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Brandt - Jugendradikalisierung - Willy-Brandt-Kreis

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dabei üblicherweise meist an Herbert Wehner; die Haltung <strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong>s war im<br />

Persönlichen toleranter, in der Form konzilianter, aber substantiell, hinsichtlich der<br />

Abgrenzung vom Linkssozialismus und von nicht NATO-konformen Standpunkten, kaum<br />

weniger eindeutig. Auch wenn ihm Parteiausschlüsse wie der seines alten SAP-Genossen und<br />

Freundes Max Köhler, in diesem Fall wegen kritischer Äußerungen über die Kirchen, weh<br />

taten.<br />

Was <strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong> von anderen, auch früheren Linken, unterschied, war der Respekt<br />

gegenüber Standpunkten, die er für falsch hielt, selbst dann, wenn sie ins Grundsätzliche<br />

gingen. So erinnere ich mich, daß er mir Anfang der 60er Jahre einmal den<br />

Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber dem SDS erklärte, indem er meinte, dort seien<br />

überwiegend zwar keine Anhänger des Sowjetkommunismus, aber großenteils Leute<br />

versammelt, die ein System wie den jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus<br />

befürworteten. Das sei eine durchaus ehrenwerte Position, nur habe sie keinen Platz in der<br />

SPD. Gelegentlich zweifelte er auch daran, ob die führenden „Falken“-Funktionäre um Harry<br />

Ristock in der richtigen Partei seien. Diese kritische Einschätzung hat er später revidiert, so<br />

wie Ristock umgekehrt die seine, ebenfalls kritische, <strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong>s. 10<br />

IV.<br />

Es ist offenkundig, daß <strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong> das Aufkommen des überwiegend studentischen Protests<br />

in seinen Berliner Jahren, also bis Ende 1966, vorwiegend unter dem Blickwinkel der Ämter<br />

des Regierenden Bürgermeisters und des Vorsitzenden der erneuerten Sozialdemokratie sah,<br />

deren Erscheinungsbild nicht leiden sollte. Zudem konnte die deutschlandpolitische<br />

Auflockerung, wie sie der Berliner <strong>Kreis</strong> um <strong>Brandt</strong> mit Albertz, Bahr, Schütz u. a. anstrebte,<br />

seines Erachtens keine innerstädtischen Irritationen gebrauchen. Auch wenn ihm der Besuch<br />

eines Politikers wie des Kongolesen Moise Tschombé im Dezember 1964 gewiß nicht<br />

angenehm war, meinte er, selbst solchen Repräsentationspflichten dürfe er sich im Interesse<br />

der Stadt nicht entziehen. Als beim Tschombé-Besuch erstmals einige hundert Demonstranten<br />

Polizeiketten durchbrachen und Tomaten warfen, fühlte er sich in seiner Amtsführung<br />

beeinträchtigt, hinter die er die Frage nach der sachlichen Berechtigung der Demonstration<br />

zurückstellte.<br />

Gravierender war die Auseinandersetzung über den Vietnam-Krieg, der im Frühjahr 1965 mit<br />

dem Beginn regelmäßiger Bombardierungen des Nordens und mit der Verstärkung der<br />

amerikanischen Interventionstruppen eskalierte. Während der SDS ein „Vietnam-Semester“<br />

vorbereitete, stellten sich die Bundesregierung und weitgehend auch die veröffentlichte<br />

Meinung demonstrativ hinter die USA; selbst die Entsendung von Bundeswehr-Truppen<br />

schien nicht ganz ausgeschlossen. In West-Berlin kam es zu Weihnachten 1965 zu einem<br />

kuriosen Treuebekenntnis der Tageszeitungen, die eine Geldsammlung durchführten, um den<br />

Familien gefallener US-Soldaten Nachbildungen der Freiheitsglocke übersenden zu können.<br />

Als am 5. Februar 1966 an die 2000 meist junge Westberliner, überwiegend Studenten, das<br />

war damals sehr viel, gegen den „schmutzigen Krieg“ der Amerikaner auf die Straße gingen<br />

10<br />

Harry Ristock, Neben dem roten Teppich, S. 17; Siegfried Heimann/Manfred Rexin (Hg.), Harry Ristock.<br />

Erinnerungen von Weggefährten, Berlin 1993, S. 69.<br />

8

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