FAUD gegen Allgemeine Arbeiter-Union 1921
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sie den Regierungsknüppel aus den Händen gewunden haben;<br />
und weil das nicht wahr ist, stimmt auch nicht die Behauptung,<br />
„daß der sozialistische Knüppel genau so schlecht war, wie<br />
der kapitalistische.“ Die parlamentarische Beteiligung sozialreformistischer<br />
<strong>Arbeiter</strong>-Organisationen in der bürgerlichen Demokratie<br />
(es gab bisher keinen anderen Zustand in Schweden<br />
und Deutschland) läßt den Knüppel immer in den Händen der<br />
Bourgeoisie. Die <strong>Arbeiter</strong> Schwedens und Deutschlands waren<br />
nie Besitzer der politischen Gewalt, denn die politische Gewalt<br />
ist nichts von der ökonomischen Herrschaft Losgelöstes, sondern<br />
nur denkbar als eine Einheit. Es gibt keine Bourgeoisie<br />
ohne politische Gewalt, und es gibt keine politische Gewalt<br />
des Proletariats ohne die Herrschaft über die Produktionsmittel.<br />
Die politische Gewalt des russischen Proletariats vor der<br />
N.E.P., abgesehen davon, daß sie eine Parteigewalt war, war<br />
mit der Enteignung der russischen Bourgeoisie verbunden<br />
und zerbrach allein an der ökonomischen Notwendigkeit des<br />
russischen gesellschaftlichen Zustandes, dem die Voraussetzungen<br />
zur kommunistischen Wirtschaft fehlten. Diese Parteigewalt,<br />
die russische politische Gewalt, mußte den Interessen<br />
einer Neukonsolidierung des russischen Kapitals dienen, da<br />
es eben keine Trennung zwischen Oekonomie und Politik, zwischen<br />
Wirtschaft und Staat gibt, da mit dem Knüppel der Mann<br />
fällt; wenn der Mann steht, er auch den Knüppel hat.<br />
Wir werden an anderen Punkten unserer Kritik noch auf diese<br />
„Frage“ zurückkommen, hier sei vorläufig nur noch gesagt, daß<br />
die I.W.W. mit ihrem eigenen Diktionär nichts erreicht, sondern<br />
die notwendige Klarheit trübt. Ein Teil der I.W.W.-Genossen<br />
weiß nichts von diesem „eigenen Diktionär und läßt sich bei<br />
Demonstrationen (oder denkt dies doch wenigstens theoretisch)<br />
mit verschränkten Armen den Gummiknüppel über den<br />
Schädel schlagen. Oder glaubt, wie der Genosse J. Wagner,<br />
da man in Amerika eine Pistole ohne weiteres nicht kaufen<br />
kann, daß eine politische Revolution, Kampf eines bewaffneten<br />
Proletariats unmöglich ist. Und doch haben I.W.W.-Genossen<br />
1911, in Ludlow und auch zu anderen Zeiten mit „eigenen“<br />
Maschinengewehren „ökonomisch“ dazwischengeknallt und<br />
manch ein Hüter des „politischen“ Gesetzes hat schon ins Gras<br />
beißen müssen. Genosse Wagner sagt in einer Polemik <strong>gegen</strong><br />
die Auffassung des politischen Kampfes der A.A.U.: „Wenn<br />
die A.A.U. jede Aktion des Proletariats eine politische nennt,<br />
so würde auch das Kaufen eines belegten Brötchens an der<br />
Wurstbude politischen Charakter tragen.“ Mit dieser billigen<br />
Polemik zu antworten, würde ergeben, daß, wenn alles ökonomische<br />
Handlungen sind, auch das Begrüßungsschreiben der<br />
I.W.W. an den D.I.V.[1] eine ökonomische Aktion bedeutet.<br />
So kommt man nicht weiter und sich nicht näher im Verstehen.<br />
Die I.W.W. soll ihren eigenen Diktionär behalten, solange es<br />
ihr Vergnügen macht, — sie soll aber den Shawschen Witz bei<br />
Bernhard Shaw lassen, und einfach ehrlich sprechen. Soll sagen:<br />
Auch wir werden <strong>gegen</strong> die Machtmittel der Bourgeoisie<br />
anrennen, die ihr politisch nennt und wir ökonomisch, weil es<br />
uns so Spaß macht, oder: Wir wollen die Produktion übernehmen,<br />
wie die Sozialdemokratie auf evolutionistischem Wege,<br />
nicht mit revolutionären Mitteln — damit man sie wie die Sozialdemokratie<br />
behandeln kann.<br />
Auch hierauf werden wir noch eingehen müssen.<br />
III.<br />
Die seltsame, rein ökonomische Auffassung des Klassenkampfes<br />
zeugte die noch seltsamere Theorie der „absolut rein<br />
ökonomischen direkten Aktion“, die den Streik um Verbesserungen<br />
innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft sowohl, als<br />
auch zur Uebernahme der Produktion durch das Proletariat<br />
führen soll. Die Streiktaktik der I.W.W. in den U.S.A. hatte Erfolge<br />
und ist damit legitimiert; die Vorstellungen über die Uebernahme<br />
der Produktion durch das Proletariat sind, soweit<br />
November 2009 - barrikade zwo<br />
sie überhaupt auftreten, ein Phantasiegebilde, das bei einem<br />
Marxisten peinliche Gefühle erweckt. Hier muß bemerkt werden,<br />
daß die Internationalität der I.W.W. bisher nur Wille ist,<br />
und daß dieselbe, als ein amerikanisches Gewächs, ihre Ideologie<br />
in einem amerikanischen Rahmen unterbringen mußte.<br />
Das Programm entstand zu einer Zeit, als das amerikanische<br />
Kapital zu Riesensprüngen ansetzte, um in den (jetzt bereits<br />
ablaufenden) Zustand größtmöglichster Prosperität zu gelangen.<br />
Der Sturz eines wachsenden Kapitalismus kann nicht der<br />
erste Punkt auf der Tagesordnung des Proletariats sein. Es hat<br />
auf die schwächsten Momente der Bourgeoisie zu warten und<br />
das Problem der Machtübernahme mußte so für die I.W.W. in<br />
der Gründerzeit ihrer Organisation natürlich ein zweitrangiges<br />
sein. Die Stärkung des amerikanischen Kapitals durch den<br />
Krieg, seine jetzige Vormachtstellung, die wohl auf faulen Fundamenten,<br />
aber doch ruht, läßt eine Auffassung der Todeskrise<br />
des Kapitals, die zur sofortigen Ausnützung drängt, nicht in der<br />
Art zu, wie sie den deutschen revolutionären Marxisten geläufig<br />
ist. Man lebt nach der Auffassung, daß irgend „eine Zeit“ zu<br />
kommen hat, spricht von der Unreife des Proletariats, davon,<br />
daß es militärisch nie ein Faktor sein kann, daß man den Punkt<br />
abzuwarten habe, wo der Kapitalismus sich selbst festgefahren<br />
hat, wo er die Produktion nicht mehr führen kann (wörtlich: „sie<br />
aus den Händen gleiten läßt“) und das Proletariat (technisch in<br />
jeder Hinsicht gebildet) so ohne einen Tropfen Blut, allein, weil<br />
die Produktion den Kapitalisten „aus den Händen gleitet“, (na,<br />
ganz einfach) die Produktion nun bedarfskommunistisch in<br />
Bewegung setzt; den Soldaten, Gerichten, Parlamenten keine<br />
Löhne oder Diäten mehr bezahlt, sie also verhungern läßt oder<br />
durch Not in die Fabriken treibt. Diese Vorstellungen gehen<br />
weit über das Lächerliche hinaus. Sie deuten nicht auf einen<br />
revolutionären, sondern auf einen evolutionären Charakter hin.<br />
So kann man in den Straßen Chicagos Agitatoren der I.W.W.<br />
hören, die diese Gegensätze frei- oder unfreiwillig durcheinander<br />
bringen oder verwechseln. Jedoch: da sind die Prinzipien<br />
eindeutig, klar, ein Bekenntnis zum ewigen Klassenkampf. Da<br />
wird trotz allem mit Energie behauptet: die I.W.W. ist eine revolutionäre<br />
<strong>Arbeiter</strong>organisation.<br />
Verwirrung und Unklarheit sind im Programm der I.W.W. nicht<br />
zu missen. Auch die Debatten, welche bisher zwischen A.A.U.<br />
und I.W.W. geführt wurden, haben diesen Eindruck bei den<br />
Genossen der A.A.U. nur noch verstärken können.<br />
Ihren proletarischen, revolutionären Charakter konnte die<br />
I.W.W. trotzdem nicht verleugnen, selbst wenn sie dies wollte.<br />
Gerade die internationalen Diskussionen werden das Blickfeld<br />
der I.W.W. ungemein erweitern; sie werden die Fragen des<br />
Klassenkampfes nicht mehr vom amerikanischen Gesichtspunkt<br />
allein, sondern von demjenigen der Weltrevolution aus<br />
zu beantworten haben. Ebensowenig wie Amerika die Welt<br />
darstellt, ist die I.W.W. die alleinseligmachende <strong>Arbeiter</strong>organisation.<br />
Es ist eine Anmaßung und ein nicht mehr nützlicher<br />
Grad von Selbstbewußtsein, folgendes zu behaupten:<br />
„Gegenwärtig, da alle anderen sozialistischen Theorien und<br />
Bewegungen fehlschlagen, auch keine Hoffnungen für die<br />
Zukunft mehr erwecken können, steht allein die I.W.W. in der<br />
Meinung der <strong>Arbeiter</strong> der ganzen Welt als Meister der Situation<br />
da.“ Wie können Theorien fehlschlagen, die niemals praktisch<br />
verwertet wurden? Der frühere Kautsky, der frühere Hilferding,<br />
der frühere Lenin — was ist da fehlgeschlagen? Die Sozialdemokratie,<br />
die drei Internationalen — was haben diese Organisationen<br />
getan, um der marxistischen Auffassung in der Praxis<br />
des Klassenkampfes gerecht zu werden? Die europäischen<br />
Marxisten sehen im Fehlschlag des Bolschewikiexperiments<br />
nicht eine Schwäche, sondern den Beweis für die Kraft und die<br />
Sicherheit ihrer marxistischen Auffassung. Die Hoffnungen des<br />
Proletariats auf eine überlieferte Organisationsform, sein Vertrauen<br />
in Führer-Organisationen auf kapitalistisch-politischer<br />
Basis schlugen fehl. Die Schwäche lag nicht in der Theorie,