlung verlief im Gegensatz<br />

zu anderen Gründungen der Zeit nicht planmäßig<br />

nach einheitlichem Gr<strong>und</strong>rissschema. Sie ging von der Durchgangsstraße<br />

Mühlenstraße aus, die zunächst im Süden am Stegengraben<br />

endete, <strong>und</strong> später als Schleifmühlenstraße bis an<br />

die Eiderfurt verlängert wurde. Zwei Tore sicherten den Zugang<br />

zur Stadtinsel: das Holstentor im Süden <strong>und</strong> das Mühlentor<br />

im Norden. Hinter letzterem stand am östlichen Ausgang<br />

des Mühlengrabens die 1304 erstmals urk<strong>und</strong>lich erwähnte<br />

Kornwassermühle des Burgherrn. Schon in den Gründungsjahren<br />

wird es einen Schiffsanleger gegeben haben, der westlich<br />

vom Schloss an der Stelle des Schiffbrückenplatzes lag;<br />

zu diesem führte direkt vom Rathaus ausgehend die Hohe<br />

Straße (ehemals hukstrate = Sackstraße), die ebenfalls durch ein<br />

Tor gesichert war. Unmittelbar westlich dieser „hukesporta“<br />

befand sich eine Heilig-Geist-Kapelle, die seit 1334 bezeugt ist.<br />

Die älteste Bebauung wird für die Westseite der Mühlenstraße<br />

<strong>und</strong> die Ostseite des Marienkirchhofes, die heutige Straße An<br />

der Marienkirche, <strong>und</strong> des Altstädter Marktes angenommen.<br />

Von letzteren führten Fußsteige zum Stegengraben <strong>und</strong> zur<br />

Eider hinunter. Der Stegen ist somit immer ein Fußweg gewesen;<br />

drei weitere dieser mittelalterlichen Verbindungswege,<br />

sehr viel schmaler als der Stegen <strong>und</strong> mit Stufen versehen, sind<br />

noch erhalten.<br />

Nach Bränden 1264 <strong>und</strong> 1286 wurde die Stadt offenbar größer<br />

wiederaufgebaut. Es entstanden die Neue Straße parallel zur<br />

Hohen Straße <strong>und</strong> die Nienstadtstraße jenseits des Stegengrabens,<br />

so dass die Besiedlung in der Folge bis an das Ufer des<br />

südlichen Eiderarmes, des späteren Holstengrabens heranreichte.<br />

Das Holstentor wurde vorverlegt an das Ende der<br />

Schleifmühlenstraße, der Verlängerung der Mühlenstraße. Die<br />

ebenfalls verbrannte erste Stadtkirche St. Marien wurde von<br />

1287 bis 1333/35 in der bestehenden Form als Backsteinhal-<br />

lenkirche an alter Stelle neu errichtet. Mit dem Neubau bildete<br />

sich eine Mariengilde, der Gerhard III. 1328 die Errichtung<br />

einer Vikarie genehmigte. Schon vor dem Stadtbrand<br />

von 1286 sind umfangreiche Handelsbeziehungen Rendsburgs<br />

bezeugt, deren Gr<strong>und</strong>lage ursprünglich die Ochsentrift, später<br />

der Getreidehandel zwischen den Gebieten an der Ostsee<br />

<strong>und</strong> dem Westen bildete. Zubringerhäfen an der Ostsee<br />

waren Kiel <strong>und</strong> Eckernförde. Der umfangreiche Wiederaufbau<br />

am Ende des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts sowie die Größe des Kirchenneubaus<br />

deuten auf eine ungebrochene Prosperität des<br />

Gemeinwesens schon damals hin. Die spätere <strong>Entwicklung</strong><br />

im 14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert wurde jedoch immer wieder durch<br />

periodisch ausbrechende Pestepidemien (die verheerendste<br />

1350) <strong>und</strong> Stadtbrände unterbrochen.<br />

Außer den Toren scheint es in dieser Frühzeit keine weiteren<br />

Befestigungen der Stadt gegeben zu haben. Man verließ sich<br />

auf den natürlichen Schutz der Insellage <strong>und</strong> auf die Burg.<br />

Ob Stadt <strong>und</strong> Burg ursprünglich auf zwei getrennten Inseln<br />

lagen, ist nicht eindeutig zu klären, auf jeden Fall stand die<br />

Burg nördlich isoliert vor der Stadt, von dieser wohl schon<br />

früh durch den Mühlengraben getrennt <strong>und</strong>, glaubt man den<br />

ersten kartographischen Darstellungen von Mejer <strong>und</strong> Merian<br />

1645, nur über ein System von Brücken <strong>und</strong> Dämmen vom<br />

nördlichen Festland <strong>und</strong> von der Stadt aus zugänglich. Eine<br />

Umwallung wird das Schloss, im Gegensatz zur Ansiedlung,<br />

von Beginn an geschützt haben.<br />

Am Nordufer der Eider auf heutigem Rendsburger Stadtgebiet<br />

war vermutlich gleichzeitig mit der Siedlung auf der Eiderinsel<br />

das Dorf Kampen entstanden. Als zentraler Ort eines<br />

Kirchspiels, dem zahlreiche umliegende Gemeinden angehörten,<br />

besaß es eine Kirche, die zu Beginn des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

erbaut worden <strong>und</strong> ebenfalls der Maria geweiht war. Im Unterschied<br />

zur Stadtkirche wurde sie St. Marien „buten Rendsborg“<br />

genannt. Das mittelalterliche Gotteshaus war 1593 so<br />

verfallen, dass es abgebrochen <strong>und</strong> durch einen Neubau in<br />

schlichten Renaissanceformen ersetzt werden musste. Die Ortschaft<br />

ging im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert in dem östlich angrenzenden<br />

Vorort Vinzier auf. 1691 wurde alles dem Erdboden gleichgemacht,<br />

um Platz für das neue Kronwerk zu schaffen. Für das<br />

verwaiste Kirchspiel entstand 1692-1694 eine neue Kirche in<br />

Hohn.<br />

Zur Versorgung der Armen wurde um 1300 das Heiliggeisthospital<br />

gegründet, wohl von Beginn an eine städtische Ein-


ichtung. 1334 ist ein „Provisor domus sancti spiritus“ überliefert,<br />

1355 wird einer von zwei Vorstehern des Spitals von<br />

Bürgermeister <strong>und</strong> Rat eingesetzt. Um diese Zeit gab es bereits<br />

zwei unterschiedliche Gebäude, das Heiliggeisthaus mit<br />

Kapelle, gelegen zwischen Schiffbrücke <strong>und</strong> der Kurzen Straße,<br />

<strong>und</strong> das Gasthaus in der Nähe der Marienkirche, das die früheste<br />

Stadtansicht von Braun <strong>und</strong> Hogenberg aus dem Jahre<br />

1584 wiedergibt. 1375 schenkte der Ritter Man Porsefeld der<br />

Heiliggeiststiftung ein beträchtliches Gr<strong>und</strong>stück zwischen dem<br />

Bach Seekenbek <strong>und</strong> dem Fockbeker See, auf dem ein Siechenhaus,<br />

der St.-Jürgen-Hof, errichtet wurde, der bis 1695 bestand.<br />

Auch der See mit einer Wassermühle gehörte dazu, der<br />

Name Armensee erinnert an die mittelalterliche Schenkung.<br />

Gerhard der Große stiftete 1330 eine Nicolai-Kapelle, die vor<br />

den Toren der Stadt in unmittelbarer Nähe zum Schloss gelegen<br />

haben soll. 1376 fand die Weihe einer weiteren Kapelle<br />

auf dem Markt statt. Ob diese „capella in foro“ tatsächlich<br />

auf dem Platz gestanden hat, darf auf Gr<strong>und</strong> der beengten<br />

Verhältnisse bezweifelt werden. Die wenigen Quellen lassen<br />

eher eine Lage innerhalb der Häuserzeile zwischen Rathaus<br />

<strong>und</strong> Stegen vermuten.<br />

Bereits vor 1394 gab es die erste Stadtschule in Rendsburg, die<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> 13<br />

der Verantwortung der Kirche unterstand. Sie wurde nach<br />

einem Rechtsstreit zwischen Kirche <strong>und</strong> Rat in jenem Jahr<br />

an der Marienkirche neu errichtet <strong>und</strong> war Vorläuferin der<br />

1590 gegründeten Lateinschule.<br />

Für die Jahre 1417 <strong>und</strong> 1424 sind weitere Stadtbrände verzeichnet.<br />

Beide Male waren vor allem Hohe Straße <strong>und</strong> Neue<br />

Straße betroffen, 1424 verbrannte das Holstentor mit seinem<br />

Bollwerk am Holstengraben.<br />

1446 wird das „nyge Raedhus“ erwähnt. Es stand zwischen<br />

Marktplatz <strong>und</strong> Kirchhof, vermutlich neben einem bis ins<br />

16. Jahrh<strong>und</strong>ert weiter existierenden Vorgängerbau, dort, wo<br />

auch der heutige Bau gelegen ist. Bereits 1446 war unterhalb<br />

der alten Kornwassermühle eine Schleifmühle entstanden, die<br />

hauptsächlich von der Besatzung der Burg in Anspruch genommen<br />

wurde. In ihrer Nachbarschaft baute man 1538 eine<br />

Lohmühle.<br />

Das Amt Rendsburg war aus der Burgvogtei entstanden, die<br />

die Eigengüter des Landesherrn hoheitlich verwaltete. Das<br />

Privileg Gerhards des Großen von 1339 befreite die Stadt aus<br />

der bis dahin bestehenden Gerichtsbarkeit des Burgvogtes. Ab<br />

Mitte des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts wurde aus der Vogtei das Amt. Ihm<br />

gehörten Rendsburg, Jevenstedt, Nortorf <strong>und</strong> Hohenwestedt<br />

Plan von Rendsburg. Kupferstich von Matthias <strong>und</strong> Nicolaus Petersen aus: Caspar Danckwerth, Newe Landesbeschreibung der zwey herzogthümer Schleswich<br />

uns Holstein …, 1652


14 <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rendsburg mit Befestigungsanlagen. Zeichnung von Jobst von Scholten, 1686<br />

an, auch nördlich der Eider die schleswigschen Orte Borgstedt,<br />

Lehmbek <strong>und</strong> Nübbel, nach 1460 die Kirchspiele Schenefeld,<br />

Hohenwestedt <strong>und</strong> vorübergehend Neumünster.<br />

Zum Burgbezirk gehörten neben Büdelsdorf, in dem das Vorwerk<br />

zur Versorgung der Burg lag, die Dörfer Fockbek, Nübbel,<br />

Borgstedt, Lehmbek, Schacht-Audorf, Ostenfeld <strong>und</strong><br />

Schülldorf. Noch im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert waren die Büdelsdorfer<br />

Hof- <strong>und</strong> Amtsdiener <strong>und</strong> es mag aus dem „Budel“, neuhochdeutsch<br />

„Büttel“, der Ortsname entstanden sein.<br />

Rendsburg im 16. <strong>und</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Seit 1386, als der Schauenburger Graf Gerhard VI. mit dem<br />

Herzogtum Schleswig belehnt wurde, war Rendsburg nicht<br />

mehr Residenzstadt, die Residenz wurde nach Gottorf verlegt.<br />

Die Burg blieb lokaler Verwaltungsmittelpunkt des Amtes<br />

Rendsburg <strong>und</strong> wurde nach den Ereignissen, die zu dem berühmten<br />

Vertrag von Ripen 1460 führten, Sitz der Witwe des<br />

letzten Schauenburger Grafen <strong>und</strong> Herzogs Adolf VIII. Rendsburg<br />

kam später, in den Landesteilungen des Hauses Oldenburg<br />

1490 <strong>und</strong> zuletzt 1580, zum königlichen Anteil. Bedeutung<br />

hatte das Schloss zunächst weiterhin als Ort der Landtage,<br />

u. a. in den Jahren 1533 (Rendsburger Union zwischen<br />

Dänemark <strong>und</strong> den Herzogtümern), 1542 (Annahme der Reformation<br />

durch die Herzogtümer) <strong>und</strong> 1544, als die Landesteilung<br />

zwischen den Brüdern König Christian III., Herzog<br />

Johann dem Älteren <strong>und</strong> Herzog Adolf vollzogen wurde.<br />

Johann erhielt das Amt Rendsburg. Er bestätigte 1546 den<br />

Rendsburger Bürgern ihre Rechte <strong>und</strong> Privilegien <strong>und</strong> ließ noch<br />

1578 die verfallene mittelalterliche Burg instandsetzen <strong>und</strong> als<br />

stattliches vierflügeliges Schloss in Renaissanceformen ausbauen.<br />

Im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert gelangte die Stadt durch das Aufblühen<br />

von Handel <strong>und</strong> Gewerbe zu einigem Wohlstand. In Ost-<br />

Westrichtung kam Frachtgut über Eckernförde auf dem Landweg<br />

nach Rendsburg, auch von Kiel über Flemhude; bis dahin<br />

war die Eider schiffbar. Auf der Rendsburger Schiffbrücke<br />

lud man die Waren um <strong>und</strong> kassierte Brückengeld. Der Rendsburger<br />

Wareneinkauf in den beiden Ostseestädten wurde 1481<br />

durch ein königliches Privileg abgesichert. Die Rendsburger<br />

Eiderschifffahrt bediente nicht nur den Transithandel, sondern<br />

beförderte ebenso Waren aus der Umgegend, im Wesentlichen<br />

Holz, das damals noch reichlich vorhanden war, <strong>und</strong> Getreide.<br />

Ihre Flussschiffe segelten nach Süderstapel <strong>und</strong> Tönning, aber<br />

auch bis nach Hamburg, einige seegehende Schiffe sogar bis<br />

an die niederländische Küste. Die Zolleinnahmen am Ochsenhandel<br />

flossen dagegen in die Kasse des Landesherren.<br />

Nach dem Ausbau Tönnings zum Umschlagshafen an der Ei-


dermündung ab 1590 <strong>und</strong> der Gründung von Friedrichstadt<br />

1621 war das regional begrenzte Handelsmonopol Rendsburgs<br />

nicht länger aufrechtzuerhalten. Es geriet in die zunehmenden<br />

politischen Auseinandersetzungen zwischen den dänischen<br />

Königen <strong>und</strong> den Gottorfer Herzögen. Zwar kamen Handel<br />

<strong>und</strong> Schifffahrt nicht zum Erliegen, doch die Zukunft der<br />

Stadt lag auf anderem Gebiet: seit den kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

in den dreißiger Jahren des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

war ihre strategische Bedeutung evident geworden <strong>und</strong> führte<br />

zu ersten Befestigungen der Altstadtinsel.<br />

Zur <strong>Geschichte</strong> der Festungsanlagen Rendsburgs<br />

In den ersten Jahrh<strong>und</strong>erten der Stadtentwicklung waren Burg<br />

<strong>und</strong> Siedlung als strategisch wichtiger Standort auf der Eiderinsel<br />

zwar häufig Gegenstand kriegerischer Auseinandersetzungen,<br />

doch liegen keine konkreten Daten über einen Ausbau<br />

von Befestigungen auf der Stadtinsel vor. Im ersten Drittel<br />

des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts errichtete Gerhard III. – wohl im Zusammenhang<br />

mit einem Ausbau der Burganlage – den r<strong>und</strong>en<br />

Turm, dessen Standort in jüngerer Zeit östlich des Hospitals<br />

zum Heiligen Geist nachgewiesen wurde. Die Stadt blieb bis<br />

ins 16. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein ungeschützt, nur das auf eigener<br />

Insel liegende Schloss war durch Wälle gesichert; die vermut-<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> 15<br />

lich hölzernen Stadttore an beiden Enden der Mühlen-/Schleifmühlenstraße<br />

<strong>und</strong> zum Hafen hin hatten keinerlei militärische<br />

Bedeutung, sie konnten lediglich Fremden den Zugang zur<br />

Stadt verwehren.<br />

König Christian III. ließ unmittelbar nach der siegreichen Beendigung<br />

des Krieges gegen die Lübecker unter Jürgen Wullenwever<br />

(Grafenfehde) 1536 Befestigungen errichten, die erstmals<br />

die Stadt selbst mit einbezogen. Dabei blieb der Stadtgr<strong>und</strong>riss<br />

im Wesentlichen mit der Abgrenzung zur Schlossinsel durch<br />

den Mühlengraben ebenso erhalten wie der Verlauf von Mühlen-<br />

<strong>und</strong> Schleifmühlenstraße, die Plätze an Rathaus <strong>und</strong> Marienkirche,<br />

auch Stegen, Neue Straße sowie die Nienstadtstraße.<br />

Der Stegengraben durchlief die Stadt insgesamt von Ost nach<br />

West. Der Verlauf des Holstengrabens – die südliche Wasserfläche<br />

zwischen Stadtinsel <strong>und</strong> Festland – wurde mehrfach<br />

durch Arbeiten an den Uferbefestigungen verändert. 1539/40<br />

erfolgte eine Erneuerung der Verteidigungsanlagen, die dann<br />

lange Zeit unverändert blieben.<br />

Nach dem Tode Herzog Johanns des Älteren 1580 fiel Rendsburg<br />

erneut an den König. Damit kam der Festung zukünftig<br />

gesamtstaatliche Bedeutung zu, das Schloss wurde im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zur Reiseresidenz der dänischen Könige. Während<br />

des Dreißigjährigen Krieges wurden die inzwischen veralteten<br />

Umwallungen lediglich verstärkt. Ende der 1660er Jahre<br />

erfolgte eine gr<strong>und</strong>legende Fortifikation unter Henrik Ruse.<br />

„Accourater Gr<strong>und</strong>riss der Festung Rendtsbourg“. Getönte Federzeichnung von Rudolph Matthias Dallin, um 1700


16 <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rendsburg von Nordwesten. Im Vordergr<strong>und</strong> das Kronwerk, in der Bildmitte die Altstadt, rechts das Neuwerk. Gezeichnet <strong>und</strong> lithographiert von Anton<br />

Ludwig Meinung, 1840<br />

Ruse griff als erster 1669 mit Bastionen im Norden <strong>und</strong> Süden<br />

über den Bereich der Stadtinsel hinaus auf das Festland.<br />

Schloss <strong>und</strong> Stadtbefestigung wurden – in Verbindung mit einer<br />

erheblichen Erweiterung im Norden – zu einer Gesamtanlage<br />

zusammengefasst. Die so entstandenen Schleuskuhlen nördlich<br />

vom Schloss <strong>und</strong> einem nunmehr ebenfalls in die Befestigungsanlage<br />

einbezogenen Hafen, wurden nach der Trockenlegung<br />

im Wesentlichen zwischen 1691 <strong>und</strong> 1694 bebaut. Dieses Quartier<br />

ist mit Torstraße, Schleuskuhle, Denkerstraße, Schiffbrückenplatz<br />

<strong>und</strong> Holsteiner Straße bis heute im Straßengefüge<br />

erhalten. Im Bereich der Altstadt blieb der Stadtgr<strong>und</strong>riss<br />

unverändert, lediglich der Stegengraben wurde auf der Südwestseite<br />

kurz vor der Wallanlage nach Nordwesten geführt<br />

<strong>und</strong> über den neuen – verteidigungstechnisch abgesicherten –<br />

Binnenhafen in die Untereider geleitet. Ruses Anlage war aus<br />

einer traditionellen Vorstellung von Verteidigungsbauten heraus<br />

entstanden <strong>und</strong> geriet – in einer Zeit großer Veränderungen<br />

in der Festungsbautechnik – schnell in die Kritik. Darüber<br />

hinaus fiel in Kopenhagen die Entscheidung, Rendsburg zu<br />

einer Landesfestung „1. Ranges“ <strong>und</strong> damit zur zweitstärksten<br />

Festung nach Kopenhagen auszubauen. Dies geschah zwischen<br />

1690 <strong>und</strong> 1695 unter der Leitung von Generalmajor Jobst von<br />

Scholten auf der Gr<strong>und</strong>lage modernster Festungsbaukunst in<br />

der damaligen Zeit, wie sie vor allem von dem französischen<br />

Marschall Sebastian de Vauban (1633-1707) vertreten wurde.<br />

Scholten schuf zwei zusätzliche Festungen, die der Stadtinsel<br />

im Norden <strong>und</strong> Süden vorgelagert wurden. Für das nördliche<br />

„Kronwerk“ mussten die beiden Ortschaften Vinzier <strong>und</strong><br />

Kampen niedergelegt werden. Das sehr viel größere, in Form<br />

eines halben Zehnecks ausgeführte „Neuwerk“ erstreckte sich<br />

südlich der Altstadt <strong>und</strong> des Holstengrabens auf freiem Gelände.<br />

Hier wuchs zugleich mit dem Festungswerk ein völlig<br />

neuer Stadtteil heran, der bis zum Jahre 1700 schon umfangreich<br />

bebaut war.<br />

Das Schloss, als Reisequartier des Königs bis 1713 genutzt,<br />

aber stets nur notdürftig instandgesetzt, verfiel im Laufe des<br />

17. <strong>und</strong> beginnenden 18. Jahrh<strong>und</strong>erts so sehr, dass man 1715<br />

nicht einmal mehr schwedische Kriegsgefangene dort unterbringen<br />

mochte. So wurde es zwischen 1718 <strong>und</strong> 1726 vollständig<br />

abgebrochen. An seiner Stelle entstanden 1758 <strong>und</strong><br />

1760 die so genannten Schlossbaracken, deren erste wiederum<br />

1898 zum Abbruch kam. In der zweiten, noch stehenden befindet<br />

sich heute das Heilig-Geist-Stift.<br />

Welchen Wert der dänische König der Reichsfestung Rendsburg<br />

beimaß, war daraus zu ersehen, dass die Bastionen des<br />

Neuwerks die Namen der königlichen Familie führten, die<br />

Straßen nach der königlichen Tafelr<strong>und</strong>e, Altstadt- <strong>und</strong> Kronwerksbastionen,<br />

Außenforts <strong>und</strong> Lunetten nach Landschaften<br />

<strong>und</strong> Städten der Herzogtümer benannt wurden. Das dänische<br />

Königtum selbst verteidigte sich hier in vorderster Frontlinie<br />

gegen die permanent unbotmäßigen Gottorfer Herzöge <strong>und</strong><br />

ihre etwaigen mächtigeren Verbündeten. Anderthalb Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

hatte die Festung Bestand, ohne eine Feuerprobe bestehen<br />

zu müssen, <strong>und</strong> wurde schließlich, nach dem Scheitern<br />

der schleswig-holsteinischen Erhebung von 1848-1850, in<br />

einem Jahrzehnte dauernden Prozess, erst unter dänischer,<br />

dann unter preußisch-deutscher Herrschaft, geschleift, wobei<br />

das Erscheinungsbild der Stadt sich tiefgreifend veränderte.


„Prospect von der Festung Rendsburg auf der Süderseite“. Aquarell von G. Reimer, 1780<br />

Das 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Zunächst jedoch war Rendsburg für lange Zeit, bis zum Ende<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, als <strong>städtebauliche</strong> Konfiguration in seiner<br />

überwiegend militärischen Funktion festgelegt <strong>und</strong> in seiner<br />

wirtschaftlichen <strong>Entwicklung</strong> dieser absolut untergeordnet.<br />

Symbolhaft deutlich wurde das in dem Besuch des mit<br />

Dänemark im Nordischen Krieg verbündeten Zaren Peter<br />

des Großen, der am 22. Januar 1713 mit seinem Gefolge <strong>und</strong><br />

riesiger Truppenzahl in Rendsburg einritt. Die russischen <strong>und</strong><br />

Teile der sächsischen Armee überfluteten, wie es hieß, den<br />

Paradeplatz <strong>und</strong> die umliegenden Gassen des Neuwerks, um<br />

hier über längere Zeit Quartier zu nehmen.<br />

Die zivile Bebauung des riesigen Areals im Neuwerk zog sich<br />

bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts hin. Das Gründungsprivileg<br />

König Christians V. von 1692 sicherte Neubürgern,<br />

die sich hier niederlassen wollten, kostenlosen Baugr<strong>und</strong>,<br />

zeitlich begrenzte Steuerbefreiung <strong>und</strong> Gewerbefreiheit zu,<br />

was zu einem Aufbrechen der traditionellen Zunftordnung<br />

führte. Die umfangreiche Bautätigkeit zog alle Arten von<br />

Handwerkern in die Stadt. Als Bauunternehmer großen Stils<br />

wirkte seit 1691 sowohl an den Festungswerken, wie an den<br />

meisten militärischen <strong>und</strong> zahlreichen zivilen Bauten Domenico<br />

Pelli aus dem Tessin, der sein Handwerk möglicherweise<br />

bei Vauban in Straßburg gelernt hatte <strong>und</strong> ab 1692 die königlichen<br />

Gebäude am Paradeplatz errichtete. Zu Beginn des neuen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts entstanden zahlreiche weitere Häuser an den<br />

Schleuskuhlen in der nördlichen Altstadt, ein Zeichen dafür,<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> 17<br />

dass in dem eng umgrenzten Areal der Festung die Bauplätze<br />

knapp wurden; die Einwohnerzahl hatte sich seit 1690 von<br />

etwa 3000 auf 6000 einschließlich der Garnison verdoppelt.<br />

Zahlreich erhaltene Stadtpläne aus dem 18. <strong>und</strong> der ersten<br />

Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts zeigen dann nur noch marginale<br />

Änderungen in der Bebauung.<br />

Nach Aufhebung der Zollstellen in Süderstapel <strong>und</strong> Tönning<br />

erlebte der Rendsburger Handel einen Aufschwung. 1701<br />

wurde die Kramerkompanie gegründet, die die Nachfolge der<br />

Schifferzunft antrat <strong>und</strong> bis zum Erlass der preußischen Gewerbeordnung<br />

1871 existierte. In ihr wirkte die Zunftordnung<br />

noch fort, sie war insbesondere ein Instrument zur Ausgrenzung<br />

jüdischer Händler, die durch das Privileg von 1692 in<br />

die Stadt gelockt worden waren. Der Kampf der jüdischen<br />

Geschäftsleute währte bis ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. 1732 bauten die<br />

Juden ihre erste Synagoge in der Prinzessinstraße, die 1845<br />

durch den bestehenden Bau ersetzt wurde.<br />

Der verstärkte Wasserverkehr machte eine Verbesserung der<br />

Schiffbarkeit der Eider notwendig. 1731/32 wurde die Wasserschleuse<br />

im Kronwerk, fünf Jahre später die Schleuse vor<br />

dem Alt-Holsteiner Tor erneuert. 1745 kam ein erster Großbagger<br />

zur Vertiefung der durch den Festungsbau verschlickten<br />

Eider zum Einsatz, in den Jahren 1774-1784 wurde mit dem<br />

Bau des Eiderkanals von Holtenau nach Rendsburg die Voraussetzung<br />

für eine Neubelebung der Handelsschifffahrt geschaffen,<br />

die zum ersten Mal in der <strong>Geschichte</strong> eine durchgängige<br />

Wasserstraße zwischen Ostsee <strong>und</strong> Nordsee benutzen konnte.<br />

Wie in Holtenau <strong>und</strong> in Tönning an der Eidermündung ent-


18 <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rendsburg von Nordosten. Federzeichnung von Ludwig Mertens, um 1850. Rechts die Büdelsdorfer Carlshütte, im Hintergr<strong>und</strong> links die Stadt.<br />

standen im Kronwerk neben der Eiderschleuse ein mächtiges<br />

Packhaus, dazu gegenüber das repräsentative königliche<br />

Zollhaus. Der erhöhte Bedarf an Baustoffen führte zum Entstehen<br />

florierender Holzhandlungen, doch erfüllte der Kanal<br />

aus wirtschaftlicher Sicht nicht die in ihn gesetzten Erwartungen.<br />

Der Schiffsverkehr brachte für Rendsburg nicht die<br />

erhofften Erlöse, der Schiffbrückenhafen fiel an die königliche<br />

Kanalkommission, <strong>und</strong> um in den Fernhandel einzugreifen,<br />

verfügten die Rendsburger Kaufleute nicht über das notwendige<br />

Kapital.<br />

Im Übrigen litten die Rendsburger Mühlenstandorte ganz erheblich<br />

unter einer Absenkung des Wasserspiegels infolge des<br />

Kanalbaus. Die traditionsreiche Kornwassermühle musste<br />

ihren Betrieb einstellen, als Ersatz wurden zwei Windmühlen<br />

auf den Bastionen König <strong>und</strong> Königin im westlichen Neuwerk<br />

errichtet. Betroffen waren ebenfalls die von Gerbern <strong>und</strong> Wollwebern<br />

genutzte Stampfmühle am Stegengraben, die Lohmühle,<br />

in der Borke für die Gerber gemahlen wurde, die seit<br />

1716 existierende Öl- <strong>und</strong> Graupenmühle auf dem Standort<br />

des heutigen Postgebäudes am Jungfernstieg <strong>und</strong> nicht zuletzt<br />

die Wasserkunst, an der die Versorgung der Altstadt mit Leitungs-<br />

<strong>und</strong> Brunnenwasser hing.<br />

1827 gründete Marcus Hartwig Holler im benachbartem Büdelsdorf<br />

das erste Industriewerk, die Carlshütte, eine Eisengießerei,<br />

deren frühe Produkte heute noch überall in Schleswig-Holstein<br />

zu finden sind. 1840-1842 entstand dabei die älteste<br />

Werksiedlung im Lande nach der der Flensburger Kupfermühle,<br />

der zwischen 1878 <strong>und</strong> 1912 fünf weitere Siedlungen<br />

folgten. Die erste Eisenbahntrasse wurde 1845 nach Neumüns-<br />

ter gelegt <strong>und</strong> schloss Rendsburg an die Linie Kiel – Altona an.<br />

Sie begann außerhalb der Festung an einem Kopfbahnhof unmittelbar<br />

südlich der Alten Kieler Landstraße, hinter dem Haus<br />

Nr. 108. Bereits ein Jahr später begann man, das Gleis in die<br />

Festung zu verlängern, was sich zunächst als fataler Fehler erweisen<br />

sollte, da 1848 die schleswig-holsteinischen Aufständischen<br />

auf diesem Wege in die Festung gelangten <strong>und</strong> sie kampflos<br />

erobern konnten. Rendsburg wurde Sitz der Provisorischen<br />

Regierung, in der Kommandantur am Paradeplatz tagte anfangs<br />

die schleswig-holsteinische Ständeversammlung.<br />

Nach dem Zusammenbruch der Erhebung <strong>und</strong> der Übergabe<br />

Rendsburgs an die Dänen 1852 beschlossen diese, die Festung<br />

umgehend zu liquidieren. Das Kronwerk wurde 1853 eingeebnet,<br />

in den Jahren 1854 bis 1861 beseitigte man die Wallanlagen<br />

der Altstadtinsel <strong>und</strong> verleibte ihr die vier in Ober- <strong>und</strong><br />

Untereider vorgelagerten Ravelins Dithmarschen, Schnitters<br />

Eiland, Laboratoriums-Eiland <strong>und</strong> das Elephanten-Ravelin<br />

durch Zuschüttung der trennenden Wasserflächen ein, ebenso<br />

das nördlich zum Kronwerk hin gelegene Ravelin Schleswig.<br />

Die einschneidenden Veränderungen des unmittelbaren Umfeldes<br />

führten mit Hilfe des 1844 gegründeten Verschönerungsvereins<br />

zu einer nachhaltigen Aufwertung des Stadtbildes.<br />

Zwischen Altstadt <strong>und</strong> Neuwerk, später auf dem Gelände des<br />

Kronwerks <strong>und</strong> dem früheren Elephanten-Ravelin entstanden<br />

umfangreiche Grünanlagen, die bis heute die Stadt prägen.<br />

Ab 1854 wurde die Verbindung des ersten Bahngleises zur<br />

„Südschleswigschen Eisenbahn“ über Ohrstedt nach Flensburg<br />

hergestellt. Obgleich von dänischer Seite die Schleifung<br />

der Festungswerke bereits begonnen hatte, errichtete man den


neuen Bahnhof erneut außerhalb der Stadt auf der Fläche des<br />

soeben beseitigten Kronwerks. Erst 1873 entstand der Bahnhof<br />

an der heutigen Stelle, der zwischenzeitlich mehrfach umgebaut<br />

wurde.<br />

Die in Nachfolge der mittelalterlichen Tradition sich kreuzenden<br />

Verkehrswege des Eiderkanals <strong>und</strong> der Bahnlinie sorg-<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> 19<br />

Stadtplan mit der 1864 vorgelegten ersten Kanalplanung nördlich der Stadt, um 1880. Südlich des Neuwerks sind die ersten preußischen Kasernenbauten<br />

entstanden, auf dem noch freien Stadtfeld liegt an der Straße nach Kiel die 1871-1873 erbaute Strafanstalt.<br />

ten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts für eine wirtschaftliche<br />

Stabilisierung Rendsburgs, zu der in erster Linie<br />

die Hollersche Carlshütte, aber auch Holzhandlungen, Speditionshandel<br />

<strong>und</strong> Schifffahrt beitrugen. Bedeutender innerörtlicher<br />

Wirtschaftsfaktor war auch das Militär. Von 11782<br />

Einwohnern im Jahre 1855 waren etwa 1500 Soldaten.


20 <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Von der preußischen Garnisonsstadt bis zum<br />

holsteinischen Mittelzentrum von heute<br />

Der schnelle Sieg Preußens <strong>und</strong> Österreichs 1864 über Dänemark<br />

besiegelte zwar endgültig das Ende der Festung, jedoch<br />

wurde in der Folge der preußischen Annektion Schleswig-<br />

Holsteins 1867 die Garnison stark ausgebaut. Über dem Verlauf<br />

der ehemaligen Wallanlagen des Neuwerks entstanden<br />

zwischen 1871 <strong>und</strong> 1905 ein Ring von neuen Kasernenbauten,<br />

dazu weitere umfangreiche Anlagen nach 1900 auf dem<br />

Gebiet der alten Festungskasernen <strong>und</strong> der ehemaligen Bastion<br />

König westlich des Arsenals. Die Entfestung des Neuwerks<br />

zog sich von 1873 (Abbruch von Bastion <strong>und</strong> Ravelin<br />

Prinz Wilhelm im Osten) bis 1922 (Beseitigung der Bastion<br />

Kronprinz in Verlängerung der Königinstraße) hin. Die militärischen<br />

Großbauten des 17./18. Jahrh<strong>und</strong>erts innerhalb der<br />

Festung wurden weitgehend in das Planungskonzept der Garnison<br />

eingeb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> nach zwei verheerenden Bränden im<br />

Provianthaus 1862 <strong>und</strong> im Arsenal 1875 baute man diese, wenn<br />

auch stark verändert <strong>und</strong> neuer Nutzung angepasst, wieder<br />

auf. So wandelte sich das Bild der dänischen Festung in das<br />

einer preußischen Garnisonstadt, verstärkt durch weitere markante<br />

öffentliche Gebäude, wie das gewaltige ummauerte Polygon<br />

der Strafanstalt von 1873 auf dem Stadtfeld, das Gymnasium<br />

von 1877 auf der rudimentär erhaltenen Altstadtbastion<br />

Holstein, die Reichspost von 1880 am Jungfernstieg nach Musterentwurf<br />

der preußischen Bauverwaltung, die Altstädter<br />

Doppelschule von 1895 auf dem eingeebneten Ravelin Schnitters<br />

Eiland oder das Königliche Amtsgericht an der äußeren<br />

Königstraße. Nach 1890 wurde auch das lange brach liegende<br />

Kronwerk bis zur alten Festungsgrenze an der Eckernförder<br />

Straße erschlossen, städtebaulich zunächst überwiegend mit<br />

Zeilen relativ schmuckloser Mietskasernen, später auch mit<br />

anspruchsvolleren Villenbauten <strong>und</strong> Mehrfamilienhäusern.<br />

Für die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> Rendsburgs bedeutete die<br />

Entfestung wenig. Die ehemaligen Wallanlagen blieben in staatlichem<br />

Besitz, ein Zugriff von gewerblicher Seite kam kaum<br />

zustande, da er langwierige Verhandlungen mit dem preußischen<br />

Fiskus bedeutete. Bezeichnend ist deshalb, dass die einzige<br />

größere Industrieansiedlung nach der Reichsgründung<br />

von 1871, die Chemische Düngemittelfabrik, 1878 weit außerhalb<br />

der Stadt <strong>und</strong> der Festungswerke am südlichen Ausfluss<br />

der Eider aus dem Audorfer See errichtet wurde, was sich später<br />

als glückliche Fügung erweisen sollte, als der neue Nord-<br />

Ostsee-Kanal unmittelbar durch diesen See geführt wurde. So<br />

konnte der damals als Kaiser-Wilhelm-Kanal in den Jahren<br />

1887-1895 gegrabene Schifffahrtsweg nachhaltigere Wirkung<br />

erzielen, insbesondere mit der Anlage des Kreishafens im Süden<br />

der Stadt als landwirtschaftlicher <strong>und</strong> industrieller Umschlagplatz,<br />

aber auch mit der Ansiedlung von Werften an der<br />

Obereider, wie mit der Wasseranbindung der Büdelsdorfer<br />

Carlshütte. Am Schacht-Audorfer Kanalufer wurde 1900 ein<br />

Stahl- <strong>und</strong> Walzwerk errichtet, dem bald weitere Fabriken<br />

folgten. Der Kanalbau <strong>und</strong> bald auch die stark ansteigende<br />

Garnison führten darüber hinaus zu einer gewissen Prosperität<br />

des Einzelhandels. Rendsburg blieb als Kreisstadt des aus<br />

dem alten Amt gebildeten preußischen Landkreises lokales<br />

Verwaltungszentrum.<br />

1861 entstand an der Obereider, unmittelbar nördlich der alten<br />

Obereider-Redoute, das erste Gaswerk, das zunächst 182<br />

öffentliche Flammen (Gaslaternen) <strong>und</strong> 1718 private Flammen<br />

versorgte. Die zur Produktion benötigte Kohle konnte<br />

unmittelbar am Werk zu Schiff angelandet werden. 1895 er-<br />

richtete man auf dem gleichen Gelände, das noch heute die<br />

städtischen Versorgungsbetriebe enthält, das erste Elektrizitätswerk.<br />

Die Wasserversorgung der Stadt war nach dem Bau<br />

des Eiderkanals lange Zeit in miserablem Zustand, da ein Teil<br />

des benötigten Eiderwassers jetzt in die Ostsee abfloss. Die<br />

alte Wasserkunst von 1537 am Stegengraben speiste zu Beginn<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts nur noch wenige Haushalte <strong>und</strong> einen<br />

öffentlichen Brunnen auf dem Altstädter Markt. 1857 wurde<br />

sie schließlich stillgelegt <strong>und</strong> abgebrochen. Stegen- <strong>und</strong> Mühlengraben<br />

fielen immer öfter trocken <strong>und</strong> verkamen zu Kloaken.<br />

Überwiegend privat gegrabene Brunnen mit einer Mischung<br />

aus Gr<strong>und</strong>wasser von der Eider, Regen- <strong>und</strong> Abwasser<br />

sicherten die Versorgung der städtischen Bevölkerung. Erst<br />

1893 beendete die Fertigstellung des Wasserwerks in Borgstedt<br />

im Zusammenhang mit dem Bau des Kanals diese unhaltbaren<br />

Verhältnisse.<br />

Der 1895 in Betrieb genommene <strong>und</strong> 1907-1914 erweiterte<br />

Nord-Ostsee-Kanal veränderte die Topographie der Stadt <strong>und</strong><br />

ihres Weichbildes erneut gr<strong>und</strong>legend. Entgegen ersten Planungen,<br />

die einen Verlauf des Kanals nördlich der Altstadt im Bett<br />

von Ober- <strong>und</strong> Untereider vorsahen, entschied sich die königlich-preußische<br />

Kanal-Kommission letztlich für die kürzere<br />

Streckenführung südlich des Stadtgebietes. Gravierendste Folge<br />

des Kanaldurchstichs durch das Bett der Eider war eine Absenkung<br />

des Wasserspiegels der Obereider um zwei Meter,<br />

was bewirkte, dass Mühlen- <strong>und</strong> Stegengraben endgültig trocken<br />

fielen <strong>und</strong> zugeschüttet wurden. Das gleiche geschah mit<br />

dem Altstadthafen, der sich zum Schiffbrückenplatz wandelte.<br />

Vom Holstengraben zwischen Altstadt <strong>und</strong> Neuwerk blieb<br />

nur der westliche Abschnitt als Jungfernstiegbecken erhalten,<br />

auf dem zugeschütteten Teil zwischen Jungfernstieg <strong>und</strong> Eisenbahngleis<br />

entstand 1901 die Stadthalle. Zum Abwasserkanal<br />

degradiert wurde sein Auslauf in die Obereider südöstlich des<br />

Eilandes, auf dem sich heute eine Sportanlage befindet. Betroffen<br />

von der Wasserabsenkung war auch die Eiderkanalschleuse<br />

im Kronwerk. Sie wurde ebenfalls beseitigt <strong>und</strong> durch eine<br />

größere auf dem aufgeschütteten Gelände des heutigen Thormannplatzes<br />

ersetzt, um mit moderneren Schiffstypen die Verbindung<br />

über die Eider nach Tönning aufrecht zu erhalten.<br />

Die durch den Kanal unterbrochenen Verkehrsverbindungen<br />

in Nord-Süd-Richtung wurden in der ersten Ausbauphase<br />

neben einer Fährverbindung nach Schacht-Audorf durch drei<br />

Drehbrücken wiederhergestellt. Diese mussten schon bald der<br />

ersten, 1914 vollendeten Kanalerweiterung weichen. An ihre<br />

Stelle traten die kombinierte Eisenbahn- <strong>und</strong> Straßendrehbrücke<br />

südlich vom Neuwerk, die die wichtigste Straßenverbindung<br />

über den Mittelrücken des Landes, die heutige B<strong>und</strong>esstraße<br />

77, zusammenfügte <strong>und</strong> die Kleinbahnverbindung<br />

nach Hohenwestedt herstellte, sowie weiter östlich die einzigartige<br />

Ingenieurleistung der Eisenbahnhochbrücke (beide 1913<br />

fertiggestellt) mit ihren Rampenbrücken, der riesigen Schleife<br />

auf dem Stadtfeld, den Erdrampen <strong>und</strong> Viadukten forthin das<br />

im Wortsinn überragende Wahrzeichen der Stadt. Südlich des<br />

Stadtfeldes wurde aus dem Rest des teilweise von der Kanaltrasse<br />

aufgenommenen Saatsees der zentrale Werfthafen <strong>und</strong><br />

Reparaturbetrieb der Kanalverwaltung.<br />

Der durch den Kanalbau verursachte Zuzug von Bauarbeitern,<br />

Technikern <strong>und</strong> Ingenieuren brachte eine erhöhte Nachfrage<br />

nach Wohnraum mit sich, was wohl den endgültigen Anstoß<br />

zur Bebauung der Kronwerksbrache gab. Auf dem Gebiet<br />

der späteren Schleife wurde als erste geschlossene Siedlung<br />

1903 bis 1906 die Kolonie Saatseewerft errichtet, etwa zeitgleich<br />

weiter östlich die Arbeiterkolonie der Düngerfabrik.


<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> 21<br />

Stadtplan von 1912 mit Nord-Ostsee-Kanal <strong>und</strong> neuer Eisenbahnhochbrücke. Die Stadterweiterung im Norden <strong>und</strong> Süden ist fortgeschritten, auch die<br />

beiden Büdelsdorfer Ortsteile wachsen allmählich zusammen.


22 <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Stadtplan von 1936/37<br />

Rendsburgs Einwohnerzahl wuchs bis zum Ersten Weltkrieg<br />

bis auf 15000 an. 1914 bot das Kronwerk das Bild einer<br />

geschlossenen Bebauung, begrenzt durch die Eckernförder<br />

Chaussee. Erste Siedlungen entwickelten sich auf dem Gebiet<br />

der nordwestlich angrenzenden ehemaligen Altstädter<br />

Gärten an der Fockbeker <strong>und</strong> der Schleswiger Chaussee, vereinzelt<br />

noch am Rotenhöfer Weg, während jenseits der Bahnlinie<br />

nach Flensburg auf der Büdelsdorfer Seite bereits größere<br />

geschlossene Baugebiete bestanden (siehe dort). In dem<br />

mit preußischen Kasernen bebauten, sonst mehr oder weniger<br />

wüst liegenden ehemaligen Festungsgürtel <strong>und</strong> weiter südlich<br />

existierten lediglich der privat bebaute Block zwischen<br />

König- <strong>und</strong> Moltkestraße auf der Gr<strong>und</strong>lage eines Bebauungsplanes<br />

von 1897, als weiterer nichtmilitärischer Großbau<br />

das Königliche Lehrerseminar an der Ritterstraße (1912<br />

vollendet, heute Helene-Lange-Schule), erste Bauten am Eingang<br />

der Alten Kieler Landstraße <strong>und</strong> kleinere zusammenhängend<br />

bebaute Bereiche an Preußerstraße, Kirchhofsweg (heute<br />

Adolf-Steckel-Straße), am Kanalufer <strong>und</strong> an der Wilhelmstraße.<br />

Damit war die Verbindung der Stadt zum Kanal <strong>und</strong><br />

zum Kreishafen hergestellt. Eine ältere Siedlung bestand bereits<br />

am Röhlingsweg, auf der Königskoppel hatte man mit der<br />

Anlage von Straßen begonnen. Noch kaum bebaut waren die<br />

durch den Verlauf des Kanals zur Exklave gewordenen Neuwerker<br />

Gärten mit ihren langen parallelen Straßenzügen.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> in den 1920er Jahren war im Ganzen be-<br />

stimmt durch die allgemeinen wirtschaftlichen Folgen des Ersten<br />

Weltkriegs, Geldentwertung, Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> soziale<br />

Not. Bürgermeister Timms Politik des kommunalen Bodenerwerbs<br />

zu Beseitigung der Wohnungsnot durch öffentlich geförderte<br />

Bauvorhaben fand im bürgerlichen Lager keine ungeteilte<br />

Zustimmung, doch trieb die Stadt trotz knapper Kassen<br />

die Bautätigkeit voran, die zwischen 1925 <strong>und</strong> 1930 ihren Höhepunkt<br />

erlebte. Die seit 1910 von dem tatkräftigen Verwaltungschef<br />

(Timm war von 1909 bis zu seinem Tode 1929 im<br />

Amt) betriebene <strong>und</strong> durch den so genannten Jansen-Plan<br />

(1910, modifiziert 1912) schon in Gr<strong>und</strong>zügen projektierte<br />

Bebauung der westlich des Neuwerks gelegenen Königskoppel<br />

<strong>und</strong> der anschließenden Eisenbahnschleife konnte bald nach<br />

dem Ende des Ersten Weltkriegs in großen Teilen umgesetzt<br />

werden. Insbesondere das Gebiet der Königskoppel, die heute<br />

auch im Straßennamen überliefert ist, zeigt sich mit imposanter<br />

Blockrandbebauung zur Bismarckstraße <strong>und</strong> den einheitlich<br />

in Formen des Heimatschutzes gestalteten Straßenzügen<br />

dahinter als geschlossene <strong>städtebauliche</strong> Leistung. Die Planungen<br />

zur Schleife wurden im Straßennetz weitgehend verwirklicht,<br />

blieben aber, was die Architektur angeht, Stückwerk mit<br />

gleichwohl gediegenen Einzel-, Doppel- <strong>und</strong> Mehrfamilienhäusern<br />

an Baustraße, Oeverseestraße <strong>und</strong> Nobiskrüger Allee.<br />

Erhalten blieb eine große Binnenfläche mit schon damals projektierter<br />

Nutzung für Sportstätten <strong>und</strong> Kleingärten. Die Bebauung<br />

an Fockbeker Chaussee <strong>und</strong> dem parallel verlaufenden


Rotenhöfer Weg wurde mit langen Zeilen von Zwei- <strong>und</strong> Mehrfamilienhäusern<br />

vollendet, weitere Wohnhäuser entstanden<br />

entlang <strong>und</strong> beiderseits der westlichen Alten Kieler Landstraße<br />

(Apenrader Weg 1934, Tondernstraße 1935).<br />

Ab 1920 siedelte sich der Schleswig-Holsteinische Elektrizitäts-Verband<br />

(SCHLESWAG) in Rendsburg an. Die noblen<br />

Bauten von Fritz Höger, Hamburg, <strong>und</strong> den Rendsburgern<br />

Joerges & Wehde prägten das Erscheinungsbild des Neubaugebietes<br />

nördlich der Neuen Kieler Landstraße, der heutigen<br />

Kieler Straße, das bis dahin allein von der preußischen Strafanstalt<br />

beherrscht war. Hinzu kam der imposante Bau der Christian-Timm-Schule<br />

von Hermann Höger am Ende des Jahrzehnts,<br />

der östlich an das Verwaltungszentrum der Schleswag<br />

<strong>und</strong> das zugehörige Wohnviertel (das so genannte Dichterviertel)<br />

anschloss. Unmittelbar am Kanal entstanden als markante<br />

Landmarken die Koloniale Frauenschule <strong>und</strong> der Umbau der<br />

Heimvolkshochschule, des späteren Martinshauses.<br />

Auch das Militär prägte weiterhin die bauliche <strong>Entwicklung</strong><br />

der Stadt. Die Remilitarisierung Mitte der 1930er Jahre bewirkte<br />

den Bau neuer Kasernenanlagen, 1936 der Blottnitz-<br />

Kaserne westlich der alten Eiderkaserne, <strong>und</strong> 1937 der riesigen,<br />

in Form eines Oktogons angelegten Flakkaserne an der<br />

Schleswiger Chaussee.<br />

Die Topographie der Rendsburger Altstadt wurde als Spätfolge<br />

des Kanalbaus damals ein weiteres Mal verändert. Die<br />

zunehmende Verlandung der Untereider führte 1932/33 zur<br />

Absperrung des Stadtsees durch einen Damm in Verlängerung<br />

der Schleuskuhle. Als nach dem Bau des Gieselau-Kanals<br />

1936/37 eiderabwärts die Auswirkungen des Tidenhubs ausblieben,<br />

wurde der Stadtsee bis auf ein schmales Gewässer am<br />

Rand der Altstadt aufgespült <strong>und</strong> die Wasserfläche zwischen<br />

Luftbild der Stadt von Nordosten, um 1930<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> 23<br />

Altstadt <strong>und</strong> Kronwerk zugeschüttet, so dass der Stadtkern<br />

seine Insellage weitgehend verlor.<br />

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bewirkte der Flüchtlingsstrom<br />

aus dem Osten eine enorme Ausweitung der Bebauung.<br />

Die Bevölkerungszahl stieg von 24.250 im Jahre 1939<br />

auf 36.991 1950. Neue Wohngebiete entstanden in Verlängerung<br />

der Lilien- <strong>und</strong> Königinstraße, im mittleren Bereich der<br />

Schleife, zwischen Kreishafen <strong>und</strong> Alter Kieler Landstraße<br />

(Kanalgebiet) sowie im Nordwesten in Erweiterung des Kronwerks<br />

(Kronwerk Nord). In den 1960er <strong>und</strong> 1970er Jahren<br />

kamen die Stadtteile Mastbrook jenseits von Kronwerk Nord<br />

an der Schleswiger Chaussee, die Parksiedlung anstelle der<br />

1958 abgebrochenen Strafanstalt <strong>und</strong> Hoheluft jenseits der im<br />

gleichen Jahr errichteten Westumgehung der B<strong>und</strong>esstraße 77<br />

dazu.<br />

Diese zusammen mit der Untertunnelung des Kanals gebaute<br />

Umgehungsstraße brachte nicht die erhoffte Entlastung der<br />

Innenstadt, so dass in der Folge ein System von Tangenten <strong>und</strong><br />

Verkehrsknoten um die Altstadt herum gelegt wurden, am<br />

Westrand über die Reste der Festungswerke <strong>und</strong> das Jungfernstiegbecken<br />

in die vierspurig ausgebaute Materialhofstraße,<br />

östlich über Denkerstraße <strong>und</strong> Eisenbahnstraße in die Ringstraßen<br />

um das Neuwerk, wobei Thormannplatz im Norden<br />

<strong>und</strong> die Kreuzung Berliner Straße, Alte Kieler Landstraße <strong>und</strong><br />

Hindenburgstraße im Süden die Verteilerfunktion übernahmen.<br />

Die Folge dieser rigiden Verkehrspolitik waren in Altstadt<br />

<strong>und</strong> Neuwerk gleichermaßen schleichender Verfall von<br />

den Rändern her <strong>und</strong> Entvölkerung bzw. eine starke Zunahme<br />

des Ausländeranteils insbesondere im Neuwerk. Dem wirkte<br />

die ab 1975 einsetzende Städtebauförderungspolitik, die besonders<br />

ausgeprägt in Rendsburg einer Sanierung der Wohn-


24 <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>städtebauliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Plan der Stadt aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit Neubaugebieten im Nordwesten, innerhalb der Schleife, im Süden sowie in Büdelsdorf, um 1955<br />

verhältnisse gewidmet war, massiv entgegen. Sie erfuhr jedoch<br />

durch die mit der Wende von 1989/90 verb<strong>und</strong>ene Schwerpunktsetzung<br />

in den östlichen B<strong>und</strong>esländern einen Einbruch,<br />

der bis heute nicht ausgeglichen ist.<br />

Unterschiedliche Zeichen setzten die Sanierungsvorhaben an<br />

den großen baulichen Hinterlassenschaften der Festungszeit,<br />

dem Arsenal <strong>und</strong> dem Provianthaus, das eine als Kulturzentrum<br />

von der Gemeinde städtebaulich gebührend in Szene gesetzt,<br />

das andere privatwirtschaftlich übernutzt <strong>und</strong> verbaut.<br />

Die immer noch vorhandene Kleinteiligkeit der Altstadt auf<br />

dem mittelalterlichen Parzellenraster wird zunehmend durch<br />

maßstabssprengende Geschäftshäuser bedroht, wie schon 1955<br />

am Altstädter Markt <strong>und</strong> aktuell am Schiffbrückenplatz durch<br />

einen gerade fertig gestellten Kaufhausbau, der gut die Hälfte<br />

der gesamten Platzsituation einnimmt. Die Verkehrsberuhigung<br />

der Altstadt wurde mit einer Reihe von großflächigen<br />

Parkpaletten an den Tangenten erkauft.<br />

Nach der Bildung des neuen Kreises Rendsburg-Eckernförde<br />

1970 wurde Rendsburg Sitz der Kreisverwaltung. Der dafür als<br />

notwendig erachtete Neubau führte zum Abbruch der Wrangel-Kaserne<br />

an der Baronstraße. Gleiches widerfuhr dem Wagenhaus<br />

<strong>und</strong> der Train-Kaserne an der Herrenstraße, an deren<br />

Stelle die St.-Martin-Kirche <strong>und</strong> die Berufsschule gebaut wurden,<br />

sowie dem Alten Gymnasium, das 1977/78 dem Neubau<br />

des Rathauses weichen musste. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg<br />

hatte es Bemühungen gegeben, das eben historistisch er-<br />

neuerte, aber viel zu klein gewordene Rathaus aus dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

durch einen repräsentativen Neubau zu ersetzen.<br />

Nach einem erhaltenen Wettbewerbsentwurf wäre es damals<br />

ein dreiflügeliges Gebäude geworden, gelegen im nördlichen<br />

Bereich des Stadtparks am Jungfernstieg, mit Frontstellung<br />

über das Jungfernstiegbecken zur Stadthalle, wobei die Wasserfläche<br />

für einen Verkehrsplatz vor dem Neubau verkleinert<br />

bzw. geteilt werden sollte. Ein weiterer Plan sah eine alternative<br />

Lage im nördlichen Winkel des Jungfernstiegbeckens gegenüber<br />

dem Alten Gymnasium vor. Es ist nicht bekannt, aus<br />

welchen Gründen der Bau unterblieb. Letztendlich rückte 1983<br />

ein ambitionierter Neubau, der den spitzen Gr<strong>und</strong>riss der<br />

Holstein-Bastion aufnahm, an die Stelle des Gymnasiums.<br />

Gegenwärtig stehen die großen Kasernen im Neuwerk <strong>und</strong> an<br />

der Schleswiger Chaussee zur Disposition, nachdem der politische<br />

Beschluss gefallen ist, den traditionsreichen Standort<br />

Rendsburg vollständig aufzugeben. Dabei besteht am Neuwerk<br />

die Gefahr, dass die barocke <strong>städtebauliche</strong> Struktur, die<br />

schon durch den Neubau der Eiderkaserne nach 1900 verunklärt<br />

wurde, mit einer darauf fußenden <strong>städtebauliche</strong>n Neuordnung<br />

weiter aufgebrochen wird. Schon jetzt droht der in<br />

den 1980er Jahren rückgeführte, d. h. vom Durchgangsverkehr<br />

befreite, <strong>und</strong> seinerzeit als „wichtigste Maßnahme <strong>städtebauliche</strong>r<br />

Erneuerung in Rendsburg“ gefeierte Paradeplatz zur<br />

großen Parkpalette zu verkommen.

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