P.T.MAGAZIN 03/2015
Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung
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P.T. <strong>MAGAZIN</strong> 3/<strong>2015</strong><br />
Statistisch ist der<br />
Hase tot<br />
Wer andere überzeugen<br />
will, braucht<br />
objektiv nachprüfbare Fakten<br />
und Zahlen und nicht nur verschwommene<br />
Ideen. Doch auch mit<br />
ein und denselben Fakten lassen sich<br />
völlig gegensätzliche Schlussfolgerungen<br />
begründen. Das geschieht<br />
täglich. Katja Kipping von den Linken<br />
und Wolfgang Bosbach von der CDU<br />
mögen sich vor Fernsehpublikum noch<br />
so sehr streiten – wenn sich beide auf<br />
dasselbe Statistische Jahrbuch berufen<br />
– wer, zum Teufel noch mal, hat<br />
dann Recht?<br />
„Nichts ist irreführender als Zahlen“,<br />
meinte deshalb der Schweizer<br />
Gesundheitsökonom Gerhard Kocher.<br />
Nehmen wir zum Beispiel die Wirtschafts-<br />
und Finanzstatistiken der letzten<br />
zehn Jahre. Man kann machen<br />
was man will: Einwohner, Geborene<br />
und Gestorbene, Ein- und Ausgewanderte,<br />
Renten, Militärausgaben und<br />
alle anderen Zahlen des Jahres 2012<br />
lassen sich nach dem 31. Dezember<br />
dieses Jahres nicht mehr ändern. Man<br />
kann Vergangenheit nicht ändern, aber<br />
man kann sie sich zurechtschminken.<br />
Schon der englische Premier Winston<br />
Churchill riet: „Glaube keiner Statistik,<br />
die Du nicht selbst gefälscht hast.“<br />
Nehmen wir zum Beispiel die relative<br />
Armut. 15,5 Prozent der Bundesbürger<br />
verdienen weniger als 60 Prozent<br />
des Durchschnittseinkommens<br />
und gelten deshalb als arm. Würde<br />
man das Einkommen aller verdoppeln,<br />
dann hätte zwar jeder Arme doppelt<br />
soviel Geld als vorher. Doch er bliebe<br />
relativ arm, denn am Durchschnittseinkommen<br />
hätte sich nichts geändert.<br />
Würde man andererseits alle hohen<br />
Einkommen zu 100 Prozent besteuern,<br />
dann würde das Durchschnittseinkommen<br />
sprunghaft sinken. In derselben<br />
Sekunde gäbe es plötzlich viel<br />
weniger Arme, weil viel mehr Bürger<br />
die 60-Prozent-Grenze überschreiten –<br />
und zwar ohne einen Cent mehr in der<br />
Tasche haben zu müssen.<br />
Wie sagte schon der englische Humorist<br />
Lionel Strachey: „Die Statistik ist<br />
eine große Lüge, die aus lauter kleinen<br />
Wahrheiten besteht.“ Offenherzig<br />
wie ein Bikini präsentiert jede Statistik<br />
viel Unwichtiges. Das Entscheidende<br />
ist meistens gut versteckt. Auch beim<br />
Lesen des Statistischen Jahrbuches<br />
wird man deshalb oft nicht klüger,<br />
obwohl an den Tabellen sicher niemand<br />
mit Rechenschwäche gearbeitet<br />
hat, sondern eher ein Zahlenfetischist.<br />
Doch die Ergebnisse sollte man<br />
immer auf Plausibilität prüfen. Sonst<br />
entstehen all die Missverständnisse<br />
und Irrtümer, die zum Beispiel<br />
Gerd Gigerenzer, Thomas Bauer und<br />
Walter Krämer in ihrem jüngsten Bestseller<br />
zusammentragen: „Warum dick<br />
nicht doof macht und Genmais nicht<br />
tötet.“ An den konkreten Fragen der<br />
Praxis schrammen offizielle Statistiken<br />
oft vorbei. Um glaubwürdig zu<br />
sein, müssen sie auf möglichst großen<br />
Stichproben beruhen. Doch je größer<br />
die Befragung, umso gnadenloser<br />
schlägt die sogenannte „Mittelwertsfalle“<br />
zu.<br />
In diese Falle tappen Öffentlichkeit<br />
und Medien genau so gern und oft<br />
wie Thilo Sarrazin in jedes Fettnäpfchen<br />
der Political Correctness. Noch<br />
nie von der Mittelwertsfalle gehört?<br />
Ganz einfach: Wer Mittelwerte aus verallgemeinerten<br />
Stichproben fälschlich<br />
auf Einzelfälle anwendet, sitzt in der<br />
Mittelwertsfalle: Ein Jäger schießt auf<br />
einen Hasen. Der erste Schuss geht<br />
einen Meter links vorbei, der zweite<br />
Schuss geht einen Meter rechts vorbei.<br />
Statistisch ist der Hase tot.<br />
Dr. Helfried Schmidt<br />
71x297 PT-Magazin <strong>2015</strong> 06.<strong>03</strong>.<strong>2015</strong> 11:34 Uhr Seite 1<br />
Bild: © skyphoto/fotolia.com<br />
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