Menschen_Thierry Neuville 20
Menschen_Thierry Neuville VOLLBLUT-VIRTUOSE AM STEUER Er ist schon einmal Vize-Weltmeister geworden, aber der Titel in der Rallye-Weltmeisterschaft soll am Steuer des i20 WRC gelingen: Der Belgier Thierry Neuville ist die Nummer 1 im Hyundai World Rally Team. Der 26-Jährige holte 2014 bei der Rallye Deutschland bereits in der Premieren-Saison den ersten Sieg für die neu gegründete Mannschaft. Im Interview beschreibt er, was ihn antreibt, warum er niemals auf die Rundstrecke wechseln würde, und wann er auch im normalen Straßenverkehr auf seinen Beifahrer hört. Herr Neuville, wenn Sie im regulären Straßenverkehr mit dem Auto unterwegs sind: Erlauben Sie Ihrem Beifahrer Kommentare zu Ihrem Fahrstil? Eher nicht. Es sei denn es geht ums Parken, das ist nicht meine Stärke. Beruflich sind Sie auf die Anweisungen, die Ihnen Ihr Co-Pilot während einer Wertungsprüfung auf einer Rallye gibt, angewiesen. Können Sie sich vorstellen, selbst auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen? Meine erste Rallye habe ich als Beifahrer bestritten. Das hat aber auf Abwegen geendet, und ich habe schnell gemerkt, dass ich besser selbst hinterm Steuer sitze. Bei Tests kommt es jedoch vor, dass wir auch mal auf dem Beifahrersitz eines Teamkollegen Platz nehmen müssen. Dann ist der Adrenalin-Spiegel aber besonders hoch. Wie sehen Sie generell den Job des Rallye-Beifahrers? Er verlässt sich in Extremsituationen voll und ganz auf Ihr Fahrvermögen und vertraut darauf, dass Sie schon alles richtig machen werden ... Beifahrer ist ein sehr anspruchsvoller Job. Von der Vorbereitung einer Rallye bis zum Ende der Veranstaltung hat er jede Menge Arbeit. Organisation und Timing sind seine wichtigsten Faktoren. Zwischen Fahrer und Beifahrer herrscht natürlich grenzenloses Vertrauen. Beifahrer stehen immer im Schatten ihrer Fahrer, sind aber ein wichtiger Bestandteil eines erfolgreichen Teams. Kommen wir zur linken Seite im Auto, dort, wo Sie sitzen: Wie und wo lernt man so gut Auto zu fahren? Ich war schon als kleiner Junge von Autos fasziniert, durch die Motorsportbegeisterung der ganzen Familie wurde mir das praktisch in die Wiege gelegt. In frühen Jahren bin ich bereits Kart und Quad gefahren, mit acht Jahren habe ich das erste mal ein Auto gelenkt. Danach ging es über die Felder und Wiesen in meiner Heimat. Seit meinem 17. Lebensjahr bin ich im Autocross und auf Wettbewerben unterwegs gewesen. Trotz aller Fortschritte bei der Sicher heit: Motorsport ist nicht ungefährlich, auch der Rallyesport bleibt nicht von schweren Unfällen verschont. Was treibt einen dazu, mit Tempo 180 an Felswänden und Abgründen vorbei zu driften? Es war mein Kindheitstraum, der in Erfüllung gegangen ist, als ich meine erste Rallye als Fahrer bestreiten konnte. Als Profi-Sportler können und müssen wir die Risiken ein - schätzen; um eine Rallye zu gewinnen, muss ich drei Tage voll konzentriert sein und darf keinen Fehler machen. Aber wir sind keine Adrenalin-Junkies, das Risiko ist immer kontrolliert. Dennoch gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, im Sport genausowenig wie im Leben. Rallye-Piloten gelten als die wahren Meister am Lenkrad. Als Königsdisziplin wird jedoch die Formel 1, ein Rennsport auf der Rundstrecke, angesehen. Käme es für Sie in Frage, die Rallye-Piste gegen einen asphaltierten Ring zu tauschen? Niemals. Rallyefahrer zählen auch heute noch zu den besten Allround-Motorsportlern und müssen mehr fahrerisches Talent mitbringen. Man sagt, Rallyefahrer sind die komplettesten Fahrer, denn sie müssen sich auf verschiedenste Bedingungen einstellen: Schnee, Eis, Schotter, Asphalt, von minus 20 Grad in Schweden bis plus 35 Grad in Portugal - das ist Hochleistungssport über drei Tage unter nicht kalibrierbaren Bedingungen. Die Formel 1 zieht natürlich immer noch viele Sponsoren an, auch wenn die Zahlen inzwischen etwas rückläufig sind. Mit einer noch besseren Vermarktung könnte auch der Rallyesport noch mehr Spannung bieten als jede andere Rennserie. Kommen wir zu Ihrem Team. Hyundai war 2014 im ersten Jahr seit der Rückkehr wieder in der Rallye-WM aktiv, und Sie konnten bei der Rallye Deutschland den ersten Sieg einfahren. Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung? Definitiv ja. Das Team hat in sehr kurzer Zeit Riesen-Fortschritte gemacht. Nach Monte Carlo und Schweden haben wir in Mexiko das erste Mal auf dem Podium gestanden. In der Fahrzeug-Entwicklung wartet jedoch noch einiges an Arbeit auf uns, um auch konstant an der Spitze mitzufahren. Dennoch verlief die Saison besser als erwartet, und die Podiumsplätze und der Doppelsieg weisen klar darauf hin, dass wir in naher Zukunft als Anwärter für Siege gelten sollten. Und im kommenden Jahr? Startet dann der Angriff auf Titelverteidiger VW? Soll mehr als ein Sieg herausspringen? Unser Ziel für dieses Jahr war es, möglichst viele Kilometer zu fahren, Daten und Erfahrungen zu sammeln. Das dabei das ein oder andere Podium herauskam, war eine positive Überraschung. Für 2015 ist unser Ziel, Rallyes zu gewinnen und das Auto weiter zu entwickeln, um konstant schnell und zuverlässig zu sein. Für 2016 möchten wir dann mit dem neuen Auto um den Weltmeister-Titel fahren. Zum Schluss kommen wir nochmal auf Thierry Neuville als Autofahrer zurück. Hand aufs Herz: Sind Sie schon einmal geblitzt worden? Sicherlich schon öfter als einmal! Dennoch ist es wichtig, als Profi-Motorsportler immer im Besitz des Führerscheins zu sein. Ansonsten dürfen wir bei den Rallyes nicht starten. INTERVIEW_Klara von Kendel FOTO_McKlein HYUNDAI <strong>MAGAZIN</strong> 21