02.05.2015 Aufrufe

Ruf nach einer härteren Gangart

Ruf nach einer härteren Gangart

Ruf nach einer härteren Gangart

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Quelle: Welt am Sonntag vom 20.07.1997, S. 4<br />

Ein 68er zur Jugendgewalt:<br />

“Wir müssen endlich hart bestrafen!“<br />

Beim Umgang mit kriminellen Jugendlichen<br />

in Deutschland zeichnet sich eine<br />

Wende ab. Selbst ehemals linke Sozialpädiagogen<br />

rücken inzwischen ab von<br />

sanften Methoden wie der „Erlebnispädagogik"<br />

und fordern eine Rückkehr zu<br />

härterer <strong>Gangart</strong>: „geschlossene Heime,<br />

Arrestzellen, verschärfter Strafvollzug.<br />

Ein Beispiel dafür: Jürgen Kruska, Pädagoge<br />

aus der 68er-Generation und<br />

Betreiber eines Erziehungsheimes in Rinteln<br />

an der Weser.<br />

Von ANDRE UZULIS<br />

Rinteln. Jürgen Kruska wirft wütend "drei<br />

Polaroid-Fotos auf den Tisch in seinem Büro<br />

und sagt: „Schauen Sie, so sieht eine Erzieherin<br />

aus, <strong>nach</strong>dem ihr ein 16jähriger mit<br />

Stiefeln ins Gesicht getreten hat."<br />

Die Fotos zeigen eine junge Frau, die von<br />

<strong>einer</strong> Wunde quer über die Wange gezeichnet<br />

ist. Schwellungen und Blutergüsse lassen die<br />

Wucht des Fußtrittes ahnen. Das Bild wurde,<br />

so berichtet Kruska, kurz <strong>nach</strong> der Tat aufgenommen.<br />

„Politiker, die immer nur von der<br />

Menschenwürde der Straftäter reden, sollten<br />

sich fragen, was denn mit unserer Menchenwürde<br />

als Erzieher und Lehrer ist",<br />

empört sich der 50jährige.<br />

Kruska hat gleich <strong>nach</strong> dem Umbruch von<br />

1968, der für ihn den ersehnten Abschied von<br />

der „Rohrstock-Erziehung der Adenauer-<br />

Zeit" brachte, in Hannover Sozialpädagogik<br />

„Fehlverhalten wird<br />

belohnt"<br />

1<br />

studiert. In Rinteln an der Weser leitet er seit<br />

mehr als 20 Jahren ein privates Heim für<br />

schwer erziehbare Kinder und Jugendliche<br />

zwischen acht und 21 Jahren, den Jugendhof<br />

Hirschkuppe". Seine 45 Zöglinge stammen<br />

aus zerrütteten Familien; manche haben ansehen<br />

müssen, wie die Mutter von einem<br />

Liebhaber ermordet wurde. Einige stehlen,<br />

andere schlagen unkontrolliert zu. Schulprobleme<br />

sind an der Tagesordnung. Bislang<br />

konnten Kruska und sein 26köpfiges Team<br />

die meisten Heimbewohner fit machen für<br />

ein verantwortungsbewußtes Leben. Zu den<br />

Methoden gehörte unter anderem Abenteuerpädagogik<br />

mit Fernreisen in die USA<br />

oder <strong>nach</strong> Tunesien, Fallschirmspringen,<br />

Reiten und Lagerfeuer. Die „Hirschkuppe"<br />

bietet auf 20 000 Quadratmetern: Bolzplatz,<br />

Spielplatz, Pferdekoppel, Werkräume, Gruppenräume,<br />

Cafeteria, Teich, Kletterfelsen,<br />

Zwei-Bett-Zimmer für die jungen, Wohngemeinschaften<br />

für die älteren Bewohner,<br />

Personal zum Putzen, Nähen sowie für die<br />

psychologische Betreuung, Nachhilfe- und<br />

Hausunterricht inklusive. Kosten pro Kind<br />

und Tag: 181,59 Mark.<br />

Doch seit einiger Zeit stößt das offene<br />

Konzept an Grenzen. Eine wachsende<br />

Zahl von Minderjährigen ist mit den<br />

bisherigen Methoden nicht mehr<br />

erziehbar. Der deutschen Jugendhilfe fehlt<br />

<strong>nach</strong> Kruskas Erkenntnis das geeignete<br />

Instrumentarium, um den von Experten<br />

mit sechs Prozent bezifferten Anteil<br />

Schwererziehbarer vor der Verwahrlosung<br />

zu retten. Kruska, der sich selbst als<br />

„alten 68er" bezeichnet, wünscht sich die<br />

Unterbringung dieser Problemkinder in<br />

geschlossenen Heimen für einen begrenzten<br />

Zeitraum von bis zu sechs Monaten.<br />

Der Sozialpädagoge nennt als ein Beispiel<br />

für viele von Jugendpflegern vergebene<br />

Chancen einen 16 Jahre alten Brandstifter<br />

und Einbrecher, mit dem er ein halbes Jahr in<br />

die Vereinigten Staaten auf Erlebnistour ging<br />

in der Hoffnung, ihn „stabilisieren" zu<br />

können. Doch der junge Mann brach <strong>nach</strong><br />

der Rückkehr von einem Tag zum anderen in<br />

unkontrollierte Aggression aus. Er verprügelte<br />

seine Erzieher und zerschlug das


Mobiliar des Heimes. Weil die Jugendhilfe<br />

keine geschlossenen Heime vorsieht, der<br />

junge Mann aber andererseits für die Gemeinschaft<br />

der „Hirschkuppe" untragbar<br />

geworden war, bezahlte ihm das Jugendamt<br />

eine eigene Zwei-Zimmer-Wohnung. Der<br />

Staat kam auch für Kleidung, Lebensmittel<br />

und Taschengeld auf - insgesamt 2000 Mark<br />

monatlich, mehr als der Sozialhilfesatz.<br />

Die Reaktion bei den zurückgelassenen<br />

Heimbewohnern sei „einfach fatal" gewesen,<br />

meint Kruska. „So wie der da muß man<br />

es machen, wenn man frei sein will", hätten<br />

viele gesagt. „Doch es kam, wie es kommen<br />

mußte: Der 16jährige wurde wegen fehlender<br />

Betreuung rückfällig, auf frischer Tat ertappt<br />

und sitzt nun im Knast", sagt der Heimleiter.<br />

Zukunftsperspektive: keine. Kruska ist überzeugt,<br />

daß rechtzeitige Unterbringung in<br />

einem geschlossenen Heim den Abstieg<br />

verhindert hätte. „Fehlverhalten der Jugendlichen<br />

wird mit Wohlverhalten der<br />

Jugendhilfe belohnt", faßt Kruska die<br />

Situation zusammen.<br />

Die Kapitulation des Staates vor der Gewaltbereitschaft<br />

Minderjähriger zeigt auch<br />

ein anderes Beispiel des „Hirschkuppen"-<br />

Chefs: Ein 14jähriger beschimpfte seine<br />

Erzieherinnen derart, daß sie Nervenzusammenbrüche<br />

erlitten. Er schlug andere<br />

Kinder zusammen, schwänzte permanent die<br />

Schule und riß schließlich aus. Ein Sozialarbeiter<br />

des Jugendamtes fand ihn im Bahnhofsviertel<br />

Hannover, wo in Unterführungen<br />

mit Rauschgift gehandelt wird. Der Junge<br />

hätte <strong>nach</strong> Kruskas Einschätzung sofort in<br />

einem geschlossenen Heim betreut werden<br />

müssen. Doch statt dessen mußte sich der<br />

Sozialarbeiter von dem 14-jährigen Bedingungen<br />

stellen lassen: Einzug in eine<br />

Wohngemeinschaft und dauerhafte Befreiung<br />

vom Schulunterricht verlangte er. Der Staat<br />

gab <strong>nach</strong>. „Die Jugendhilfe hat ihn bei uns<br />

abgemeldet", ärgert sich Kruska, „der Junge<br />

lebt jetzt auf der Straße. Alt werden wird er<br />

wohl nicht."<br />

Kruska erschüttern derartige Fälle immer<br />

wieder. „Jetzt bekommen wir die Quittung<br />

für unsere Nachsicht und Blindheit, und<br />

2<br />

eine Welle von Jugendgewalt schlägt über<br />

uns zusammen."<br />

Auch Niedersachsen liegt im Trend der<br />

sprunghaft steigenden Kinder- und Jugendkriminalität:<br />

Der Anteil tatverdächtiger Minderjähriger<br />

wuchs in nur vier Jahren von<br />

1992 bis 1996 um 20 Prozent auf nun 37 000.<br />

Nicht einmal die stundenweise Unterbringung<br />

randalierender oder betrunkener Heimbewohner<br />

in Arrestzellen ist von Staats<br />

wegen möglich. Kruskas Antrag auf Einrichtung<br />

<strong>einer</strong> solchen Zelle wurde vom<br />

Landesjugendamt mit dem Hinweis abgelehnt,<br />

dies seien »Nazi-Methoden". Kruska<br />

nennt das ein „Totschlagargument".<br />

Immer wieder Schläge gegen<br />

Heimerzieher<br />

Schwere Vorwürfe erhebt der Pädagoge auch<br />

gegen die Jugendgerichtsbarkeit. „Es geht<br />

nicht an, daß Jugendrichter, die häufig mit<br />

falschen pädagogischen Idealen ihren<br />

Beruf antreten, rückfälligen Jugendlichen<br />

vier oder fünf Mal die gelbe Karle zeigen<br />

und bloße Verwarnungen aussprechen,<br />

ohne durchzugreifen." Bewährungsstrafen<br />

würden von den jungen Straftätern fast immer<br />

als Freispruch mißgedeutet. „Man muß<br />

endlich auch bestrafen, um ihnen zu zeigen:<br />

bis hierhin und nicht weiter. Alles andere ist<br />

doch ein Freifahrtschein in immer mehr<br />

Kriminalität", sagt Kruska.<br />

Die CDU-Landtagsfraktion rechnete jüngst<br />

vor. daß ganze 52 Arrestplätze im Land für<br />

derzeit 750 verurteilte Jugendliche zur Verfügung<br />

stehen. Die Straftäter müssen oft<br />

monatelang warten, bis sie ihre Strafe antreten<br />

können Zwischen Verbrechen und Bestrafung<br />

lägen mitunter bis zu zwei Jahre,<br />

sagt die jugendpolitische Sprecherin der<br />

CDU-Fraktion, Astrid Vockert, WELT am<br />

SONNTAG. „Da geht doch der Bezug zwischen<br />

der Tat und den Folgen verloren."<br />

Ihre Partei brachte daher noch vor der<br />

parlamentarischen Sommerpause einen Entschließungsantrag<br />

im Landtag ein, in dem<br />

verbesserte Sanktionsmöglichkeiten für jugendliche<br />

Straftäter gefordert werden. „Wer<br />

mit 18 alle Rechte eines Erwachsenen hat


und - wie in Niedersachsen - sogar mit 16<br />

schon wählen darf, der muß auch wie ein<br />

Erwachsener für ein Verbrechen bestraft<br />

werden können", verlangt die CDU-<br />

Politikerin. „Der Staat darf nicht nur bellen,<br />

er muß endlich auch beißen können."<br />

3

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!